Schlagwort: Tandem

Tandem Geschichte

  • Sara und ihr Wunderfläschchen

    Am Nachmittag hatte das Sonnenlicht die Gasse erwärmt und Sara spielte im Garten. Plötzlich sah sie einen alten Mann, der am Stock ging, in einem langen weißen Mantel mit einem langem weißen Bart und einem Hut auf dem Kopf. Der alte Mann fragte: „Wie heiß du?“ Und sie antwortete: „Mein Name ist Sara.“ „Sara, kannst du mir bitte etwas Brot geben? Ich bin hungrig“.

    Sara ging zu ihrer Mutter und bat sie um etwas Brot für den alten Mann. Der alte Mann saß unter einem Baum und begann zu essen. Und er bedankte sich bei ihr.

    Er gab ihr ein leeres Parfümfläschchen und er sagte zu ihr: „Liebe Sara, nimm dieses Parfümfläschchen. Obwohl es leer ist, riecht es schön, und wann immer du an einen Ort gehen willst, riechst du an dem Fläschchen, sagst den Namen des Ortes und dieses Parfümfläschchen wird dich an diesen Ort bringen.“ Sie bedankte sich erstaunt bei dem alten Mann.

    Sara wünschte sich schon immer, die wilden Tiere des Dschungels aus der Nähe zu sehen. So sagte sie zu dem Fläschchen: „Ich möchte in den Dschungel“. Und so stand sie plötzlich vor dem Haus eines Löwen, der sich erschreckte. Sara schaute durch das Fenster und sah ein Löwenbaby, das krank war. Sie sagte zu dem Löwen: “Wenn du mir hilfst, den Weg in den Dschungel zu finden, helfe ich dir mit deinem Baby“.

    Sara sah, dass das Löwenbaby Fieber hatte. Es war außerdem sehr heiß in dem Zimmer. Sie sagte zu dem Löwen: “Bring mir einen Eimer mit kaltem Wasser.“ Sara nahm das Löwenbaby und legte es in den Schatten unter einen Baum und wusch ihm die Pfoten und den Schwanz. Nach einiger Zeit ging es dem Löwenbaby besser und es begann zu spielen. Der Löwe war sehr glücklich, bedankte sich bei Sara und zeigte ihr die Waldwege in den Dschungel.

    Sie trafen einen Elefanten und der Löwe erzählte ihm von Saras Hilfe. Unterwegs zeigten der Löwe und der Elefant Sara alle Tiere und Vögel und stellten sie ihr vor. Alle Tiere waren glücklich, Sara kennenzulernen, außer einer Schlange, die Sara nicht begrüßte und die sie sehr skeptisch anschaute. Ein Eichhörnchen war sehr böse über die Schlange, aber weil die Schlange und das Eichhörnchen Nachbarn waren, sagte es nichts.

    Sara war müde und ruhte sich unter dem Baum, der beim Haus des Eichhörnchens stand, aus. Das Eichhörnchen bekam Besuch vom Igel. Sara schlief und das Eichhörnchen war mit dem Besuch beschäftigt, da näherte sich die Schlange. Das Eichhörnchen sagte zum Igel: „Die Schlange hat nichts Gutes im Sinn. Sie will Sara wehtun.“ Aber die Schlange bekam Angst vor den beiden und verschwand.

    Als Sara aufwachte, erzählten das Eichhörnchen und der Igel ihr, dass die Schlange ihr Böses wollte. Sie war so unglücklich, dass sie zu der Schlange gehen und sie fragen wollte, warum sie sie verletzen wollte. Aber sie konnte es nicht, denn der Löwe und der Elefant wollten nach Hause und so ging sie mit dem Löwen, dem Elefanten, dem Eichhörnchen und dem Igel.

    Plötzlich hörten sie alle einen hohen Ton und als sie einen großen Felsen erreichten, sahen sie, dass viele kleine Schlangen unter den Felsen fielen und die Schlange weinte nach ihren Kleinen. Alle Tiere versuchten, den großen Felsen zu bewegen, aber sie schafften es nicht: Er bewegte sich nicht. Die kleinen Schlangen konnten nicht herauskriechen. Sara hatte eine Idee: Sie brach einen großen Ast von einem Baum und schob ihn unter den Felsen und so konnten sie das Gestein so weit bewegen, dass die kleinen Schlangen heraus kriechen konnten. Die Mutter-Schlange bedankte und entschuldigte sich bei Sara. Die wollte wissen, warum die Schlange sie so hasste.

    Die Schlange antwortete: „Vor einiger Zeit hatte ich zwei Schlangenkinder, aber es kam ein Kind, es brach einen Ast vom Baum und erschlug beide. Seitdem hasse ich Menschenkinder“. Sara wandte sich an die Tiere und sagte: „Ihr Dschungelbewohner müsst folgendes wissen: Wenn jemand aus einem Land oder eine Gruppe eine schlechte Tat begangen hat, bedeutet das nicht, dass alle Menschen in diesem Land oder in dieser Gruppe schlecht sind. Auf der ganzen Welt müssen wir das Gute vom Bösen unterscheiden. Wir dürfen nicht verallgemeinern, nicht alle sind böse und es gibt immer wieder gute Taten. Die Schlange hat traurige Erfahrungen gemacht mit Menschenkindern und so hasste sie sie alle. Aber heute rettete ich ihre Kinder…..“

    Sara nahm das Parfümfläschchen und sagte, sie wolle zurück nach Hause. Das Eichhörnchen wollte mit ihr gehen. Sara und das Eichhörnchen verabschiedeten sich von den Tieren, sie roch an ihrem Parfümfläschchen und so kam sie nach ihrem Abenteuer im Dschungel nach Hause zurück, zusammen mit dem Eichhörnchen.

    Diese Geschichte wurde mit Almut Scheller-Mahmoud in Schreibtandem geschrieben.

  • Einfach mitgetanzt. Eine Tandem-Geschichte

    In einer Kolumne greift der Arbeitskreis jeden Monat eine Geschichte von Weggefährten, Tandems und Patenschaften auf – aktuell in der Form von Interviews mit Tandems, die sich über Patenschaftsorganisationen gefunden haben. Sie machen Mut, denn sie bestätigen: Treffen sich zwei (oder drei) innerhalb eines Tandems, gewinnen alle! Im Flüchtling-Magazin zeigen wir euch ein paar dieser Gespräche. Dieses Mal die des Tandems Marton und Mohamed.

    Das Geschichtenerzählen ist eine Tradition, die es in den unterschiedlichsten Kulturen gibt. Sie funktioniert überall gleich – und sie bringt Menschen zusammen. Mit dieser Tradition machen wir weiter. Wir schreiben Geschichten von Weggefährten, Tandems und Patenschaften auf. Sie machen Mut, denn sie bestätigen: Treffen sich zwei, gewinnen alle!

    DAS TANDEM

    Ich bin Marton, bin 29 Jahre alt, lebe seit 10 Jahren in Hamburg und bin Bauingenieur.

    Ich heiße Mohamed, bin fast 29 Jahre, komme aus Syrien, genauer aus Aleppo. Dort habe ich auch studiert (Flugzeugbau). Bevor ich allerdings meinen Master machen konnte, musste ich Ende 2015 mein Land verlassen. München, Mannheim, Horst, Schwerin und Hamburg waren meine Stationen. Ich habe mich entschieden in Hamburg zu bleiben, wegen Airbus und Lufthansa. Gerade mache ich einen Kurs für ausländische Ingenieure. Am Ende gibt es die Möglichkeit, ein 3-monatiges Praktikum zu machen. Ich hoffe auf eine gute Chance.

    MartonMohamed hat sich bei seiner Ankunft auch bei Airbus beworben, er konnte allerdings kein Führungszeugnis vorlegen. Die syrischen Behörden stellen solche Zeugnisse nicht aus für Menschen, die aus dem Land geflüchtet sind. Seine Qualifikation war o.k. Airbus hat dann zurückgezogen, weil es ohne nicht geht.

    Mohamed: Ich wollte hier weiter studieren, aber das war eine ziemliche hohe sprachliche Anforderung. Außerdem bekomme ich kein BaFöG. Deshalb will ich direkt in den Arbeitsmarkt.

    DIE FRAGEN

    BHFI: Wie lange kennt ihr euch schon?

    Marton:Ich denke, so ca. 1,5 Jahre. Wir haben uns über das Tandem Projekt von Die Insel Hilft e.V. aus Wilhelmsburg kennengelernt. Da bin ich dann einfach mal hingegangen. Es war wie bei einer Dating-Agentur (beide lachen wieder bei dieser Erinnerung). Wir saßen an langen Tischen, auf der einen Seite die Leute wie ich, auf der anderen Seite die Leute wie Mohamed. Dann kamen wir so kreuz und quer ins Gespräch. Und zwischen uns beiden hat es dann eben gefunkt.

    Mohamed: Ich war halt ganz offen mit allen und habe mich einfach leiten lassen von meiner Sympathie zu Marton. Und wir hatten ja auch einige Anknüpfungspunkte. Und dann haben wir uns zwei Tage später wieder getroffen, und Marton hat mir Fachbegriffe in Mathe beigebracht. Das war sehr, sehr hilfreich für mich.

    BHFI: Dein Deutsch, Mohamed, ist jetzt nach 2,5 Jahren in Deutschland fließend, aber das war ja nicht so, als ihr euch kennengelernt habt?

    Marton: Na ja, wenn es mit Deutsch nicht mehr weiterging, dann mit Englisch und wenn das auch nicht geholfen hat, dann halt mit Händen und Füßen. (Beide lachen). Das Lustige an der Mathe-Hilfe war, wir arbeiten in Deutschland mit arabischen Zahlen und in Syrien wird mit den indischen Zahlen gearbeitet. Ganz andere Strukturen haben diese Zahlen. Darüber haben wir uns immer köstlich amüsiert.

    BHFI: Und wie ging es dann weiter, in welchem Rhythmus habt ihr euch weiter getroffen?

    Beide: Ganz unterschiedlich – mal als Tandem, oder wir haben uns dann auch mal mit Freunden am Wochenende getroffen, sind in eine Disco zusammen oder haben gekocht.

    Mohamed: Ich bin in der Zeit umgezogen, und ich habe noch nie in meinem Leben gekocht. In der ersten Zeit habe ich nur Rührei gegessen, und Marton hat gesagt: „So geht das nicht. Du bist jetzt hier und musst kochen lernen.“

    Marton: Und dann habe wir den Klassiker gemacht: Spaghetti Bolognese. Heute kocht Mohamed ganz normal. Wir haben auch Fotos zu seiner Mutter geschickt, und die meinte: „Bist du das überhaupt, das kann ja nicht wahr sein!“.

    BHFI: Bei eurer unterschiedlichen Kultur – was war denn am meisten überraschend?

    Marton: Wir saßen einen Abend zusammen mit anderen Freunden, und das Thema kam auf das Leben auf der Erde und wie es wohl entstanden ist. Ich bin nun ein überzeugter Anhänger der Darwin’schen Evolutionstheorie, und Mohamed hat vehement dagegen argumentiert. Aus seiner Sicht ist das alles Gottes Werk, wie das ja auch bei uns im Christentum verankert ist.

    Mohamed: Wir haben fast fünf Stunden miteinander geredet, das war sehr interessant.

    BHFI: In Deutschland sind die Aufgabenbereiche zwischen Männern und Frauen nicht so aufgeteilt wie du das aus deiner Heimat kennst. Wie geht es dir damit?

