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  • Was bringt Diversität im deutschen Film und Fernsehen?

    Man kann von Diversität halten, was man möchte. In „diversen“ Film und Fernsehen ist es oft so, dass die gleiche Story erzählt wird, nur diesmal hat man halt andere, nicht-weiße Gesichter im Vordergrund. Was eigentlich viel wichtiger ist, als Diversität, ist Repräsentation. Damit ist gemeint, dass eine Lebenswelt akkurat und authentisch abgebildet wird und vor allem Minderheiten ehrlich dargestellt werden. Also dass nicht unter dem Deckmantel des Begriffes von Diversität dieselbe Geschichte erzählt wird, dieselben Charaktere geschrieben werden, und sich de facto nicht viel mehr ändert.

    Letzteres muss übrigens nicht unbedingt schlecht sein. Ein Beispiel dafür ist zum Beispiel Fatih Akins Film „Rheingold“, ein Biopic des Rappers Xatar. Allein für diese Themenauswahl wurde Fatih Akin in vielen Kreisen als großer „diverser“ Regisseur gelobt zum Release, als jemand, der sich gegen Rassismus und für Repräsentation einsetzt.

    Und vorneweg, „Rheingold“ ist ein solider, sehr unterhaltsamer Film. Doch wirklich divers ist das Ganze jetzt auch nicht. Nur weil vor der Kamera die Geschichte eines kurdischen Rappers erzählt wird, heißt es noch lange nicht, dass hinter der Kamera alle Stellen divers besetzt sind. Diese Leute haben alle einen verdammt guten Job gemacht, Fatih Akin auch. Aber Gespräche über Diversität bei solchen Beispielen sind meiner Meinung nach etwas deplatziert.

    In der deutschen Filmindustrie tut sich aber doch etwas, was Diversität und Repräsentation angeht. Ein aktueller Blick in die ARD Mediathek reicht und man wird fündig. „Made in Germany“ und „Schwarze Früchte“ sind zwei sehr unterschiedliche Serien, die hierzulande aber doch in gewisser Weise im Dialog zueinander stehen. Sie sind beide im Oktober gestartet und wurden von derselben Firma produziert (Studio Zentral, jeweils in Koproduktion).

    „Made in Germany“ möchte das Gefühl einer Generation einfangen, von sechs Freund*innen Anfang 20, die alle einen anderen ethnischen Hintergrund haben und denen jeweils eine Folge gewidmet ist. Wir sehen die Deutsch-Vietnamesin Ani, die Alevitin Zehra, die Schwarze Hijabi Coumba, den Juden Nikki, den Kurden Mo und Jamila mit einem jamaikanischen Elternteil. Die Serie bietet viel Raum für Debatten, allen voran Alltagsrassismus, Identität, Generationenkonflikte.

    Doch leider geht die Serie für mich überhaupt nicht auf. Das sind alles natürlich super interessante Gedanken und es ist sehr gut, dass sie in der ARD Mediathek ihren rechtmäßigen Platz finden, aber die einzelnen Episoden fühlen sich leider nicht organisch an. Die Dialoge wirken unecht, die ganzen Konflikte zwischen den Charakteren sind amateurhaft und plump erzählt. Und die Eltern, Mann oh Mann, es gibt, glaube ich, keine einzige Elternfigur, die nicht ein totales Klischee ist. Das passiert, wenn die Ausrichtung einer Serie reine Identitätspolitik ist, also nur divers sein und nicht, was bei Serien viel wichtiger wäre: Eine spannende Geschichte zu erzählen. Schade!

    Es ist kein Wettbewerb und ich möchte „Made in Germany“ auch nicht weiter unnötig runtermachen, aber bei „Schwarze Früchte“ gelingt vieles deutlich besser. Zum einen wird das Thema Diversität und Repräsentation, was ein Fundament der Drehbücher und Figuren ist, sehr organisch mit der Geschichte verwoben und es fühlt sich nicht erzwungen an. Wir brauchen nicht ständig eine Erinnerung, dass wir hier eine Serie mit !!!!! Schwarzen Figuren !!!!! schauen, es ist einfach selbsterklärend und das macht die Erzählung und Inszenierung so elegant.

    Darüber hinaus hilft es natürlich, dass „Schwarze Früchte“ mit Lalo (gespielt vom Creator der Serie selbst, Lamin Leroy Gibba) und Karla (Melodie Simina) zwei Protagonist*innen hat, die einen fesseln und Themen wie Sexualität, Macht, Freundschaft sehr realitätsnah erforschen. Was ich auch super finde ist, dass jede Figur fehlbar ist, wenn nicht sogar total unerträglich (Lalo), und das muss eine Serie mal schaffen, dass gebrochene, unsympathische Figuren in den Mittelpunkt gestellt werden und es dennoch irgendwie funktioniert. „Schwarze Früchte“ hat ein kleines bisschen was von der amerikanischen Serie „Atlanta“, aber auch weiteren passenden Charakterstudien wie „Insecure“ oder „Ramy“. Ich hoffe, es folgt bald eine zweite Staffel davon.

    Hast du „Made in Germany“ oder „Schwarze Früchte“ schon gesehen? Wie fandest du denn die Serien? Oder gibt es eine andere aktuelle Serie, die du mit den Leser*innen von roots & reels teilen möchtest? Schreib mir gerne eine E-Mail an schayan@kohero-magazin.de.

    Danke fürs Lesen und viel Spaß beim Schauen

    Dein Schayan

     

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  • Im Spotlight: NOAZ DESHE

    Die Arbeiten des Regisseurs, Kameramanns und Musikers Noaz Deshe wurden in Galerien in London und Berlin ausgestellt. Neben seiner künstlerischen Arbeit war Deshe auch als Freiwilliger bei Seenotrettungsmissionen und in Geflüchtetenlagern tätig. Basierend auf seinen Erfahrungen und Begegnungen mit Geflüchteten schrieb er gemeinsam mit Babak Jalali das Drehbuch zu seinem zweiten Spielfilm „Xoftex“, der in einem griechischen Lager für Geflüchtete spielt und von palästinensisch-syrischen Jugendlichen handelt, die auf die Entscheidung über ihren Asylantrag warten und die Zeit mit selbstgedrehten Sketch-Comedy-Filmen vertreiben. Ich habe mit Noaz Deshe u. a. über seine Arbeit und seinen Aktivismus gesprochen.

    Lieber Noaz, du hast in „Xoftex“ mit echten Asylsuchenden gedreht, das Drama ist inspiriert von ihren Lebensgeschichten. Warum hast du keinen Dokumentarfilm daraus gemacht?

    Es gibt sogar eine Doku. Und die wird hoffentlich im nächsten Jahr veröffentlicht. Die beiden Filme könnten dann im Dialog zueinander stehen, vor allem was das Thema „Realität“ angeht. Eine Art Pingpong, da sie sich sehr ähnlich sind und sich auch spiegeln. Aber der Grund, warum ich das nicht vermischen wollte, ist, weil ich meine Protagonisten aus der Doku nicht in eine Situation zwingen wollte, in der ich Fiktionen für sie erschaffe, die nicht vollständig aus ihrem eigenen Orbit stammen. Es gibt totale Freiheit im Dokumentarfilm, aber man kann keine Dinge für Protagonisten erfinden, die nicht von ihnen selbst kommen. Also habe ich „Xoftex“ als Spielfilm erzählt, weil ich einige Freiheiten brauchte, um Themen anzusprechen, die nicht organisch gewesen wären für die ursprüngliche dokumentarische Recherche. Zum Beispiel einige Charaktere, die ich getroffen habe, und die ich auf eine fiktive Reise mitnehmen wollte.

    Wie führt man Regie bei einem Film, wo viele Schauspielenden zum ersten Mal vor der Kamera stehen? Kann man sich das so vorstellen wie beim Theater, mit vielen Proben?

