Schlagwort: Syrien

  • Neue Studie zur syrischen Diaspora: Zwischen Teilhabe, Konflikten und transnationaler Identität

    Syrer*innen stellen inzwischen die größte Gruppe eingebürgerter Bürger in Deutschland. Seit dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 sind Millionen Menschen aus Syrien geflohen. In Deutschland lebten Ende 2023 rund 973.000 Syrerinnen und Syrer; bis 2025 ist ihre Zahl auf etwa 975.000 gestiegen. Davon verfügen etwa 712.000 über einen anerkannten Flüchtlingsstatus oder subsidiären Schutz. Den stärksten Zustrom verzeichnete Deutschland im Jahr 2015, als über 320.000 syrische Geflüchtete einen Asylantrag stellten.

    Die Ende März 2025 veröffentlichte Studie der Soziologinnen Irene Tuzi und Lina Omran gibt erstmals Einblick in die Strukturen, Herausforderungen und Potenziale der syrischen Diaspora in Deutschland. Zwischen Dezember 2023 und Oktober 2024 untersuchten die Forscherinnen mehr als 200 zivilgesellschaftliche Initiativen in Deutschland, befragten zahlreiche Akteur*innen und analysierten politische wie soziale Dynamiken – noch vor dem Sturz des Assad-Regimes.

    Im Mittelpunkt der Studie steht das zivilgesellschaftliche Engagement syrischer Migrant*innen. Im Laufe der Jahre haben Syrer über 200 Initiativen in ganz Deutschland gegründet – die meisten davon in Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Ab 2023 waren 74 % dieser Initiativen relativ klein, mit weniger als 20 Mitgliedern. Etwa 20 % waren mittelgroß und die restlichen 16 % wurden als große Initiativen eingestuft, die jeweils mehr als 50 Mitglieder und Freiwillige hatten. Diese Diaspora-Initiativen erfüllen drei entscheidende Funktionen: Sie unterstützen die Integration in Deutschland, sie leisten humanitäre Hilfe in Syrien und vernetzen über Grenzen hinaus. Sie sind oft die erste Anlaufstelle für neue Geflüchtete, bieten Sprachkurse, psychologische Beratung, Rechtsbeistand oder Bildungsprogramme an und helfen bei der Orientierung im deutschen System.

     

    Vielfalt und soziale Ungleichheit schaffen Spannungsfelder

    Die Studie gibt die große Vielfalt innerhalb der syrischen Diaspora – und die Spannungen, die daraus entstehen, zu erkennen. Eine der markantesten Bruchlinien verläuft zwischen denjenigen, die vor der Revolution 2011 nach Deutschland kamen, und denjenigen, die danach flohen. Erstere verfügen häufig über eine stabilere Lebenssituation, längere Aufenthaltserfahrung und sind oft konservativer geprägt. Letztere sind in vielen Fällen aktivistisch sozialisiert, politisch engagiert und stärker auf systemischen Wandel ausgerichtet. Das führt innerhalb der Gemeinschaft nicht selten zu Konflikten über Prioritäten, Vorgehensweisen und politische Haltungen.

    Auch soziale Klassenunterschiede prägen das Bild: Während Angehörige der Mittel- und Oberschicht mit Bildung, Berufserfahrung und Sprachkompetenz häufiger Führungsrollen in Initiativen übernehmen, bleiben viele Menschen aus der Arbeiterklasse auf unterstützende Tätigkeiten beschränkt. Sie haben oft schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, weniger Zugang zu Netzwerken und sehen sich häufiger Diskriminierung ausgesetzt.

    Ein wichtiges Anliegen vieler Initiativen ist die Förderung der Gleichstellung. Programme zur Stärkung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Frauen, Trainings zu politischer Teilhabe und Angebote zur Selbstorganisation gehören inzwischen zum festen Repertoire zahlreicher Organisationen. Und dennoch bleibt die Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen begrenzt – strukturelle Hürden bestehen fort. Einige Initiativen arbeiten gezielt auch mit LGBTQ+-Personen und anderen marginalisierten Gruppen zusammen – ein Zeichen für die wachsende Pluralität innerhalb der syrischen Diaspora.

     

    Integrationserfolge und ihre Grenzen

    Trotz vieler Hürden gelingt die Integration in Teilen aber erstaunlich gut. 2023 erhielten 75.500 Syrer*innen die deutsche Staatsbürgerschaft – mehr als jede andere Nationalität und im Durchschnitt bereits nach 6,8 Jahren Aufenthalt. Viele sind berufstätig, absolvieren Ausbildungen oder gründen Unternehmen. Doch besonders Personen mit subsidiärem Schutz oder Duldung leben weiterhin in rechtlicher Unsicherheit, was langfristige Perspektiven erschwert. Gleichzeitig berichten viele der Interviewten, dass sie sich zwar rechtlich sicherer fühlten als noch vor wenigen Jahren, sich aber weiterhin nicht vollständig als Teil der deutschen Gesellschaft anerkannt sähen. Der Alltag sei oft geprägt von einem Spannungsfeld zwischen Integration und Ausgrenzung, Zugehörigkeit und Fremdzuschreibung.

     

    Herausforderungen und eine transnationale Identität

    Die Studie dokumentiert auch die Veränderung im politischen Klima. Nach einem Höhepunkt des Engagements im Jahr 2016 – ausgelöst durch die damalige Willkommenskultur – ist die Zahl neu gegründeter Initiativen in den letzten Jahren rückläufig. Gründe dafür sind Finanzierungsengpässe, eine zunehmend migrationskritische Öffentlichkeit und interne politische Spannungen. Dennoch birgt die junge syrische Diaspora enormes Potenzial. Soziale Medien spielen eine entscheidende Rolle für politische Mobilisierung und kulturelle Selbstverortung. Plattformen wie Instagram, YouTube und TikTok sind längst zu Räumen für politische Artikulation, kulturellen Ausdruck und transnationale Vernetzung geworden – insbesondere für die jüngere Generation.

    Die Studie zeigt, dass die syrische Diaspora in Deutschland kein Zwischenzustand ist, sondern eine eigenständige gesellschaftliche Realität. Syrer*innen in Deutschland würden nicht einfach auf eine Rückkehr warten, noch strebten sie eine vollständige Assimilation an. Vielmehr entstünde eine transnationale Identität, die Aufnahmeland und Herkunftsland bereichern könnte.

    Gerade jetzt, nach dem Sturz des Assad-Regimes, stellt sich die Frage: Wie wird sich die syrische Diaspora positionieren? Wird sie sich verstärkt in den Wiederaufbau Syriens einbringen – und wenn ja, aus der Ferne oder durch Rückkehr? Oder wird sie ihren Fokus stärker auf den Aufbau eines stabilen Lebens in Deutschland legen?

    Klar ist: Wie syrische Deutsche auf den Wandel in Syrien reagieren, wird nicht nur die Zukunft ihrer Heimat beeinflussen – sondern auch die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland entscheidend mitprägen.

  • „Wir wollen eine Brücke zwischen Syrien und Deutschland sein“ – wie der Verein Syrische Gemeinde Deutschland verbindet

    Im Herzen Frankfurts stellte sich am vergangenen Samstag die neu gegründete Syrische Gemeinde Deutschland vor. Was zunächst wie eine weitere Diaspora-Initiative wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ambitioniertes Projekt mit humanitärer, gesellschaftlicher und politischer Tragweite – initiiert von einer Generation mit zwei Heimaten.

