Schlagwort: Salam und Privet

  • Ein Plädoyer für die Demokratie in Deutschland

    Es gibt ein Sprichwort, das besagt, man solle nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen. Aber für jemanden wie mich – eine junge Frau mit kurdischen und russischen Wurzeln, die in Deutschland aufgewachsen ist – gab es oft keinen anderen Weg. Diese Wände waren überall: Im Klassenzimmer, wo mein Name nie richtig ausgesprochen wurde. Auf dem Schulhof, wo ich erklärt habe, warum ich zu Hause kein Schweinefleisch esse; und später bei Bewerbungen, wo mein Doppelname länger diskutiert wurde als meine Qualifikationen.

    Als Jugendliche habe ich mich gefragt, wie viel Mühe es eigentlich braucht, um dazuzugehören. Perfektes Deutsch, perfekte Manieren, perfekte Anpassung – und doch blieb dieses nagende Gefühl, dass der Ort, den man Heimat nennen will, einen nicht ganz anerkennt. Es hat wehgetan, immer in der Fremde gesehen zu werden, auch wenn ich keinen Ort auf der Welt besser kenne als diesen.

    Aber wer nur Wände sieht, übersieht leicht die Fenster. Deutschland hat mir nicht nur Widerstand, sondern auch Möglichkeiten gegeben. Hier habe ich gelernt, für mich einzustehen, meine Stimme zu finden, laut zu sein. Deutschland hat mich herausgefordert, aber es hat mir auch gezeigt, was alles möglich ist, wenn man bereit ist, für sich selbst einzustehen und mit dem Kopf durch die Wand zu brechen. Es ist dieses Spannungsfeld, das ich schätze: ein Land, das manchmal herausfordernd ist, aber mir die Freiheit gibt, diese Herausforderungen zu hinterfragen und an ihnen zu wachsen. 

    Ich liebe Deutschland nicht, weil es perfekt ist – sondern weil es Fehler hat und sie im besten Fall zu korrigieren versucht. Weil hier auch ein Kind aus einer kurdischen Familie Kanzler:in werden könnte. Weil Debatten laut, anstrengend und widersprüchlich sind, aber immerhin geführt werden. Und weil ich hier gelernt habe, dass Zugehörigkeit nicht bedeutet, stillschweigend zu übernehmen, sondern mitzugestalten.

    Doch in diesen Tagen, in denen Deutschland taumelt, fühle ich Sorge. Die politische Landschaft wirkt wie ein wankender Boden. Eine Regierung ist gescheitert, die nächste droht nicht weniger zerbrechlich zu sein. Und während Krisen gären – Inflation, Außenpolitik, Klimawandel – bahnen sich gefährliche Strömungen ihren Weg an die Oberfläche. Stimmen, die Hass predigen, die „wir gegen die anderen“ schreien, die auf Ausgrenzung und Angst setzen, werden lauter.

    Ich weiß, was es heißt, nicht verstanden zu werden. Aber ich weiß auch, was es bedeutet, ignoriert zu werden. Und wenn ich eine Botschaft an die weitergeben darf, die sich von Deutschland gerade verraten oder enttäuscht fühlen: Nicht zu wählen oder sich aus Trotz den Feinden der Demokratie zuzuwenden, hilft niemandem. Wut, Frust oder Unzufriedenheit dürfen uns nicht blind machen. Sie dürfen uns nicht dazu bringen, falsche Entscheidungen zu treffen.

    Es gibt keine perfekte Partei, die jede unserer Hoffnungen oder Ansichten zu 100 Prozent repräsentiert – und diese wird es auch nie geben. Aber in einer Demokratie geht es nicht um Perfektion, sondern um das Aushandeln des Möglichen, um Kompromisse, die unsere Werte schützen. Jeder, der aus Enttäuschung oder Gleichgültigkeit nicht wählt, überlässt das Spielfeld denen, die mit Faschismus und Spaltung die Grundpfeiler unseres Zusammenlebens zerstören wollen. Jede verlorene Stimme macht die Stimmen derjenigen lauter, die Hass und Angst verbreiten.

    Gehen wir also wählen – nicht aus blindem Egoismus, sondern aus klarem Bewusstsein. Weil wir ein Deutschland brauchen, das für Freiheit, Gerechtigkeit und Vielfalt steht. Ein Deutschland, das wir lieben können, auch wenn es manchmal hart ist. Ein Deutschland, das Fehler machen darf, aber niemals den Fehler, den Faschismus zu ignorieren und die dunkelsten Kapitel seiner Geschichte zu wiederholen. 

  • Duftgeschichten aus meiner Heimat – der Zauber von Bukhoor

    Sonntags gehört mein Zuhause der Welt. Freunde, Familie, Nachbarn – sie alle finden sich an meinem Tisch ein, der einer kleinen Festtafel gleicht. Der Duft von warmem Blätterteig mischt sich mit der Salzigkeit frischer Oliven und dem feinen Aroma goldgelber Eier. Zwischen den Schalen mit süßen Datteln, leuchtendem Obst und samtigen Marmeladen thront die Kanne Schwarztee, dampfend und voller Geheimnisse. Dieser Tee, mit Rosenknospen durchsetzt, hat seinen Ursprung auf einem kleinen Basar, verborgen in den Gassen Erbils. Sein Duft gleicht einem Gedicht: leicht blumig, zart herb und doch unvergleichlich sanft. Doch auch wenn das Frühstück für sich bereits aufwändige Aromenkunst ist, bleibt es nur die Bühne für ein anderes Schauspiel. Denn in meinem Zuhause verschmilzt der Duft von Speisen mit einem subtilen, beständigen Wohlgeruch, der die Sinne umschmeichelt, ohne sie zu überwältigen. 

    „Hier riecht es immer so toll“, sagen meine Gäste; und sie tun es jedes Mal. Dieser Duft – eine Mischung aus sauberem, pudrigem Moschus und gelegentlich einer sanften floralen Nuance – ist wie eine unsichtbare Umarmung. Er erinnert an die Reinheit alter Moscheen, an einen Ort, an dem Zeit keine Rolle spielt und die Luft voller Geschichten schwebt. Heute möchte ich dieses Geheimnis lüften. Betrachte es als eine Einladung in meine Welt . Der Duft, der meine Räume erfüllt, nennt sich Bukhoor.

    Was ist Bukhoor?

    Bukhoor ist weit mehr als ein Duft; es ist eine jahrhundertealte Tradition, ein Ritual, das die Luft, die Menschen und manchmal auch die Seele reinigt. Der Begriff bezeichnet kleine Duftchips, oft aus getränktem Holz, um Räume mit Wohlgeruch zu füllen. Anders als Parfum, das die Haut schmückt, gehört Bukhoor dem Raum – es wird zelebriert, nicht einfach versprüht. Die Basis eines guten Bukhoor sind sorgfältig ausgewählte Hölzer, meist Adlerholz, die mit einer Mischung aus ätherischen Ölen, Harzen und Gewürzen getränkt werden. Die Kombination variiert je nach Herkunftsland, Tradition und manchmal auch nach Familienrezepten. Mein persönlicher Favorit vereint weißen Moschus, Rosenblüten und einen Hauch von Amber – eine Komposition, die wie eine leise Umarmung in der Luft schwebt.

