Schlagwort: Randnotizen

  • „Ich dachte, nach dem Studium würde ich dazu gehören!“

    Unser Leben war geprägt von Umzügen und Unsicherheiten. Bildung hatte die höchste Priorität zu Hause – sie sei der Schlüssel zur Zukunft und Akzeptanz. Also lernte ich und arbeitete hart, egal was um mich herum passierte. Trotz einschneidender Ereignisse und finanzieller Hürden absolvierte ich mein Studium und kam damit meinem Traum, Lehrerin zu werden, näher.

    Während des ersten Telefongesprächs mit der Leitung der mir zugewiesenen Schule wurde ich sehr freundlich behandelt. Doch das Verhalten änderte sich merklich, als man mich das erste Mal sah. Ich wurde gebeten, ein Formular für die Statistik auszufüllen. Jung und gutgläubig tat ich dies ohne Nachfragen. Als ich das Feld zur Konfession ausfüllte, war die Reaktion Erstaunen. „Ich dachte, Sie seien konvertiert“, hörte ich. Als ich dies verneinte, versicherte sie mir, dass sie nichts dagegen habe. In diesem Moment wurde mir mulmig. Wieso sollte jemand etwas dagegen haben? Wogegen?

    Am ersten Tag kam ich eine Stunde vor dem verabredeten Zeitpunkt, holte den Schlüssel ab und wartete im Lehrerzimmer. Als die Schulleitung in der Pause eintrat, ging ich zu ihr. Sie sprach zunächst mit allen anderen Kollegen. Als ich schließlich an der Reihe war und meinen Stundenplan besprechen wollte, verlor sie vor den Kolleg*innen den gewahrten Respekt, schrie mich an und machte mir nicht nachvollziehbare Vorwürfe. Ich wäre zu spät erschienen. Ich versuchte mich zu erklären, denn ich war wesentlich früher da gewesen, doch ich fand kein Gehör. Überwältigt, schwieg ich schließlich.

    Zu Hause konnte ich bei meiner Mutter alles rauslassen: „Ich dachte, nach dem Studium gehöre ich dazu!“

    Die darauffolgenden Wochen waren geprägt von Schikanen, Erschwernissen und sogar persönlichen Angriffen. Dies führte schließlich dazu, dass ich mit dem Gedanken spielte, das Referendariat abzubrechen. Doch Freunde und Familie schenkten mir Kraft, sodass für mich einstehen konnte und schließlich die Schule wechselte.

    Doch bevor ich ging, ließ man seinem Ärger freien Lauf zu lassen und teilte mir mit, dass ich für den Job nicht geeignet sei und meine Berufswahl überdenken sollte. Ich schwieg.

    Verunsichert kam ich an die neue Schule. Hier war man offen, hieß mich willkommen und freute sich über meine Unterstützung. Hier sah man mich. Hier gab man mir eine Chance. Nach erfolgreicher Absolvierung des Vorbereitungsdienstes hatte ich die Wahl zwischen mehreren Stellenangeboten.

    Die ersten Wochen meiner praktischen Ausbildung waren sehr prägend und beschäftigten mich noch Jahre danach. Ich wurde nicht ernst genommen, mir wurden viele Steine in den Weg gelegt und meine Abhängigkeit ausgenutzt. In der Schule blieb ich standhaft, während ich zu Hause unendlich viele Tränen vergoss – so sah mein Leben wochenlang aus.

    Doch ich beendete das Referendariat erfolgreich. Währenddessen und all den Jahren meiner beruflichen Tätigkeit hat mir die Freude am Unterrichten und das Miteinander mit meinen Schüler*innen sowie den Kolleg*innen gezeigt, dass der Lehrberuf meine Berufung ist. Ich bin glücklich, dass ich nicht aufgegeben habe und selbstbewusst genug war, um als Anfängerin nicht auf „Sie sind für den Beruf nicht geeignet“ zu hören.

    Meinem damaligen Ich, auf dem Sofa meiner Mutter, möchte ich sagen: „Du gehörst dazu! Manche Menschen richten ihren Frust auf andere. Zu ihnen willst du nicht gehören! Zu ihnen solltest du nicht gehören! Geh deinen Weg und du wirst sein, wo du immer sein wolltest!“

  • Mehrsprachigkeit: Herausforderungen und Chancen

    Mehrsprachigkeit in der Schule ist eine Realität, die jedoch oft unbeachtet bleibt oder kritisch hinterfragt wird. Wenn Schüler*innen Französisch oder Englisch sprechen oder entsprechende Akzente aufweisen, wird dies als unproblematisch und sogar als Bildungsvorteil angesehen. Sprachen wie Türkisch oder Arabisch hingegen werden oft als Problem und Bildungshindernis wahrgenommen.

