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Veranstaltung

  • Die 4. Muslimische Kulturwoche in Berlin: Vielfalt, Sichtbarkeit & Community

    Arabische Kalligraphie, indonesische Kulinarik, eine islamische Interpretation von Kant und Volksmärchen vom Balkan all das erlebten Besucher*innen der 4. Muslimischen Kulturwoche in Berlin. Vom 28. September bis zum 6. Oktober besuchten Interessierte unter dem Motto „Näher kommen & Frieden schaffen“ verschiedene Workshops, Konzerte, Ausstellungen und vieles mehr: Über die Stadt verteilt boten über 30 Organisationen Angebote an. Der Regisseur Mirza Odabasi führte etwa in die Kunst des Filmemachens ein und es fand ein muslimischer Poesie-Abend statt. Bei einem interreligiösen Stammtisch konnte man sich über „Die Kunst des Zusammenlebens“ austauschen und für Kinder spielte zum Beispiel ein türkischsprachiges Schattentheater.

    Am Montag, dem 30. September, wurde die Muslimische Kulturwoche mit der Veranstaltung „Rhythmen der Welt“ eröffnet. In einem Konzert präsentierten verschiedene Künstler*innen  Musik aus verschiedenen muslimischen Kulturen. Das Zusammenspiel beschreiben Zuschauer*innen später als sehr harmonisch, obwohl sich die meisten der Musikschaffenden vor der Veranstaltung nicht kannten. Berlins Kultursenator Joe Chialo hielt ein Grußwort und die Festrede kam von dem Religionsphilosophen Prof. Dr. Milad Karimi.

     

    Die Kulturwoche als Ort der Begegnung

    Im Laufe der Woche zeigen sich ganz unterschiedliche Gesprächsbedarfe bei den Besucher*innen. An einem Abend in der St. Jacobi Kirche offenbarten sich diese sehr eindrücklich. Dr. Bettina Gräf und Julia Tieke stellten das Buch „111 Orte in Berlin, die vom Islam erzählen“ vor. In dem anschließenden Gespräch begegneten sich verschiedene Positionen in offener Atmosphäre, die sich abseits der Muslimischen Kulturwoche so wohl nicht getroffen hätten: Während sich die einen Teilnehmenden Sorgen um wachsende Diskriminierung auch aus der Politik heraus machten, kämpften die anderen mit Misstrauen zwischen Gruppen oder damit, die eigenen Vorurteile zu überwinden. Eine Mini-Buchmesse im Altarraum der Kirche zeigte anschließend Bücher zum Thema Islam und Koranübersetzungen, auch eine Kunstausstellung befand sich dort.

    Die Kulturwoche solle einen Zugang zu muslimischer Kultur ermöglichen und in diesem Raum Austausch innerhalb der muslimischen Community und über diese hinaus schaffen, erklärt Levent Kılıçoğlu vom Forum Dialog e.V. und Leiter der Muslimischen Kulturwoche. „Der große Andrang freut uns sehr für die Sichtbarkeit von muslimischen Communities in Berlin“, meint Kılıçoğlu. Bei der Repräsentation von Muslim*innen solle vor allem ihre Vielfalt betont werden. Die Woche stelle daher einen kulturell definierten Islam dar, im Gegensatz zu einem politisch oder theologisch definierten. Daher sei es toll, dass in jedem Jahr mehr Organisationen an der Muslimischen Kulturwoche teilnehmen, die verschiedene Länder und Glaubenspraxen repräsentieren.

    Entstanden sei das Projekt durch die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, auf Anstoß von Hartmut Rhein, dem Beauftragten für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Forum Dialog e.V. und I-ISIN e.V. sind Träger und Organisatoren der Woche. Die Förderung der Veranstaltung erfolgt weiterhin durch die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Vor allem jedoch lebe die Muslimische Kulturwoche von der „unermüdlichen Unterstützung unserer Ehrenamtlichen, die den reibungslosen Ablauf der Woche erst möglich gemacht haben“, so Kılıçoğlu. Es freue ihn überaus, jedes Jahr neue Gesichter zu sehen, die das Projekt tatkräftig unterstützten. Wer Lust habe, sich zu engagieren, könne sich einfach melden.

     

    „Ein voller Erfolg“

    Alle Veranstaltungen sind kostenlos, jedoch müsse man sich aus organisatorischen Gründen anmelden, berichtet Rümeysa Yılmaz, ebenfalls von Forum Dialog e.V. Obwohl die Räumlichkeiten oft nicht sehr groß seien, werde in der Regel niemand abgewiesen. Und wenn doch zu einem Programmpunkt sehr viele Menschen auftauchen? „Dann wird’s kuschelig“, lacht Yılmaz. Zu einem indonesischen Abend seien diese Woche statt der angemeldeten 30 an die 100 Gäste gekommen.

    Die Zahl der teilnehmenden Organisationen ist von zehn im letzten Jahr auf 30 in diesem Jahr stark angewachsen. Auch die Zahl der Veranstaltungen hat sich von circa 20 im letzten Jahr zu über 40 gut besuchten Programmpunkten in der diesjährigen Muslimischen Kulturwoche sehr gesteigert. Abschließend resümiert Kılıçoğlu: „Die diesjährige Muslimische Kulturwoche war ein großer Erfolg. Wir hatten gut besuchte Veranstaltungen und ein vielfältiges Teilnehmerprofil. Außerdem haben wir neue Formate, wie den Malwettbewerb, den Podcast und die Mini-Buchmesse, ins Programm aufgenommen. Mit diesen Erfahrungen werden wir bestimmt im nächsten Jahr wieder ein Stück wachsen und vielleicht neue Formate aufnehmen.“

     

    Gemeinsame Gebete von Muslim*innen, Jüd*innen und Christ*innen

    Den Abschluss fand die Woche am Sonntag, dem 6. Oktober, mit einem interreligiösen Friedensgebet in der Wilmersdorfer Moschee. An diesem historischen Ort, der ältesten erhaltenen Moschee Deutschlands, kamen an diesem Tag Rabbiner Andreas Nachama, Pfarrerin Marion Gardei und Imam Kadir Sanci von dem Projekt „House of One“, sowie Imam Amir Aziz von der Wilmersdorfer Moschee zusammen. Das Thema war „Gemeinsam gegen Gewalt – für Frieden in der Welt“.

    Der helle, freundliche Raum war gut gefüllt, trotz aufgestellter Stühle saß die Mehrzahl der Leute auf dem Teppich, mehrere Kameras nahmen auf. Alle vier Geistlichen bezogen sich angesichts des Datums auf den Überfall der Hamas vom 7. Oktober 2023 und den Krieg in Palästina, Israel und Libanon. Imam Amir Aziz eröffnete die Veranstaltung mit einem Gebet „von Herzen für Frieden, Liebe und Harmonie für die ganze Welt.“ Es folgten verschiedene Gebete und Suren auf Arabisch, Bittgebete auf Hebräisch und deren Übersetzungen sowie Zitate aus der Bibel.

    Imam Kadir Sanci sprach unter anderem die Sure 49, Vers 10 bis 13 und sagte, dass Unterschiede zwischen den Menschen von Gott gewollt seien, denn er habe sie so geschaffen, und hoffte auf ein „Leuchtfeuer der Hoffnung“, das von dem heutigen gemeinsamen Gebet ausgehen solle. Rabbiner Andreas Nachama erklärte die hebräische Bedeutung von Frieden, die immer auch Frieden jenseits der Grenzen einschließe und erinnerte an den Auszug der Israeliten aus Ägypten. Gott habe die Verfolger zwar im Meer ertrinken lassen, habe allerdings den Engeln verboten, fröhlich zu sein, da der Tod irgendeines seiner Geschöpfe immer Anlass zur Trauer sei. Pfarrerin Marion Gardei zitierte die Bergpredigt und mahnte Zivilcourage an. Zum Schluss reichten sich alle Geistlichen der verschiedenen Religionen die Hände in einer Geste der Verbundenheit.

    Am Abend folgte die Abschlussveranstaltung, ein Konzert des Ensembles Al Firdaus in der Universität der Künste. Wiederum war der Saal gut besetzt und die Mischung aus andalusischer Musik und Sufi-Klängen und Gesang erinnerte an die Verschränkung der Traditionen verschiedener Kulturen und Religionen. Die 2012 von Ali Keeler in Granada gegründete Gruppe umfasst sieben Personen aus Marokko, Spanien und England und ziehe ihre Inspiration aus dem Nicht-Wahrnehmbaren, so Keeler in seiner Moderation des Konzerts. Der hohe Joseph-Joachim-Saal der Universität der Künste war erfüllt von spirituellen Klängen und vielleicht spürte der eine oder die andere den Frieden und die Verbundenheit, die diese vierte Muslimische Kulturwoche vermitteln wollte.