    Das Ritual des Bukhoor

    Bukhoor zu verbrennen ist ein Ritual, das Ruhe erfordert. Auf einer kleinen Kohle oder einem elektrischen Räuchergefäß entfalten die Chips ihren Duft langsam, wie ein kostbares Geheimnis, das nur in Schichten offenbart wird. Anfangs ist es rauchig, intensiv, beinahe feierlich – ein Duft, der Raum einnimmt, ohne sich aufzudrängen. Doch dann, nach wenigen Minuten, wird der Rauch weicher. Er umarmt Kissen, Vorhänge und Wände, bis alles in eine unsichtbare Wolke aus Sanftheit gehüllt ist. Doch Bukhoor ist nicht nur ein Geschenk für Räume, sondern auch für uns selbst. In den raffiniertesten Traditionen wird der feine Rauch genutzt, um Haare und Kleidung zu beduften. Die duftenden Schwaden ziehen sich durch die Haarsträhnen, legen sich sanft auf Stoffe und verleihen ihnen einen dezenten, langanhaltenden Hauch von Luxus. 

    Für viele, die mein Zuhause betreten, ist Bukhoor eine neue Entdeckung. „Wie heißt das?“, fragen sie und ich sehe in ihren Augen die Neugier, die ich so liebe. Vielleicht ist das der wahre Zauber dieses Dufts: Er bringt Menschen zusammen, eröffnet Gespräche und lädt dazu ein, die Welt ein kleines bisschen anders wahrzunehmen. Wenn du das nächste Mal deine Liebsten empfängst, probiere es doch gerne aus. Zünde Bukhoor an, lass den Rauch durch deine Räume ziehen, über deine Kleidung und vielleicht auch durch dein Haar gleiten – und sieh, was geschieht. 


    In einer früheren Version dieses Artikels kam wiederholt der Begriff „Orient“ vor. Unsere Autorin hat diesen Begriff genutzt, um alle im westasiatischen Raum vertretenen Kulturen zusammenzufassen und für die Leser*innen zugänglich zu schreiben. Um den Lesefluss nicht zu stören, hat sie sich dagegen entschieden, jede gemeinte Kultur aufzuzählen. Bei dem Begriff „Orient“ handelt es sich allerdings um eine westliche und koloniale Fremdbezeichnung, die wir nicht reproduzieren sollten und zukünftig werden. Zudem enthielt der Beitrag Passagen, die dieses koloniale Narrativ reproduzieren und von unserer Community als unsensibel erkannt wurden. Dafür bitten wir um Entschuldigung. Wir haben den Text dementsprechend angepasst. Vielen Dank, dass ihr eure Kritik so offen kommuniziert habt!

  • Talahon und Co. – neuer Begriff, alte Diskriminierung?

    Wie viele andere in meinem Alter bin auch ich als junge Frau Anfang 20 chronisch online. Das hat zwar einerseits den Vorteil, dass ich immer und überall uneingeschränkten Zugriff zu Informationsquellen habe und dementsprechend über alle aktuellen Geschehnisse auf der großen weiten Welt informiert bin; andererseits werde ich aber auch einer Flut von Informationen ausgesetzt, die ich gar nicht haben will.

    So ist auch das letzte Social Media Phänomen nicht an mir vorbeigezogen: Talahons. So bezeichnen TikTok und Co. seit neustem junge migrantisierte Männer, die in weiten Hosen, Fußballtrikots und Bauchtasche samt passender Cap vor der Kamera posieren. Während die einen sich über den Hype sichtlich amüsieren und auf den Zug aufspringen, schütteln die anderen nur den Kopf und geben alles dafür, bloß nicht mit diesen jungen Männern in dieselbe Schublade gesteckt zu werden.

    „Wegen euch hassen uns die Deutschen“, „Abschieben!!“ und „Danke, dass ihr alles annulliert, wofür wir jahrelang gekämpft haben“, sind dabei beispielhaft herausgegriffene Aussagen, die den Kommentarspalten entnommen werden können. Nun reden Meinungsblogger*innen über Talahons und die politische Bubble hängt sich gleich in die Diskussion mit rein: Ist Talahon bloß ein neuartiges Wort für die rassistische Beleidigung „Kanake“?

    Von Ablehnung bis Zustimmung und allem dazwischen ist jede Meinung irgendwo zu finden und plötzlich ist das Wort Talahon in aller Munde. „Natürlich ist das kein Rassismus!“, empört man sich und beruft sich darauf, dass Talahon nur einen besonderen Kleidungsstil beschreibe. Hierüber streiten nicht nur Deutsche, sondern auch Menschen, die selbst eine entsprechende Migrationsgeschichte haben. Die Verfechtenden der Gegenansicht lässt dieser Versuch einer Erklärung jedoch kalt. Und zugegebenermaßen bin auch ich nicht wirklich überzeugt davon, dass hinter diesem einfachen Wort nicht doch mehr als ein bloßer Kleidungsstil steht.

    „In Wahrheit offenbart sich hier eine tiefere, besorgniserregende Dynamik“

    Und genau hier setzt mein Déjà-vu ein. Es scheint, als würde wieder einmal eine Debatte über Abgrenzung innerhalb der Community entstehen, bei der vermeintlich „gute“ „Ausländer“ sich von vermeintlich „schlechten“ abgrenzen wollen – in diesem Fall also von den sogenannten Talahons. Die Angst, in die gleiche Schublade gesteckt zu werden, treibt viele dazu, sich demonstrativ von diesen jungen Männern zu distanzieren, ja, sie sogar öffentlich zu kritisieren. Doch dieser Drang zur Abgrenzung lässt es erst recht so wirken, als stecke hinter dem Begriff „Talahon“ doch mehr als nur eine oberflächliche Beschreibung eines Kleidungsstils.

    In Wahrheit offenbart sich hier eine tiefere, besorgniserregende Dynamik: Die Abgrenzung von den „anderen“ in der Hoffnung, den eigenen Status in der Gesellschaft zu sichern, führt dazu, dass eine neue Form von Stigmatisierung entsteht. Plötzlich gibt es wieder eine „richtige“ und eine „falsche“ Art, „Ausländer“ zu sein – ein Muster, das wir leider nur allzu gut kennen. Und genau das gibt Rassist*innen eine neue Einfallstür: Mit „Talahon“ scheint ein Begriff entstanden zu sein, der sich als rassistische Beleidigung nutzen lässt, ohne dass er bisher die gleiche gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Empörung wie zum Beispiel „Kanake“ erregt hat.