    Mohamed: Ich bin immer erst noch einmal ein bisschen überrascht, aber ich diskutiere sehr gerne und ich frage dann nach. Und manchmal ist es Kultur, Tradition. Was ich aber festgestellt habe, wenn es Unterschiede gibt, dann hat es überwiegend religiöse Gründe. Wir machen viele Sachen aus religiösen Gründen.

    BHFI: Könnt ihr euch an ein Supererlebnis erinnern, das euch beide zum Strahlen gebracht hat?

    Marton: Ich habe Mohamed einmal zum Tanzen mitgenommen und war echt skeptisch. Kennt Mohamed das überhaupt, tanzt er überhaupt oder rennt er nach zwei Minuten aus dem Raum? Aber dann fing er an mitzutanzen und mitzumachen…

    Mohamed:obwohl ich in meinem Leben noch nie getanzt habe!

    Marton: Ich war richtig stolz, dass Mohamed da so über seinen Schatten gesprungen ist. Aber was für mich wirklich geradezu verblüffend ist, wie Mohamed nach gerade mal zwei Jahren so gut Deutsch spricht.

    Mohamed: Dazu hat Marton viel beigetragen. Wenn ich ein Wort nicht verstanden habe oder verstehe, dann frage ich ihn, wann man das Wort benutzt und so weiter.

    BHFI: Wenn ihr euch vorstellt, das hier wäre jetzt ein Live-Interview und hier säßen ganz viele zukünftige Paten, was würdet Ihr denen sagen oder raten?

    Marton: Ich würde immer sagen: Lernt euch doch erstmal kennen, redet miteinander, tauscht Interessen aus und dann gucken, ob man irgendwas zusammen auf die Beine stellen kann.

    Mohamed: Ja, es ist ein bisschen schwierig auch für uns, wir brauchen dafür auch Offenheit von unserer Seite. Für uns ist es nicht einfach, auf jemand anders zuzugehen und die ausgestreckte Hand zu ergreifen. Deshalb ist es so wichtig, schnell die Sprache zu lernen.

    Marton und Mohamed mit dem gleichen Gedanken:

    Vermutlich habe beide Seiten ein bisschen Angst vor dem Fremden, nicht genau wissend wer oder was da auf einem zukommt.

  • Eine Patenschaft mit einer Alpha-Frau

    In einer Kolumne greift der Arbeitskreis jeden Monat eine Geschichte von Weggefährten, Tandems und Patenschaften auf – aktuell in der Form von Interviews mit Tandems, die sich über Patenschaftsorganisationen gefunden haben. Sie machen Mut, denn sie bestätigen: Treffen sich zwei (oder drei) innerhalb eines Tandems, gewinnen Alle! Im Flüchtling-Magazin zeigen wir euch ein paar dieser Gespräche. Dieses Mal die des Tandems von Eva und ihrer Patin.

    TREFFEN SICH ZWEI, GEWINNEN ALLE

    In unserer Kolumne Treffen sich zwei, gewinnen Alle, greifen wir jeden Monat die Tradition des Geschichten- Erzählens auf, denn sie funktioniert überall gleich – sie bringt Menschen zusammen. Was dieses Mal anders ist: Eva Klöpper berichtet aus der Perspektive einer ehemaligen Patin und lässt ihre Beobachtungen, ihre Gedanken und ihre Gefühle über ihre Patenschaft in unserem Gespräch noch einmal Revue passieren.

    DIE PATIN

    Eva K.: Wenn ich zurückdenke – die prägendste Erfahrung der Patenschaft waren die Menschen, die ich neu kennenlernte und die mich sehr beeindruckten. Ich bin quasi eingetaucht in eine andere Kultur. Meine Rolle als Mittlerin zwischen zwei Welten war eine unglaubliche Bereicherung.

    Aber erst einmal kurz zu meiner Person, ich bin Jahrgang 1985 und arbeite als Senior Industry Manager Retail bei Google. Drei Monate nach der Geburt meiner Tochter übernahm ich eine Patenschaft. Ich wollte die Elternzeit nutzen, um mich dem Patenamt widmen zu können. Das war ziemlich genau vor drei Jahren

    BHFI: Sie haben sich beFlüchtlingshilfe Harvestehude e.V. engagiert?

    Eva K.: Ja, eine Freundin nahm mich mit zu einem Informationsabend von Hendrikje Blandow-Schlegel (Vereinsvorsitzende). Ich war so beeindruckt von dem Engagement der Beteiligten, blieb dran und besuchte regelmäßig den Patenstammtisch. Dadurch war ich gut vorbereitet und sensibilisiert für Themen, die auf eine Patin zukommen können. An einem der Abende wurde eine neu in der Unterkunft angekommene Familie vorgestellt. Sie wurde beschrieben als eine „Frauengruppe aus Afghanistan“, eine Mutter mit ihren drei erwachsenen Töchtern und deren Kinder. Das klang sehr besonders. Die Fluchtgeschichte der Frauen war so hart und gleichzeitig so berührend, da musste ich einfach sofort zusagen.

    BHFI: Beschreiben Sie doch bitte den ersten Kontakt zwischen Ihnen.

    Eva K.: Wir arrangierten ein Treffen im Flüchtlingsheim in Harvestehude. Ich kam mit Clara auf dem Arm…

    BHFI: Sie hatten Ihre Tochter dabei?

    Eva K.: Ich hatte meine Tochter immer dabei und ich glaube, dass Clara ein wichtiger Türöffner in diese afghanische Familie war. Eine der Schwestern wurde mir als die Hauptansprechpartnerin genannt. Als ich ankam, saß sie auf der Treppe und ich stellte mich auf Englisch vor, was für sie überhaupt kein Problem war. Uns beide verband auf Anhieb ganz viel weibliche Solidarität. Sie bezeichnete mich von Anfang an als „Schwester“. Wir waren im gleichen Alter und sind uns sehr auf Augenhöhe begegnet. Auch wenn wir aus völlig unterschiedlichen Kulturkreisen kamen, hatten wir das Gefühl von Verbundenheit und gemeinsamer Wellenlänge.

    Relativ schnell wurde mir deutlich, welche Stellung sie in der Familie einnahm. Ihr war die Rolle des Familienoberhauptes zugeordnet, sie war die Alpha-Frau in ihrem Frauenclan, gebildet, emanzipiert und unglaublich stark. Später erfuhr ich, wie hart sie dafür gekämpft hatte. Zwangsheirat mit 13 Jahren, ein Jahr später die Geburt ihres Sohnes, selbstbestimmte Scheidung, Abschluss eines Studiums und dann eine Anstellung bei einer amerikanischen NGO in Kabul. Daher auch die guten Sprachkenntnisse. Diese Arbeit wurde dann leider auch zum Verhängnis und zum Fluchtgrund für die ganze Familie.

    DIE PATENSCHAFT

    BHFI: Wie haben Sie unterstützen können und was war insbesondere am Anfang wichtig?

    Eva K.: Die ersten Monate haben wir uns fast täglich gesehen, zumindest aber per Whatsapp geschrieben.

    BHFI: Für den Anfang ist das natürlich großartig, wenn es eine gemeinsame Sprache gibt.

    Eva K.: Ich habe oft gedacht, wir hätten viel mehr Deutsch reden müssen. Sie konnte sich sehr gut auf Englisch verständigen. Das war natürlich ein Entschleuniger, schnell Deutsch zu lernen. Aber es gab einfach so viel zu tun. Wir waren froh um die gemeinsame Sprache.

    Der Sohn musste eingeschult werden, die Mutter betreut und ärztlich versorgt werden. Abgesehen von den ganzen bürokratischen Formalien, die so zeitgebunden waren und vermutlich auch immer noch sind. Es waren sehr intensive Monate, quasi Vollzeit, mit Baby zu jeder Behörde. Dann das Asylverfahren, auf das wir uns sehr gut vorbereiteten, also das ganze Programm.

    Es war eine eindrückliche Erfahrung, das Asylverfahren zu begleiten. Wir beide, meine „Schwester“ und ich waren inzwischen ein gut eingespieltes Team. Sie beantwortete die Fragen in ihrer Muttersprache, anschließend übersetzte der amtliche Übersetzer ins Deutsche. Ich war mit der Geschichte der Familie so vertraut, dass ich genau wusste, an welchen Stellen noch einmal nachgehakt werden bzw. korrigiert werden musste.

    Wir in unserem sicheren Deutschland machen uns keine Vorstellungen, welcher Gewalt und Unterdrückung Frauen in Afghanistan ausgeliefert sind. Die Verfolgung durch die Taliban, die Drohungen mit Mord und Steinigung. Für die Mutter war es schwer, alles wieder anzuhören; sie hat sehr geweint. Zum Glück war alles gut dokumentiert auf dem geretteten Handy meiner „Schwester“. Es war den Taliban nicht gelungen, sie zum Schweigen zu bringen. Und am Ende hat es geklappt, alle, die ganze Familie, haben das Verfahren mit einem positiven Bescheid überstanden.

    DIE MOTIVATION

    BHFI: Wie haben Sie es denn geschafft, diese ganzen furchtbaren Erfahrungen mit anzuhören und trotzdem stabil zu bleiben?

    Eva K.: Die ganze Flüchtlingsdebatte ist mir von Anfang an sehr nah gegangen. Meine Eltern haben mich im Verständnis der christlichen Nächstenliebe erzogen. Diese Wertehaltung ist mir bis heute wichtig. Trotzdem war auch bei uns spürbar, wie neben der Euphorie die ersten Ängste deutlich wurden, die gar nicht so richtig greifbar waren. Ich fasste den Entschluss, nicht nur weiter darüber zu reden. Ich wollte meine eigenen Erfahrungen machen. Mein im christlichen Glauben verwurzeltes Bild von Menschlichkeit und mein Wille, einen Beitrag zu leisten, haben mir geholfen, dabei zu bleiben und mich nicht davon zustehlen. Ich hätte es überhaupt nicht fertiggebracht, die Familie im Stich zu lassen.

    BHFI: Gab es denn auch die eine oder andere Irritation zwischen Ihnen, kulturell bedingt oder einfach unterschiedliche Verständnisse, wie Alltag in Deutschland funktioniert?


    Eva K.: Es gab schon Erfahrungen, wo ich dachte, wow, das ist hier aber nicht „Wünsch‘ Dir was“. Ich erinnere mich, als wir für den Sohn ein Fahrrad besorgten. Leider war es rosa lackiert.

    »Sorry, aber ich fahre kein Mädchenfahrrad, das will ich nicht haben!«

    Hätte man es einem deutschen Jungen verübelt? Ich konnte mich in ihn hineinversetzen, aber es war ein Spagat. Boxunterricht ist natürlich prickelnder als zur Nachhilfe zu gehen, um ein zweites Beispiel zu nennen. Unser Sozialsystem als ein System auf Gegenseitigkeit begreifbar zu machen, ist eine der schwierigsten Aufgaben in einer Patenschaft. Die Familie konnte es teilweise gar nicht fassen, welche Versorgungen sie in Anspruch nehmen konnten.

    Meine starke, schöne „Schwester“, deren einziges Bestreben war, die Familie unbeschadet in ein sicheres Land zu bringen. Sie musste diese Rolle übernehmen, die in ihrer Kultur eigentlich dem Mann zugeordnet ist. Sie konnte sich keine Gefühle erlauben, die nicht dem Wohle der Familie dienten. Einmal wollte sie etwas für sich selbst tun und sich jetzt endlich ein Muttermal entfernen lassen. Ich musste auch ihr deutlich machen, dass unser Sozialsystem nicht für Schönheitsoperationen aufkommt, sondern einspringt, wenn Menschen krank sind.

