Schlagwort: Pressefreiheit

  • Mord im Schatten des Kremls: Wer hat Anna Politkowskaja getötet?

    Schüsse, vier Stück, drei davon in den Oberkörper, der vierte ist tödlich, er durchdringt einmal den Kopf. Abgegeben durch eine Makarow-Pistole, eine Ikone der sowjetischen Waffentechnologie, eingesetzt in zahlreichen Konflikten weltweit und eine der populärsten Handfeuerwaffen im Ostblock. Am Auslöser ein professioneller Auftragsmörder – schnell, effizient, ohne viele Spuren zu hinterlassen. Seine Identität: Vermutlich Rustam Machmudow.

    Ein klarer Angriff auf die Pressefreiheit

    Es ist der 7. Oktober 2006. An diesem Tag wird Russlands Präsident Putin 54 Jahre alt. Ein Zufall? Wohl kaum. Vielmehr scheint es, als wolle er sich selber ein ganz besonderes Geschenk machen, indem er seine stärkste und gefährlichste Kritikerin endgültig zum Schweigen bringt. Denn die russische Journalistin Anna Politkowskaja prangerte Putins autoritären und diktatorischen Regierungsstil unermüdlich an. Journalisten und Medienschaffende auf der ganzen Welt sehen ihre Ermordung als einen klaren Angriff auf die Pressefreiheit.

    Menschenrechtsaktivistin und Pazifistin

    Politkowskaja ist mehr als nur eine engagierte Journalistin gewesen. Sie war Menschenrechtsaktivistin, überzeugte Pazifistin, lehnte Krieg und Gewalt kategorisch und strikt ab. Immer und immer wieder machte sie die Gräueltaten des Tschetschenien-Krieges sichtbar, die Morde an den Soldaten und der Zivilbevölkerung, die Vergewaltigungen der Frauen, die Verschleppung der Kinder.

    Auf der Suche nach der Wahrheit

    Dazu gehört Mut. Entschlossenheit. Und ein hohes journalistisches Können. Politkowskaja liebte lange und ausführliche Reportagen, recherchierte diese im Vorfeld genau und gründlich, packte all ihre Erkenntnisse, ihre Schlussfolgerung, in eine Sprache, die verständlich für ihre Leser ist. Zuletzt schrieb sie für die im Jahr 2006 noch weitestgehend unabhängige Zeitung Novaja Gazeta. Angetrieben durch das Bedürfnis, die Wahrheit zu finden, arbeitete sie vor allem investigativ. Sie sprach sich offen für die Meinungsfreiheit aus, schreckte dabei auch vor Putins strikter Zensur nicht zurück. In Russland wurde sie daher als Feindin des russischen Volkes betrachtet, erhielt über die Jahre zahlreiche Morddrohungen. Doch Politkowskaja ließ sich nicht einschüchtern, sie recherchierte und berichtete unerschrocken weiter. Dabei versuchte sie immer, neutral zu bleiben, stellte sich weder auf die Seite des russischen Militärs, noch auf die der tschetschenischen Widerstandskämpfer.

    “Russisches Tagebuch”

    So sind diverse Bücher entstanden. Das bekanntestes ist wohl ihr “Russisches Tagebuch”. Politkowskajas Aufzeichnungen beginnen hier mit Putins Kampagne zu seiner Wiederwahl im Dezember 2003 und enden im September 2005 mit der bestimmenden Frage: “Habe ich Angst?”. Es ist ihr wohl eindringlichstes Werk, in dem sie sorgfältig die Politik ihres Landes dokumentierte. Ebenso wichtig war ihr immer auch, die Bevölkerung, die einfachen Menschen, die Arbeiterklasse zu Wort kommen zu lassen. Eben diejenigen, die unter dem Krieg am meisten zu leiden haben. Sie sprach mit den verzweifelten und trauernden Müttern, die ihre Söhne in dem sinnlosen Krieg verloren hatten, dokumentierte den Kampf dieser Frauen um die Würde und Rechte ihrer Söhne.

    Angst, Rechtlosigkeit und Korruption

    Das “Russische Tagebuch” beschreibt detailliert ein Klima der Resignation, der Angst und der Rechtlosigkeit. Politkowskajas kritisiert darin aber nicht nur Putins grausames Vorgehen, sondern auch die mutwillige Blindheit und Ignoranz des Westens gegenüber den klaren Missständen in ihrer Heimat. Und auch die Korruption im russischen Verteidigungsministerium war immer wieder Thema ihrer Recherchen. Dadurch hat sich Politkowskaja viele Feinde gemacht und bezahlte ihren Mut schlussendlich mit dem Leben.

    Die Suche nach den Hintermännern

    Die Vermutungen, Theorien, Spekulationen darüber, wer Politkowskaja am Abend des 6. Oktober 2006 vor dem Fahrstuhl in ihrem Moskauer Wohnhaus ermordet hat, sind zahlreich. Eine weit verbreitete Theorie besagt, dass der Mord an Politkowskaja von staatlichen, russischen Akteuren in Auftrag gegeben wurde, mit Verbindungen zum Kreml und dem russischen Geheimdienst. Eine weitere Vermutung ist, dass tschetschenische Führer, insbesondere der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow, in den Mord verwickelt sein könnten. Politkowskaja hatte Kadyrow und seine Anhänger ebenfalls mehrfach kritisiert und auch ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Es wird spekuliert, dass Kadyrows Umfeld aus Rache oder zur Verhinderung weiterer Enthüllungen den Mord in Auftrag gegeben haben könnte.