    Fast alles, was man im Film sieht, wurde im Vorhinein skizziert. Wir haben Storyboards angefertigt und eine kleine Graphic Novel produziert, die zeigt, wie der Film am Ende werden soll. Weil dieser Plan so fest in meinem Kopf verankert war, konnte ich einfach diese Bilder nutzen, um die Szenen so hinzubekommen, wie ich wollte. Und meine Schauspieler hatten dafür dann die komplette Freiheit. Ich habe ihnen vollkommen vertraut. Meine Verantwortung war es, am Set zu erscheinen, als hätte ich noch nichts gesehen oder geplant und dann nur zu reagieren, als würde ich etwas dokumentieren. Ich habe mich von der Energie der Darsteller leiten lassen. Und habe versucht alles einzufangen, vor allem ihre Energie, so als hätte es einen elastischen Band gegeben, wodurch sie mit mir verbunden waren und ich mit der Spannung des Bandes spielen konnte. So habe ich mich dann mit den Darstellern mitreißen lassen.

    Neben deiner Regiearbeit bist du auch als Aktivist tätig. Wie steht dein Aktivismus im Zusammenhang mit deiner künstlerischen Arbeit?

    Man ist nicht Aktivist, damit man irgendwann einen Film machen kann, sondern man engagiert sich einfach, um sich zu engagieren. Aber man denkt natürlich darüber nach, wie dieses Engagement nutzbar sein kann, wie man mit seinen Fähigkeiten etwas schaffen kann, worüber dann diskutiert wird. Wie man Aufmerksamkeit schafft. Wenn ich in einem Lager für Geflüchtete bin und ein unglaublich kreatives Gespräch führe, dann wünsche ich, dass jeder diesen Moment erleben und Menschen in dieser Situation auf eine völlig andere Weise schätzen kann, als sie es von den sozialen Medien oder ihren Algorithmen kennen.

    Wie wichtig ist Humor für dich? Ich frage nur, weil „Xoftex“ trotz der düsteren Momente und Schicksale der Protagonisten auch viele witzige Momente hat.

    Wie kann man überleben, ohne ständig über sein Leben zu scherzen? Man bewältigt Tragödie eben durch Comedy. Man lacht ständig über schreckliche Dinge. Meine syrischen Mitarbeiter und Freunde lachen natürlich, wenn sie den Film sehen. Denn das ist ihre natürliche Reaktion darauf. So soll es auch sein. Man soll gleichzeitig lachen und weinen, und wütend sein. Man soll nicht nur eine Emotion haben. Wir sind an einen Punkt gekommen, an dem Emotionen jetzt in einzelne Teile aufgespalten werden. Aber es gibt nicht nur die „eine“ Emotion.

    Du hast Algorithmen angesprochen und wie diese Geflüchtete anders darstellen als sie sind. Doch für viele Menschen ist das Internet lebenswichtig, wie wir zum Beispiel in Gaza sehen können. Da ist es doch wichtig, dass wir diese Bilder sehen, dass unser Algorithmus eben auch diese Seite des Internets aufzeigt.

    Absolut. Es ist eine Lebensader, wenn Menschen auf der Flucht sind oder migrieren. Aber ich spreche nicht von Menschen in existenziellen Krisen, wie etwa in Palästina. Sie müssen gehört werden, klar. Ich spreche von Menschen, die es sich zu Hause bequem gemacht haben und entschieden haben, dass es nur eine Version der Realität gibt. Weil sie mit der einzigen Version der Realität, die sie sehen, einverstanden sind. Und darin steckenbleiben. Das ist eine gefährliche Form des Konsums. Denn du wirst nur weiterhin das konsumieren, was du weiterhin konsumierst. Und dein Algorithmus weiß, was du konsumierst, also wird dir einfach mehr davon geben. Und entschieden, was gut für dich ist. Was deine Aufmerksamkeitsspanne ist. Das macht dich zu einem Roboter. Du bist ein Produkt. Und du solltest dir bewusst sein, wie schädlich das ist.

    Aber das ist doch der Punkt. Wenn wir nicht vor Ort sind und Menschen auf der Flucht oder Bilder aus Gaza sehen, dann ist das wichtig, weil sowas eigentlich unterdrückt wird vom Algorithmus.

    Ich denke, Lösungen anzubieten und auf eine Zukunft zu schauen, insbesondere bei einem Konflikt, der so entzündlich ist, und sich im Allgemeinen auf Lösungen zu konzentrieren, das ist nicht weniger wichtig, als die Wahrheit über die schrecklichen Massaker und Gräueltaten zu erzählen. Es gibt zum Beispiel Gruppen von Palästinensern und Israelis, die die einzige Hoffnung sind, diesen Konflikt zu stoppen, das ist eine unglaubliche Bewegung, die sich gegen die israelische Regierung stellt. Aber das wird nicht berichtet, weil es nicht Teil deines Algorithmus ist. Und das ist eine sehr wichtige Sache. Man muss die vernünftigen Stimmen verstärken, selbst wenn sie nicht in die Agenda passen. Das gilt für die Ukraine, das gilt für den Sudan, für den Kongo, das gilt für jede Bewegung, die sich um Menschen kümmert. Denn wenn wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln wollen, müssen wir uns um alle Menschen kümmern.

  • Eindrücke vom Hamburger Filmfest

    Die letzten zwei Wochen standen (zumindest für mich) ganz im Zeichen des Hamburger Filmfests, welches zum 32. Mal insgesamt und zum ersten Mal unter der Leitung von Malika Rabahallah stattfand. Die ehemalige Producerin, Co-Autorin und Co-Regisseurin löste den langjährigen Direktor Albert Wiederspiel ab. Vor ihrer spannenden neuen Aufgabe war Rabahallah bei der MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, wo sie seit 2015 die Förderabteilung geleitet hatte und für internationale Koproduktionen und Kooperationen zuständig war.

    In den letzten Jahren hatte sie sich auch stärker für die Förderung, Vernetzung und Weiterbildung von Filmschaffenden mit Migrationsgeschichte eingesetzt. Zum Beispiel durch eine Workshopreihe im letzten Jahr, an der auch ich durch meinen ehemaligen Job als einer der Förderer teilgenommen hatte. Dort wollten wir jungen, insbesondere nicht-weißen Filmschaffenden eine Plattform bieten, sie miteinander zu vernetzen und ihnen ermöglichen, die deutsche Förderlandschaft besser kennenzulernen.

    Ich war also sehr gespannt, was für ein Programm Malika in ihrem ersten Jahr zusammenstellen und dem Hamburger Publikum bieten würde. Ihr Team punktete schon vor Beginn mit einer besonders schönen Botschaft: Am 3. Oktober würde es komplett freien Eintritt geben. Andere Filmfestivals könnten sich (und werden sie in Zukunft bestimmt auch) eine Scheibe davon abschneiden, um sich attraktiver zu machen in diesen Zeiten der Inflation.

    Doch freier Eintritt hin oder her, die Filme müssen am Ende des Tages ja auch stimmen. Hier also ein paar Gedanken von mir zu einigen Titeln im Programm des Filmfestes Hamburg 2024:

    Meidne Top 3 vom Hamburger Filmfest

    Der dänisch-iranische Regisseur Ali Abbasi, der zuletzt mit seinem Serienmörderfilm „Holy Spider“ international für viel Aufsehen gesorgt hatte, inszeniert in „The Apprentice“ einen großartigen Sebastian Stan in der Rolle des jungen Donald Trump. Es wird hier der Aufstieg eines ehrgeizigen Menschen gezeichnet und die Charakterzüge, die wir heute aus den Schlagzeilen kennen (Narzisst, Rassist, Sexualstraftäter, Lügner und vieles mehr), diese scheinen schon immer vorhanden gewesen zu sein. „The Apprentice“ ist eine großartige Charakterstudie mit einem sehr soliden Cast. Und ab dem 17. Oktober auch regulär im Kino.