    Es ist quasi ein „Kanake 2.0“ – eine vermeintlich harmlose Bezeichnung, die aber dazu genutzt werden kann, um eine Gruppe von Menschen abzuwerten und auszuschließen, während andere sich von dieser Gruppe distanzieren, um selbst akzeptiert zu werden.

    Diese Entwicklung ist gefährlich, weil sie nicht nur Spaltung innerhalb der eigenen Community fördert, sondern auch rassistische Tendenzen in der Gesellschaft verstärkt. Der Begriff „Talahon“ mag auf den ersten Blick harmlos erscheinen, doch seine Nutzung kann tiefsitzende Vorurteile und Abwertungen zementieren, ohne dass die breite Masse diese sofort als solche erkennt.

    „Doch wie bei jeder Diskussion gilt auch hier: Der Ton macht die Musik“

    Und genau das macht ihn so tückisch. Es ist ein schleichender Prozess, bei dem ein neuer Begriff eine alte, längst verurteilte Funktion übernimmt – und das, bevor er überhaupt als problematisch erkannt wird. Wir müssen also sehr genau hinsehen, was hier passiert, und uns die Frage stellen, ob wir wirklich noch einmal zulassen wollen, dass ein solcher Begriff Einzug in unser Vokabular hält und dabei zu einem weiteren Werkzeug der Ausgrenzung und Abwertung wird.

    Der Diskurs, der um den Begriff „Talahon“ entstanden ist, zeigt, wie wichtig es ist, aufmerksam und sensibel für die Art und Weise zu bleiben, wie wir über andere sprechen; besonders in einer so vielfältigen und vielschichtigen Gesellschaft wie der unseren. Es ist gut und richtig, solche Diskussionen zu führen, denn sie helfen uns, uns selbst und die Sprache, die wir verwenden, kritisch zu hinterfragen. Doch wie bei jeder Diskussion gilt auch hier: Der Ton macht die Musik. Nicht jede Person, die den Begriff verwendet, hat zwangsläufig rassistische Absichten, und es wäre falsch, jedem pauschal solche Tendenzen zu unterstellen.

    Gleichzeitig ist jedoch entscheidend, sensibilisiert zu bleiben und die Auswirkungen unserer Worte und Handlungen im Auge zu behalten. Wenn wir bemerken, dass ein Begriff zunehmend inflationär oder in einer abwertenden Weise genutzt wird, ist es unsere Verantwortung, darauf hinzuweisen und uns gegebenenfalls auch dagegen auszusprechen. Denn Sprache ist mächtig – und wie wir sie nutzen, kann entweder Brücken bauen oder Gräben vertiefen.

    Am Ende liegt es an uns, eine Sprache zu fördern, die verbindet und nicht spaltet. Dafür müssen wir miteinander sprechen, einander zuhören und viele Dinge geschickt miteinander abwägen: erst dann besteht eine reale Chance, dieser Aufgabe gerecht zu werden und ein Miteinander zu schaffen, in dem Zusammenhalt an erster Stelle steht.

  • Der Arbeitsmarkt und ich

    Als ich im ersten Semester meines Studiums war, hatte ich mich dazu entschlossen, nach einem Minijob zu suchen, um meine Lebenshaltungskosten etwas aufzufangen. Zu meiner großen Freude entdeckte ich im Internet eine Stellenausschreibung eines Professors meiner Universität, der für sein Institut auf der Suche nach einer studentischen Hilfskraft war. Die Inhalte der Beschäftigung haben mich interessiert und die Rahmenbedingungen schienen ebenfalls in Ordnung zu sein; also entschloss ich mich dazu, meine Bewerbungsunterlagen einzureichen.

    Wenige Tage später wurde ich auch schon zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Empfangen wurde ich vor Ort vom Professoren selbst und seiner Sekretärin. Im Verlauf des Gesprächs unterhielten wir uns zunächst über die Tätigkeit als solche, bevor es um einzelne ausgewählte Punkte meines Lebenslaufs ging, zu denen einige Nachfragen gestellt wurden.

    Zunächst ging es um mein Abitur und meine Noten in den einzelnen Schulfächern. Danach tastete sich der Professor vorsichtig an die Frage heran, weshalb genau ich der russischen Sprache mächtig bin. Locker entgegnete ich ihm, dass es sich dabei um meine Muttersprache handeln würde, was seine anfängliche Verwirrung nicht wirklich aufzulösen schien.

    „Und Ihr Vater?“, fragte er und überschlug dabei seine Beine. „Der kommt aus dem Irak“, antwortete ich ihm, ohne mir Größeres dabei zu denken. „Aha, deshalb Ihr dunkler Teint“. Während der Mann zufrieden grinste, machte sich in mir das Gefühl breit, dass es sich vorliegend möglicherweise doch nicht um das beste Arbeitsklima handeln könnte.

    Klima ist an dieser Stelle ein gutes Stichwort, denn diese Tragödie an Vorstellungsgespräch ging noch weiter. Nachdem alle Fragen beantwortet waren, bat der Professor seine Mitarbeiterin, mir mein potenzielles zukünftiges Büro zu zeigen, welches sich im Dachgeschoss befand.

    Da das Vorstellungsgespräch in einem Sommermonat stattfand, war dementsprechend mit hohen Temperaturen zu rechnen. Auf diese Umstände wies mich die Dame auch freundlicherweise hin und scherzte, dass ich mich nicht erschrecken solle, wie warm es im Zimmer sei. Sofort grätschte der Professor rein „Aber das sind Sie da, wo Sie herkommen, ja schon gewöhnt“, zwinkerte er mir zu. „Ja, in Karlsruhe kann es auch sehr heiß werden“, versuchte die Mitarbeiterin sofort zu entschärfen. Ich rollte nur mit den Augen – und habe im Übrigen nie wieder etwas von den beiden gehört.

    Es ist enttäuschend zu sehen, dass selbst Menschen mit den höchsten akademischen Graden nicht von diskriminierenden Einstellungen und Verhaltensweisen frei sind. Trotz ihrer umfassenden Bildung und ihres intellektuellen Wissens scheinen einige Individuen nicht in der Lage zu sein, über Vorurteile und Diskriminierung hinauszuwachsen. Dies zeigt, dass Rassismus tief in allen Schichten unserer Gesellschaft verankert ist und dass Bildung allein oft nicht ausreicht, um dieses Problem zu lösen.

    Es ist jedoch wichtig, sich solche Aussagen nicht zu Herzen zu nehmen. Sie spiegeln nicht den wahren Wert eines Menschen wider, sondern offenbaren lediglich die Ignoranz und Intoleranz derjenigen, die sie äußern. Statt uns von diesen negativen Äußerungen entmutigen zu lassen, sollten wir unsere Stärke und unseren Wert aus unseren eigenen Errungenschaften und unserer Gemeinschaft ziehen.

