Schlagwort: Rassismus

  • Diskriminierungsformen im Überblick

    Bei Diskriminierungsformen handelt es sich auch um Herrschaftsverhältnisse, die zusammen wirken und sich bestärken, aber teilweise nicht ganz ineinander aufgehen. Diese Systeme von Unterdrückung sind Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte lang gewachsen und so tief in unserer Welt verwurzelt. Der Abbau von Diskriminierung ist daher schwierig und ein langatmiger Prozess. Meistens sind diese positiven Prozesse, die aufarbeiten sollen,  von Menschen jedoch nicht erwünscht. Dies erschwert den Abbau zusätzlich. In allen Fällen verletzt Diskriminierung die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Diese schreibt in ihrem Art. 1 die Gleichwertigkeit aller Menschen ohne Unterschied ethnischer Zugehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion, Alter, Gesundheitszustand und weiteren fest.

    Welche Diskriminierungsformen gibt es und wie laufen sie ab?

    Unser Autor klärt diese Frage anhand der zehn Diskriminierungsformen in unserer Gesellschaft, die am meisten akut und präsent sind.

    Ableismus: Der Begriff ,,Ableismus‘‘ setzt sich zusammen aus dem englischen Wort ,,able‘‘ (be able : deutsch fähig sein) und ,,ismus‘‘. Die Endung  „ismus“ deutet auf ein geschlossenes Gedankensystem hin. Ableismus ist die alltägliche Reduzierung eines Menschen auf seine körperliche oder geistige Beeinträchtigung. Und damit geht die Auf- oder Abwertung einher. Auch eine ,,nicht Sichtbarkeit‘‘ dieser Menschen in der Gesellschaft geht damit einher.

    Adultismus: ,,Adult’‘ steht für Erwachsene. Diese Art der Diskriminierung beschreibt die Machtungleicheit zwischen jungen Menschen und Erwachsenen. Damit ist die Diskriminierung junger Menschen allein aufgrund ihres Alters gemeint. Erwachsene ignorieren oft die Ideen, Meinungen und Realitäten der jungen Menschen oder nehmen sie nicht wahr. Damit geht eine Abwertung und Unterdrückung im Machtgefälle einher.

    Ageism: Die Altersdiskriminierung  (age: das Alter) bezeichnet eine soziale und ökonomische Diskriminierung  von Menschen oder Gruppen aufgrund ihres Lebensalters. Man erschwert den Betroffenen (meist alten Menschen)  in angemessener Weise am Arbeitsleben und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Es kann auch eine Begünstigung bestimmter Altersgruppen damit gemeint sein.

    Antisemitismus: Auch Judenhass, Judenfeindlichkeit oder Judenverfolgung genannt. Diese Art der Diskriminierung ist eine bestimmte Wahrnehmung von jüdischer Religion und Kultur, die sich im Hass auf jüdische Menschen ausdrückt. Antisemitismus richtet sich so gegen die Menschen und gegen ihr Eigentum und ihre Institutionen.

    Homofeindlichkeit: Bezeichnet die Diskriminierung von schwulen und lesbischen Menschen. Dieses wird zum Beispiel durch Ablehnung, Wut, Intoleranz, Unglauben oder körperliche und psychische Gewalt deutlich. So wird das Leben für Menschen, die nicht heterosexuell orientiert sind, in der Gesellschaft schwer. Die hetero narrative Form der Gesellschaft, die dem zugrunde liegt, wird nicht reflektiert.

    Islamfeindlichkeit: Diese meint die Feindseligkeit gegenüber muslimisch gläubigen Menschen sowie deren kategorisierte Abwertung und Benachteiligung. Es ist umstritten, ob Islamfeindlichkeit eine Art des Rassismus darstellt oder ob man sie als eine Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ansehen muss. Muslime und Musliminnen und der Islam werden hier als das negative ,,Andere‘‘ gesehen.

    Klassismus: Bedeutet Vorurteile oder Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft, der sozialen Position, oder dem sozialen Status von einzelnen Menschen und Gruppen. Sie richtet sich also überwiegend gegen Angehörige der ,,niedrigeren‘‘ sozialen Klasse. Voraussetzung für Klassismus ist ein Klassenbewusstsein: Man stereotypisiert Menschen, die nicht in den Kontext passen, und grenzt sie aus.

    Nationalismus: Ist eine Ideologie, die eine Identifizierung und Solidarisierung aller Menschen einer Nation anstrebt und mit einem souveränen Staat verbinden will. Nationalismen werden von Nationalbewegungen getragen und in Nationalstaaten auch durch das jeweilige Staatswesen reproduziert. So formt man die kollektive Identität einer Nation. Die eigene Nation wird so erhöht und andere Nationen abgewertet. Viele Menschen setzen diese Sichtweise oft aggressiv um.

    Rassismus: Ist eine Gesinnung, die Menschen aufgrund bestimmter biologischer Merkmale kategorisiert, beurteilt und abwertet. So gelten diese Menschen als weniger Wert. Das klassische, theoretische Konzept war vorherrschend in der Epoche des Kolonialismus. Zu der Zeit stellte man es auf, um die Ausbeutung, Ermordung und Abwertung nicht weißer Menschen legitim zu machen. Auch heutzutage bevorzugt das System Rassismus noch immer weiße Menschen und schadet nicht weißen Menschen erheblich.

    Sexismus: Dies ist die unterbewusste oder bewusste Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Dabei gilt Männlichkeit als Norm, während man weibliche Menschen im System abwertet und klein hält. Hierfür bilden sozial geteilte Geschlechtertheorien und Geschlechtervorurteile die Grundlage. Sie gehen von einem ungleichen sozialen Wert von männlichen und weiblichen Menschen aus. Grundlage ist die Vorstellung, dass Männer von Natur aus Frauen überlegen seien.

    Von welchen Diskriminierungsformen bist du selbst betroffen?

    Quellen:

  • Erfahrungsbericht: Deutsche Behörden im Umgang mit meinem Mann

    Ich habe meinen Ehemann 2019 in Holland kennengelernt. Mein Mann ist ein ehemaliger Flüchtling aus Nigeria, der 2014 wegen Biafra und Verfolgung von Boko Haram aus Nigeria geflüchtet ist. Er kam auf die klassisch Art und Weise, im Schlauchboot über das Mittelmeer. Die italienische Seenotrettung hat ihn dann aus dem Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet. Er lebte daraufhin 4 Jahre in einer Flüchtlingsunterbringung in Verona und stellte dort auch einen Asylantrag. Nachdem sich in seinem Asylverfahren 4 Jahre lang nichts getan hat, ist er dann auf eigene Faust weitergereist, nach Holland.

    Gemeinsames Leben in Holland

    In Holland haben wir uns dann kennen und lieben gelernt. Ich besaß zu diesem Zeitpunkt ein kleines Haus in Lemmer am IJsselmeer, dort haben wir dann auch zusammengewohnt. Ich wurde schwanger und er versprach mir, mich mit dem Kind nicht im Stich zu lassen, für uns zu sorgen und da zu sein. Deshalb haben wir dann geheiratet.

    Die Ehe haben wir in Nigeria von dem Hohen Gericht in das nigerianische Heiratsregister eintragen und bestätigen lassen. Darüber haben wir auch eine Heiratsurkunde, ausgestellt vom Justice of Peace, Anambra State Nigeria. Wir sind also rechtsgültig verheiratet. Bei der Eheschließung haben wir uns sowohl an das geltende nigerianische Recht als auch an das deutsche Recht gehalten.

    Rückkehr nach Deutschland

    Ich musste dann im Oktober wegen meiner Arbeit zurück nach Deutschland. Mein Mann wollte mir folgen, sobald er seine Sachen in Holland erledigt hatte. Da ich als Unionsbürgerin ein Recht auf Ehegattennachzug habe, sollte es für meinen Mann kein Problem sein, mir nach Deutschland zu folgen.

    Am 09.12.2019 reiste mein Mann dann vom Hauptbahnhof Amsterdam aus in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er wurde im Zug von den Zollbehörden kontrolliert. Nachdem er unsere Eheurkunde, seinen Pass und eine Fotokopie meines Ausweises vorgezeigt hatte, ließ man ihn ohne Weiteres einreisen.

    Er kam dann am Hauptbahnhof an. Bei einem Toilettengang am Bahnhof wurde ihm dann sein Rucksack gestohlen. In dem Rucksack waren ein paar wenige Kleidungsstücke, seine Papiere, sein Geld ― einfach Alles, was er besaß. Mein Mann wandte sich dann an die Bahnhofspolizei, um den Diebstahl zu melden und um Hilfe zu bekommen, da er ja nun ohne Geld und ohne Papiere da stand. Nun nahm das Drama seinen Lauf.

