Schlagwort: Ukraine

  • „Bin ich hier noch sicher?“ – Geflüchtete aus der Ukraine über ihre Zukunft in Deutschland

    „Ich habe versucht herauszufinden, wohin ich als nächstes gehen könnte, wenn es für mich nicht mehr möglich wäre, in Deutschland zu bleiben.“ Mariia, 40 Jahre alt, beschreibt einen Moment wachsender Unsicherheit: Nach dem Wahlergebnis der AfD bei der Bundestagswahl 2025 fragt sie sich, ob Deutschland dauerhaft ein sicherer Ort für sie und ihre Familie bleiben kann. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine floh Mariia aus Kiew, inzwischen arbeitet sie als Buchhalterin und engagiert sich ehrenamtlich. Doch was, wenn sich die politische Stimmung hier weiter verschiebt? Bin ich hier noch richtig? Und wenn nicht hier – wo dann?

    Auch die 21-jährige Anastasiia kam vor drei Jahren aus der Ukraine über Polen nach Deutschland. Sie besucht einen C1-Kurs und möchte bald studieren. Derzeit fühlt sie sich in Deutschland sicher. Doch sie spürt, wie sich das gesellschaftliche Klima verändert. Für sie ist klar, dass es längst nicht mehr nur um die Ukraine geht, sondern um die Frage, wie wehrhaft Europa gegenüber autoritären Bedrohungen bleibt. Sie wünscht sich, „dass Deutschland rechtzeitig erkennt, wie ernst die Lage ist – für andere und für sich selbst.“

     

    Wenn Ankommen nicht genügt

    Für Menschen aus der Ukraine war Deutschland zunächst ein fester Boden unter den Füßen. Doch spätestens die Wahlergebnisse haben bei vielen die Frage aufgeworfen, wie dauerhaft diese Zuflucht wirklich ist. Politische Kräfte mit russlandfreundlichen Positionen gewinnen an Einfluss. Die einst eindeutige Solidarität weicht einer wachsenden Ungewissheit.

    Für Anastasiia und Mariia ist dabei klar, was auf dem Spiel steht, für sie persönlich und auch politisch. Beide sehen in Russlands Krieg eine bewusste Strategie zur Vernichtung ukrainischer Staatlichkeit. „Es ist rechtswidrig, Menschen innerhalb eines Landes mit geschlossenen Grenzen und ohne Zugang zu Waffen einem bewaffneten, stärkeren Staat schutzlos gegenüberzustellen“, sagt Anastasiia. Dass diese Haltung zunehmend relativiert wird, erleben beide als beunruhigend. Sie spüren: Die Deutungshoheit beginnt zu kippen.

     

    Globale Brüche, persönliche Folgen

    Viele Ukrainer*innen erleben den Krieg längst nicht mehr nur als Angriff auf ihr Land, sondern als Teil eines umfassenderen geopolitischen Umbruchs. Die Wahl Trumps, das Erstarken autoritärer Kräfte in Europa – all das deute für sie auf eine Erosion demokratischer Strukturen hin. Die AfD sitzt als zweitstärkste Kraft im Bundestag, übernimmt russische Narrative, lehnt Waffenlieferungen ab – und spricht der Ukraine eine Mitschuld am Krieg zu. Als Selenskyj im Juni 2024 im Bundestag sprach, boykottierte neben dem BSW fast die gesamte AfD-Fraktion die Rede.

    Laut einer CEMAS-Erhebung von Ende 2023 gaben ungefähr 20 Prozent der Deutschen an, der Angriffskrieg Russlands sei eine unvermeidbare Reaktion auf westliche Provokationen gewesen. Weitere 19 Prozent stimmten teilweise zu. Auch die Verschwörungserzählung, Putin kämpfe gegen eine „versteckt agierende globalistische Elite“, findet Zustimmung – besonders im Osten.

    Anastasiia kritisiert diese Haltung deutlich: „Viele Deutsche glauben, Russland sei gezwungen gewesen zu reagieren. Russland wurde nicht provoziert, es reagiert auf alles mit Gewalt, was sein imperialistisches Regime bedroht: Meinungsfreiheit, Demokratie, Menschenrechte.“

    Alltag der Verunsicherung

    Entfremdung entsteht nicht nur durch politische Entscheidungen, sondern auch im Alltag – wenn russlandfreundliche Haltungen das direkte Umfeld durchdringen. Anastasiia erzählt von einem Gespräch am Arbeitsplatz: „Es wurde angezweifelt, ob es überhaupt schlecht sei, unter russischer Flagge zu leben.“ Für sie war das eine erschreckende Erkenntnis: „Menschen mit einer solchen Haltung ist vollkommen gleichgültig, ob wir als Nation weiter existieren.“

    Auch Mariia erinnert sich an eine Veranstaltung, bei der mehrere Personen versuchten, ihr einzureden, die Ukraine sei selbst schuld am Krieg – und sie sollten Putin dankbar sein, nun in Deutschland leben zu dürfen. Auch Drohungen von Menschen aus Russland habe sie bereits erlebt: „Deshalb versuche ich, Situationen zu vermeiden, in denen große Gruppen von Fremden erkennen können, dass ich Ukrainerin bin.“

    Verständnis für russische Kriegsrhetorik nimmt zu – nicht immer offen aggressiv, sondern in Form von scheinbar harmlosem Infragestellen: Hat die Ukraine nicht auch Fehler gemacht? Ist ein Gebietsverzicht nicht der Weg zum Frieden? Diese Äußerungen treffen Menschen, die genau vor diesem Denken geflohen sind – und es nun, in veränderter Form, erneut erleben. „Oft äußern die Deutschen eher propagandistische Thesen als ihre eigenen Gedanken“, vermutet Anastasiia.

     

    Zweifel an der eigenen Geschichte

    Solche Haltungen erschüttern zunehmend die Legitimität der Flucht – und lassen Zweifel an der eigenen Geschichte wachsen. Mariia spürt diese Verschiebung deutlich und bekommt zunehmend den Eindruck, „dass Deutschland keine Ukrainer haben möchte.“ Sie hofft auf Sicherheit – auch in Bezug auf ihren Aufenthaltsstatus und ihre berufliche Perspektive.

    Auch Anastasiia erlebt, wie anfängliche Solidarität in leise Skepsis kippt – mit subtilen, verletzenden Botschaften. „Vielleicht bist du ja gar nicht das Opfer, für das wir dich hielten“, formuliert sie die unausgesprochene Haltung, die ihr in Gesprächen begegnet. Mariia ergänzt: „Es ist traurig, dass die Menschen immer noch glauben, Putin sei nur eine Geisel der Umstände und nicht der eigentliche Verursacher dieses Krieges.“ Es sind keine offenen Anfeindungen – sondern kleine Verschiebungen im Ton, im Blick, im Subtext: Wenn das eigene Ankommen infrage steht, obwohl man längst da ist.

     

    Erschöpfung, Entsolidarisierung – und der Preis des Friedens

    Diese schleichende Aberkennung der eigenen Geschichte steht im Zusammenhang mit einer wachsenden Erschöpfung innerhalb der deutschen Gesellschaft – politisch, emotional und wirtschaftlich.

    Anastasiia beobachtet diese Entwicklung mit Sorge: Immer öfter höre sie pro-russische Positionen – nicht aus Überzeugung, sondern aus Überforderung, aus dem Wunsch nach einfachen Lösungen, genährt von wirtschaftlichen Sorgen und medialer Polarisierung. In dieser Atmosphäre verhallen differenzierte Argumente oft ungehört.

    Was Anastasiia und Mariia teilen, ist das Gefühl, dass die Vorstellung eines notwendigen „Friedens“ – koste es, was es wolle – an Boden gewinnt. Dass der Wunsch nach Entspannung auf deutscher Seite wächst, während auf ukrainischer Seite noch immer ein täglicher Überlebenskampf geführt wird. Gleichzeitig trifft Russland weiter gezielt Zivilist*innen – wie zuletzt bei einem tödlichen Raketenangriff auf Sumy. Für Anastasiia ist klar: „Den Krieg kann nicht beenden, wer ihn nicht begonnen hat.“

     

    Dankbarkeit ohne Illusion

    Ihr Vertrauen mag Risse bekommen haben – doch Anastasiia und Mariia sehen in Deutschland keinen feindlichen Ort. Sie betonen die Unterstützung und die Chancen, die ihnen hier ermöglicht wurden. „Ich fühle ausreichend Unterstützung seitens der Gesellschaft“, sagt Anastasiia. Auch Mariia findet klare Worte: „Ich danke Deutschland für die Unterstützung, das Verständnis und die Möglichkeit für uns und unsere Kinder, unser Leben im Glauben an eine bessere Zukunft zu leben.“ Doch diese Dankbarkeit bedeutet nicht, dass ihre Sorgen kleiner werden. Sie existiert neben ihnen – nicht als naive Hoffnung, sondern als bewusste Entscheidung, das Gute zu sehen, ohne das Schwierige auszublenden.