    Der Prozess und die Verurteilungen

    Im Jahr 2014 wurden fünf Männer für den Mord an Politkowskaja verurteilt, darunter der mutmaßliche Schütze Rustam Machmudow und sein Onkel Lom-Ali Gaitukajew, der als Drahtzieher des Mordes gilt. Es wurde jedoch nie abschließend geklärt, wer den Mord tatsächlich in Auftrag gegeben hat. Viele Beobachter und Kritiker sind der Meinung, dass die eigentlichen Hinterleute nie zur Rechenschaft gezogen wurden und dass die Verurteilungen nur die direkten Ausführenden betrafen, während die wahren Drahtzieher weiterhin im Verborgenen bleiben.

    Bis heute ungeklärt

    Politkowskajas Ermordung zeigt einmal mehr, wie gefährlich es ist, sich mit den Mächtigen anzulegen. Ihr unermüdlicher Einsatz für die Wahrheit, ihre Entschlossenheit, Unrecht aufzudecken, und ihr Mut, gegen Korruption und Unterdrückung zu kämpfen, sind beispiellos. Solange jedoch die wahren Hintermänner dieses Verbrechens nicht zur Rechenschaft gezogen werden, bleibt die Frage nach Gerechtigkeit unbeantwortet. Ihr Tod ist vor allem eines: Eine Mahnung, dass die Freiheit der Presse niemals selbstverständlich ist. Sie muss immer wieder aufs Neue verteidigt werden. Und dafür braucht es mutige und unerschrockene Journalisten – wie eben Anna Politkowskaja.

     

     

    Verwendung des Beitragsbildes unter der Creative Commons Lizenz. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Stepanowna_Politkowskaja#/media/Datei:Anna_Politkovskaja_im_Gespr%C3%A4ch_mit_Christhard_L%C3%A4pple.jpg

     

  • Neues aus Afghanistan im Mai

    Geheimdienst

    Der Geheimdienst der Taliban hat zum zweiten Mal einen Menschenrechtsaktivisten in Kabul festgenommen. Er wurde vor einem Monat ebenfalls verhaftet und nach Intervention der örtlichen Ältesten/ Senioren freigelassen.

    Außerdem verhaftete der Taliban-Geheimdienst Majid Zia, einen zivilen Aktivisten der vorherigen Regierung. Er wurde auf dem Flughafen von Kabul festgenommen, als er in den Iran reiste. Er war ein civil activist und Medienberater für die Rahmani-Stiftung in der vorherigen Regierung. Außerdem war er in der Vorgängerregierung als Beamter im Innenministerium tätig. 8am.media

    Frauenbewegung

    Der Führer der Taliban, Mjullah Haibatullah Akhundzada, behauptete in jüngsten Äußerungen, die Frauen seien reformiert worden. Als Reaktion darauf haben Mitglieder der starken Frauenbewegung und weitere Aktivist*innen am Freitag, den 2. Juni, eine Protestbewegung unter dem Namen Dancing in Despair (Tanzen in Verzweiflung) gestartet.

    Das Videomaterial zeigt eine Gruppe von Frauen, die aus Protest mit ihren Tschadors oder Burkas tanzen. In der Erklärung heißt es: „Mit unserem Tanz der Verzweiflung senden wir den Taliban und ihren Anhängern die Botschaft, dass Frauen und Mädchen nicht von ihrer Position abrücken werden, bis Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichberechtigung erreicht sind. Wir stehen gestärkt gegen die frauenfeindliche Apartheidpolitik der Taliban.“

    Gleichzeitig stieg die Anzahl der Selbstmorde von Frauen in verschiedenen Provinzen an. Aus Faryab wird berichtet, dass am 16. Mai innerhalb von 24 Stunden zwei Frauen ihr Leben verloren haben. In Diakondi hat sich ebenfalls eine Frau mittleren Alters das Leben genommen, in Ghazni ein junges Mädchen. Das Gleiche gilt für den Anstieg der Selbstmorde von Männern in verschiedenen Provinzen Afghanistans. 8am.media

    Giftanschlag

    In Sare Pul wird berichtet, dass ca. 70 männliche und weibliche Schüler*innen der Klassen eins bis sechs sowie zwei Lehrerinnen auf mysteriöse Weise einer Vergiftung zum Opfer gefallen sind.

    Nach Angaben von 8am hat es im vergangenen Monat auch in den Provinzen Jawzjan, Ghor und Ghazni zahlreiche mysteriöse Morde gegeben. 8am.media

    Medien

    Die Taliban nehmen in der Provinz Khost vier Personen der lokalen Medien fest. Sie wurden verhaftet, weil sie über Eid Sendungen/ Programme berichteten und sich den Anordnungen der Taliban in Khost widersetzt hatten.

    Am Welttag der Pressefreiheit erklärten Organisationen, die die Medien unterstützen, dass in Afghanistan in den letzten zwei Jahren mehr als 300 Medien geschlossen wurden und über 5000 Journalist*innen ihren Arbeitsplatz verloren haben.

    Als Herausforderungen wird der fehlende Zugang zu Informationen, Gewalt gegen Journaliste*innen und wirtschaftliche Probleme genannt.