    Obwohl ich von diesem Erlebnis sehr enttäuscht war und das Verhalten des Professors meine Motivation zunächst gedämpft hat, habe ich gelernt, solche Menschen und ihre Einstellungen nicht zu viel Macht über mein Leben haben zu lassen. Letztendlich handelte es sich nur um einen möglichen Job von vielen – und das nächste, bessere Angebot kommt immer.

  • Wie Orte uns verändern

    Die erste Reise meines Lebens in den Irak fiel in den Sommermonat August. Während meiner einmonatigen Reise durch die verschiedensten Städte und Dörfer der kurdischen Autonomiegebiete im Norden des Landes war kein Tag wie der andere.

    Einzig konstant blieb nur die Temperatur, die jeden Tag bei mindestens 45 Grad Celsius, gerne auch 50 Grad Celsius, lag. Kein Grund zur Sorge, die wüstenähnlichen Temperaturen habe ich ohne größere Mühe weggesteckt. Ich würde sogar behaupten, dass sie um ein Vielfaches erträglicher waren als jene Temperaturen, die wir aus Deutschland und Europa kennen, was vermutlich an der trockeneren Luft liegt.

    Doch kann es wirklich sein, dass wir uns im Ausland nicht nur psychisch, sondern auch physisch verändern?

    Und auch wenn ich gerne über das Wetter vor Ort spreche, ist der Gegenstand dieses Artikels heute ein anderer. Denn neben den Temperaturunterschieden habe ich auch ganz persönliche Unterschiede festgestellt. Meine Haut wurde reiner, meine Haare glänzten mehr und ich wirkte im Großen und Ganzen viel gesünder und lebendiger. Diese Veränderungen blieben auch nicht unbemerkt, denn ich wurde nach den ersten Wochen mit Komplimenten nahezu überschüttet. Doch kann es wirklich sein, dass wir uns im Ausland nicht nur psychisch, sondern auch physisch verändern?

    Für die Beantwortung dieser Frage, habe ich das Gespräch mit Menschen aus meinem Umfeld gesucht, welche ebenfalls Migrationsgeschichte haben. Konkret habe ich sie gefragt, ob sie Unterschiede im Vergleich zu ihrem Gemüt oder Aussehen in Deutschland wahrnehmen. Ihre Antworten überraschten mich.

    „Es fühlt sich an wie eine Parallelwelt, als hätte man zwei Persönlichkeiten und lebt die zweite sozusagen im Ausland aus“, entgegnete mir eine Bekannte. Eine weitere äußerte: „Wenn ich in der Heimat bin, fühle ich mich frei und viel glücklicher.“ Eine weitere schließt sich ihrer Vorgängerin an: „Ich werde sehr emotional in der Heimat meiner Eltern, alles bringt mich zum Weinen und ich fühle mich irgendwie angekommen.“

    Ihre Eindrücke bestätigen meine Vermutung, dass viele Menschen mit Migrationsgeschichte in jedem Fall ein anderes, oft emotionaleres und glücklicheres Gemüt im Ausland haben. Als ich meine Beobachtungen hinsichtlich meiner äußerlichen Veränderungen einer Freundin von mir schilderte, äußerte diese mir gegenüber einen Gedanken, der letztendlich auch meine Nachforschungen zu diesem Thema angestoßen hat. „Wenn wir Zuhause sind, spürt das unser Körper. Jede Zelle erkennt, dass sie an dem Ort ist, aus dem sie herkommt. Das macht uns schöner.“

    Es ist, als ob unsere Seele aufatmet und unser Körper diesem Aufatmen folgt

    Unabhängig von der wissenschaftlichen Standhaftigkeit dieser Aussage ist sie mir bis heute als sehr schöner Gedanke in Erinnerung geblieben. Vielleicht liegt in dieser simplen, aber tiefen Wahrheit eine Weisheit verborgen: Wenn wir an einem Ort sind, der uns vertraut ist, der uns an unsere Wurzeln erinnert und an dem wir uns geborgen fühlen, dann strahlen wir das auch nach außen aus.

    Es ist, als ob unsere Seele aufatmet und unser Körper diesem Aufatmen folgt. Jede Zelle, jedes Lächeln, jede Bewegung scheint von diesem Gefühl der Zugehörigkeit und des Ankommens genährt zu werden. Die Heimat hat eine Art Magie, die uns verjüngt und unser inneres Strahlen hervorbringt. So wie meine Freundinnen beschrieben haben, dass sie sich in der Heimat freier, glücklicher und emotionaler fühlen, glaube ich, dass diese Gefühle unser wahres Wesen zum Vorschein bringen. Die Freude, die Tränen, die tiefen Emotionen – all das zeigt, dass wir in der Heimat eine Verbindung spüren, die uns ganz macht.

    Vielleicht brauchen wir keine wissenschaftlichen Erklärungen, um diese Veränderung zu verstehen. Vielleicht reicht es, zu akzeptieren, dass wir tief in unserem Inneren immer eine Verbindung zu den Orten haben, die uns durch unsere Familiengeschichte geprägt haben. Und wenn wir diese Orte betreten, fangen wir an, ein Stück von uns selbst zurückzugewinnen.

    Und so trage ich meine Zeit im Irak nicht nur in meinen Erinnerungen, sondern auch in meinem Herzen. Die Reise hat mir mehr gegeben als nur schöne Momente und neue Erfahrungen; sie hat mir gezeigt, dass unsere äußere Schönheit oft ein Spiegelbild unserer inneren Zufriedenheit und unseres emotionalen Wohlbefindens ist. In diesem Sinne ist die schönste Reise diejenige, die uns nicht nur geografisch, sondern auch emotional und seelisch näher zu uns selbst bringt – und das ganz ohne Tourguide und Reiseplan.

     

  • Die ewige Quote

    „Quotentürke Quotentürke, oh Quotentürke; ganz egal wie sehr ich mich auch ändere, ich bleibe immer dieser […] Ausländer“

     Dies behauptet zumindest der deutsch-türkische Rapper Eko Fresh (geb. Ekrem Bora) in seinem Hit „Quotentürke“ aus dem Jahr 2013. Was zunächst wie eine einfache Floskel scheint, ist tatsächlich nicht nur eine Stilblüte des Deutschraps, sondern deutet auf ein tatsächlich bestehendes Problem hin: die sogenannte Quotenregelung, die teilweise als große Errungenschaft gefeiert-, teilweise aber auch verachtet wird. Doch die Beantwortung der Frage, weshalb sich die Geister in dieser Hinsicht so sehr scheiden, erscheint komplexer, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

    Blicke ich auf die letzten Jahre meines Lebens zurück, so fällt mir auf, dass Quotenregelungen mir eher an den Kopf geworfen wurden, als dass ich sie selbst ausfindig gemacht habe. So erinnere ich mich beispielsweise gut daran, wie ein mir völlig fremder Mann stirnrunzelnd die Behauptung aufstellte, dass ich es nur an meine Universität geschafft hätte, da sie bestimmte Quoten zu erfüllen hätte. Kurz gesagt war er der festen Überzeugung, dass nicht mein gutes Abitur mir die Türen geöffnet hätte, sondern einzig und allein meine Staatsbürgerschaft. Dass dem selbstverständlich nicht so ist, muss ich an dieser Stelle wohl kaum noch diskutieren.