    Mariia fragt sich, wohin sie als Nächstes gehen könnte. Denn eine Rückkehr in die Ukraine erscheint kaum als sichere Perspektive – selbst ein möglicher Frieden würde die Bedrohung durch Russland nicht aus der Welt schaffen. Während die Ukraine zur Verhandlungsmasse wird, zeigt sich auch in Deutschland, wie schnell Schutz relativiert und Solidarität brüchig werden kann. Anastasiia erinnert daran, dass es längst nicht mehr nur um ihr Land geht. Es geht darum, ob sich eine Gesellschaft autoritären Bedrohungen entschieden entgegenstellt – oder ihnen Stück für Stück Raum gibt.

     

  • Zwischen zwei Kulturen: Zweisprachig aufwachsen in Hamburg

    Hamburg ist eine Stadt der Vielfalt, und mitten in dieser pulsierenden Stadt wächst eine Generation von Jugendlichen auf, die in zwei Kulturen zu Hause sind. Eine von ihnen bin ich, 17 Jahre alt, und zweisprachig mit Ukrainisch und Deutsch aufgewachsen. Dies hat mein Leben in vielerlei Hinsicht bereichert und mir Türen geöffnet, die ich mir sonst nie hätte vorstellen können.

    Von klein auf war Ukrainisch die Hauptsprache von meiner Mutter und mir, was mir eine tiefe Verbindung zu meinen Wurzeln gibt. Sie hat mir Bücher vorgelesen und wir haben zusammen ukrainischsprachige Filme geguckt. Mit meinem Vater spreche ich Deutsch, dieser versteht mittlerweile schon vieles auf Ukrainisch.

    Jeden Samstag besuche ich die ukrainische Schule in Hamburg, wo ich nicht nur die Sprache lerne, sondern auch mehr über die Kultur und Geschichte meines Herkunftslandes, auch knüpfe ich dort Kontakte. Diese schulischen Aktivitäten haben mir geholfen, meine Identität als Ukrainerin in Deutschland zu festigen und mich als Teil einer größeren Gemeinschaft zu fühlen. Durch die Schule werden viele Feste organisiert, die den Zusammenhalt verschiedener Altersgruppen festigt.

    Die Vorteile der Zweisprachigkeit

    Das Beherrschen zweier Sprachen hat zahlreiche Vorteile. Zum einen ermöglicht es mir, leicht zwischen verschiedenen Kulturen und Lebenswelten zu wechseln. Mit zwei Staatsangehörigkeiten – der deutschen und der ukrainischen – fühle ich mich in beiden Ländern zu Hause.

    Zudem haben sich durch meine Sprachkenntnisse wertvolle Kontakte entwickelt. Ich kann problemlos mit meinen Verwandten in der Ukraine kommunizieren oder Geflüchtete unterstützen. Durch die Kenntnisse bin ich zu meinem aktuellen Arbeitsplatz gekommen, da sie Unterstützung von mir brauchten, und wir so gut kooperiert haben, dass ich jetzt Angestellte bin.

    Eine der wichtigsten Erfahrungen, die ich durch meine Zweisprachigkeit gemacht habe, ist die Möglichkeit, anderen zu helfen. In den letzten Jahren sind viele Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Dank meiner Sprachkenntnisse und eigenen Erfahrungen konnte ich ihnen bei der Integration und Orientierung in ihrer neuen Umgebung helfen.

    Das Aufwachsen mit zwei Sprachen hat auch mein Interesse an anderen Sprachen geweckt. Unter anderem lerne ich gerade Spanisch. Es fällt mir leichter, neue Sprachen zu lernen und mich in verschiedenen kulturellen Kontexten zurechtzufinden. Diese Fähigkeiten eröffnen mir nicht nur berufliche Möglichkeiten, sondern bereichern auch mein persönliches Leben.

    Mein zweisprachiges Aufwachsen in Hamburg hat mein Leben auf vielfältige Weise geprägt. Die Fähigkeit hat mir zahlreiche Vorteile gebracht: kulturelle Tiefe, globale Verbindungen, die Möglichkeit zu helfen und ein breiteres Sprachverständnis. Es ist eine Reise zwischen zwei Welten, die mir Flexibilität, Offenheit und ein tiefes Verständnis für die Vielfalt der Welt gegeben hat.

    Die Erfahrung, zweisprachig aufzuwachsen, ist für mich ein Geschenk. Sie hat mich gelehrt, meine Identität zu schätzen und die vielen Facetten meiner kulturellen Hintergründe zu erkennen. Hamburg ist meine Heimat, aber die Ukraine ist stets ein Teil von mir, und diese Verbindung macht mein Leben reicher und farbenfroher.

  • Erster Besuch in der Ukraine seit Beginn des Krieges

    Was fühlt der Mensch, wenn er sehr lange nicht zu Hause war? Welche Gefühle umfassen den Menschen, wenn er die Grenze zwischen dem Nachbarland und seiner Heimat überquert? Hat sich seine Heimat geändert? Gibt es da viel Neues oder ist alles wie früher geblieben? Auf diese Fragen kann man schon auf dem Weg in seine Heimat Antwort geben.

    Eigentlich komme ich aus Kyjiw, der Hauptstadt der Ukraine. Aber erstmal besuche ich nur meine Heimatstadt im Westen der Ukraine, die Borshchiv heißt. Schon an der Grenze zwischen Polen und der Ukraine sieht man viele Reihen von Autos, Bussen und LKWs, die Dutzende Kilometer lang werden können.

    Viele andere Ukrainer, die sehr lange nicht zu Hause waren, im Ausland wohnen oder nur arbeiten und ihre Heimat stark vermisst haben, sind aufgeregt und sogar neugierig während der Kontrolle und beim Warten an der Grenze, was sehr oft mehr als 7 Stunden dauern kann. Vor einer Woche bin ich dorthin gefahren und wir mussten 8 Stunden warten, bis wir die Kontrolle erreicht hatten. Wir haben oft gedacht, wann kommt endlich der Grenzübergang? Wenn alles vorbei ist, fährt man schon erleichtert nach Hause, obwohl wir noch 300 km fahren mussten.

    Luftalarm

    Aber nach der Ankunft in meiner Stadt bemerkt man sofort ein anderes Problem. Die Ukrainer, die lange im Ausland waren, besonders fast seit Anfang des Krieges, sind nicht an die ständigen Luftalarme und Angriffe der russischen Raketen im Luftraum der Ukraine gewöhnt. Obwohl der Krieg jetzt nur im Osten und Ostsüden der Ukraine herrscht, leidet der Westen, besonders die Hauptstadt und die restlichen Territorien der Ukraine unter den dauernden Attacken der Raketen vonseiten Russlands.

    Ehrlich gesagt, war ich total überrascht vom Verhalten der Menschen und ihrer Haltung zu der städtischen Sirene. Als ich im Zentrum von Borshchiv war, hat uns der Luftalarm erwischt, aber die Menschen sind nicht weggerannt oder in die Luftschutzbunker gelaufen, sondern waren weiter mit ihren Sachen und Dingen beschäftigt.

    Die Ukrainer leben und arbeiten weiter, trotz des Krieges und ständiger Attackengefahr. Unsere Menschen waren immer total fleißig und mutig, aber im Krieg haben sie ihre Ausdauer und Fähigkeit, jeden Moment des Lebens zu leben und zu schätzen, gezeigt.
    Außerdem sind die Preise überall in Europa wegen des Krieges gestiegen, aber man spürt das am stärksten in der Ukraine: Die Preise haben sich verdoppelt und sogar verdreifacht seit der Zeit, als ich kurz vor meiner Abfahrt nach Deutschland noch in der Heimat war.

    Wiedersehen mit Freunden

    Besonders auffällig sind auch die Denkmäler für die gefallenen Soldaten, die in der Mitte jeder Stadt installiert sind, um die gefallenen Landsleute zu ehren und sich immer an die schrecklichen Zeiten des Krieges zu erinnern, um zu sehen und zu verstehen, welchen hohen Preis die Ukrainer für die Sicherheit und freie Zukunft ihrer Heimat bezahlen.

    Aber das erfreulichste, was mit dem Menschen bei der Ankunft in der Heimat passiert, ist sich mit den Freunden und Verwandten, die er mehr als ein Jahr nicht gesehen hat, zu treffen. Im Gegensatz dazu ist für mich eineinhalb Wochen in der Heimat genug. Nachdem ich alle meine Geschäfte erledigt habe und genug Zeit mit meinen Freunden und Verwandten verbracht habe, beginne ich schon Deutschland vermissen, weil meine Familie und meine Beschäftigung da auf mich warten.

    Obwohl ich im Ausland wohne, bleibt die Ukraine immer meine Heimat und ich werde immer die Möglichkeit finden, öfter dieses Land mit der schönen Natur und guten Menschen zu besuchen.

  • Mama, Papa und Kunst

    Es ist März, 2022. Adenauerallee, Hamburger ZOB.