    Die afghanische Journalistengewerkschaft berichtete, dass die Präsenz von Frauen in den Medien in den letzten zwei Jahren um 64 % zurückgegangen ist. In 22 Provinzen gibt es keine Journalistinnen und in 12 weiteren Provinzen sind sie nur in sehr geringem Maße aktiv.  Tolonews, 8am media

    Afghanische Botschaft in Islamabad

    Die von den Taliban kontrollierte afghanische Botschaft in Islamabad hat mitgeteilt, dass in zwei Staaten, Islamabad und Rawalpindi, fast 250 afghanische Flüchtlinge verhaftet wurden. Unter den Verhafteten befanden sich auch Personen, die über legale Papiere verfügten. Das Botschaftspersonal hat sich mit den Polizeibeamten getroffen, damit sie entlassen werden können. Afghanistan international

  • Griechenland: Einschränkungen für die Medien nach der Zerstörung Morias

    Durch eine internationale Kooperation können wir aus Frankreich, Deutschland und Griechenland berichten. Weitere Artikel über diese internationale Kooperation findest du hier und  hier.

    Nachdem Moria, Europas größtes Flüchtlingslager in Griechenland, zerstört wurde, schränkte die griechische Polizei die Arbeit der Journalist*innen ein, die über die Situation der mehr als 9.000 Asylbewerber*innen berichteten. Sie stellten die Einschränkungen als vorübergehend dar; sie sind aber immer noch in Kraft.

    Schutz der Presse oder Einschränkung der Pressefreiheit?

    Am 02. Februar veröffentlichte Reporter ohne Grenzen einen Bericht. Dieser warnte davor, dass die erlassenen nationalen Richtlinien für die polizeiliche Kontrolle von Demonstrationen “wahrscheinlich die Berichterstattung der Medien und den Zugang zu Informationen einschränken werden”. Weiterhin forderte er “die griechischen Behörden auf, die Richtlinien in Absprache mit Vertreter*innen der Journalist*innen des Landes zu überarbeiten”.

    Sie hatten beim Entwurf der Richtlinien nicht mitwirken können. Was war passiert? Auf der Grundlage eines Präsidialdekrets hatte die griechische Polizei einige Tage zuvor das neue Handbuch für ihre Einsatztaktik bei Demonstrationen vorgestellt. Danach müssen Journalist*innen, die über Proteste berichten, nun von einem Bereich aus arbeiten, den die Behörden festlegen. 

    Während man diesen Schritt als Sorge um die Sicherheit der Pressevertreter*innen als offiziellen Grund für kommunizierte, zweifelten Journalist*innen im ganzen Land an diesem Motiv. Sie sahen darin eher einen Versuch, Informationen zu kontrollieren. Marios Lolos, ehemaliger Vorsitzender der Gewerkschaft der Fotojournalisten, sagte, dass “in 99% der Fälle die Angriffe von der Polizei selbst ausgegangen sind”. Obwohl dies eine neue Maßnahme sein mag, haben Kritiker schon in den vergangenen anderthalb Jahren beobachtet, dass die regierende Partei “Neue Demokratie” versucht, die Berichterstattung über entscheidende Themen einzuschränken. Eines davon war die Aufnahme der Asylbewer*innen, die der  Land kommen.

    Zugangsbeschränkungen auf der Insel Lesbos

    Am 8. September brachen mehrere Brände im bis dahin größten und berüchtigen Flüchtlingslager Europas, Moria, aus. In den folgenden Tagen kamen zahlreiche Reporter verschiedener Medien aus der ganzen Welt auf die Insel Lesbos und berichteten von der Küstenstraße. Hier hatten mehr als 9.000 Asylsuchende im Freien geschlafen. Nach den ersten Tagen begann die Polizei, Journalist*innen den Zutritt zu dem Gebiet zu verwehren. Während die offizielle Erklärung lautete, dass ein Polizeieinsatz im Gange sei, konnte man später nachweisen, dass dies nicht der Fall war.

    In mindestens einem Fall wurde ein Journalist, Iason Athanasiadis, der im Auftrag der deutschen Tageszeitung “Die Welt” auf der Insel war, strafrechtlich verfolgt. In anderen Fällen zwangen Beamt*innen ohne Uniform Journalist*innen zum Verlassen des Gebiets. Mehrere Journalist*innen wiesen auf dieses Vorgehen hin, darunter Katy Fallon (Berichterstatterin englischsprachiger Medien), Marina Rafenberg (Korrespondentin französischer Medien) – und sechs Organisationen für Pressefreiheit, neben RSF: das International Press Institute (IPI), die Europäische Journalistenföderation (EJF), das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECMPF), die Free Press Unlimited (FPU), das Osservatorio Balcani e Caucaso Transeuropa (OBCT) und Artikel 19.

    Eingeschränkter Zugang

    Wie das griechische Magazin Solomon berichtete, war der Zugang zum neuen Lager einen Monat nach dem Brand immer noch eingeschränkt. Hierbei führten die Behörden allerdings COVID-19 oder den Schutz persönlicher Daten als Grund für die Ablehnung von Medienanfragen an. Den Journalist*innen wurde – ähnlich wie bei Demonstrationen – auch hier ein Bereich zugewiesen, von dem aus sie arbeiten durften: Vor dem Tor der neuen Anlage, die direkt am Meer gebaut wurde.

    Während die meisten Journalist*innen also nur von außerhalb der großen Anlage berichten konnten, durften regierungsfreundliche Medien wie die staatliche Agentur AMNA (Athens Macedonian News Agency) ins Innere und begleiteten die Ministerialbeamten bei ihren Besuchen.