    Ich war mir bis zum Ende der Patenschaft nicht sicher, wie unsere umfängliche Aufnahme und Unterstützung schlussendlich bei der Familie angekommen ist. Es gab Phasen der unendlichen Dankbarkeit. Dann aber auch Tendenzen einer Anspruchshaltung, die mich verwundert haben und zu einigen Diskussionen zwischen uns führten. Auf diesem Grat sind wir getanzt, all die Monate.

    BHFI: Wie lange haben Sie die Familie betreut?

    Eva K.: Die Patenschaft dauerte ungefähr ein Jahr, die ersten vier Monate davon waren ganz, ganz intensiv. Als ich nach meiner Elternzeit wieder in den Job einstieg, hatte ich nicht mehr die zeitliche Ressource, mich täglich per whatsapp zu melden und mich zweimal die Woche persönlich zu treffen. Durch meinen Job in Vollzeit, mit einer gerade eingewöhnten Tochter in die Kita. Wir haben uns noch etwa ein halbes Jahr weiter gesehen. Aber natürlich nicht mehr in dieser Taktung. Heute haben wir keinen Kontakt mehr.

    UND DANN?

    BHFI: Sie haben mir in unserem Vorgespräch erzählt, dass Sie quasi ohne Ihr Wissen als Patin „ausgetauscht“ wurden gegen jemanden, der mehr Zeit hatte als Sie?

    Eva K.: Ja, das stimmt, als ich nicht mehr so viel Zeit hatte, bat sie die Heimleitung um einen neuen Paten/eine neue Patin. Ich war zuerst sehr vor den Kopf gestoßen und persönlich enttäuscht. Wir haben uns ausgesprochen und mir wurde deutlich, dass ihre Entscheidung nichts mit mir als Person zu tun hatte. Aus ihrer Sicht musste sie so handeln. Als Verantwortliche dieses Frauenclans hatte sie eines ganz, ganz tief verinnerlicht:

    «Von meinen Entscheidungen hängt es ab, wie die Familie überlebt, immer, überall!«

    Ich hatte jetzt weniger Zeit. Sie brauchte aber jemanden, der ihr half, eine Wohnung zu finden etc. Heute verstehe ich diese Haltung sehr viel besser als damals. Und ganz fett gedruckt: Viele Paten und Patinnen müssen lernen damit umzugehen, dass ihre Betreuten selbstständig werden und ihren eigenen Weg finden, der möglicherweise nicht unbedingt von Dankbarkeit geprägt ist. Es ist extrem wichtig, dann eine Haltung zu finden und zu sagen

    Ich habe Dich ein Stück begleitet und es ist toll, dass Du jetzt alleine klarkommst».

    In dieser Situation wurde ich außerdem gut aufgefangen durch die Pateninitiative und konnte sehr gut meinen Frieden damit machen.

    BHFI: Ihr persönliches Fazit für dieses außergewöhnliche Jahr, wie würden Sie es beschreiben?

    Eva K.: Diese Patenschaft hat mich ganz enorm sensibilisiert. Für Fluchtursachen, die Menschen dazu zwingt, ihre Heimat zu verlassen, nicht zu wissen, ob sie überleben und wo sie ankommen werden. Wenn Fernsehbilder abgelöst werden durch ein reales Schicksal, das Gesichter hat, Namen trägt. Wie ich als „Schwester“ in den Familienclan integriert wurde, bekocht wurde, sie Clara quasi als ihr nächstes Kind „adoptierten“.

    Und eine weitere Erkenntnis – ich bin unglaublich stolz, in diesem Staat Deutschland zu leben. In dieser Demokratie mit dieser Kanzlerin, in diesem Sozialsystem, ich bin so stolz, Deutsche zu sein. Ich war und bin immer noch zutiefst beeindruckt, von der Anteilnahme und der Unterstützung insbesondere in den Ämtern. Wir sind nie auf Angestellte, sondern immer auf Menschen!! gestoßen, die uns geholfen haben. Tolle Menschen. Das hat mich ganz nachhaltig beeindruckt.

    BHFI: Das war ein wunderbares Schlusswort, ganz, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.

  • Ein duales Studium wäre toll

    In einer Kolumne greift der Arbeitskreis jeden Monat eine Geschichte von Weggefährten, Tandems und Patenschaften auf – aktuell in der Form von Interviews mit Tandems, die sich über Patenschaftsorganisationen gefunden haben. Sie machen Mut, denn sie bestätigen: Treffen sich zwei (oder drei) innerhalb eines Tandems, gewinnen Alle! Im Flüchtling-Magazin zeigen wir euch ein paar dieser Gespräche. Dieses Mal die des Tandems Katharina und Christina.

    TREFFEN SICH ZWEI, GEWINNEN ALLE

     »Ein duales Studium wäre toll«

    In unserer Kolumne Treffen sich zwei, gewinnen Alle, greifen wir jeden Monat die Tradition des Geschichten Erzählens auf, denn sie funktioniert überall gleich – sie bringt Menschen zusammen. Auch dieses Mal ist eine beeindruckende GelingensGeschichte zu lesen – von vielen Hürden, die genommen worden sind. Und jetzt? Längst sprechen wir nicht mehr von Sprachkursen, sondern von erschwerten Zugängen zum Arbeitsmarkt.

    Das Tandem

    Für das Interview sind wir verabredet im Mitri Saliba, ein kleines syrisches Restaurant in der Hamburger Innenstadt. Im Hintergrund läuft mehr oder weniger leise arabische Musik. Ein ganz stimmiges Ambiente für die nächste Stunde. Es ist noch Ramadan, wir bestellen also nur zweimal Tee und dann geht es los.

    Ich bitte Katharina, zu beginnen. Wir haben Einverständnis darüber, dass sie in diesem Interview ihrem eigentlichen Namen nicht nennen wird.

    Katharina: Ich habe einen russischen Vornamen, naja, nicht ganz, aber fast. Das hängt mit meiner Herkunft zusammen. Ich bin nicht in Syrien geboren. Mein Mann ist aber syrischer Staatsbürger, wir haben uns 1998 während des Studiums der Pharmazie kennengelernt. Drei Jahre später bin ich das erste Mal nach Syrien geflogen. Ich wollte die Heimat meines Mannes kennenlernen und konnte diesen Wunsch mit einem Praktikum verbinden.

    Vier Monate später kehrte ich zurück, beendete mein Studium und bin dann Anfang des Jahres 2002 ganz nach Syrien übergesiedelt. Die syrischen Behörden wurden aufmerksam, weil mein Mann bis dahin noch nicht bei der Armee war. Er hatte zwar die Erlaubnis, im Ausland zu studieren, aber er musste anschließend zur Armee für zwei Jahre. Im Jahr 2005 kam dann unser Sohn zur Welt.

    Christina Rahtgens (Ch.R.): Die beiden hatten sich rasch selbstständig gemacht mit einer eigenen Apotheke. In der Zeit, in der ihr Mann in der Armee war, hat Katharina die Apotheke alleine betrieben. Ohne lange zu fragen, kann ich das oder kann ich das nicht.

    KatharinaEs war schwierig, weil ich nicht so gut arabisch gesprochen habe, aber ich musste. Ich war jung, ich war stark und es hat geklappt. Als mein Mann zurück war, haben wir weiter aufgebaut und 2009, kurz vor Kriegsbeginn, hatten wir drei Apotheken.

    BHFI: Eigentlich war zu der Zeit alles ok, eigentlich… und dann mussten Sie sich entscheiden, Syrien zu verlassen.

    Katharina: Es war Krieg!! Keine gute Zeit, keine Sicherheit, besonders für mich, weil alle Leute denken, ich bin eben keine Syrerin. Mein Sohn war der Sohn einer Ausländerin. Für meinen Mann war es sehr schwierig, die ganze Familie ist in Syrien geblieben. Er ist der jüngste Sohn. Vielleicht wenn er keine ausländische Frau gehabt hätte (sie verstummt) …

    BHFI: Sie sind im Oktober 2015 in Deutschland angekommen und Anfang Februar 2016 konnten Sie endlich den Transfer in der Unterkunft in die Sophienterrasse bewerkstelligen.

    Katharina(jetzt wieder gefasst): Wir waren zuerst in Berne und Niendorf Markt.

    Die Unterkunft in Berne war wie, entschuldigen Sie bitte den Ausdruck, wie ein Konzentrationslager. Das war für mich sehr schwierig, ich konnte kein Deutsch. Ich habe Englisch in Syrien vergessen, ich habe diese Sprache nicht gebraucht. Ich habe dort nur arabisch gesprochen. Mein Sohn wurde in Berne sehr krank und niemand hat geholfen. Er war 10 Tage krank mit Fieber über 41 Grad. Ich bin Apothekerin, ich weiß, was das bedeutet. Wir haben sehr um den Transfer in ein anderes Lager gekämpft. Und dann hat es geklappt, wir kamen in die Sophienterrasse.

    Der Anfang

    BHFI: Frau Rahtgens, was gab den Ausschlag für Ihr Engagement in der Unterkunft Sophienterrasse?

    Ch. R.: Ich bin relativ engagiert in der Kirchengemeinde Harvestehude. Der Kampf um die Unterkunft Sophienterrasse hat ja eine lange Geschichte. Drei Rechtsanwälte, die unbedingt verhindern wollten, dass eine Unterkunft in diesem Stadtteil entsteht. Ich glaube, in Reaktion auf dieses Verhalten, gründeten im Jahr 2014 engagierte Frauen um Hendrikje Blandow-Schlegel & Heidrun Petersen-Römer den Verein „Flüchtlingshilfe Harvestehude e.V.“. Zwei Jahre, bevor das Lager überhaupt eröffnet werden konnte, hatten wir schon einen Verein, der alles gerockt hat. Wir waren organisiert, wir hatten ja schon alle möglichen Sachen gesammelt, wir trafen uns regelmäßig und – wir warteten. Auf die Flüchtlinge. Als sie dann kamen, war es zuerst etwas mühsam.

    BHFI: Wie kam das?

    Ch. R.: Die Leiterin der Unterkunft (Anm.: f&w fördern und wohnen AöR) war für die Organisation verantwortlich. Der Verein wollte gleich loslegen. Aber nach kurzer Zeit hatte es sich „eingegroovt“. Im Februar 2016 war es endlich soweit. Die Leiterin hatte eine Familie für uns gefunden. Wir trafen uns im Büro der Leiterin. Sie machte uns miteinander bekannt.

    » Also hier Familie Rahtgens und Katharina und Familie, bitte sehr, nun legt mal los und zeigt doch mal, wie Ihr von Eurem Verein Euch das so vorstellt.«.

    Da saßen wir in diesem Raum mit sieben Personen, wir hatten auch unsere Kinder mitgenommen. K. und ihr Mann konnten kein Deutsch und kaum Englisch, wir können kein Arabisch und kein Russisch. Wir entschieden, „nichts wie raus aus diesem Zimmer“.

    Es war ein toller, sonniger Tag und wir versorgten uns erst einmal mit Kaffee.

    Neben der Schule befindet sich ein Spielplatz, da haben wir uns hingesetzt. So konnten sich die Kinder auch miteinander beschäftigen. Wir vier also mit unserem Kaffee auf der Bank und haben irgendwie mit Händen und Füßen die Namen ausgetauscht, gefragt, wie das in dem Zimmer ist, gefragt, was braucht ihr usw. Zum Beispiel hatten meine Eltern Teppiche übrig, die haben wir dann zu ihnen gebracht oder Schüsseln und Tassen, was eben so fehlte.

    Geschenke, die bleiben!

    Katharina (unterbricht): Diese Teppiche haben wir bis heute. Harvestehude war nach Berne wie ein Wunderland. Wir verstanden sofort, dass die deutschen Leute uns unterstützen wollten. Und uns helfen, wie wir uns auf die Beine stellen können.

