Schlagwort: Politik

  • Rassistische Pflichtlektüre in BaWü: Setzen, 6

    Ab 2024 soll der Roman „Tauben im Gras” in Baden-Württemberg Pflichtlektüre für das Deutsch-Abitur an berufsbildenden Schulen werden. Dagegen hat Jasmin Blunt eine Petition gestartet, denn das Buch ist voller rassistischer Stereotype und Begriffe wie dem N-Wort.

    „Wenn ich mit dem N-Wort konfrontiert werde, dann hält für mich für einen Moment die Welt an. Ich fühle mich sofort hineingezogen in historische Kontexte und stelle meine Beziehungen zu anderen Menschen in Frage (…) Und mir dann vorzustellen, dass Schwarze Schülerinnen und Schüler all diese Emotionen und Gedanken im Unterricht aufarbeiten sollen – das war für mich unvorstellbar”, sagt die Schwarze Lehrerin im Interview mit ZDFheute.

    Die Politik hat darauf eine klare Antwort: Jasmin Blunt solle ihren Job richtig machen, es gebe Fortbildungen und Methoden zur Unterrichtsgestaltung und generell sei das Buch anti-rassistisch. Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper sagt: „Es geht darum, deutlich zu machen, wie Rassismus Gesellschaften prägt: damals in den 50er-Jahren, als der Roman entstanden ist, aber auch heute. Das zu behandeln, finde ich sehr wichtig.“ Gut zu wissen, dass unseren ach so aufgeklärten und diskriminierungssensiblen weißen Politiker*innen die Bildung der Schüler*innen so wichtig ist…

    Wem wird zugehört?

    BIPoC, Lehrer*innen sowie Schüler*innen, zu zwingen, sich dem N-Wort im Unterricht wochenlang auszusetzen, ist nicht so anti-rassistisch wie die Kultusministerin es verkauft. Die Argumentation der Politik ist gaslighting at it’s best. Jasmin Blunt vorzuwerfen, sie würde Rassismus im Unterricht nicht behandeln wollen, dreht die Debatte mit Absicht in eine andere Richtung.

    Das Problem ist nicht der Roman an sich. Jede Person, die möchte, kann sich den Koeppen ins Bücherregal stellen. Das Problem ist, dass mal wieder das Werk eines weißen Mannes ausgewählt wurde, um über ein Thema aufzuklären, von dem diese Person überhaupt nicht betroffen ist. Das Problem ist auch, dass eine Debatte entstanden ist, in der weiße Menschen in der Politik und den Kommentarspalten diverser Medien das Rassismus-reproduzierende Werk eines weißen Autors verteidigen, nachdem eine Schwarze Lehrerin auf die Auswirkungen dieser Reproduktionen aufmerksam gemacht hat. Auch hier fällt ein Muster auf: Mal wieder ist es eine betroffene Person, die auf Diskriminierung hinweisen muss und der dann nichtmal zugehört wird.

    Wie soll der Unterricht ablaufen? Sollen die Schüler*innen, unter ihnen selbst Betroffene, nacheinander die Zeilen vorlesen und auf 300 Seiten 100 Mal das N-Wort aussprechen? Sollen die Schüler*innen die Lektüre zuhause lesen und sich der Gewalt alleine aussetzen? Lehrt sie das über Rassismus?

    Was man nicht in der Schule lernt

    Ich kann Goethe zitieren, Funktionen gleichsetzen und den Aufbau eines Laubblattes auswendig, aber mein Wissen über Rassismus und dass man Dinge, die andere Menschen verletzen, nicht sagt – das habe ich nicht in der Schule gelernt. Und was ist eigentlich so schwer daran, das Werk einer Schwarzen Person in den Pflichtlektüren-Katalog zum Thema Rassismus aufzunehmen?

    Die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Wenn ein weißes Kultusministerium auf Hinweis einer Schwarzen Lehrerin eine Pflichtlektüre, die Rassismus reproduziert, nicht hinterfragt und sogar verteidigt, hinterfrage ich grundsätzlich die Aufarbeitung von Rassismus in der Schule – zu Schoppers Zeiten wie auch heute. Die Debatte um die Wahl von „Tauben im Gras” als Pflichtlektüre zeigt, dass der Lehrplan die Ziel-Thematik Rassismuskritik weit verfehlt. Und sie zeigt, dass die Schule kein sicherer Ort für alle ist. Bildung muss anti-diskriminierend werden. An dieser Stelle möchte ich auf den Account @my.poc.bookshelf.de verweisen, der Literatur von BIPoC-Autor*innen vorstellt. Das hat mich mehr gelehrt als 12 Jahre Schulunterricht.

     

    Mehr zum Thema Bildung erfahrt ihr in unserer nächsten Printausgabe, die im Juni erscheinen wird.

  • Erkenntnisse aus dem Lagebericht zu Rassismus in Deutschland

    Erstmals ist ein Lagebericht zu Rassismus in Deutschland erschienen. Verantwortliche ist die Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung, Frau Alabali-Radovan. Der Lagebericht trägt den Titel: „Rassismus in Deutschland: Ausgangslage, Handlungsfelder, Maßnahmen“. Erscheinungsdatum ist der 11. Januar 2023, womit die Veröffentlichung auf eine Zeit fällt, in der es sich beinahe erübrigt, auf die gesamtgesellschaftlichen Sorgen hinzuweisen – den Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine, die Post-Corona-Zeit, die Inflation und die Energiekrise. Doch gerade in Krisenzeiten müssen Betroffene von Rassismus und Diskriminierung besonders geschützt werden. Ob das der Fall ist, versucht der Lagebericht mit Hilfe von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Daten zu Rassismusvorkommnissen und der Darstellung von Gegenmaßnahmen zu beantworten.

    Analyse verschiedener gesellschaftlicher Handlungsfelder

    Ausgangslage ist, dass Rassismus in Deutschland allgegenwärtig ist. Laut Umfragen erkennen 90% der Bevölkerung an, dass Rassismus ein Problem in Deutschland ist, und etwa zwei Drittel haben ihn selbst bereits direkt oder indirekt erfahren. Die Erscheinungsformen von Rassismus in Deutschland sind divers: es gibt Anti-Schwarzen Rassismus, Antimuslimischen Rassismus, Antiziganismus und Antiasiatischen Rassismus. Zudem existiert Antisemitismus, der als eigenes Phänomen mit Schnittmengen zum Rassismus gilt.

    Neben dieser Kategorisierung der Arten von Rassismus nimmt der Lagebericht eine Analyse diverser gesellschaftlicher Handlungsfeldern vor. Es handelt sich dabei um die Bereiche Polizei, Schule, Hochschule, Ausbildung und Arbeitsmarkt, öffentliche Verwaltung, Gesundheit, Politik, Wohnungsmarkt und Sport. Der Lagebericht zeigt zunächst die existierenden Rassismusprobleme in den Handlungsbereichen auf. Sodann beschreibt er die bereits ergriffenen Gegenmaßnahmen und präsentiert weitere Lösungsansätze für eine positive Fortentwicklung.

    Zunächst werden die Missstände im Bereich der Polizei hervorgehoben. Immer wieder berichten Menschen von Rassismus im Polizeialltag. Besonders problematisch ist die Praxis des sogenannten Racial Profiling, bei der die Polizei aufgrund rassistischer Klassifikationen gegen Betroffene einschreitet.

    Diese Vorgehensweise ist in Deutschland rechtswidrig und verboten. Dennoch gibt es reichlich Anhaltspunkte dafür, dass Racial Profiling in deutschen Polizeibehörden stattfindet – das befand sogar die Europäische Kommission im Rahmen einer selbst angestellten Analyse. Um dies zu ändern, fordern Experten eine bessere Aus- und Fortbildung der Polizei sowie die Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen. Außerdem bleibt die Hoffnung, dass die geplante Novellierung des Bundespolizeigesetzes dazu beitragen wird, strukturelle Probleme in der Polizei zu beseitigen.

    Ob das gelingen wird, ist zweifelhaft – tendieren doch aktuell vor allem Landesgesetzgeber dazu, Polizeigesetze mit nachteiligen Folgen für die Bevölkerung zu verschärfen (z.B. die für verfassungswidrig erklärte Datenanalysesoftware in Hessen und Hamburg, das Wegfallen der Kennzeichnungspflicht von Polizisten in NRW und Bayern, die sogenannte Präventivhaft in Bayern, das unter Strafe stellen der filmischen Aufnahme von Polizeieinsätzen usw.).