    „Marushka wir gehen endlich feiern“, ruft mir Gustav zu. „Meine Mama kommt“, antworte ich. „Dann nimm die mit!“ „Na ja, sie kommt zusammen mit den Frauen und Kinder aus der Ukraine. Vielleicht hilfst du mir?“ Und es war so. Gustav und seine Freunde haben mich und die Neuangekommenen mit drei Autos vom ZOB zur Rudolf-Steiner-Schule Hamburg-Bergstedt gebracht. Dann war alles wie im Traum. Nur ohne Emotionen.
    In den ersten Kriegswochen, genau vor einem Jahr, haben wir es mithilfe aller Beteiligten geschafft, viele Schüler*innen mit ihren Müttern nach Hamburg zu evakuieren. Meine Mama Valentina und meine Nichten Sofia und Polina waren dabei. Nach den Sommerferien entschlossen sich viele Familien, zurück in die Ukraine zu kehren. Die Geschichte Waldorfschule in Lutsk geht weiter. Momentan meistens im Keller. Im August „besuchte“ uns mein Papa Semen und meine Eltern leben wie mehr als 30.000 Ukrainer*innen in Hamburg. Als „Besucher*innen“ bekommen meine Eltern wie alle Geflüchtete aus der Ukraine einen 2-jährigen Aufenthaltstitel. Inzwischen, heute, ist ein Jahr schon um.

    Ich warte auf den Bus aus Kyiv. Meine Freund*innen haben mir und ihren Gastfamilien, in denen sie gewohnt haben, ein Dankeschön-Geschenk gegeben. Honig aus der Ukraine. Ich fange an, zu heulen. Mir wird klar, dass ich vor einem Jahr, genau an diesem Tag, als die Menschen in Hamburg die Wiedereröffnung der Clubs nach Corona gefeiert haben, meine Mama, Nichten und meine Schüler*innen mit ihren Müttern abgeholt habe. Erst jetzt kann ich reflektieren und weinen. Endlich. Ich spüre große Wellen der Dankbarkeit und Liebe, Wellen von Vertrauen und Mut und letztendlich Unterstützung und Hilfe. Ich spüre. Endlich.

    Krieg und Kunst

    Seit einem, aber eigentlich seit neun Jahren herrscht Krieg in meinem Heimatland Ukraine. Ich bin seit 2012 in Hamburg und dokumentiere die Geburt der neuen Ukraine in künstlerischen Tagebüchern. Als Künstlerin und Autorin. Mama Valentina und Papa Semen wussten nichts darüber. Meine neue Berufung Waldorflehrerin zu werden, fanden die nach meinen erfolgreichen journalistischen Jahren als Radiomoderatorin echt komisch. Mit der Kunst konnten die gar nichts anfangen. Die vier Monate, die Mama bei mir wohnte, waren eine Gefahr für meine Kunst. Auf einmal wurden meine Artobjekte als Müll anerkannt, die Installationen, Stücke und Collagen (Gabel, Löffel, Kerzen, Kartoffeln, Zwiebel) gehörten plötzlich nur zur Küche und Mamas Bedarf nach Sauberkeit hat mich fast zur weißen Periode meiner Malerei gebracht. Ich hatte Angst, dass Mama alle Bilder, wie die Wände, Türen und Fenster in Weiß bemalt und dann lackiert. Seit meine Eltern im August 2022 eine eigene Wohnung haben, habe ich wahre Kritiker*innen an meiner Kunst.

    „Dieses hässliche Bild zeigst du?“, flüsterte meine Mama beleidigt bei der Eröffnung meiner Ausstellung „Rubicon“ in der Hauptkirche St. Nikolai am Klosterstern bei der „Nacht der Kirchen 2022“ im Herbst. Das Bild „Zwei Schwestern“, eine davon die Mama meiner Mama, aber darum geht es nicht. „Vom Suchen und Finden“ war das Motto der „Nacht der Kirchen 2022“.

    In meinen künstlerischen Tagebüchern konnte ich nichts finden, was die Anerkennung meiner Eltern zeigt und mir Freude schenkt. Am 20.02. hatte ich Geburtstag, den ich seit 9 Jahren an diesem Tag nicht feiere. 20.2.2014 – das war der blutigste Tag der Maidan-Revolution in Kyiv. Seit 2014 ist es ein Trauertag in der Ukraine und kein Feiertag. „Töchterchen, du musst feiern!“, sagte meine Mama zu mir. Am 20.2.2023 habe ich zum Geburtstag und zur Ausstellung #9Marushka „Liebe heilt alle Wunden“ in das neue Atelier eingeladen: HALL4CRCLRTY open lab circular textiles. Das war eine Reise, von meinen frühen Videoinstallationen „Marushkas Tagebuch“ hin zur abstrakten Kunst, mit früheren und neuen Werken der deutsch-ukrainischen Art Fashion Kollaboration ANASTASIS.

    Krieg zerstört nicht nur Länder, Krieg stiehlt die Träume

    „Komm und wir
    schweigen,
    stricken,
    weinen,
    singen,
    erzählen Gedichte, besprechen Filme,
    hören Märchen“ schrieb ich und es war so.

    „Hast du das alles gemalt?“, wunderte sich mein Papa Semen. „Männer kannst du gut malen!“, fand Mama Valentina. „Liebe heilt alle Wunden“ (Любов зцілює всі рани) – mein erster Traum seit Februar 2022. Ein gestickter Satz, schwarz auf weiß. Krieg zerstört nicht nur Länder, Krieg stiehlt die Träume. Aber der Faden der Geschichte geht weiter. Mein Herz spürt was. Endlich. Die Woche war ich nicht allein. Eine junge Generation von ukrainischen Künstler*innen, die neu in Deutschland sind, richtet ihren ganz eigenen Blick auf die Themen Identität und Kultur.

    Ich hatte viel nette Gäste, meine Mama macht sich keine Sorgen mehr, weil nur gute Menschen um mich herum sind. Zur Finissage #9Marushka „Liebe heilt alle Wunden“ hatte ich Gäst*innen aus der Ukraine: PANCHYSHYN & SVIT. Ostap Panchyshyn und Svitlana Germanova spielen moderne ukrainische Musik mit akustischem Sound, vertonen Gedichte ukrainischer Schriftsteller und führen Weltmusik auf.

    Und die, die es nicht zu meiner Ausstellung geschafft haben, schenken mir Frühlingstulpen und schreiben mir, was sie spüren. Genauso wie ich Dingen, die mich bewegen, in meinen Bildern und Geschichten Ausdruck gebe.

    Kunst des Lebens

    Meine Eltern haben eine neue Bleibe, mein Bruder kämpft als Soldat, meine Nichten und meine Schwägerin leben in Polen… Ich habe viel in letzten Jahren und Monaten geschafft und geleistet. Viel liegt noch vor mir. Vor uns.

    „Trotz der schlimmen Zeiten sind mir gute Gaben gegeben – Malen und Märchen erzählen“, schreibt mir ein Mitglied des Vorstands Märchenforum Hamburg e.V., wo auch ich Mitglied bin. Ich betrachte Revolution als eine Art Evolution, in der Kunst stärker als Waffen ist, und in der freie Schulen der Schlüssel zu einer freien Gesellschaft sind.

    Der gelbe Faden, der meine Geschichte erzählt

    Der Faden, die durch die ganze Geschichte führt, ist bei mir gelb. Wie die Sonne. Oder Honig aus der Ukraine die Sergij, Mykola und Dmytro gemacht haben. In der Zeit, wenn ihre liebsten Frauen, Mütter, Schwestern und Kinder in Hamburg waren, haben sie Anfang Sommer 2022 nicht weit von Kyiv zwei Bienenstöcken gekauft, jetzt haben die schon drei. Jetzt sind die wieder mit Familien zusammen und ich habe Honig aus der Ukraine. Sonnenblumenhonig. Die dritte Ernte.

    Meine Mama hat Hoffnung, dass die Deutschen die Ukraine aufbauen. Ich habe nicht nur Honig aus Kyiv, viele Geschenke, meine süße Träume und köstliche Tränen wieder. Ich habe auch eine große Dankbarkeit. Wir haben zusammen vom Winter 2023 Abschied genommen und begrüßen den friedlichen Frühling. Die Kunst des Lebens.

    Titelbild:

    MARUSHKA, Sonnenfinsternis (Triptychon), 2015, Acryl auf Leinwand, 80 × 100 cm (Mitteltafel) , 50 × 70 cm (Seitentafeln)

    Marushkas nächste Ausstellung findet im Rahmen der Altonale am 19.06.2023 um 17 Uhr statt.

     

    Dieser Beitrag ist im Rahmen des Schreibtandems entstanden. 