    „Wir wollten keine Parallelstruktur, sondern eine Brücke – zwischen dem Mutterland Syrien und dem Vaterland Deutschland, zwischen Herkunft und Ankunft, zwischen Schmerz und Hoffnung“, sagt Mitgründer Dr. Abdulhamid Al Jasem. Der Psychiater lebt seit 35 Jahren in Hessen und sieht die Gründung als Antwort auf ein wachsendes Bedürfnis: der größten syrischen Diaspora Europas eine koordinierte, strukturierte Stimme zu geben.

    Seit der offiziellen Gründung im Januar engagieren sich Dutzende Akademiker*innen, Handwerker*innen, Studierende und Mediziner*innen syrischer Herkunft. Ihr Ziel: verbinden statt spalten, vermitteln statt polarisieren. „Wir machen keine Politik – wir bringen Menschen, Kulturen und Länder zusammen“, so Al Jasem.

    Dass ihr Engagement Gehör findet, zeigt sich auch politisch: In den vergangenen Monaten kam es zu mehreren Gesprächen mit dem Auswärtigen Amt – sogar mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Im Fokus: die humanitären Folgen der EU-Sanktionen gegen Syrien. Al Jasem kritisiert: „Diese Sanktionen beruhen auf überholten Grundlagen – und dürfen nicht länger stillschweigend hingenommen werden.“

    Der Psychiater und Mitgründer Dr. Abdulhamid Al Jasem spricht in der Konferenz über die Zukunft Syriens.

    Initiative „Shifa“ – eine helfende Hand für Kranke

    Besonders eindrucksvoll ist das medizinische Engagement des Vereins. Die Kampagne „Shifa“ (auf Deutsch: Heilung) mobilisierte mehr als 100 Ärzte*innen aus Deutschland, die sich ehrenamtlich für eine kostenlose medizinische Versorgung in Syrien engagierten – trotz logistischer und rechtlicher Hürden.

    Möglich wurde das Projekt durch die enge Zusammenarbeit mit der deutschen Hilfsorganisation Malteser International, mit der syrischen Organisationen in Deutschland sowie mit lokalen Strukturen des syrischen Gesundheitswesens. Trotz massiver Hürden durch Sanktionen – etwa beim Kauf von Ausrüstung oder der Überweisung von Geldern – konnten Tausende Menschen versorgt werden, vor allem in ländlichen Regionen.

    „Wir haben komplexe Operationen durchgeführt, darunter die Entfernung von Hirntumoren“, berichtet Al Jasem. Die größte Herausforderung: Stromausfälle während der Operationen. Ein Problem, das der Verein auch deutschen Politiker*innen geschildert hat – denn Sanktionen gegen den syrischen Energiesektor behindern solche lebensrettenden Einsätze massiv.

    Projekte für den Wiederaufbau

    Neben humanitärer Hilfe plant der Verein wirtschaftliche Kooperationen – etwa im Energiesektor in Zusammenarbeit mit Unternehmen wie Siemens. Sie wollen nachhaltige Investitionen möglich machen. „Wir suchen nicht nach politischer Partnerschaft zwischen Syrien und Deutschland, sondern nach Inverstoren mit Verantwortung und nach Mehrwert für beide Seiten“, erklärt Al Jasem.

    Ein besonders zukunftsweisendes Projekt widmet sich dem Thema Recht und Gerechtigkeit. Gemeinsam mit deutschen und syrischen Jurist*innen sowie Menschenrechtsorganisationen entwickelt die syrische Gemeinschaft Ideen für eine funktionierende Übergangsjustiz. Die Vision: Aus den Erfahrungen Europas lernen, um einen gerechten Weg für Aufarbeitung und Versöhnung in Syrien zu gestalten.

    Parallel dazu entsteht derzeit eine digitale Datenbank syrischer Fachkräfte in Deutschland mit dem Ziel, ihr Wissen gezielt in den Wiederaufbau Syriens einzubringen: in Medizin, Bildung, Technik und Verwaltung.

    Zum Abschluss richtet Dr. Al Jasem zwei Appelle an die Regierungen beider Länder. An Damaskus: „Wir reichen die Hand, die Möglichkeiten und alles, was wir haben. Wir haben das Wissen und die Energie, um Syrien zu helfen. Nutzt die Kräfte in Deutschland für den Wiederaufbau“.

    Und an Berlin: „Seht die Syrer*innen nicht als Opfer. Wir sind Partner. Investitiert in Syrien und investiert in Stabilität und eine gemeinsame Zukunft“.

  • Yazan will promovieren, stattdessen droht ihm die Abschiebung

    Als der junge Syrer Yazan Hajikanama vor acht Monaten in Deutschland ankam, trug er nur wenig Gepäck bei sich – dafür aber viel Hoffnung. Hoffnung auf einen Neuanfang, Frieden – darauf, das fortzusetzen, was in seiner Heimat durch Krieg und politische Unsicherheit unmöglich wurde: eine akademische Laufbahn einschlagen.

    Nach einen Studium der Wirtschaftsinformatik zog es ihn für seinen Master in „Technology and Public Policy“ nach Turin. Dahinter stand der Traum: mitzuprägen, wie Politik und Technologie ineinandergreifen – besonders in Konfliktländern und wo Menschen übersehen werden.

    In Deutschland will Yazan promovieren. Er schrieb Professor*innen, stellte Forschungsprojekte vor, erhielt erste interessierte Rückmeldungen. Gleichzeitig begann er, Deutsch zu lernen, besuchte Integrationskurse, baute Kontakte auf. Er will nicht nur Schutz suchen, sondern Teil dieses Landes sein. Doch dann kam der Brief. Ein weißer Umschlag, amtlich: der Abschiebungsbescheid. „Ich war wie gelähmt“, erinnert sich Yazan. „In dem Moment dachte ich: Vielleicht darf ich doch nicht bleiben. Vielleicht spielt es keine Rolle, was ich kann“.

    Ein Leben zwischen Hoffnung und Angst

    Seitdem lebt Yazan in einem Zustand, der schwer auszuhalten ist: Zwischen dem Wunsch, eine Zukunft aufzubauen – und der Angst, sie jederzeit zu verlieren. Sein Asylantrag wurde in der ersten Instanz abgelehnt. Gemeinsam mit seinem Anwalt wehrt er sich juristisch gegen die Abschiebung – es ist ein Wettlauf gegen die Zeit und gegen das Gefühl, nicht gesehen zu werden. Er fühlt sich missverstanden: „Ich bin nicht hier, um zu nehmen. Ich bin hier, weil ich etwas anbieten will. Ich habe Ideen, Energie und eine Vision. Alles, was ich brauche, ist die Chance, sie einzubringen“, sagt Yazan.

    Yazan erzählt ruhig, aber seine Worte tragen Gewicht. Er will niemandem etwas beweisen – nur zeigen, dass sein Leben mehr als ein Dossier in einer Akte ist. „Integration bedeutet für mich nicht nur, die Sprache zu lernen. Es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Für sich selbst, für die Gesellschaft“, so Yazan.

    In wenigen Monaten hat er mehr geschafft als viele in Jahren: Deutsch lernen, Netzwerke knüpfen, akademisch Fuß fassen, juristisch kämpfen. Doch all das scheint oft nicht genug. Warum?

    Yazans Appell: „Geben Sie mir eine Chance“

    Yazans Geschichte ist kein Einzelfall – aber sie zeigt, wie sehr geflüchtete Menschen an Grenzen stoßen. Selbst dann, wenn sie alles richtig machen. Mit einem großen Traum kam der junge Syrer nach Deutschland: Die digitale Zukunft gerecht gestalten – besonders für jene, die am Rand der Gesellschaft stehen.