  • Machen, Wirken, Netzwerken: WeCamp in Essen

    WeCamp in Essen

    „kohero war eingeladen, beim WeCamp auszustellen und auch wenn wir nicht schwerpunktmäßig in Essen wirken, fühlte es sich genau richtig an, vor Ort zu sein. Denn das WeCamp wollte ja eine „Messe der Buntheit“ schaffen – was auf jeden Fall auch gelungen ist“, sagt Lilly, die bei kohero für die Spendenbetreuung verantwortlich ist und gemeinsam mit Chefredakteur Hussam den kohero-Stand betreut hat.

    Nach dem Erfolg des WeFestivals im Mai fand in Essen am 9. September das WeCamp statt. Der „Abend des Miteinanders, des WIR“ wurde von Monika Rintelen und der VielRespektStiftung im Unperfekthaus veranstaltet. In diesem Rahmen haben sich Initiativen von Bürger*innen vernetzt und es wurde Sichtbarkeit für all die Engagierten geschaffen. Lilly ergänzt: „Es gab neben vielen kleineren, lokalen Initiativen auch größere Bildungseinrichtungen und Vereine, die mit dabei waren. Alle Akteur*innen wurden auch die vielen Räume im Unperfekthaus aufgeteilt, so dass Besucher*innen etwas persönlicher in Kontakt treten konnten als bei typischen Messen.“

    Das Unperfekthaus

    Das Unperfekthaus in Essen ist ein Gründer*innen- und Künstler*innenzentrum mit öffentlichem Restaurant, Kunstladen und Hotel. Erfinder Reinhard Wiesemann, der auch die Stiftung des VielRespektZentrums gegründet hat, betont auf der Website, dass „die Vielfalt unterschiedlichster Menschen, die aus ganz verschiedenen Motiven im Unperfekthaus aktiv sind, einen Ort schaffen, dessen unglaubliche Atmosphäre auf Besucher überspringt. Und begeisterte Besucher sind die andere Hälfte des Unperfekthauses, kaufen Werke, vergeben Aufträge, feiern und haben eine gute Zeit im Unperfekthaus.“ Dieser Ansatz ist auch in der Motivation der Initiator*innen des WeCamps zu finden.

    Ein verbindender Tag

    „Ich hatte eigentlich keine besonderen Erwartungen, vielleicht weil ich weder Essen noch das Unperfekthaus vorher so richtig kannte. Ich war also überrascht von der großen Vielfalt von Aussteller*innen und Besucher*innen und konnte viele gute Gespräche führen. Zum Beispiel mit unserer Tisch Nachbarin, der Künstlerin und Autorin Clarice, die über koloniale Raubkunst und die Bedeutung von „scarification“ in ihrer Familie spricht und schreibt. Sehr schön war auch, die Marokkanische Fraueninitiative e.V. kennenzulernen, die neben der interkulturellen Frauengruppe ihren Tisch aufgebaut hatte, die u.a. auch wunderschöne, handgemachte Stickereien ausgestellt haben. Es war ein verbindender Tag, der die Unterschiede gefeiert hat!“, berichtete Lilly.

    Unter den Ausstellenden waren Wohnprojekte, Frauen- und Musikgruppen, migrantische Initiativen, Journalist*innen und Schriftsteller*innen sowie Obdachlosen-Initiativen. Zu ihnen gehörten etwa der Jugendmigrationsdienst, Start-with-a-friend, Jan Jessen (NRZ), Allbau (CityNord), EPA, Viertelimpuls, Joblinge, Medinetz, eine marokkanische und afghanische Frauengruppe, AWO, 4 Wohnprojekte, das Friedensforum, ELZ und Mobilitea. Abgerundet wurde der Abend mit jüdischer, westlicher und arabischer Musik.

    „kohero möchtet mehr Leute erreichen, nicht nur in Hamburg, sondern ganz Deutschland. Viele Menschen kennen kohero aber leider nur online, deswegen versuchen wir, in jeder Stadt zu sein – zum Beispiel bei Veranstaltungen wie dem WeCamp. Es war sehr schön, viele Ukrainer*innen, Syrer*innen, Deutsche mit und ohne Migrationsgeschichte an einem Ort zu sehen. Das ist Deutschland, wie wir es kennen. Wir haben viele neue Menschen kennengelernt und neue Projekte entdeckt“, sagt kohero-Chefredakteur Hussam nach der Veranstaltung. Weitere Eindrücke der Veranstaltung gibt ein Video, in dem die Highlights des WeCamps zu sehen sind. Hier geht es zum Video.

  • Die Suppe auslöffeln! Grundrechte in Aktion und Diskussion

    „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – mit diesem nüchternen Satz beginnt unser Grundgesetz. Sein Rückgrat sind die Grundrechte in den Artikeln eins bis 19, welche den Einzelnen vor Übergriffen des Staates schützen. Was damals angesichts der Erfahrung zweier Weltkriege eine fundamentale Errungenschaft war, scheint uns heute fast wie selbstverständlich. Dass unsere Grundrechte alles andere als eine Selbstverständlichkeit sind, sondern täglich verteidigt, weiterentwickelt und im Zweifelsfall gegeneinander abgewogen werden müssen, wird oft erst dann klar, wenn diese in Gefahr geraten. So sind die Debatten um das Grundgesetz auch 70 Jahre später aktueller denn je, besonders vor dem Hintergrund gesundheitlicher sowie rechtspopulistischer Bedrohungen.

    Demokratie mitgestalten

    Welche Suppe wir uns da mit den Grundrechten eingebrockt haben und mit welchen Rezepten wir diese sichern können, wollte das Barmbeker Kulturzentrum Zinnschmelze mit einer siebenmonatigen Veranstaltungsreihe herausfinden. Der Titel „1# UNANTASTBAR. Grundrechte – Greif zu!“ lässt sich als Aufforderung verstehen, sich mit den Grundlagen unserer Demokratie zu beschäftigen und diese aktiv mitzugestalten.

    Jedes Teilprojekt widmete sich hierfür einem Artikel des Grundgesetzes mit unterschiedlichen Zugängen und an unterschiedlichen Hamburger Kulturorten. Ziel der einzelnen Veranstaltungen, Workshops und Aktionen sei es gewesen, „das Grundgesetz aus der verfassungs­politischen Abstraktion zu holen und auf künstlerisch-kreative Weise erlebbar zu machen“, so die Organisatorin Sonja Engler.

    Ein bunter Abend mit interessanten Gästen

    Zwar musste die Abschlussveranstaltung coronabedingt auf den 17. September 2020 verschoben werden, umso mehr freuten sich die Gäste dann allerdings über die bunte Mischung aus Skulpturen, Bildern, Performances, Musik und Gesprächen. Das Programm richtete sich an in Deutschland geborene und aufgewachsene Menschen, Geflüchtete und Zugewanderte, Erwachsene und Jugendliche. Unter dem Motto „Die Suppe auslöffeln“ lud die Zinnschmelze, zusammen mit ihren Kooperationspartnern, dem Goldbekhaus, dem Kulturschloss Wandsbek, dem Jugendinformationszentrum, Lukulule e.V. und der beruflichen Schule Uferstraße ihre Gäste nicht nur zum Feiern, sondern vor allem auch zum Diskutieren, Nachdenken und Mitmachen ein.

    Den Auftakt machte um 17 Uhr der Kinderchor der Zinnschmelze. Unter Leitung von Daniel Haller wurden auf dem Hofgelände mit deutsch- und fremdsprachigen Liedern die Kinderrechte besungen und gefeiert. Anschließend ging es in der großen Ausstellungshalle des Museums der Arbeit mit einer Voguing-Tanzperformance von Jugendlichen des Lukulele e.V. zum Thema Queerness und dem Recht auf sexuelle Freizügigkeit weiter.

    Wie sieht eine grundrechtegerechte Gesellschaft aus?

    Es folgte eine Podiumsdiskussion mit der SPD-Bezirksabgeordneten Irene Appiah und der Doktorandin Sally Mary Riedel zum Thema Rassismus in Deutschland. Moderiert wurde das Gespräch von der Lehrerin und Bildungsaktivistin Gloria Boateng. Alle drei Frauen haben bereits Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht. Sie engagieren sich heute auf je eigene Weise für eine offene und gleichberechtigte Gesellschaft. Dabei wurde deutlich, dass Rassismus – wie jüngst im Falle des ermordeten George Floyd – nicht erst mit physischer Gewalt beginnt. Oft sind es subtile Formen, in denen Rassismus stattfindet.

    Mit dabei war auch die Theatergruppe SISU des Goldbekhauses und der Embassy of Hope, welche sich ganz konkret auf den Artikel 16 des Grundgesetzes bezog: „politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Im Zentrum ihrer multimedialen Performance stand die Frage: „Stell dir vor, du bist der Artikel 16. Wie geht es dir gerade in Deutschland?“.