    Da er keinen Ausweis mehr hatte, konnte er sich der Polizei gegenüber auch nicht ausweisen. Anstatt ihm die Gelegenheit zu geben, mich anzurufen, damit ich alles aufklären kann oder meinen Mann zu mir zu bringen, steckte die Polizei ihn in eine Flüchtlingsunterkunft. Da er ja schwarz war und keine Papiere hatte, unterstellte man ihm, ein Asylsuchender zu sein. Mein Mann konnte bis dato noch kein Deutsch und konnte sich daher auch nicht ausdrücken, um  klarzumachen, warum er in Deutschland ist. Ich befand mich als Hundeführerin mit meinem Spürhund nachweislich auf einem Einsatz in Hannover und kam erst am 23.12.2019 zurück.

    Ein gezwungener Asylantrag

    Mein Mann hat die ganze Zeit angegeben, dass er mit einer deutschen Unionsbürgerin verheiratet sei und dass er doch nur zu seiner Frau möchte. Trotzdem zwang man ihn einen Asylantrag zu stellen. Als er sich weigerte, drohte man ihm, ihn verhaften zu lassen. Da er Angst vor dem Gefängnis hatte, unterschrieb er dann den Asylantrag.

    Das allein war schon ungeheuerlich. Anstatt sich die Mühe zu machen, seinem Fall nachzugehen und zu prüfen, wurde mein Mann so eingeschüchtert und unter Druck gesetzt, dass er etwas unterschrieb, was er gar nicht wollte und auch überhaupt nicht verstand.

    Am 23.12.2019 war ich dann zurück zu Hause und holte noch am selben Tag meinen Mann aus der Flüchtlingsunterkunft ab. Durch den ganzen Stress und die Aufregung erlitt ich dann eine Fehlgeburt und verlor mein Baby.

    Das Asylinterview

    Am 03.01.2020 hatte mein Mann dann einen Termin für sein Asylinterview. Ich fuhr mit ihm dorthin und wir nahmen eine Freundin von mir als Übersetzerin mit, die sowohl die Muttersprache als auch fließend Englisch spricht. Ich hatte mich etwas über Asylanträge in Deutschland schlau gemacht und wusste, dass mein Mann zu seinem Asylinterview eine Vertrauensperson und einen eigenen Übersetzer mitbringen durfte. Außerdem wollte ich den Fall meines Mannes aufklären.

    Man ließ dann jedoch weder mich noch die Übersetzerin zu dem Interview und stellte meinem Mann einen anderen Unterkunftsbewohner als Übersetzer zur Verfügung. Der Mann konnte etwas Englisch und etwas Deutsch und übersetzte nun das Asylinterview, obwohl wir extra mit einer Muttersprachlerin angereist waren.

    Auch hier gab mein Mann an, dass er mit einer Deutschen verheiratet sei und diesen Asylantrag gar nicht braucht. Und, dass seine Frau draußen stehen würde und gerne die ganze Sache aufklären möchte. Man hörte hier meinem Mann überhaupt nicht zu, der Übersetzer übersetzte das Asylinterview in der Rückübersetzung teilweise total falsch. Der Herr vom BAMF kopierte anschließend meinen Personalausweis, da mein Mann ja angegeben hatte, dass er unter meiner Adresse wohnt und nicht in der Unterkunft. Eine persönliche Vorsprache bei dem BAMF-Beamten erlaubte man mir nicht.

    Um mich an das Asylgesetz zu halten, schrieb ich dann einen Antrag auf Verlassenserlaubnis für meinen Mann. In diesem Antrag habe ich angegeben, dass mein Mann bei mir wohnt und unter anderem eine Kopie meines Personalausweises und unserer Heiratsurkunde beigelegt. Alles mit der Bitte um eine rechtsmittelfähige Antwort. Die Annahme des Antrages wurde von der BAMF-Mitarbeiterin mit einer rassistischen Bemerkung unfreundlich verweigert.

    Anschließend habe ich mich bei einer Servicestelle des BAMF telefonisch beschwert. Die Frau am Telefon gab mir Recht, dass das so nicht gehen würde. Und ich möchte doch bitte den Antrag per Mail an service@bamf.de schicken, sie würde das dann an die entsprechende Stelle weiterleiten. Die E-Mail habe ich sofort geschickt, eine Lesebestätigung auch erhalten, eine Antwort aber bis heute nicht.

    Unterbringung in der ZUE

    Ende Januar wurde mein Mann dann in eine andere Einrichtung verlegt. Alle anderen Bewohner brachte man in einem dafür bestellten Reisebus zur Unterkunft. Meinem Mann drückte man ein Zugticket und eine Wegbeschreibung in die Hand, er solle sich bis 13 Uhr dort eingefunden haben. Auf meine Nachfrage, warum denn nur mein Mann mit dem Zug fahren muss und alle anderen im Reisebus fahren dürften, bekam ich nur eine äußerst rassistische Bemerkung zu hören.

    Ich fuhr dann meinen Mann persönlich in die ZUE. Dort angekommen, wurde nur er in die ZUE gelassen, ich musste draußen vor der Tür warten. Mein Mann ließ sich registrieren, hat dabei angegeben, dass er verheiratet ist und seine Frau draußen vor der Tür stehen würde und ihn wieder mit nach Hause nimmt. Daraufhin kopierte der Mann, der ihn aufgenommen hat, meinen Personalausweis und sagte meinem Mann, dass wir doch den Antrag auf Verlassenserlaubnis per Einschreiben an die Unterkunftsleitung schicken sollten. Dies taten wir auch, mit Rückschein.

    Das persönliche Vorsprechen

    Ich habe daraufhin persönlich bei der Leitung der Unterkunft vorgesprochen. Dabei wurde lediglich mit mir gesprochen, mein Mann wurde wie Luft behandelt und ihm wurde noch nicht einmal einen guten Tag gewünscht. Ich wurde gefragt, warum ich denn ausgerechnet so einen heiraten musste. Auf meine Frage, was den bitte „so einer“ sei, bekam ich zur Antwort: „Da son Bimbo. Die sind doch sowieso alle kriminell.“ Außerdem würde man mir eine Hundertschaft nach Hause schicken, wenn ich den nicht in der ZUE lassen würde. Im Gespräch mit anderen Mitarbeitern fielen auch extrem rassistische und beleidigende Begriffe.

    Aus Angst, dass sie die Drohung wahr machen, habe ich meinen Mann dann schweren Herzens in der ZUE gelassen. Ich wollte am nächsten Tag direkt in der für uns zuständigen ZAB vorsprechen und die Sache ein für alle Mal zu klären.

    Natürlich telefonierte ich abends mit meinem Mann und er erzählte mir, dass er weder etwas zu essen bekommen hatte noch etwas zu trinken und dass man hier auch kein Bett für ihn hatte. Man hätte ihm jetzt ein Notbett zur Verfügung gestellt. Außerdem hätte er Kopfschmerzen und er würde frieren. Ich sagte zu ihm: „Halte durch, ich bin morgen früh sofort da.

    Ein erneuter Antrag auf Verlassenserlaubnis

    Am nächsten Morgen fuhr ist erstmal in die ZAB, die für uns zuständig war, und gab dort wieder einen Antrag auf Verlassenserlaubnis ab. Dort quittierte man mir den Erhalt der Papiere. Ich teilte der Unterkunft mit, dass ich meinen Mann für einen Deutschkurs auf meine Kosten angemeldet habe, der in den nächsten Tagen startet und dass ich ihn daher wieder mit zurück nach Hause nehme. Außerdem könne er meinem Antrag entnehmen, dass wir verheiratet sind und mein Mann nach dem Freizügigkeitsrecht über mich bei mir wohnen darf. Schließlich teilte ich ihm mit, dass wir den Asylantrag, den er unter Zwang gestellt hat, zurücknehmen würden.

    Als Antwort bekam ich zuhören, dass wenn ich ihn mitnehme, er ihn zur Fahndung ausschreiben lässt. Und außerdem brauche er keinen Deutschkurs, er würde sowieso nach Italien abgeschoben werden. Anschließend fragte man mich, ob der (ich glaube sie meinten meinen Mann) überhaupt lesen könne.