    Was bleibt, ist sein Appell – an Behörden, an die Gesellschaft, an alle, die zuhören wollen; „Ich bin bereit zu arbeiten, zu forschen und mich einzubringen. Ich brauche nur die Möglichkeit, zu bleiben. Geben Sie mir die Chance. Ich will zeigen, dass meine Geschichte nicht nur Fluchtgeschichte ist, sondern Strebsamkeit-Geschichte“, so der Akademiker Yazan Hajikanama.

     

  • Bitcoin als neues Zahlungsmittel in Syrien? – Shady Zitoun im Interview

    Shady, erzähle uns etwas über dich, was machst du?

    Ich bin Shady Zitoun, 36 Jahre alt, komme aus Damaskus und bin 2014 nach Deutschland geflohen. Derzeit lebe ich in Bad Homburg. Seit 2016 arbeite ich im Technologie- und Automatisierungsbereich. Im Oktober letzten Jahres habe ich meine eigene Firma „BitKnz“ gegründet.


    Wie war es für dich, nach Deutschland zu kommen?

    Zuerst floh ich in die Türkei wegen Visumproblemen. Dort fand ich aber keine Perspektive und entschloss, nach Europa zu gehen. Nach mehreren Versuchen, mit Schleppern und gefälschter ID, sowohl über Land als auch See, gelang es mir schließlich, nach Deutschland zu kommen. Im Juli 2014 kam ich in einem Asylbewerberheim in Eisenhüttenstadt in Brandenburg unter, wo ich die darauffolgenden Monate verbrachte.


    Und wie war es für dich in Deutschland anzukommen?

    Zuerst kam ich in Prenzlau an, einer kleinen Stadt, etwa 110 km von Berlin entfernt. Obwohl es dort keine Sprachschule oder Arbeitsmöglichkeiten für Geflüchtete gab, hatte ich großes Glück, viele Menschen kennenzulernen. Ich nutzte die Zeit, um Deutsch zu lernen und legte nach etwa sieben Monaten ein B1-Zertifikat ab – noch bevor ich meine Aufenthaltsgenehmigung erhielt. Die Zeit in Prenzlau war sehr hilfreich, um die deutsche Gesellschaft besser zu verstehen.


    Was war der nächste Schritt für dich?

    Im Mai 2015 erhielt ich meine Aufenthaltsgenehmigung und begann wenig später ehrenamtlich beim Deutschen Roten Kreuz zu arbeiten, was zu einer Festanstellung führte. Da meine Brüder in der Zwischenzeit als Minderjährige bei einer Familie in Hessen untergebracht wurden, suchte ich gezielt dort nach Arbeit und fand im März 2016 glücklicherweise eine Stelle bei Finastra, einem Finanztechnologieunternehmen in Frankfurt. Ich arbeitete bis 2023 bei Finastra und danach in Barcelona bei Big Panda, bevor ich 2024 nach Deutschland zurückkehrte, um meine Firma BitKnz im Bereich Finanz-IT zu gründen.


    Warum hast du nicht direkt gegründet?

    Eine Festanstellung gab mir Sicherheit und Erfahrung. Für die Selbstständigkeit fehlten mir anfangs Netzwerk und Know-how. In Syrien gründete ich bereits meine erste eigene Firma im dritten Jahr meines Studiums, spezialisiert auf Websiteentwicklung. Das Geschäft lief gut für etwa zwei Jahre, bis der Krieg begann, der uns leider daran hinderte, weiterhin zu wachsen. Seitdem hatte ich immer den Wunsch, wieder eine eigene Firma zu gründen, doch ich musste auf den richtigen Zeitpunkt warten, um nicht zu viel zu riskieren.


    Woran arbeitest du gerade?

    In Deutschland arbeiten wir an Projekten zur Automatisierung und KI-Integration, vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen im Softwarebereich. Für Syrien haben wir ein besonderes Finanztechnologie-Projekt gestartet. Wie du weißt, war es lange Zeit kaum möglich, legal Geld ins Land zu überweisen – viele Syrer:innen im Ausland mussten auf inoffizielle Wege zurückgreifen. Das bremste die wirtschaftliche Entwicklung stark. Seit kurzem sind wieder kleinere Überweisungen erlaubt, aber nur mit vielen Einschränkungen. Deshalb wollten wir mithilfe von Blockchain und Bitcoin eine neue, offene Lösung schaffen, die sichere und effiziente digitale Transaktionen ermöglicht.


    Mit Western Union ist es möglich Geld nach Syrien zu überweisen, aber die Gebühren sind sehr hoch – oft zwischen 20 und 30 % des Betrags. Das ist eines der größten Probleme für viele Syrer*innen im Exil. Warum ist Bitcoin in diesem Zusammenhang interessant?

    Western Union hat lange Zeit gar keine oder nur stark eingeschränkte Überweisungen nach Syrien erlaubt. Bitcoin bietet uns eine neue Möglichkeit, Geld grenzüberschreitend zu transferieren. Früher waren solche Transaktionen nur über Banken möglich. Bitcoin ermöglicht es, kleinere Beträge schnell, anonym und mit deutlich geringeren Gebühren zu überweisen – oft in wenigen Minuten. Mit neuen Technologien wie dem Lightning-Netzwerk sind sogar Transaktionen in Sekunden möglich. Im Vergleich zu mehreren Tagen bei Banken oder Gebühren von bis zu 20 % bei klassischen Anbietern ist das ein revolutionärer Ansatz. Gerade für Syrien, dessen Bankensystem veraltet und durch Sanktionen eingeschränkt ist, bietet Bitcoin eine praktikable Lösung für globale Finanztransaktionen.


    Was unterscheidet euch von Western Union?

    Unsere Gebühren sind deutlich niedriger – maximal 4 %. Und das Geld liegt direkt im Wallet der Nutzer:innen, nicht bei uns.


    Diese Lösung birgt gewisse Risiken und setzt Strom sowie Internet voraus. Zudem müssten Empfänger*innen in Syrien ihr Geld in einem Büro abholen, da viele auf Bargeld in syrischen Lira angewiesen sind. Wie wollt ihr dieses Problem lösen?

    Natürlich sind die Menschen daran gewöhnt, in Bargeld zu zahlen – das habe ich bei meinen letzten beiden Besuchen in Syrien selbst erlebt. Trotzdem glauben wir, dass die syrische Bevölkerung, die schon immer ein Vorreiter in Sachen Technik war, auch das Potenzial von Bitcoin erkennen wird. In Ländern wie El Salvador sehen wir bereits, wie durch Bitcoin wirtschaftliche Entwicklungen und effizientere Finanztransaktionen möglich wurden. Sobald die nötigen Voraussetzungen gegeben sind, wird auch die syrische Bevölkerung diese Technologie nutzen. Natürlich bringt Bitcoin – wie jedes Finanzprodukt – auch gewisse Risiken mit sich.


    Das bedeutet, ich eröffne ein Konto bei euch und kaufe Bitcoin. Anschließend überweise ich den Betrag an meine Verwandten in Syrien, die ebenfalls ein Konto in eurer App haben und den Bitcoin auf ihrem Account empfangen. Wie wird dieses Geld dann in Bargeld umgewandelt?

    Wir haben zwei Lösungen entwickelt und arbeiten mit einem großen Partner innerhalb Syriens zusammen. Wir sind momentan in Gesprächen mit verschiedenen Banken, die auch diese Technologie implementieren wollen. Über diese Banken könnten wir das Geld, das in syrischer Lira ausgezahlt werden soll, direkt auf ein Bankkonto oder an ein nahegelegenes Überweisungsbüro transferieren. Da schätzungsweise 80 % der Nutzer*innen in Syrien kein Bankkonto haben, sind solche Bargeldlösungen über lokale Partner besonders in der Anfangsphase sehr hilfreich.


    Wenn ich einen Bitcoin  kaufe und der Kurs fällt – verliere ich dann Geld?