  • Mama, Papa, Bruder und ich

    „Wenn Dir einmal jemand gesagt hätte, dass an deinem 70. Geburtstag dein Sohn in die Ostukraine gehen würden, um dort einen Krieg mit Russland zu führen, was hättest Du gesagt?“, frage ich meinen Vater Semen, der seit August 2022 in Hamburg lebt. Wir sitzen im Herzen der Stadt, im Stadtteil St. Georg, und mein Vater schüttelt den Kopf: „Als wir 1971 zur Armee gingen, haben alle geweint, und damals war es noch friedlich. Die Leute waren stolz darauf, zur Armee zu gehen, vor allem die Matrosen. Heute macht der Krieg allen Angst.“

    Papa Semen: „Die Armee ist eine gute Schmiede, aber es ist besser, ein Fernstudium zu absolvieren.“

    Mein Vater Semen wurde 1953 geboren, dem Jahr, in dem Stalin starb. Er wuchs während der langen Zeit der Chruschtschow-Herrschaft auf. Semen beschreibt seine Kindheit mit drei Worten: Sport, Arbeit und Schule. Er bestreitet meine Bemerkungen über eine hungrige und barfüßige Kindheit. Er besteht darauf, dass seine Kindheit lustig war, und obwohl sie Schuhe hatten, zum Beispiel polnische Turnschuhe, die 2,50 Rubel oder 3,50 chinesische Rubel kosteten, trugen sie diese nicht, höchstens an den Schnürsenkeln über den Schultern. Fußball spielten sie lieber barfuß!

    Mein Bruder ist 1 Jahr und 8 Monate älter als ich und ich hatte eine Menge Gründe, ihn nicht zu mögen. Als Kind wünschte ich, ich hätte eine Schwester. Oder dass ich ein Junge wäre, dann könnte ich wie mein Bruder die ganze Zeit mit den Jungs Krieg spielen. Ich wünschte mir, dass mein Bruder mich in der Schule beschützt hätte. Ich fühlte mich so traurig als er mein Lieblingskuscheltier im Klo versenkte… und ein wertvolles Geburtstagsgeschenk, das Buch mit den Volksmärchen, mit einem Messer zerschnitt.

    Wäre er aus der Armee ohne Postarmee-Träume gekommen, die er mit Alkohol vergessen wollte, hätte meine Familie sorglose Jahren gehabt.

    Wenn mir jemand gesagt hätte, dass mein Bruder sich jemals als Freiwilliger am Anfang des Krieges zur Armee melden würde, ich hätte es nicht geglaubt. Er ist Vater, hat eine eigene Familie gegründet, seine Frau und meine Nichte wohnen seit Sommer 2022 in Polen.

    „wie ein kleines Kind, ungeschützt und sprachlos“

    Serhiy ist schon länger trocken. Ein Jahr war er als Freiwilliger an der belarussischen Grenze. Und ausgerechnet zu Papas 70. Geburtstag wurde er in die Ost-Ukraine geschickt. So ein Geschenk. Mein erster Impuls ist, diese Nachricht mit denen zu teilen, die ich meine Freunde nenne. Mit Mama und Papa muss ich stark bleiben. Ich fühle mich wieder wie ein kleines Kind, ungeschützt und sprachlos.

    „Ich bete für jeden unserer Soldaten, ich werde auch für Serhiy beten…“ „Einige von uns haben dort Verwandte, einige haben dort Freunde und Bekannte“, schreiben mir meine Leute aus der Ukraine, die beten und schicken Grüße, meinem Vater und meinem Bruder und allen unseren Verteidigern.

    Manche Freunde rufen an, das tut gut, damit geht’s mir besser.

    Papa Semen, der letztes Jahr zu Hause in der Ukraine, in Lutsk war und seinen Geburtstag wegen der Fastenzeit vor Ostern nicht feiern konnte. Seine Frau, meine Mutter Valentyna, war vor einem Jahr schon in Hamburg. Papa hat damals ein paar Eier gebraten und mit seinen Kumpels Bier mit Wodka getrunken.

    Wir sitzen zusammen mitten im Herzen der Stadt. Trinken Bier. Ohne Wodka. Ohne Mama. Wegen der Fastenzeit. Und zu dieser Zeit fährt der Zug mit meinem Bruder und anderen Jungs aus dem Westen in den Osten der Ukraine. Ich frage das Geburtstagskind, was es allen wünscht. Früher, sagt Semen, wünschten sich alle Gesundheit und jetzt wünschen sie sich nur das eine – Frieden!

    Schreibtandem: Christiane Niemeyer

    Informationen zum Beitragsbild: Bildserie „ANASTASIS“, gemalt 2017 in Hamburg, „Mein Papa Semen als Soldat“ (8751) Marushka, Anastasis, Soldat Gebiet Bojken, 2017, Öl auf Leinwand, 30 x 60 cm, Foto: Berry Behrendt

  • All roads lead to Abaton

    A room in a Greek temple only accessible for the priests was called Abaton: “Sacred place”. A space impervious to most people.

    Since opening its doors in 1970, Abaton has been one of the first art house cinemas in Germany. It is a place where gods of the silver screen speak to you – and since summer 2022 in Ukrainian, too. How come?

    Ukraine was a focus point in many areas this year, including in cinema. “Growing up in Ukraine – current cinematic perspectives” was the name of the special programme of the SchulKinoWochen.

    From June 14th to 30th 2022 Deutsche Kinemathek and Abaton invited to a series of Ukrainian movies: “Perspectives of Ukrainian Cinemas”, accompanied by conversations with Ukrainian arts editors and sponsored by Bundeszentrale für politische Bildung. The programme was curated by Victoria Leshchenko and Yuliia Kowalenko. The movies were also shown in Berlin and Leipzig. I presented four out of seven movies at Abaton cinema.

    „Deutsche Kinemathek asked me whether we wanted to show Ukrainian movies. They were in contact with Kinematik in Kyiv, had created a programme and were looking for cinemas. Then we made this programme and that was how we met”; Felix Grassmann remembers.

    We are seated in the Abaton Café while “Clara and the magic dragon” (Directed by Aleksandr Klymenko) is playing in Ukrainian. It’s winter, the auditorium is almost full and I think back to last summer.

    Marushka und Freundinnen vor dem Abaton Kino

    Ukrainian cinema: life or movie?

    June in Hamburg. Unusually hot and dry. “We brought the sun back from Ukraine”, the new arrivals joke. 27 Degrees Celsius in Hamburg and a giant line in front of the cinema. It is this presence alone that seems to accomplish more than I think myself capable of in moments of doubt. How important it is to stick together.

    For my new friends from Ukraine that managed to escape, that spent many nights in their basements, maybe have no home, no city left, all these women and children who know what the “red zone” is – not from movies. Grenade bombardment, damaged towns, houses, schools. They reacted to every sound. These were not fitting movies. Still, they all wanted to go to the movies.

    For my German friends that I had invited we showed the classic “Arsenal” (1929) by Oleksandr Dowschenko. Instead of popcorn-cinema amusement they were shown the story of the squashing oh the Bolshevik revolt in Kyiv against the bourgeois-national government of Ukraine in 1918. A friend of mine perceived the new music accompanying the film by British composer and multi-instrumentalist Guy Martell as a lullaby. “Klondike “, best international film (script and direction: Maryna Er Gorbach), was unbearable for another friend. He “could not stand the misery after a certain point” – and left the cinema.

    „That is life, not a movie” I thought in that moment. For the people of east Ukraine, it has been for eight years. There I noticed how surreal Ukrainian life is on screen.

    „Until they have all seen them”

    The turning point was the documentary “The Earth is Blue as an Orange” (dir. Iryna Tsilyk). So many mothers came with their children, the line stretched all the way to the bus station. Suddenly all these families from different cities of Ukraine, their homes demolished by mines and rockets, were in the cinema seats.

    Marushka und Kataryna vor dem Abaton

    „We have to show something for children from Ukraine” I decided. So many children are in Hamburg now.  We have four cartoons in Ukrainian and we will show them until they all have seen them”, Abaton’s director told me on the phone. He was on vacation in Paris. His voiced calmed me.

    I went to the cinema, took the microphone in my hand and, like the ex-commentator and writer of radio-fairy tales, the golden voice of Ukraine that had lost her voice in Germany ten years ago, I said: “Привіт (hello). I am little mouse Marushka. Ласкаво просимо в кінотеатрі Abaton. Welcome to Abaton.” This is how my Mouse-Marushka story began.

    Abaton was crowded during the summer holidays.

    That summer was not a time of vacation for most Ukrainians. The temperature in northern Germany was at Mallorca level. Going to the cinema during such weather – unthinkable for most Germans. The Ukrainian mamas waved their Ukrainian passports like flyers in the faces of staff members who were waiting for me as an interpreter, to mediate in the unknown language.

    Madame Comfort

    No means no, no ticket means no ticket (the German language is abundant in “Nos”). The children cannot go inside does not mean: “My child is asleep, and anyway, admission is free.” Not all of us were ready for this rush. As a Waldorf teacher with 15 years of experience I took on the part of Madame Comfort – as soon as the children saw Mouse Marushka, they stopped crying. The calm voice of the director that said: “…until they all have seen them” helped me.

    To me, Abaton became a place for children and grown-ups alike to cry, to wonder, to forget and to be able to believe in justice in real life again. We still show four cartoons. Young and old from Mariiupol, Kherson, Odessa, Lutzk, Kyiv, Kharkiv – the whole Ukraine is there. Sure, not to watch cartoons

    I receive messages by Ukrainians both known and unknown to me: “Mouse Marushka! Today we went to the cinema with my daughter and we want to thank you sincerely for organising cartoon movies in Ukrainian for our children.”