    Besonders deutlich wurde dies 2018, als Prinzessin Charlotte in deutschen Medien aufgrund ihrer Bilingualität als hochbegabt dargestellt wurde. Schnell kam in den sozialen Medien Kritik auf: Während die Mehrsprachigkeit der Prinzessin gefeiert wurde, wird die der Kinder aus weniger privilegierten Elternhäusern und mit Migrationshintergrund häufig problematisiert.

    Auch im schulischen Kontext zeigt sich dieses Phänomen. Oft stellt sich die Frage: „Kann das Kind überhaupt Deutsch?“. Mehrsprachigkeit wird, je nach Sprache, schnell als Identifikationsmerkmal oder gar als Ursache von Defiziten gesehen. Als ich einmal mit Schüler*innen einer 6. Klasse über Herkunft und Identität sprach, bestätigte mir eine Kollegin vor den Kindern, die alle in Deutschland geboren und sozialisiert waren, dass sie „nicht deutsch“ seien, weil sie zu Hause eine andere Sprache sprächen. „Ich spreche auch andere Sprachen und sehe mich dennoch als Deutsche!“, entgegnete ich. Die Kollegin reagierte überrascht mit einem „interessant“.

    Sie war sich ihrer Ausgrenzung nicht bewusst und sah eine andere Sprache tatsächlich als Hindernis an. Dass ich, eine ausgebildete Lehrkraft ohne jegliche sprachlichen Defizite, zu Hause eine andere Sprache spreche, war für sie unerwartet.

    Der Schulalltag stellt uns vor Herausforderungen: Lehrpläne, Zeitdruck und mangelnde Ressourcen lassen oft wenig Raum für sprachliche Vielfalt. Wie gehen wir mit Schüler*innen um, die kaum Deutsch sprechen? Wie unterstützen wir sie, ohne sie auszugrenzen? Wie begegnen wir Lehrkräften, die unsicher sind, wenn sie mit einer sprachlichen Vielfalt konfrontiert werden, die sie nicht kennen? Diese Fragen beeinflussen die Haltung der Lehrkräfte – gezielte Unterstützung und Fortbildungen sind daher unverzichtbar.

    „Deutsch bleibt zweifellos der Schlüssel zu Bildung und Teilhabe, doch Mehrsprachigkeit darf nicht als Hindernis gesehen werden“

    Dabei ist es für viele Schüler*innen selbstverständlich, im Alltag mehrere Sprachen zu nutzen. Zu Hause sprechen sie eine Sprache, in der Schule eine andere, und oft noch eine dritte mit Freund*innen. Selbst Menschen ohne Migrationsgeschichte erleben ähnliche Mehrsprachigkeit durch die Digitalisierung, Filme, Serien oder globale Interaktionen auf Plattformen. Eine Schulfreundin lernte beispielsweise Mandarin durch Filme, und meine Schwester brachte sich in ihrer Freizeit Koreanisch bei.

    Auch bei Lehrkräften spielt Mehrsprachigkeit eine Rolle. Es ist vorgekommen, dass ich Schüler*innen auf Dari unterstützt oder bei Elterngesprächen Übersetzungen überprüft habe. Viele Lehrkräfte mit Migrationsgeschichte tragen ihre Mehrsprachigkeit in sich, nutzen sie jedoch zu selten. Dabei könnten sie ein wertvolles Vorbild sein.

    Als Lehrerin mit eigener Migrationsgeschichte sehe ich die Chancen, aber auch die Herausforderungen der Mehrsprachigkeit. Zu oft wird sie als Defizit betrachtet, das überwunden werden muss. „Erst mal richtig Deutsch lernen!“, heißt es dann – eine Forderung, die mehr ablehnt als integriert. Deutsch bleibt zweifellos der Schlüssel zu Bildung und Teilhabe, doch Mehrsprachigkeit darf nicht als Hindernis gesehen werden.

    Sie bietet große Chancen: Das Wechseln zwischen Sprachen erfordert kognitive Fähigkeiten, die die Forschung längst als Ressource erkannt hat. Mehrsprachige Kinder können oft schneller Perspektiven wechseln, Muster erkennen und sich auf neue Situationen einstellen. Sie verkörpern die Komplexität unserer globalisierten Welt – eine Kompetenz, die es zu fördern gilt.

    Mehrsprachigkeit ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Die Integration in Lehrpläne, Methoden und Erwartungen mag zunächst herausfordernd wirken, doch die Vorteile überwiegen: Die Identitäten und Lebensrealitäten der Schüler*innen werden sichtbar, der Selbstwert gestärkt und das soziale Miteinander gefördert.