    Ch. R.: Sie haben immer wieder gesagt, Berne war die Hölle. Und in der Sophienterrasse, da war unsere Hilfe ja nur ein Element von ganz vielen, die dann mehr Ruhe hereinbrachten. Aber je mehr Ruhe reinkam, desto klarer wurde die Situation. Es war zwar tausendmal besser als Berne. Aber auch hier teilten sie sich zu dritt ein Zimmer und das Bad mit einer anderen Familie.

    Eigentlich war es nicht erlaubt, dass wir „unsere Familie“ einfach aufsuchten. Haben wir aber doch gemacht. Und das Tollste eben – am Ende hat Katharina für uns immer gekocht (Die beiden freuen sich noch immer bei dieser Erinnerung). Wir saßen in dieser geteilten Küche mit noch einer kurdischen Familie und haben geschlemmt. Ach, es war toll.

    Es gab aber auch den Teil, der uns alle gestresst hat. Wir wussten, diese Familie ist jetzt seit sechs Monaten in dieser Odyssee. Relativ schnell in sind wir dann zusammen in die Handelskammer. Wir hatten großes Glück. Die Mitarbeiterin wusste sehr gut Bescheid, auch darüber, wie mit den pharmazeutischen Abschlüssen umzugehen ist. Und – die Frau sprach Russisch, das heißt wir waren ganz schnell im Thema.

    Erst der Integrationskurs, dann Sprachkurs und dann die übersetzten Papiere an die entsprechende Stelle nach Bonn schicken. Das klang, als würde es ewig dauern und genau so war es am Ende auch. Jetzt stecken sie immer noch in den Sprachkursen und sind schon zweieinhalb Jahre hier.

    »Ein duales Studium wäre toll«

    Katharina: Wir haben zwischendurch immer Wartezeiten von vier bis fünf Monaten. Nicht immer gibt es einen Platz in den Kursen. Wir sind jetzt C1 Niveau (Anm.: Einstufung der Deutschkurse hier C1 für kompetente Sprachverwendung).

    Ch. R.: Sie sind zwei vollständig ausgebildete Pharmazeuten. Natürlich müssen sie die Sprache perfekt lernen, eh sie in einer Apotheke Medikamente ausgeben. Aber in der Zeit könnten doch der Sprachkurs und die Arbeit kombiniert werden. Wie so ein duales Studium eben funktioniert. Die beiden dürfen nicht so abgehängt werden aus dem Arbeitsleben. Wir sprechen viel Deutsch miteinander, aber das ist doch etwas anderes, als die Anwendung im Beruf.

    BHFI: Wie funktionierte es denn mit der Anerkennung?

    Ch. R.: Das war eine ziemlich zermürbende Zitterpartie für Katharina. Ihr Ehemann und der Sohn wurden sofort anerkannt. Sie waren ja syrische Staatsbürger. Sie aber musste über ein Jahr auf ihren Aufenthaltstitel warten.

    Und dann endlich die Anerkennung

    Katharina: Wir haben uns sehr gut vorbereitet, damit auch wirklich alles stimmt. Dann hatte ich im Anerkennungsverfahren eine offizielle Übersetzerin, die falsch übersetzte. Ich habe zu der Zeit ja schon Deutsch verstanden und ich wusste, dass sie falsch übersetzte.

    Ch. R.: Wir wussten ja, wie wichtig übereinstimmende Angaben bei den behördlichen Interviews waren. Also quasi wortgleich die Flucht beschreiben. Aber mit einem Jahr Abstand war das gar nicht so einfach. Wir haben uns hinterher zusammengesetzt und ein Gedächtnisprotokoll von Katharinas geschrieben. Einfach für den Fall, dass es schiefgeht. Ich habe dieses gruselige Dokument noch auf meinem Computer. Immer wieder habe ich ihr gesagt: „So wird hier niemand abgeschoben“ und am Ende hat es auch gestimmt.

    Katharina: Jetzt ist alles gut. Aber ein Jahr Unsicherheit für mich, für mein Kind und meinen Mann.

    Ch.R.: Ich bin so begeistert über die Tatkraft von Katharina. Wie sie sich durchkämpft. Sie hat eine Wohnung gesucht und sie gefunden. Wo ich ja hätte am meisten helfen müssen in meinem Selbstverständnis als Patin, das hat Katharina komplett alleine fertiggebracht.

    BHFI: Wie ist Ihnen das gelungen?

    Katharina: Ich war im Kurs B1 und ich habe jeden Tag vier Stunden im Internet gesucht. Wir hatten mit Christina unsere Lebensläufe bearbeitet und ich bin zu den Besichtigungen immer mit unseren Lebensläufen gegangen. Ich glaube, das hat viel geholfen. Die Vermieter wussten, dass wir studiert haben und was die Hintergründe der Flucht waren. Das war sehr gut.

    Ch.R.: Eigentlich waren die Lebensläufe ja für die Jobsuche gedacht, weil wir annahmen, es ginge alles viel schneller. Wir haben auch viel unterstützt, damit sie in die deutsche Sprache hineinkommen. Am Anfang, als Katharina noch nicht so gut Deutsch konnte, da haben wir uns bei mir getroffen. Wir haben dann Lieder übersetzt. Ich habe die Lieder ausgesucht und dann haben wir uns gemeinsam an die Übersetzung gemacht. Das war schön, hat Spaß gemacht und wunderbar geklappt. Aber heute liest Katharina schon Bücher auf Deutsch, Lieder übersetzen braucht sie heute nicht mehr.

    „Wir hoffen auf ein Praktikum“

    BHFI: Sie haben eine Wohnung gefunden. Sie kommen gut mit der deutschen Sprache klar, Ihr Sohn ist angekommen in der Schule. Wie geht es bei Ihnen beruflich weiter?

    Ch. R.: Wir hoffen jetzt auf ein Praktikum. Katharinas Mann ist jetzt durch mit C 1, aber es gibt keine Antwort von Bonn über die Zertifizierung. Also kann er nicht einmal ein Praktikum machen. Aber sie müssen irgendwie in Kontakt mit ihrer Berufswelt kommen.

    Natürlich darf man nicht unterschätzen, was auch während der Wartezeiten alles zu tun ist. Schmackhaftes Essen zubereiten für sehr wenig Geld. Möbel ranschaffen. Die haben ja Kanäle gefunden, wo wir gar nicht mehr helfen können. (zu Katharina gewandt). Wie ihr da über Ebay Kleinanzeigen perfekte Wohnungseinrichtungen binnen kürzester Frist herbeigeschafft habt, das ist ja harte Arbeit.

    BHFI: Sie wohnen ja jetzt nicht mehr so „Tür an Tür“. Wie halten Sie nach dem Umzug Kontakt miteinander?

    Ch. RWir haben ganz schnell eine WhatsApp-Gruppe erstellt, zuerst die Erwachsenen und später auch die Kinder. Früher konnten wir abends ganz schnell mal rüber und haben zusammen gegessen. Wenn die Kinder keinen Bock mehr hatten, sind sie halt nach Hause gegangen.

    Katharina: Ja, das war gut, jetzt ist es ein bisschen schwieriger, aber wir sind immer im Kontakt. Das wird auch so bleiben.

    Dann drücken wir jetzt die Daumen, dass aus Bonn endlich gute Nachrichten kommen. Vielen Dank, dass Sie beide hier waren.

    Das Interview wurde von Rose-Marie Hoffmann-Riem (BHFI) geführt. Wir danken Christina Rahtgens und Katharina für den spannenden Einblick in ihre Patenschaft. 

    Sie interessieren sich für eine Patenschaft? Dann schreiben Sie eine E-Mail an.

  • Von Patenschaft zu Familie

    In einer Kolumne greift der Arbeitskreis jeden Monat eine Geschichte von Weggefährten, Tandems oder einer Patenschaft auf – aktuell in der Form von Interviews mit Tandems, die sich über Patenschafts-Organisationen gefunden haben. Sie machen Mut, denn sie bestätigen: Treffen sich zwei (oder drei) innerhalb eines Tandems, gewinnen alle! Im Flüchtling-Magazin zeigen wir euch ein paar dieser Gespräche. Dieses Mal geht es um eine ganze Gruppe: Hajar, Meinhard, Sybille und Rüdiger.

    Am Tisch sitzen Hajar Issa mit Meinhard Weizmann, Geschäftsführer der Bucerius Law School, Sybille Marks, Initiatorin der Wentorfer Kulturwochen und Rüdiger Marks, der sich nach der späteren Einreise der Familie Issa intensiv um die Kinder kümmerte. Sie alle sind heute die deutsche Großfamilie um Hajar Issa.

    Er war Mitglied der Union Syrischer Künstler und in der gesamten arabischen Welt hoch angesehen. Die Krönung seiner Tätigkeit erfuhr er 2009, als er von 100 Nominierten den „Addounia“ – das ist der Oscar im arabischen Raum – für seine Arbeit als Artdirector in Damaskus erhielt. Nach seinem letzten regimekritischen Film, der in der Türkei gedreht worden war, kehrte er nicht mehr nach Syrien zurück. Es drohte zum wiederholten Mal eine harte lange Haftstrafe. Zum Weiterlesen gehts hier lang.

    BHFI: Herr Weizmann, Sie haben bei der Verabredung des heutigen Gesprächs Hajar Issa als Ihren Freund bezeichnet. Das ist ja schon ein Statement. Bitte lassen Sie uns doch zuerst etwas zu Ihrer Person wissen und dann dazu übergehen, wie Sie beide sich kennen lernten.

    Meinhard Weizmann: Ich muss ein wenig ausholen. Nicht Herr Issa stand an erster Stelle, sondern einfach das Bedürfnis, sich für die Geflüchteten einzusetzen. Ich bin beruflich und privat viel gereist. Wo immer ich hin kam in der Welt, erfuhr ich eine herzliche Aufnahme. Das erleben Ausländer und Ausländerinnen, die nach Deutschland kommen, nicht immer so.

    Mit der Kultur eines offenen Hauses vertraut

    „So wahnsinnig willkommen fühlt man sich nicht, wenn man zu Euch kommt“. Diesen Satz hörte ich mehr als einmal. Die Kultur eines offenen Hauses kenne ich sehr gut. Ich bin so aufgewachsen. Die Willkommenskultur, die im Herbst 2015 Deutschland erfasste, sprach mir aus dem Herzen. Anfang 2016 schloss ich mich dem Runden Tisch Asyl in Wentorf/Schleswig-Holstein (RTAW) an.

    Etwa 120 bis 150 Geflüchtete, vorwiegend Männer, waren in der ehemaligen Schule im Fritz-Specht-Weg in Wentorf untergebracht. Jeweils zu fünft oder zu sechst in einem Klassenzimmer. Ungefähr die gleiche Anzahl an Ehrenamtlichen kümmerten sich um sie. Es gab unendlich viel zu tun. Mir wurde schnell klar, dass ich eine persönliche Beziehung zu einzelnen Personen besonders wertstiftend fand. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob eine deutsche Patin oder ein deutscher Pate eine Sache für den Geflüchteten mit einer Versicherung regelt oder im Job Center Hilfestellung leistet. Manches passiert einfach nicht ohne die Vermittlung einer deutschen Begleitung.

    BHFI: Frau Marks, was ist Ihr Anteil, der Anteil Ihrer Familie an diesem „Gemeinschaftsprojekt“? Aber bitte auch erst etwas zu Ihnen als Person.