    Überwindung von rassistischer Diskriminierung durch Bildung

    Schule ist ein weiteres wichtiges gesellschaftliche Handlungsfeld, in dem Rassismus vorkommt und belastend für die Betroffenen ist. Diskriminierende Praktiken im deutschen Bildungssystem tragen dazu bei, dass Kinder und Jugendliche mit Einwanderungsgeschichte oder Migrationshintergrund benachteiligt werden.

    Rassistische Diskriminierung geht dabei nicht nur von Mitschülern aus (z.B. in Form von Mobbing), sondern auch von Lehrkräften und den Lehr- und Lernmaterialien selbst. Damit diese Diskriminierung einen nachhaltigen negativen Effekt auf die Schülerinnen und Schüler hat, muss sie nicht einmal absichtlich erfolgen – auch ein unbeabsichtigtes Handeln (z.B. indem einem Schüler mit Migrationshintergrund allein aufgrund seiner Herkunft weniger zugetraut wird) kann den Bildungsweg beeinflussen. Um dies zu ändern, müssen Migration und Integration angemessen in die Lehrpläne einfließen und Lehrmaterialien die gesellschaftliche Realität und Vielfalt abbilden. Es ist notwendig, Lehrkräfte und Schulen entsprechend zu schulen und gleichzeitig für die Betroffenen unabhängige Beratungsangebote einzurichten.

    Auch im Rahmen von Ausbildung und Arbeitsleben ist Rassismus ein relevantes Thema. Es ist belegt, dass im Bereich der Ausbildung vor allem Diskriminierungen wegen einer (zugeschriebenen) Herkunft aus Nahost und Nordafrika (MENA-Region) oder der Türkei stattfinden. Auf dem Arbeitsmarkt haben es besonders Musliminnen, die ein Kopftuch tragen, schwer. Auch Menschen muslimischen Glaubens generell und Schwarze Menschen sind einem höheren Diskriminierungsrisiko ausgesetzt.

    Diese Diskriminierungen äußern sich auf diverse Weisen: Einladungen zu Vorstellungsgesprächen bleiben aus, es finden rassistische Diskriminierungen am Arbeitsplatz selbst statt, es werden keine Angebote zu Weiterbildung gemacht, usw. Auch in diesem Handlungsfeld braucht es ein aktives Gegenwirken. Unternehmen können öffentlich eine stärkere Haltung gegen Rassismus zeigen, es können Verhaltenskodizes aufgestellt, das Angebot von Weiterbildungsmaßnahmen ausgeweitet und unabhängige Anlaufstellen eingerichtet werden.

    Rassismus in besonders sensiblen Bereichen: Gesundheit und Wohnen

    In ähnlicher Weise findet rassistische Diskriminierung im gesellschaftlichen Handlungsfeld Wohnungsmarkt statt. Betroffene erleben sowohl als Wohnungssuchende als auch als Mieter*innen diskriminierende Situationen. Sie bekommen häufig schon keinen Termin zur Wohnungsbesichtigung oder zahlen eine höhere Miete für gleiche oder geringere Wohnqualität.

    Ein zunehmendes Problem stellen außerdem sog. Schattenmärkte dar, die Betroffene in überbelegten und heruntergewirtschafteten Immobilien unterbringen. Ein effektives Maßnahmenpaket zu finden, stellt sich als schwierig dar – immerhin sind Vermieter*innen meist Private, was den Zugriff und die Regulierung erschwert. Dennoch – auf der einen Seite muss daran gearbeitet werden, Vermieter*innen für ihr eigenes diskriminierendes Verhalten zu sensibilisieren. Auf der anderen Seite müssen Betroffene mit Information, Hilfe und Unterstützung versorgt werden.

    Eine starke Belastung stellt außerdem die Diskriminierung im Gesundheitswesen dar. Einerseits ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung vor allem für Migrant*innen erschwert, da er sich heutzutage häufig noch an ihrem Aufenthaltsstatus misst. Ärztlich Einrichtungen sind dazu verpflichtet, ihren Meldepflichten an die zuständigen Ausländerbehörden nachzugehen, sobald jemand eine Behandlung beansprucht. Viele Menschen suchen deshalb aus Angst vor einer Abschiebung keinen Arzt auf.

    Andererseits ist die gesetzlich vorgeschriebene Versorgung selbst auf ein Minimum beschränkt – was die Qualität der Gesundheitsversorgung erheblich beeinträchtigt. Neben „Zugang“ und „Qualität“ sind Stereotypisierungen, Beleidigungen, Benachteiligungen bei Behandlungen und Verweigerungen von Leistungen signifikante Probleme, die sich im Gesundheitswesen auftun. Darüber hinaus können Rassismus und Diskriminierung auch zu psychischen Krankheiten führen. Lösungsansätze sehen z.B. mehrsprachige Informationsangebote, eine elektronische Gesundheitskarte und Sprachmittlung mithilfe digitaler Anwendungen vor.

    Weitere Handlungsfelder sind Sport, öffentliche Verwaltung, Politik und Hochschulen. Wichtig sind diese gleichermaßen – die Belastung und Relevanz für die Betroffenen ist jedoch im Vergleich zu den oben dargestellten Handlungsfeldern etwas herabgesetzt. Deshalb sieht dieser Bericht von einer eingehenderen Darstellung ab.

    Erkenntnisse aus dem ersten Lagebericht und Maßnahmen der Bundesregierung und der Antirassismusbeauftragten

    Die Ergreifung von antirassistischen und antidiskriminierenden Maßnahmen stellt sich wohl in solchen Handlungsfeldern als schwierig dar, in denen es sich um institutionalisierte Bereiche handelt (Polizei) und der Umgang mit einzelnen privaten Personen erforderlich wird (Vermieter*innen, Lehrkräfte, Ärzt*innen usw.). Demgegenüber wirkt die Durchführung von effizienten Maßnahmen in den Bereichen Schulsystem, Gesundheitssystem und Arbeitsmarkt etwas erreichbarer.

    Es wird außerdem deutlich, dass vor allem die Einrichtung von unabhängigen Beratungsangeboten und Anlaufstellen für die Betroffenen entlastend auf diese wirkt. Wiederholt hervorgehoben wird zudem, dass es häufig an einer verlässlichen Datenbasis zu rassistischen Vorkommnissen in den jeweiligen gesellschaftlichen Handlungsfeldern fehlt. Das erschwert eine effektive Bekämpfung von Rassismus. An der Schließung dieser Lücke arbeitet der Lagebericht. Er bietet einen informativen Überblick hinsichtlich der aktuellen Lage, auf den weitere Entwicklungen aufbauen können.

    Der Lagebericht endet mit einer Aufzählung der bereits ergriffenen Maßnahmen. Zunächst listet er elf Maßnahmen der Bundesregierung auf. Sie rangieren von Aktionsplänen und Maßnahmenpaketen zu Gesetzesentwürfen und Gesetzesnovellierungen. Im Anschluss stellt die Antirassismusbeauftragte die von ihr ergriffenen Maßnahmen vor. Es handelt sich dabei besonders um die Koordinierung der Maßnahmen der Bundesregierung und der Initiierung eines ministerienübergreifenden Austauschs über Rassismus.

    Ein weiterer Fokus liegt sodann auf der Unterstützung von Betroffenen – insbesondere durch Einrichtung von Beratungsstellen, Plattformen, Förderungsangeboten, etc. – aber auch von ehrenamtlich Engagierten und kommunalen Entscheidungsträgern. Ob und wie sich diese Maßnahmen bewähren, werden wir im nächsten Antirassismusbericht überprüfen können.

     

  • Parteien der Mitte fischen am rechten Rand

    Parteien und Politiker*innen der vermeintlich politischen Mitte machen Stigmatisierung gegenüber Geflüchteten salonfähig. Sie sind mitverantwortlich, wenn Rechtsextreme vor Wohnunterkünften eskalieren und Gewalt gegenüber Menschen, die Zuflucht suchen, ausartet. 700 Menschen versammelten sich vergangene Woche in Mecklenburg-Vorpommern, um gegen die geplante Unterbringung von Geflüchteten in Upahl zu protestieren. Unter ihnen waren bekannte Rechtsextremist*innen, Neonazis und Gewaltbereite. Sie warfen Pyrotechnik und versuchten sogar, in das Kreistagsgebäude in Grevesmühlen einzudringen.