    Eine unfreundliche Umgebung auf den Ägäischen Inseln

    Mit Stand vom 4. Februar leben 6.824 Asylbewerber in der neuen temporären Einrichtung, die das Lager Moria ersetzt. Auf den vier anderen Ägäis-Inseln (Leros, Kos, Samos, Chios) leben insgesamt 4.474 weitere Menschen.  Ein großer Teil davon unter ebenso problematischen Bedingungen. Sie sind Kälte, Regen und Wind ausgesetzt. Auf Lesbos bleibt die Berichterstattung über diese Zustände weitgehend eingeschränkt. Darüber hinaus wurden im Jahr 2020 verschiedene Fälle gemeldet.

    Am 19. Oktober wurde ein deutsches Dokumentarfilmteam auf Samos willkürlich verhaftet. Einige Wochen später hielt die griechische Küstenwache drei deutsche Reporter auf Lesbos ohne Anklage für mehrere Stunden fest. Die griechische Regierung verweist auf Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit COVID-19, um den Zugang der Medien zu den Flüchtlingslagern weiterhin einzuschränken. Dadurch leben auch die Bewohner*innen der Lager seit einem Jahr in einer sich ständig ausweitenden Abriegelung, der sie kaum entkommen können.

    Dokumentationen von Asylsuchenden

    Dies hat dazu geführt, dass Asylsuchende die Bedingungen, in denen sie leben, selbst dokumentieren; von dem Teenager-Mädchen Parwana Amiri im Lager Ritsona auf dem griechischen Festland bis hin zu Twitter-Accounts, die von überfluteten Zelten im neuen Lager auf Lesbos berichten. Nur wenige Wochen vor der Veröffentlichung dieses Artikels wurden 50 beunruhigende Fotos aus den Lagern in den sozialen Medien geteilt, die die Bewohner selbst aufgenommen haben.

    Griechenland stand 2020 auf Platz 65 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen.

    Diese internationale Zusammenarbeit von Guiti News (Frankreich), Kohero (Deutschland) und Solomon (Griechenland) – drei unabhängigen Medien, die sich mit dem Thema Migration beschäftigen – beschreibt einen besorgniserregenden Trend der Polizeigewalt während des vergangenen Jahres; nicht nur gegen Menschen auf der Flucht, sondern auch gegen die Medienschaffenden, die ihre Probleme zeigen wollen.

    Vom berüchtigten „Dschungel“ von Calais bis zur Räumung von behelfsmäßigen Lagern im Zentrum von Paris und von den „Black lives matter“-Demonstrationen in verschiedenen deutschen Städten bis zur Zerstörung des größten Flüchtlingslagers des Kontinents auf der griechischen Insel Lesbos – überall gab es Fälle von polizeilicher Repression, die von Organisationen für Pressefreiheit wie Reporter ohne Grenzen scharf verurteilt werden.

    Die weiteren Artikel gibt es hier: 

    Projektkoordination und Übersetzung: Anna Heudorfer

    https://kohero-magazin.com/greece-restriction-of-press-coverage-follows-morias-destruction/

  • Deutschland: Racial Profiling innerhalb der Polizei

    In Deutschland gibt es einen Mangel an Informationen über das Verhalten von Polizist*innen gegenüber Migrant*innen und People of Color. Einzelfälle und individuelle Berichte deuten auf ein ernstes Problem hin. Der Zugang zur Polizei ist für Journalist*innen und Wissenschaftler*innen schwierig, und so auch die systematische Aufarbeitung der Fälle. Für Reporter ohne Grenzen ganz klar eine Bedrohung der Pressefreiheit.

    Keine Studie notwendig?

    Nachdem der US-Amerikaner George Floyd von einem Polizisten getötet wurde, kam es auch in Deutschland zu „Black Lives Matter“-Protesten. Sie lösten eine Debatte über das Polzeiverhalten gegenüber Menschen mit Migrationshintergund und Racial Profiling aus.

    Im Zuge der Diskussion schlug die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) eine wissenschaftliche Studie innerhalb der Polizei vor, um die aktuelle Situation in Bezug auf rassistische Strukturen zu untersuchen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) verhinderte die Durchführung der Studie, da er nicht alle Polizist*innen unter Generalverdacht sehen wollte. Racial Profiling sei gesetzlich verboten und würde daher innerhalb der Polizei nicht existieren. Was verboten ist, muss nicht erforscht werden, so Seehofers Argument.

    Weitere Ereignisse befeuerten die Debatte: Mehrere Vorfälle von Rechtsextremismus unter Polizist*innen wurden öffentlich. Sie verbreiteten Hassrede gegen Migrant*innen, Geflüchtete und Muslim*innen in Chat-Gruppen. Auch Videos von gewalttätigen Polizist*innen tauchten im Internet auf. Ein aktuelles Beispiel für rassistisches Handeln der Polizei ist der Fall des schwarzen Lehrers Philip Oprong Spenner. Am 22. November 2020 wurde dieser beinahe in seiner Schule „Am Heidberg“ in Hamburg festgenommen. Er arbeitete noch am Abend in der Schule, wo ihn jemand durch das Gebäude laufen sah. Die Polizei rückte mit 15 hochbewaffneten Beamt*innen an. Die Beamt*innen glaubten ihm nicht, dass er in der Schule beschäftigt war – obwohl er die Schlüssel zum Gebäude hatte -, sondern hielten ihn für einen Eindringling, vermutlich aufgrund seiner Hautfarbe.

    https://twitter.com/Kat_Schipkowski/status/1293461200949436419

    Dennoch sieht Minister Seehofer keine Notwendigkeit für eine Rassismusstudie innerhalb der Polizei und nennt die Vorkommnisse „Einzelfälle“. Andere Politiker*innen, insbesondere aus der SPD, betonen dagegen, dass es eine solche Studie braucht. Unterstützt werden sie dabei beispielsweise auch von Sebastian Fiedler, Bundesvorstand beim Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), der sagte, der Minister erweise „auch den Sicherheitsbehörden selber einen Bärendienst”, weil der Eindruck entstehe, es gäbe „etwas zu verstecken”.