    Abgerundet wurde der Abend schließlich mit einer Rap-Einlage von Rap for Refugees e.V., einer Initiative für junge Menschen in prekären Lebenssituationen. Die Idee hinter dem Namen des Projekts: Den Begriff „Flüchtling“ bzw. „Geflüchtete/r“ aus seiner zunehmend negativen Konnotation herauszulösen und damit gezielt Jugendliche anzusprechen, die nicht nur vor Krieg oder aus wirtschaftlichen Gründen, sondern vielleicht auch vor ihren alltäglichen Ängsten und gesellschaftlichen Problemen fliehen. Ihnen gibt Rap for Refugees mittels Hip Hop in seinen diversen Ausdrucksformen ein Ventil.

    Grundgesetz ist kein Kochbuch

    In ihren Abschlussworten dankten die Veranstalterinnen Sonja Engler und Katja Krumm dem ganzen Projektteam, einschließlich den Förderern, dem Bezirksamt Hamburg Nord, der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration und der Budnianer Hilfe, die das gesamte Projekt erst möglich machten. Dass unsere Grundrechte wichtig und schützenswert sind, darin waren sich alle einig. Und doch ist das Grundgesetz kein Kochbuch, sondern gibt einen Rahmen vor, der jeden Tag neu mit Leben gefüllt werden muss. Wie sehr sich eine künstlerisch-kreative Herangehensweise dazu eignet, hat die Veranstaltungsreihe allemal bewiesen. Eins ist vor allem deutlich geworden: Diese Suppe, lässt sich nur gemeinsam auslöffeln.

  • Über den Tellerrand – Kochen verbindet

    Kochen verbindet: Über den tellerrand Hamburg ist ein Integrationsprojekt des Vereins „Die Insel Hilft e.V.“,  das sprichwörtlich durch den Magen geht: Menschen verschiedener Kulturen kochen und speisen zusammen. Über den tellerrand wurde 2013 in  Berlin gegründt und ist seither in über 30 Städten in Deutschland aktiv. Seit 2019 findet an einem Tag jeden Monat ein „Kochabend mit Freund*innen“ statt. Es geht vor allem darum Menschen und Nachbarn zusammenzubringen, damit sie gemeinsam kochen, Freundschaften schließen und Spaß haben.

    Und natürlich geht es auch darum, Gerichte aus anderen Ländern und andere Kulturen kennenzulernen. Vom Kleinkind bis zur Oma sind alle willkommen. Das Organisationsteam kauft vorab zusammen mit einem hauptverantwortlichen Koch-Team ein. Kochen tun wir dann alle zusammen unter dem Motto: gemeinsam schnippeln, kochen, essen und spülen. Da nicht jede*r gleich viel in der Küche helfen kann oder will, bleibt auch Zeit für Spiele, nette Gespräche und spontane Ideen.

    Werbung für die Veranstaltung

    Am 12.02.2020 nahm ich an einer Kochveranstaltung des Frauenkreises von Über den tellerrand  Hamburg im Goldbekhaus teil, an der insgesamnt etwa 28-30 Frauen teil. Die Werbung für die Veranstaltungen wird per Facebook und Email gemacht. Ich bekam die Einladung per Email und musste mich anmelden, aber für die Frauen-Koch-Abende es gibt auch eine WhatsApp-Gruppe, durch die alle Frauen informiert werden. Als ich beim Frauenabend teilgenommen habe, waren Frauen aus verschiedenen Ländern wie Afghanistan, Iran, Deutschland, Argentinien, Frankreich, Syrien dabei.

    Inhalt der Kochveranstaltung:

    1. Vorstellungsrunde (dieses Mal gab es Kartoffelpuffer und jede musste vorstellen welches Gericht aus Kartoffeln sie mag.)
    2. Die Teilnehmer werden in vier Gruppen eingeteilt und jede Gruppe war für das Kochen oder die Zubereitung der Speisen verantwortlich.
    3. Es gab eine Vorspeise, eine Hauptspeise, eine Nachspeise und einen Salat.

    An meinem Abend gab es als Hauptspeise Kartoffelpuffer mit Salat und Sauce zum Dippen mit Kokos-Milchreis als Nachtisch.

    Ich traf viele Leute in der Runde, z.B. eine Frau, die für den NDR arbeitet. Nachdem wir uns besser kennengelernt hatten, haben wir bemerkt, dass wir viele gemeinsame Freunde haben. Dann war da auch noch eine Frau namens Monika mit ihrer zehn Jahre alten Tochter Lupi aus Argentinien. Ihre Tochter liebt das Kochen und die Mutter erzählte, dass das Mädchen recht gut kochen kann: Sie könne Eier kochen und Kaffee machen.

    Die Dame, die die Kartoffelpuffer gemacht hatte, heißt Azam, kommt aus dem Iran und lebt seit ein und halb Jahren in Hamburg. Sie hatte vor einem Jahr mit Über den tellerrand Hamburg Kontakt aufgenommen und ist seitdem aktiv. Bis jetzt hat sie mehr als sechs Gerichte für die Kochveranstaltungen bei Über den tellerrand Hamburg gekocht.

    Weitere Veranstaltungen

    Sie möchte auch weiter machen/ kochen für die Veranstaltungen. Darüberhinaus hat sie noch andere Pläne für die Zukunft, z.B. Koch-Workshops für Menschen, die kochen lernen möchten, bei ihr zu Hause zu geben. Azam sagte, dass sie sehr dankbar dafür sei, dass es hier in Deutschland solche Kochveranstaltungen gibt, bei denen die Menschen zusammenkommen und zusammen kochen Und die dabei helfen, neue Gerichte aus anderen Ländern zu lernen. Solche Veranstaltungen helfen auch den Flüchtlingen ihr Heimweh zu überwinden, oder den Menschen, die allein leben, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und die Einsamkeit zu vergessen.

    Ich werde zusammen im kommenden Monat mit dem Über den tellerrand Hamburg -Team afghanische Abende organisieren, mit Essen und Tanzen.

    Bleibt  dran!

     

    Dieser Artikel wurde mit Tilla Lingenberg in Schreibtandem- Projekt des Flüchtlingmagazins geschrieben.

     

     

  • Leben in einer Demokratie – ein Interview

    Der Film handelt von Tarek Saad, einem syrischen Geflüchteten, der sich in Deutschland einlebt und schon nach kurzer Zeit anfängt sich politisch zu engagieren. Er bringt eine einzigartige Perspektive mit, denn er lernt erst in Deutschland was es heißt, frei zu sein und was es bedeutet, in einer Demokratie zu leben

    Im Anschluss hatten wir die Möglichkeit, ein Interview mit dem Protagonisten Tarek Saad und dem Filmemacher Jonas Nahnsen zu führen.

    FM: Bitte erzähl uns, warum du der SPD beigetreten bist.

    TS: Es war mir wichtig, ein Teil des politischen Systems zu sein. Ich hatte schon viele Freunde innerhalb der Partei. Und ich teile dessen Grundwerte: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, für die ich schon in Syrien gekämpft habe. Ich wurde verwundet und kam nach Deutschland. Die SPD war mein Weg in das politische System. Damals war der Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, den ich kennengelernt habe, ein Mitglied der SPD, und er hat zu mir gesagt: „Hab Vertrauen, alles wird gut!“ Deswegen hatte ich auch eine emotionale Beziehung zu der SPD.

    FM: Kann man auch ohne einer Partei beizutreten, Demokratie in Deutschland ausleben?

    TS: Klar! Indem man sich ehrenamtlich für Organisationen engagiert, die unabhängig sind. Dass man sich gesellschaftlich stärkt, zum Beispiel für #Fridays For Future oder #Seebrücke. Wenn man genauer hinschaut, merkt man, dass diese Leute, die auf die Straße gehen, die Politik beeinflusst haben. Das ist auch ein Teil der Demokratie.

    Aber ich bin auch der Meinung, innerhalb einer Partei etwas umzuschreiben, zu verändern ist ebenfalls wichtig, wenn wir schon in Deutschland ein Parteisystem haben. Für ein gesundes politisches System ist beides wichtig: Leute ohne Parteibuch, die sich engagieren und Leute innerhalb der Partei, die etwas umschreiben. Wenn sie zusammen arbeiten, dann funktioniert es gut. Politiker müssen schon mehr mit den Leuten auf der Straße in Kontakt treten und ihre Perspektiven in den Bundestag mitnehmen. Das ist die Aufgabe der Abgeordneten. Mein Schwerpunkt in der Partei ist Migrations- und Integrationspolitik, ich versuche immer mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.

    FM: Du hast Tarek bei seinen Parteiaktivitäten begleitet, erzähle bitte davon.