    Wenn wir Mehrsprachigkeit als Stärke begreifen, können unsere Schulen Orte werden, die die Realität unserer vielfältigen Gesellschaft widerspiegeln und bereichern. Die Zukunft ist global und divers. Wenn wir die individuellen Stärken fördern, stärken wir die Gemeinschaft – mit Inklusion statt Exklusion.

     

  • Goodbye, Niedersachsen, hello Nordrhein-Westfalen!

    Von der Grundschule über das Gymnasium und die Uni zurück zur Schule. Diesen Kreislauf bin ich komplett in Niedersachsen durchlaufen. Und nun wollte ich mal in die große weite Welt, beziehungsweise nach Nordrhein-Westfalen. Ganz easy, oder? Von wegen!

    Als Beamtin hat man viele Vorteile, doch Flexibilität gehört nicht dazu. Um in das deutsche Ausland zu können, bewirbt man sich für das Tauschverfahren und hofft, dass sich eine Person findet, die aus deinem Wunschbundesland in deins möchte. Dann kann getauscht werden.

    Doch kaum hatte ich mich beworben, kam die Ernüchterung: Ganz so einfach war das dann auf einmal doch nicht. Denn Bildung ist Ländersache.  Von Niedersachsen nach Nordrhein-Westfalen ist ein kleiner geografischer Sprung, doch überraschenderweise ein nicht so kleiner kultureller und bürokratischer Umbruch.

    Während ich mich an Nibis – den niedersächsischen Bildungsserver – mit seinem dem Norden entsprechend nüchternen Layout und an ein sogenanntes Schulverwaltungsblatt, welches alle Stellenanzeigen alphabetisch und geografisch sortiert aufzeigte, gewohnt hatte, musste ich mich nun LEO, VERENA, STELLA – tatsächlich heißen so die Stellenportale in NRW – widmen. Was für NRW-ler übersichtlich erscheint, ist aus der niedersächsischen Sicht ein kompletter Kuddelmuddel.

    Das bedeutet 16 Bundesländer, also 16 Systeme. Im System angemeldet und auf die ersten Stellen beworben, erhielt ich einen Brief, dass ich meine niedersächsischen Zeugnisse zwecks Anerkennung in beglaubigter Kopie in Münster abgeben sollte. Warum? Weil die „ausländischen“ Dokumente eine Überprüfung und Anerkennung erfordern. Gesagt, getan. Dem Lehrkraftmangel in meinen Fächern sei Dank, konnte ich schließlich „Goodbye“ zu Niedersachsen sagen.

    Mit dem Wechsel nach Nordrhein-Westfalen betrat ich Neuland, das mich mit vielen kleinen, aber bedeutsamen Unterschieden überraschte. Nach einigen Jahren Dienst in Niedersachsen lief alles wie am Schnürchen. Ich war an die Rahmenrichtlinien gewöhnt, konnte Unterricht fast im Schlaf planen und die Feiertage fest im Blick behalten. Doch in NRW fühlte ich mich zunächst wie ein Neuling. Begriffe wie „Arbeitskreise“ statt AGs und „Elternpflegschaftsabende“ anstelle von Elternabenden machten mir klar, dass ich vieles neu lernen musste.

    Eine weitere Überraschung bot der Kalender. Vor Kurzem redeten Kolleg*innen über ihre Pläne für die freien Tage im März. „Freie Tage im März?“, fragte ich überrascht. Das Leuchten meiner Augen erhellte den gesamten Raum, als ich erfuhr, dass Ende Februar bis Fastnachtsdienstag die Schulen in Nordrhein-Westfalen geschlossen bleiben. Unerwartete freie Tage! Eine schöne Überraschung!

    In diesem katholischen Bundesland gibt es keinen freien Reformationstag, dafür aber Fronleichnam. Ein freier Tag mitten im Sommer. „Wir feiern hier alles“, wurde mir von einer Kollegin angekündigt. Die Feiertage prägen den Schulalltag viel mehr, als ich zuvor erwartet hatte. Das erfordert sicherlich einiges an Planung. Gott sei Dank habe ich aber noch einige Monate, um mir Gedanken über ein Kostüm für Rosenmontag machen.

    Die beeindruckende bergische Landschaft war einer der Aspekte, die mich hergelockt haben. Nun, hier angekommen, merkte ich schnell, dass das nordische Flachland mich sehr verwöhnt hatte. In Hannover konnte ich stundenlang durch die Eilenriede spazieren, doch hier im Bergischen Land merkte ich schnell, dass die ständigen Steigungen mich schnell erschöpften. Selbst die Schule scheint gefühlt zu 80 Prozent aus Treppenstufen zu bestehen!