    Letztendlich erklärte sich Seehofer bereit, eine Studie über den Arbeitsalltag von Polizist*innen durchzuführen – ein allgemeines Thema, bei dem Rassismus keine zentrale Rolle mehr spielt.

    Eingeschränkter Zugang führt zu Mangel an Beweisen

    Die Folge dieser Haltung ist ein Mangel an Zahlen und Fakten. Ein Bericht des Bundesamtes für politische Bildung zeigt, dass seit Anfang der 1990er-Jahre durchaus Studien über Racial Profiling durchgeführt wurden, darunter Sammlungen von Einzelfällen und Beobachtungsstudien, Umfragen zur Einstellung von Polizist*innen gegenüber „Fremden“ sowie Befragungen von Jugendlichen mit türkischer Familiengeschichte. Sie alle legen nahe, dass Rassismus ein Problem innerhalb der Polizei ist.

    Wie die Autoren des Berichts jedoch feststellen, gibt es große Lücken, vor allem in Bezug auf die Ausprägung und Verbreitung diskriminierender Einstellungen und Praktiken. Sie entstehen durch den schwierigen Zugang für die Forschung und die fehlende  Informationsbasis. Weite Teile der Polizeiarbeit wie Ermittlungen, Überwachung und Verhöre sind noch unerforscht.

    Anne Renzenbrink, die Pressereferentin von Reporter ohne Grenzen erklärt: „Bürokratische Prozesse verlangsamen die Forschung auf diesem Gebiet“. Informationsfreiheitsgesetze sollen Journalist*innen Zugang zu dieser Art von Daten verschaffen, jedoch gibt es immer noch Bundesländer, die bisher keine Richtlinien haben, um diese Vorgänge zu vereinheitlichen. Selbst in Bundesländern, in denen Vorschriften umgesetzt wurden, hindern verschiedene Ausnahmeregelungen Medienvertreter*innen daran, detaillierte Berichte zu erhalten. “Das Problem ist, dass es bislang kein bundesweites Gesetz gibt, das den Zugang zu Informationen über Regierungsstellen und Behörden wie der Polizei gewährleistet”, erläutert Renzenbrink. Für Reporter ohne Grenzen ergibt sich daraus eine Bedrohung der Pressefreiheit. Die Organisation fordert die Regierung auf, mehr Transparenz zu schaffen. 

    Nur zwei Prozent der Ermittlungsverfahren wegen rechtswidriger Polizeigewalt gehen vor Gericht, meist aus Mangel an Beweisen. Oft steht in diesen Situationen ein Wort gegen das andere. Diese Zahl könnte darauf hindeuten, dass sich Polizist*innen häufig gegenseitig decken und nicht gegen ihre eigenen Kolleg*innen aussagen. Zum Vergleich: Die Gesamtzahl aller Ermittlungsverfahren, bei denen es zu einem Gerichtsverfahren kommt, beträgt durchschnittlich 24 Prozent.

    Berichterstattung über Migration und Kritik an rechten Aktionen

    Im Jahr 2020 hat die Anzahl der Gewalttaten gegen Medienvertreter*innen extrem zugenommen, insbesondere bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen, die von rechtspopulistischen Akteuren ausgehen. Eigentlich ist es die Pflicht der Polizei, einen sicheren Arbeitsablauf für die Medien zu ermöglichen. „Medienschaffende sind dazu da, um über diese Demonstrationen zu berichten. Das ist von öffentlichem Interesse – deshalb sollten sie frei arbeiten können“, kritisiert Anne Renzenbrink. 

    Einige Berichte, die von “Reporter ohne Grenzen” bestätigt wurden, zeigen jedoch, dass die Polizei Journalist*innen nicht vor gewalttätigen Demonstrant*innen schützt. Darüber hinaus wird die journalistische Arbeit sogar aktiv behindert. „Obwohl wir in den vergangen Jahren eine Verbesserung erkennen können, kommt es immer wieder vor, dass manche Polizist*innen scheinbar nicht wissen, welche Rechte Medien haben“, sagt Renzenbrink. Reporter*innen wird der Zugang zu Demonstrationen verweigert bis hin zur Erteilung von Platzverweisen oder der Androhung einer Festnahme.

    Mit zunehmender Besorgnis beobachten immer mehr Journalistenverbände diese Entwicklungen, da sie die „journalistische Freiheit stark einschränken“. Mit dem Ziel, die Interaktionen zwischen Polizist*innen und Journalist*innen zu verbessern, wurden die Verhaltensgrundsätze für Medien und Polizei aus dem Jahr 1993 aktualisiert. Doch Reporter ohne Grenzen fordert mehr Maßnahmen: „Während der Polizeiausbildung in Deutschland muss ein Schwerpunkt auf dem Medienrecht liegen. Polizist*innen müssen wissen, wie sie mit Medienschaffenden in diesen Szenarien umgehen sollen“, betont Renzenbrink.