    JN: Ich habe dieses Projekt als meine Bachelorarbeit gemacht. Ich habe Medientechnik studiert und dann diesen Dokumentarfilm gedreht. Das war ein No-Budget-Projekt. Das Equipment haben wir von der Uni ausgeliehen. Die Leute haben kostenlos gearbeitet. Innerhalb von sechs Drehtagen haben wir den Film gedreht. Wir waren mit Tarek im Flüchtlingsheim, wo er angekommen ist, wir waren zusammen mit ihm im Landtag, haben Politiker dort besucht und interviewt und dann auf dem Landesparteitag in Neumünster. Wir konnten dort Tarek beobachten, wie er das angeht.

    Vorher hat sich alles für mich theoretisch angehört. Wir konnten in diesen wenigen Tagen, die wir mit ihm unterwegs waren, sehr konkret sehen, was er in der Politik macht. Tarek hat das Antragsprogramm durchlesen müssen, während des Parteitags eine Rede gehalten, um für seinen Antrag zu werben. Zwischen den ganzen Anträgen hat er mit Leuten gesprochen. Er hat versucht Mehrheiten zu finden für seine Sache, die er vorantreiben möchte.

    Ein paar seiner Freunde aus der SPD haben nochmal betont, dass für Menschen, die nicht aus Deutschland kommen, eine Mitgliedschaft in der Partei auch einfach eine Teilhabe an Gesellschaft heißen kann. Dass du die Möglichkeit hast, mitzubestimmen, mitzuwirken, ernst genommen zu werden. Das kann jeder Mensch anders machen: In Sportvereine gehen, sich privat mit Leuten treffen, in der Schule Leute finden. Tareks Möglichkeit sich hier in Deutschland einzubringen war eben die Politik, und das war sehr spannend zu beobachten.

    Persönlich bin ich zwar politisch interessiert, aber hatte nie Ambitionen, mich in der Politik zu engagieren. Ich habe eine politische Meinung, ich gehe wählen,  und ich bin interessiert an tagespolitischen Themen. Deswegen war es für mich spannend zu sehen, warum so ein junger Mensch, der genauso alt ist wie ich, das macht. Was treibt ihn an? Tarek bringt eine einzigartige Perspektive mit, er kommt aus einem Land, wo es keine Demokratie gibt, kommt in das Land mit Demokratie und nutzt diese sofort sehr aktiv. Dadurch ist der Wert von Demokratie zu verstehen, was es heißt, seine Meinung frei zu sagen und was es heißt, frei demonstrieren zu können.

    FM: Wie erlebst du Demokratie in Deutschland, und wie lebst su sie aus?

    JN: Ich möchte, dass die Leute nach diesem Film nicht darüber reden: „Oh ein krasser Flüchtling“, sondern darüber reden: „Wie nehme ich eigentlich Anteil an dieser Gesellschaft? Was mache ich, um mich demokratisch einzubringen?“ Ich selbst habe einen Vorteil: Ich bin ein deutscher Staatsbürger, ich kann alle vier Jahre wählen. Und das mache ich. Für mich ist die Demokratie selbstverständlich und mir fällt es schwer die Frage noch genauer zu beantworten.

    TS: Ich finde, dass Jonas die politischen Meinungen der Leute auf die Leinwand bringen kann, ist eine krasse Verantwortung und beeinflusst viel stärker als ein Wahlprogramm der Partei. Denn wenn man Menschen sieht und hört,  fühlt man auch und liest nicht nur. Jonas darf jeden Film drehen, den er möchte. Ich denke so lebt Jonas die Demokratie auch aus.

    JN: Genau, ich nutze das demokratische System, indem ich die Freiheit nutze mich auszudrücken. Ja, das stimmt, das ist ein Privileg, dass ich das kann. Ich kann die Geschichte erzählen, wie ich will, ohne dass ein Sender sagte, gut, so können wir das senden. Diese Freiheit ist sozusagen ein Tool, das ich nutze in der Demokratie. Und ich nutze Demokratie auch im Alltag: Wenn ich bei der Arbeit Entscheidungen treffe, dann bin ich demokratisch, wenn ich mit meiner Freundin rede und Pläne schmiede, dann sind wir auch demokratisch.

    FM: Was können unsere Leser für Demokratie tun?

    JN: Stellt Fragen und hört richtig zu! Dann kann man sich gegenseitig besser verstehen.

    TS: Wie gesagt, kann man sich ehrenamtlich in verschieden Bereichen engagieren. Wichtig ist, dass es Spaß macht und dadurch lernt man viele Menschen kennen. Und vielleicht sind einige Leser des Flüchtling Magazins auch wahlberechtigt, so dass sie wählen gehen. Und wenn sie nicht wählen gehen, dann sollen sie mir dieses Wahlrecht geben. Ich weiß, wen ich wählen möchte. Jeder hat ein Talent, jeder ist nützlich. Wenn man nur zu Hause bleibt und nichts macht, dann kommt nichts.

    FM: Danke schön!

  • Der Weg zur Integration durch Tanz

    Ausbildung und Auslandserfahrungen

    Ich habe Performance Art in Brasilien studiert, hatte ein Stipendiat und habe dort an der staatlichen Universität für Tanz und Theater meinen Master gemacht mit dem Schwerpunkt zeitgenössische Tanzrituale. In Brasilien habe ich mich immer zuhause gefühlt, mit all den verschiedenen Identitäten. Brasilien ist in einem dauerhaften Identitätsfindungsprozess, denn es gibt in dem Land die verschiedensten Einflüsse. Von Indianern über Arabern, Afrikanern und Europäern sind hier alle Ethnien vertreten.

    Ich habe in dem Teil von Brasilien gelebt und gearbeitet, in dem ungefähr 80 Prozent der Bevölkerung schwarz ist. Auch sie suchen – genau wie ich – ihre Wurzeln. Ich hatte immer große Schwierigkeiten mit diesem nur „Deutschsein“, habe schon immer nach den verschiedenen Seiten von Kulturen gesucht, einfach um mich ganz ausleben zu können. Insgesamt habe ich sieben Jahre in Brasilien verbracht. Und ich habe zwei Jahre im Senegal gelebt, um eben die westafrikanischen Tänze zu studieren. Dann war ich ein Jahr in New York, Havanna und später in Paris. In Paris habe ich auch meinen senegalesischen Tänzer, Musiker, Mann und Vater meiner Tochter getroffen.

    Zusätzlich zu diesem Master habe ich auch eine Therapieausbildung absolviert. Im Anschluss beschäftigte ich mich sechs Jahre intensiv mit dem Thema Selbsterfahrung und habe der Frage, wer ich bin, mit einem kreativen, humanistischen Ansatz nachgespürt. Ich habe also auch einen Abschluss als Gestalttherapeutin.

    Am Richard-Strauss-Konservatorium in München war ich zehn Jahre lang festangestellt. Arbeitsschwerpunkt waren kreative Tänze. Tanzimprovisation war schon immer meins, hier kann ich die verschiedenen Einflüsse miteinbeziehen. Doch ich hatte schon immer so eine Sehnsucht in mir. Ich habe gemerkt, dass wenn ich woanders, also im Ausland bin, in einer anderen Kultur mit einer anderen Sprache, dass ich dann noch mehr Anteile meiner Persönlichkeit ausleben kann. Und gerade in Afrika wird man so angenommen wie man ist, ich habe mich in dieser Kultur sehr willkommen gefühlt.

    Zuhause auf der ganzen Welt

    Ich habe also überall Wurzeln, fühle mich überall zuhause. In all diesen unterschiedlichen Kulturen kommen Anteile in mir zum Leuchten, die eben nur in diesem einem, speziellen Land hervorkommen, woanders aber nicht. In Afrika also erlebe und spüre ich mich ganz anders als beispielsweise in Brasilien. Und es geht immer auch um die Menschen und die Beziehungen, um den Humor, um die Sprache, um all diese kleinen Eigenheiten. Ich erlebe diese Aspekte sehr stark über meinen Körper. Wenn ich Capoeira mache, bin ich in einem anderen Swing als wenn ich den Sabar aus Senegal tanze.

    Diesen Reichtum finde ich wahnsinnig toll. Es geht immer darum, die verschiedenen Identitäten zu vereinen. Dafür ist das Tanzen ein super Mittel. Ich versuche immer, meine unterschiedlichen Identitäten gleichberechtigt zu leben, lasse sie miteinander kommunizieren. Es ist auch von großer Bedeutung, dass sie einander kennenlernen, sich begegnen. Denn alle Persönlichkeiten sind da, wollen gesehen werden. Diese Herangehensweise ermöglicht es mir, in mir zu ruhen und mich auf der ganzen Welt zuhause zu fühlen.