    I used to want to open a Ukrainian kindergarten in Hamburg, now I have my dream school: Abaton cinema. Where it is all about stories and the common language. The good Ukrainian language and two hours in a colourful parallel world. I used to go to the cinema a lot. Alone. ArtMaidan at Metropolit has been showing Ukrainian films since 2014.

     

    Family History

    Still, Abaton was my favourite cinema in the heart of Hamburg. The Abaton display cases have always fascinated me, as well as the programme. It felt like Kyiv even though i was living in Germany. Since last summer I regularly go to the cinema with my Mama Valentyna and Papa Semen, who had last visited a movie theatre thirty years ago. Abaton is family history, as well.

    The photo is on display in the Café Abaton. “These are all filmmakers” says Felix.

    „My father was a movie producer in the seventies. Filmmakers at the time said: ‘We need a theatre to show our movies.’ My father said ‘Well then, I’ll make one.’ My father Werner founded the cinema” Felix tells me.

    „Mouse Marushka, I saw you on stage and knew, I had to meet you” Lev said to me after the last cartoon. His Mama Lilja comes up to us, they are from Charkiv. Their house is gone. Their apartment is gone. Lev’s twin brother Tuchon and his sister survived. They came to Germany with their mother.

     

    „We are immortal like weeds”

     

    Another memory of movies about war: We were sitting in the Pony Bar. Together with to families that became like relatives to me. We met in Abaton as well. Ksenija now writes for kohero, too. Her eight year old daughter and a friend yelled out:”Fireworks!” and clapped their hands during the movie. “Look, for the first time they are not scared” says Arina’s Mama Ksenija and adds: “but it is only when they are together that they feel so safe.”

    „We were watching Paddington 2 and I cried. We were just like the little bear: alone in a new country, a new city. Just in Hamburg instead of London. In the Ukrainian version oft he cartoon, you can hear the voice of our president Zelenskij.” Ina is crying and hiding the tears from her daughter. “Don’t cry, Mama” says her daughter.

    At this time when almost the whole world is preparing for the most important family holiday, Christmas, Ukrainian artists have to protect their country instead of making new films. Time for documentaries. More and more adults come to the cinema alone. Despite all these circumstances, they remain positive and even try to encourage others: „We are immortal like herbs“, said my new acquaintance

    And we create a new programme with Ukrainian films for the whole family.

     

     

    A Conversation with Abaton’s director Felix Grassmann

     

    Felix Grassman, director of Abaton

    Felix Grassmann usually does not visit regular cinemas: He knows most films already. But he visits film festivals, watches a movie every day. He has been curating the programme for Abaton for three years. Felix has no personal connection to Ukraine, but abhors what is happening there. He has never visited Ukraine.

    What is your favourite movie format?

    Every form of film has its strengths. I find Children’s movies to be relaxing, fascinating and I am happy to see our shows for children packed.  Children are our future. I enjoy Movies and documentaries the same amount.

     

    „Going out at all is something they are not used to anymore.“

     

    Three words to describe Ukrainians with?

    They are like us. I don’t see any big differences, except of course for a difficulty in communication. Ukrainians seldomly speak English and I dont speak Ukrainian, or Russian, I reach my limits there. That’s a hurdle that’s not so easy to overcome. But when it comes to cinema and movies, it’s easy to communicate

    What films should be shown to pick up on the contemporary zeitgeist?

    We have to remember; it was two years where no one could actually go to the movies. We were closed for a year, last year there were stricter requirements about keeping your distance and wearing a mask. A lot of people felt insecure. If you can’t really go to the movies for two years, then you look around and search for something else to do. A lot of people have found something else.

    And not only going to the cinema, going out at all is something they are not used to anymore. Theatres and restaurants struggle as well. People are simply staying at home more, and now we have to lure them out of their apartments or houses again. It takes a while for people to find their way back to the cinema. Slowly but surely, it’s getting more crowded in the cinemas and theatres.

    Abaton helped by showing movies in Ukrainian free of admission. Are you doing this out of a personal interest, connection or is it a project?

    I find abhorrent what is happening there. I have to admit there are not so many Ukrainian movies that were coming to German cinemas in the last years. Most were only shown at festivals and then were not really shown in cinemas – but completely unjustified. The programme we showed during Filmfest Hamburg 2022 was excellent. These are all films that basically have their place in theatres.

     

    “We are looking for new movies.”

     

    There is often the accusation that people are only involved with Ukrainians and that refugees from other countries are treated differently. What do you think?

    It is difficult to differently value aid in this way. But Ukraine is close, and that is why it seems now obvious to help Ukraine. There are  of course other trouble spots, for example Iran. But that is much further away. There are not so many people coming here from Iran. We have to find a way to help and support in a different way. We have to try to intercept the terrible experiences that all refugees have had.

    What are some ways to get involved to support you?

    We are trying to acquire Ukrainian children’s movie, so we can show new movies that no one has seen before. At the time we have only four. We are looking for new movies.

     

    “Cinema will recover, but that the war finally ends is my most urgent wish.”

    What connection to and what opinion of do you have to Ukrainian cinema? It is popular right now because of the war or is it seeing eye to eye with other international productions?

    I think I have now become aware of how big the difference is between Russian and Ukrainian culture. Ukrainian films will certainly find a better place in German cinema in the future than they have so far.

     

    It is important to permanently integrate the current projects for children, adolescents and adults into the programme – not only for Ukrainians, but for everyone. What have you planned for the current projects?

    We can do it once a week, we have to see if we have enough films. We will have to wait and see.

     

    What do you wish for the coming months for you personally and for cinema?

    I wish for the war in Ukraine to end soon and for people to come to the cinema again. Cinema will recover, but that the war finally ends is my most urgent wish.

    This article was also published in German

  • Krieg und Medien, Journalismus und Hoffnung

    Für mich und für sehr viele Menschen ist heute vor allem wichtig: es ist der erste Jahrestag des kriegerischen Überfalls von Russland auf die Ukraine. Als persönlich Betroffener von Krieg und Flucht (und auch von Russlands militärischem Einfluss), verstehe ich den Schmerz und den Verlust der Menschen aus der Ukraine.

    Regimes wetten auf verlorene Aufmerksamkeit

    Ich hoffe sehr, dass dieser Krieg und alle Kriege schnell beendet werden können. Aber ich befürchte, dass das in der Ukraine nicht der Fall ist. Deswegen hoffe ich umso mehr, dass die persönlichen Geschichten und Schicksale der Geflüchteten und Vertriebenen der Ukraine nicht in Vergessenheit geraten. Dazu gehören auch die Medien, die keine offenen Türen für diese Geschichten lassen. Das gilt besonders, wenn der Krieg lange dauert und das Thema sich für die Medienschaffenden nicht mehr aktuell anfühlt.

    Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich leider berichten, dass das schneller geht als man denkt. Obwohl viele Syrer*innen nach Deutschland geflüchtet sind, wurden die Details des Krieges in Syrien immer weniger von Medien und Gesellschaft beachtet. Bis jetzt finde ich mich immer wieder in Gesprächen, in denen ich die einfachsten Details der syrischen Geschichte wiederhole.

    Ein trauriger Aspekt davon ist, dass das Assad-Regime in Syrien und das Putin-Regime in Russland auf diese verlorene Aufmerksamkeit wetten. Denn wenn internationale Medien und die Gesellschaften, die die Geflüchteten aufnehmen, nicht mehr so genau hingucken und müde von dem Leid werden, dann haben solche Regimes noch mehr Freiheiten, zu tun, was sie wollen.
    Ein weiterer Aspekt davon ist, dass auch die Lebenssituationen der Geflüchteten aus diesen Ländern langsam mehr in Vergessenheit geraten können. Diese Woche habe ich ein krasses Beispiel dafür über Twitter mitbekommen.

    Brandanschlag in Berlin

    Am 10. Februar starb die Syrerin Yazi Almiah in Berlin an den Folgen eines Brandanschlags auf das Haus, in dem sie mit ihrer Familie lebte. Sie lebte mit ihrem Mann und ihren sechs Kindern in einem Haus, das auch als Obdachlosenunterkunft diente. In der Nacht vom 25. auf den 26. Januar war der Brandanschlag auf das Haus, die Polizei meldete einen Brand in einem „Mietshaus, welches teilweise Geflüchteten zur Unterkunft dient“.
    Kurz danach gab es nur wenig Aufmerksamkeit für den Anschlag und die Verletzten in den lokalen Berliner Nachrichten. Erst als Tarek Baé den Fall (nach dem Tod von Yazi Almiah) auf Twitter veröffentlichte, gab es Aufmerksamkeit. Der Journalist hatte persönlich Kontakt zu der Familie und beschrieb ihr Schicksal. Erst danach gab es längere Berichterstattungen.