    Es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass es zu solchen Ausschreitungen kommt – und es wird wohl nicht das letzte Mal sein. Vandalismus, Brandanschläge und Gewalt gegen Geflüchtete und ihre Wohnanlagen sind alltäglich. Im Durchschnitt werden in Deutschland zwei Asylbewerber*innen pro Tag attackiert. Dies geht aus einer Anfrage der Linksfraktion vom letzten Jahr hervor. Die Behörden verzeichneten in der ersten Hälfte von 2022 insgesamt 424 Straftaten.

    Rechtsradikales Gewaltpotenzial

    Das sind zwar insgesamt weniger als im Jahr zuvor, doch die Anzahl der Opfer ist deutlich höher. 86 Menschen, darunter drei Kinder, wurden bei Angriffen verletzt, 2021 waren es 62. Rechtsradikale Täter*innen zeigen also ein höheres Gewaltpotenzial. Doch diese Gefahr von rechts wird nicht klar benannt oder verfolgt. Stattdessen schmeißen Politiker*innen der Union oder FDP immer wieder dieselbe Leier an: Migration wird mit fehlender Integration verbunden, Flucht direkt mit Abschiebung.

    Das ist bei der Debatte um die Ausschreitungen an Silvester in Berlin passiert. Und das passiert auch bei dem absurden Vorschlag des FDP-Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr. Er gab der BILD-Zeitung ein Interview, in dem er in Bezug auf Abschiebungen sagte: »Um Druck auf die Herkunftsländer auszuüben, könnten wir Rücknahmen zum Beispiel an Geld für den Klimaschutz koppeln. Wer seine Landsleute zurücknimmt, erhält im Gegenzug Unterstützung etwa bei der Produktion von klimaneutralen Kraftstoffen für Autos in Deutschland.«

    Ein führender Politiker einer Regierungspartei schlägt also vor, Menschen gegen Dienstleistungen einzutauschen. Dienstleistungen, die auch noch der deutschen Automobilbranche zugutekommen sollen. Durch Abschiebungen in Länder wie Pakistan, die selbst mit am stärksten von der Klimakrise betroffen sind und Anrecht auf Hilfsgelder für Klimaschutz von Deutschland haben.

    Solche Vorstöße sind entmenschlichend. Und sie führen dazu, dass sich Bilder von vermeintlich gefährlichen, straffälligen Asylbewerbern verfestigen und schließlich zu echten Feindbildern werden. Außerdem verschieben sie den Diskurs darum, was tatsächlich drängende politische Fragen sind.

    Wer übernimmt politische Verantwortung?

    In Upahl, wo es zu den Ausschreitungen kam, sollen 400 Geflüchtete in Containern untergebracht werden. Im Ort selbst leben bisher nur 500 Menschen. Auf Grund des russischen Angriffskrieges werden Unterkünfte für Geflüchtete knapp. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, fordert der verantwortliche Landrat der CDU daher, dass die Bundesregierung illegale Migration stoppen und eine Abschiebe-Offensive starten solle. Das Problem seien angeblich nicht die Ukrainer*innen, sondern Menschen, die über die Balkanroute hierherkämen.

    Es ist tatsächlich problematisch, dass 400 Geflüchtete auf diese Weise in Mecklenburg-Vorpommern untergebracht werden müssen. Und zwar nicht, weil Menschen, die aus diversen Gründen ihre Heimatländer verlassen müssen, Anwohnende stören. Sondern, weil die Infrastruktur in ländlichen Gebieten – insbesondere in Ostdeutschland – miserabel ist. Doch wer möchte dafür schon politische Verantwortung übernehmen? Wer schert sich eigentlich um die Belange von Geflüchteten, die in ein Dorf ziehen sollen, in dem sie mit Sicherheit Ausgrenzung, Gewalt und Stigmatisierung erfahren werden? Welche Perspektiven sollen sie haben in einer Gesellschaft, die sowieso nur darauf aus ist, sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden – am besten noch mit wirtschaftlichem Profit?

    Ach stimmt, diese Menschen haben ja sowieso nicht die Möglichkeit, zu wählen. Sie haben keine Lobby, ihre Stimmen werden nicht gehört. Dann fischt man eben am rechten Rand, wenn die Umfragewerte sinken.

  • Silvester 2022 und die Integrationsdebatte

    Ende 2022 haben meine Frau und ich entschieden, an Silvester zu Hause zu bleiben. Wir wussten zwar nicht genau, was wir machen wollten, schließlich aber haben wir gemeinsam lecker gegessen und sind dann durch die Stadt spaziert. Meine Frau sagte, lass uns zum Hafen gehen, dort gibt es dieses Jahr viele Feuerwerke zu sehen. Wir sind durch die Schanze, über die Reeperbahn, zum Fischmarkt und danach an der Elbe bis zur Elbphilharmonie spaziert.

    Auf dem Weg bemerkten wir, wie viele Hamburger*innen da waren, mit einer ähnlichen Idee. Es waren sehr viele Feiernde und vor allem sehr viele junge Menschen. Viele waren schon ab dem frühen Abend auf der Straße und die Feuerwerke waren überall zu hören. Ich habe selber das erste Mal Silvester auf der Straße gefeiert und ich war sehr überrascht. Es waren viel mehr Menschen als ich erwartet hatte und auch mehr Feuerwerke als ich in den letzten sieben Jahren in Hamburg erlebt habe.

    Ich habe mir gedacht, das ist vielleicht, weil viele Hamburger*innen während der Corona-Zeit nicht gefeiert hatten und jetzt alles nachholen wollten. Und ich fragte mich, warum so viele Deutsche das ganze Jahr so vorsichtig und bestimmt auf ihre Regeln achten und dann nur an einem Abend alles vergessen und sogar Kinder Feuerwerke zünden dürfen.

    Teilweise war es für meine Frau und mich an den Landungsbrücken zu laut. Aber nachdem wir einen schönen Platz Richtung Baumwall gefunden und das neue Jahr 2023 willkommen geheißen hatten, gingen wir zufrieden nach Hause.

    Die Berichte wurden zur Integrationsdebatte

    Erst am nächsten Tag hörte ich, dass es viele Angriffe gegen Polizist*innen, Feuerwehr und Krankenwagen gegeben hatte. Meine Social-Media Kanäle zeigten mir vor allem Bilder aus Berlin. Ich war erst nicht ganz überrascht, da ich auch viele alkoholisierte Menschen in großen Gruppen mit sehr lauten Feuerwerken beobachtet hatte.

    Was mich etwas mehr überraschte, war wie schnell die Berichte und die Diskussion zu einer Integrationsdebatte wurden. Am 2. Januar sagte unser ehemaliger Gesundheitsminister und heutiger Vorsitzende der CDU Bundestagsfraktion, Jens Spahn bei t-online: „Da geht es eher um ungeregelte Migration, gescheiterte Integration und fehlenden Respekt vor dem Staat statt um Feuerwerk.“

    Der Hamburger CDU Abgeordnete De Vries sagte mit Bezug auf Videos aus der Silvesternacht im NDR (ab 00:34): “Was dort ganz überwiegend zu beobachten ist, sind das junge Männer, junge Erwachsene mit Migrationshintergrund. Und die sahen auch nicht wie Ukrainer aus, oder Menschen die aus Polen kommen, sondern zu vermuten ist, dass es sich vielleicht um Menschen aus dem arabischen Raum handelt, oder vielleicht aus der Türkei.”

    Damit wird die Diskussion in eine andere Richtung geschoben. Es geht dann weniger über die Hintergründe der Situation, sondern über die vermuteten nationalen Hintergründe der Menschen. Das Problem wird verschoben und vereinfacht, wenn CDU Abgeordnete das Problem nur noch bei “den Fremden” sehen. Es geht dann nicht mehr um die Komplexität, nicht mehr um das Verhältnis zwischen jungen Menschen und dem Staat. Und es geht bestimmt nicht mehr um langfristige Lösungen. Diese Taktik der CDU (und anderen) ist nicht neu, sondern wiederholt sich immer wieder und wieder. Und viele Medien machen mit.