    Der Verein Tanz der Kulturen e.V. und die Bangoura Group

    Anfang 2018 habe ich meinen Verein Tanz der Kulturen gegründet. Wir machen viele Projekte mit verschiedenen Kooperationspartnern, zum Beispiel mit Fördern und Wohnen oder auch mit Political Bodies auf Kampnagel hier in Hamburg. In Frankfurt arbeiten wir mit dem Träger ÜberBrücken zusammen, er hat sich auf künstlerische Integrationsprojekte mit Geflüchteten spezialisiert.

    Teil des Vereins ist die Bangoura Group. Diese Musikgruppe verbindet Tanztheater mit Life Musik. Dabei gehen wir in den Dialog mit dem Publikum, beziehen es in unsere Performance mit ein. Wir spielen traditionell afrikanische Instrumente. Diese sind sehr komplex und es gibt auch nur wenige Menschen, die diese Instrumente überhaupt richtig beherrschen. Wir haben da zum Beispiel das Balafon, eine Art afrikanisches Xylophon, welches sehr erdig klingt. In Norddeutschland gibt es nur einen einzigen, wirklich guten Balafonisten.

    Dann haben wir noch die Kora, ein afrikanisches Seiteninstrument. Die Kora wird oft für Solo-Einsätze genutzt, unsere Band hat es jedoch in die musikalischen Stücke integriert. Ansonsten legen wir viel Wert darauf, dass unsere Musik nicht zu trommel-lastig wird und, dass wir viel mit Melodien arbeiten, was ja eher den europäischen Hörgewohnheiten entspricht.

    Improvisation steht ganz vorne

    Ergänzt wird unsere Musik durch eine Jazzsängerin. Uns ist auch wichtig, nicht nur auf afrikanisch zu singen, weil unser Publikum dies nicht verstehen würde. Also arbeiten wir mit englischem, französischem oder eben deutschem Gesang. Wir bieten eine Mischung aus verschiedenen Sprachen an, um den universellen Charakter zu unterstreichen.

    Und Improvisation steht bei uns ganz vorne. Gegründet wurde die Bangoura Group 2015, bei uns finden sich Musiker aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen. Wir bringen Fusion Musik auf die Bühne, was oft nicht einfach ist, denn dies fordert immer auch eine menschliche „Fusion“, bei der die Kommunikation, vor allem die verbale, sehr wichtig ist. Wie kann diese „Fusion“ also letztendlich funktionieren? Ich habe mir Hilfe von einem brasilianischen, international renommierten Musik-Arrangeur geholt, der sein Leben lang nichts anderes gemacht hat. Er arbeitet auch mit Menschen, die keine Noten lesen können. Und wir setzen auf Rituale.

    Der Einsatz von Ritualen

    Ich beziehe mich bei meiner Arbeit immer wieder auf den rituellen Aspekt. Der Übergang von deinem Zuhause beispielsweise zur Arbeit oder – in meinem Fall – zur Tanzstunde, ergibt eine Identitätsverschiebung. Zum einem bist du privat in deinen eigenen vier Wänden, dann ziehst du deine Tanzsachen an und bist jetzt Tänzerin. Das zu vollziehen, diese Erkenntnis, dass der Alltag nun abgelegt wird und wir uns in eine neue Identität begeben, ist Teil des Rituals. Hier bemühe ich mich immer um eine Verlangsamung und um ein bewusstes Spüren dieser Transformation.

    Die drei Phasen des Rituals sind die Separation vom Alltag, das Erleben einer Reise und die Integration wieder zurück in den Alltag. Dies bewusst zu gestalten, besonders im Tanzen und in der Musik, darum geht es mir. Die Bewusstseinsbildung steht im Fokus, aber es geht immer auch um Gemeinschaftsbildung. Was dies konkret bedeutet, das konnte ich viel und intensiv in den afrikanischen Kulturen lernen. Die Musik, das Tanzen sind ein ständiger Dialog. Es geht auch um das Hören: Einander zuzuhören, aber auch gehört zu werden, um Wahrnehmung. All das sind Grundbedürfnisse des Menschen.

    Perspektiven finden

    Und wir bieten Workshops an, gerade für geflüchtete Kinder und Jugendliche. Hierbei geht es vor allem darum, Aggressionen abzubauen beziehungsweise sie kreativ zu transformieren. Dies geschieht durch Tanzen und Musik, besonders die Trommel ist hierfür sehr geeignet. Ich bin der Meinung, dass die afrikanische Kultur ein optimales Ventil zum Abbau von Aggressionen bietet. Wir holen die Kids aus den Flüchtlingsunterkünften. Es ist nicht gut, wenn sie den ganzen Tag nur drinnen vor dem Fernseher hocken.

    Menschen brauchen einfach mehr als nur ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen. Es ist eine unserer Aufgabe, die Kinder einzuladen, etwas zu tun. Darüber müssen wir uns ernsthafte Gedanken machen, denn sonst kreieren wir die nächsten Katastrophen. Die Jugendlichen können abrutschen in Drogen, Arbeitslosigkeit und Hartz IV. Sie brauchen dieses Gesehenwerden, die Wertschätzung und den Aufbau stabiler Beziehungen. Doch leider ist der bürokratische Aufwand hier ein Problem.

    Um ein fünftägiges Projekt durchzuführen, bedarf es eines immensen Arbeitsaufwands, besonders um die nötigen Gelder zu generieren und es dauert oft Monate, bis so ein Projekt überhaupt bewilligt wird. Wir brauchen diese Bürokratie nicht, sie ist unnötig. Was wir brauchen, sind Sozialpädagogen; die Künstler brauchen eine pädagogische Ausbildung. Alternativ kann man natürlich in Tandems zusammenarbeiten, also ein Künstler und ein Pädagoge tun sich zusammen, gehen in den nötigen, fachlichen Dialog, nehmen sich Zeit für Teamsitzungen, arbeiten einheitlich. Da wird jedoch bei Ausschreibungen viel zu wenig drauf geachtet.

    Integration durch Musik

    Das Wort Integration hat für mich verschiedene Bedeutungen. Einmal gibt es die kulturelle Integration. Ich möchte diesen Begriff jedoch weiterfassen. Und zwar möchte ich auf die Integration unserer verschiedenen inneren Persönlichkeiten eingehen. Dazu gehören auch unsere Schattenseiten, eben die Seiten, die wir nicht so gerne ansehen oder auch zeigen. Wir reagieren dann mit Ablenkungen, mit Konsum oder auch mit Medikamenten wie beispielsweise Antidepressiva, einfach um nicht die aggressive oder die phlegmatische Seite zu zeigen.

    Ich verstehe Tanzarbeit als Integrationsarbeit. Diese ganze Bandbreite an verschiedenen Gefühlen, die wir nun mal haben, einzubeziehen, das ist, womit ich arbeite. Auch die destruktiven, traumatischen Gefühle dürfen sein, dürfen sich ausdrücken. Es ist jedoch leider kulturell bedingt, dass solche Gefühle eher unterdrückt und verdrängt werden. Dadurch entstehen Krankheiten. Tanzen, Kunst und Musik bieten eine hervorragende Möglichkeit, diese Emotionen zuzulassen. Bei mir wird viel geweint und geschrien, unpopuläre Gefühle wie Wut, Trauer, Angst, Scham und Unsicherheit bekommen einen Raum, dürfen ausgelebt werden.

    Wir leben ja leider in einer Scham-, Sünde- und Schuld-Gesellschaft, geprägt durch unser christliches Weltbild. Im Tanz können wir uns behutsam zeigen, alles darf sein, eben auch die negativen Gefühle. Und alles geschieht freiwillig, ohne Druck. Am Ende einer jeden Session nehme ich mir viel Zeit für eine Abschlussrunde, wir tauschen uns über das Erlebte aus, teilen unsere Erfahrungen. Wir schauen, wo es Gemeinsamkeiten gibt, betrachten aber auch die Unterschiede.

    Unterschiede und Gemeinsamkeiten erleben

    Das ist für mich auch Integration: Die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten in diesem persönlichen, tiefen Aspekt zu erleben. Denn je tiefer wir in die Persönlichkeit gehen, desto mehr Gemeinsamkeiten gibt es. Die Unterschiede sind oft nur oberflächlich. Wenn wir tiefer gehen, dann geht es immer um Anerkennung, um Wertschätzung und um Liebe. All diese Dinge kann man wunderbar mit Musik und Tanz verinnerlichen.

    Integration verläuft auf verschiedenen Ebenen, denn als Mystikerin weiß ich, dass innere Prozesse sich direkt im Äußeren wiederspiegeln. Afrikanischer Tanz basiert auf Mythen. Im Tanzen haben wir die Möglichkeit, unsere verschiedenen Persönlichkeitsanteile, also zum Beispiel die Kämpferin in uns oder auch die Faulenzerin, die Verführerin und Närrin in uns auszuleben und dadurch zu integrieren. Integrieren heißt auch gesehen zu werden, sich kreativ ausdrücken und sich wertzuschätzen. Im Dialog mit dem Gegenüber findet Veränderung statt.