    Nein, nicht wenn das Geld in unserem Wallet nur für Überweisungen genutzt wird – dann garantieren wir den ursprünglichen Wert. Das Risiko übernehmen wir. Wer mit Bitcoin spekulieren möchte, kann das tun – aber dann trägt er das Kursrisiko selbst.


    Warum bietet ihr diese Absicherung?

    Wir wollen den Umgang mit Bitcoin erleichtern. Außerdem zeigen die letzten Jahre, dass Bitcoin langfristig wächst – das Risiko nehmen wir bewusst in Kauf.


    Können Nutzer:innen mit eurer App auch Bitcoin kaufen?

    Noch nicht. Der Kauf muss über lizenzierte Plattformen außerhalb Syriens erfolgen, aber man kann Bitcoin an unser Wallet übertragen.


    Welche Lösung habt ihr für den Schwarzmarkt, auf dem der Dollar deutlich teurer ist als der offizielle Wechselkurs der Zentralbank?

    Wir arbeiten mit der Zentralbank zusammen, um die syrische Lira als Auszahlungsmöglichkeit anzubieten. Der Unterschied zwischen dem Schwarzmarkt und dem offiziellen Kurs liegt leider außerhalb unserer Kontrolle, aber wir warten auf eine Rückmeldung der Zentralbank, um eine Lösung zu finden. Wir hoffen, dass sich der Markt bald beruhigt und die Schwarzmarktpreise sich wieder an den offiziellen Kurs anpassen. Die derzeitige Situation ist unnatürlich und kann nicht lange so bleiben.


    Wie kommuniziert ihr das mit der Zentralbank? Gibt es Gesetze in Syrien, die solche Transaktionen erlauben?

    In Syrien gibt es noch keine klaren Regelungen für Krypto und Bitcoin, aber wir arbeiten eng mit der Zentralbank zusammen. Wir haben unsere Pläne bereits vorgestellt und hoffen, in den kommenden Wochen eine Lizenz zu erhalten.


    Habt ihr auch der neuen Regierung eure Pläne präsentiert? Wie steht sie zu Bitcoin?

    Ja, wir haben mit verschiedenen Unternehmen und führenden Persönlichkeiten gesprochen, die Bitcoin als zweite Währung in Syrien einführen wollen. Die Zentralbank ist offen für neue Technologien, aber aufgrund des veralteten Bankensystems wird die Umsetzung noch fünf bis zehn Jahre dauern. Die Bank möchte selbstverständlich gewährleisten, dass alles korrekt umgesetzt wird, was auch gut ist. Allerdings bedeutet das auch, dass wir mehr Zeit benötigen, um unsere Lizenzen zu erhalten und unser Produkt zu finalisieren.


    Wird man irgendwann auch Dollar oder Euro in Syrien erhalten?

    Noch ist das schwierig. Unser Ziel ist es, langfristig Bitcoin als digitales Zahlungsmittel im Land zu etablieren, um weniger auf Bargeld angewiesen zu sein.


    Wie wollt ihr das Vertrauen der Menschen gewinnen?

    Vertrauen entsteht durch Taten und die Einhaltung von Versprechen. Wir bieten unseren Kunden in Syrien eine sichere, neue Art von Überweisungen mit Bitcoin und setzen auf Transparenz, um ihnen zu zeigen, wie diese Technologie funktioniert. Dafür haben wir ein Aufklärungsmodul in unserer App integriert, das eine einfache und klare Nutzung ermöglicht.


    Was wünschst du dir für die Zukunft?

    Wir suchen Unterstützer*innen sowohl innerhalb als auch außerhalb Syriens, um diese revolutionäre Überweisungsmethode weiter zu verbreiten und die Menschen darüber zu informieren. Wir hoffen, dass uns die Regierung in den kommenden Wochen die Zulassung erteilt, damit wir unsere Dienstleistungen so schnell wie möglich in Syrien anbieten können – ohne Probleme und ohne Sanktionen. Wir hoffen, dass sich die Situation schnell ändert, denn das syrische Volk hat sehr gelitten, und es ist an der Zeit, dass die Syrer*innen ihr Land wieder aufbauen.

  • Wie eine Diskussionsrunde Politik und die syrische Community zusammenbringt

    Es war ein vielfältiger Abend: Bei einem Treffen, das von Autor und Aktivist Moutasm Alyounes und Mohammad Safwat Raslan, organisiert wurde, diskutierten politische Vertreter und Mitglieder der syrischen Community über Migration, Integration und Außenpolitik. Denn seit mehr als einem Jahrzehnt leben viele Syrer*innen in Deutschland, einige mit der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr, andere mit dem Wunsch nach einer langfristigen Perspektive in ihrer neuen Heimat. Doch wie kann die syrischen Menschen in den politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau ihres Landes eingebunden werden?

    Für Stephan Neumann, Bundestagskandidat der Grünen für den Essener Süden, ist klar: Die Debatte um Abschiebungen müsse einem konstruktiven Dialog weichen. Viel wichtiger sei es, darüber zu sprechen, wie Syrien wieder eine lebenswerte Zukunft für seine Menschen bieten könne. Deutschland und Europa hätten eine Verantwortung, den Wiederaufbau aktiv zu unterstützen.

    Neumann erinnerte daran, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls von internationaler Hilfe profitierte. Ein vergleichbares Engagement müsse auch für Syrien möglich sein. Besonders betonte er die Rolle der syrischen Community. Menschen, die in Europa oder Amerika gelebt haben, könnten eine entscheidende Rolle spielen, um eine demokratische und stabile Gesellschaft aufzubauen. Gleichzeitig müsse Deutschland dafür sorgen, dass Menschen mit Migrationsgeschichte gleichberechtigt am politischen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.

    Integration als gesellschaftliche Verantwortung

     Während Neumann den Fokus auf den Wiederaufbau Syriens legte, hob Dirk Kalweit ( CDU) die Bedeutung der Integration in Deutschland hervor. Eine echte Gemeinschaft könne nur entstehen, wenn Menschen sich nicht in getrennten Gruppen bewegten, sondern den Austausch suchten, sei es in Vereinen, Bildungseinrichtungen oder politischen Initiativen.

    Kalweit stellte klar, dass Integration nicht nur eine Frage von Sprache oder Arbeit sei. Es gehe darum, langfristige Perspektiven zu schaffen. Wer in Deutschland eine dauerhafte Bleibeperspektive habe, müsse sich nicht nur sicher fühlen, sondern auch die Möglichkeit bekommen, aktiv an der Gesellschaft teilzuhaben. Gleichzeitig betonte er, dass es keine generelle Strategie zur Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft gebe, dies geschehe nur in extremen Fällen, etwa bei schweren Straftaten oder terroristischen Aktivitäten.

    Die Forderungen der syrischen Community

     Neben den politischen Stimmen kamen auch die Organisatoren selbst zu Wort. Mohammad Safwat Raslan machte deutlich, dass sich viele Syrer*innen in Deutschland längst als Teil der Gesellschaft verstehen, doch oft fehle es noch an echter Gleichberechtigung. „Wir sind keine Deutschen zweiter Klasse“, stellte er klar und forderte eine Politik, die Menschen mit Migrationsgeschichte nicht nur duldet, sondern aktiv einbindet.

    Besonders kritisch sieht Raslan die aktuellen Sanktionen gegen Syrien. Diese erschwerten nicht nur wirtschaftliche Entwicklungen, sondern auch humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau. Sein Appell an die Politik lautete daher: Deutschland müsse sich nicht nur finanziell, sondern auch strukturell für eine stabile Zukunft Syriens einsetzen.