    „Eine Frau in der Führungsposition? Quotenhalterin!“

     

    Dennoch hat die Bemerkung des Fremden einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen, denn sie hat mir erstmals gezeigt, wie Menschen außerhalb der Quote über Menschen innerhalb der Quote denken können. Vor allem aber hat sie mir gezeigt, dass die Quotenregelung feindseligen Menschen eine einfache Möglichkeit gibt, mir meine gesamte Leistung abzusprechen. Dieses Problem besteht dabei nicht allein im migrantischen Kontext, sondern kommt selbstverständlich auch im feministischen Kontext auf. Eine Frau in der Führungsposition? Quotenhalterin! Na klar, warum auch nicht; es ist ja so fürchterlich einfach, ihr jede Gehirnzelle unter dem scheinbar wasserfesten Alibi der Statistik abzusprechen.

    Wie ich bereits mehrfach an anderer Stelle erwähnt habe, bin ich schon früh politisch aktiv geworden. Während meiner Reise habe ich Zwischenstationen bei so manchen politischen Organisationen eingelegt, die ich gerne näher kennenlernen wollte. Und ich kann mich wirklich nicht beschweren, denn ich wurde immer herzlichst empfangen – so herzlich, dass ich direkt auf jedem Gruppenbild in der Mitte stehen durfte. Mit breitem Lächeln für die sozialen Medien und Werbeflyer.

    Zwar möchte ich gerne daran glauben, dass dies primär daran liegt, dass ich fotogen bin; allerdings scheint es eine Stimme tief in mir drin besser zu wissen. „Du bist die Quote!“, flüstert sie mir leise zu, während mein Lächeln langsam schwindet. Eingeladen zu jedem Event, auf jedem Podium und auf jedem Bild, unabhängig davon, ob ich mich mit der Thematik zuvor jemals auseinandergesetzt hatte, oder nicht. Dieser Umstand stieß bei mir sauer auf, sodass ich mich komplett aus den öffentlichen Kreisen zurückzog und beschloss, weiterhin als Einzelgängerin aufzutreten.

    „Der kleine Schubser, der gebraucht wird“

     

    Während meiner Zeit als Praktikantin im Deutschen Bundestag im Herbst 2023 bekam ich Gelegenheit, mit vielen renommierten Politker*innen zu sprechen. Darunter befand sich eine junge und sympathische MdB, deren Eltern ebenfalls eingewandert waren. Ihr gegenüber äußerte ich meine Bedenken und Sorgen hinsichtlich meines zunehmenden Gefühls, nur die Quote zu sein. Und obwohl sie mir im Kern zustimmte, überraschte mich ihre Antwort dennoch.

    „Wenn dir die Bühne gegeben wird, dann nimm sie und genieß die Wärme des Scheinwerferlichtes“, nickte sie mir zu und lächelte freundlich. Dabei kam es mir im Moment so vor, als wäre ihre Antwort nichtssagend und ich mit meinem Problem kein Stück weiter.

    Erst viel später verstand ich die eigentliche Message. Und auch, wenn ich mich bis heute nicht auf Fotos und Bühnen drängen lasse, auf denen ich eigentlich nichts zu suchen habe, muss ich mich bei der jungen Abgeordneten bedanken. Sie hat mir gezeigt, dass nicht jede Quotenregelung eine Herabwürdigung meiner Leistung, sondern manchmal gerade das Sprungbrett ist, das ich zum Ausgleich meines Nachteils als migrantisch gelesene Frau in der deutschen Gesellschaft brauche. Denn manchmal bedeutet die Quote nicht den stressfreien Einlauf in das Ziel, sondern jenen kleinen Schubser, der gebraucht wird, damit wirklich alle auf derselben Startlinie stehen und gleichermaßen die Möglichkeit bekommen, das Zielband zu durchtrennen.

    „Ich definiere mich durch meine eigenen Handlungen und Erfolge“

     

    Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass ich, wie Eko Fresh in seinem Song, nicht nur die „Quotenausländerin“ bin, sondern vielmehr ein Mensch mit eigenen Stärken und Schwächen, der sich in einer komplexen Welt seinen Platz erkämpft. Die Gesellschaft mag mir Rollen zuschreiben und mich durch Quotenregelungen in Schubladen stecken wollen, doch letztlich definiere ich mich durch meine eigenen Handlungen und Erfolge.

    Ich bin mehr als eine Statistik, mehr als ein Platzhalter. Ich bin eine Stimme, die gehört werden will, ein Individuum, das für sich selbst steht. Und auch wenn die Herausforderungen groß sind, so ist es die Reise, die mich wachsen lässt, die mir zeigt, dass jeder Schritt, den ich mache, egal unter welchen Bedingungen, meiner ist. Der Weg mag steinig sein, doch er gehört mir, und das Ziel, das ich verfolge, ist es wert, jede Hürde zu überwinden – egal ob mit, oder ohne Quote.

  • Wie ich langsam aber sicher ein Stück Identität verliere

    Ich bin berufliche Pendlerin und deshalb oft stundenlang in Zügen unterwegs. Meistens höre ich, um mir die Zeit zu vertreiben, Musik oder einen Podcast. Ab und zu kommt es aber auch vor, dass ich lieber den Klängen meiner Umgebung lauschen möchte und meine Kopfhörer in der Tasche bleiben. Und da, irgendwo zwischen den Durchsagen der Zugbegleiter*innen, Kindergeschrei und wild durcheinander sprechenden Menschen, höre ich etwas, das sofort meinen Brustkorb enger werden lässt. Den Klang einer Sprache, die ich zu selten gesprochen habe und die deshalb nur noch auf der Spitze meiner Zunge verweilt. Angestrengt versuche ich, alle Störgeräusche um mich herum auszublenden und die Sprachmelodie zu isolieren.

    Ich verstehe nicht mehr alles und meine innere Stimme redet mir gut zu; es muss daran liegen, dass ich müde bin. Aber kann denn das Herz eines müden Menschen noch so brennen, wie meines es in diesem Augenblick tut? Ganz in Gedanken versunken, merke ich gar nicht, dass der Klang der Sprache immer leiser wird, bis er schließlich ganz in der Nacht verschwindet. Aus den Ohren, aus dem Sinn? Keineswegs, denn das Feuer wird leise vor sich hin lodern, bis der nächste Kanister mit Benzin kommt, der die Flammen in die Höhe schallen lässt.