    Ich antwortete: „Selbstverständlich kann mein Mann lesen, er kann auch schreiben und rechnen, er ist schließlich Ingenieur und ist in Afrika in eine richtige Schule gegangen, er ist nicht vom Baum gefallen.“

    Abholung aus der Unterkunft

    Um 10 Uhr war ich dann in der Unterkunft. Mein Mann hatte bis dahin nichts zu essen oder zu trinken bekommen, seine Augen waren krebsrot und er glühte am ganzen Körper. Außerdem juckt es ihn am ganzen Körper. Am Bein hatte er sich eine Stelle schon offen gekratzt und blutete. Es war schrecklich meinen Mann so zu sehen. Ich packte ihn sofort ein und nahm in wieder mit nach Hause.

    Dort stellten wir fest, dass er 40 Grad Fieber hatte und am ganz Körper von Bettwanzenstichen zerstochen war. Am Bein hatte er sich eine Stelle bis aufs Blut aufgekratzt. Ich bin gelernte medizinische Fachangestellte und versorgte meinen Mann erstmal, gab ihm Flüssigkeit, die er bei dem hohen Fieber dringend brauchte, sowie etwas zu essen.

    Zwischenzeitlich bekamen wir dann Post vom BAMF und uns wurde mitgeteilt, dass mein Mann nun eine Dublinüberstellungsfrist von 18 Monaten hätte, weil die zuständige ZAB ihn als „Untergetaucht“ gemeldet hat. Man hätte nicht gewusst, wo mein Mann ist. Jeder Widerspruch, dass wir Nachweise dafür hätten, dass alle, sogar das zuständige BAMF, über unsere Situation und auch den Aufenthaltsort meines Mannes informiert waren, wurde ignoriert. Außerdem erfuhr ich über meine guten Kontakte zur Polizei, dass man meinen Mann zur Fahndung ausgeschrieben hat und diese Fahndung nach 2 Stunden auf „Erledigt“ gesetzt wurde.

    Ersetzung der Papiere

    Ich hatte mittlerweile sämtliche Papiere die meinem Mann am 09.12.2019 am Bahnhof gestohlen worden waren, neu aus Nigeria angefordert und auch erhalten und diese über unsere Anwältin an die ZAB senden lassen. Lediglich den internationalen Pass haben wir noch nicht, weil wegen Corona eine Terminbuchung in der Botschaft in Berlin nicht möglich war. Selbst bei einer Fahrt nach Berlin wurde wir an der Botschaft abgewiesen und nicht auf das Botschaftsgelände gelassen.

    Da die ZAB nicht einfach Ruhe geben kann, akzeptieren sie die Papiere nicht. Es sei denn, wir würden sie legalisieren lassen. Das würden wir ja gerne machen, dafür braucht mein Mann jedoch Papiere von der ZAB. Diese werden ihm aber nur ausgestellt, wenn er seinen Wohnsitz in die ZUE legen würde.

    Fassungslosigkeit

    Mein Mann lebt jetzt seit 15 Monaten bei mir in unserem Zuhause in der Zivilisation. Ich trage alle Kosten für ihn und er ist auch über mich krankenversichert. Er ist toll integriert, lernt Deutsch, hat bei zwei Firmen hospitiert, hat Arbeitsangebote und könnte sofort anfangen zu arbeiten. Und jetzt soll ich ihn zurück bringen in die Unterkunft?

    Sind das überhaupt Menschen, die dort arbeiten, oder gewissenlose Monster. Denken die mal daran, was mein Mann alles hinter sich hat? Sein ganzer Körper ist vernarbt, in seiner Brust befindet sich ein Einschussloch. Jetzt hat er endlich ein Zuhause gefunden, wo er geliebt wird und keine Angst mehr um sein Leben haben muss, da macht die Ausländerbehörde da weiter, wo Boko Haram aufgehört hat. Nun will man seine Familie zerstören und auseinanderreißen. Mein Mann ist ein Teil meiner Familie, er ist einer von uns!

    Wir sind verheiratet und nach §5 FreizügG EU brauchte er gar keinen Asylantrag stellen. Diese ganzen Beleidigungen und der ganze Stress hätte überhaupt nicht sein müssen. Mein Mann hat ein Recht auf eine Aufenthaltskarte.

    Warum tut man uns das an? Nur weil er schwarz ist?

  • Rechte Weltbilder und die Norm weißer Männlichkeit

    Im Zentrum rechter Weltanschauungen steht grundsätzlich eine Ungleichheit der Menschen, dargestellt als „natürliche“ Differenz. Die politische Rechte leitet Rollenverteilungen und Hierarchien daraus ab, die als gegeben und unveränderlich erscheinen. Diese Vorstellungen beinhalten Forderungen nach Einschränkungen grundlegender Rechte auf struktureller Ebene von FLINTA*[1]-Personen und Menschen mit Migrationserbe, um Privilegien v.a. von weißen Männern zu sichern. Die extrem rechte Partei AfD verschärft diese Verhältnisse.

    Die Norm dominanter Männlichkeiten

    Geschlechtliche Normen manifestieren sich im Kindesalter. Forschungen des Erziehungswissenschaftlers Kurt Möller[2] zeigen, wie von klein auf ein Bild von überlegener Männlichkeit geschaffen wird – Durchsetzungsfähigkeit und Risikobereitschaft gelten bereits unter Kindern als wichtige männliche Eigenschaften. Später verspüren viele männlich-sozialisierte Jugendliche den Druck, die eigene Heterosexualität als Demonstration „wahrer“ Männlichkeit beweisen zu müssen. Auf Schulhöfen ist „schwul“ seit jeher ein weit verbreitetes Schimpfwort. Ein Denken und Handeln, das (cis-) männliche Überlegenheit gegenüber weiblich-sozialisierten und queeren Personen umfasst, wird verinnerlicht.

    Diese Prozesse vollziehen sich gewöhnlich unterbewusst – und sind Ergebnis unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Möller stellte in seiner Studie fest, dass solche (geschlechtsverbundenen) Werte im sozialen Umfeld bereits bei Jugendlichen Ungleichheitsvorstellungen verfestigen. Die Konsequenz kann eine Anfälligkeit für rechtes Gedankengut sein.

    Männlichkeit und bestimmte Vorstellungen einer Geschlechterordnung sind äußerst präsent in der Rechten. Damit mobilisiert die AfD leicht Menschen, die traditionelle Geschlechterbilder befürworten. Das spiegelt sich in den politischen Programmen, dem Auftreten und der inneren Struktur der AfD wider.

    Exklusive Familienbilder sind antifeministisch

    Ein konservatives Familienbild, das auch in der Gesamtgesellschaft dominiert, war in der Rechten schon immer zentral. Der Soziologe Sebastian Scheele[3] beobachtet in den letzten Jahren im rechten antifeministischen Diskurs verstärkt eine Zentrierung auf die Familie. Die familiäre Norm schließt verheiratete heterosexuelle monogame cisgender Paare inklusive gemeinsamer Kinder ein. Andere familiäre und geschlechtliche Konstellationen gelten als Abweichung vom Ideal. Das Konstrukt behauptet für sich Exklusivität und positioniert sich dadurch antifeministisch.

    Die AfD argumentiert in ihrer Bevölkerungspolitik gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt, gendersensible Sprache oder Geschlechterforschung[4]. Dadurch schafft die extrem rechte Partei niedrigschwellige Identifikationsmöglichkeiten. Das konservative Familienkonstrukt bietet vielen Menschen eine Anschlussfähigkeit und mobilisiert für weiteres rechtes Gedankengut[5].

    Über die Familie zum nationalen Volkskonstrukt

    Das Ideal der Zweigeschlechtlichkeit von Eltern wird als biologisch-natürlich dargestellt. Es unterteilt die Familie und die Gesellschaft in abgegrenzte und hierarchisch angeordnete Gruppen. In dem patriarchal familiären Modell kennt jede*r seinen*ihren Platz und Positionen sind nur begrenzt aushandelbar[6]. Die Rechte instrumentalisiert das traditionelle Geschlechterbild und präsentiert den Zustand sozialer Ungleichheit und Hierarchie als unausweichlich und naturhaft. Dieses antifeministische Familienmodell formt die Vorstellung der Nation.

    Ein rechtes Verständnis der „natürlichen“ Abgrenzung zu anderen Nationen, Kulturen oder Religionen hat sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt. Die nationale Gesellschaft wird dabei als Einheit konstruiert, bei der die Familie die Grundlage des „deutschen Volkes“ bildet und Träger*in des biologischen Erbes ist. Hierbei werden vor allem Frauen als „Reproduzent*innen der Nation“ aufgerufen, sich um den Erhalt der Familie zu sorgen[7]. Das legt eine weibliche Verantwortung für den Erhalt der Bevölkerung nahe.