    Moutasem Alyounes, Autor und Mitveranstalter, richtete seinen Blick auf die Werte des Grundgesetzes. Nach zehn Jahren in Deutschland sei die syrische Community längst ein fester Bestandteil der Gesellschaft. „Wir sind nicht mehr auf der Flucht. Wir sind hier, um die Gesellschaft aktiv mitzugestalten“, betonte er. Es sei essenziell, dass die Politik den Dialog mit allen Teilen der Gesellschaft führe und dabei stets die Grundwerte der Verfassung wahre.

    Ein Abend, der nachhallt

     Die Veranstaltung im Unperfekthaus Essen zeigte eindrucksvoll, wie eng die Zukunft Syriens mit der Integration syrischer Menschen in Deutschland verknüpft ist. Während Stephan Neumann für eine stärkere internationale Unterstützung des Wiederaufbaus plädierte, setzte Dirk Kalweit auf mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. Die syrischen Vertreter*innen wiederum machten deutlich, dass sie längst nicht mehr nur Schutzsuchende sind, sondern aktive Mitgestalter der Gesellschaft.

    Musikalisch untermalt wurde der Abend von Mohammad Khaled und der Ugarit Band, deren traditionelle Klänge eine emotionale Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schlugen. Sie erinnerten daran, dass Kultur und Identität nicht verloren gehen, sondern auch im Exil weiterleben.

  • „Unser gemeinsames Ziel sind Demokratie, Menschenrechte und Freiheit“

    Alaa Muhrez stammt aus der Stadt Homs in Syrien und lebt seit 2015 in Deutschland. Seit 2018 ist sie als Buchhalterin bei einem Rechtsanwalt und Steuerberater tätig und engagiert sich seit Jahren dafür, dass verschleierte Frauen bessere Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt erhalten. Neben ihrer Ausbildung zur Kulturvermittlerin hat sie in Ägypten als Mathematiklehrerin gearbeitet und schreibt gerne über Gedanken – etwas, das sie von ihrem Vater übernommen hat.

    Als die Nachricht vom Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember verkündet wurde, erlebte Alaa eine große Flut an Emotionen. „Ich lag im Bett und konnte nicht schlafen“, erzählt sie, „es waren sehr angespannte und schwierige Stunden, eine Mischung aus Angst, Freude und Hoffnung.“ Die plötzliche Wendung der Ereignisse war für viele Syrer*innen überraschend. „Ich dachte, ich wäre im Traum. Es war schwer zu realisieren, dass das jetzt wirklich passiert“, ergänzt sie.

    Mit etwas zeitlichen Abstand betrachtet Alaa die Situation nun reflektierter: „Ich plane, in den nächsten zwei bis drei Monaten nach Syrien zu reisen. Unsere größte Angst war, dass nach Assads Sturz ein neuer Krieg zwischen den verschiedenen Gruppen ausbrechen könnte. Doch das ist nicht passiert, und ich bin überzeugt, dass wir das Schlimmste überstanden haben.“

    Homs: Eine Stadt der Vielfalt und Herausforderungen

    Alaa stammt aus Homs, einer Stadt, die durch ihre ethnische und religiöse Vielfalt geprägt ist. „Die Lage dort ist komplex“, erklärt sie. „Viele Menschen sind misstrauisch gegenüber ehemaligen Assad-Loyalisten, und es fehlt an Solidarität. Doch die Zukunft wird zeigen, ob diese Wunden heilen können.“

    Ihre Reise nach Syrien ist vor allem von einem persönlichen Wunsch geprägt: „Ich habe meine Familie seit 14 Jahren nicht gesehen. Ich möchte wissen und fühlen, was es bedeutet, wieder zu einer großen Familie zu gehören.“ Besonders das Zuckerfest möchte sie mit ihren Liebsten feiern.

    Das Kopftuch und die Debatte um Selbstbestimmung

    Ein weiteres Thema, das Alaa am Herzen liegt, ist die Diskussion um das Kopftuch. In Syrien gibt es derzeit Kampagnen, die Frauen entweder zum Tragen des Kopftuchs ermutigen oder sie davon abhalten wollen. Alaa kritisiert beide Ansätze: „Jede Frau sollte das Recht haben, selbst zu entscheiden. Ob in Saudi-Arabien, wo Frauen gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen, oder in Deutschland, wo verschleierte Frauen in manchen Berufen diskriminiert werden – beide Extreme sind problematisch.“

    Persönlich hat sie nie daran gedacht, ihr Kopftuch für den Beruf abzulegen, obwohl sie sich der Herausforderungen bewusst ist: „Es gibt genug Statistiken, die zeigen, dass sichtbar muslimische Frauen bei Vorstellungsgesprächen oft benachteiligt werden. Aber für mich ist es eine Frage der Identität.“

    Aufklärungsarbeit und Einheit in der syrischen Diaspora

    Alaa nutzt insbesondere soziale Medien, um über Syrien aufzuklären. „Früher habe ich mich viel mit Frauenrechten und dem Kopftuch beschäftigt, aber jetzt konzentriere ich mich darauf, die Spaltungen in der syrischen Gesellschaft zu überwinden. Al-Assad hat Jahrzehnte damit verbracht, verschiedene Gruppen gegeneinander aufzuhetzen. Ich versuche, durch Aufklärungsarbeit Brücken zwischen diesen Gruppen zu bauen. Auch wenn ich nur 1 % der Menschen erreiche, ist das ein Erfolg.“

    Ihre Arbeit, die seit Jahren leistet, erfährt starke positive Resonanz. „Die Leute teilen begeistert ihre Meinungen und Erfahrungen. Das zeigt mir, dass es ein Bedürfnis nach Dialog gibt“, sagt sie. Auf die Frage, wie Exil-Syrer*innen zur Einheit beitragen können, betont Alaa die Bedeutung von Gesprächen: „Viele wissen nichts über die kurdische Kultur, was zu falschen Annahmen führt. Wir müssen mehr über diese Themen sprechen und gegenseitiges Verständnis fördern.“

    Zum Abschluss sendet Alaa noch eine Botschaft an alle Syrer*innen: „Seid offen und geduldig. Gebt einander eine neue Chance. Und an die Syrer in Deutschland: Nutzt euer Wahlrecht! Wir spielen eine wichtige Rolle in diesem Land. Unser gemeinsames Ziel sind Demokratie, Menschenrechte und Freiheit.“

  • Eine neue Armee in Syrien

    Nach monatelangen Verhandlungen und zahlreichen diplomatischen Begegnungen zeichnet sich in Syrien eine vielschichtige Dynamik ab. Offiziellen Angaben zufolge signalisiert die „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (QSD) eine grundsätzliche Bereitschaft, sich der neuen syrischen Armee anzuschließen, die im Anschluss an den Sturz des abgesetzten Präsidenten Baschar al-Assad gegründet werden soll. Gleichzeitig sind zahlreiche außenpolitische und militärische Akteure – von regionalen Mächten bis hin zu NATO-Partnern – in den Diskurs über die Zukunft Syriens involviert.

    QSD-Anführer Mazlum Abdi betonte in einem Interview mit AFP, dass im Rahmen der laufenden Verhandlungen mit der neuen Verwaltung in Damaskus eine Vereinbarung erzielt wurde, die sich konsequent gegen jegliche Teilungsprojekte richtet. In einer schriftlichen Stellungnahme, die vom französischen Sender France 24 übernommen wurde, erklärte Abdi: „Wir sind uns einig – wir stehen für die Einheit und Integrität des syrischen Territoriums ein und lehnen jede Initiative ab, die die Einheit des Landes gefährden könnte.“

    Am 20. Dezember zeigte sich Abdi in der britischen Zeitung The Times unmissverständlich: Seine rund 100.000 Kämpfer seien bereit, sich aufzulösen, um in die neue syrische Armee integriert zu werden. Diese Schritte seien Teil eines größeren Prozesses, in dem sämtliche bewaffnete Gruppen in Syrien, so die Position der „Militärischen Einsatzleitung“ unter Ahmad al-Sharaa (auch bekannt als Abu Muhammad al-Dscholani), unter dem Dach des syrischen Verteidigungsministeriums zusammengeführt werden sollen – allerdings nur auf individueller Basis und nicht als geschlossene Einheiten.

