Schlagwort: Obdachlosigkeit

Über 417.000 Menschen waren Schätzungenn zufolge 2020 in Deutschland wohnungs- oder obdachlos. Die tatsächlichen Zahlen sind noch höher. Wichtig: Immer mehr Menschen sind betroffen, die keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.

  • Heimat ist mehr als gemauerte Wände

    Knapp 6000 Geflüchtete lebten 2021 in Köln. Oft sind die Menschen nach ihrer Ankunft in Not- und Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Denn für die Stadt Köln besteht eine gesetzliche Unterbringungsverpflichtung, um die geflüchteten Menschen vor Obdachlosigkeit zu bewahren. Um sich in einer neuen Umgebung einzuleben, braucht es jedoch mehr als das. Es braucht privaten, festen Wohnraum. Doch damit stellt sich für die Menschen das nächste Problem: der Kölner Wohnungsmarkt. Zudem wird in einem Interview mit Carmen Bleker vom Kölner Auszugsmanagement bereits deutlich, dass das für Geflüchtete oft nur einer von vielen Faktoren ist. Vorurteile und Rassismus sind Alltag für viele bei der Wohnungssuche. Zum Glück gibt es Konzepte, die in solchen Notlagen Lösungen bieten und den Betroffenen eine Heimat schenken wollen. Eines davon ist die Casa Colonia.

     

    Die Casa Colonia ist mehr als eine Idee. Das Projekt gibt es bereits seit zehn Jahren. Können Sie kurz beschreiben, was die Casa Colonia ausmacht?

    Wir haben seit 2012 die Idee, Menschen, die obdachlos in Köln sind, zu helfen. Menschen zu helfen, die kein Dach über dem Kopf haben – und das sind auch Flüchtlinge! Unser Konzept sieht dreifache Integrationsbereiche. Der erste Bereich ist das Wohnen. Es soll öffentlich geförderte, menschenwürdige, bezahlbare Wohnmöglichkeiten für Bedürftige geben. Das sind zum Beispiel Obdachlose, Flüchtlinge, Studierende und Künstler und Künstlerinnen – die alle gemeinsam unter einem Dach leben. Der zweite Integrationsbereich ist die Arbeit: Es soll ein Kunstcafe und ein Restaurant geben. Dort sollen Auszubildende und Heranwachsende mit körperlichem, geistigem oder sozialem Handicap arbeiten können. Drittens gibt es den Bereich Kunst und Kultur. Wir wollen einen Kulturtreff für alle bieten, mit einer Benefiz-Galerie, einem kleinen Kino, Konzerten und Lesungen.

     

    Das Projekt richtet sich unter anderem speziell an Geflüchtete. Warum ist es gerade für sie eine Alternative zu Heimen bzw. von der Stadt zur Verfügung gestellten Wohnungen?

    Wir meinen, dass große Heime nicht die Wohnform der Zukunft sind. Wir wollen kleine gemischte Wohngruppen in drei Häusern anbieten, mit je acht Wohnungen.

     

    Wie viele Geflüchtete sollen dort Einzug finden? Sind die 30 Wohnungen fest eingeteilt?

    Wir wollen bei 24 bis 30 geplanten Neubau-Wohnungen 16-20 ehemals Obdachlose und Flüchtlinge dauerhaft ein Dach über ihrem Kopf anbieten. Dazu kommen vier bis sechs Studierende und vier bis sechs Künstler oder Künstlerinnen.

     

    In der Planungsmappe des Projektes ist zu lesen: ‚Das Haus als Heimat‘. Heimat klingt im ersten Moment nach viel mehr als „Wohnraum“. Was macht die Casa Colonia als solche aus?

    Tatsächlich möchten wir mehr als gemauerte Wände anbieten. Das Herz ist das Kunst-Café als sozialer und kultureller Raum der Begegnung. Es bietet ein vielfältiges Angebot für Bewohner und Bewohnerinnen sowie Nachbarn. Heimat ist außerdem: die Wohnung als menschenwürdiger, sicherer Rückzugsraum.