    Copy-and-paste ist kein Journalismus

    Dabei ist es noch nicht ganz klar, wer was, wann und wo gemacht hat, oder wie viele der Täter Migrationshintergrund haben. In den Medien war sofort zu lesen, dass es migrantische Männer waren – aber hier sollten wir doch fragen, wer genau? Sind es deutsche Staatsbürger, deren Familien seit Generationen im Land leben? Oder sind es neu zugewanderte? Wie ein Professor für Sozialpsychologie im ZDF sagte: “Migrationshintergrund ist ja kein Merkmal, was die damit gemeinten Menschen vereinheitlicht.”

    Nach allem, was ich weiß, sind noch keine vollständigen Statistiken veröffentlicht. Und selbst wenn die Polizei Zahlen veröffentlichen, ist es die Aufgabe von Journalist*innen diese Zahlen zu hinterfragen, zu recherchieren und in einen Kontext zu stellen. Auch in den Zeiten von Twitter-Journalismus sollten wir nicht copy-and-paste von Polizeimeldungen als Artikel veröffentlichen.

    Die gestern veröffentlichten Zahlen aus Berlin zeigen, dass 145 Menschen verhaftet wurden und insgesamt 18 Nationalitäten gezählt wurden. 45 der Verhafteten waren deutsche Staatsbürger, 27 afghanische und 21 syrische Staatsbürger. Alle Verhafteten sind wieder freigelassen worden (Stand 04.01.). Es ist noch unklar, wie viele der 145 wegen Angriffen und Gewalt gegen Polizei oder Feuerwehr verhaftet wurden.

    Woher kommt die Gewaltbereitschaft gegen Repräsentant*innen des Staates?

    Wenn ich nur diese Zahlen sehe, ist schon klar, dass viele junge Männer und viele mit Migrationsgeschichte verhaftet wurden. Aber diese Zahlen sagen mir nicht, ob es sich bei allen Tätern deutschlandweit um eine Mehrheit von Männern mit Migrationshintergrund handelt.  Und noch viel wichtiger: die Zahlen alleine können nicht erklären, warum so viele junge Männer in dieser Nacht gewaltbereit gegen Polizei und Rettungskräfte waren.

    Ich finde, dass wir statt einer Wiederholung von “Migration ist die Mutter aller politischen Probleme” darüber sprechen sollten, warum Polizist*innen und andere Repräsentant*innen des Staates für junge Männer ein Feindbild werden. Und zu dieser Frage gehört dazu, dass die Gewalt gegen Beamte und Polizist*innen vor allem nach Corona angestiegen ist. NDR berichtet, dass es in Hamburg in den ersten neun Monaten 2022 mehr Gewalt als 2021 gab. Laut dem Hamburger Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) fehlt es immer mehr an Respekt vor Polizist*innen, vor allem, wenn Menschen wegen Alkohol noch aggressiver werden.

    Menschen mit Migrationsgeschichte, mit oder ohne deutschen Pass, sind genauso Teil unserer Gesellschaft, wie Menschen ohne Migrationsgeschichte. Sie haben genauso eigene Erfahrungen, vielleicht mit der Familie, mit dem Bildungssystem, oder mit Diskriminierung gemacht. Die Frage, die ich stellen möchte ist, wie kann der deutsche Staat das Vertrauen von jungen Menschen (egal, wo sie oder ihre Familien geboren sind) zurückgewinnen? Wie können wir als Gesellschaft, wie können die Medien und wie können die Politiker*innen über die wahren, tiefen Gründe der Gewalt diskutieren, um langfristige Lösungen zu finden?

  • Klimakrise: Wohlstand, Armut, Migration

    Begriffe, die wir alle kennen, ja klar, unser „Wohlstand“, den wir uns hart erarbeitet haben. Natürlich gibt es auch Armut in der Welt, aber meist in den „unterentwickelten“ Ländern, wo oft korrupte Regime regieren. Selbstverständlich gibt es Lobbyverbände, die die Interessen der Industrie vertreten und unsere Arbeitsplätze sichern. Nur so kann uns unser Wohlstand erhalten bleiben.

    Ist das so?

    Der „Wohlstand“ existiert nur für einen kleinen Teil der Weltbevölkerung. Begonnen hat alles mit der Kolonialisierung der südamerikanischen Länder und dehnte sich letztlich auf alle Kontinente aus. Das Luxusleben der wenigen gefährdet die Existenz der meisten auf diesem Globus.

    Zum 27. Mal kommen ca. 190 Staaten aus allen Regionen der Erde in Scharm ElScheich zur UN-Klimakonferenz zusammen. Worum geht es?
    Es geht darum, dass wir unser Leben im Wesentlichen so fortführen können, wie wir es gewohnt sind, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Wir versprechen den Ländern Ausgleichszahlungen und dass wir unsere erneuerbaren Energien schnell ausbauen, gleichzeitig kündigt Olaf Scholz dem Präsidenten vom Senegal eine enge Zusammenarbeit bei der Gasförderung an.

    Wie passt das zusammen? Gar nicht! Hier stecken wieder Lobbyinteressen dahinter. Ach ja, wir müssen unseren „Wohlstand“ erhalten.
    Dieses Denken ist eines aus dem 20. Jahrhundert und hat in diesem Jahrhundert ausgedient. Wir können nicht weiter die Länder des globalen Südens ausbeuten, um unser Leben so weiterzuleben wie bisher.

    Die Probleme sind alle bekannt und die Technologien, mit denen wir sie lösen können, ebenfalls. Die Klimaziele von Paris sind nicht mehr zu erreichen, denn dafür hätte es in allen Industriestaaten der Welt mehr Tempo bei der Transformation von den Fossilen zu den erneuerbaren Energien bedurft.

    Eine neue Sinnhaftigkeit

    So weit der etwas längere Vorspann! All diese Dinge, die ich in diesem Vorspann beschrieben habe, führen zu Armut und Migration in großen Teilen unserer Welt. Kein Mensch verlässt seine Heimat freiwillig, wenn es ihm dort gut geht und er in Frieden und „Wohlstand“ leben kann. Mit Wohlstand habe ich hier nicht das Gleiche gemeint, was ich im Vorspann gemeint habe.

    Ab hier werde ich das Wort mit einer neuen Sinnhaftigkeit verwenden. Dieses Wort wird auch in unserer Gesellschaft in der kommenden Generation seine Bedeutung verändern, weil sich das Denken verändert. Geflüchtete berichten meistens von Krieg, Armut und der Klimakrise. In Afrika gab es Landstriche, da konnten Landwirte ihre Tiere weiden lassen und gut davon leben, dann fielen diese Gebiete der Klimakrise zum Opfer, es regnet nur selten, der Grundwasserspiegel sinkt immer weiter ab.

    Es sind die Länder, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, dennoch sind sie die Leidtragenden. Das andere Extrem sind Hochwasser und Überflutungen durch Starkregen. Schreibe ich hier Neuigkeiten?

    Natürlich nicht! Wohlstand sollte auf der Welt gerechter verteilt werden. Kinder sollen zur Schule gehen dürfen, anstatt Edelmetalle und seltene Erden aus dem Elektroschrott sammeln zu müssen. Ja, ich weiß, dass es eine gerechte und gute Welt auf absehbare Zeit nicht geben wird, aber sollten wir dieses Ziel nicht trotzdem im Auge behalten und danach unser Leben ausrichten. Stattdessen leben wir schneller, größer, reicher und neuer.

    Geflüchtete vor Krieg und den Folgen der Klimakrise

    Braucht man noch eine fünfte Million, um überleben zu können? Muss es unbedingt das größte und schnellste Auto sein, wobei Autos mit Verbrennungsmotor sowieso bald obsolet sein werden?  Müssen wir immer die neueste Mode tragen? Das Kleid vom letzten Jahr ist noch tadellos. So könnte ich noch viele weitere Fragen stellen, gleichzeitig haben die Menschen im globalen Süden oftmals nicht genug zu essen, damit ihre Kinder und sie selbst am Tag satt werden.