    Vor allem der Tod der 43-jährigen Syrerin blieb tagelang unbekannt und unberichtet. Wie der SPIEGEL berichtet, sagte der älteste Sohn der Familie, dass die Polizei ihn und seinen Vater das erste Mal am 16. Februar befragt hat. Also sechs Tage nach dem Tod seiner Mutter und fast drei Wochen nach dem Brandanschlag. Andere Bewohner*innen wurden soweit er wusste noch nicht von der Polizei befragt. Die Berliner Polizei hat auf die Anfragen des SPIEGELs nicht geantwortet.

    Tarek Baé, verschiedene Politiker*innen und weitere Twitter-Persönlichkeiten werfen der Polizei und den Medien vor, den Fall zu ignorieren, und die möglicherweise rassistische Motivation des Brandanschlags nicht zu verfolgen.
    Dass die Polizei zu laufenden Ermittlungen nichts sagen möchte, ist bekannt. Aber warum dauerte es so lange, bis die Öffentlichkeit auf diese schreckliche Geschichte aufmerksam wurde? Liegt es doch daran, dass die Verstorbene Syrerin war? Oder daran, dass der Brand in einer Unterkunft für obdachlose und geflüchtete Menschen war? Warum haben die Medien vor Ort nicht weiter recherchiert?

    Leben, ohne zu verzagen

    Tausende Fragen bleiben offen. Ich warte auf die Antworten und hoffe, dass die lokalen Medien ihre wichtige Rolle in der Gesellschaft zurückbekommen.
    Und ich hoffe, dass auch Jahre nach Kriegsbeginn wir alle uns nicht an Krieg und seine Folgen gewöhnen. Das bedeutet auch, sich um die Menschen, die vor dem Krieg flüchten mussten, zu kümmern.

  • Makar Liebermann – Between Fashion and War

    After World War One people’s appearance changed, fashion changed, new silhouettes appeared. Balenciaga, Chanel. It was Dior’s New Look, the post-war collection that created a new image and a new understanding of fashion after World War Two.

    December 2022

    If I were scared, I would leave Kyiv. There is a workshop, I can sew. I was looking for things to sew, for what was needed in this moment.

    The question: what should I wear today? turned into: how can I help?

    Makar Liebermann stayed in Kyiv. In the ninth month of war he returned to work, and volunteer work has not come to a stop.  After the initial shock, it is now necessary to help by asking what can be done. Every day is a challenge. Makar owns two businesses: in Riyne in western Ukraine, and in Kyiv, which has been closed for a while now. All of the seamstresses – ten women – stayed in Ukraine. The workshop in Kyiv was re-opened eventually and new seamstresses joined the team. He began not to prepare new collections but to dress the army.

    From expensive fabric bought initially for an Italian brand they began to fashion pillows for soldiers in gentle blue, then balaclavas, flags, stretchers for the wounded, raincoats, tents, sweaters. All at their own expense. Later they were joined by volunteer fonds, friends from all   around  the world helped by placing orders from him.

    A renaissance

    Fashion during the time of war is a chain of daily, brave decisions – as long as we can help, we will help and it will be seen. Reflecting, the designer shares his vision of the Ukrainian people after the war – as tone setter of a certain fashion.

    „I feel that we are right before a renaissance. I did not expect this because of the pandemic and the war, but historically, it is the darkest night before the dawn.”

    The designer recently returned from the 7th Global Sustainable Fashion Week in Budapest. It was only in the EU that he recognized how tired and used to war he had gotten. Abroad his spirits recouperated in no time. He is back in Kyiv; leaving Ukraine is only possible with permission of the Ukrainian ministry of culture. By now, his scarves are flying all over Europe, Budapest, Belgium, Czechia, France and soon Germany.

    julia

    The founder and creative director of the brand MAKI Maki is working continuously throughout the horrible bombardment of Kyiv, blackouts, even if the light is turned of three times a day for four hours, bad communication. Nevertheless, he is preparing a Christmas-collection of scarves, among them Anastasis.

    This article was also published in German.

     

     

  • Alle Wege führen zum Abaton

    Ein Raum in einem griechischen Tempel, zu dem nur die Priester Zutritt haben, hieß Abaton: „Heiliger Ort“, so die Übersetzung aus dem Griechischen. Es ist ein unzugänglicher Ort für die meisten Menschen. 

    Seit 1970 ist das Abaton eines der ersten Programmkinos in Deutschland. Hier spricht man mit Göttern auf der Leinwand. Seit Sommer 2022 auch in ukrainischer Sprache. Wie kam es dazu?

    Die Ukraine hatte dieses Jahr einen Schwerpunkt in vielen Bereichen. Im Kino auch. „Aufwachsen in der Ukraine – Aktuelle filmische Perspektiven“ hieß das Sonderprogramm der SchulKinoWochen.

    Zwischen dem 14. und 30. Juni 2022 luden die Deutsche Kinemathek und das Abaton zu einer ukrainischen Filmreihe „Perspectives of Ukrainian Cinemas“, flankiert von Gesprächen mit ukrainischen Kulturakteur*innen und gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung. Das Programm wurde von den beiden Ukrainerinnen Victoria Leshchenko und Yuliia Kowalenko kuratiert. Die Filme wurden auch in Berlin und Leipzig gezeigt. Vier von sieben Filmen im Abaton Kino habe ich moderiert.

    „Die Deutsche Kinemathek hat mich gefragt, ob wir ukrainische Filme zeigen wollen. Die waren mit Kinematik in Kyiv in Kontakt, haben ein Programm zusammengestellt und suchten Kinos. Dann haben wir dieses Programm gemacht und so haben wir uns kennengelernt“, erinnert sich Felix Grassmann. 

    Wir sitzen im Abaton Café während „Clara und der magische Drache“ (Regie: Aleksandr Klymenko) auf Ukrainisch läuft. Es ist Winter, der Saal ist fast voll und ich erinnere mich an den Sommer. 

    Ukrainisches Kino: das Leben oder der Film

    Juni in Hamburg. Ungewöhnlich heiß und trocken. „Wir haben die Sonne aus der Ukraine mitgebracht“, scherzen die Neugekommenen. Plus 27 in Hamburg und die riesige Schlange vorm Kino. Schon allein durch diese Anwesenheit, die so viel mehr bewirkt, als ich mir in meinen Zweifeln selbst zutraue. Wie wichtig ist es, zusammenzuhalten.

    Für meine neuen Freund*innen aus der Ukraine, die die Flucht hinter sich haben, viele Nächte im Keller ihres Hauses verbrachten, oder gar kein Zuhause, kein Stadt mehr haben, alle diese Frauen mit den Kindern, die wussten was die „rote Zone“, ist – nicht aus dem Kino. Granatenbeschusse, beschädigten Städte, Häuse, Schulen, die reagierten auf jedes Geräusch. Das waren keine passenden Filme. Trotz allem wollten sie alle ins Kino. 

    Für meine deutsche Freund*innen, die ich eingeladen habe, haben wir den Klassiker von Oleksandr Dowschenko „Arsenal“ (1929) gezeigt. Statt Vergnügen mit Popcorn haben sie die Geschichte der Niederschlagung des bolschewistischen Aufstands in Kyiv gegen die bürgerlich-nationale Regierung der Ukraine (1918) gesehen. Die neue Musik zum Film von den britischen Komponist und Multi-Instumentalist Guy Martell hat ein Freund von mir als Wiegenlied empfunden. „Klondike“, der bester Internationale Film (Regie und Drehbuch: Maryna Er Gorbach), war für den anderen Freund nicht auszuhalten, er konnte „das Elend irgendwann nicht mehr gut ertragen“ – und hat das Kino verlassen. 

    „Das ist das Leben, kein Kino“, dachte ich in diesem Moment. Für die Leute aus der Ostukraine seit 8 Jahren schon. Da merkte ich, wie surreal das ukrainischen Leben auf der Leinwand ist. 

    „Bis alle die gesehen haben“

    Der Wendepunkt war der Dokumentarfilm „The Earth is Blue as an Orange“ (Regie: Iryna Tsilyk). Da kamen so viele Mütter mit den Kids, die Schlange war bis zur Busstation. Da saßen plötzlich die Familien aus verschiedenen ukrainischen Städten, ihre Häuser wurden durch Minen und Raketen zerstört, im Kino. 

    „Wir müssen was für Kinder aus der Ukraine zeigen“, entschloss ich. So viele Kinder sind jetzt in Hamburg. „Wir haben 4 Trickfilme auf Ukrainisch und werden die zeigen, bis alle die gesehen haben“, sagte der Direktor des Abatons am Telefon zu mir, der gerade in Paris im Urlaub war. Seine Stimme hat mich beruhigt.

    Ich ging ins Kino, nahm das Mikro in die Hand und wie die Ex-Moderatorin und Autorin von Radiomärchen, die goldene Stimme aus der Ukraine, die in Deutschland vor 10 Jahren ihre Stimme verloren hatte, sagte ich zu allen: “Привіт (Hallo auf Ukraininisch.) Ich bin Mäuschen Marushka. Ласкаво просимо в кінотеатрі Abaton. Herzlich Willkommen im Abaton.” So begann meine Mäuschen-Marushka-Geschichte. 