     

    Auf der Casa Colonia-Webseite ist zu lesen: „Ein erster Schritt der Reintegration ist ein Arbeits- oder Ausbildungsplatz. Darum sollen die Funktionen im Sockelgeschoss Menschen eine Beschäftigung geben. Dies geht nur in einem öffentlich geförderten Haus“. Bei Geflüchteten geht es häufig um Inklusion, sie waren in Deutschland vorher noch nie ‚integriert‘, also auch nicht RE-integrierbar. Können sie trotzdem an der Möglichkeit teilhaben, einen Job im Haus zu finden?

    Das Angebot Integration durch Arbeit steht jedem offen, ist aber nicht auf die Bewohner und Bewohnerinnen fixiert. Zu viel räumliche Nähe von Wohnen und Arbeit kann schließlich auch ein Nachteil sein. Ja, es ist möglich in der Casa Colonia zu wohnen und zu arbeiten.

     

    Wie sieht eine öffentliche Förderung aus?

    Das Land NRW fördert öffentlichen Wohnungsbau, gibt Kredite zu 0-Prozent Zinsen und wir geben dafür 20 bis 30 Jahre Belegungsbindung für Geringverdienende. Die Finanzierung ist für uns nicht das Problem, sondern ein bezahlbares Grundstück in Köln für Casa Colonia zu finden. Das geht nach jahrelanger Suche nur, wenn die Stadt uns ein Grundstück zu einem moderatem Preis verkauft. Oder wir ein bestehendes Gebäude kaufen können.

    Geflüchtete, insbesondere die neu ankommenden aus der Ukraine, haben aber keine Zeit zu warten, bis die Verwaltung handelt. Deshalb haben wir uns bereits im Januar 2022 auf die Suche nach Wohnungen auf dem viel zu teuren Kölner Immobilienmarkt gemacht! Trotzdem haben wir eine Wohnung sowie ein Einfamilienhaus für 9 Personen für 812.500 € gekauft. Eben ganz nach dem Housing First-Konzept: Zuerst kommt der Einzug in eine Wohnung, dann kümmern wir uns um weitere Hilfen. Der Kauf eines weiteren Hauses für 2,1 Mio. € für 20 bis 25 Personen folgt. Vorteil: Diese Wohnungen sind kurzfristig für Menschen in Not da. Es gibt kein warten auf eine Baugenehmigung, Baumaterial und so weiter… Dennoch träumen wir vom Bau der CASA COLONIA. Wann die Stadt Köln ein Grundstück an uns verkauft, steht in den Sternen.

     

    Casa Colonia ist spendenfinanziert, sie arbeiten alle ehrenamtlich. Was motiviert Sie zu einem solchen Projekt?

    Unsere Motivation ist denjenigen zu helfen, die Hilfe nötig haben. Jeder von uns könnte einmal auf Hilfe angewiesen sein.

     

    Wie kann denn Kunst eine soziale Brücke sein?

    In zehn Jahre haben wir siebzig Benefiz-Kunstausstellungen erfolgreich durchgeführt. Damit konnten wir rund 600.000 Euro an Geld- und Sachspenden für Obdachlose und Flüchtlinge in Köln spenden. Kunst verfolgt bei uns ausschließlich soziale Zwecke. Wir meinen: „Was soll Kunst, wenn sie nicht sozial ist“, so Joseph Beuys. Wir wollen auch weiterhin mit Kunst Brücken der Integration bauen.

     

    Finden Sie, dass es an öffentlichen Geldern für Obdachlosen- und Geflüchtetenhilfe fehlt? An welchen Stellen müsste die Stadt weiter anpacken?

    Laut der Europäischen Union soll Obdachlosigkeit bis 2030 abgeschafft sein. Bis dahin ist noch sehr viel zu tun. Wenn wir so langsam weitermachen wie bisher, sehe ich das nicht. Wir wollen als kleine Privatinitiative ein kleines Leuchtturmprojekt in die Tat umsetzen: CASA COLONIA.

    Aktuell sammelt die Cultopia Stiftung von Kunst hilft geben e.V. Spenden als Nothilfe für Ukraine-Kriegsopfer und Obdachlose. Die Spenden werden bis 100.000 € von der Bethe-Stiftung verdoppelt. Die Aktion läuft bis zum 04.06.2022.