     

    „Mir ist die kurdische Sprache langsam, aber sicher aus den Händen geglitten“

     

    Als ich ein kleines Kind war, fanden sich meine Eltern vor einer schwierigen Entscheidung wieder. „Du hast deine Sprache, ich habe meine und das Land, in dem wir leben, hat seine eigene Sprache. Was nun?“ So, oder so ähnlich stelle ich mir das Gespräch meiner Eltern vor, als eine Entscheidung darüber getroffen werden musste, welche Sprachen ich lernen sollte.

    Zum Glück machte ich es meinen Eltern leicht, denn während ich liebend gerne den ganzen langen Tag mit allen Mitmenschen, unbeschadet davon, dass mich nicht jeder verstehen konnte, Kurdisch gesprochen habe, sah es mit Russisch ziemlich mau aus. Meine Mutter erzählt mir noch heute, wie ich mich bis zu ihrer absoluten Verzweiflung hin konsequent geweigert habe Russisch zu sprechen, obwohl ich sehr wohl alles verstanden habe.

    Diese Lücke sollte sich allerdings später in meinem Leben schließen, als ich taktisch gewählt auf ein Gymnasium gekommen bin, an dem man Russisch als Fremdsprache lernen konnte. Da ich bereits ein sehr gutes Verständnis der Sprache mitbrachte, hatte ich auch alsbald das Sprechen erlernt, sodass am Ende alle zufrieden waren. Dagegen ist mir die kurdische Sprache langsam, aber sicher aus den Händen geglitten; als ich es gemerkt habe, war es schon zu spät.

     

    „Kulturelle Verbindungen entstehen in erster Linie durch Sprache“

     

    Es gab eine Zeit in meinem Leben, in der ich besser Kurdisch als Deutsch gesprochen habe. Das hat meine Eltern beunruhigt, denn für das Leben in Deutschland war dieser Umstand eher hinderlich.

    So kam es, dass mein Vater von einem Tag auf den anderen nur noch Deutsch mit mir gesprochen hat, um zu verhindern, dass ich später im Leben Probleme bekomme. Ich nehme es ihm nicht übel, denn für den Moment war die Entscheidung sicher die richtige – jedoch begann mit ihr auch der schleichende Verlust eines Stückes meiner Identität, der mich bis heute plagt.

    Kulturelle Verbindungen entstehen in erster Linie durch Sprache. Wenn sich in Deutschland zwei Ausländer*innen begegnen, freuen sie sich meistens ganz besonders darüber, wieder eine gemeinsame Sprache zu haben. Mir wird diese Freude verwehrt, denn heute verstehe ich mehr, als ich spreche. Dies hat zur Folge, dass man mit mir oft eine Mitte zwischen schlechtem Deutsch und schlechtem Kurdisch finden muss und Details in der Übersetzung verloren gehen. „Lost in translation“, wie man so schön sagt.

    Es ist schnell frustrierend, wenn man die tiefere Bedeutung und die Nuancen einer Konversation nicht vollständig erfassen oder ausdrücken kann. Die Sprache ist nicht nur ein Werkzeug zur Kommunikation, sondern auch ein Träger von Kultur, Geschichte und Identität. Wenn ich also versuche, mich auszudrücken, stoße ich oft an die Grenzen meines Wortschatzes und meiner Ausdrucksfähigkeit. Das führt dazu, dass ich mich nicht vollständig verstanden fühle und auch meine Gesprächspartner oft nur einen Teil meiner Gedanken und Gefühle erfassen können.

     

    „Viele Aspekte der kurdischen Kultur und Geschichte wurden mündlich weitergegeben“

     

    Auch die Schwierigkeit, Kurdisch zu erlernen und zu verbessern, verschärft dieses Problem. Da die Sprache kaum in Büchern festgehalten wurde, gibt es nur wenige schriftliche Ressourcen, auf die ich zum Lernen zurückgreifen kann. Viele Aspekte der kurdischen Kultur und Geschichte wurden mündlich weitergegeben, und ohne Zugang zu umfangreichen schriftlichen Materialien ist es schwer, meine Sprachkenntnisse systematisch zu erweitern.

    Diese Situation wird durch politische und soziale Umstände in den Regionen, in denen Kurdisch gesprochen wird, weiter kompliziert. Historisch bedingte Unterdrückung und Marginalisierung der kurdischen Kultur und Sprache haben dazu geführt, dass viele Generationen keine formale Schulbildung in ihrer Muttersprache genießen konnten. Daher existiert anders als bei verbreiteteren Sprachen kaum gesicherte Lektüre über die Regeln und Eigenheiten der kurdischen Sprache.

    Hinzu kommt, dass Kurdisch eine Vielzahl von Dialekten umfasst, die teilweise stark voneinander abweichen. Dies führt dazu, dass Lernmaterialien, die auf einem spezifischen Dialekt basieren, für Sprecher anderer Dialekte nur begrenzt nützlich sind. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass das Lernen und Verbessern der eigenen Sprachkenntnisse eine komplexe und oft frustrierende Aufgabe sein kann, für die man im Alltag ohnehin selten bis kaum Zeit findet.

    Zwar spreche ich auch heute noch zahlreiche Fremdsprachen auf gehobenem Niveau und habe mein Talent dafür sicherlich meinen stets bemühten Eltern zu verdanken – aber der Schmerz des Verlustes der kurdischen Sprache wird mich vermutlich noch einige Zeit begleiten. Ich hoffe, dass ich die Lücken eines Tages wieder schließen kann. Bis dahin zähle ich auf die Fähigkeiten der anderen Menschen innerhalb der kurdischen Diaspora, welchen es sicher gelingt, unsere Sprache weiterzugeben und am Leben zu halten.

  • Meine Cola, die Abstinenz und ich

    Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen. Schon in prähistorischen Zeiten hing sein Überleben maßgeblich von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe ab. Diese sozialen Gemeinschaften boten Schutz vor Gefahren und ermöglichten die Weitergabe von Wissen und Fähigkeiten. Im Laufe der Jahrtausende hat sich nicht nur der Mensch, sondern auch die Form des sozialen Miteinanders gewandelt. Aus ursprünglich kleinen Stammesgesellschaften entwickelten sich komplexe Gemeinschaften, Städte und ganze Zivilisationen.

    Einsamkeit, auch in Gesellschaft

    Trotz dieser weitreichenden Veränderungen besteht der Kern unserer sozialen Natur nahezu unverändert fort. Auch heute noch suchen wir die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen, beispielsweise in Form von Freundschaften, Familien, beruflichen Netzwerken oder Interessensgemeinschaften. Diese Verbindungen bieten uns emotionale Unterstützung und geben uns das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein. Fällt diese Bindung weg, droht uns die Einsamkeit, welche eine der größten Herausforderungen unserer modernen Gesellschaft ist.