    Vor dem Abaton
    Foto: Denis Uhreniuk

    In den Sommerferien war es voll im Abaton.

    Dieser Sommer war für die meisten Ukrainer*innen keine Urlaubszeit. In Norddeutschland war Mallorca-Temperatur. Der Kinosaal mit 266 Plätzen war voll. Unvorstellbar für die Deutschen, bei solchem Wetter ins Kino zu gehen. Die ukrainische Mamas wedelten mit ihren ukrainischen Pässen wie mit Flugblättern in die Gesichter der Mitarbeiter*innen.

    Frau Trost

    Diese warteten auf mich als Übersetzerin, die in unbekannter Sprache vermittelt. Nein heißt nein, kein Ticket heißt kein Ticket (Die deutsche Sprache ist reich an “Neins”.) Die Kinder dürfen nicht ins Kino, bedeutet nicht: “Mein Kind schläft sowieso. Es gibt doch eh freien Eintritt.” Für diesen Ansturm waren wir alle nicht bereit. Als Waldorflehrerin mit 15 Jahren Erfahrung habe ich die Rolle Frau Trost übernommen – als die Kinder Mäuschen Marushka sahen, hörten sie auf zu heulen. Die ruhige Stimme vom Abaton-Direktor, die sagte: „…bis alle Kinder es sehen“, half mir. 

    Das Abaton ist für mich ein Ort geworden, wo sowohl Kinder als auch Erwachsene weinen, bewundern, vergessen und wieder an die Gerechtigkeit des wahren Leben glauben können. Wir zeigen immer noch 4 Trickfilme. Kleine und Große aus Mariiupol, Cherson, Odessa, Lutzk, Kyiv, Charkiv kommen – die ganze Ukraine ist da. Klar, nicht um Trickfilme zu gucken.

    Ich bekomme Nachrichten von bekannten und mir unbekannten Ukrainer*innen: “Mäuschen Marushka! Heute waren wir mit meiner Tochter im Kino und wir möchten Ihnen herzlich danken, dass Sie Zeichentrickfilme auf Ukrainisch für unsere Kinder organisiert haben.”

    Früher wollte ich in Hamburg einen ukrainischen Kindergarten machen, jetzt habe ich meine Traumschule: das Abaton Kino. Wo es um die Geschichte und gemeinsame Sprache geht. Die gute ukrainische Sprache und zwei Stunden in einer parallelen, bunten Welt. Früher war ich oft im Kino. Alleine. Seit 2014 hat ArtMaidan in Metropolit ukrainische Filme gezeigt.

    Eine Familiengeschichte

    Das Abaton war aber mein Lieblingskino im Herzen von Hamburg. Die Abaton-Schaukästen haben mich immer fasziniert. Das Kino-Programm auch. Vom Gefühl war ich wie in Kyiv, obwohl ich in Deutschland lebte. Jetzt gehe ich regelmäßig ins Kino, seit diesem Sommer auch mit Mama Valentyna und Papa Semen, der das letzte Mal vor 30 Jahren im Kino war. Abaton ist auch eine Familiengeschichte. 

    Im Café Abaton kann man das Foto sehen. „Das sind alle Filmemacher”, erzählt Felix.

    Mein Vater war Filmproduzent in den 70er Jahren. Die Filmemacher damals haben gesagt ‘Wir brauchen ein Kino, wo wir unsere Filme zeigen können.’ Mein Vater sagte, ‘Na gut, ich mache ein Kino.’ Mein Vater Werner hat es gegründet“, erzählt Felix. 

    „Mäuschen Marushka, ich habe dich auf der Bühne gesehen und direkt verstanden, ich muss dich kennenlernen“, sagte Lev nach dem letzten Trickfilm zu mir. Seine Mama Lilja kommt zu uns, sie sind aus Charkiv. Ihr Haus haben sie nicht mehr. Genauso wie die Wohnung. Der Zwillingsbruder von Lev, Tuchon, und seine Schwester haben überlebt. Und sind mit ihrer Mama nach Deutschland gekommen.

     

    „Wir sind unsterblich wie Kräuter“

     

    Noch eine Erinnerung von Filmen über den Krieg: Wir saßen zusammen in der Pony Bar. Mit zwei Familien, die für mich wie Verwandte geworden sind. Die ich auch im Abaton kennengelernt habe. Auch Ksenija schreibt inzwischen für kohero. Ihrer 8-jährige Tochter schrie mit einer Freundin im Film: „Feuerwerk!“ und klatschten beide in die Hände. „Guck mal, zum ersten Mal haben die keine Angst“, sagt Arinas Mama Ksenija und ergänzt: „aber nur wenn die zusammen sind, sind sie so sicher“.

    „Ich schaute Paddington 2 und weinte. Wir waren genau so wie der kleine Bär alleine in einem neuen Land, einer Stadt. Nur in Hamburg statt London. Im Trickfilm ist in der ukranischen Synchronisation unser Präsident Zelenskij zu hören.“ Ina muss die ganze Zeit weinen und die Tränen von ihrer Tochter verstecken.  „Weine nicht, Mama“, tröstete die Tochter.

    In der Zeit, wo fast die ganze Welt sich auf das wichtigste Familienfest, Weihnachten, vorbereitet, müssen ukrainische Künstler das Land schützen, statt neue Filme zu machen.  Zeit für Dokumentationen. Mehr und mehr Erwachsene kommen alleine ins Kino. Trotz all dieser Umstände bleiben sie positiv und versuchen sogar, den andern Mut zu geben: „Wir sind unsterblich wie Kräuter“, sagte meine neue Bekannte. 

    Und wir machen ein neues Programm mit ukrainischen Filmen für die ganze Familie. 

     

    Ein Gespräch mit Abaton-Direktor Felix Grassmann

    Abends geht Felix Grassman selten ins normale Kino, weil er die meisten Filme schon kennt. Aber er geht auf Filmfestivals, guckt jeden Tag einen Film. Das Programm des Abatons macht er seit drei Jahren. Felix hat keinen persönlicher Bezug zur Ukraine, findet aber furchtbar, was dort passiert. Er war noch nie in der Ukraine.

    Felix Grassmann, Direktor vom Abaton
    Foto: Heike Blenk

     

    Was ist dein Lieblingsformat im Film?

    Jedes Filmform hat seine Stärken. Kinderfilme finde ich so entspannt, faszinierend und ich freue mich, wenn die Kindervorstellungen voll sind. Die Kinder sind unsere Zukunft. Ich mag Spielfilme und Dokuemntationen gleichermaßen.

     

    „Überhaupt ausgehen haben sie sich abgewöhnt“

     

    Drei Worte, mit denen du die Ukrainer*innen beschreiben würdest?

    Die sind wie wir. Ich sehe keine große Unterschiede, außer das ich natürlich schwer mit ihnen reden kann. Ukrainer*innen sprechen selten Englisch und ich spreche kein Ukrainisch, kein Russisch, da stoße ich an meine Grenzen Das ist eine Hürde, die man nicht so leicht überwinden kann. Aber wenn es um Kino und um Filme geht, kann man sich leicht verständigen. 

     

    Welche Filme sollte man zeigen, um den Zeitgeist aufzugreifen?

    Man darf nicht vergessen, es waren zwei Jahre, wo man eigentlich nicht ins Kino konnte. Wir waren ein Jahr lang geschlossen, im letzten Jahr gab es strengere Auflagen mit Abstand halten, Maske tragen. Das hat viele Leute verunsichert. Wenn man zwei Jahre lang nicht wirklich ins Kino gehen kann, dann guckt man sich um und sucht nach was anderem. Viele Leute haben was anderes gefunden.

    Und nicht nur das ins Kino gehen, überhaupt ausgehen haben sie sich abgewöhnt. Theater und Restaurants haben auch Probleme. Die Leute bleiben einfach mehr zu Hause und die muss man jetzt wieder aus der Wohnung oder ihren Häusern herauslocken. Das dauert ein bisschen. bis die Leute ins Kino wieder zurück finden. Langsam aber sicher wird es voller in den Kinos und Theatern. 

     

    Das Abaton-Kino hat geholfen, indem sie kostenfreie Trickfilme auf Ukrainisch gezeigt haben. Machst du das aus einem persönlichen Interesse, Bezug oder ist es ein Projekt? 

    Ich finde furchtbar, was da passiert ist. Ich muss gestehen, es gibt nicht so viele ukrainische Filme, die in den letzten Jahren ins deutsche Kino gekommen sind. Die liefen meistens nur auf Festivals und sind dann eigentlich nicht ins Kino gekommen – aber vollkommen zu unrecht. Das Programm, das wir während des Filmfestes Hamburg 2022 gezeigt haben, war großartig. Das sind alles Filme, die im Grunde Platz im Kino haben. 