    „The Assessment“ ist ein erschreckend zeitgemäßer Science-Fiction-Film. Regisseurin Fleur Fortuné erzählt von einer Welt, die infolge des Klimawandels unbewohnbar geworden ist, wo die Regierung entscheidet, wer Kinder bekommen darf und wer nicht. In einem abgeschiedenen, futuristischen Haus lebt ein Paar, das von einer Gutachterin besucht wird. Eine Woche lang müssen sie unter Beweis stellen, dass sie dafür geeignet sind. Himesh Patel und Elizabeth Olsen brillieren in dieser psychologischen Studie als nervöse Möchtegern-Eltern sowie Alicia Vikander als mysteriöse Regierungsvertreterin.

    Der Film passt gut als „double bill“ zu „Good One“, ein ruhiges, nachdenkliches und nachdenklich machendes Drama von India Donaldson. In diesem Debütfilm wird ein Wanderurlaub gezeigt und die Dynamik, die sich über die paar Tage zwischen einer Tochter und ihrem Vater sowie seines Freundes entfaltet. Beide Filme, „The Assessment“ sowie „Good One“, handeln von Themen wie Erziehung, Regeln und wann wir sie brechen oder nicht und überhaupt dem Konzept von „Nature vs. Nurture“. Ich hoffe, dass die beiden Filme auch bald ins Kino kommen werden, damit du sie auch sehen kannst.

     

    Meine beste Überraschung

    Ich sage Überraschung, weil ich mit sehr wenigen Erwartungen in diesen Dokumentarfilm reingegangen bin und durchweg positiv überrascht wurde. „Googoosh – Made of Fire“ von Niloufar Taghizadeh dokumentiert die Sängerin und Schauspielerin Googoosh (bürgerlicher Name Faegheh Atashin), die seit über 50 Jahren eine Ikone der iranischen Popkultur ist. Nach der islamischen Revolution folgten Auftrittsverbot, Gefängnis und Hausarrest. Nach ein paar Jahrzehnten gelang ihr die Ausreise und damit ein Comeback im Exil.

    Besonders ergreifend ist der Moment im Film, als Googoosh checkt, dass auch die jüngere Generation ihre Lieder kennt und genauso feiert wie ihre eigene Generation – damit hätte sie niemals gerechnet. Und dass sie heute ihre Stimme nutzt, um sich auf ihren Konzerten gegen das iranische Regime und der Ermordung von jungen Aktivistinnen auszusprechen, das gibt der ganzen Doku einen hoffnungsvollen Charakter. Vergangenheit und Gegenwart sind hier miteinander verwoben. Der Film ist ab heute in Deutschland im Kino, schau gerne nach, ob der auch in deiner Stadt läuft.

     

    Meine größten Enttäuschungen

    Ich möchte nicht lange negativ sein, deswegen nur zwei kurze Sätze zu den gehypten Filmen „Emilia Pérez“ von Jacques Audiard und „The Room Next Door“ von Pedro Almodovar. Ich fand beide Filme unausstehlich, trotz der vielen Awards in Cannes und Venedig. Wahrscheinlich werden auch viele Oscar-Nominierungen für die Schauspielerinnen in den jeweiligen Filmen folgen. Beide Filme starten in den nächsten Wochen auch hierzulande in den Kinos.

    Wirst du dir die Filme anschauen? Wirst du die Dialoge und Erzählstränge dann auch so schrecklich finden wie ich? Wirst du dir auch denken, warum erzählen hier weiße Menschen wieder Geschichten von nicht-weißen Traumata und instrumentalisieren sie? Oder bin ich mal wieder das Problem? (Sorry, das waren jetzt mehr als zwei Sätze, ich weiß, ich bin auf jeden Fall das Problem).

     

    Der deutsche Krimi in der Mediathek

    Wer mich kennt, weiß, dass ich vor vielen Jahren mal in einer Filmproduktionsfirma in Berlin gearbeitet habe. Dort wirkte ich unter anderem an einer Krimiserie für das ZDF mit, die Ostfriesenkrimis. Ich selbst bin leider kein Fan von deutschen Krimis, nicht nur, weil es einfach zu viele im deutschen Fernsehen gibt, sondern auch, weil ich sie qualitativ einfach nicht gut genug finde.

    Hier und da gibt es mal Ausnahmen (und ja, es kommt auch mal vor, dass einzelne Tatort-Folgen in Ordnung sind, siehe die letzte Ausgabe des Newsletters), doch meistens lassen die Drehbücher und die schauspielerischen Leistungen zu wünschen übrig. Auf jeden Fall stehen sie in keinem Vergleich zu ihren britischen, skandinavischen oder auch amerikanischen Counterparts wie „Broadchurch“, „The Killing“ oder „True Detective“.

    Hinzu kommt ja auch der nicht unwichtige Aspekt der „Copaganda“, also dass solche Werke oft nur deshalb produziert werden oder dafür dienen sollen, das allgemeine Image der Polizei reinzuwaschen, vor allem wenn es im starken Kontrast zur eigentlichen Arbeit der Polizei im echten Leben steht. Das ist aber ein Thema beziehungsweise eine Newsletter-Folge für sich …

    Interessiert war ich dennoch an „Die Polizistin und die Sprache des Todes“ von Lars Becker, der ebenfalls im Programm des Filmfestes Hamburg lief und ab sofort in der ZDF-Mediathek abrufbar ist. Einzig und allein wegen Thelma Buabeng, die in diesem Film die Hauptrolle der Fallanalystin Gloria Acheampong spielt. Als Schwarze Serienmord-Profilerin, die als Sonderermittlerin an der dänischen Grenze versucht, eine Mordserie aufzuklären, ist Buabeng sehr solide, auch wenn ich den Film am Ende dann doch genauso schwach fand wie andere deutschsprachige Fernsehkrimis sonst auch. Aber vielleicht findest du trotzdem gefallen daran.

    Stefan Raab ist back

    Apropos Influencer*innen: Stefan Raab ist back. Er ist zwar kein Influencer, macht sich sogar über diese lustig, aber sein Einfluss auf die deutsche Comedy-Szene steht außer Frage. Für die Jüngeren unter euch (wie alt seid ihr alle eigentlich?) wird der Mann wahrscheinlich kein allzu großer Begriff sein, aber Raab ist zumindest im deutschsprachigen Raum mit unter anderem TV Total einer der prägendsten Entertainer aller Zeiten geworden. Nach 10 Jahren ist er nun wieder da (nach einem spektakulären Boxkampf gegen Ex-Boxweltmeisterin Regina Halmich und einer dritten Niederlage gegen sie) und macht nun eine neue Show auf RTL+ um, hier paraphrasiere ich, „auch die neue Generation mit guter Unterhaltung zu versorgen“.

    Ich bin mir nicht sicher, ob Raabs Humor in unserer Zeit überhaupt noch funktioniert und ob er für diese Zielgruppe relevant genug ist. Und ich frage mich, wie viele überhaupt ein kostenpflichtiges Abo bei RTL+ abschließen werden, um sich „Du gewinnst hier nicht die Million“ (so heißt die neue Show wirklich) anzuschauen. Eins ist sicher: Nichts endet. Daran denke ich die ganze Zeit. Superheldenfilme mit Wolverine, Nazis in Deutschland, Debatten über Abschiebungen und Migration und jetzt Stefan Raab. Das sind alles Themen, die nie wirklich weg waren, sie kommen immer wieder, vielleicht leicht abgewandelt oder im neuen Gewand, aber im Kern genau gleich.

    NEU IM KINO: The Beast

    Im Jahr 2044 sind solche banalen Sachen wie Emotionen Schnee von gestern. Nur kann sich Gabrielle (Léa Seydoux) nicht von ihren Gefühlen befreien und muss ihre DNA von einer KI „reinigen“ lassen. Dieser Prozess bedeutet, dass sie auf eine Reise durch ihre früheren Leben – einmal als Konzertpianistin im 20. Jahrhundert und dann als Schauspielerin im Jahr 2014 – geschickt wird.