    Bisher haben Journalistenverbände und Polizeischulen nur vereinzelt zusammengearbeitet, obwohl die Realität auf einen „strukturellen Mangel“ hinweist. So könnten durch bundesweite Initiativen, die umfassend über dieses Thema informieren, erste Fortschritte entstehen, die letztlich auf die Wahrung der Pressefreiheit zielen. Renzenbrink betont jedoch, dass Bildung allein nicht ausreicht: „Die Behörden müssen sicherstellen, dass diese Grundsätze in der Realität korrekt umgesetzt werden.“

    Diese internationale Zusammenarbeit von Guiti News (Frankreich), Kohero (Deutschland) und Solomon (Griechenland) – drei unabhängigen Medien, die sich mit dem Thema Migration beschäftigen – beschreibt einen besorgniserregenden Trend der Polizeigewalt während des vergangenen Jahres; nicht nur gegen Menschen auf der Flucht, sondern auch gegen die Medienschaffenden, die ihre Probleme zeigen wollen.

    Vom berüchtigten „Dschungel“ von Calais bis zur Räumung von behelfsmäßigen Lagern im Zentrum von Paris und von den „Black lives matter“-Demonstrationen in verschiedenen deutschen Städten bis zur Zerstörung des größten Flüchtlingslagers des Kontinents auf der griechischen Insel Lesbos – überall gab es Fälle von polizeilicher Repression, die von Organisationen für Pressefreiheit wie Reporter ohne Grenzen scharf verurteilt werden.

    Die weiteren Artikel gibt es hier: 

  • Frankreich: Polizeigewalt gegen Migrant*innen und Journalist*innen

    Durch eine internationale Kooperation können wir aus Frankreich, Deutschland und Griechenland berichten.

    Calais – der größte Slum in Europa

    Polizeigewalt gegen Migrant*innen ist nichts Neues im Jahr 2020. Bekannt wurde das Problem in Calais, einer Stadt im Norden Frankreichs, durch die viele Geflüchtete auf dem Weg nach Großbritannien kommen. Calais wurde 2016 der größte „Slum in Europa“, bevor es in den vergangenen Jahren in Vergessenheit geriet.

    Ende November machte das Thema wieder Schlagzeilen, als im Herzen von Paris etwa 300 Geflüchtete ihre Zelte auf dem Place de la République aufschlugen – nachdem das Camp Saint-Denis einige Tage zuvor geräumt wurde. In der Stadt wurden sie dann ebenfalls mit Gewalt vom Platz vertrieben. Die Schlägereien, der Einsatz von Tränengas und die Fahndungen gingen bis in die Nacht hinein. Auch Journalisten wurden Opfer der Angriffe. 

    Ein Teufelskreis der Gewalt

    Nicht-Regierungsorganisationen wiesen schon 2015 auf den brutalen Umgang mit Geflüchteten hin. Sie folgen dem Vorbild von Calais Migrant Solidarity, welche im Mai desselben Jahres eine Video hochlud, dass die Gewalt des CRS (ein Sicherheitsunternehmen der Regierung, Anm. d. Red.) gegen Migrant*innen zeigte. Diese versuchten, in LKWs zum Hafen von Calais zu gelangen, um die Fähre nach England zu nehmen. Der IGPN (Generalinspektor der Nationalpolizei) wurde in der Folge der Vorfälle festgenommen.

    Im Dezember 2018 zählte ein Bericht von vier Organisationen (Utopia 56, the Migrants‘ Hostel, Refugee Info Bus und der Cabane Juridique) „244 Gewalttaten der Polizei“ gegen Migranten, die über das Jahr hinweg verübt wurden. Der Bericht zählte auch „389 Fälle von Machtmissbrauch der Strafverfolgungsbehörden, von denen 52 mit Gewalt einhergingen“. Der polizeiliche Einsatz von Gewalt – verbal und körperlich – ist laut dieser Organisationen in den letzten Jahren zur Normalität geworden

    Strategie der Verdrängung

    François Gemenne ist Wissenschaftler und auf das Thema der Steuerung von Migration spezialisiert. Er beobachtet, dass die Gewalt gegen Migrant*innen zu „einer Norm wird, weil jede der Räumungen zu einer Kommunikations-Kampagne erklärt wird.“ Dazu sagen auch Mitarbeiter von Info Migrants: die Regierung möchte, dass „der Eindruck entsteht, sie verfolge eine laxe Migrationspolitik und lasse die Migrant*innen ihr Ding machen.“

    Die Strategie der Verdrängung beispielsweise macht Betroffene unsichtbar und verleugnet ihr Dasein, indem sie ständig „aus den Städten, über die Grenzen, aus unserem Blickfeld“ gedrängt werden, „um sie unsichtbar zu machen“, sagt der Wissenschaftler der Universität “Sciences Po” im selben Interview.

    Offener Brief an den Präfekt

    Die Betroffenen selbst haben schon mehrmals Alarm geschlagen. In einem offenen Brief vom 16. November 2020 an den Präfekt von Pas-de-Calais beschrieben Geflüchtete aus Eritrea die Gewalt, die sie erlitten hatten: „Der CRS macht uns das Leben zur Hölle!“, schrieben sie. Die Gewalt sei seit Beginn des zweiten Lockdowns kontinuierlich angestiegen. Die Gruppe von 150 Menschen, die einen Stadtteil namens „BMX“ in Calais bewohnen, kritisieren: „ein Land kann sich nicht demokratisch nennen, wenn es auf solche Art und Weise Gewalt anwendet.“

    In Calais wurde ebenfalls am 11. November ein Eritreer schwer im Gesicht verletzt, nachdem er mit einer LBD40 angeschossen wurde (40mm Handfeuerwaffe). Die Behörden äußerten sich weder zum Gebrauch dieser Waffen, der von vielen Menschenrechtsorganisationen kritisiert wurde, noch zum Einsatz von Tränengas oder Schlägen.