    Deutschland und alle anderen Industrieländer haben eine Bringschuld gegenüber den Menschen, die vor der Klimakrise vom afrikanischen Kontinent über das Mittelmeer fliehen. Es ist eine Schande, dass die EU-Nationen von ihren „Werten“ reden, aber das Gegenteil von dem praktizieren, womit sie sich in der Welt brüsten.

    Wir müssen diesen Menschen eine Perspektive bieten, damit sie hier ein neues Leben beginnen können. Sie könnten die Fachkräfte und Lehrer:innen von morgen sein, deren Mangel wir ja täglich in den Medien beklagen. Kommen wir nun zu den Erfolgsgeschichten, die es auch gibt.

    Sie werden von syrischen und afghanischen Schüler:innen, die mit Bestnoten ihr Abitur machen und anschließend hier studieren, geschrieben. Dabei will ich nicht die Frauen und Männer vergessen, die hier noch einmal eine Ausbildung absolviert haben, ich habe solche Menschen kennenlernen dürfen. Sie kamen aus Syrien, Afghanistan und dem Iran.

    Das sind die Dinge, die selten bis gar nicht in den öffentlichen Medien oder anderswo auftauchen. Es bleibt noch viel zu tun, aber wenn diese Menschen bei uns als Neubürger:innen ankommen, dann sind sie eine Bereicherung für unsere Gesellschaft, die sich verändern wird und auch schon verändert hat. Ihre Kultur kennenzulernen ist spannend und man kann gleichzeitig Vorurteile, diesowieso falsch sind, abbauen. Außerdem dient es auch dazu, Missverständnisse im alltäglichen Leben auszuräumen.

  • Neues Einbürgerungsgesetz: Ja zu Fachkraft, nein zu Menschen

    „Wir wollen, dass Menschen, die gut integriert sind, auch gute Chancen in unserem Land haben. Dafür sorgen wir mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht“, so Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Am 2.12.22 hat der Bundestag mit 371 Stimmen, darunter SPD, Grüne und FDP, das neue Einbürgerungsgesetz beschlossen. Die Änderungen im Kurzüberblick:

    Eine „Chance“ für einen dauerhaften Aufenthalt bekommen Menschen, die am 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben und keine Vorstrafe haben (kohero berichtete). Sie haben 18 Monate Zeit, um die Voraussetzungen für einen dauerhaften Aufenthalt zu erfüllen. Dazu gehören Sprachkenntnissen und die Sicherung des Lebensunterhaltes. Rund 137.000 Menschen können von dem neuen Gesetz profitieren.

    Eine weitere Änderung in der Migrationspolitik betrifft die Dauer von Asyl(gerichts)verfahren. Diese dürfen nach dem Beschluss des Bundestages vom 2.12.22 maximal sechs Monate dauern und weniger bürokratisch ablaufen. Eine Verlängerung auf 18 Monate ist unter Umständen aber möglich.

    Die Pläne von Bundesinnenministerin Faeser (SPD) beinhalten weitere Aspekte, zu denen noch keine konkreten Beschlüsse vorliegen. Für die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland wurde über Eckpunkte der Neuerungen abgestimmt. Doch besonders ein Aspekt bei der geplanten Erleichterung der Einbürgerung sorgt für viele Diskussionen im Bundestag: die Staatsbürgerschaft.

    Kritik von Union und FDP

    „Wer auf Dauer hier lebt und arbeitet, der soll auch wählen und gewählt werden können, der soll Teil unseres Landes sein, mit allen Rechten und Pflichten, die dazugehören“, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Auftaktveranstaltung des Gesprächsformats „Deutschland.Einwanderungsland: Dialog für Teilhabe und Respekt“ in Berlin. Während sich Scholz für die Pläne seiner Parteikollegin Faeser ausspricht, kommt von der Fraktion und Teilen der eigenen Koalition Gegenwind.

    Die Union ist dagegen, grundlegend die Doppelstaatsbürgerschaft zu ermöglichen. Auch Koalitionspartnerin FDP äußert Kritik. „Eine Entwertung der deutschen Staatsbürgerschaft wird es mit der FDP nicht geben“, so FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. FDP-Bundestagsfraktionschef Christian Dürr sprach davon, dass man Migration in den Arbeitsmarkt lenken müsse „und nicht in die sozialen Sicherungssysteme“. Ob er sich zu dieser Befürchtung mit Friedrich Merz, Parteivorsitzender von CDU/CSU, ausgetauscht hat? Durch die Erleichterung müsse, so Merz im Bericht aus Berlin, vermieden werden, dass eine „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ erfolge. Er ordnet die deutsche Staatsbürgerschaft als „etwas sehr Wertvolles“ ein, „doppelte Staatsangehörigkeiten sollten der Ausnahmefall sein.“

    Die stellvertretende Vorsitzende der Union, Andrea Lindholz, sieht im Zulassen der doppelten Staatsangehörigkeit eine Gefahr für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Alexander Dobrindt, auch Unions-Vize, sprach sogar von einem „Verramschen“ der deutschen Staatsangehörigkeit.

    Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD) reagiert auf die Kritik von Union im Interview mit der Funke Mediengruppe: „Wir wollen ein modernes Einwanderungsland gestalten. Dazu gehört, dass wir schneller, besser und mehr einbürgern.“ Deutschland sei auf Fach- und Arbeitskräfte, die „gerne zu uns kommen und bleiben“, angewiesen. Das Institut für Wirtschaft (IW) errechnete den Bedarf an jährlich rund 500.000 Fachkräften aus dem Ausland.

    Meinung der deutschen Bevölkerung

    Die ARD hat zu den neuen Gesetzen eine Umfrage (DeutschlandfunkTrend vom 1.12.2022, Infratest dimap) durchgeführt. Das Ergebnis: 49 % der Deutschen sind der Meinung, die erleichterte Einbürgerung gehe in die „richtige Richtung“. Es heißt aber auch, dass die andere Hälfte der Bevölkerung in den Neuerungen eine „falsche Richtung“ erkenne (45 %). Und das liegt entweder daran, dass den Menschen die Reformen zu weit oder nicht weit genug gehen. Aufgeschlüsselt nach Parteiangehörigkeit unterstützen Grünen- (86 %) und SPD-nahe Menschen (67 %) Faesers Pläne, Linke (58 %) überwiegend. Parteianhänger*innen von FDP (47 %) und Union (44 %) sind sich so uneinig wie die Politiker*innen selbst, von Anhänger*innen der AfD bekommt die erleichterte Einbürgerung – auch nicht überraschend – wenig Zuspruch: 72 % sind gegen die Reformpläne.

    Menschen den Aufenthalt zum Arbeiten, aber nicht zum Mitgestalten und Leben zu ermöglichen, erinnert an die Debatten um die Bleibemöglichkeiten der Gastarbeiter*innen – sprich: an die 90er Jahre. Das Erheben der deutschen Staatsbürgerschaft auf ein Podest, an das man nur durch Anpassung an die neue Heimat und das Abschütteln der alten herankommt, ist wortwörtlich abgehoben.

    Es ist egal, ob Menschen als Arbeitskräfte, aus persönlichen Gründen oder wegen der Situation in ihrem Herkunftsland nach Deutschland kommen. Menschen sind nicht wertvoll, weil sie wertvoll für die Wirtschaft eines Landes sind, sondern weil sie Menschen sind. Es ist Zufall, wo wir geboren werden. Und eine Staatsbürgerschaft ist auch kein Privileg, das man sich verdienen muss. Deutschland ist längst ein Einwanderungsland. Wir müssen unser Miteinander gemeinsam gestalten können.

  • Werden Palästinenser*innen die größten Verlierer*innen sein?

    „Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen. 50 Massaker, 50 ,Holocausts‘“. So hat Abbas in der Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz auf eine Frage von einem Journalisten, ob er Israel angesichts des 50. Jahrestags des Attentats auf die israelische Olympiamannschaft bei den Spielen in München um Entschuldigung bitten wolle, geantwortet. Diese Aussagen lösten eine heftige Kritik in Deutschland aus. Die Frage des Journalisten war meiner Ansicht nach auch bemerkenswert, denn im Juni 2022 war der israelische Ex-Premier in Berlin. Warum wurden ihm eine solche Frage nicht gestellt? Nach der Entscheidung, einen Krieg gegen Gaza zu führen, war seine Regierung allein im letzten Jahr für die Tötung von mehr als 250 Palästinenser*innen verantwortlich.