    Immer wieder trifft sie dabei auf Louis (George Mackay), die beiden scheinen über die Jahrzehnte und über verschiedene Leben hinweg miteinander verbunden zu sein. Der französische Regisseur Bertrand Bonello erzählt in „The Beast“ eine einzigartige Liebesgeschichte, die an Filme wie „Everything Everywhere All At Once“ oder „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ erinnert. Ich würde sagen, dass sich der Kinofilm lohnt, wenn man auf deepen, weirden Arthouse steht.

  • Im Spotlight: YASEMIN ŞAMDERELI

    Yasemin Şamdereli kennt man von ihrer wahnsinnig erfolgreichen Komödie „Almanya – Willkommen in Deutschland“. Mit „Samia“ hat sie jetzt ein Biopic über die somalische Leichtathletin Samia Yusuf Omar gedreht, die 2008 an den Olympischen Spielen in Peking teilnahm und vier Jahre später im Mittelmeer ertrank. Ich habe mit Yasemin Şamdereli im Rahmen des Filmfests München über die Verfilmung dieser unfassbaren Geschichte gesprochen.

     

    Yasemin, wann hast du zum ersten Mal von Samia und ihrer Lebensgeschichte erfahren?

    Ich muss zugeben, dass ich nichts von Samia gewusst habe. Erst als ich von den italienischen Produzenten kontaktiert wurde, habe ich von ihrer Geschichte erfahren. Der Film ist ja eine internationale Co-Produktion zwischen Deutschland und Italien. Mir wurde der biografische Roman „Sag nicht, dass du Angst hast“ von Giuseppe Catozzella geschickt, den ich dann mit meiner Schwester Nesrin gelesen habe. Wir waren beide total ergriffen, weil es schockierend und unglaublich traurig ist, dass jemand mit 17 Jahren das schafft, was Samia geschafft hat, und dann vier Jahre später im Mittelmeer ertrinkt. Für uns war sofort klar, dass wir alles dafür tun müssen, um diesen Film zu machen.

    Der Film ist in Zusammenarbeit mit der Filmemacherin Deka Mohamed Osman entstanden. Wie kann man sich das vorstellen?

    Nesrin und ich sind keine Somalierinnen, aber für uns war von Anfang an klar, dass der Film auf somalisch und mit somalischen Darsteller*innen gedreht werden muss. Anders hätten wir das gar nicht machen können. Es brauchte aber eine Person an unserer Seite, die diese Welt verstanden hat. Wir hatten das große Glück, dass wir Deka und ihre Familie in der Vorbereitungsphase in Turin getroffen haben. Deka war gerade dabei, selbst Film zu studieren. Ich hatte mal wieder mehr Glück als Verstand, so eine tolle Partnerin gefunden zu haben. Dadurch wurde uns vieles in der Vorbereitung und auch beim Drehen ermöglicht.

    Ich fand den Film sehr respektvoll im Umgang mit der somalischen Kultur und den Figuren, wo es in anderen deutschen Produktionen vielleicht mehr Vorurteile gegeben hätte. Wie seid ihr vorangegangen?

    Es hat geholfen, dass ich einen muslimischen Hintergrund habe. Ich verstehe also vieles von der somalischen Kultur, auch wenn ich türkische Wurzeln habe. Kultur ist immer etwas Vielfältiges, Menschen sind so komplex und wundervoll und es war mir ein großes Anliegen, Samias Familie so darzustellen, wie Familien überall auf der Welt vorhanden sind. Es gibt sehr religiöse Menschen, es gibt weniger religiöse Menschen und wir wollten zeigen, dass Samias Familie zwar auch muslimisch ist, aber sie kein Problem damit hat, dass eine Tochter Läuferin ist oder ihre andere Tochter singt. Sie sehen keinen Konflikt darin mit der Auslegung ihrer Religion.

    Und wir respektieren das aus dem Verständnis heraus, dass das eine ganz normale Familie ist, die genauso blöde Witze und Bemerkungen macht wie andere. Da wird rumgealbert, gestritten, gelacht und da wird auch sehr viel geliebt. Wir müssen unseren Blick und unser Herz öffnen, damit wir gar nicht erst auf die Idee kommen, dass es etwas gäbe, was uns alle voneinander unterscheidet.

    Auch bei der Vaterfigur in „Samia“ ist es sehr auffällig, wie lieb und verständnisvoll sie dargestellt ist, was an sich ja normal sein sollte. Aber bei anderen Filmen über diese Region und diesen Kulturkreis sind wir herbe männliche Charakterisierungen gewohnt.

    Absolut. Uns war ganz wichtig zu zeigen, dass man als Tochter einer muslimischen Familie Freiheiten bekommt. Das sind Freiheiten, die meine Familie mir gegeben hat. Wir wollten zeigen, dass viele muslimische Väter kein Problem damit haben, dass ihre Kinder ihren Weg gehen. Das heißt nicht, dass Eltern immer alles toll finden, was ihre Kinder machen. Es heißt einfach, dass Eltern auch diesen Schritt wagen. Unser Bruder war hier eine Referenz für uns. Das ist der liebste Mensch auf dem Planeten. Und dauernd müssen wir bei Filmen mit Bildern kämpfen, die ihn als muslimischen Mann besonders anpacken. Natürlich gibt es auch muslimische Männer, die nicht so sind wie Samias Vater, aber genauso gibt es ja auch den Deutschen, der durchdreht, weil seine Frau ihn verlassen hat. Sowas gibt es leider überall.

    Hattet ihr Kontakt zur echten Familie von Samia?

    Ich persönlich nicht, weil ich einfach nicht nach Somalia konnte, aber ja, wir haben Kontakt. Suad Osman, die Mutter von Deka und unserer Hauptdarstellerin Ilham, die war unglaublich wichtig für dieses Projekt. Samia hat zwar eine Schwester in Finnland, aber in Mogadischu war es gar nicht leicht herauszufinden, wo Samias Familie lebt. Also hat Suad für uns Leute gefragt und recherchiert. Nach einer wirklich langen Suche ist sie auf die Mutter und Samias Brüder gestoßen. Und hat denen von unserem Projekt erzählt, was wir machen wollen. Sie hat deren Segen für das Projekt eingeholt. Dadurch sind sie in das Projekt eingebunden, was uns natürlich wichtig war.

    Die Flucht von Samia ist ein zentraler Bestandteil ihres Lebens und auch des Films. Wie habt ihr sichergestellt, dass die Menschen nicht traumatisiert werden?

    Die Szenen auf dem Boot waren ganz hart für alle. Ganz viele Menschen, die als Statist*innen dabei waren, hatten ähnliches durchgemacht. Das hat natürlich viele getriggert. Wir hatten eine Psychologin am Set, weil bei vielen Darsteller*innen und Statist*innen sehr schreckliche Erinnerungen hochkamen. Diese Menschen haben wir natürlich rausgeholt und ihnen gesagt, dass sie nicht mitmachen müssen. Aber am nächsten Tag kamen viele wieder und sie hatten die Haltung, dass sie mitmachen möchten, weil andere Menschen den Film sehen und verstehen werden, was Flucht bedeutet – das hat sie motiviert. Sie haben es auch alle für Samia gemacht.

    Der Film erscheint in einem politisch sehr aufgeladenen Klima. Verstehst du „Samia“ auch als Statement auf Politik und Medien?

    Absolut. Es wird mit Zahlen und Statistiken so viel Angst gemacht. Dabei gibt es eigentlich nichts, was uns unterscheidet. Nur weil Menschen uns Angst machen, wir würden etwas verlieren, wenn Menschen hierher flüchten, dürfen wir uns nicht in die Irre führen lassen. Nur weil wir das Glück haben, irgendwo zu sein, wo vieles toll funktioniert, dürfen wir nicht unser Herz verschließen. Darum geht es im Film.