    Sybille Marks: Ich war dreißig Jahre Lehrerin in Mümmelmannsberg (Stadtteil von Hamburg mit einem sehr hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund). Wer sein Leben lang Kinder aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen unterrichtet, für den ist nur noch wenig befremdlich, ganz im Gegenteil. Ich habe immer auch ehrenamtlich gearbeitet und im Jahr 2006 die WENTORFER KULTURWOCHE ins Leben gerufen. Bei der Planung für das Jahr 2016 überlegten mein Mann und ich, ob nicht auch in der Unterkunft ein Künstler zu finden sei, den wir einladen können. In diesem Zusammenhang lernte ich Anfang 2016 Hajar Issa kennen. Erst glaubten wir es gar nicht, dass wir einen so berühmten Künstler in unserer Nähe hatten.

    Gemalte Träume, Wünsche, Erinnerungen

    Hajar Issa: Ich habe damals Tag und Nacht gemalt. Viele Leute haben Farben für mich gespendet und nicht aufgehört. Es hat mich gerettet aus einem tiefen Loch. Keine Familie, keine Heimat, aber Farben und Malen. Die anderen Männer im Raum haben für mich gekocht und mich unterstützt. Das hat mir auch sehr geholfen.

    Sybille M: In wenigen Monaten entstanden über 50 Bilder. Er malte seine Träume, Wünsche, Erinnerungen, den Verlust, die Zerstörung und immer wieder seine Kinder und seine Frau. Und dann hatten wir auch schon bald die erste Ausstellung. – es gab ja jede Menge Material (lacht ihn an dabei). Und seitdem geht es immer aufwärts.

    Eines von Hajars Bildern

    Hajar I.: (ergänzt und gestikuliert lebhaft) Ich bin jetzt hier und ich fühle mich wieder wie ein junger Mann von 20 Jahren. Hier in Deutschland muss ich etwas machen. Als Künstler habe ich so viel Erfahrungen. Ich bin sehr stolz auf meine Kunst und habe eine gute Hand. Das ist meins! Ich  muss malen.

    Meinhard W.: Diese Energie zu sehen und mitzuerleben, ist einfach großartig. Außerdem – und das ist das Tolle bei Hajar –  man kann sich total auf ihn verlassen. Er hält sich an Absprachen, er kommt pünktlich, das sind wichtige Dinge, die gar nicht selbstverständlich sind, insbesondere, wenn man aus einem anderen Kulturkreis kommt.

    Er hat sehr schnell begonnen, die deutsche Sprache zu lernen. Wir sind beide 48 Jahre alt, da lernt es sich nicht mehr so schnell. Aber er hat sich da reingebissen …

    Hajar I.: (grinst ein bisschen und lässt dann die Katze aus dem Sack) B1 sowieso, B2 auch und C1 auch – heute fertig! Ja, C1.2. Ich warte jetzt auf das Ergebnis.

    Alle freuen sich über diesen Fortschritt, großes Hallo, das war eine schöne Überraschung.

    Ein Gefühl von Familie

    BHFI: Frau Marks, der Kontakt zwischen Ihnen und Herrn Issa entwickelte sich in erster Linie durch seine Kunst als Maler.  Sie organisieren Ausstellungen und managen ihn als Künstler. Würden Sie sagen, Sie sind auch befreundet?

    Sybille M.: Genauso ist es und das geht bis hin zu unseren Familien. Es ist schon eine enge Bindung geworden. Das Schöne, das wollte ich noch sagen, ist diese Vertrauensebene zwischen uns. Hajar vertraut mir seine Kunst völlig an. Und ich weiß genau, wenn wir etwas hätten, ich könnte ihn anrufen, dann wäre er da. Das gilt auch für seine Frau. Das ist schon besonders. Der Zufall hat uns zusammengebracht und jetzt lernen wir ganz viel von Hajar, seiner Familie und umgekehrt. So ist es ein Geben und ein Nehmen. Das macht auch mich glücklich.

    Ich bin froh, dass Meinhard den Behördenteil übernommen hat. Ich habe mir das nicht so schwer vorgestellt. Eigentlich ist es nicht zu schaffen, wenn man keine Hilfe hat. Die ganzen Formulare – da muss man ja selbst als deutscher Mensch schon gucken, was wollen die eigentlich. Wenn ich mir dann vorstelle, ich müsste nach Syrien und sollte in einer anderen Sprache, in einem anderen Kulturkreis das alles leisten, das schafft ein Mensch gar nicht ohne Hilfe.

    Hajar I.: Meine Familie hat ein Glück, großes Glück, dass wir Meinhard und Sybille kennengelernt haben. Das ist so viel Glück, wie niemand hat, den ich kenne. Das eine ist: Die beiden wissen, wie mein Leben in Syrien war. Das zweite: Meine Frau und ich sind mit Meinhard und Sybille eine Familie. Das ist unser Gefühl.

    Die Kinder sind sehr glücklich hier

    Unser Leben ist jetzt hier für unsere Kinder, für mich und meine Frau. Wenn ich meinen Sohn Alan frage, Syrien oder hier und er sagt, nein, nein, Deutschland ist meine Heimat. (Und er ergänzt sehr nachdrücklich) Die Kinder sind sehr glücklich hier.

    Sybille M.: Als im November 2016 seine Frau Razan und die beiden Söhne Alan und Aram ankamen, waren wir alle am Flughafen. Hajar gehörte doch quasi schon zur Familie.

    Meinhard W: Wir hatten eine Wohnung gefunden, das war wirklich perfektes timing. Dazu noch eine kleine Anekdote: Normalerweise erlebe ich sehr viel Bereitschaft bei öffentlichen Stellen, alles möglich zu machen, was einigermaßen vertretbar ist.

    Hilfe bei Ausstellung und Antragsstellung

    Ein einziges Mal nur sind wir bitter gescheitert und ich habe Hajar zum ersten Mal außer sich gesehen. Die Sachbearbeiterin im Job Center lehnte eine Wohnung ab, weil die Miete 50 Cent!! über dem gültigen Satz lag. Daraufhin der wütende Hajar. „Die hassen Flüchtlinge“. Die Vermieterin hat nicht lange gefackelt und nochmal 5 € nachgelassen und dann war die Vorschrift mehr als eingehalten. Aber ansonsten – die haben das auch nicht aus bösem Willen gemacht: sondern Vorschrift ist Vorschrift.

    (zu Sybille Marks gewandt) So ist unsere Rollenverteilung. Du bist hartnäckig hinterher, dass Hajar ausstellen kann und ich erledige die eher administrativen Sachen.

    Es sind aber immer unsere Erfolgserlebnisse, egal um was es geht. Das schafft Verbindung.

    Sybille M.: Es ist schon toll und (zu Meinhard Weizmann): Wir hätten uns sonst ja auch nie kennengelernt.

  • Tandems erzählen: Wie eine neue Mutter

    In einer Kolumne greift der Arbeitskreis jeden Monat eine Geschichte von Weggefährten, Tandems und Patenschaften auf – aktuell in der Form von Interviews mit Tandems, die sich über Patenschaftsorganisationen gefunden haben. Sie machen Mut, denn sie bestätigen: Treffen sich zwei (oder drei) innerhalb eines Tandems, gewinnen Alle! Im Flüchtling-Magazin zeigen wir euch ein paar dieser Gespräche. Dieses Mal die des Tandems Lama und Uschi.

    DAS TANDEM

    Mein Name ist Lama, ich bin 32 Jahre alt und komme aus Syrien. Ich bin in Edib geboren und in Aleppo aufgewachsen. Ich habe vier Jahre Jura studiert – und dann kam der Krieg. Aufgrund der politischen Situation konnte ich nicht mehr in Syrien bleiben. Ich entschloss mich zur Flucht und kam innerhalb von zwei Wochen nach Deutschland. Es war eine sehr schwere Zeit.

    Ich bin Uschi (Ursula), 54 Jahre alt und in Hamburg groß geworden. Seit 35 Jahren fliege ich bei der Lufthansa als Flugbegleiterin. Mit meiner großen und bunten Familie bin ich seit einigen Jahren in Hamburg-Marienthal zuhause.

    BHFI: Frau B., wann haben Sie angefangen, sich zu engagieren, direkt im Oktober 2015?

    Uschi B.: Ja, ich bin da so reingerutscht. Man kann es auch Fügung nennen. Beim Gassi gehen mit meinem Hund begegnete ich einer Frau aus meiner Schulzeit. Wir kamen ins Gespräch und sie erzählte mir, daß im Camp Jenfeld Moorpark jede Hand gebraucht würde. Sie traf bei mir gleich den richtigen Nerv. Ich fing an Kleidung auszugeben. Die Flüchtlinge kamen ja quasi in Flipflops und kurzen Hosen. Es war wirklich abenteuerlich am Anfang, aber wir Frauen brachten irgendwie System rein.

    Lama H.: Es waren fast 800 Leute in dem Camp. Hauptsächlich Männer, einige wenige Familien und ich war die einzige alleinstehende Frau. Ich kam im Dezember nach Jenfeld und war mit 16 anderen Personen erst in einem Zelt und dann in einem Container untergebracht. Alle anderen Frauen hatten Kinder. Sie kamen aus Eritrea, Afghanistan, Iran, Syrien auch und aus Gambia, alle gemischt.

    BHFI: Wie haben Sie beide sich kennengelernt? Sie sprechen Englisch, das ist sicherlich schon hilfreich im ersten Kontakt. Wie sind Sie aufeinander zugegangen?

    Uschi B.: Ich merkte irgendwann, dass ich in der Kleiderkammer nicht mehr weitermachen kann. Es war harte körperliche Arbeit in diesem Verteilungscontainer. In der Gemeindeküche gab es ein paar deutsche Frauen, die mit den Flüchtlingen aus allen möglichen Ländern kochten. Denen habe ich mich angeschlossen. Lama war auch dabei.

    Es war eine entspannte Atmosphäre – man macht etwas zusammen, redet dabei über alles Mögliche. Es gibt eine Vorspeise aus diesem Land und die Hauptspeise aus einem anderen Land und eine Nachspeise aus einem dritten. Die Frauen wollten uns natürlich immer etwas präsentieren, was wir nicht kannten. Und wir haben Spargel in der Spargelzeit präsentiert. Gegessen wurde an einer langen Tafel, es war wirklich schön. Lama fiel mir auf, weil sie schon sehr westlich angezogen war. Sie trug aber immer eine Mütze. Das passte gar nicht so richtig dazu.

    Lama H.: Ich hatte einfach Angst, ohne Mütze zu gehen mit diesen vielen Männern im Camp. Ich bin zwar Muslima, aber nicht praktizierende Muslima. Meine Familie ist gemischt. Ein Teil kommt aus Armenien, der andere Teil aus der Türkei. Mein Vater mochte Kopftücher überhaupt nicht. Aber nachdem meine Mutter starb, (Lama war 13 Jahre alt) hat die Mutter meines Vaters durchgesetzt, dass ich ein Kopftuch tragen muss.

    „Sie muss ein Kopftuch haben, weil die Leute sonst nicht gut über sie sprechen“, hat sie zu meinem Vater gesagt und sich durchgesetzt. Zwar heiratete mein Vater nach zwei Monaten wieder – eine Frau ohne Kopftuch! – aber ich habe mein Kopftuch behalten, damit die Leute nicht über mich sprechen.

    Hier in Deutschland ist es ganz anders, jetzt habe ich meine Freiheit, ich kann machen, was ich will. Aber am Anfang, im Jenfeld Camp – das war ein schlechtes Camp für eine alleinstehende Frau. Die Mütze war Schutz für mich. Ich trug auch Oberbekleidung mit langem Arm. Die Männer und die Frauen guckten sehr, wie ich angezogen war. Sie fragten mich, ob ich eine muslimische Frau oder christliche Frau bin. Das hat mich echt böse gemacht.