    Laut der palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA hat Mahmoud Abbas demnach zu seinen Äußerungen Stellung genommen. „Präsident Mahmoud Abbas wiederholt, dass der Holocaust das abscheulichste Verbrechen ist, das sich in der modernen Menschheitsgeschichte ereignet hat“, so die Quelle. Der WAFA zufolge betonte er, „dass seine Antwort nicht darauf abzielte, die Besonderheit des Holocaust zu leugnen“.

    Hintergrund

    Damit man den Hintergrund dieser Äußerungen versteht will, muss man eine kurze Reise ins Jahr 1948 machen. Nach der Gründung des Staates Israel, Nakba für Palästinenser*innen, wurden etwa 800.000 Palästinenserinnen und Palästinenser aus ihrem Dorfer vertrieben. Infolge des Krieges wurden etwa 70 Massaker an Palästinenserinnen und Palästinenser verübt, in denen mehrere Hunderte getötet wurden. Außerdem wurden 531 Dörfer zerstört.

    Palästinenserinnen und Palästinenser wissen schon, was mit den Verbrechen gemeint ist, über die Mahmoud Abbas gesprochen hat. Es sind die Massaker, die seit der Nakba durch die israelischen Streitkräfte am palästinensischen Volk verübt wurden, und diese Verbrechen haben bis heute nicht aufgehört.

    Der unverzeihliche Fehler

    Viele Palästinenser*innen kämpfen jeden Tag, um der Welt ein Bild von dem Konflikt zu vermitteln. Und zwar mit der Hilfe der internationalen Menschenrechtorganisationen, wie Human Rights Watch, Amnesty International und B´Tselem. Sie versuchen immer, sich mit ihren Berichten auf die Menschenrechtsverletzungen zu fokussieren, damit sie ihre Perspektive zum Konflikt in den westlichen Medien schildern können. Daher ist vielen bewusst, dass jeglicher Vergleich mit anderen Verbrechen nicht infrage kommen darf.

    Abbas Fehler war, dass er das Wort „Holocaust“ verwendet hat, als er über die Verbrechen an Palästinenserinnen und Palästinenser sprach. Das wurde auch unter Menschen aus Palästina kritisiert. Denn solche Äußerungen sind auch für sie inakzeptabel und es trägt nicht zur Konfliktlösung bei, sondern verkompliziert eher. Wenn man die Solidarität der Welt fordert, dann braucht man das Verbrechen gegen sein Volk nicht mit anderen zu vergleichen. Abbas hätte sagen können, „Es sind mehr als 50 Massaker.“ ohne das Wort „Holocaust“ zu erwähnen. Er ist ein Präsident und darf diesen Fehler nicht machen, insbesondere in Deutschland, wo man sich täglich von den antisemitischen Vorwürfen distanzieren muss.

    Solche Fehler sollten in der palästinensischen Politik nicht auftreten. Insbesondere wenn Politiker*innen zu Gast in einem Land sind, welches eine besondere historische Beziehung zu der anderen Konfliktpartei hat. Aus diesem Grund bauen die Länder untereinander diplomatische Beziehungen auf und tauschen diplomatische Vertretungen aus, deren Aufgabe es ist, die Gesetze und die Besonderheiten des Gastgeberlandes zu beachten. Sie bereiten Pressekonferenzen, Treffen und sogar Antworten auf die Fragen von Journalist*innen vor, um Verwirrung zu vermeiden, die zu einer diplomatischen Krise zwischen den beiden Ländern führen könnte. Und es schien so aus, als ob die palästinensische diplomatische Mission in Berlin diesen Punkt verpasst hat.

    Im Nahostkonflikt gibt es zwei Partei, die versuchen, die ganze Welt davon zu überzeugen, dass sie diejenigen sind, die das Land rechtmäßig regieren dürfen. Dafür braucht man einen ausgewogenen und genauen politischen Diskurs, der zur eigenen Zielgruppe passt, um diese Zielgruppe für seine Seiten zu gewinnen. Wenn Abbas die Anerkennung seines Staates und seiner Bevölkerung in der Welt erringen will, sollte er bei seinen Äußerungen nicht auf Improvisation setzen, sondern sich auf den Gewalttaten und Menschenrechtverletzungen gegen sein Volk konzentrieren – statt die Taten mit andern Verbrechen zu vergleichen. Ansonsten verliert er aus diesem Grund die Solidarität der Welt.

    Kollektivstrafe gegen Palästinenser*innen

    Nach der Pressekonferenz begann in Deutschland die Debatte. Es wurde gefordert, dass Palästinenser*innen kein Geld mehr von Deutschland erhalten. Eine Art Kollektivstrafe gegen das ganze Volk. Zwar regieren Abbas und Co. die palästinensische Autonomiebehörde, aber sind sie von der Mehrheit der Bevölkerung ausgewällt? Natürlich nicht. Denn etwa sechs Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser haben nicht das Recht, sich an den Wahlen zu beteiligen, weil sie Geflüchtete sind und mehrheitlich in der Diaspora leben. Daher ist die Forderung, deutsche finanzielle Unterstützung an Palästinenserinnen und Palästinenser zu stoppen, eine Kollektivstrafe, die in keinem Fall hilfreich sein kann, eine Lösung für diesen Konflikt zu finden. Es dient dazu, zu betonen, dass der anti-palästinensische Rassismus in der deutschen Gesellschaft verankert ist.

    Schweigen ist eine Legitimation

    Palästina ist ein Land für etwa fünf Millionen Menschen. Das Land leidet unter der Unterdrückung der israelischen Seite. Siedlung werden in der Westbank überall aufgebaut. Checkpoints kontrollieren das tägliche Leben der Bevölkerung. Palästinenserinnen und Palästinenser in der Westbank müssen stundenlang an den Checkpoints warten, um ein Geschenk kaufen zu gehen. Das Land hat keinen Zugang zum Waser und die Bevölkerung kann während dieser Hitze nicht ans Meer gehen.

    Da Palästina keinen eigenen Flughafen hat, braucht man etwa 36 Stunden, um aus Deutschland zum Gazastreifen zu reisen, damit man einen Urlaub mit der Familie verbringt. Palästinenserinnen und Palästinenser aus der Westbank müssen vor 20 Uhr ihre Einreise in die Westbank planen, denn die Grenze zwischen Israel und Jordanien wird täglich zu dieser Zeit zugemacht. Ansonsten müssen sie bis zum nächsten Tag warten. Wie kann es sein, dass ein Land keine Kontrolle an ihrem eigenen Grenzen hat?

    All das findet in Deutschland keinen Diskussionsraum. Viele Palästinenser*innen verstehen das historische Verhältnis zwischen Israel und Deutschland sehr gut. Die Schoah ist der größte Völkermord der Geschichte, der verurteilt und nicht geleugnet werden muss. Von daher muss der Antisemitismus in der ganzen Welt weiter bekämpft werden. Das bedeutet aber nicht, dass alles, was Israel unternimmt, zu legitimieren ist. Auch in diesem Fall ist das Schweigen auf Menschenrechtsverletzungen eine Legitimation. Jeder Versuch der Palästinenser*innen in Deutschland, den Konflikt und ihr tägliches Leid zu verdeutlichen oder zu vermitteln, rückt sie ins Fadenkreuz des Antisemitismus.

    Viele Palästinenserinnen und Palästinenser wissen genau, dass jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel ist und das muss scharf kritisiert werden. Aber gleichzeitig können wir, vor allem in Deutschland, die israelischen Gewalttaten gegen die Palästinenserinnen und Palästinenser, die seit 1947 andauern, nicht ignorieren, als ob nichts passiert wäre. Sie müssen auch kritisiert und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

  • Wettbewerb für Entwicklungspolitik – Bewerbungsfrist endet bald

    Noch bis zum 3. Juni können sich Kommunen für den Wettbewerb „Kommune bewegt Welt“ bewerben. Hier geht es zur Anmeldung. Bereits seit dem 7. März ist das Bewerbungsportal offen, jetzt sind noch genau drei Wochen Endspurt angesagt. Der Wettbewerb wird von der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) von Engagement Global ausgerichtet.