  • roots&reels #17: Filmkritiker und sogenannte Expert*innen

    Vor geraumer Zeit wurde ich mal von einem Freund gefragt, ob ich mich eher als Filmkritiker, als Filmjournalist oder als – Gott bewahre – Filmwissenschaftler sehe. „Das Letzte hast du ja studiert“. Das ist eine gute Frage, weil ich keine eindeutige Antwort darauf habe. Ich bewege mich wohl frei zwischen diesen Begriffen. Mir gefällt der Begriff Filmkritiker eigentlich, weil es um das Wesentliche beim Filmegucken geht. Filmjournalist würde auch zutreffen, vor allem bei diesem Newsletter, da ich hier nicht nur Filme rezensiere, sondern auch etwas genereller über sie schreibe, Interviews führe, Nachrichten aus der Filmwelt kommentiere.

    Den Begriff Filmwissenschaftler, auch wenn dieser etwas seriöser oder akademischer in seiner Natur ist, finde ich weniger passend. Mein Studium der Filmwissenschaft war, und das ist natürlich eine reine subjektive Wahrnehmung, nicht wirklich wissenschaftlich. Zumindest hatte ich nie diesen Eindruck, zwischen den ganzen Screenings, Essays und eigenen Kurzfilmen. Vielleicht habe ich es auch einfach nicht so ernst genommen. Ich habe aber bestanden, versprochen.

    Warum dieser Einstieg zu Berufsbezeichnungen? Ich nehme in den sozialen Netzwerken immer vermehrt vermeintliche Kulturkämpfe wahr, die am Ende des Tages keine allzu wichtigen Debatten sind. Denn solche „non-issues“ gehen meist von rechts aus, aber sie sind essenziell für eine bestimmte Art von Person, die sich immer in den Vordergrund stellen und Reichweite generieren kann: der*die sogenannte Expert*in. Islamexpert*innen, Genderexpert*innen, Rassismusexpert*innen, Genozidexpert*innen, es gibt kein Thema, wo es keine entsprechende Stimme im deutschsprachigen Raum gibt, die mit ihrer Expertise prahlen kann. Nur dauert es nicht lange und sie entlarvt sich mit fadenscheinigen Argumenten als, sagen wir mal, ahnungslos.

    Letzte Woche war eine besonders erfolgreiche Woche für diese Sorte von Menschen. Die Kontroverse um Imane Khelif zum Beispiel, eine algerische Olympia-Boxerin, wurde schnell ausgenutzt, um transfeindlichen Ideologien freien Lauf zu lassen. „Warum boxt ein Mann gegen Frauen“ hieß es überall, „damit gefährden wir doch das Leben von Boxerinnen“. In der ersten Runde brach nämlich Khelifs italienische Gegnerin den Kampf nach weniger als einer Minute ab, weil sie „noch nie so doll geschlagen wurde“. Es geht hier übrigens immer noch ums Boxen.

    Imane Khelif ist eine biologische Frau. Doch die Expert*innen wollten uns jetzt weismachen, dass Algerien, ein Land, in dem LGBT*-Rechte nicht gerade priorisiert werden, eine trans* Frau zu den Olympischen Spielen in Paris geschickt hätte. Es ist auch nicht so, als wäre Khelif nicht schon bei den letzten Olympischen Spielen in Tokio dabei gewesen, als hätte sie nicht schon mehrmals gegen Frauen verloren. Als hätten ihre Gegnerinnen in den nächsten Runden nicht über alle drei Runden mitgehalten. Aber Fakten spielen keine so große Rolle mehr bei dieser Thematik. Nun steht Khelif im Finale und kann Gold gewinnen. Gut für sie.

    Es gibt auch einen anderen aktuellen Fall, wo das Internet nur so strotzt vom Expert*innentum: bei den rassistischen Ausschreitungen in Großbritannien. Seit mehreren Tagen kommt es in verschiedenen Städten zu gewalttätigen Hetzjagden von —mehrheitlich rechten auf nicht-weiße Bürger. Auslöser war wohl ein Messerangriff in der Stadt Southport, bei dem drei Kinder getötet und weitere verletzt wurden.

    Es verbreiteten sich schnell die Fake-News, dass der Angreifer ein muslimischer Asylbewerber war – es folgten Attacken auf Moscheen, auf Hotels, in denen Asylbewerber*innen untergebracht waren, auf Passanten, die nicht weiß aussahen. So weit, so Rostock-Lichtenhagen. Doch viele Menschen, die jetzt eine Teilschuld bei den „Linken“ oder „Muslimen“ sehen, erwähnen gar nicht, dass die Messerattacke nicht von einem Muslim ausging. Auch hier haben es also die Rechten geschafft, die Diskurshoheit zu gewinnen.

    Warum schreibst du das alles, höre ich dich sagen, das ist doch ein Film-Newsletter? Ja, sorry, doch geht es mir auch um den vorgenannten Punkt. Ob ich nun Filmkritiker, Filmjournalist oder Filmwissenschaftler bin, ich würde mich niemals als Experte bezeichnen. Ich lerne selbst noch so viel, und vor allem bei solchen Talking Points wie Gender und Race schaue ich öfter ins Kino, zu Filmen, die sich mit genau solchen Thematiken beschäftigen, um mich zu bilden.

    Ich verstehe auch vieles nicht, das gebe ich gerne zu, ich habe keine eindeutige Meinung bei vielen Sachen, ich bin mir zu 100 % sicher, dass auch ich hier und da problematische Ansichten vertrete. Aber Filme helfen mir immer wieder, Empathie zu entwickeln. An dieser Stelle also noch zwei Filmempfehlungen (beide auf MUBI verfügbar), die eben voller Empathie und Intelligenz sind: „Eine fantastische Frau“ von Sebastián Lelio (2017) über eine trans* Frau, die sich nach dem Tod ihres Freundes mit seiner Familie konfrontiert sieht, sowie D. Smiths Dokumentarfilm „Kokomo City“, ein Porträt von Schwarzen trans* Frauen in der Sexarbeit.

  • roots&reels #16: Die Hollywood-Maschinerie

    Was haben Lee Isaac Chung, Chloé Zhao, Celine Song und Lee Sung Jin gemeinsam? Ja klar, das natürlich auch, aber ich meine etwas anderes. Diese talentierten Filmemacherinnen und Filmemacher mit asiatischen Wurzeln landen einen kritischen und halbwegs kommerziellen Erfolg mit einem Film, wo es in weiten Teilen um Herkunft, Identität und Repräsentation geht – und *BOOM*: Sie werden ein Teil der großen „Hollywood“-Maschinerie. Irgendwie deprimierend.

    Bei Lee Sung Jin muss man natürlich etwas differenzieren: Hier geht es nicht um einen Kinofilm, sondern um die Netflix-Serie „Beef“. Jin hatte bereits für verschiedene amerikanische Serien geschrieben, bevor er letztes Jahr seinen Durchbruch als Creator von „Beef“ feierte, eine Geschichte zweier Menschen, die im Straßenverkehr aufeinandertreffen und die Kontrolle (über ihr Leben) verlieren. Die Serie wurde mit Preisen überhäuft und viele wünschten sich, dass die Story mit einer zweiten Staffel ähnlich weitergeht, mit ähnlichen Charakteren aus verschiedenen asiatischen Communities in Los Angeles.

    Doch in der Ankündigung für die zweite Staffel von „Beef“ sind nicht mehr Hauptdarsteller*innen mit koreanischen oder chinesischen Backgrounds wie Steven Yeun oder Ali Wong zu finden, sondern eher Namen wie Anne Hathaway oder Jake Gyllenhaal (inzwischen wurden die beiden ersetzt durch Oscar Isaac und Carey Mulligan).

    Ich war überrascht, wer hinter der Kamera steht

    Steven Yeun spielt auch den Protagonisten in Lee Isaac Chungs rührender Geschichte „Minari“ über koreanische Einwanderer im Minnesota der 1980er, die versuchen, sich mit ihrer Farm eine Existenz aufzubauen. Ich war sehr gespannt, was Chung als Nächstes macht, weil „Minari“ für mich zu einem der besten Filme des Jahres 2020 gehörte (Tu dir den Gefallen, falls du den Film noch nicht gesehen hast – der Film ist auf WOW Sky verfügbar). Wie feinfühlig und sensibel Chung diese Familiengeschichte erzählt, ist brillant.