    Allerdings, so habe ich nun immer öfter beobachtet, bedarf es dafür nicht zwingend einer physisch-reellen Isolation von anderen Menschen. Vielmehr kann man sich auch innerhalb einer großen Gruppe von Menschen einsam fühlen, selbst wenn man glaubt, ein Teil von ihr zu sein.

    Als ich an die Universität gekommen bin, habe ich mich in einer solchen Lage wiedergefunden. Dort musste ich das erste Mal feststellen, dass man sich selbst unter hunderten von höchst verschiedenen Menschen wie ein Außerirdischer fühlen kann. In einem Topf voll einander fremder Menschen gibt es eine Sache, die sofort Hemmungen abbauen und jede vermeintliche Grenze sprengen kann – Alkohol.

    Warum verlangt Abstinenz eine Rechtfertigung?

    Doch was tun, wenn man diesen nicht trinkt? Ich persönlich würde empfehlen, sich eine gute Rechtfertigung der eigenen Abstinenz zu überlegen; und zwar bestenfalls eine, die in den Ohren von Menschen aus allerlei Kulturen und Gesellschaftsschichten plausibel und wasserdicht ist. Denn genau hier beginnt die tatsächliche Problematik. Die einfache Frage nach dem Grund, weshalb man keinen Alkohol trinkt, mag auf den ersten Blick harmlos erscheinen – das ist sie aber nicht. Denn um diese Frage zu beantworten, muss man nicht selten höchst persönliche Informationen preisgeben und sich verletzbar machen.

    Für viele Menschen fußt der Verzicht auf Alkohol in ihrer religiösen Überzeugung. Das Offenlegen dieser Praxis kann aber gerade unter jüngeren Leuten dazu führen, dass die Befragten sich erklären müssen und dabei unter Umständen auch mit Vorurteilen oder unangenehmen Kommentaren zur Religion konfrontiert werden.

    Andere wiederum trinken keinen Alkohol, weil sie eine Leidensgeschichte durchlebt haben, in der Alkoholismus eine zerstörerische Rolle gespielt hat. Solche schmerzhaften Erfahrungen möchte man verständlicherweise nicht jedem preisgeben – doch die schnell gestellte Frage nach dem „Warum“ zwingt einen fast dazu. Trotzdem kann es auf Dauer keine Lösung sein, sich für diese Frage eine erfundene Standardfloskel zurechtzulegen, nur um nicht als Spielverderber oder unhöflich abgestempelt zu werden.

    Niemand mag ein Kreuzverhör

    Die Frage nach dem Alkoholkonsum ist dabei nur ein Beispiel von vielen. Sinnbildlich steht sie für eine ganze Reihe problematischer Fragen, die in unserer Gesellschaft regelmäßig gestellt werden. Dabei handelt es sich nicht selten um Fragen, welche tief in persönliche und oft schmerzvolle Bereiche eindringen. Dabei werden gerade auf Menschen mit Migrationsgeschichte im Kreuzverhör häufig die eigenen Vorurteile projiziert, was zur Folge hat, dass diese sich bedrängt und unwohl fühlen. Insbesondere das ständige Abverlangen von Rechtfertigungen begünstigt die soziale Abschottung, weil Viele es irgendwann Leid sind, sich immer wieder erklären und für andere verbiegen zu müssen.

    Dieser Umstand führt zu einer ungesunden Dynamik, in der Menschen sich zunehmend voneinander entfremden. Sie vermeiden soziale Interaktionen, aus Angst, sich erneut für ihre Lebensentscheidungen rechtfertigen zu müssen. Dies verstärkt das Gefühl der Isolation und Einsamkeit immens, selbst wenn man sich physisch unter Menschen befindet. So saß auch ich öfter, als mir lieb ist, verstummt und in mich gekehrt an langen Tischen, während sich links und rechts von mir alle bei bester Laune Gesellschaft leisteten.

    Nur dabei statt mittendrin

    Das Gefühl der Einsamkeit verschwindet eben nicht, nur weil man eine Cola in der Hand hält; denn während die anderen durch den gemeinsamen Konsum von Alkohol Hemmungen abbauen und sich näher kommen, bleibt man als Abstinenzler*in oft außen vor. Man ist dabei, aber nicht wirklich mittendrin; man hört die Gespräche, sieht das Lachen, aber spürt eine unsichtbare Barriere, die einen von der Gruppe trennt.

    Die ironische und bittersüße Wahrheit ist, dass mir die gefühlt einzig echte Gesellschaft an solchen Abenden oft das Stückchen Zitrone an der Oberfläche meiner Cola war. Doch haben mich solche Abende gelehrt, dass ich mich nicht verbiegen muss, nur um Anschluss zu finden und bloß nichts zu verpassen. Wenn wir als Gesellschaft wirklich inklusiv sein wollen, müssen wir lernen, die Entscheidungen anderer zu respektieren, ohne sie zu hinterfragen. Ansonsten laufen wir Gefahr, gegen die Natur des Menschen zu handeln. Denn am Ende des Tages sehnen wir uns alle nach demselben: Akzeptanz, Verständnis und das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein.

    In einer idealen Welt könnten wir dann vielleicht sagen: „Setz dich einfach dazu“ und es würde wirklich ausreichen. Bis dahin bleibt es jedoch eine Herausforderung, die wir gemeinsam angehen müssen, um die Mauern der Einsamkeit ernsthaft und auf Dauer zu durchbrechen.

  • Wie man Deutsche im Ausland immer erkennt

    Die Uhr zeigte 9 Uhr vormittags, als ein paar Freundinnen und ich am Frühstückstisch eines Hotelrestaurants in Budapest saßen. Weil der Tisch für die Personenzahl etwas klein war, diskutierten wir kurz darüber, ob es wohl möglich wäre, vom leerstehenden Nebentisch einen Stuhl zu unserem Tisch zu schieben. Bevor wir selbst eine Entscheidung treffen konnten, wurde unsere Diskussion freundlicherweise von einer ebenfalls deutschsprachigen Dame beendet, die uns in typisch deutscher Manier darauf hinwies, dass sie den Tisch bereits für sich selbst besetzen würde.

     

    Ich rollte nur mit den Augen und wandte mich wieder meinen Freundinnen und meinem Frühstück zu; es dauerte jedoch nicht allzu lange, bis unsere Landsmännin von anderen Tourist*innen geplagt wurde, welche vom augenscheinlich immer noch leerstehenden Tisch immer wieder Stühle entwendeten. Meine Augen wanderten sofort zur Dame, welche sichtlich entrüstet vor sich hinmurmelte, dass sie die Stühle gleich mit Taschen und Tüchern besetzen werde. „Hoffentlich hat das keiner gehört“, dachte ich mir, bevor ich mich wieder wegdrehte und mich zeitgleich ein bisschen für meine Mitbürger*innen und ihre Repräsentation vermeintlich deutscher Tugenden im Ausland schämte.