    Durch „Kommune bewegt Welt“ soll kommunale Entwicklungspolitik, die mit zivilgesellschaftlichen Organisationen kooperiert, gewürdigt werden (kohero berichtete). Teilnehmen können deutsche Kommunen, also Städte, Gemeinden und Landkreise, die mit entwicklungspolitisch aktiven Organisationen aus der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Es gehe darum, „das gemeinsame Engagement von Verwaltung und Zivilgesellschaft sichtbar zu machen und Bündnisse zu stärken“, so Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie Schirmherrin des Wettbewerbs Svenja Schulze.

    Bei der Preisverleihung am 15. September in Düren werden die Gewinner*innen in vier Kategorien geehrt: kleine (bis 20.000 Einwohner*innen), mittlere (von 20.000 bis 100.000 Einwohner*innen) und große Kommunen (ab 100.000 Einwohner*innen) sowie Newcomer. Mit dem Preisgeld sollen die Kommunen ihre Projekte weiterentwickeln und an neue Ideen arbeiten.

    Die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt bietet regelmäßige Beratungstermine an, in denen Fragen zur Bewerbung geklärt werden können. An den 30-minütigen „Kaffeepausen mit Kommune bewegt Welt – Die Beratungsrunde zum Wettbewerb“ können alle interessierten Vertreter*innen der Kommunen teilnehmen. Die letzten beiden Beratungsrunden finden am 16. Mai 2022 von 10 bis 10.30 Uhr und am 24. Mai 2022 von 9.30 bis 10 Uhr statt. Die Anmeldung erfolgt per E-Mail an: beratung-kbw@engagement-global.de.

  • Kommune bewegt Welt: Wettbewerb für Entwicklungspolitik

    Soziales Engagement beginnt im Kleinen: bei den Bürger*innen, die sich mit den Kommunen und Städten zusammentun, um gemeinsam Großes zu bewirken. Durch den Wettbewerb „Kommune bewegt Welt“ soll genau dieses gewürdigt werden, indem kommunale Entwicklungspolitik, die mit zivilgesellschaftlichen Organisationen kooperiert, ausgezeichnet wird. „Kommune bewegt Welt“ wird von der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) von Engagement Global ausgerichtet. Der zweijährliche Wettbewerb läuft bereits seit dem 7. März.

    Teilnehmen können deutsche Kommunen, also Städte, Gemeinden und Landkreise, die mit entwicklungspolitisch aktiven Organisationen aus der Zivilgesellschaft kooperieren. In den vergangenen Jahren wurde nur die Zusammenarbeit mit migrantischen Organisationen prämiert. Die Teilnahmebedingungen wurden also diesbezüglich erweitert.

    Ausgezeichnet werden die Gewinner*innen von einer unabhängigen Jury in vier Kategorien: kleine (bis 20.000 Einwohner*innen), mittlere (von 20.000 bis 100.000 Einwohner*innen) und große Kommunen (ab 100.000 Einwohner*innen) sowie Newcomer. Der Gesamtwert der Preisgelder beträgt 138.000 Euro. Diese können zur Weiterentwicklung der jeweiligen Projekte und neuer Ideen genutzt werden. 2020 wurde u.a. Düren mit einem ersten Platz ausgezeichnet.

    Damals noch online, findet die Preisverleihung im Rahmen des deutschlandweiten Netzwerktreffens in diesem Jahr am 15. September in dem Gewinner-Kreis nahe Köln statt. Noch bis zum 3. Juni 2022 ist die Anmeldung zum Wettbewerb offen. Die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt bietet regelmäßige virtuelle Beratungstermine an, in denen Fragen zur Bewerbung geklärt werden können.

    Erfahrungsaustausch "Kommune bewegt Welt", Marburg 2017, Engagement Global/Servicestelle Kommunen in der einen Welt (SKEW). Fotocredit: Christian Lademann/SKEW
    Erfahrungsaustausch „Kommune bewegt Welt“, Marburg 2017, Engagement Global/Servicestelle Kommunen in der einen Welt (SKEW). Fotocredit: Christian Lademann/SKEW

    „Das gemeinsame Engagement von Verwaltung und Zivilgesellschaft sichtbar zu machen und Bündnisse zu stärken, dafür steht der Wettbewerb ‚Kommune bewegt Welt’“

    Kommunale Entwicklungspolitik umfasst Konzepte, Projekte und Maßnahmen von Städten, Kreisen und Gemeinden, die der ökologischen, wirtschaftlichen und sozial nachhaltigen Entwicklung dienen. Diese fokussiert sich allerdings nicht nur auf lokale Ziele, sondern es geht auch um die Zusammenarbeit mit internationalen Partner*innen des Globalen Südens. Konkret handelt es sich hierbei laut des Deutschen Institutes für Entwicklungspolitik um Klimapatenschaften oder Programme zur Demokratieförderung.

    Der Wettbewerb ehrt Engagement zwischen den Kommunen und der Zivilgesellschaft, macht die Vielfalt unserer Gesellschaft sichtbar sowie motiviert und fördert neue Projekte. Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Schirmherrin des Wettbewerbs Svenja Schulze sieht die Arbeit von Kommunen als fundamental für die Umsetzung der Agenda 2030. Diese wurde 2015 von den UN beschlossen und beinhaltet 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, u.a. auch im sozialen Bereich. „Viele Kommunen in Deutschland engagieren sich gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bürgerinnen und Bürgern für gerechte, nachhaltige Entwicklung weltweit. Das gemeinsame Engagement von Verwaltung und Zivilgesellschaft sichtbar zu machen und Bündnisse zu stärken, dafür steht der Wettbewerb ‚Kommune bewegt Welt‘“, so Schulze.

  • Nachrichtenüberblick KW7/22

    Nachrichten aus Deutschland…

    Zwei Jahre nach dem rechtsextremistischen Anschlag in Hanau 

    Am 19. Februar 2020 wurden neun Menschen bei einem rechtsextremistischen Anschlag in Hanau getötet. Der zweite Jahrestag war für die Bildungsinitiative Ferhad Unvar Anlass für eine Kundgebung am Marktplatz der Stadt, um eine würdevolle Erinnerung an die Ermordeten, eine lückenlose Aufklärung des Untersuchungsausschusses und politische Konsequenzen bei Rechtsterrorismus einzufordern. Ferhats Mutter Serpil Unvar gründete die Bildungsinitiative und durfte bei der 17. Bundesversammlung als Wahlfrau ihre Stimme für die*den nächsten Bundespräsident*en abgeben. Die hinterbliebenen Angehörigen und Überlebenden setzen sich weiterhin gegen Rassismus und Faschismus ein.

    Unter dem Hashtag #saytheirnames sollten in der Öffentlichkeit die Namen der Verstorbenen im Gedächtnis bleiben und in der medialen Berichterstattung die Nennung von Opfern rassistischer Gewalt zu etablieren (siehe)

    Hörempfehlung: Spotify Podcast “190220 Ein Jahr nach Hanau” mit aufwendig recherchierten Information und den Stimmen Überlebender sowie Angehöriger, die von ihren Erfahrungen aus der Tatnacht berichten sowie Multivitamin-Folge 3 über rassistische Gewalt

    Weitere Quellen.

     

    Völkermord an den Jesiden im Bundestag

    Am 14. Februar forderten in einer Anhörung Vertreter*innen der jesidischen Diaspora in Deutschland, dass der Bundestag den Völkermord an den Jesiden anerkennen soll. In der öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses stellt der Vorsitzende der Stelle für Jesidische Angelegenheiten e.V.  dar, dass Jesidinnen und Jesiden seit Jahrhunderten aufgrund ihrer Identität systematische Diskriminierung, Entrechtung und Verfolgung erleben. Die Terrororganisation “Islamischer Staat” habe im Jahr 2014 Tausende Jesiden im Irak versklavt, sexuell missbraucht und ermordet. Laut des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Tobias Lindner, habe die Bundesregierung bis heute nicht von Völkermord gesprochen, da es Aufgabe von Gerichten sei, Defintionen zu beurteilen.