    Das zentrale Element der Ungleichheit und Hierarchie im rechten Gedankengut wertet Menschen ab, die nicht dem Ideal entsprechen (können oder wollen). Wer einen Statusverlust oder Ausschluss befürchtet, ist daher anfällig für solche Gedanken. Das kann zu einer Projektion von potentieller Gefahr auf Andere im Außen führen[8]. Durch rassistische und diskriminierende Zuschreibungen soll die eigene Identität aufgewertet werden. Vorurteile bieten dem Individuum und dem Kollektiv durch die Konstruktion „Wir gegen die anderen“ Identität, Selbstwert und Zugehörigkeit. Ausgrenzungen wirken kompensatorisch.

    Rechte Instrumentalisierung von Frauenrechten

    Widersprüche offenbaren sich im geschlechterpolitischen Vorgehen der Rechten: Trotz allem werden Mann und Frau heute oft als gleichgestellt dargestellt. Birgit Sauer[9], Professorin der Politikwissenschaft an der Universität Wien, beschreibt dies als rechte Strategie, die der „eigenen“ Kultur eine bereits erreichte Geschlechteremanzipation zuschreibt. Das führt zu einer allgemeinen Abwertung vermeintlich frauenunterdrückender, ethnischer oder religiöser Kulturen. Diese kulturelle Hierarchisierung kennzeichnet moderne Rassismen, die sich von biologischen Interpretationen vergangener Jahrhunderte lösen.

    Die Instrumentalisierung feministischer Anliegen wie Frauenrechte stigmatisiert männlich-gelesene Migranten als Prototyp des Vergewaltigers. Besonders deutlich zeigen dies Reaktionen der AfD zu den sexualisierten Übergriffen der Silvesternacht 2015 in Köln. Pauschale Verurteilungen spezifischer Gruppen missachten die Bedrohung durch Männer in der Gesamtgesellschaft. Das verschleiert Gewalt gegen FLINTA*-Menschen, die über alle Grenzen hinweg existiert.

    Geschlechterverständnisse wandeln sich auch in der Rechten – so werden heute Frauen als emanzipiert verstanden und neue Rollenbilder der Geschlechter präsentiert. Das versteckt dahinterliegende rechte Werte. Familiäre Normen stehen im Zentrum rechter Ideologien. Dabei lebt die Rechte davon, dass das Ideal der klassischen Kleinfamilie in der Gesamtgesellschaft vorherrscht. Das ist gefährlich, weil sich geschlechtliche Ansätze mit einer nationalistischen und rassistischen Ideologie kombinieren lassen. Ein normiertes Verständnis von Familie und das grundlegende Ungleichheitsverständnis der Rechten halten Ausgrenzungen und Diskriminierungen gegenüber queeren Lebensformen oder Menschen mit Migrationserbe aufrecht.

    Luisa Stühlmeyer hat zum Thema Antifeminismus und Geschlechterverhältnisse in der politischen Rechten ihre Bachelorthesis geschrieben.

     


    Antifeminismus in Kürze

    • Organisierter Antifeminismus positioniert sich ausdrücklich auf heteronormative Weise gegen eine Vielfalt sexueller, geschlechtlicher und familialer Lebensformen. Das Ideal einer Familie mit Mutter, Vater und Kindern ist zentral.
    • Antifeministisches Gedankengut ist leicht kompatibel mit weiteren rechten Ideologien wie Rassismus.
    • Verbreitung: Antifeministische Denk- und Verhaltensmuster sind oft in alltäglichen Zusammenhängen erkennbar. Darüber hinaus sind diese Vorstellungen oft Bestandteil terroristischer Anschläge wie 2011 in Oslo und Utøyo. Die Incel-Szene als antifeministische Akteur*in ist in den letzten Jahren präsent in kritischen medialen Diskursen. Die extrem rechte Partei AfD ist Vertreter*in des Antifeminismus in deutschen Parlamenten.
    • Im gegenwärtigen Antifeminismus vereinen sich unterschiedliche Akteur*innen aus der Gesamtgesellschaft v.a. durch Bezüge gegen ‚Gender‘. Eine Ablehnung aller Formen von kritischen Auseinandersetzungen mit Geschlecht und Geschlechterverhältnissen sticht hervor.

     

    [1] FLINTA* ist eine Abkürzung für (Cis-)Frauen, Lesben, Intersex-, Nicht-Binäre-, Trans- und Agender-Menschen. Das hier verwendete * verdeutlicht, dass auch darüber hinaus geschlechtliche und sexuelle Formen existieren. Der Begriff FLINTA* versucht verschiedene Gruppen von Menschen bewusst miteinzubeziehen.

    [2] Möller, Kurt (2011): Konstruktionen von Männlichkeiten in unterschiedlichen Phänomenbereichen des Rechtsextremismus. In: Birsl, Ursula (Hg.): Rechtsextremismus und Gender. Opladen. S. 129-145.

    [3] Scheele, Christian (2016): Vom Antifeminismus zu ‚Anti-Genderismus‘? Eine diskursive Verschiebung und ihre Hintergründe. Keynote auf der Tagung „Gegner*innenaufklärung – Informationen und Analysen zu Anti-Feminismus“. Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung am 31.05.2016.

    [4] Kemper, Andreas (2016): Geschlechter- und familienpolitische Positionen der AfD. Vortrag auf der Tagung „Gegner*innenaufklärung – Informationen und Analysen zu Anti-Feminismus“. Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung am 31.05.2016.

    [5] Sauer, Birgit (2017): Gesellschaftstheoretische Überlegungen zum europäischen Rechtspopulismus. Zum Erklärungspotenzial der Kategorie Geschlecht. In: Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (Hg.): Politische Vierteljahresschrift. 58. Jg., 1/2017. Heidelberg.

    [6] Rommelspacher, Birgit (2011): Frauen und Männer im Rechtsextremismus – Motive, Konzepte und Rollenverständnisse. In: Birsl, Ursula (Hg.) Rechtsextremismus und Gender. Opladen

    [7] Sauer, Birgit / Kuhar, Roman / Ajanović, Edma / Saarinen, Aino (2017): Exklusive intersections. Constructions of gender and sexuality. In: Lazaridi, Gabriella / Campani, Giovanna (Hg.) Understanding the Populist Shift. Othering in a Europe in crisis. Abingdon/New York.

    [8] Rommelspacher, Birgit (2011): Frauen und Männer im Rechtsextremismus – Motive, Konzepte und Rollenverständnisse. In: Birsl, Ursula (Hg.) Rechtsextremismus und Gender. Opladen

    [9] Sauer, Birgit (2017): Gesellschaftstheoretische Überlegungen zum europäischen Rechtspopulismus. Zum Erklärungspotenzial der Kategorie Geschlecht. In: Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (Hg.): Politische Vierteljahresschrift. 58. Jg., 1/2017. Heidelberg.

  • Deutschland: Racial Profiling innerhalb der Polizei

    In Deutschland gibt es einen Mangel an Informationen über das Verhalten von Polizist*innen gegenüber Migrant*innen und People of Color. Einzelfälle und individuelle Berichte deuten auf ein ernstes Problem hin. Der Zugang zur Polizei ist für Journalist*innen und Wissenschaftler*innen schwierig, und so auch die systematische Aufarbeitung der Fälle. Für Reporter ohne Grenzen ganz klar eine Bedrohung der Pressefreiheit.

    Keine Studie notwendig?

    Nachdem der US-Amerikaner George Floyd von einem Polizisten getötet wurde, kam es auch in Deutschland zu „Black Lives Matter“-Protesten. Sie lösten eine Debatte über das Polzeiverhalten gegenüber Menschen mit Migrationshintergund und Racial Profiling aus.

    Im Zuge der Diskussion schlug die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) eine wissenschaftliche Studie innerhalb der Polizei vor, um die aktuelle Situation in Bezug auf rassistische Strukturen zu untersuchen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) verhinderte die Durchführung der Studie, da er nicht alle Polizist*innen unter Generalverdacht sehen wollte. Racial Profiling sei gesetzlich verboten und würde daher innerhalb der Polizei nicht existieren. Was verboten ist, muss nicht erforscht werden, so Seehofers Argument.