     

    Typisch deutsch sein im Ausland geht aber auch anders, wie ich immer wieder an mir selbst merke. So erinnere ich mich beispielsweise noch gut daran, wie ich während eines Urlaubs im Irak mit meiner vor Ort lebenden Familie und den jüngeren Kindern einen Freizeitpark besuchte. Dort angekommen gab es allerlei aufregende Spielereien und Attraktionen, die man so auch aus Deutschland kennt – allerdings mit einem nicht zu vernachlässigenden Unterschied; es gibt keinen TÜV.

    Und auch wenn ich keine knatschenden Scharniere gehört oder fehlende Schrauben gesehen habe, waren mir die Konstrukte nicht ganz geheuer. Den TÜV hat neben mir auch mein gebürtig aus dem Irak stammender Vater schätzen und lieben gelernt, der ebenfalls auf nichts mehr steigt, das nicht fachmännisch überprüft wurde – auch nicht in seiner Heimat.

     

    Selbst hier in Ungarn lässt mich meine deutsche Moralität nicht los, sodass ich mir bei jedem rostigen Auto die Frage stelle, ob es hier wohl so etwas wie eine Hauptuntersuchung für Kraftfahrzeuge gibt; Plaketten an den Kennzeichen habe ich jedenfalls noch keine gesehen. Und auch beim Erkunden von den verwobenen Gassen Budapests sind mir so manche Gebäude aufgefallen, die nicht den Eindruck machen, als würden sie den deutschen Anforderungen an Brandschutz genügen können. Da sie immer noch an Ort und Stelle stehen, ist jedoch davon auszugehen, dass es anscheinend auch ganz gut ohne derartige Vorschriften und Regulationen geht.

     

    Diese ungarische Leichtigkeit hätte bestimmt auch der deutschen Dame am Frühstücksbuffet gutgetan. Jedoch muss ich ihr hoch anrechnen, dass sie es geschafft hat, einen circa zwei Quadratmeter großen Fleck mitten in Budapest zu deutschem Hoheitsgebiet zu erklären. Ob diese Beanspruchung von territorialem Eigentum einer juristischen Prüfung standgehalten hätte, sei an dieser Stelle dahingestellt.

     

    Es ist schon faszinierend, wie sehr unsere kulturellen Prägungen und Gewohnheiten uns begleiten, selbst wenn wir Tausende von Kilometern von zu Hause entfernt sind. Trotzdem sollten wir nicht vergessen, dass es wichtig ist, sich auch auf die Kulturen und Sitten anderer Länder einzulassen und diese zu respektieren. Vielleicht entdeckt man dabei sogar neue Seiten an sich selbst – wie zum Beispiel die Freude daran, sich auch ohne TÜV-Prüfsiegel in ein ausländisches Fahrgeschäft zu begeben. Dabei darf man den strengen deutschen Blick jedoch gerne daheim lassen; so merkt man auch nichts, falls es doch relevante Mängel geben sollte.

  • Muss ich mich anpassen, um erfolgreich zu sein?

    Die meiste Zeit meines Lebens ergab eine Google-Suche nach meinem Namen genau null Treffer. Ich lebte, wie die meisten anderen Menschen auch, unter dem Radar, sodass es im Internet keine nennenswerten Informationen über mich gab.

    Als ich anfing, journalistisch aktiv zu werden, machte ich mein Debüt mit einem äußerst persönlichen Artikel über meinen Weg zum Jurastudium. Auch wenn ich unfassbar stolz auf meine erste Veröffentlichung war und noch bis heute bin, wurden mir aus meinem engsten Umfeld Zweifel und Ängste eingeredet. Unter anderem wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass auch potenzielle Arbeitgebende meinen Namen googeln würden und dadurch zwangsläufig auf meine Artikel stoßen.

    Es würde mich, so wurde mir gesagt, direkt unbeliebt machen, mich als „Flüchtlings- oder Arbeiterkind“ zu outen – ich würde also meine beruflichen Chancen schmälern. Ferner wurde mir angeraten, mich niemals öffentlich zu meiner Religion zu bekennen, denn das sei der finale Stoß in den beruflichen Tod. Wer würde schon eine Juristin ernst nehmen, die sich zu einer in den Augen des Westens rückständigen Religion bekennt? Der Rat, den ich befolgen sollte, lautete konkret: „Pass dich an und sei nicht laut, nur dann werden sie dich akzeptieren.“

    Selbstverständlich habe ich diesen Rat nicht befolgt; und diese Kolumne ist mein Zeuge. Gleichwohl habe ich mich lange mit der Frage auseinandergesetzt, ob ich mich denn wirklich verstellen und verstecken muss, um erfolgreich zu sein. Schließlich kamen diese Worte von einer meiner engsten Bezugspersonen, die es sicherlich nur gut mit mir meint. Auf meiner Suche nach Antworten habe ich mir meinen Lebenslauf geschnappt und meinen Werdegang genaustens analysiert. Letztendlich bin ich zum Entschluss gekommen, dass mir meine Multikulturalität und mein interreligiöses Wissen nie ein Stein im Weg – sondern vielmehr immer eine große Stütze waren.

    „Ohne meinen persönlichen Hintergrund wäre ich all das nicht geworden, was mich heute auszeichnet“

    So verdanke ich es meinen Eltern, dass ich heute fließend fünf Sprachen und einige weitere in Grundzügen spreche. Auch verdanke ich ihnen, dass ich mich sowohl mit dem Christentum als auch mit dem Islam gut auskenne und in vielerlei Hinsicht zwischen den beiden Fronten vermitteln kann. Vor allem verdanke ich ihnen aber mein besonderes Interesse an Geschichte und Politik, was mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin.

    Ohne meinen persönlichen Hintergrund wäre ich all das nicht geworden, was mich heute auszeichnet. Es erscheint also nur vernünftig und logisch, diese Merkmale angemessen zu würdigen und sie auch in meinem Alltag nicht zu verstecken. Das heißt, dass ich über sie schreibe und spreche – und das mit Demut, aber auch mit Stolz. Möchte mich ein*e Arbeitgeber*in aufgrund dessen nicht einstellen, dann möchte ich ohnehin nicht Teil des Teams werden. Falls ich aber auch nur eine Person, welche aus ähnlichen Verhältnissen kommt, dazu inspirieren kann, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und sich nicht zu verstecken, dann war mir meine Ehrlichkeit jede Mühe und geschlossene Tür wert.

    Denn nur, wer weiß, wo er*sie herkommt, kann wissen, wo er hingeht. Und so stehe ich hier, nicht mehr im Schatten meiner Zweifel, sondern im Licht meiner Authentizität – bereit, meine Geschichte zu teilen, meine Identität zu würdigen und anderen Mut zu machen, sich nicht zu verstecken. Denn in der Offenheit liegt nicht nur Freiheit, sondern auch die Kraft, wahre Veränderung zu bewirken.

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