    Öffentliche Sitzung des Petitionsausschusses (ab ca. 2:10 Stunden)

    Bundeswehroffizier steht vor Oberlandesgericht wegen Planung eines Anschlags

    Der Bundeswehroffizier Franco A. steht aufgrund von Terrorvorwürfen seit mehreren Jahren unter Beobachtung. Aufgrund von Fluchtgefahr und neu gefundenen Beweismitteln muss er erneut in Untersuchungshaft. Die Untersuchungshaft wurde während des Strafprozesses wegen eines vorbereiteten Anschlags auf Heiko Maas, Claudia Roth und eine Menschenrechtsaktivistin aufgehoben. Am 18.Mai 2021 begann die Hauptverhandlung des Oberlandesgerichtes gegen den deutschen Oberleutnant der Bundeswehr Franco A. in Frankfurt am Main. Die Anklage gegen den 32-Jährige beinhaltet, eine staatgefährende Gewalttat mit gestohlener Munition und Sprengkörpern aus dem Beständen der Bundeswehr geplant und unerlaubt Waffen besessen zu haben. Er gab sich 2015 als syrischer Geflüchteter aus und erhielt Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Er soll unter dieser Identität absichtlich den Verdacht auf Asylbewerber*innen gelenkt haben wollen.

    … und der Welt

    Seenotrettung auf dem Mittelmeer 

    Das Seenotrettungsschiff “Ocean Viking” hat weitere Menschen im Mittelmeer gerettet. Die 19 Geflüchtete seien mit einem Glasfaserboot in der Libyschen Such- und Rettungszone in Seenot geraten. Das teilt die Teilorganisation SOS Mediterrane mit. Nach mehreren Rettungsaktionen am Wochenende befinden sich nun damit 247 Überlebende an Bord des Schiffes, darunter Dutzende Minderjährige. Die Fahrt über das Mittelmeer gehört zu den gefährlichsten Fluchtrouten der Welt. Laut der internationalen Organisation für Migration sind seit Beginn des Jahres über 150 Menschen bei der Überfahrt ums Leben gekommen oder werden vermisst.

     

    Gipfel für Europa-Afrika-Beziehungen in Brüssel

    Am Donnerstag begann der Gipfel der EU und der Afrikanische Union in Brüssel, um sich in weiteren Verhandlungen gemeinsamer Abkommen wieder näher zu kommen. Das letzte Treffen im Jahr 2020 fiel aus. Der Gipfel der europäischen und afrikanischen Regierungschefs befindet sich aufgrund Differenzen hinsichtlich der Themen Migration, Handelspolitik, Klimapolitik und Agrarsubventionen in einer belasteten Ausgangslage. Die EU strebe die Umsetzung eigener Interessen an. Deshalb habe sich Afrika nach Partnerschaften Richtung China, Russland und der Türkei orientiert. Politische Anspannung bestehen unter anderem wegen der europäischen Impfpolitik und dem Mangel an Impfdosen für Erstimpfungen auf dem afrikanischen Kontinent. Der EU wird vorgeworfen in der Pandemie nicht für eine Impfstoff-Verteilung gesorgt und stattdessen Patensschutze für Covid-Impfstoffe vorangestellt zu haben.

    Weitere Quelle

    Deutschland verhängt Sanktionen gegen prominente malische Regierungsmitglieder 

    Der Europäische Rat gibt in einer Pressemitteilung bekannt, die EU würde gezielte Maßnahmen gegen fünf Mitgliedern der Übergangsregierung von Mali verhängen. Es wird ein Einreiseverbot in die EU und das Einfrieren ihrer Vermögenswerte erteilt. Im August 2020 wurde der gewählte Präsident Ibrahim Boubacar Keita gestürzt und eine Übergangsregierung eingesetzt. In einem weiteren Militärputsch wurden Regierungsmitglieder entmachtet und eine vom Militär dominierte Übergangsregierung transformiert. Die Fristsetzung internationaler Staaten von 18 Monaten für einen demokratischen Kurs endet nun. Die Übergangsregierung plant die Umsetzung ihrer Reformziele für die nächsten fünf Jahre, so dass es erst 2026 Neuwahlen geben soll. Die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS sieht darin einen Vereinbarungsverstoß gegen eine zeitnahe Wahldurchführung und erteilt weitere Wirtschaftssanktionen sowie Grenzschließungen zu den Nachbarstaaten. Deutschland ist in der Europäischen Trainungsmission zur Ausbildung malischer Sicherheitskräfte beteiligt und durch die Vereinten Nationen im Programm der MINUSMA, um die instabile Lage in Mali in den Griff zu bekommen.

    Darstellung der Hintergründe des Rates der Europäischen Union.

    Putsch im Putsch Mai 2021.

     

    Finanzielle Unterstützung für Bildungseinrichtungen in jordanischer Geflüchtetensiedlung

    Außenministerin Annalena Baerkock besuchte in dieser Woche die Siedlung Talbieh in der Nähe der jordanischen Hauptstadt Amman. Diese wurde 1968 von den Vereinten Nationen für palästinensische Vertriebene im Nahen Osten errichtet. Damals war das Auffanglager für 5000 Menschen angedacht, heute leben laut Auswärtigem Amt rund 9500 Menschen dort. In Jordanien befindet sich in der Region die Mehrzahl der Geflüchteten aus Syrien, Irak, Jemen und Sudan. Baerbock kündigte auf ihrer Antrittsreise an, dem Hilfswerk der Vereinten Nationen aus Deutschland Hilfsgelder zukommen zu lassen, um Renovierungs- und Erweiterungsarbeiten der zwei Grundschulen in der Siedlung vorzunehmen.

    Weitere Quelle.

    Über 130 Tage organisierte Massenproteste Geflüchteter in Libyen

    Seit Wochen demonstrieren Geflüchtete vor der Anlaufstelle des UN-Flüchtlingswerks in Tripolis, welches als Reaktion die Türen schloss. Die Geflüchteten fühlen sich von den internationalen Staaten alleine gelassen. In Libyen sind sie Menschenrechtsverletzungen, willkürlichen Festnahmen, Zwangsarbeit und -prostution und Folter ausgesetzt. Die Situation der Tausenden Geflüchteten verschärft sich durch die fehlende Grundversorgung, keinen Zugang zu Impfungen vor dem Covid-Virus und Attacken libyischer Milizen auf die schutzlosen Menschen. Für viele scheint der einzige Ausweg, sich auf das Meer zu begeben. Da ihre Proteste wenig Aufmerksamkeit erhalten, organisieren sie sich und mobilisieren in den sozialen Medien für öffentlichen Druck. Der süd-sudanesische Sprecher der Gruppe Yambio David Oliver Yasona berichtet auf Twitter über aktuelle Ereignisse und auf der Webseite “Refugees in Libya” erzählen Betroffene von ihren Erlebnissen.

    Hintergrundtext.

    Internationaler Tag gegen Einsatz von Kindersoldat*innen

    Das Bundesentwicklungsministerium geht von etwa 250.000 Kindern und Jugendlichen aus, die Armeen und bewaffneten Gruppen für ihren Kampf zwangsrekrutiert haben. Seit 20 Jahren findet am 12. Februar der Welttag gegen den Einsatz von Kindersoldat*innen statt. Dieser soll auf die Verletzung der Kinderrechte, den Missbrauch von diesen als Schutzschilder und auf die Form des Kriegsverbrechen mit dem Zwingen von Kindern unter 15 Jahren aufmerksam machen. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, zumal in der Definition von Kindersoldat*innen sowohl Hilfsarbeiten wie Wachdienste und Botengänge als auch Küchen- und Haushaltsdienste inbegriffen sind. Mehr als ein Drittel der Kindersoldat*innen sollen Jungen sein. Mädchen werden in die Unterstützungsstrukturen gezwungen, wo sie sexuelle Übergriffe erfahren. Besonders in Somalia, Syrien, Myanmar, Afghanistan, Jemen und Kolumbien sollen betroffen sein. Das “Kindersoldaten-Zusatzprotokoll” der UNO-Kinderrechtskonvention wurde von verschiedenen Staaten zum Schutz von Kindern unterzeichnet. Die Vereinten Nationen forderten nun weitere Länder zur Unterschrift und mehr Engagement auf.

    Weitere Quellen und hier.

kohero-magazin.com