    Ich war also mehr als überrascht, als ich letzte Woche „Twisters“ im Kino gesehen und festgestellt habe, wer hinter der Kamera steht. „Twisters“ ist ein gewaltiger Sommer-Blockbuster über Sturmjäger (allen voran Glen Powell und Daisy Edgar-Jones), also Menschen, die freiwillig Wirbelstürme hinterherfahren, um sie zu dokumentieren oder auszulöschen. Gute Besserung erstmal an dieser Stelle an alle Beteiligten.

    Dass der Film sehr unterhaltsam und für einen Action-Thriller mit Horror-Elementen auch handwerklich sehr gut gemacht ist, das sei mal dahingestellt. Dass Lee Isaac Chung als Follow-up zu Minari für so einen Film von Hollywood „abgeworben“ wird, ist bezeichnend. Auch Chloé Zhao, die eher für stille, einfühlsame Streifen bekannt gewesen ist, wurde nach ihrem Oscargewinn für „Nomadland“ direkt in die „Marvel“-Riege katapultiert und drehte mit „Eternals“ einen Superheldenfilm. Einen Superheldenfilm! Damit hätten die wenigsten gerechnet.

    Was ist das Problem?

    Und Celine Song, die letztes Jahr mit „Past Lives“ eine sehr persönliche Geschichte über Liebe und Beziehungen erzählt hat, in der es unter anderem um Migration und Sprache geht, um Korea und Amerika … diese Celine Song dreht nun einen Film mit Dakota Johnson und Chris Evans.

    Was ist eigentlich das Problem? Gibt es überhaupt eins? Natürlich nicht wirklich. In erster Linie meckere ich auf hohem Niveau. Ein Film sollte für sich stehen und wenn dieser gut wird, wie bei „Twisters“ zum Beispiel, dann sollte es natürlich gar keine Rolle spielen, dass junge, talentierte Filmemacher*innen mit asiatischen Wurzeln zu weniger familiären Genrefilmen umswitchen. Auch bei solchen Filmen ist es ja durchaus möglich, eine individuelle Handschrift aufzudrücken.

    Doch für Zuschauende kann es kleines bisschen frustrierend sein, dass eben diese Regisseure in Hollywood „ankommen“ und paar Jahre später einen Film drehen, wo die Geschichte belanglos ist und auch der Cast ein komplett anderer, mit Protagonisten, die zum Beispiel weißer und berühmter sind. Was überhaupt kein Kritikpunkt an diese Schauspieler ist, sondern eher eine Kritik an schwindende Möglichkeiten für asiatische Schauspieler*innen in den USA.

    Übrigens: „Everything Everywhere All At Once“ von Daniel Kwan und Daniel Scheinert, die Science-Fiction-Komödie über asiatisch-amerikanische Identität mit Michelle Yeoh, Ke Huy Quan und Stephanie Hsu, ist bis Anfang August in der ARD-Mediathek verfügbar. Danke an dieser Stelle an den besten Filmclub der Welt, wo solche wichtigen Infos geteilt werden.

     

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  • Im Spotlight: LEIS BAGDACH

    Letzte Woche fand das Filmfest München statt, wo IM ROSENGARTEN Weltpremiere feierte. Der Film handelt von einem deutsch-syrischen Geschwisterpaar auf einem Roadtrip quer durch Deutschland. Der Rapper “Yak” (Kostja Ullmann) muss sich plötzlich um seine Halbschwester Latifa (Safinaz Sattar) kümmern, nachdem ihr Vater im Koma liegt. Ich habe den Regisseur Leis Bagdach getroffen, um mit ihm über sein Regiedebüt und vieles mehr zu sprechen.

    Hallo Leis, du hast für andere Filmemachende Drehbücher geschrieben und auch ihre Filme produziert. Warum wolltest du ausgerechnet bei dieser Geschichte zum ersten Mal selbst hinter der Kamera stehen?

    Mein Vater ist Syrer und meine Mutter ist Deutsche. In meiner Kindheit sind wir in den Ferien immer nach Syrien gefahren. Die Kulturen haben sich in meinem Gefühl sehr stark voneinander unterschieden, ich konnte sie nie zusammenbringen und war lange Zeit hin- und hergerissen. Wir wissen, wie toxisch es sein kann, wenn man in Deutschland die ganze Zeit gefragt wird, von wo man eigentlich herkommt. Ich finde das nicht schlimm, aber das prägt einen. In Syrien wurde ich das nicht gefragt, die Syrer haben immer gesagt, dass ich Syrer sei. Die Deutschen haben auch gesagt, dass ich Syrer bin.

    Ich fand es immer sehr lustig, dass ich in Deutschland geboren bin und hier als Ausländer gesehen werde, die Syrer mich wiederum vereinnahmt haben. Sowas wollte ich erzählen, weil diese unterschiedlichen Kulturen stark in meinem Herzen, meinem Gehirn verankert waren oder sind. Und beim Entwickeln der Geschichte habe ich dann gedacht, verdammt, ich muss den Film selber machen. Das kann niemand so erzählen wie ich.

    Der Film beginnt mit einer arabischen Erzählerstimme, was für einen deutschen Film sehr untypisch ist. War das eine bewusste Entscheidung?

    Als Erstes muss man „deutschen Film“ definieren. Ist damit die Summe der vielen deutschen Filme gemeint, die man gesehen hat und davon eine Schublade im Kopf hat. Oder ist ein deutscher Film einfach ein Film, der in Deutschland finanziert wurde? Beide Sprachen sind wichtig, aber für mich ist das ganz normal.

    Ich habe mir gar keine Gedanken gemacht, wie das ankommt. Der Witz dabei ist ja, dass am Anfang von einem deutschen Volkslied auf Arabisch erzählt wird. Das war der größte Spaß für mich, die zwei Sprachen so zusammenzubringen. Ich wurde von einem Schauspieler auch gefragt, warum denn kein schönes arabisches Lied zu hören ist, aber das ist ja gerade der Witz. Ein Araber mit Akzent singt ein deutsches Volkslied.

    Ich fand das Casting der Hauptrolle sehr spannend. Kostja Ullmann hat bekanntlich keinen arabischen Background. Warum ausgerechnet er?

    Ich wollte für die Hauptrolle eine Person mit arabischem beziehungsweise islamischem Hintergrund. Ich habe viel gesucht und habe dann den Film „3 Türken und ein Baby“ geguckt, weil der Rapper Eko Fresh da mitspielt. Und dann war plötzlich Kostja Ullmann einer der drei Türken. Ich dachte mir, warum zur Hölle spielt er einen Türken, das ist doch eine Kartoffel? Dann habe ich gecheckt, dass er wie ich asiatische und deutsche Wurzeln hat. Seine Mutter kommt aus Sri Lanka und aus Indien und der Vater aus Deutschland. Ich habe ihm das Buch geschickt und er wollte es unbedingt machen. Das war für mich auch wichtig, dass er irgendwie andocken konnte.

    Der Passing-Aspekt in diesem Film ist interessant. Kostja Ullmann spielt zwar einen deutsch-syrischen Rapper, will aber als Deutscher wahrgenommen werden. Mit seiner arabisch-sprechenden Halbschwester hat er Probleme mit der Verständigung. Wie wirst du eigentlich in der Filmindustrie von Kolleginnen und Kollegen wahrgenommen?

    Im professionellen Filmbereich gibt es natürlich immer die Frage, woher der Name „Leis“ kommt. Und ich kann total verstehen, wenn sowas einen triggert, aber das stört mich gar nicht. Erstens, weil ich ein Mann bin und zweitens, weil ich hell bin. Ich könnte auch als Spanier oder Italiener durchgehen. Aber wegen meiner vielfachen Erfahrungen habe ich das Gefühl, dass ich nicht richtig dazugehöre.

    Ich denke immer, ich müsste mir einen Platz erkämpfen. Weil ich nicht aus einer weißen Bürgerschicht komme. Im Filmbereich hast du oft Leute, die aus einem reichen Elternhaus kommen. Kunst und Kultur zu machen, musst du dir leisten, das konnte ich nicht. Für mich hat das Ganze also eher einen Aspekt der Klasse.