    Weitere Ereignisse befeuerten die Debatte: Mehrere Vorfälle von Rechtsextremismus unter Polizist*innen wurden öffentlich. Sie verbreiteten Hassrede gegen Migrant*innen, Geflüchtete und Muslim*innen in Chat-Gruppen. Auch Videos von gewalttätigen Polizist*innen tauchten im Internet auf. Ein aktuelles Beispiel für rassistisches Handeln der Polizei ist der Fall des schwarzen Lehrers Philip Oprong Spenner. Am 22. November 2020 wurde dieser beinahe in seiner Schule „Am Heidberg“ in Hamburg festgenommen. Er arbeitete noch am Abend in der Schule, wo ihn jemand durch das Gebäude laufen sah. Die Polizei rückte mit 15 hochbewaffneten Beamt*innen an. Die Beamt*innen glaubten ihm nicht, dass er in der Schule beschäftigt war – obwohl er die Schlüssel zum Gebäude hatte -, sondern hielten ihn für einen Eindringling, vermutlich aufgrund seiner Hautfarbe.

    https://twitter.com/Kat_Schipkowski/status/1293461200949436419

    Dennoch sieht Minister Seehofer keine Notwendigkeit für eine Rassismusstudie innerhalb der Polizei und nennt die Vorkommnisse „Einzelfälle“. Andere Politiker*innen, insbesondere aus der SPD, betonen dagegen, dass es eine solche Studie braucht. Unterstützt werden sie dabei beispielsweise auch von Sebastian Fiedler, Bundesvorstand beim Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), der sagte, der Minister erweise „auch den Sicherheitsbehörden selber einen Bärendienst”, weil der Eindruck entstehe, es gäbe „etwas zu verstecken”.

    Letztendlich erklärte sich Seehofer bereit, eine Studie über den Arbeitsalltag von Polizist*innen durchzuführen – ein allgemeines Thema, bei dem Rassismus keine zentrale Rolle mehr spielt.

    Eingeschränkter Zugang führt zu Mangel an Beweisen

    Die Folge dieser Haltung ist ein Mangel an Zahlen und Fakten. Ein Bericht des Bundesamtes für politische Bildung zeigt, dass seit Anfang der 1990er-Jahre durchaus Studien über Racial Profiling durchgeführt wurden, darunter Sammlungen von Einzelfällen und Beobachtungsstudien, Umfragen zur Einstellung von Polizist*innen gegenüber „Fremden“ sowie Befragungen von Jugendlichen mit türkischer Familiengeschichte. Sie alle legen nahe, dass Rassismus ein Problem innerhalb der Polizei ist.

    Wie die Autoren des Berichts jedoch feststellen, gibt es große Lücken, vor allem in Bezug auf die Ausprägung und Verbreitung diskriminierender Einstellungen und Praktiken. Sie entstehen durch den schwierigen Zugang für die Forschung und die fehlende  Informationsbasis. Weite Teile der Polizeiarbeit wie Ermittlungen, Überwachung und Verhöre sind noch unerforscht.

    Anne Renzenbrink, die Pressereferentin von Reporter ohne Grenzen erklärt: „Bürokratische Prozesse verlangsamen die Forschung auf diesem Gebiet“. Informationsfreiheitsgesetze sollen Journalist*innen Zugang zu dieser Art von Daten verschaffen, jedoch gibt es immer noch Bundesländer, die bisher keine Richtlinien haben, um diese Vorgänge zu vereinheitlichen. Selbst in Bundesländern, in denen Vorschriften umgesetzt wurden, hindern verschiedene Ausnahmeregelungen Medienvertreter*innen daran, detaillierte Berichte zu erhalten. “Das Problem ist, dass es bislang kein bundesweites Gesetz gibt, das den Zugang zu Informationen über Regierungsstellen und Behörden wie der Polizei gewährleistet”, erläutert Renzenbrink. Für Reporter ohne Grenzen ergibt sich daraus eine Bedrohung der Pressefreiheit. Die Organisation fordert die Regierung auf, mehr Transparenz zu schaffen. 

    Nur zwei Prozent der Ermittlungsverfahren wegen rechtswidriger Polizeigewalt gehen vor Gericht, meist aus Mangel an Beweisen. Oft steht in diesen Situationen ein Wort gegen das andere. Diese Zahl könnte darauf hindeuten, dass sich Polizist*innen häufig gegenseitig decken und nicht gegen ihre eigenen Kolleg*innen aussagen. Zum Vergleich: Die Gesamtzahl aller Ermittlungsverfahren, bei denen es zu einem Gerichtsverfahren kommt, beträgt durchschnittlich 24 Prozent.

    Berichterstattung über Migration und Kritik an rechten Aktionen

    Im Jahr 2020 hat die Anzahl der Gewalttaten gegen Medienvertreter*innen extrem zugenommen, insbesondere bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen, die von rechtspopulistischen Akteuren ausgehen. Eigentlich ist es die Pflicht der Polizei, einen sicheren Arbeitsablauf für die Medien zu ermöglichen. „Medienschaffende sind dazu da, um über diese Demonstrationen zu berichten. Das ist von öffentlichem Interesse – deshalb sollten sie frei arbeiten können“, kritisiert Anne Renzenbrink. 

    Einige Berichte, die von “Reporter ohne Grenzen” bestätigt wurden, zeigen jedoch, dass die Polizei Journalist*innen nicht vor gewalttätigen Demonstrant*innen schützt. Darüber hinaus wird die journalistische Arbeit sogar aktiv behindert. „Obwohl wir in den vergangen Jahren eine Verbesserung erkennen können, kommt es immer wieder vor, dass manche Polizist*innen scheinbar nicht wissen, welche Rechte Medien haben“, sagt Renzenbrink. Reporter*innen wird der Zugang zu Demonstrationen verweigert bis hin zur Erteilung von Platzverweisen oder der Androhung einer Festnahme.

    Mit zunehmender Besorgnis beobachten immer mehr Journalistenverbände diese Entwicklungen, da sie die „journalistische Freiheit stark einschränken“. Mit dem Ziel, die Interaktionen zwischen Polizist*innen und Journalist*innen zu verbessern, wurden die Verhaltensgrundsätze für Medien und Polizei aus dem Jahr 1993 aktualisiert. Doch Reporter ohne Grenzen fordert mehr Maßnahmen: „Während der Polizeiausbildung in Deutschland muss ein Schwerpunkt auf dem Medienrecht liegen. Polizist*innen müssen wissen, wie sie mit Medienschaffenden in diesen Szenarien umgehen sollen“, betont Renzenbrink.

    Bisher haben Journalistenverbände und Polizeischulen nur vereinzelt zusammengearbeitet, obwohl die Realität auf einen „strukturellen Mangel“ hinweist. So könnten durch bundesweite Initiativen, die umfassend über dieses Thema informieren, erste Fortschritte entstehen, die letztlich auf die Wahrung der Pressefreiheit zielen. Renzenbrink betont jedoch, dass Bildung allein nicht ausreicht: „Die Behörden müssen sicherstellen, dass diese Grundsätze in der Realität korrekt umgesetzt werden.“

    Diese internationale Zusammenarbeit von Guiti News (Frankreich), Kohero (Deutschland) und Solomon (Griechenland) – drei unabhängigen Medien, die sich mit dem Thema Migration beschäftigen – beschreibt einen besorgniserregenden Trend der Polizeigewalt während des vergangenen Jahres; nicht nur gegen Menschen auf der Flucht, sondern auch gegen die Medienschaffenden, die ihre Probleme zeigen wollen.

    Vom berüchtigten „Dschungel“ von Calais bis zur Räumung von behelfsmäßigen Lagern im Zentrum von Paris und von den „Black lives matter“-Demonstrationen in verschiedenen deutschen Städten bis zur Zerstörung des größten Flüchtlingslagers des Kontinents auf der griechischen Insel Lesbos – überall gab es Fälle von polizeilicher Repression, die von Organisationen für Pressefreiheit wie Reporter ohne Grenzen scharf verurteilt werden.