    Alles was sich zeigen darf, kann sich verändern. Tanzen im Ritual, so wie ich es verstehe, gibt uns diese Möglichkeit. Wir Menschen sind Unlust-Vermeider, jeder hat einen inneren Flüchtling. Wir brauchen den Halt der Gemeinschaft, um uns mit unseren unbequemen, unpopulären und schmerzhaften Realitäten zu konfrontieren.

    Warum ausgerechnet der afrikanische Tanz?

    Ich habe mir selber schon oft die Frage gestellt, warum ich mich ausgerechnet für die afrikanische Musik und Kultur entschieden habe. Ich komme aus einem kleinen Ort, in dem mir nie ein Afrikaner begegnet ist. Und auch in meiner Familie hat niemand einen Bezug zu Afrika. Aber ich habe schon immer gerne getanzt und damit fing es an. Im klassischen Ballett oder auch im Modern Dance hieß es immer: Naja, Stephanie tanz ja ganz gut und das, obwohl sie dick ist.

    Als ich dann bei den Afrikanern meine erste Tanzstunde genommen habe, hieß es plötzlich: Elle danse fort – also: Sie tanzt stark. Und der afrikanische Tanz ist ganz anders, es geht viel um die Sichtbarkeit von Energie im Tanzen an sich, um den Dialog und nicht so sehr um die äußere Form. Und er ist spontan, improvisiert. Eben diese Improvisation ist das Grundelement des afrikanischen Tanzes und nicht die Imitation einer Choreographie.

    Kulturelle Grenzen durch Tanzen abbauen

    Mit der Musik und dem Tanz beziehe ich mich einmal auf mich selber und einmal auf meine Umwelt. Dadurch kann ich nicht nur mich spüren, sondern auch meinen Gegenüber. Ich trete mit ihm in Kontakt und das über kulturelle Grenzen hinweg. Ich muss nicht seine Sprache sprechen, wir verstehen uns auch so, kommunizieren durch die Musik, durch das Tanzen, durch die Bewegung. Unser Umgang ist respektvoll und wir konzentrieren uns auf unsere Stärken.

    Die Tanzausbildung nach der Bangoura Methode

    Diese Tanzausbildung findet an sieben Wochenenden statt. Jedes Wochenende widmen wir uns einem Thema. Es geht primär darum, die verschiedenen Anteile in uns zu hören. Mal beschäftigen wir uns mit der Befreiung, mit dem Wilden, dem Ungezähmten in uns. Aber auch mit unserem Stolz. Die verschiedenen Themen habe ich auf der Basis von afrikanischen Mythen entwickelt, sie werden mit der Haltung der Gestalttherapie getanzt und belebt.

    Meine Teilnehmer lernen mit Hilfe von Improvisation und eben der Life Musik diese Themen in sich zu bearbeiten, sie zu entdecken und auszudrücken. So können sie diese Aspekte später in ihrer eigenen Gruppe anleiten und umsetzen. Das ist natürlich ein längerer Prozess.

    Das Buch zur Ausbildung

    Derzeit schreibe ich an einem Lehrbuch für meine Ausbildung. Dieses Buch beschreibt die Grundprinzipien des afrikanischen Tanzes. Es geht intensiv auf die Rituale, die Wiederholung und die Improvisation ein. Und es beschreibt wie diese drei Elemente kreativ durch Tanz und Musik umgesetzt werden können. Der wiederholende Aspekt ist sehr typisch für die afrikanische Musik, würde es diesen nicht geben, dann wäre es keine afrikanische Musik.

  • Grundrechte in der Zinnschmelze – #unantastbar

    Musik, Tanz, Diskussionen, Filme – das Spektrum ist breit. In der Zinnschmelze und anderen Kulturorten in Hamburg kann man sich informieren und austauschen oder künstlerische Arbeiten bewundern, die in Verbindung mit den Grundgesetzen stehen. „Jeder Veranstaltung ist ein Artikel des Grundgesetzes vorangestellt, auf dem der jeweilige Fokus liegt“, erklärt die Organisatorin Sonja Engler.

    Vor einigen Tagen fand die erste Veranstaltung der Reihe im Kulturschloss Wandsbek statt. Mit der „Koscher-Maschine“ wurde jüdisches Leben als Puppenspiel auf die Bühne gebracht. In der Beschreibung des Puppentheaters heißt es:

    Babett, das Schweinchen möchte unbedingt so koscher wie Mendel, das Schaf werden. Da kommt der rothaarige Shlomo mit seiner selbsterfundenen Koscher-Maschine genau richtig. Shlomos türkische Freundin Ayse wundert sich, dass auch bei Juden Schweine verboten sind und Max, der Lachs, singt uns etwas über koschere Wassertiere. Bald schon sorgt die Koscher-Maschine für großes Chaos. Zum Glück hilft Ayse Shlomo aus dem Schlamassel wieder raus. Mit lustigen Songs und vielen bunten Tieren erklärten uns die „Bubales“ die jüdischen Speiseregeln.

    Am 28. September folgt ein Auftritt der Musikerin, Künstlerin und Kolumnistin Leyla Yenirce (aka Rosaceae) mit einer Performance, die Artikel 5 des Grundgesetzes, das Recht auf freie Meinungsäußerung in den Mittelpunkt stellt. Weitere Veranstaltungen finden sich im Programm zur Grundgesetz-Reihe hier: Grundgesetz-Flyer.

    Wir freuen uns auf ein umfangreiches Programm mit politischen, künstlerischen und musikalischen Beiträgen und werden hier weiter berichten.

  • Barcamp in Bremen: Austausch und Dialog

    Die Stiftung Bürgermut

    Organisiert wurde das Barcamp von der Stiftung Bürgermut. Diese Stiftung ist deutschlandweit eine der wenigen Organisationen, die sich auf das Thema Projekttransfer spezialisiert hat. Sie existiert seit 2007. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist es, bürgerliches und ehrenamtliches Engagement sichtbar und bekannt zu machen. Bei dem openTransfer Camp zum Thema Patenschaften wurde die Stiftung Bürgermut unter anderem durch das Bundesprogramm „Menschen stärken Menschen“ sowie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt.

    Weitere Partner waren die Freiwilligen-Agentur Bremen, das Social Impact Lab Bremen, die Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros, das Programm Lesementoring der Landeshauptstadt Hannover und der Mentor Ring Hamburg. Nach Schwerin, Leipzig und Berlin war das Barcamp in Bremen das Vierte zum Thema Patenschaften. Hier trafen Haupt- und Ehrenamtliche, Geschäftsführer und Praktikanten aufeinander.

    In den Dialog treten

    Ziele dieser Veranstaltung waren vor allem der Austausch, das Netzwerken sowie das Teilen von Wissen und Erfahrungen. Auch ging es darum, gemeinsam neue Ideen zu entwickeln. Denn oft ist es so, dass Projekte im Bereich Patenschaften und Tandems vor vielen Herausforderungen stehen – meistens alleine. Es bleibt also die Frage, wie Ehrenamtliche überhaupt erreicht werden können. Welche Mentoren harmonieren mit welchen Mentees? Und was muss im Bereich Datenschutz beachtet werden?

    Diese Aspekte wurden lösungsorientiert aber auch kritisch auf dem Barcamp diskutiert. Es ging primär darum, verschiedene Projekte zusammenzubringen, den Dialog und Austausch zu fördern, Ideen zu teilen und gemeinsam Antworten zu finden.

    Nach dem Motto „geplant ungeplant“

    Das Programm gestalteten die Teilnehmern selbst: So ein Barcamp läuft immer nach dem Motto „geplant ungeplant“. Es gab also keine Referenten, die Vorträge halten, oder passive Zuhörer, die mitschreiben. Im Vordergrund stand vielmehr die Begegnung auf Augenhöhe. Deswegen ist es bei Barcamps auch üblich, dass sich die Teilnehmer untereinander duzen. Die unterschiedlichen Projekte wurden in verschiedenen Sessions vorgestellt. Im Anschluss an jede Session gab es eine Frage, die dann von den Teilnehmern gemeinsam diskutiert wurde.

    Der Verein Welcomate e.V.

    Eine der ersten Sessions war die des Tandemprojekts „Welcomate“ aus Bremen. Der Name leitet sich aus den englischen Begriffen Welcome und Mate ab und bedeutet soviel wie „Willkommenskumpel“. Hinter Welcomate e.V. steht ein buntes Team mit ganz unterschiedlichen beruflichen Hintergründen. Seine Vision ist es, in einer Gesellschaft zu leben, die aufeinander zu geht.