    … wo die Kameras nicht hinsehen

    Die Bilder aus Paris von 23. November, als das Lager von 300 Migrant*innen auf dem Place de la République geräumt wurde, schockierten und empörten viele. Sie schufen ein Bewusstsein für Polizeigewalt in großen Teilen der Bevölkerung. Doch im Norden Frankreichs, und insbesondere in Calais, beobachten die Organisationen weiterhin beinahe täglich gewalttätige Vorfälle. Die Kommunikation des Innenministers zeigt die zwiespältige Haltung des Staates zu diesem Thema:

    Einige Bilder der Räumung des illegalen Migrantencamps auf dem Place de la République sind schockierend. Ich habe gerade einen detaillierten Bericht zu den Vorfällen vom Präfekt der Polizei für morgen Mittag angefordert. Ich werde eine Entscheidung treffen, sobald ich den Bericht erhalte.
    – Gérald Darmanin, Innenminister Frankreichs

    Wie Journalist*innen bei der Arbeit behindert und eingeschüchtert werden

    Am 5. Januar 2021 verweigerte man zwei französischen Journalisten, Simon Hamy und Louis Witter, die Aufhebung ihrer rechtswidrigen Verurteilung vom Verwaltungsgericht in Lille. Was war ihr Anliegen? Sie wiesen auf die Behinderung der Pressefreiheit hin. Da der Zugang zu den Flüchtlingslagern verboten wurde, war es unmöglich geworden, über die Räumung des Camps zu berichten. Ihnen wurde in fünf Instanzen vom 29. und 30. Dezember verweigert, die geräumten Plätze in Grande-Synthe, Calais und Coquelle zu besichtigen.

    Mit der Klage vor dem Gericht hofften die Journalisten, doch noch eine Genehmigung für die Berichterstattung zu erhalten. Die Richter entschieden, dass „die Kläger keine neuen Räumungseingriffe erwähnt hatten. Und dass die Verteidigung der Vertretern der Präfekturen Nord und Pas-de-Calais angab, dass die Evakuierungen abgeschlossen waren.“

    Damit umgingen die Richter jedoch die Grundfrage über den Eingriff in die Meinungsfreiheit: Louis Witter veröffentlichte am 29. Dezember Fotos auf seinen Social Media Accounts. Sie zeigten, wie Sicherheitsteams die Zelte der Geflüchteten mit Messern aufschnitten.

    Wie man das Zelt eines Geflüchteten morgens um 9 bei drei Grad Außentemperatur zerstört“, demonstriert von @prefet 59 (Präfektur von Nord Pas de Calais)

    Eine autoritäre Wandlung

    Zur selben Zeit wächst in Frankreich die Sorge über das „globale Sicherheitsgesetz“ und den umstrittenen Artikel 24. Dieser sieht ein Jahr Inhaftierung und 45.000 Euro Strafe für die „Verbreitung von Bildern, die das Gesicht oder ein anderes Element der Identifizierung“ eines Polizisten vor, wenn es „auf die Verletzung seiner physischen oder psychischen Integrität“ abzielt. Der Europarat ermahnte den Senat, den Text zu ändern, da er die „Meinungsfreiheit verletze“. Auch die UN forderte Frankreich auf, den Text zu überarbeiten. In Frankreich mobilisieren sich die Menschen in einem Klima zunehmend gewalttätiger Demonstrationen. 

    Unabhängige Medien

    Im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen steht Frankreich 2020 auf Platz 34, zwei Plätze niedriger als 2019. Die NGO merkt an, dass „Attacken und Druck gegen Journalisten im besorgenden Maße ansteigen. Viele wurden durch Handfeuerwaffen oder Tränengas der Polizei verletzt.“ Das Vertrauen der Franzosen und Französinnen in die Medien ist laut einem Bericht von Reuters so niedrig wie nie: „es ist mittlerweile das niedrigste (24%) in ganz Europa – insbesondere aufgrund der Berichterstattung über die „Gelb-Westen Demonstranten“. 

    Diese internationale Zusammenarbeit von Guiti News (Frankreich), Kohero (Deutschland) und Solomon (Griechenland) – drei unabhängigen Medien, die sich mit dem Thema Migration beschäftigen – beschreibt einen besorgniserregenden Trend der Polizeigewalt während des vergangenen Jahres; nicht nur gegen Menschen auf der Flucht, sondern auch gegen die Medienschaffenden, die ihre Probleme zeigen wollen.

    Vom berüchtigten „Dschungel“ von Calais bis zur Räumung von behelfsmäßigen Lagern im Zentrum von Paris und von den „Black lives matter“-Demonstrationen in verschiedenen deutschen Städten bis zur Zerstörung des größten Flüchtlingslagers des Kontinents auf der griechischen Insel Lesbos – überall gab es Fälle von polizeilicher Repression, die von Organisationen für Pressefreiheit wie Reporter ohne Grenzen scharf verurteilt werden.

    Die weiteren Artikel gibt es hier: 

    Projektkoordination: Anna Heudorfer | Übersetzung: Emily Kossak

    https://kohero-magazin.com/france-police-violence-towards-migrants-and-journalists-covering-migration/

  • Pressefreiheit und Demokratie werden angegriffen

    „LÜ-GEN-PRES-SE! LÜ-GEN-PRES-SE! “ – Immer wieder sind die Rufe auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in Berlin zu hören. Die ZDF-Moderatorin Dunya Hayali ist vor Ort und möchte sich mit den Teilnehmer*innen austauschen, doch auch bei direkter Kontaktaufnahme wird die Reporterin weiter angefeindet. Man habe sie als „Schlampe“ und „Lügnerin“ beschimpft. Sicherheitsleute greifen ein, doch die Lage spitzt sich weiter zu. Das Team ist gezwungen den Dreh abzubrechen.