    Bedingungen für einen erfolgreichen Integrationsprozess

    Ahmad al-Sharaa formulierte drei wesentliche Anforderungen, um zur Lösung der Krise im Nordosten Syriens beizutragen:

    1. Keine Spaltung Syriens – auch nicht in Form föderaler Modelle.
    2. Abzug aller ausländischen Kämpfer, die mit den Sicherheitsinteressen benachbarter Staaten kollidieren.
    3. Konzentration sämtlicher Waffen in staatlicher Hand.

    Diese Forderungen sollen verhindern, dass beispielsweise kurdische Kämpfer, die international als Terrororganisation (z. B. Mitglieder der PKK) eingestuft werden, in die neuen Strukturen integriert werden. Abdi betonte in einem Reuters-Interview, dass ausländische Kämpfer – insbesondere jene, die aus anderen Teilen des Nahen Ostens kommen – Syrien verlassen müssten, sobald ein umfassender Waffenstillstand mit der Türkei zustande käme. Ankara betrachtet die QSD als eine wesentliche Sicherheitsbedrohung und unterstützt daher militärische Maßnahmen gegen sie.

    Visionen der Autonomieverwaltung und konzeptionelle Vorstellungen

    Die QSD ist Teil der größeren politischen Dachorganisation der „Autonomieverwaltung“, die in einem sogenannten Gesellschaftsvertrag ihre Vision für eine „demokratische Republik Syrien“ vorstellte. Die „Demokratische Union“-Partei (PYD) will das Modell der Selbstverwaltung landesweit etablieren. Aldar Khalil, ein Mitglied des PYD-Präsidiums, erklärte am 10. Januar in einer Sendung von Rojava TV, dass Syrien sich vom zentralistischen Nationalstaat lösen müsse, um ein demokratisches und pluralistisches System zu etablieren, das die ethnische und religiöse Vielfalt – von Kurd*innen über Araber*innen bis zu Suryoye, Assyrer*innen, Armenier*innen, Turkmen*innen und Tscherkess*innen – widerspiegelt.

    Die Konzepte der Selbstverwaltung, der „demokratischen Nation“ (ein Begriff, der auf den inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan zurückgeht) und der Frauenfreiheit sollen als zentrale Bausteine den Wiederaufbau Syriens prägen. Dennoch betont Khalil, dass der Sturz Assad’ erst den Beginn eines „wirklich revolutionären Prozesses“ darstelle, der kollektives Engagement und den breiten politischen Dialog erfordere.

    Im Gesellschaftsvertrag, insbesondere in Artikel 120, wird geregelt, dass das Verhältnis der Autonomieverwaltung zu Damaskus und anderen Regionen in einer demokratisch abgestimmten Verfassung festzulegen sei. Ferner soll die Autonomieverwaltung ein eigenes administratives Zentrum und eine eigene Flagge führen dürfen – eine Symbolik, die jedoch änderbar ist, sollte sich eine einheitliche demokratische Verfassung für ganz Syrien ergeben.

    Herausforderungen und Hindernisse beim Zusammenschluss

    Trotz der erklärten Bereitschaft zur Vereinigung gibt es gravierende Hemmnisse. Ahmad al-Sharaa weist darauf hin, dass die Präsenz bewaffneter Gruppen außerhalb staatlicher Kontrolle – etwa in Form ganzer Milizen – das Risiko einer „Miliz-Staatlichkeit“ bergen würde, wie man sie in Libyen oder im Irak beobachten könne. Eine kollektive Integration der QSD in das Verteidigungsministerium erscheint vor diesem Hintergrund unrealistisch. Stattdessen sei nur die Aufnahme einzelner Kommandeure denkbar. Gleichzeitig dürfte die Türkei einen weiteren Ausbau der QSD in der Nähe ihrer Grenze strikt ablehnen.

    Neuordnung der Militärstrukturen

    Bereits am 24. Dezember wurde von der „allgemeinen Führung“ in Syrien beschlossen, alle bestehenden Militärfraktionen aufzulösen und sie in das neue Verteidigungsministerium zu integrieren. Offiziell wurde Murhaf Abu Qasra zum Verteidigungsminister der Übergangsregierung in Damaskus ernannt. In einer Pressekonferenz mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan wurde betont, dass innerhalb weniger Tage ein neues Verteidigungsministerium gebildet und ein Komitee neuer Offiziere eingesetzt werde. Ziel sei es, sämtliche Waffen in staatliche Kontrolle zu bringen.

    Parallel zu diesen Entwicklungen forderte Fidan, dass sich die kurdischen Truppen der QSD auflösen müssten, sofern sie tatsächlich an einer Integration in die zentrale syrische Verwaltung interessiert seien. Er kritisierte, dass die QSD weiterhin eine ernsthafte Bedrohung für die arabische Mehrheit östlich des Euphrats darstelle und dabei fortwährend die natürlichen Ressourcen des syrischen Volkes beraube. Fidan machte deutlich, dass regionale Akteure die Verantwortung hätten, die Entwicklungen in Syrien in eine stabile Richtung zu lenken – und betonte dabei, dass die USA die einzigen Partner*innen seien, mit dem Ankara in diesen Fragen in Kontakt stehe.

    Internationale Perspektiven und weiterführende Dialoge

    Auf internationaler Ebene zeigen sich Diplomaten und führende politische Vertreter besorgt über die weitere Entwicklung Syriens. Ein offizieller Delegationskreis aus Nord- und Ostsyrien besuchte kürzlich Großbritannien, um über wesentliche Themen hinsichtlich des Schutzes der syrischen Gebiete und den Wiederaufbau des Landes zu diskutieren. Im britischen Parlament fanden Dialogseminare statt, bei denen auch hochrangige Mitglieder des House of Lords anwesend waren. Die Delegation legte dabei ihre Vision dar, die eine umfassende Beteiligung aller syrischen Bevölkerungsgruppen an einem friedlichen, demokratischen und inklusiven politischen Übergangsprozess vorsieht.

    Gleichzeitig steht die Frage der Rolle externer Akteure im Raum: Während der türkische Außenminister Hakan Fidan wiederholt betonte, dass Frankreich in Syrien keine Rolle spielen solle und nur die USA als verlässlicher Partner in Betracht kämen, versuchten auch Paris und Washington, ihre NATO-Verbündeten davon zu überzeugen, von einem Angriff auf die kurdisch geführten Streitkräfte der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) abzusehen. Die Türkei betrachtet diese Kräfte hingegen als existentielle Bedrohung, da sie eng mit der PKK verbunden sind.

    Obwohl die QSD grundsätzlich ihre Bereitschaft signalisiert, sich der neuen syrischen Armee anzuschließen, ist der Weg zu einem einheitlichen Staatsaufbau von zahlreichen inneren und äußeren Faktoren geprägt. Neben der internen Debatte über die Rolle bewaffneter Gruppen und den Integrationsprozess spielen externe Kräfte – vor allem die Türkei, die USA und andere regionale Akteure – eine entscheidende Rolle. Der Zusammenschluss der QSD mit der neuen syrischen Armee und der damit verbundene Wiederaufbau des Landes bleiben in den kommenden Wochen und Monaten zentrale Stellschrauben, deren Erfolg maßgeblich von der Bereitschaft zu Kompromissen und einem inklusiven politischen Dialog abhängen wird.