    Die weiteren Artikel gibt es hier: 

  • zu.flucht-Podcast: Rassistische Polizeigewalt in Deutschland

    In der neuen Folge von Multivitamin geht es um rassistische Polizeigewalt. Am 7. Januar 2005 verbrennt Oury Jalloh aus Sierra Leone, gefesselt an Händen und Füßen in einer Dessauer Polizeizelle. In der offiziellen Version heißt es, Jalloh habe sich selbst angezündet. Warum das nicht stimmen kann und wie in Polizei und Justiz systematisch vertuscht wird, hat uns Nadine Saeed von der Initiative Oury Jalloh erzählt.
    Aber rassistische Polizeigewalt fängt bereits viel früher an: Wenn Polizist*innen migrantisch gelesene Menschen und PoC ohne ersichtlichen Grund kontrollieren und schikanieren, endet das nicht selten in Gewalt. Wir haben mit Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland über Racial Profiling und seine Folgen gesprochen. Außerdem erzählt uns Meisam aus Afghanistan von seinen Erfahrungen mit der Polizei.
    Wenn ihr Fragen, Anmerkungen oder Themenvorschläge für die nächsten Folgen von Multivitamin habt, schreibt uns gerne unter podcast@kohero-magazin.de!
    TRIGGERWARNUNG: In dieser Folge werden gewaltsame Handlungen durch die Polizei explizit beschrieben. Wenn es dir damit nicht gut geht, solltest du die Folge lieber überspringen oder sie dir nicht alleine anhören.
    Das Multivitamin-Team: Lilli Janik, Lena Wilborn, Kim Sarah Eckert, Marie Lina Smyrek, Anne Josephine Thiel, Sally Wichtmann, Anna Seifert, Florent Gallet
    Links zur Folge:
    Initiative Oury Jalloh
    Initiative Schwarze Menschen in Deutschland
    Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt
    WDR-Doku Polizeigewalt
    Zwischenbericht Polizeigewalt Uni Bochum
    ARD-Doku Polizeigewalt
    Beispiel Dänemark Beschwerdestelle
    Taz-Artikel Polizeigewalt

  • Brasiliens verleugneter Rassismus

    Was an dem Abend geschah

    Es ist circa 20:30 Uhr am Donnerstag des 19. November, 2020, als Joao Alberto Freitas, 40 Jahre alt, zusammen mit seiner Frau Milena, den Supermarkt Carrefour in Porto Alegre, der südlichsten Hauptstadt Brasiliens, betritt. Es ist der Vorabend des „Tags des Schwarzen Bewusstseins“, ein Feiertag in Brasilien. Joao Alberto kann zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass er diesen Abend nicht überleben wird.

    Aus ungeklärter Ursache entsteht eine Diskussion zwischen Joao und einer Mitarbeiterin des Supermarktes. Später sagt sie der Polizei „er wirkte extrem aufgeregt, ja wütend“, auch wenn es bisher keine Belege für diese Aussage gibt. Sie bittet zwei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes um Hilfe, auch das ist nichts Außergewöhnliches in vielen brasilianischen Läden. Zwei Männer nähern sich Joao und zerren ihn weg, in Richtung des großen Parkplatzes. Dort hält einer Joao fest, während der andere auf Joao immer wieder einschlägt. Fünf Minuten lang.

    Ein Land demonstriert

    Während der Aggression hat Joao seine Frau Milena um Hilfe gebeten, es war aber alles zu spät. Einer der Sicherheitskräfte kniete sich auf den Hals des Opfers, bis es sich nicht mehr bewegte. Beide Sicherheitsmänner waren weiß. Joao war schwarz. Unzählige Zeugen sahen das Geschehen und taten das, was in Brasilien üblich ist: nichts.

    Einige filmten das Ganze mit ihren Smartphones. Kurze Zeit später waren diese Bilder auf verschiedenen Medien zu sehen. Die Täter, Giovane, ein Militärpolizist ohne Genehmigung für die Tätigkeit als Sicherheitskraft. Der andere, Magno, besaß zwar einen entsprechenden Schein, dieser war aber abgelaufen. Beide sagten später bei ihrer Vernehmung, „dass sie wohl übertrieben hätten“.

    Die gewalttätigen Reaktionen auf den Straßen erfolgten wenige Stunden später, zuerst in Porto Alegre und danach in einigen Hauptstädte Brasiliens. Vielleicht weil die brutale Tat am Abend vor dem Tag des Schwarzen Bewusstseins geschah oder vielleicht auch, weil das Thema Rassismus momentan zum Alltag in verschiedenen Ländern gehört. Es war Fall das erste Mal, dass so viele spontane Demonstrationen gegen Rassismus fast zeitgleich in Brasilien stattfanden und noch ein paar Tage nach dem Mord an Joao anhielten.

    Brasilien verleugnet seinen Rassismus

    Rassismus, vor allem gegen Schwarze und Indigene wird von breiten Schichten der Bevölkerung verleugnet. So auch der brasilianischer Vize-Präsident, Hamilton Mourao: „Es ist bedauernswert, diese Sicherheitsleute sind für deren Aufgabe nicht vorbereitet. Aber, meiner Meinung nach, gibt es in Brasilien keinen Rassismus. Jemand will dieses Thema zu uns importieren. Der Rassismus existiert nicht in Brasilien“.

    Eine ganz andere Meinung vertritt die UNO: „Unsere Organisation stellt fest, dass weiterhin Millionen schwarzer Bürger Opfer des Rassismus, rassistische Diskriminierung und Intoleranz sind. Wir fordern eine gründliche Untersuchung des Falls, die Bestrafung der Täter und ermuntern das brasilianische Volk, eine Gesellschaft zu bilden, die frei von Rassismus ist“.

    Rassissmus hat Geschichte

    Die soziale Diskriminierung und der offene Rassismus haben eine lange Tradition in Brasilien, die etwa 350 Jahre zurück geht. Die Autorin Ines Eisele fasst in einem Interview für die Deutsche Welle, erschienen am 11.12.2019, das Thema zusammen:

    „Gut die Hälfte aller Brasilianer hat afrikanische Wurzeln. Lange hielt sich der Mythos, dass es Rassismus wie etwa in den USA nicht gebe. Doch in Führungsetagen oder reichen Vierteln sucht man Schwarze meist vergeblich. Es gibt viele Bezeichnungen für dunkelhäutige Menschen genauso wie Farbschattierungen. Sie zeigen, wie sehr sich diese in dem Land vermischt haben.  Vor allem aber wurden über 350 Jahre lang Millionen afrikanische Sklaven ins Land geschafft, so dass sich heutzutage ungefähr 51 Prozent der Brasilianer selbst als schwarz oder „pardo“, also braun beziehungsweise gemischt bezeichnen.

    Auch viele der kulturellen Markenzeichen Brasiliens stammen ursprünglich von den afrikanischen Sklaven, wie der Samba, der Kampftanz Capoeira oder die Religion des Camdomble. All das lässt Brasilien schnell als harmonischen Schmelztiegel erscheinen, zumal es – nach dem Ende der Sklaverei – keine offizielle Rassentrennung wie in den USA oder Südafrika gab.“

    Ungerechtigkeit hinterlässt Spuren in der Gesellschaft

    Claudius Armbruster, frühere Präsident des Deutschen Lusitanistenverbands erklärt im selben Artikel der Deutschen Welle: „Nach dem Ende der Sklaverei im Jahr 1888 mussten sich die weißen Eliten die Frage stellen, wie sie mit den vielen neuen Bürgern afrikanischen Ursprungs umgehen. Die sogenannte „Rassendemokratie“ war ein ideologischer Entwurf, der es ermöglichte, auf der Oberfläche eine Integration anzudeuten, ohne diese ökonomisch und sozial tatsächlich vollziehen zu müssen.“

    Der Artikel berichtet weiterhin: „In der Realität erhielten die vollkommen mittellos in die Freiheit entlassenen Sklaven keinerlei Unterstützung vom Staat. Diese Ungerechtigkeit hinterlässt bis heute Spuren in der Gesellschaft. So sind laut der nationalen Statistikbehörde drei Viertel der ärmsten zehn Prozent Afrobrasilianer. Dem Gini-Index zufolge, der Ungleichverteilung anzeigt, ist Brasilien eines der Länder, in denen die Schere zwischen Arm und Reich besonders groß ist. Und Arm und Reich ist in diesem Land eben oft gleichbedeutend mit Schwarz und Weiß.“

    Der Artikel interviewt auch die Afrobrasilianerin Philosophin und Aktivistin Djamila Ribeiro. Sie hat persönliche Erfahrungen mit Rassismus im Alltag gemacht: „Wie viele Schwarze, die an Orten der Macht verkehren, etwa Universitäten, wurde ich schon verwechselt und etwa für eine Reinigungskraft gehalten. In einem Luxushotel dachte mal jemand, ich sei eine Prostituierte. Ich möchte die Würde dieser Beschäftigungen nicht anzweifeln, aber es sagt etwas, wenn man als schwarze Frau darauf reduziert wird“.