    Wie Mutter und Tochter

    Uschi B.: Gemeinschaftlich zu kochen, war schon viel mehr nach meinem Geschmack, aber irgendwann dachte ich, ich möchte jetzt einen Menschen haben, um den ich mich richtig kümmern kann. Und ich habe dann (Blick nach oben ins Universum) gesagt, hallo, schicke mir mal den einen Menschen. Dann kam Lama. Ich fand sie total sympathisch und habe sie einfach gefragt, ob sie Lust hat, mit mir und meinem Hund spazieren zu gehen. Da hat sie mich einfach nur angelacht. Die Spaziergänge haben wir beibehalten und wurden immer bessere Freundinnen. Die englischen Sprachkenntnisse von Lama waren eine große Hilfe.

    Lama H.: Mir ist Uschi schon in der Kleiderkammer aufgefallen, wir haben zwar gar nicht gesprochen, weil ich ein bisschen schüchtern bin. Ich hatte das Gefühl, sie ist nicht wie die anderen Frauen. Dann haben wir zweimal zusammengekocht und angefangen, miteinander zu reden. Ich habe ihr erklärt, warum ich immer eine Mütze trage. Wir sind nicht nur Freundinnen, sie ist wie meine Mutter. Am Anfang war es Freundschaft, aber ich hatte ein so gutes Gefühl. Sie hat mir so viel geholfen in meinem neuen Leben. Mit Wohnung, Deutschkurs und Klamotten. Sie macht so viele gute Sachen in meinem Leben.

    Uschi B.: Aber nicht nur sie ist glücklich, ich bin es ja auch, dass ich endlich eine Tochter habe. Ich habe drei Jungs (in patchwork) und jetzt habe ich endlich auch ein Mädchen.

    BHFI: Wie ist es, wenn man mit einem Schlag drei Brüder bekommt?

    Lama H.: Yannis (der leibliche Sohn von Uschi, 21 Jahre alt) sehe ich am meisten. Die beiden anderen sind weiter weg. Er ist ein bisschen wie ein Bruder. Er ist so… open minded.

    BHFI: Wann gingen denn die ersten Deutschkurse los?

    Lama H.: Ich musste ein Jahr warten, bis ich einen richtigen Deutschkurs haben konnte. Dann hatte ich endlich einen Kurs am Steindamm.

    Uschi B.: Sie war in einer furchtbaren Sprachschule am Steindamm, in der übelsten Ecke und auch abends bis 21.30 Uhr. Um diese Zeit anschließend noch nach Barmbek zu fahren, das ging gar nicht. So eine gut aussehende junge Frau abends in dieser Gegend. Wir haben dann sehr gesucht, bis Lama an einer ordentlichen Schule untergebracht war. Mit viel Hartnäckigkeit und ein Quäntchen Glück hat die Berlitzschule ja gesagt. Trotz Warteliste. Dann haben wir uns gesputet mit den Papieren und zehn Tage später war sie drin.

    Lama H.: Bis dahin hatte ich A1 gemacht und vielleicht 20 Seiten auf B1. Und auf der Berlitz habe ich sofort auf B1 angefangen, das war schon ein bisschen schwer.

    Uschi B.: Englisch war unsere gemeinsame Sprache, das ging aber so nicht weiter. Natürlich war das erst einmal ein Bruch in unserer Beziehung. Wir konnten vorher einfach über alles reden – das war plötzlich nicht mehr möglich. Es war schwer durchzuhalten, für uns beide. Aber total notwendig und dann ging es auch ziemlich gut voran.

    Lama H.: Mit B2 kämpfe ich noch, den mündlichen Teil habe ich bestanden, den schriftlichen leider nicht. Wir sollten über „Schwangere Frauen“ schreiben. Ich weiß nichts darüber und kenne auch die Vokabeln dazu nicht. Ein anderes Thema war (stockt und sucht ein Wort) Kokain oder Drogen und davon weiß ich auch nichts. Ich hatte Schule und Praktikum zur gleichen Zeit und nirgendwo einen Platz zum Lernen. Das war einfach sehr schwierig.

    Uschi B.: Dann habe ich gesagt, Du musst raus aus dieser Unterkunft in Barmbek, es war so wichtig, dass sie irgendwo mal die Tür zumachen und lernen konnte. Bei diesem Chaos zwischen Frauen und Kindern konnte sie sich überhaupt nicht konzentrieren.

    „Mach‘ Dich schick, wir gehen jetzt zusammen dahin!“

    Lama H.: Ich habe auch ein Problem mit Schlafen, ich kann nicht gut schlafen nachts. Das war echt Krise und so viele Leute um mich herum. Die Kinder schlafen gar nicht, die Frauen fangen morgens um 5.00 Uhr an zu quatschen.

    Uschi B.: Ich habe mich auf die Suche nach einer Alternative gemacht und fand eine Kollegin, die Beziehungen zu einer WG in Altona hatte. Ein Zimmer war frei, wir haben alle Freunde mobilisiert, einer hat ein Bett gespendet, jeder auch irgendwas gegeben, damit das Zimmer schön eingerichtet war.

    Lama H.: Ich konnte jetzt die Tür zu machen und lernen. Schon ein bisschen besser. Aber leider nicht zum Wohlfühlen. Ich will jetzt nichts weiter dazu sagen. Und dann kam das richtige Glück. In der Facebook-Gruppe von Uschi war wieder eine Kollegin und ich konnte endlich bei einer richtigen Familie wohnen.

    Uschi B.: Diese Kollegin ist außerdem die perfekte Frau für Amtsgeschichten und Schriftliches. Das ist nicht so mein Ding. Für sie war es auch ein Gewinn, dass Lama kam. Lama kocht ja so gerne. Die Familie hat es geliebt, dass sie so schön mit syrischem Essen versorgt wurde. Außerdem hat Lama sich sehr wohl und behütet gefühlt. In dieser lebhaften Familie und mit deren Freunden und Nachbarn.

    Dann haben wir es noch getoppt. Wieder kam ein Zufall zu Hilfe. Ich hörte von einem Bauprojekt in Fuhlsbüttel mit 74 sozial geförderten Wohnungen. Und da sagte ich zu Lama H.: „Mach‘ Dich schick, wir gehen jetzt zusammen dahin!“ Wir haben allen Charme aufgeboten und es hat geklappt, 50qm Erstbezug am Alsterwanderweg in Fuhlsbüttel.

    BHFI: Eine schöne Wohnung, seit zwei Wochen die Arbeitsstelle bei Budnikowski…

    Lama H.: Und jetzt möchte ich die zweite B2 Prüfung machen. Ich habe jetzt eine Nachhilfelehrerin, das hilft mir sehr. Und ich habe auch schon bei Budni Probearbeit gehabt, hat aber leider nicht funktioniert. Ich habe drei Tage zur Probe gearbeitet und war ein Tag zu spät, nur eine Minute, und sie haben mich nicht genommen. Dabei war ich krank (immer noch ein bisschen Empörung in der Stimme) ich hatte Schnupfen und Husten.

    Uschi B.: Das war eine harte Schule – beim nächsten Probearbeiten war sie 10 min zu früh.

    Lama H.: Ich weiß jetzt, dass es so wichtig ist, pünktlich zu sein, das wird mir nicht mehr passieren. Aber ich war echt krank (sie findet es immer noch ungerecht).

    BHFI: Ich freue mich sehr, ich sage ganz herzlichen Dank. Ich bin sehr dankbar, was sie beide jetzt erzählt haben.

     Wer Interesse an einer Patenschaft hat oder wissen möchte, wie Tandems entstehen, kann sich an Rose-Marie Hoffmann-Riem unter wenden.

  • Barcamp in Bremen: Austausch und Dialog

    Die Stiftung Bürgermut

    Organisiert wurde das Barcamp von der Stiftung Bürgermut. Diese Stiftung ist deutschlandweit eine der wenigen Organisationen, die sich auf das Thema Projekttransfer spezialisiert hat. Sie existiert seit 2007. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist es, bürgerliches und ehrenamtliches Engagement sichtbar und bekannt zu machen. Bei dem openTransfer Camp zum Thema Patenschaften wurde die Stiftung Bürgermut unter anderem durch das Bundesprogramm „Menschen stärken Menschen“ sowie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt.

    Weitere Partner waren die Freiwilligen-Agentur Bremen, das Social Impact Lab Bremen, die Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros, das Programm Lesementoring der Landeshauptstadt Hannover und der Mentor Ring Hamburg. Nach Schwerin, Leipzig und Berlin war das Barcamp in Bremen das Vierte zum Thema Patenschaften. Hier trafen Haupt- und Ehrenamtliche, Geschäftsführer und Praktikanten aufeinander.

    In den Dialog treten

    Ziele dieser Veranstaltung waren vor allem der Austausch, das Netzwerken sowie das Teilen von Wissen und Erfahrungen. Auch ging es darum, gemeinsam neue Ideen zu entwickeln. Denn oft ist es so, dass Projekte im Bereich Patenschaften und Tandems vor vielen Herausforderungen stehen – meistens alleine. Es bleibt also die Frage, wie Ehrenamtliche überhaupt erreicht werden können. Welche Mentoren harmonieren mit welchen Mentees? Und was muss im Bereich Datenschutz beachtet werden?

    Diese Aspekte wurden lösungsorientiert aber auch kritisch auf dem Barcamp diskutiert. Es ging primär darum, verschiedene Projekte zusammenzubringen, den Dialog und Austausch zu fördern, Ideen zu teilen und gemeinsam Antworten zu finden.

    Nach dem Motto „geplant ungeplant“

    Das Programm gestalteten die Teilnehmern selbst: So ein Barcamp läuft immer nach dem Motto „geplant ungeplant“. Es gab also keine Referenten, die Vorträge halten, oder passive Zuhörer, die mitschreiben. Im Vordergrund stand vielmehr die Begegnung auf Augenhöhe. Deswegen ist es bei Barcamps auch üblich, dass sich die Teilnehmer untereinander duzen. Die unterschiedlichen Projekte wurden in verschiedenen Sessions vorgestellt. Im Anschluss an jede Session gab es eine Frage, die dann von den Teilnehmern gemeinsam diskutiert wurde.

    Der Verein Welcomate e.V.

    Eine der ersten Sessions war die des Tandemprojekts „Welcomate“ aus Bremen. Der Name leitet sich aus den englischen Begriffen Welcome und Mate ab und bedeutet soviel wie „Willkommenskumpel“. Hinter Welcomate e.V. steht ein buntes Team mit ganz unterschiedlichen beruflichen Hintergründen. Seine Vision ist es, in einer Gesellschaft zu leben, die aufeinander zu geht.

    Das Prinzip ist einfach: Mann registriert sich kostenlos online, danach schlägt das Matching einen „Welcomate“ vor. Im nächsten Schritt lernt man sich erst einmal online ein wenig kennen, um sich dann an einem öffentlichen Ort bei einer Tasse Kaffee oder Tee zu treffen. In der Session wurde unter anderem darüber gesprochen, wie dieses Projekt besser finanziert werden kann und wie mehr Locals generiert werden können.

    Das Projekt Rock your Life Mentoring

    Weiter ging es mit der Vorstellung des Mentoring-Projekts „Rock your Life“, einem Netzwerk aus ehrenamtlich engagierten Studenten. Diese setzen sich tatkräftig für mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit für junge Menschen ein. Mit dem Eins-zu-Eins-Mentoring-Programm werden Brücken zwischen den zu Studierenden und den zu betreuenden Schülern gebaut. Konkret heißt dies, dass die Studierenden ihr Wissen an – vor allem – Hauptschüler weitergeben. Gerade bildungsbenachteiligten Schülern wird so die Möglichkeit gegeben, ihre schulischen Leistungen Stück für Stück zu verbessern und zu vertiefen.