     

  • Syrische Studierende und der Wiederaufbau ihres Landes

    Lamis Elwan (24) ist eine von vielen, die sich nach ihrer Flucht aus Syrien in Deutschland eine Zukunft aufgebaut haben. Sie studiert Lehramt für Sozialpädagogik und islamische Religionslehre und ist überzeugt, dass Bildung der Schlüssel zum Wiederaufbau Syriens ist. „Die meisten syrischen Studierenden kommen gut zurecht in Deutschland. Viele haben die deutsche Sprache gelernt und schaffen es, sich gut in die Universitäten zu integrieren. Natürlich gibt es auch Herausforderungen wie die Sprache, finanzielle Probleme und Heimweh. Aber trotz dieser Schwierigkeiten zeigen sie sehr gute Leistungen und erzielen auf jeden Fall Erfolge“, so Lamis. Ihre eigene Erfahrung zeigt, dass Syrer*innen in Deutschland nicht nur akademische Fähigkeiten entwickeln, sondern auch wertvolle soziale und kulturelle Kompetenzen erlangen, die sie später in Syrien einbringen können.

    Herausforderungen der Integration und die Rolle der syrischen Studierenden

    Als Vorsitzender der Syrischen Studierenden Union (SSUD) hat Quasi Shikh Suliman (28) die Herausforderungen der syrischen Studierenden hautnah miterlebt. Er beschreibt, wie die syrische Gemeinschaft trotz der Schwierigkeiten, die mit der Integration einhergingen, in Deutschland aktiv und erfolgreich geworden ist. „Eine der größten Herausforderungen war, dass wir zwar in Deutschland leben, aber trotzdem direkt oder indirekt durch unsere Familien und Verwandten in Syrien bedroht waren. Dies hat unsere Integration erschwert. Trotzdem kämpfen wir bis heute, um ein aktiver Part der Gesellschaft zu werden, und das haben wir zum großen Teil geschafft“, erklärt der Vorsitzende der SSUD. Besonders betont er, dass die Erfahrungen, die syrische Studierende in Deutschland machen, für den Wiederaufbau in Syrien von großer Bedeutung sind.

    Credit: Qussai Shikh Suliman

    Nicht nur ihre akademische Laufbahn haben die syrischen Studierenden in Deutschland fortgesetzt, sondern sie spielen auch eine bedeutende Rolle als Botschafter*innen der Gesellschaft. Qusai hebt hervor: „Indem wir die Zivilgesellschaft stärken und gleichzeitig die Integration der Menschen aus Syrien in Deutschland fördern, können wir auch Unterstützung leisten. Gleichzeitig muss auch die Zivilgesellschaft in Syrien wieder aktiviert werden.“

    Praktische Unterstützung und internationale Zusammenarbeit

    Insbesondere ist der Wiederaufbau Syriens eine immense Herausforderung, die internationale Zusammenarbeit erfordert. Qusai verweist auf die wichtige Rolle von Organisationen wie den „Weißhelmen“, die im Bereich des Bevölkerungsschutzes tätig sind. „Es gibt bereits Organisationen, die sowohl im Bildungsbereich als auch im Bereich des Wiederaufbaus tätig sind. Ein Beispiel sind die Weißhelme, die große Hilfe beim Wiederaufbau leisten. Hier können Fachkräfte aus Deutschland wie Bauingenieure, Ingenieure im Allgemeinen, Forscher und Wissenschaftler zur Entwicklung von Städten und der Planung neuer Wohngebiete beitragen“, erklärt der 28-Jährige. Diese Expertise könne nicht nur bei der Wiederherstellung von Infrastruktur, sondern auch bei der Bereitstellung von Hilfe für Rückkehrer*innen nach Syrien von Nutzen sein.

    Außerdem stehen die syrischen Studierenden in Deutschland in engem Kontakt mit Partner*innenorganisationen, die sich im Bildungsbereich und im Bereich der humanitären Hilfe engagieren. „Wir sind in engem Kontakt mit Partnerorganisationen und arbeiten mit anderen Ländern zusammen, die Bildungshilfe für Kinder und Flüchtlinge in Syrien leisten, insbesondere in Flüchtlingslagern“, so der Vorsitzende der SSUD weiter. „Bildung, Gesundheit und Technik sind besonders wichtig. Diese Bereiche spielen eine entscheidende Rolle beim Wiederaufbau des Landes. Vor allem Technik ist von großer Bedeutung, um die Infrastruktur zu entwickeln und das Land wieder aufzubauen“, betont auch Lamis.

    Rückkehr nach Syrien: Eine Frage der Sicherheit und Stabilität

    Trotz ihrer erfolgreichen Integration in Deutschland bleibt die Frage der Rückkehr nach Syrien für viele syrische Studierende ein wichtiges Thema. Der Wunsch, eines Tages in ihre Heimat zurückzukehren, ist nach wie vor präsent – doch die Umstände in Syrien machen diese Entscheidung alles andere als einfach. „Ich bin der Meinung, dass viele auf jeden Fall gerne zurückkehren würden, aber nur, wenn es in Syrien sicher und stabil ist“, sagt Lamis.

    Darüber hinaus stellt Qusai fest, dass die Rückkehr von Studierenden nach Syrien von vielen Faktoren abhängt – besonders von der Sicherheit und der Infrastruktur des Landes. „Die Rückkehr von Studierenden und Menschen im Allgemeinen nach Syrien ist abhängig von der Lage und der Sicherheit, von der Infrastruktur, aber gerade auch von der emotionalen Lage“, erklärt er. Viele Studierende hätten den Wunsch, zurückzukehren, doch die Realität sei, dass das Land derzeit nicht genügend Infrastruktur für eine sichere Rückkehr biete.

    Hingegen könnten sich einige syrische Studierende vorstellen, zwischen Deutschland und Syrien zu pendeln, insbesondere im Bereich der Wissenschaft und Technologie. Qusai beschreibt das Potenzial einer solchen Zusammenarbeit: „In Deutschland haben wir auch in der Syrischen Studierenden Union eine große Zahl von Studierenden, die in diesem Bereich studieren. Es gibt Tausende von IT-Experten unter uns Syrern in Deutschland. Das ist schon eine große Chance für Zusammenarbeit. Man könnte Partnerschaften gründen, man könnte aus Syrien Projekte starten oder auch Menschen für Projekte hier in Deutschland einstellen.“

    Gemeinsame Botschaft für die jungen Syrer*innen

    Lamis und Qusai richten eine Botschaft an junge Menschen aus Syrien, sowohl im In- als auch im Ausland. Lamis ruft dazu auf, jede Chance zu nutzen: „Bleibt motiviert und nutzt jede Gelegenheit, die sich euch bietet. Syrien braucht eure Ideen und euer Wissen, um eine bessere Zukunft zu schaffen.“ Qusai fügt hinzu: „Dies ist ein neuer Anfang. Jeder von uns hat die Möglichkeit, einen Beitrag zu leisten, und dieser Beitrag kann die Zukunft Syriens verändern. Jede Hilfe ist notwendig, und jede Erfahrung zählt. Lasst uns zusammenarbeiten, um eine bessere Zukunft für unser Land zu schaffen.“

    Die syrischen Studierenden in Deutschland haben eine wichtige Rolle im Wiederaufbau ihres Heimatlandes. Ihre Erfahrungen, ihre Bildung und ihre internationale Vernetzung bieten enorme Chancen, sowohl für Syrien als auch für Deutschland. Trotz der Herausforderungen und derzeitigen Ungewissheiten sind der Wille zur Zusammenarbeit und der Glaube an eine bessere Zukunft für Syrien bei vielen stark.