    Das Prinzip ist einfach: Mann registriert sich kostenlos online, danach schlägt das Matching einen „Welcomate“ vor. Im nächsten Schritt lernt man sich erst einmal online ein wenig kennen, um sich dann an einem öffentlichen Ort bei einer Tasse Kaffee oder Tee zu treffen. In der Session wurde unter anderem darüber gesprochen, wie dieses Projekt besser finanziert werden kann und wie mehr Locals generiert werden können.

    Das Projekt Rock your Life Mentoring

    Weiter ging es mit der Vorstellung des Mentoring-Projekts „Rock your Life“, einem Netzwerk aus ehrenamtlich engagierten Studenten. Diese setzen sich tatkräftig für mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit für junge Menschen ein. Mit dem Eins-zu-Eins-Mentoring-Programm werden Brücken zwischen den zu Studierenden und den zu betreuenden Schülern gebaut. Konkret heißt dies, dass die Studierenden ihr Wissen an – vor allem – Hauptschüler weitergeben. Gerade bildungsbenachteiligten Schülern wird so die Möglichkeit gegeben, ihre schulischen Leistungen Stück für Stück zu verbessern und zu vertiefen.

    Der Mentee wird also auf seinem Weg in den Beruf oder auf die weiterführende Schule begleitet. Damit das Projekt nachhaltig und wirksam ist, werden die Trainer selbst nach der Rock your Life – Methode ausgebildet. Diese Trainer qualifizieren dann im nächsten Schritt die ehrenamtlichen Studierenden zu Mentoren.

    Fazit

    Mentoring und Tandempartnerschaften spielen nicht nur in der Flüchtlingshilfe eine große Rolle. Dieses Barcamp hat gezeigt, wie wichtig der Austausch von verschiedenen Projekten untereinander ist. Es wurden neue Kontakte geknüpft und es gab viele Ideen für gemeinsame Projekte. Mit über 100 Teilnehmern war das openTransfer Camp Patenschaften ein voller Erfolg, sowohl die Organisatoren als auch die Mitwirkenden sind zufrieden. Das nächste openTransfer Camp zum Thema Demokratie findet am 28. September in Erfurt statt.

  • Solicasino auf Kampnagel

    Zocken für den guten Zweck – das ist das Solicasino auf Kampnagel! Im Festivalgarten des Internationalen Zentrums für schönere Künste befindet sich das Migrantpolitan, ein Aktionsraum für neue, kulturelle Ideen, die die Integration fördern sollen. Das Migrantpolitan steht aber auch für ein klein wenig Anarchie, für Solidarität und für eine klare Positionierung gegen rechtes Gedankengut. Es ist vielmehr ein Ort des Austausches, des Miteinander, in dem Geflüchtete und Locals zusammenkommen um zusammenzuarbeiten.

    Wie alles begann

    Heute Abend öffnet das Migrantpolitan seine Türen für das Solicasino. Am Eingang hat Nadine Stellung bezogen. Die 44-Jährige, die eigentlich in der Dramaturgie auf Kampnagel arbeitet, hat das Solicasino zusammen mit ihren Mitstreitern im Jahr 2015 erfunden.

    Organisatorin Nadine
    Organisatorin Nadine Foto: Sophie Martin

    „Am Anfang war es nur eine Idee“, beginnt Nadine zu erzählen, „doch dann haben wir den Klassiker des solidarischen Entertainments weiterentwickelt und das Ganze nahm Form und Struktur an. Meine Mitarbeiter und ich haben uns lustige Spiele ausgedacht. Im Vordergrund steht natürlich der Spaß, aber gezockt wird für den guten Zweck. Als Spieleinsatz werden Ufos benötigt, für fünf Euro kann man hier am Eingang bei mir zehn Ufos kaufen. Der Gewinn geht an soziale Projekte in Hamburg, wie beispielsweise an die Lampedusa Flüchtlinge, die seit 2013 für ein dauerhaftes Bleiberecht kämpfen.“

    Inzwischen ist es voller geworden in dem kleinen Raum, in dem überall Tische mit den verschiedenen Spielen aufgebaut sind. Das Licht ist gedämpft, leise Musik tönt aus den Lautsprechern und an der Bar decken sich die Gäste mit Getränken ein. Es gibt Flaschenbier für drei Euro, Wein – wahlweise rot oder weiß – für vier Euro fünfzig. Die Stimmung ist ausgelassen, man hört Menschen lachen, alle sind gut drauf, haben Spaß, amüsieren sich.

    Speeddarting

    Schräg gegenüber vom Eingang betreut Michel einen Tisch mit seinem selbst entwickelten Spiel „Speeddarting“.

    „Das Spiel funktioniert wie folgt“, erläutert Michel und zeigt auf die Weltkarte hinter sich, „man zieht zunächst einen Zettel. Auf diesem Zettel steht der Name eines Landes, einer Stadt oder eines Flusses. Dann nimmt man einen Dartpfeil und muss mit diesem den geografischen Ort auf der Landkarte treffen“.

    Michel ist 38 und arbeitet eigentlich in der Musikbranche.

    „Ich mache das hier ehrenamtlich, bin von Anfang an mit dabei. Es ist mir wichtig, mich für den guten Zweck einzusetzen, etwas Gutes zu tun. Und ich habe jede Menge Spaß dabei, die Nächte hier im Migrantpolitan sind immer witzig und amüsant.“

    Michel vom Speeddarting
    Michel vom Speeddarting Foto: Sophie Martin

    Zwei Gäste sind neugierig nähergekommen, gucken anfangs noch ein wenig skeptisch, lassen sich dann von Michel sein Spiel erklären.

    „Wir zocken gerne und hier lässt sich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Wir können spielen und der Erlös geht an soziale Projekte, das gefällt mir“, sagt der junge Mann, der in Begleitung seiner Freundin hier im Migrantpolitan ist. Diese hat nun einen Zettel gezogen, auf ihm steht in Druckbuchstaben „Baikalsee“.

    Also lässt sie sich von Michel einen Dartpfeil geben, geht ein paar Schritte zurück, kneift die Augen zusammen und zielt. Der Pfeil landet irgendwo in Russland, also fast richtig getroffen.

    An der Bar hat sich eine kleine Schlange gebildet, zocken macht durstig. Auf der linken Seite daneben steht Uta.

    Lose für die Tombola

    „Mein Job ist es, Lose für die Tombola zu verkaufen. Es gibt unter anderem Gutscheine für Veranstaltungen zu gewinnen, aber auch T-Shirts, LPs oder Bücher. Auch ich arbeite ehrenamtlich hier, engagiere mich für den guten Zweck. Das bringt Spaß und ist wichtig“, erklärt die 36-Jährige, die ebenfalls als Dramaturgin auf Kampnagel arbeitet.

    Und auch die Coverband Boy Division Ensemble ist mit am Start.

    „Wir sammeln hier Geld für Menschen, die es wirklich benötigen, die hilfebedürftig sind. Und wir integrieren Flüchtlinge in unser Team, arbeiten mit ihnen gemeinsam, das ist toll zu sehen. Unsere Truppe besteht aus ungefähr 15 Leuten, darunter sind Leute aus dem afrikanischen Raum, aus Afghanistan, Syrien oder dem Iran. Alles ist multikulti, das ist das Schöne an der Arbeit hier“, sagt Bernd, der die die Band Boy Division Ensemble vor 22 Jahren mitgegründet hat.

    Eine Menschengruppe beim Solicasino
    Zocken für den guten Zweck Foto: Sophie Martin

    Beim Solicasino ist für jeden was dabei, neben klassischen Kartenspielen gibt es eben viele verrückte Spiele, die sich die Macher selbst ausgedacht haben.

    „Wir zocken hier bis vier, fünf Uhr morgens, es kommen über die ganze Nacht verteilt so an die dreihundert Gäste. Wir wollen etwas Gutes tun, alle im Team sind ehrenamtlich, arbeiten, ohne Geld dafür zu bekommen“, ergänzt Bernd.

    Termine

    Das Solicasino findet einmal pro Quartal auf Kampnagel im Migrantpolitan statt und während des Sommerfestivals vom 7. bis 25. August auch öfter. Die genauen Termine findet ihr unter dem folgenden Link:  Der Eintritt ist frei.

  • Sommerfest in der Eiffestraße: Miteinander tanzen

    Man hört Kinder lachen, Menschen, die sich auf den unterschiedlichsten Sprachen unterhalten, dazu laute Musik aus den aktuellen Charts zu denen getanzt wird, gespielt von einem DJ auf der Bühne direkt am Eingang des Hinterhofes der Wohnunterkunft in der Eiffestraße 48 in Hamburg Hamm. Der Geruch von Gegrillten liegt in der Luft, es ist ein klein wenig schwül, Schweiß fließt, aber die Sonne scheint und es gibt nur ein paar vereinzelte Wolken am Himmel.