    Der Mentee wird also auf seinem Weg in den Beruf oder auf die weiterführende Schule begleitet. Damit das Projekt nachhaltig und wirksam ist, werden die Trainer selbst nach der Rock your Life – Methode ausgebildet. Diese Trainer qualifizieren dann im nächsten Schritt die ehrenamtlichen Studierenden zu Mentoren.

    Fazit

    Mentoring und Tandempartnerschaften spielen nicht nur in der Flüchtlingshilfe eine große Rolle. Dieses Barcamp hat gezeigt, wie wichtig der Austausch von verschiedenen Projekten untereinander ist. Es wurden neue Kontakte geknüpft und es gab viele Ideen für gemeinsame Projekte. Mit über 100 Teilnehmern war das openTransfer Camp Patenschaften ein voller Erfolg, sowohl die Organisatoren als auch die Mitwirkenden sind zufrieden. Das nächste openTransfer Camp zum Thema Demokratie findet am 28. September in Erfurt statt.

  • Lernen, helfen, integrieren!

    Der erste persönliche Kontakt zu einem Flüchtling

    Nach 25 Jahren München, in einer beschaulichen „Schlafgemeinde“, zog ich vor 5 Jahren recht spontan nach Hamburg. Ich kannte diese schöne Stadt von etlichen Besuchen. Persönliche Umstände unterstützten mich dabei, diesen Schnitt zu machen und einen radikalen Ortswechsel vorzunehmen. Also wurde Hamburg meine neue Heimat.

    In meinem Leben stets aktiv, auch im ehrenamtlichen Bereich, begann ich sofort im „Weltladen“ für fairen Handel, zu arbeiten. 2015 begann die hohe Zeit der Geflüchteten, die in unser Land kamen. Während meiner Arbeitszeit wurde uns ein junger Mann, Germen, aus Eritrea gebracht, der zu der Zeit einen Sprachkurs machte. Seine Deutschlehrerin bat uns Mitarbeiter, ihn ein wenig zu „integrieren“. Was immer man auch darunter verstand. Das war mein allererster persönlicher Kontakt zu einem Flüchtling.

    Wir verstanden uns gleich ziemlich gut. Er lernte gerade für den B1 Kurs und bat mich, ihn beim Lernen der deutschen Sprache zu unterstützen. Was ich auch mit Freuden tat. Dank der großen Auswahl an Lehrbüchern in der Bücherhalle, fand ich schnell in eine Art individuellen Unterricht hinein. Ich entwickelte meinen eigenen Lehrstil, den ich bis heute betreibe, und der uns beiden viel Spaß machte. Vor allem wenn man die Fortschritte sah.

    Beim Lernen helfen

    Es dauerte nicht lange, und ein Freund von Germen, Tesfit, bat mich ebenfalls um Hilfe beim Lernen. Das war der Beginn einer langen, bis heute andauernden Beziehung, die schließlich zur Patenschaft führte. Das sprach sich herum, und es folgten weitere „Schüler“. Und natürlich blieb es nicht beim Lernen. Für mich gehört zur Integration ebenso die Hilfe bei Ämtern, die Suche nach einer Wohnung, einer Ausbildung und natürlich auch die Kultur und Eigenheiten unseres Landes. Auch die Freizeitaktivitäten kamen nicht zu kurz. Wir unternahmen Radtouren mit Picknick, gingen in den Zoo, besuchten das Planetarium, das Miniaturwunderland u.v.m.

    So begann für mich ein neues Leben mit einer kleinen neuen Familie. Es sind meine „Jungs“. Germen, der inzwischen eine Freundin und eine gute Arbeit gefunden hat, ist inzwischen Vater von Zwillingen geworden. Seine Freundin und er sind natürlich überglücklich, so dass nun auch die neue Generation dazu kommt. Und natürlich neue Herausforderungen, wie Wohnung finden, Ausstattung besorgen usw. Aber auch da bin ziemlich kreativ und langsam ein „Fuchs“ geworden.

    In den 5 Jahren habe ich etwa 25 Schüler gehabt. Zahlreiche haben ihre Ziele erreicht, was uns alle stolz macht. Aber natürlich sind auch einige abgesprungen, die keinen Sinn im Lernen sahen und lieber nur arbeiten und Geld verdienen wollten.

    Deutsche Bürokratie

    Ich selber habe in den letzten Jahren unglaublich viel gelernt. Da ich ein sehr kreativer Mensch bin, (Fotografin, Malerin), hatte ich mich bisher wenig bis gar nicht für Bürokratie und Ämter interessiert und falls nötig, an andere delegiert. Es waren zu viele Regeln und eine Amtssprache, die ich auch heute noch nicht immer ganz verstehe und zu wenig Spielraum.

    Wir sind bei den unendlich vielen Behördengängen auf sehr motivierte Mitarbeiter gestoßen, die emphatisch waren und hilfsbereit. Doch natürlich gab es auch eine Anzahl von überforderten, unleidlichen und schlecht gelaunten Ansprechpartnern. Sehr gute Erfahrungen habe ich mit den diversen Leitern /innen und Sozialpädagogen/innen der Handwerksinnungen gemacht. Die Kontakte, die ich zu ihnen geknüpft habe, haben uns immer weitergeholfen, wenn auch in manchen Fällen mit ständigem Nachfragen und etwas Druck.

    Eine neue Familie

    Wenn ich an die Anfänge zurückdenke, kann ich es nur als großes Glück empfinden, was da geschehen ist. Als Witwe mit 2 erwachsenen Töchtern und 3 großen Enkelkindern, die ihr eigenes Leben führen, konnte mir nichts Schöneres passieren, als meine neue Familie, die mir in meinem neuen Lebensabschnitt viel Sinn und Glück bringt, und um die ich mich nun, wenn nötig, rund um die Uhr kümmern kann. Ich knüpfe auch weiterhin neue Beziehungen, wie jetzt zum „Magazin für Flüchtlinge“. Ich finde es sehr gelungen und wünsche ihm viel Erfolg. Möglicherweise kann ich den einen oder anderen meiner Jungs dazu überreden, ebenfalls eine kleine Geschichte zu schreiben. Man wird sehen.

    Dagmar ist als Ehrenamtliche beim Patenschaftsprojekt human@human aktiv.

  • Wie Tandems Brücken bauen

    In einer Kolumne greift der Arbeitskreis jeden Monat eine Geschichte von Weggefährten, Tandems und Patenschaften auf – aktuell in der Form von Interviews mit Tandems, die sich über Patenschaftsorganisationen gefunden haben. Sie machen Mut, denn sie bestätigen: Treffen sich zwei (oder drei) innerhalb eines Tandems, gewinnen Alle! Im Flüchtling-Magazin zeigen wir euch ein paar dieser Gespräche. Dieses Mal die des Tandems Ebrahim, Adam und Ehsan.

    DAS TANDEM

    Mein Name ist Ebrahim, ich bin 27 Jahre alt und komme ursprünglich aus Afghanistan. Vor ungefähr  20 Jahren bin ich mit meiner Familie nach Deutschland geflüchtet und wir sind in Hamburg-Bergedorf heimisch geworden. Ich habe Politikwissenschaften studiert. Seit etwa einem Jahr arbeite ich bei dem Verein „Bergedorfer für Völkerverständigung“ und koordiniere dort das Patenschaftsprojekt. Ich engagiere mich seit 2013 für geflüchtete Menschen.

    Mein Name ist Adam, ich komme aus Eritrea und bin 25 Jahre alt. Vor drei Jahren bin ich nach Deutschland geflüchtet und ich mache eine Ausbildung als Maler und Lackierer.

    Mein Name ist Ehsan, ich bin 26 Jahre alt, ich bin Afghane und im Jahr 2015 nach Deutschland geflüchtet. Ich mache auch eine Ausbildung als Maler und Lackierer, aber in einer anderen Firma als Adam. Wir drei sind also Teil des Tandems.

    BHFI: Wie habt Ihr Euch kennengelernt?

    Ehsan: Kann man einen Unfall nennen (Ehsan lacht und korrigiert sich – er meinte Zufall). Ich war zu Hause, es hat geklingelt und da stand Ebhrahim vor der Tür. Eigentlich suchte er meinen Nachbarn, und so haben wir uns kennengelernt.

    Ebrahim: Ich war sozusagen „offiziell“ unterwegs und habe ihm erzählt, dass ich für den Verein „Bergedorfer für Völkerverständigung“ arbeite, und wenn er Lust hätte, könne er gerne bei uns ins Programm kommen. Er erschien relativ schnell, und irgendwann dachte ich: supersympathisch, der Typ. Bei ihm ist es ja so, er hat genau wie Adam keinen Deutschkurs besucht, sondern sich sofort in die Ausbildung hineingekämpft. Das hat mir total imponiert. Ich dachte, da kann ich doch einmal die Woche hin und gucken, wie ich ihn noch weiter unterstützen kann.

    BHFI: Und wie ist Adam dazugekommen?

    Adam: Ich habe Eshan vor drei Jahren in einem Flüchtlingsheim kennengelernt. Jetzt wohnen wir hier beide am Gleisdreieck in Bergedorf. Das ist auch Glück. Ehsan hat mir erzählt, dass er Ebrahim kennt und wie gut das ist und dass ich ihn doch auch kennenlernen soll. Ebrahim ist sehr o.k. Hat mir Mathe beigebracht und andere viele gute Sachen.

    Ebrahim: Im Jahr 2015 gab es ein Projekt von der Handwerkskammer „Hoffnung Handwerk – Ausbildung für Flüchtlinge im Hamburger Handwerk“. Man konnte direkt in die Ausbildung gehen, ohne Bedingungen. Da haben sich in Hamburg über achtzig Geflüchtete gemeldet. Nach und nach haben ganz viele aufgehört. Wahrscheinlich zu anstrengend. Jetzt sind noch sechs Geflüchtete in Arbeit, und die beiden gehören dazu. Die beiden machen ihre Arbeit richtig gut. Beide haben von ihren Chefs das Versprechen bekommen, selbst wenn sie die Prüfung nicht bestehen, bekommen sie auf jeden Fall als Gehilfe eine feste Stelle.

    BHFI: Hattet Ihr denn schon eine Ausbildung begonnen, als Ihr noch in Eurem Heimatland wart?

    Ehsan: Ich habe gearbeitet als Metallschweißer.

    Adam: Ich habe einen Realschulabschluss gemacht und bin dann nach Deutschland. Ich habe als Bäcker, Maurer und alles Mögliche gearbeitet.

    BHFI: Ich bin zutiefst beeindruckt, dass wir nach knapp drei Jahren so ein Interview führen können, wie gut Ihr beide die deutsche Sprache beherrscht.

    Adam: Als wir bei der Ausbildung anfingen, wir konnten nicht ein Wort. (Adam sagt das mit Nachdruck) Wenn man mich gefragt hat, einfache Dinge wie Essen und Trinken, ich wusste nicht, was ich antworten soll. Ich habe ganz viel auf der Baustelle gelernt mit Kollegen, und ich bin jetzt sehr zufrieden. Die Firma hat mir viel beigebracht, sie haben mich sehr gut behandelt.