    Ein einfacher Jobwechsel kann bereits eine Herausforderung darstellen: Da jeder Betrieb andere interne Strukturen und Prozesse hat. Der Lehrberuf ist geprägt von sozialen Beziehungen und Interaktionen. In meinem Falle kommen zum Schulwechsel, Ortswechsel, damit zusammenhängende räumliche Trennung vom Freundeskreis und einige andere private Veränderungen. All diese neuen Eindrücke und Reize, so schön sie auch sind, sind sehr fordernd.

    Nach vier Wochen kann ich sagen, der Wechsel war komplizierter als erwartet, aber der Schritt hat sich gelohnt. Langsam komme ich an und ich freue mich auf alles, was mich noch erwartet. Eines ist gewiss: Ob Niedersachsen oder NRW – der Schulalltag bleibt immer voller Überraschungen und Herausforderungen, und es wird nicht langweilig!

     

  • Lektion 1: Frage niemals Schüler*innen nach der Uhrzeit

    Im Studium und im Vorbereitungsdienst lernt man als angehende Lehrkraft, den Unterricht minutiös zu planen und Überleitungen gezielt einzusetzen. Man übt, wie Fragen und Aufforderungen sinnvoll und motivierend formuliert werden. Eine der Kernkompetenzen jeder Lehrkraft ist die regelmäßige Reflexion: Was kann ich verbessern? Wie kann ich die Aufgaben klarer formulieren? Welche Methoden und Materialien haben sich bewährt und welche nicht?

    Manchmal sitzt man lange und tüftelt daran, was die Ursache des Nichterreichens eines Unterrichtsziels oder einer Störung ist. Und manchmal wird es schnell deutlich und die Lösung liegt plötzlich vor einem.

    So erging es mir in der Praxisphase meines Berufs. Nach Jahren des Studiums war ich nun einige Wochen im Referendariat. Angehende Lehrkräfte genießen eine Art Sonderstatus. Die Schüler*innen sehen sie fast als Leidensgenoss*in und bemühen sich in den relevanten Stunden mehr, auch wenn sie einem das Leben sonst durchaus herausfordernder gestalten. Auf dieses Wohlwollen darf man sich jedoch nicht ausruhen, denn am Ende des Tages trägt man die Rolle der Lehrkraft und damit die Verantwortung für alle Gruppenmitglieder.

    Als Perfektionistin war der Start in den Beruf für mich kein Zuckerschlecken. Detailverliebt plante ich jede Stunde Minute für Minute und fast jedes Wort, das ich sagen wollte. Eines Tages vergaß ich meine Uhr und fragte die Schüler*innen nach der Uhrzeit. Als sie mir die Zeit nannten, stellte ich erschrocken fest, dass wir nur noch fünf Minuten hatten. Als Berufsanfängerin war eine angemessene Zeiteinteilung für Aufgaben oft eine Herausforderung für mich. Ich musste also feststellen, dass meine Erwartungen zu hoch waren und ich den Rest des geplanten Unterrichtsstoffes auf die folgende Stunde verschieben musste.

    „Typischer Anfängerfehler!“

    Ich beendete die Unterrichtsstunde, ließ die Arbeitsplätze aufräumen und schickte die Schüler*innen gerade rechtzeitig in die Pause. Ich schloss die Tür ab und begab mich auf den Weg zum Lehrerzimmer. Die Schule war groß, sodass ich dafür eine längere Strecke zurücklegen musste. Unterwegs fiel mir die ungewöhnliche Stille auf und ich fragte mich, wie dies während einer Pause in einer so großen Schule zustande kam. Im Lehrerzimmer angekommen, sah ich die Wanduhr und mein Herz blieb stehen.

    Mir wurde bewusst, dass die Unterrichtszeit noch lange nicht vorbei war und meine Zeiteinteilung nicht unrealistisch gewesen war. Die Schüler*innen hatten mir eine falsche Zeit genannt und sich damit eine fast 30-minütige Verlängerung ihrer Pause erschlichen.

    Ich erzählte meinen Kolleg*innen von dem Vorfall und sie entgegneten laut lachend: „Typischer Anfängerfehler!“ Auch wenn mir das damals etwas peinlich war, fand ich es lustig, wie ich das nicht habe kommen sehen.

    Dieser Vorfall lehrte mich, wie wichtig es ist, dass in der pädagogischen Praxis oft die unscheinbaren Details den größten Einfluss haben können. An diesem Tag wurde mir außerdem klar, dass es vieles gibt, was man außerhalb der Bücher im Studium lernen kann und muss.

    Meine Moral aus der Geschicht‘: Frage Schüler*innen nach der Uhrzeit nicht!

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