    Vorfälle wie diese sind schon längst keine Einzelfälle mehr. Überall in Deutschland berichten Journalist*innen von pressefeindlichen Beleidigungen und aggressivem Verhalten auf Demonstrationen. Körperliche Gewalt bleibt dabei keine Seltenheit. Pressevertreter*innen seien bespuckt, geschubst und attackiert worden.

    „Es gab im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr einen extremen Anstieg der Anzahl an Gewaltfällen gegenüber Medienschaffenden bei der Berichterstattung“, bestätigt so auch Anne Renzenbrink. Die Journalistin arbeitet bereits mehrere Jahre bei der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen. Als Pressereferentin ist sie unter anderem inhaltlich für den Großraum Deutschland zuständig und dokumentiert die besorgniserregenden Entwicklungen.

    Insbesondere käme es bei „Querdenker“-Demonstrationen im rechtspopulistischen Bereich zu gewalttätigen Übergriffen gegenüber Medienvertreter*innen. „Das sind auch Demonstrationen, die laut Veranstaltern für Grundrechte eintreten. Aber Pressefreiheit ist ein Grundrecht und wer Medienschaffende angreift oder sie in ihrer Arbeit behindert, greift dieses Grundrecht an“, erklärt Renzenbrink und verdeutlicht den Widerspruch.

    Behinderungen bei der Berichterstattung

    Bislang fehlt es in vielen Situationen häufig an ausreichenden Maßnahmen, um Medienschaffende effektiv zu schützen. Vor Ort muss die Polizei in der Lage sein, den Reporter*innen die Berichterstattung zu ermöglichen, doch diese seien oftmals überfordert gewesen. In einigen Fällen käme es sogar zu einer aktiven Behinderung der journalistischen Arbeit durch die Polizei.

    „Obwohl wir in den vergangenen Jahren eine Verbesserung erkennen können, kommt es immer wieder vor, dass manche Polizist*innen scheinbar nicht wissen welche Rechte Medien haben“, kritisiert Renzenbrink. Oftmals ließen die Beamten Medienschaffende bei Demonstrationen nicht durch Sperren, in manchen Fällen sprachen sie sogar Platzverweise aus oder drohten mit einer Gewahrsamnahme. Um diese Vorkommnisse in Zukunft zu vermeiden, gibt es bereits erste Kooperationen zwischen Polizeischulen und Journalistenverbänden, die mehr Verständnis schaffen sollen.

    Doch Reporter ohne Grenzen fordert mehr: In unserer gesamten Gesellschaft müsse ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutsamkeit von Pressearbeit geweckt werden. Die Übergriffe seien Resultat einer medienfeindlichen Stimmung in unterschiedlichsten Gesellschaftsgruppen. Diese zunehmende Radikalisierung von Demonstrierenden gefährde die Pressefreiheit stark und dürfe nicht einfach von der Politik hingenommen werden. „Medienschaffende sind dazu da, um über diese Demonstrationen zu berichten. Das ist von öffentlichem Interesse und deshalb sollten sie auch frei arbeiten können.“

    Einschränkungen durch Gesetze

    Trotzdem kommt es immer wieder dazu, dass auch Gesetze oder Gesetzesinitiativen das journalistische Arbeiten bedrohen. So diskutiert die Politik momentan über den Einsatz von sogenannten „Staatstrojanern“ für die Geheimdienste. Dies würde bedeuten, dass verschlüsselte Kommunikation von bestimmten Personen überwacht werden dürfte.

    Für Reporter ohne Grenzen wäre dies eine Beschränkung der Pressefreiheit. Obwohl das Gesetz nicht gezielt darauf ausgelegt sei Medienarbeit zu behindern, fehle ein ausreichender Schutz für Journalist*innen und ihre Quellen. „Man muss sich als Quelle gerade bei extrem heiklen Themen darauf verlassen können, dass die Kommunikation sicher ist“, erklärt Renzenbrink.

    Eine Überwachung von journalistischen Gesprächen würde die Recherche erschweren und Menschen, die bereit sind sich zu kritischen Thematiken zu äußern, gefährden. Dabei seien eben diese Perspektiven nötig, um ein ganzheitliches Bild von Problematiken für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Renzenbrink verdeutlicht: „Medienschaffende und ihre Kommunikation müssen schützenswert sein“.

    „Die Pressefreiheit ist die Basis einer demokratischen Gesellschaft“

    Ebenso müsse auch die Pressefreiheit an sich schützenswert bleiben und nicht als ein selbstverständlicher Zustand angesehen werden. Denn obwohl Journalist*innen sich hierzulande für ihren Beruf nicht in akute Lebensgefahr begeben müssten, zeige die Entwicklung des vergangenen Jahres, dass auch in einer Demokratie Beschränkungen bestehen blieben, die die Freiheit der Medienarbeit gefährde. „Die Pressefreiheit ist die Basis einer demokratischen Gesellschaft“, betont Renzenbrink. Medienschaffende seien dafür verantwortlich, „den Mächtigen auf die Finger zu schauen“ und für einen ungehinderten Zugang zu Informationen über das gesellschaftliche Geschehen zu sorgen. Umso mehr müsse man darauf achten, die Pressefreiheit zu bewahren.

     

    Quellen:

    Interview mit Anne Renzenbrink

kohero-magazin.com