    Im Film gibt es auch eine Szene zum aufgeladenen Begriff „Heimat“ und was dieser für wen bedeutet. Wie stehst du zu diesem Begriff?

    Den Begriff Heimat finde ich sehr schwierig, weil er tatsächlich ausschließt. Wir können uns auf den Kopf stellen, aber wenn wir sagen, meine Heimat ist der Bayerische Wald, dann wird es immer Leute geben, die antworten, dass das nicht sein kann, weil guck dich doch mal an. Du kommst doch ganz woanders her. Und da bist du gleich bei dieser Blut-und-Boden-Ideologie. Also ich finde den Begriff Heimat scheiße, weil es ein politischer Kampfbegriff ist. Woraus der Begriff Heimat besteht, vielleicht die Liebe zu einer bestimmten Natur, in der man groß geworden ist, oder die Musik, die Sprache, das feiere ich natürlich total. Das ist mir wahnsinnig wichtig.

    Aber es gab mal in Deutschland einen sehr schönen, sehr gesunden Antinationalismus. Bei Fußballspielen mit Franz Beckenbauer, das kann man sich bei YouTube angucken, da hat keine Sau die Nationalhymne mitgesungen. Die andere Mannschaft schon. Es ist total schön zu sehen, wie sie da alle stehen, Beckenbauer, Hrubesch und niemand bewegt auch nur seine Lippen. Ich fand das immer ganz gut, dass Deutschland einen gebrochenen Bezug zur Heimat hat, aufgrund der Geschichte, weil man tatsächlich sieht, wohin Nationalismus hinführt. Nach der WM 2006 wurde gesagt, endlich gibt es wieder gesunden Nationalismus. Und ich sage, das gibt es nicht. Es gibt nur einen gesunden Antinationalismus. Den wir leider verloren haben.

     

     

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  • Gibt es eine Cancel Culture in der Filmbranche?

    Bitte cancel mich jetzt nicht dafür, aber ich bin der festen Überzeugung, dass es so etwas wie die „Cancel Culture“ nicht gibt. Also, natürlich gibt es einzelne Fälle, wo ein Mensch komplett von der Bildfläche weggecancelt wird, und ja, natürlich kommt es auch mal vor, dass Menschen zur Rechenschaft gezogen werden und Verantwortung für ihre kriminellen Taten übernehmen müssen. Aber dass das eine Kultur in der Unterhaltungsbranche ist, daran glaube ich einfach nicht. Irgendwie scheint es cool geworden zu sein, sagen zu können, dass man gecancelt wird oder wurde.

    Und irgendwie kommt so ein Satz immer von einer Person, die schon immer da gewesen ist und immer bleiben wird. Ich muss immer schmunzeln, wenn zum Beispiel ein bestimmter indischer Regisseur, der für seine Social-Media-Beefs bekannt ist, alle paar Jahre in Interviews sagt, dass er für seine Meinungen schon so oft gecancelt wurde. Aber irgendwie macht er weiterhin Filme.

    Warum ich heute über dieses Thema nachdenke, ist Schauspieler Will Smith. Wenn du die letzten paar Jahre nicht irgendwo im Wald gelebt hast, dann hast auch du mit Sicherheit mitbekommen, was Smith vor zwei Jahren bei den Oscars getan hat, beziehungsweise was er seinem Kollegen Chris Rock angetan hat. Um die Ehre (?) seiner Frau Jada Pinkett Smith zu verteidigen (?), nachdem Rock einen Witz (?) über sie gerissen hatte, stürmte Smith auf die Bühne und verpasste ihm eine Ohrfeige. Du merkst, ich bin immer noch leicht verwirrt über die Einzelheiten dieser Affäre und wie bizarr das alles war.

    Zu der Zeit dachten viele, dass das vielleicht ein Teil der Show sei. Doch spätestens als Smith sich wieder hingesetzt und ein paar Mal Richtung Rock geschrien hatte, er solle den Namen seiner Frau nie wieder in den Mund nehmen, war allen klar, wie ernst die Situation ist. Natürlich gewann Will Smith später seinen ersten Oscar als bester Schauspieler. Sein Abend war komplett. Mehr Hollywood geht nicht.

    Es folgten die üblichen Think Pieces über Comedy und Grenzen und Gewalt und über das Schwarzsein in Hollywood. Es zeichneten sich zwei Gruppen ab: die einen unterstützten Will Smith („Ja, Gewalt ist keine Lösung, aber Chris Rock hat es verdient“) und dann gab es noch eine Gruppe, die normal ist und klar denkt. Natürlich gehörte ich irgendwo dazwischen. Wie dem auch sei: Will Smith entschuldigte sich (interessanterweise nicht während seiner Dankesrede, sondern erst mehrere Monate später) und Chris Rock veröffentlichte ein Netflix-Special, wo er über Will und Jada Pinketts Beziehung herzog und die Klatsche aus seiner Perspektive schilderte. Während all dieser Zeit schwebte das große C-Wort über Will Smith.

    Aber du weißt, was jetzt kommt: Das hat „nur“ zwei Jahre gedauert. Will Smith ist back – und wie! Mit Bad Boys: Ride or Die, dem vierten Teil seiner Buddy-Cop-Reihe mit Martin Lawrence an seiner Seite. Und dazu eine Marketing-Kampagne, zahlreiche Interviews, charmante Social-Media-Clips, und viel wichtiger, einigermaßen gute Kritiken zum Film. Will Smith hat bewiesen, dass man ihn doch nicht für einen bloßen Schlag gegen Chris Rock canceln kann. Und wenn ich ehrlich bin: Gut so. Es gibt viel Schlimmeres. Ein Hollywood ohne Will Smith wäre tatsächlich langweiliger. Aber rede nie wieder über Cancel Culture.

    Problematischer wird es bei ernsteren Fällen (Wobei ich nicht sage, dass es nicht ernst ist, wenn man live vor Millionen von Menschen vor laufender Kamera geschlagen wird, sorry Chris Rock). Der Schauspieler Kevin Spacey wurde im Zuge der MeToo-Kampagne mit mehreren Vorwürfen der sexuellen Belästigung von männlichen Kollegen konfrontiert. Er outete sich dabei (das Timing kam überhaupt nicht gut an in der LGBT-Community) und versuchte, das Ganze als „drunken behaviour“, an das er sich nicht mehr erinnern kann, herunterzuspielen. Und dann war Spacey bis auf die eine oder andere skurrile Videobotschaft für mehrere Jahre untergetaucht.

    Hier wäre bis vor ein paar Monaten der Begriff „Cancel Culture“ zutreffend gewesen, und zwar im positiven Sinne. Das ist aber auch noch einmal ein Thema für sich, wann Culture Culture nur verwendet wird, weil man nicht mehr sagen oder machen darf, was politisch nicht korrekt ist, oder wenn man zur Rede gestellt wird und die Konsequenzen davon tragen muss.

    Es ist nämlich etwas anderes, wenn Aktivist*innen jemanden canceln, oder versuchen zu canceln, wenn er oder sie beispielsweise etwas Rassistisches von sich gibt (Das ist vor allem auf „Black Twitter“ so gewesen, als Schwarze Aktivist*innen den Begriff vor einigen Jahren aufgegriffen und neu angewendet haben), oder wenn ein Rassist sagt, dass er für das, was er sagt, gecancelt wird.

    Aber zurück zu Kevin Spacey: Er wurde freigesprochen, trotz einer Dokumentation, in der weitere Männer zu Wort kommen, die nicht Teil dieses Gerichtsverfahren waren und dem zweifachen Oscar-Gewinner ähnliches vorwerfen. Spacey hat sich nach dem Freispruch zu Wort gemeldet, in mehreren Podcasts und einem längeren Interview mit Piers Morgan; er hat seine Unschuld beteuert, er sei nun mal einer, der gerne flirtet mit jüngeren Kollegen, der seine Macht ausgenutzt hat, der „too handsy“ (seine Worte) ist, aber keineswegs ein Monster.