    Die Stimmen sind wieder verstummt

    Manche Wissenschaftler behaupten, Brasilien sei ein Land ohne Gedächtnis. Heute ist der 25.11.2020, nur sechs Tage nach dem Mord an dem Schwarzen Joao Alberto Freitas sind vergangen. Ich habe vergeblich in fast allen bekannten brasilianischen Zeitungen nach weiteren Nachrichten gesucht. Auch die landesweiten Proteste sind verstummt. Meine Erfahrung sagt mir, dass bald niemand mehr über den brutalen Fall reden wird. Ein ermordeter Schwarze mehr. Vergessen.

     

  • Hautfarbe durch die Augen eines Kindes

    Ein klarer Fall von positivem Rassismus

    Im Jahr 1994 kam ich nach Sankt-Petersburg. Es war ein unglaublich heißer Sommer gewesen. Drei Wochen lang gab es keine einzige Regenwolke. Die Stimmung war dennoch ausgelassen und heiter, überall fröhliche Menschen. Es waren gerade Goodwill Games in St. Petersburg. In der Menschenmenge sah ich ihn: einen Olympischen Gott, über zwei Meter groß, er trug nichts außer knallroten Shorts. Der Gott war schwarz.
    Wahrscheinlich ist es ein Basketballspieler aus den USA gewesen. Ich war 24 und vollkommen begeistert. Ja, Schwarz lässt Farben viel schöner leuchten. „Ein klarer Fall von positivem Rassismus!“ – würde meine Tochter jetzt kommentieren. So lernen sie es heute in der Schule. Für mich aber ging damals eine Tür in eine andere, größere Welt auf. Das war das erste Mal, dass ich einen Menschen mit einer anderen Hautfarbe gesehen habe.

    Ein ganz anderes Niveau

    Jahre später, ich, selber Mutter, mit Mann und Kind in Brügge, Belgien unterwegs. Die Stadt wie eine mittelalterliche Kulisse, eine warme Mitternacht, Touristen von überall auf der Welt wimmelten auf den Straßen. Wir trafen auf eine Gruppe Studenten aus Tansania, quatschten, lachten, tauschten unsere Erfahrungen aus. Am nächsten Tag fuhren wir weiter. Irgendwann fragte mich meine Tochter:
    – Weißt du noch Mama, diese lustigen Leute…
    – Welche denn?
    – Na, diese jungen Leute, die wir getroffen haben…
    – Es waren ja so viele… Welche?
    – Die mit coolen Klamotten!
    – …?
    – Na, die Studenten aus Tansania!
    – Ach, sie!
    Sie hat nicht gleich als erstes gesagt, dass sie die Jugendlichen mit schwarzer Hautfarbe meinte. Nein, das war ihr ehrlich nicht aufgefallen! Nur das sie jung und lustig waren. Die Hautfarbe war nicht das wichtigste Merkmal, es spielte für sie gar keine Rolle! Das ist ein ganz anderes Niveau. Werde ich das mal erreichen können?
    Zum Glück gibt es heute in den Schulbüchern kein Kapitel Rassenkunde mehr, es werden keine hässlichen, ekligen Wörter in Kindermünder gelegt. Schoko-Küsse heißen Schoko- Küsse und sie werden nicht in den Kolonialwaren-Läden verkauft. Wenn Kinder zum Tierpark Hagenbeck fahren, dann nicht zu einer Völkerschau. Und ich hoffe, ihre Kinder werden schon in einer anderen Zeit leben, wo die Hautfarbe gar keine Rolle spielen wird.
  • zu.flucht-Podcast: Wie rassistisch sprechen wir?

    In der siebten Folge von Multivitamin geht es um Rassismus in der deutschen Sprache. Dafür haben wir unter anderem mit Prof. Dr. Susan Arndt gesprochen. Sie ist Germanistin, Anglistin und Afrikawissenschaftlerin. Sie hat uns erklärt, woher rassistische Begriffe kommen, warum es sie noch gibt und wie wir sie loswerden können.
    Einen großen Einfluss auf unsere Sprache haben die Medien und diejenigen, die mit ihrer Sprache viele Menschen erreichen. Die neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) haben ein Glossar mit wertfreien, präzisen Formulierungshilfen für Journalist*innen entwickelt. Ferda Ataman ist eine der Mitbegründer*innen der NdM. Wir haben mit ihr über rassistische Narrative und ihr Buch „Ich bin von hier. Hört auf zu fragen!“ gesprochen.
    Ihr hört uns auf Spotify, YouTube, Soundcloud und i-Tunes! Wenn ihr Fragen, Anmerkungen oder Themenvorschläge für die nächsten Folgen von Multivitamin habt oder gerne Teil unseres Teams werden wollt, schreibt uns gerne an podcast@kohero-magazin.de!
     
    Das Multivitamin-Team: Lilli Janik, Lena Wilborn, Kim Sarah Eckert, Marie Lina Smyrek, Anne-Josephine Thiel, Sally Wichtmann, Anna Seifert, Stefanie Grolig
    Links zur Folge:
    Glossar Neue deutsche Medienmacher*innen
    „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüşay
    „Ich bin von hier. Hört auf zu fragen!“ von Ferda Ataman
    bpb.de

  • Weiße Privilegien – Stimmen aus der Redaktion

    Die Rassismus-Debatte hat gezeigt: Vor allem weiße Menschen haben einiges aufzuholen, wenn es darum geht, sich der eigenen Privilegien bewusst zu werden. Unter dem Stichwort „kritisches Weiß-Sein“ haben in den letzten Wochen und Monaten viele darüber diskutiert, wie sich weiße Personen mit Rassismus beschäftigen können. Was genau kritisches Weiß-Sein bedeutet, hat unser Autor David hier erklärt. Als Redaktion fühlen wir uns in der Verantwortung, uns mit unseren weißen Privilegien auseinanderzusetzen – auch und gerade in Bezug auf unsere journalistische Arbeit. Unsere Selbstreflexion wollen wir gerne mit euch teilen. Wir nutzen die Leitfragen, die die Journalistin Josephine Apraku auf instagram veröffentlicht hat. Stimmen aus der Redaktion zu ihrer ersten Frage.

    Wann ist dir das erste Mal bewusst gewesen, dass du weiß bist?

    Anna: In dem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, war Weiß-Sein „die Norm“, v.a. an meiner Schule. Ich hatte wenig Kontakt zu People of Colour, weil die meisten zur Hauptschule gingen. Ich aufs Gymnasium. Das hat mich damals schon gewundert, aber wie rassistisch unser Schulsystem tatsächlich ist, habe ich erst viel später reflektiert. Vielleicht mit Mitte 20, als ich selbst in Ländern des globalen Südens war und angefangen habe, mich in Workshops und durch Literatur mit strukturellem Rassismus zu beschäftigen.

    Jenny: Das ist noch gar nicht lange her. Wahrscheinlich im Laufe des Studiums. Ich habe Stifte, die weiß waren als „hautfarben“ bezeichnet. Ich habe bis dahin auch nicht hinterfragt, dass Pflaster in Deutschland alle weiß sind. Sich das eigene Weiß-Sein bewusst zu machen, ist in einer Gesellschaft, welche diese Tatsache als Norm begreift und konstruiert, leider alles andere als eine Selbstverständlichkeit. 

    Hannah: Eine gute Freundin meiner Eltern ist Schwarz und ihre Tochter ist mit mir aufgewachsen. Wir haben damals über Hautfarben gesprochen – aber einen Unterschied haben sie nicht gemacht. So richtig bewusst ist mir mein Weiß-Sein erst geworden, als ich zum ersten Mal die einzige weiße Person im Raum war. 

    David: Am Anfang meiner 20er Jahre fing ich so richtig an zu reisen. War super oft in Italien. Dort bin ich vermehrt mit schwarzen Menschen in Kontakt gekommen und habe so festgestellt, dass ich weiß bin und andere Menschen Schwarz oder of Colour sind. Was das genau heißt, habe ich damals aber noch lange nicht verstanden oder nachvollzogen. Ich wuchs in Tübingen und Umgebung auf. Dort auf dem Land leben vor allem weiße Deutsche. So habe ich lange in einer Welt gelebt mit sehr eingeschränktem, weißem und privilegiertem Horizont.  