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  • Hoffnung und Zukunft für Syrien: Ein Gespräch mit Samer Fahed

    Hier kannst du dir das ganze Interview mit Samer anschauen.

    Samer Fahed wurde in Südsyrien, in der Stadt Suez, geboren und studierte an der Universität Damaskus Wirtschaftswissenschaften, bevor er 2015 nach Deutschland geflüchtet ist. Dort schloss er 2021 seinen Master in Finance und Controlling ab. Doch trotz seines Lebens in der Diaspora ist seine starke Verbindung zu Syrien geblieben. „Am 8. Dezember war ich nicht nur emotional, sondern auch politisch tief bewegt“, sagt Samer. Er erinnert sich an seine Kindheit unter dem Assad-Regime, das geprägt von Propaganda und Unterdrückung war, und beschreibt, wie der Tag ein Gefühl von Befreiung brachte.

    Der Sturz als Wendepunkt

    Plötzlich war eine lang ersehnte Hoffnung zurück: der Sturz des Assad-Regimes. „Die Hoffnung, die wir lange verloren hatten, ist wieder da. Wir können nun unser Land aufbauen – basierend auf Demokratie, Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit“, erklärt der Wirtschafts- und Finanzexperte.

    Die vergangenen Jahre waren geprägt von Resignation. Die Normalisierung des Assad-Regimes durch arabische und europäische Länder hatte viele Aktivist*innen entmutigt. Doch Samer betont auch, dass er immer daran geglaubt habe, dass Assad nicht für immer an der Macht bleiben könne. „Er hat sein Volk und seine Anhänger verloren. Es war nur eine Frage der Zeit.“

    Herausforderungen und Chancen

    Samer analysiert die aktuelle Lage jedoch auch mit Vorsicht. Die Rolle der arabischen Länder, die präsenten Botschafter*innen in Damaskus, sieht er weniger als Anerkennung Assads, sondern als strategischen Schritt, um Druck auf das Regime und den Iran auszuüben. Gleichzeitig warnt er vor den Herausforderungen, die nun auf die syrische Opposition zukommen. Insbesondere die Rolle der Hayat Tahrir al-Scham (HTS) und ihre dominierende Stellung in Teilen Syriens sorgt für Kontroversen.

    Er plädiert für eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Oppositionsgruppen und eine verstärkte Rückkehr von Politiker*innen aus der Diaspora nach Syrien. „Ein demokratisches Syrien kann nicht aus der Entfernung aufgebaut werden. Diejenigen, die sich für Politik interessieren, müssen zurückkehren und vor Ort arbeiten.“

    Eine unabhängige syrische Zukunft

    Eine der größten Herausforderungen bleibt die Abhängigkeit Syriens von ausländischen Mächten. Samer kritisiert sowohl die syrische Regierung als auch die Opposition für ihre Passivität und ihre Abhängigkeit von Entscheidungen externer Akteure. „Unsere Entscheidungen werden noch immer von anderen Ländern getroffen. Doch ein unabhängiges Syrien kann nur durch syrische Initiative und Eigenverantwortung entstehen.“

    Ein vorsichtiger Optimismus

    Der Weg Syriens bleibt weiterhin unklar, aber der 8. Dezember hat gezeigt, dass Hoffnung nicht vergeblich ist. Für Samer Fahed und viele andere Syrer*innen weltweit ist dieser Tag ein Symbol für die Möglichkeit eines neuen Anfangs. Mit einer klaren Vision von Demokratie und Gerechtigkeit sowie der Rückkehr engagierter Syrer*innen in ihrer Heimat sieht er eine Chance für den Wiederaufbau eines freien und unabhängigen Syriens.

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  • Werden Syrer*innen Deutschland verlassen und nach Syrien zurückkehren?

    Hier möchte ich nicht darüber sprechen, wie deutsche Politiker*innen dieses Thema als Wahlkampfkampagne nutzen und wie Arbeitgeber*innen davor warnen, was passiert, wenn alle Syrer*innen Deutschland verlassen. Auch nicht darüber, was das für das Mediensystem oder für das Verkehrssystem bedeuten würde. Wenn dich das interessiert, dann lies doch mal in Folge 11 von unserem Newsletter “syrien update” hinein. Da habe ich mich mit diesen Fragen beschäftigt.

    Ich weiß, dass sich viele Syrer*innen jetzt intensiv Gedanken machen. Denn nach den großen Hoffnungen, auf die wir nicht vorbereitet waren, stehen wir plötzlich vor einer historischen Situation. Alle denken, wir sollten nach Syrien zurückgehen, weil dieser historische Moment so einmalig erscheint. Aber wir wollen nicht unüberlegt handeln. Besonders ich, da ich viele amerikanische und deutsche Journalist*innen kenne, die schon seit fünf Tagen nach Syrien gereist sind.

    Ich frage mich, was ich hier mache. Ich möchte gerne meine Familie sehen, aber ich möchte auch über diese historische Zeit berichten. Ich müsste also, ohne lange nachzudenken, nach Syrien zurück. Aber wie soll ich das machen, wo ich hier in Deutschland ein neues Leben und ein Netzwerk aufgebaut habe? Soll ich alles hinter mir lassen und in Syrien noch einmal ganz von vorne anfangen? Ich habe einfach nicht mehr die Kraft, ein neues Leben aufzubauen.

    In letzter Zeit habe ich viel mit Bekannten, Freund*innen und Verwandten darüber gesprochen, ob sie nach Syrien zurückkehren möchten. Aufgrund dieser emotionalen Situation denken wir alle nicht klar. Wir glauben, dass das Syrien, das wir ab 2011 verlassen haben, noch dasselbe ist wie heute. Aber das ist nicht realistisch. Nicht nur Syrien hat sich verändert, sondern auch wir, die in den letzten Jahren im Exil gelebt haben. Wir haben neue Kulturen und neue Menschen kennengelernt. Die Frage ist, ob das neue Syrien, die neuen Syrer*innen dort und wir, die wir uns ebenfalls verändert haben, noch zusammenpassen. Das werden wir nur herausfinden, wenn wir zuerst unsere Familien besuchen und sehen, was dieser Besuch mit uns macht.

    Eine große Frage für viele Syrer*innen, die hier in Deutschland ein kontinuierliches Leben aufgebaut haben, ist auch, ob sie diese Lebenssituation wieder aufgeben können und möchten. Was ist mit unseren Kindern? Lassen wir sie hier, um ihnen ein gutes Bildungssystem zu ermöglichen, und kehren wir alleine nach Syrien zurück? Können wir überhaupt ohne unsere Kinder zurückgehen?

    Ich versuche hier, für uns Syrer*innen zu schreiben, obwohl jede Person ihre eigene Geschichte und Situation hat. Das hängt auch davon ab, wie zufrieden eine Person mit ihrem neuen Leben ist, wie viele Verwandte noch in Syrien leben oder bereits weltweit verstreut sind. Aus welcher Stadt kommen wir in Syrien, wie ist dort die Lage? Es gibt tausend weitere Fragen.

    Deswegen ist es sehr schwierig zu beantworten, ob wir nach Syrien zurückgehen werden oder nicht. Bitte stelle diese Frage nicht mehr an deine syrischen Freund*innen oder Bekannten, denn ehrlich gesagt: Niemand weiß es. Und diese Frage führt nur zu noch mehr Zweifeln. Wenn du mehr über Syrien lesen willst, dann abonniere doch unseren Newsletter “syrien update”. Das kannst du hier tun.

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