    Ich möchte hier kein Urteil darüber treffen, ob Kevin Spacey das getan hat, was ihm vorgeworfen wird. Auch das ist meiner Meinung nach ein anderes Thema. Was ich viel interessanter finde, ist, dass er überhaupt zurück ist. Und wie er zurückgekehrt ist. Wie diese PR-Maschinerie in Hollywood funktioniert. Schauspielerkolleginnen und -kollegen haben seinen Rücken. Er bekommt eine Plattform bei namhaften Medien, um sich reinzuwaschen. Und er arbeitet bereits an neuen Filmen. Die Cancel Culture existiert eben nicht. Wer darf als Nächstes zurückkehren?

     

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  • roots&reels #14: Ist Kino tot?

    Vielleicht hast du es auch schon mitbekommen: Anscheinend ist das Kino tot. Letzte Woche ist der Action-Blockbusters „Furiosa“ von George Miller gestartet, ein Prequel der Mad-Max-Reihe, die 2016 mit „Fury Road“ ihren kritischen sowie kommerziellen Höhepunkt erreichte. Uns allen wurde die Nachricht überbracht, dass der Film nicht die nötigen Zuschauer*innenzahlen geliefert hatte wie von den Produzenten erwartet. Und das nur wenige Wochen, nachdem Ryan Gosling und Emily Blunt in „The Fall Guy“ weit unter allen Erwartungen lagen. Der wichtigste Punkt dabei ist, dass sowohl „Furiosa“ als auch „The Fall Guy“ von der Presse weitgehend gefeiert wurden. Wir reden hier nicht über schlechte Filme. Zumindest auf dem Papier hätten die beiden erfolgreicher sein müssen.

    Also, woran liegt das genau? Gehen die Menschen einfach nicht mehr gerne ins Kino? Vor allem seit beziehungsweise nach der Pandemie? Bevorzugen sie lieber ihr bequemeres Setting und die Möglichkeiten von Streaming in ihren eigenen vier Wänden? Und was bedeutet das alles für die Zukunft des Mediums?

    Ich muss gestehen, dass mich solche News immer etwas kaltlassen. Erst letztes Jahr gab es das große Ringen um „Oppenheimer“ gegen „Barbie“, du erinnerst dich sicherlich. Und auch Tom Cruise mit einem seiner Mission-Impossible-Streifen belebte das Kino wieder (wenn er es nicht sogar rettete, danke Tom). Wenn jetzt trotz bester Voraussetzungen Filme wie „Furiosa“ oder „The Fall Guy“ nicht auf der großen Leinwand funktionieren, dann sollte das doch nicht gleich heißen, dass die große Leinwand an sich gestorben ist?

    Ich denke, so einfach ist es eben nicht. Die Frage und die Diskussion darüber finde ich aber natürlich spannend. Was denkst du eigentlich darüber – machst du dir auch Gedanken über the future of cinema? Was bringt dich dazu, überhaupt ins Kino zu gehen? Kommt das eher auf das Genre bei dir an oder achtest du auf besondere Schauspieler*innen? Wartest du auf bestimmte Werke von Regisseur*innen, die du nicht im Heimkino schauen möchtest? Schreib mir gerne!

    Diese Frage wird übrigens alle Jahre wieder gestellt, wie es denn jetzt eigentlich mit dem Kino weitergeht und eine Sache ändert sich dabei nie: Dass das Kino immer bestehen bleibt. Ich bin also skeptisch, dass „das“ hier, was auch immer das sein mag, ein Ende oder sogar Anfang vom Ende ist. Tom Cruise kehrt 2025 übrigens mit dem nächsten „Mission Impossible“ zurück.

  • roots & reels #13: Die Zweiflers

    Fragst du dich auch immer mal wieder, warum du in Deutschland die Rundfunkgebühr bezahlen musst, gerade dann, wenn das Fernsehprogramm bei ARD, ZDF und Co. qualitativ jetzt nicht so hochwertig oder anspruchsvoll ist, um monatliche 18 Euro irgendwas zu rechtfertigen? I feel you. Ich war mal bei meinen Eltern über Weihnachten und das Internet ging nicht, sodass ich in der Zeit leider nur ein paar deutschsprachige Sender empfangen konnte. Das wollte ich mir nicht freiwillig antun. Ich habe in dieser Zeit sehr viele Bücher gelesen.

    Aber genug Negativität für heute. Vor allem, wenn es solche Lichtblicke gibt wie „Die Zweiflers“. Diese neue deutsche Serie beweist uns, dass es Ausnahmen gibt. Alle sechs Folgen sind jeden Cent an die GEZ wert. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die titelgebende jüdische Familie um Opa Symcha, der das Frankfurter Delikatessengeschäft verkaufen möchte. Doch seine Enkel haben ihre eigenen Probleme: Samuel muss als plötzlich junger Vater klarkommen, Leon sich als junger Künstler etablieren. Schwester Dana komplettiert dieses Familienkonstrukt neben den beiden Eltern Mimi und Jackie.

    Die Serie von Showrunner David Hadda, die beim Cannes International Series Festival die höchste Auszeichnung erhalten hat, ist eine intelligente und einfühlsame Auseinandersetzung mit jüdischem Leben in Deutschland, in all seinen Facetten. Die Drehbücher, geschrieben von Hadda, gemeinsam mit Juri Sternburg und Sarah Hadda, kommen ohne Klischees aus. Das Jüdischsein ist hier nicht nur da, um die Figuren klischeehaft auszuschmücken, sondern ein authentischer Teil der Erzählung und um die Story organisch weiterzuentwickeln. Der Holocaust und wie Symcha sich als Überlebender ein Imperium im Frankfurt Bahnhofsviertel aufgebaut hat, ist ein integraler Bestandteil des Plots.

    Gleichzeitig gibt es auch Raum für nuancierte Charakterisierungen, wie bei der jüngeren Generation und wie sie mit der älteren Generation nicht in allen Punkten übereinstimmt. „Die Zweiflers“ ist wirklich sehenswert und kann mit jeder zeitgenössischen amerikanischen Serie mithalten. Dank der Schauspielenden, der Drehbücher, der Kamera, dem Schnitt und vielen weiteren Aspekten. Ich hoffe, es gibt bald eine zweite Staffel.

    Noch eine Empfehlung:

    Eine weitere aktuelle Serie, die sehr zu empfehlen ist, allen voran für Fans des südkoreanischen Meister-Regisseurs Park Chan-wook („Oldboy“, „Die Taschendiebin“), ist „The Sympathizer“ (auf Wow). Chan-wook inszeniert Schauspieler Robert Downey jr., der für seine Leistung als Lewis Strauss in Christopher Nolans „Oppenheimer“ erst vor ein paar Monaten seinen ersten Oscar als bester Nebendarsteller erhalten hat, in gleich vier verschiedenen Rollen. Er spielt in „The Sympathizer“ einen CIA-Agenten, Hochschulprofessor, Politiker und Filmregisseur. Und er brilliert in jeder Persönlichkeit, von schleimig über sanft bis schwungvoll.

    „The Sympathizer“ basiert auf Viet Thanh Nguyens Pulitzer-Preis-Gewinner von 2015 und handelt vom Captain (Hoa Xuande), der zum Ende des Vietnamkriegs als Doppelagent nach Amerika geschickt wird, um dort für die nordvietnamesischen Kollegen Spionagearbeit zu leisten. Oder verfällt er doch seinem neuen Leben in Amerika, wo er Sofia (gespielt von Sandra Oh) kennenlernt? Ich habe die ersten drei Folgen gesehen und hier scheint die Serie erst so richtig Fahrt aufzunehmen. Es werden noch mehr Spannung, Verrat, Skurrilität (dank Robert Downey Jr.) und Vietnam-Geschichtsstunden in den verbleibenden vier Episoden versprochen.

     

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