    Marius: Aufgewachsen im ländlichen Raum Deutschlands gehörte ich als weiße Person zur Mehrheit. Egal ob Schule oder Freundeskreis, Schwarze oder People of Colour waren praktisch inexistent, mein Privileg hinterfragte ich damals nie. Erstmals mit Anfang 20, als ich in einer Hamburger U-Bahn die Minderheit bezüglich der Hautfarbe bildete, reflektierte ich und fühlte mich, vermutlich aufgrund unbewusst internalisierter und rassistischer Denkmuster, situativ unwohl. Auch aufgrund aktueller Debatten setze ich mich häufiger mit der Thematik des kritischen Weiß-Seins auseinander. Zuletzt im Harz-Urlaub: Ein älterer Herr klärte meine Freundin und mich bei einem Spaziergang ungefragt über die Geschichte der dortigen Region auf. Es stellte sich die Frage: Hätte er dies auch getan, wären wir nicht weiß?

    Amanda: Ich war in meiner Grundschulklasse die einzige Schülerin, die nicht migrantisch gelesen wurde. Ich hatte immer recht gute Noten und wurde häufig als “gutes Beispiel” mit anderen Schülern verglichen. Das hatte ganz sicher auch etwas mit meinem Weiß-Sein zu tun. Mir ist damals schon aufgefallen, dass die Anderen härter für eine Gymnasialempfehlung arbeiten mussten als ich.

    Natalia: Bin ich ehrlich, habe ich mich mit dem Weiß-Sein das erste Mal auseinandergesetzt, als ich Sophie Passmanns Buch „Alte weiße Männer“ gelesen habe. Zuvor ist mir meine weiße Bubble, in der ich lebe, nicht aufgefallen. Als ich dann einigen Männern erklärt habe, wie weiß und alt sie sind, bin ich auf viel Gegenwehr gestoßen. Erst da ist mir bewusst geworden, dass Weiß-Sein viel mehr bedeutet, als weiße Haut zu haben. Es hat aber die aktuelle Diskussion, die Proteste und die mediale Aufmerksamkeit gebraucht, Rassismus als ein Problem zu erkennen, das mich auch betrifft.

    Willst auch du dich mit deinen weißen Privilegien auseinandersetzen? Die zweite Frage lautet: War dir zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass dein Weiß-Sein mit einer vergleichsweisen besseren Behandlung und einem besseren Zugang zu Ressourcen, wie Bildung oder dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, einhergeht? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?

    https://kohero-magazin.com/rechte-weltbilder-und-die-norm-weisser-maennlichkeit/

  • Sich seiner Privilegien bewusst werden

    Da wir in Deutschland in einer weißen Mehrheitsgesellschaft leben, ist es wichtig, dass wir auch durch die Perspektive der Critical Whiteness auf Rassismus schauen. Diese stellt eine grundsätzliche politische Auseinandersetzung unter weißen Menschen mit ihren Privilegien dar. Um zu verdeutlichen, dass Critical Whiteness nicht nur eine amerikanische Thematik ist, nutzen wir hier an dieser Stelle den übersetzten Begriff Kritische Weißseinsforschung. Dass sie als weiße Menschen privilegiert sind, ist den meisten Weißen in unserer Gesellschaft tatsächlich gar nicht bewusst. Mit dem Wissen und der Aufarbeitung weißer Privilegien kann Rassismus abgebaut werden. 

    Weiße Privilegien

    Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, fällt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema oft schwerer. Sie spüren durch ihre Hautfarbe und die damit verbundenen Privilegien und die Position in der Gesellschaft keine negativen Auswirkungen. Weiße Menschen sind nicht mit den Nachteilen und den damit verbundenen Problemen konfrontiert, die ihre Privilegien in der Gesellschaft für andere Menschen mit sich bringen.

    Schwarze Menschen und People of Colour [(Sing.  Person of Colour) ist ein Begriff aus dem anglo-amerikanischen Raum. Im Gegensatz zu „coloured“ (dt.: Farbige_r) handelt sich hier nicht um eine eindimensionale Zuschreibung seitens der weißen Mehrheitsbevölkerung, sondern um eine Selbstbezeichnung von nicht-weißen Minderheiten] befinden sich im ständigen Konflikt mit Rassismus. Sie müssen sich fragen, ob unserer Gesellschaft sie als Individuum ansieht oder als fremd betrachtet und ob überhaupt zugehörig sind. Von der Polizei werden sie häufiger verdächtigt kriminell zu handeln und dadurch öfter Personenkontrollen unterzogen. Sie haben geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und oft einen erschwerten Zugang zu Kulturangeboten.  

    Weiße Privilegien sind unter anderem:  als Individuum angesehen zu werden, nicht automatisch als fremd betrachtet zu werden, alle Menschen die nicht weiß sind benennen, einteilen und kategorisieren zu können, wenn gewollt öffentlich anonym bleiben zu können, sich Teile anderer Kulturen aneignen zu dürfen, Fremden die eigene Herkunft nicht erklären zu müssen, grundsätzlich davon auszugehen, dass Menschen in Büchern und Zeitungsartikeln weiß sind, ungehindert und unkontrolliert durch die ganze Welt reisen zu können, nicht auf Rassismus reagieren zu müssen…   

    All diese Privilegien stehen versinnbildlichend für die weiße Dominanz. So gilt Weiß-Sein in der Wahrnehmung von Weißen grundsätzlich als die Norm.  

    Sich nicht entscheiden können

    Schwarzen Menschen und People of Colour hingegen stehen diese Privilegien nicht zu. Im Gegenteil: Sie werden heutzutage, wie schon in den letzten Jahrhunderten immer noch von weißen Strukturen unterdrückt, ausgebeutet und benachteiligt und sind damit die Opfer des Rassismus. Schwarze Menschen können sich nicht bewusst oder unbewusst dafür entscheiden, sich mit der eigenen Betroffenheit von Unterdrückung und Diskriminierung zu beschäftigen. Schwarze Menschen haben weniger Zugang zu Sicherheit durch Behörden und den Staat als weiße Menschen. Sie werden kriminalisiert und für unglaubwürdig gehalten.  

    Menschen, die behaupten, hierzulande gäbe es keinen Rassismus (mehr), verleugnen damit sowohl die vielschichtigen Realitäten schwarzer Menschen und People of Colour, die weiße Dominanz und ihre Privilegien. Die Rolle der weißen Person sollte die des Antirassisten*in sein und in der antirassistischen Arbeit eines Verbündeten, eines ally liegen. Sie sollten schwarzen Menschen und People of Color zuhören und von ihnen lernen, über ihre eigenen Privilegien nachzudenken. Nur daraus kann verantwortungsvolles Handeln gegenüber den nicht-weißen Gemeinschaften entstehen. Dafür ist die Reflexion eigener weißer Privilegien essenziell, um sich so der Problematik bewusst zu werden und sie abzubauen.  

    Was ist zu tun?

    Es geht allerdings nicht darum, dass weiße Menschen loslaufen und alibi-halber Schwarze oder of Colour Freund*innen finden, sondern dass sie die Beziehungen, die es schon gibt, neu bewerten und vertiefen. Wenn weiße Menschen denken, sie unterhalten keine Beziehungen zu People of Colour, brauchen sie sich nur in ihren Wohnorten umschauen. Sie werden sie finden, bei Nachbar*innen, Arbeitskolleg*innen, Mitstudent*innen, Stammkund*innen und Angestellte in der Bäckerei, in der Bar oder in der Apotheke.

    Vor allem wir weißen Menschen sind in der Pflicht unsere Privilegien für von Rassismus betroffene Mitmenschen positiv zu nutzen. Wir müssen Gemeinschaften aufzubauen, die systematische Veränderungen bewirken können. Für eine solidarische, sichere, gewaltfreie und antirassistische Gesellschaft die für alle Menschen in positivem Kontext steht. 

    In unserer Redaktion wollen wir uns verstärkt der Perspektive des kritischen Weiß-Seins widmen. Als überwiegend weiße Menschen sehen wir es als unsere Verantwortung an, uns mit weißen Privilegien auseinanderzusetzen – auch und gerade in Bezug auf unsere journalistische Arbeit. Es ist nicht einfach, dafür den richtigen Weg zu finden. Wir beschäftigen uns viel mit dem Thema und wollen unsere Selbstreflexion gerne mit euch teilen. Daher werden wir demnächst unsere persönlichen Gedanken zu Rassismus, Weiß-Sein und weißen Privilegien hier veröffentlichen.

    Quellen: 

    Migazin Online Ausgabe 2013/2: Das Problem mit ,,Critical Whiteness‘‘ 

    Wikipedia Artikel zu Weiß sein/Critical Whiteness

    Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard: Wie Rassismus aus Wörtern spricht 

kohero-magazin.com