    Wir sind im Juni 2015 nach Deutschland gekommen und haben am 1. November mit der Ausbildung angefangen. Ohne Sprachkurs, ohne alles. Die ersten Monate waren schwer, aber so viele Kollegen haben uns geholfen. Wir wollen nur lernen und arbeiten. Deswegen müssen wir verstehen, wie das hier funktioniert. Am Anfang haben wir überhaupt nicht verstanden, was Ausbildung ist, wie das Schulsystem geht. Also haben wir einfach angefangen, als die Leute kamen, wir haben uns einfach gemeldet, denn wir wollten überhaupt nicht nur zu Hause sitzen. Wir wollten Deutsch lernen und jetzt sind wir schon bald fertig mit der Ausbildung. 2019 kommt die Prüfung.

    BHFI: Gibt es noch etwas, was Ihr gerne erzählen würde, was ich nicht gefragt habe?

    Ehsan: Ich will erzählen, wie ich nach Deutschland gekommen bin. Ich hatte kein Geld, bin von der Türkei mit dem Boot nach Griechenland gekommen und dann bis nach Deutschland zu Fuß gelaufen. Ca. 20 Tage alleine im Wald, es gab zwar Wasser, aber 20 Tage ohne Essen. Ich war ungefähr sieben oder acht Tage alleine, dann habe ich zwei Kumpel gefunden, einer aus Ghana und einer aus dem Irak. Bis Serbien war ich ganz allein.

    Ich hatte einen Freund, der 20 Tage früher nach Deutschland gekommen war und ich hatte Kontakt mit ihm über whatsapp. Der hat mir die Kennzeichen des Weges gesagt, und dann bin ich an den Schienen entlanggelaufen. So habe ich Deutschland gefunden. Das war wirklich schwer, ich werde das nie im meinem Leben vergessen.

    Adam: Ich bin von Eritrea in den Sudan geflohen. Von meiner Stadt, in der ich wohnte, sind es 350 Kilometer bis zur Grenze. Die ersten Tage war ich alleine, unterwegs habe ich auch zwei andere Männer gefunden, bis wir angekommen waren. Ich habe anschließend vier Monate als Bäcker gearbeitet, keinen Platz gehabt zum Schlafen.

    Dann bin ich nach Libyen gezogen und mit einem kleinen Boot nach Italien übergesetzt. Das war sehr gefährlich. Wir waren ca. 280 Leute in einem Boot. Wir waren drei Boote. Einen ganzen Tag und eine Nacht gefahren, und dann Italien. Ich weiß es gar nicht mehr so ganz genau wieviel Tage, ich will nicht mehr so daran denken. Und dann nach Deutschland. Teilweise war es schwierig, aber wenn man sich für diesen Weg entscheidet, dann weiß man, dass es schwierig ist.

    BHFI: Wenn dies hier ein Life-Interview wäre, was würdet ihr anderen Geflüchteten sagen, was ihnen raten? Was ist gut, wie man hier vorankommt?

    Adam: Wenn man in einem fremden Land Erfolg haben will, muss man Geduld, Geduld, Geduld haben. Nicht aufhören immer weiter zu lernen und immer das Ziel vor Augen haben. Wenn Du hier bleiben willst, gucke auf Dein Ziel und gehe Schritt für Schritt. Die Sprache zu verstehen, das ist der Schlüssel von allem. Immer mit Geduld und Durchhalten.

    Ehsan: Am Anfang ist alles schwer. Aber wenn man ein Ziel hat, dann kann man kämpfen. Es ist keine gute Idee, nur herumzusitzen, sondern man muss kämpfen. Wir hatten sehr schwierige Tage am Anfang. Wir waren 16 Leute in einem Zimmer, alle arbeitslos, keiner wollte schlafen und das Licht ausmachen. Ich habe trotzdem weitergemacht und nicht aufgegeben. Und darüber bin ich dankbar und ich freue mich.

    Adam: Wir waren 15 Leute auf 40 qm Raum, das war zum Start unsere Situation im ersten Lehrjahr. Ich wurde gefragt: „Was machst Du, warum strengst Du Dich so an?“ Viele sagten: „Hör auf, Du musst Dich doch erst einmal ausruhen von der Flucht.“  Ich war der einzige der 15 Leute, der das nicht wollte. Das erste Lehrjahr war deshalb schwierig. Man muss kämpfen, so wie Ehsan sagt. Niemand schenkt Dir etwas, Du musst etwas dafür tun. Jetzt staunen viele Freunde und sagen: „Du hast es durchgehalten.“ Und mein Chef sagt: „Bleib dabei, lerne weiter, lerne weiter.“

    Ebrahim: Adam hat recht, man muss am Ziel festhalten. Wir sind ja alle drei Fußballer. Wenn man spielt, muss man auch Tore machen wollen. Die beiden sind voller Potenzial, die machen irgendwann einen Betrieb auf. Trotzdem gibt es auch Sachen, die mich nicht nur traurig, sondern auch wütend machen. Dass Menschen mit migrantischem Hintergrund, die hier geboren sind, die sich deutsch nennen, den beiden sagen: „Ihr könnt ja nicht richtig Deutsch.“ Ich habe Politik studiert, ich rede über Globalisierung, und die beiden leben das. Ich muss danke sagen zu Euch, dass Ihr das so schafft.

    Das Interview wurde von Rose-Marie Hoffmann-Riem (BHFI) geführt. Wer Interesse an einer Patenschaft hat oder wissen möchte, wie Tandems entstehen, kann sich an Rose-Marie Hoffmann-Riem unter paten@bhfi.de wenden.

    Hintergrundinformation

    Menschen, die hier kein dauerhaftes Bleiberecht erhalten, aber aus diversen Gründen nicht abgeschoben werden können, erhalten eine Duldung. Mit dem Inkrafttreten des Integrationsgesetzes am 6. August 2016 hat der Bundesgesetzgeber daher die Voraussetzungen geschaffen, diesen Menschen eine Perspektive zu vermitteln, wenn sie eine Ausbildung beginnen und anschließend in dem erlernten Beruf arbeiten. Sie heißt ‘3 + 2-Regelung’, weil sie einen gesicherten Aufenthalt für drei Jahre Ausbildung und die zwei folgenden Jahre als Angestellte*r sichern.

  • Wir schaffen das, Teil 2: Höhen, Tiefen, Neuanfänge

    Es schafft uns ganz schön, aber wir schaffen so einiges!

    Mai 2018. Viel ist passiert. Ich bin mit „meinen“ Jungs durch einige Höhen und Tiefen gegangen. Nachdem F. und B. im Sommer 2016 ihren Schulabschluss in der Tasche hatten, folgte ein Jahr mit Irren und Verwirren. F. ergatterte ein Platz in einer Stadtteilschule in der über 90% der Schüler einen Migrationshintergrund haben. Wir freuten uns. Das passt doch. Eine super Chance.

    Gedankenlos  – wie wir erfahren müssen, aber wer verschwendet in dem Moment einen Gedanken daran, dass Flüchtlinge, die gerade Deutsch lernen, Jugendsprache nicht verstehen? F. fragte mich hilflos: „Sie sagen immer Dicker, warum? Das ist nicht nett und sie sind nicht dick.“ Wie erkläre ich Jugendsprache mit ihrer ganz eigenen, kreativen Wortnutzung und oft extrem falschem Satzbau? Deutsche Erwachsene lachen darüber, F. erfuhr so erneut Ausgrenzung durch Sprache. Er nahm es mit Humor und scheinbar locker, aber Freunde fand er dort keine. Integration? Fehlanzeige.

    B. suchte einen Ausbildungsplatz, u.a. mit Hilfe der Arbeitsagentur. Machte Praktika. Brach sie ab. Wollte sich nicht als kostenlose Arbeitskraft ausnutzen lassen. Wollte nur den einen Beruf lernen und keine Kompromisse machen. Misserfolge, Rückschläge, Depressionen, Rückenschmerzen. Er schlief nicht mehr. Bekam viel Druck von seinem Vater in der Ferne, der Geld verlangte für die Medizin der Mutter. Viel Geld. Er arbeitete schwarz. Ich war sauer, weil er alle Hilfe bekam und doch keine Absprachen einhielt.

    „Irgendwann machte es Klick bei ihm“

    Es war ein unbefriedigendes Jahr. Für alle. Irgendwann machte es Klick bei ihm und er ergriff endlich die ausgestreckte Hand mit einem Ausbildungsplatz bei Bekannten von Bekannten im Baugewerbe. Seit Sommer 2017 arbeitet er dort und sie sind sehr zufrieden mit ihm. Er fühlt sich gut dort. Die Berufsschule klappt auch und er schläft wieder durch. Auch sein Aufenthalt ist geklärt: Abschiebeverbot, wie bei allen jungen Afghanen, die ich inzwischen kenne.

    F. schafft das Schuljahr, aber nicht die Prüfung. Ratlosigkeit bei mir, denn er hätte … wir hätten doch … Was? Und nun? Ich finde ein Praktikum für ihn bei einem Frisör bei mir um die Ecke. Nach einer Woche meinte dieser: F. könne bei ihm eine Ausbildung machen. Wow! Jippie! Und das macht er nun und ist sehr zufrieden dort. Ich besuche ihn regelmäßig im Salon, nur an meine Haare lasse ich ihn noch nicht …

    A., unser erster Kontakt mit einem Flüchtling, hatte sich schon 2016 von uns zurückgezogen, aber ich weiß über ihn, dass auch er eine Ausbildung macht und dort gut und gerne arbeitet.

    Ab September 2017 helfe ich einem 18jährigen Mädchen aus Ägypten mit ungeklärtem Status. Mit ihr, die fast ein Jahr ohne Betreuung sein wird, lerne ich alle Ämter kennen. Ich gehe mit ihr zur Erstaufnahme, warte trotz Termin, vier Stunden auf die Verlängerung ihrer Duldung, begleite sie zum Anwalt, ins BAMF und zu einem Termin bei „Children for tomorrow“, wo sie, wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, eine Psychotherapie macht. Seit einem knappen Jahr hat sie wieder eine offizielle Betreuerin.

    Intensive Phasen und Zeiten ohne Kontakt wechseln sich ab

    Ihre Geschichte bringt es mit sich, dass sie immer wieder abtaucht und wir monatelang keinen Kontakt haben. Bis sie dann plötzlich wieder von einer neuen Telefonnummer anruft und wir uns treffen, sprechen und lachen, als wäre nichts gewesen.

    Das ist eine meiner wichtigsten Erfahrungen: Intensive Phasen wechseln sich ab mit Zeiten, oft Wochen, ohne Kontakt. Und wenn ich denke, okay, jetzt sind sie „groß“ ohne mich, ploppt der Kontakt wieder auf und ich treffe sie wieder.

    So geht es mir auch mit M. aus Somalia, den ich ungefähr alle drei Monate, ins UKE begleite, wenn er wieder einen Kieferorthopäden-Termin hat und Verständigungshilfe braucht. Er traut sich oft nicht nachzufragen, wenn er etwas nicht versteht – wer kennt das nicht – und das ist nicht nur ein sprachliches Problem. Das Nachfragen übernehme ich dann für ihn.

    Das Mädchen und M. aus Somalia waren Schüler meiner Freundin, die in einer IVK (Internationale Vorbereitungs-Klasse) Deutsch und Englisch unterrichtete und mich um Hilfe bat. Deshalb konnten sie auch schon einigermaßen gut Deutsch. Meine Freundin engagierte sich selbst, weit über ihre Lehrtätigkeit hinaus, für ihre Schüler*innen und ich konnte ihre Bitten um Mithilfe schlecht ausschlagen.

    Nachdem es mit diesen  Jungs und Mädchen ruhiger geworden ist, wurde ich auf das Flüchtling-Magazin aufmerksam. Und da ich ganz am Anfang, 2015, eigentlich nur Mails schreiben wollte, dachte ich mir: schreiben kannste ja, also warum nicht auch im Tandem mit Flüchtlingen?

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