     

    „Wir suchen neue Filme.“

     

    Oft wird der Vorwurf laut, dass Menschen sich nur für Ukrainer*innen engagieren und geflüchtete Menschen aus anderen Ländern anders behandelt werden. Wie siehst du das? 

    Es ist schwierig, die Hilfe so zu gewichten. Aber die Ukraine ist dicht dran und deswegen liegt es jetzt nah, der Ukraine zu helfen. Es gibt natürlich andere Krisenherde, zum Beispiel Iran. Aber das ist deutlich weiter weg. Da gibt es nicht so viele Menschen, die aus Iran hierher kommen. Da muss man sehen, dass man anders hilft und unterstützt. Man muss versuchen, diese furchtbaren Erfahrungen, die alle Geflüchteten gemacht haben, aufzufangen. 

     

    Welche Möglichkeiten gibt es, sich bei euch zu engagieren, wenn man unterstützen möchte?

    Wir versuchen, ukrainische Kinderfilme zu kriegen, damit man neue Filme zeigt, die man noch nicht kannte. Derzeit sind es nur 4. Wir suchen neue Filme.

     

    „Das Kino kommt schon, aber dass der Krieg endlich endet, ist mein dringendster Wunsch.“

     

    Welchen Bezug und welche Meinung hast du zum ukrainischen Kino? Ist es derzeit aufgrund des Krieges populär oder ist es auf Augenhöhe mit anderen internationalen Filmen?

    Ich glaube, mir ist jetzt bewusst geworden, wie groß der Unterschied zwischen russischer und ukrainischer Kultur ist. Die ukrainischen Filme werden sicher in Zukunft auch einen besseren Platz im deutschen Kino finden als bisher.

     

    Es ist wichtig, die aktuellen Projekte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene dauerhaft ins Programm zu integrieren – nicht nur für Menschen aus der Ukraine, sondern für alle. Welche Pläne hast du mit den aktuellen Projekten?

    Man kann das einmal in der Woche machen, man muss sehen, ob man genug Filme hat. Das muss man abwarten. 

     

     Was wünscht du dir für die kommenden Monate für dich persönlich und das Kino?

    Ich wünsche mir, dass der Krieg in der Ukraine bald zu Ende ist und die Leute wieder ins Kino kommen. Das Kino kommt schon, aber dass der Krieg endlich endet, ist mein dringendster Wunsch. 

  • ArtAsyl: Heilsames Malen und ein Ort der Kommunikation

    Eine Sitzung im ArtAsyl beginnt mit einer Runde der Stille. Die Teilnehmenden können ihre Augen schließen oder sie geöffnet lassen. Keine Meditation, sondern ein Moment, um sich zu fühlen und dem Kopf eine Auszeit zum Denken zu geben, so Klaus Heilmann. Er ist Teil des Führungsduos, das die Sitzungen leitet.

    „Das machen wir am Anfang, damit alle Anwesenden zu Beginn erst einmal zur Ruhe kommen, und ebenso am Schluss, damit sie in Ruhe wieder hinaus in die Welt gehen können. Diese Zeit ist für alle anwesenden Teilnehmer*innen mittlerweile sehr wichtig“, erläutert der gelernte Kunsttherapeut. „Innere Ruhe zu finden hat einen enormen Einfluss auf unser neurobiologisches System. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass z.B. in Kliniken Patient*innen in stillen Räumen schneller genesen“.

    Deshalb fangen die Teilnehmenden erst nach diesen Momenten des zu sich Findens an zu malen oder sich untereinander zu unterhalten. Die Geflüchteten können die gestellten Materialen nutzen, um Gemälde zu schaffen und das auf Papier zu bringen, was sie beschäftigt.

    Zusammen helfen

    Die Idee, einen solchen Ort zu schaffen, stammt vom Ehepaar Walter Brandes und Edeltraud Conzelmann. Als der Angriff Russlands auf die Ukraine erfolgte, beschlossen die beiden zu helfen und besuchten daraufhin ein Treffen des ArtAsyl e.V.. Dort fanden sie Unterstützung für Ihr Vorhaben.

    Gründer und Vorsitzender des Vereins Jérôme Lenzen erklärt: „Interessierte können bei uns zusammenkommen, um sich zu engagieren. Nach einem Kennenlernen bilden sich dann Gruppen aus Menschen mit ähnlichen Ideen und gemeinsam setzten sie diese dann um.“ Schnell entstand ein Projekt das in eine Koch-, Theater- und Kunsttherapiegruppe gegliedert ist. Walter Brandes und Klaus Heilmann übernahmen aufgrund ihrer beruflichen Vorerfahrung im künstlerischen Bereich ehrenamtlich die Führung der Kunsttherapiegruppe und leiten nun jede Woche den dreistündigen Kurs.

    Von innen nach außen

    Die Kunsttherapie soll den Geflüchteten die Möglichkeit bieten, mit ihren Erfahrungen umzugehen. Meist haben die Menschen psychische Extremsituationen mitmachen müssen, sei es auf der Flucht, im Krieg oder auch im Asylwohnheim in Deutschland. Heilmann erläutert: „Die Jungen sorgen sich um die Eltern. Die Eltern sorgen sich um die Jungen. Sie leben konstant unter Unsicherheit und Stress in engen Räumen. Wir schaffen einen sicheren Ort an dem sie sein können, wie sie wollen, mit ihrer Freude und auch mit ihrem Leid.“ Dafür sei gerade Kunst ein wirksames Mittel, um das Unaussprechliche auszudrücken.

    Die beiden Gruppenleiter haben sich deshalb bewusst dagegen entschieden in den Stunden bestimmte Themen vorzugeben. Ideen brächten die Teilnehmenden zumeist selbst mit. Primär war das Projekt an ukrainische Geflüchtete gerichtet gewesen, doch teilnehmen tun Menschen unterschiedlichster Nationen. Viele von den Geflüchteten gehen zur Schule, absolvieren Deutschkurse oder Ähnliches. Inwiefern sie mit Kunst zuvor in Berührung gekommen sind, variiere stark, jedoch hätten alle eine prägende Gemeinsamkeit:

    „Es ist bemerkenswert, was für ein großer kultureller Rucksack mitgetragen wird durch diese Menschen. Dieser ist nicht durch die Flucht zerstört, vielmehr können wir ihn durch diese Arbeit wieder hochbringen“, so Brandes. Heilmann führt weiter aus: „Das Ergebnis der Bilder, die bei uns gemalt werden, ist nicht wichtig, sondern, für eine Zeit ganz vertieft im Bild zu sein, ohne Gedanken – Da fließt dann etwas von Innen nach Außen.“

    Ein geschützter Raum

    Deshalb biete man einen geschützten Raum, um den Geflüchteten die Möglichkeit zu bieten, sich durch Bilder mitzuteilen. Brandes erzählt aus einer Sitzung: „Eine Frau hat ein wunderschönes Bild gemalt, mit Farben experimentiert und auf einmal hat sie mit einem Bleistift oben Flugzeuge gemalt, die Bomben geworfen haben. Unten malte sie dann Flammen und fing daraufhin an zu weinen.“

    Häufig kommt es in Sitzungen dazu, dass auch traumatische Erfahrungen zurück an die Oberfläche gelangen. In diesen Fällen ist es die Gruppendynamik, die die Betroffenen wiederauffangen kann. „Viele haben dieselben Nöte erlebt und dieselben Erfahrungen gemacht“, erklärt Brandes. Die Anwesenden seien füreinander da und schützten sich als Gruppe gegenseitig.

    Heilmann betont allerdings: „Die Absicht ist nicht, dass Traumatische in Bildern zu suchen und damit zu arbeiten. Wir wollen Beziehungen schaffen, Ressourcen aufbauen und Kraft geben. Obwohl es einige Bilder gibt, die etwas mit traumatischen Erfahrungen zu tun haben könnten, arbeiten wird damit nicht. Doch allein die gemeinsame wortlose Wahrnehmung eines solches Inhalts hat eine heilende Wirkung. Traumata zu heilen, geht nur über eine langfristige therapeutische Anbindung“.

    „Kunst verbindet und das ist, was wir mitgeben wollen“

    Das Angebot hilft auf diese Weise auf verschiedenen Ebenen dabei, in Deutschland anzukommen. Nicht selten sei bei Teilnehmer*innen eine Veränderung spürbar, berichtet Lenzen: „Eine Frau erzählte einer Mitarbeiterin von uns, dass sie seit ihrer Ankunft hier in Deutschland nicht aus dem Weinen herauskam. Doch durch diese Regelmäßigkeit und Sicherheit, die sie hier gefunden hatte, konnte sie aus diesem Loch, in dem sie drin war, rausfinden.“

    Andererseits ergebe sich auch praktische Hilfe in alltäglichen Angelegenheiten. Die Wohnungssuche sei dabei häufig ein Thema, dass alle betreffe. Kern des Projekts sei die Kommunikation und ein Kennenlernen untereinander. Lenzen betont: „Wir wollen, dass Menschen in Kontakt kommen und vielleicht auch außerhalb etwas unternehmen. Kunst verbindet und das ist, was wir mitgeben wollen.“

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