    Ein Sommerfest für die ganze Familie  Foto: Sophie Martin

    Es ist Dienstag, der 6. August, kurz vor 13 Uhr, in wenigen Minuten beginnt das Sommerfest von Fördern und Wohnen. Die Stimmung ist ausgelassen, die Bewohner freuen sich auf ein friedliches Zusammensein, auf leckeres Essen, auf gute Musik und auf entspannte Unterhaltungen.

    Die Gründung von Fördern und Wohnen

    Anlass dieser Veranstaltung ist das 400-jährige Jubiläum von Fördern und Wohnen. Fördern und Wohnen wurde vor zwölf Jahren gegründet, die Geschichte dieses Unternehmens reicht jedoch viel weiter in die Vergangenheit zurück. 1619 entstand am Alstertor das Werk -und Zuchthaus als erste städtische Fürsorge-Institution. Dort waren jedoch Zwangsarbeit, harte Strafen für Fehlverhalten und Strafvollzug an der Tagesordnung, denn Läuterung durch Arbeit war im 17. Jahrhundert eine gängige Methode.

    Doch im Laufe der Zeit hat sich die Situation drastisch geändert. Heute geht es bei Fördern und Wohnen vor allem darum, den Menschen Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, ihnen Teilhabe zu ermöglichen, sie zu ermutigen und selbstverständlich auch, sie kompetent zu beraten.

    Diese Herangehensweise ist verhältnismäßig jung, denn erst zu Beginn der 1960er Jahre kam die Idee auf, dass hilfebedürftige Menschen ein Recht auf staatliche Fürsorge haben, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Weitere 20 Jahre hat es gedauert, bis sich dieser Ansatz durchgesetzt hat.

    Die Unterkunft in der Eiffestraße 48

    Die Unterkunft in der Eiffestraße existiert seit drei Jahren, im März 2016 fand die Eröffnung statt. Insgesamt bietet sie Platz für 302 Bedürftige, derzeit sind alle Plätze belegt, die Einrichtung ist voll ausgelastet. Von den 302 Menschen, die hier wohnen, sind 110 Kinder und Minderjährige. An die 25 Nationen sind vertreten, darunter viele Syrer, Afghanen und Eritreer.

    Die einzelnen Wohnungen sind klein, es gibt eine provisorische Küche, das Gemeinschaftsbad befindet sich auf dem Flur. 590 Euro kostet eine solche Bleibe pro Person, sie wird überwiegend durch die Grundsicherung vom Jobcenter finanziert, nur einige wenige Bewohner arbeiten und kommen selber für die Kosten auf.

    Im Gespräch mit Mohamad

    „Ich bin seit insgesamt vier Jahren in Deutschland und wohne seit 2,5 Jahren hier in der Eiffestraße“, beginnt Mohamad zu erzählen, während er auf einer der Holzbänke im Innenhof sitzt und an seiner Tasse Kaffee nippt.

    „Ich habe palästinensische Wurzeln, komme aber aus Syrien, aus Aleppo. In Syrien war ich Beamter, jetzt mache ich hier in Deutschland einen Vorbereitungskurs und meinen Führerschein, ich möchte gerne Busfahrer werden. Zurzeit werden wir durch das Jobcenter finanziert, das ist nicht viel, aber es reicht aus. Ich bin froh, mittlerweile hier in der Unterkunft zu leben. Unsere Wohnung ist nicht gerade groß, aber es ist viel, viel besser als die Erstaufnahmeeinrichtung. Wir kommen zurecht.“

    Mohamad aus Syrien mit seiner Tochter
    Mohamad aus Syrien mit seiner Tochter  Foto: Sophie Martin

    Der 30-Jährige hält kurz inne, streicht seiner Tochter, die links neben ihm sitzt, über den Kopf, dann fährt er fort:

    „Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder, das hier ist meine Tochter, sie ist sechs Jahre alt und geht in die Vorschule. Ihr älterer Bruder ist acht und besucht die dritte Klasse einer Grundschule. Meine Familie ist das Wichtigste für mich, ich bin froh, dass meine Kinder hier in Deutschland aufwachsen können, in Frieden, und nicht in Syrien, wo Krieg und Zerstörung herrscht. Das Leben in Syrien ist gefährlich, man ist nirgendwo sicher. Deswegen bin ich sehr, sehr dankbar, jetzt in Deutschland, in Hamburg zu sein. Hier muss ich keine Angst haben, vor allem nicht um meine Kinder.“

    Inzwischen hat sich Farid auf die Bank gegenüber gesetzt, ebenfalls mit einer Tasse Kaffee und etwas zu essen, es gibt verschiedene Salate, gegrilltes Fleisch, selbstverständlich halal, dazu Brot.

    Farid erzählt seine Geschichte

    „Ich komme aus Afghanistan, aus der Stadt Masar-e Scharif, sie ist die viertgrößte Stadt in Afghanistan. Ich habe allerdings die letzten 21 Jahre im Iran gelebt. Eigentlich bin ich gelernter Schneider, habe aber im Lager gearbeitet, das war harte, körperliche Arbeit und trotzdem hat das Geld kaum gereicht, um meine Familie zu ernähren. Ich bin ebenfalls verheiratet, habe drei kleine Kinder. Und auch bin sehr froh und vor allem sehr dankbar, jetzt mit meiner Familie hier in Deutschland zu leben.

    In Hamburg habe ich ehrenamtlich als Fußballcoach gearbeitet, habe zwei Mannschaften trainiert. Doch mein Herz macht mir schon seit längerem Probleme, deswegen bin ich momentan arbeitsunfähig. Ich hoffe, dass sich das bald ändert, dass ich bald einen richtigen, bezahlten Job anfangen kann, um meine Familie zu ernähren.“

    Auftritt der Bangoura Group

    Im Hinterhof ist es voller geworden, die Bangoura Group hat die Bühne betreten. Verschiedene, typisch afrikanische Instrumente sind zu sehen, unter anderem die Djembré, eine westafrikanische Blechtrommel, ein Balafon, also ein Xylophon, und die Kora, eine Stegharfe, die mit beiden Händen gezupft wird.

    Spielen auf dem Sommerfest: Die Bangoura Group 
    Spielen auf dem Sommerfest: Die Bangoura Group  Foto: Sophie Martin

    Die drei Musiker aus Westafrika haben traditionelle, afrikanische Gewänder an, bunt und farbenfroh, der Anblick muntert auf, macht gute Laune.

    „Wir spielen sowohl eigene als auch traditionelle Kompositionen aus den Ländern Burkina Faso, Guinea, Senegal, Jamaika und Brasilien. Wir bringen eine Mischung aus Soulgesang, Gitarre und eben den typisch, afrikanischen Instrumenten auf die Bühne“, erläutert Stephanie Bangoura, Gründerin der Bangoura Group sowie des Vereins Tanz der Kulturen. Ihr Verein ist ein Verbund von TänzerInnen, MusikerInnen und PädagogenInnen.  Ziel ist es, Menschen mit unterschiedlichen sozialen sowie kulturellen Hintergrund Musik und Tanz zugänglich werden zu lassen.

    „Unsere Intention ist es, bei unseren Live-Performances das Publikum zum Mitmachen zu animieren. Wir sind international aufgestellt, wir wissen, wie es ist, mit Vorurteilen und Ausgrenzung zu kämpfen. Wir wollen durch unsere Musik einen Teil zur Integration und zur Inklusion leisten. Kultur macht stark und es geht uns um den Dialog“, ergänzt Stephanie Bangoura.

    Stephanie Bangoura mit einem ihrer Musiker 
    Stephanie Bangoura mit einem ihrer Musiker  Foto: Sophie Martin

    Und der Auftritt der Bangoura Group auf dem Sommerfest ist ein voller Erfolg, vor allem die Kinder haben Spaß, tanzen ausgelassen, singen mit, klatschen in die Hände, vergessen für einen Moment ihre Probleme und Sorgen.

    „Ich liebe Musik und ich liebe es, zu Tanzen“, sagt ein kleines Mädchen, sie mag vielleicht sechs, sieben Jahre alt sein und hat sich beim Kinderschminken im hinteren Teil des Hofes in eine kleine Katze verwandelt. „Beim Tanzen fühle ich mich frei, lasse mich von der Musik treiben, bewege mich und höre auf, nachzudenken.“

    Insgesamt wurde das Sommerfest über den Tag verteilt von an die 400 Teilnehmern besucht. Es war eine sehr friedliche, harmonische Veranstaltung. 

    Die Bewohner in der Eiffestraße 48 haben vielleicht nicht viel Geld, aber sie halten zusammen, sind füreinander da, helfen sich gegenseitig, unterstützen sich. Und das ist doch das Wichtigste.

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