  • Die größte Hürde ist der Wohnungsmarkt, die zweite sind Vorurteile

    417.000 Menschen waren laut Schätzungen der BAG Wohnungslosenhilfe im Jahr 2020 wohnungslos. Unter ihnen sind immer mehr Geflüchtete. Als wohnungslos gilt, wer keinen eigenen Wohnraum hat, obdachlos ist, zwischenzeitlich bei Privatpersonen unterkommt oder in städtischen Einrichtungen lebt. Um diese Menschen bei der Wohnungssuche zu unterstützen, wurde nach einem Vorschlag des Runden Tisches für Flüchtlingsfragen in Köln 2011 das Auszugsmanagement gegründet. Die Koordination liegt bei der Stadt Köln, Träger sind der Caritasverband für die Stadt Köln e.V., der DRK Kreisverband Köln e.V und der Kölner Flüchtlingsrat e.V. Zum Team gehört seit fünf Jahren Carmen Bleker.

     

    Das Auszugsmanagement leistet einen wichtigen Beitrag bei der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit. Der Bedarf ist sicher riesig. Gibt es vergleichbare Angebote in Deutschland, mit denen Sie zusammenarbeiten könnten?

    Soweit ich weiß, waren wir die Pioniere mit diesem Angebot. Uns gibt es seit über zehn Jahren. Im Laufe der letzten Jahre wurden wir öfter mal von anderen Städten angesprochen. Ich weiß, dass die Caritas in Leverkusen vor einiger Zeit ein ähnliches Projekt gestartet hat. Ansonsten gibt es einzelne Projekte in Deutschland, aber wirklich wenige. Diese Unterstützung ist leider kein reguläres Angebot jeder Stadt, was schade ist, weil der Bedarf gerade in Großstädten sehr, sehr groß ist.

     

    Sie begleiten Ihre Klient*innen beispielsweise bei Besichtigungsterminen. Wie sieht Ihre Arbeit und Unterstützung noch aus?

    Unser Fokus liegt auf einzelfallbezogener Beratung zur Wohnungssuche. Wir sind keine Makler*innen, sondern Sozialarbeiter*innen. Beim Auszugsmanagement arbeiten wir mit einer Zugangsliste, in die städtische Sozialarbeiter*innen Menschen eintragen, denen wir helfen sollen. Wir bekommen deren Namen, die Familiengröße und in welchem Wohnheim sie gerade leben. Die nehmen wir dann in unseren Klient*innen-Pool auf, geben eine erste Beratung und legen eine Akte an. Es gibt aber leider sehr viele Menschen, die es gar nicht mehr auf diese Liste schaffen, weil unsere Kapazitäten begrenzt sind. Irgendwann mussten wir unsere Liste für Neuaufnahmen schließen, weil wir immer mehr Akten im Schrank hatten, aber die Wohnungen ja nicht mehr wurden.

    Die Menschen, die nicht auf der Liste sind, aber fit genug, um selbst zu suchen oder von Ehrenamtlichen begleitet werden, beraten wir, aber legen keine Akte an. Generell motivieren wir die Menschen, stets selbst nach Wohnungen zu suchen. Weil einige Klient*innen Angst haben, alleine zu Besichtigungsterminen zu gehen, begleiten wir sie dabei. Außerdem suchen wir selber nach Wohnungen. Unsere Koordinierungsstelle der Stadt Köln wird manchmal von Vermieter*innen angerufen, die an Geflüchtete oder generell bedürftige Menschen vermieten wollen. Wir vom Auszugsmanagement nehmen dann Kontakt zu den Vermieter*innen auf.

    „Wir sind das Bindeglied zwischen Vermieter*in und Klient*in“

    Ich nehme dann meist zwei oder drei Klient*innen zu einer Besichtigung mit, damit die Vermieter*innen nicht das Gefühl haben, ihnen wird etwas aufgedrückt und damit mehr Menschen die Chance haben. Wenn die Vermieter*innen dann Vorurteile haben, die wirklich kurios sind, kann ich dagegen argumentieren und ihnen vielleicht Ängste nehmen. Manchmal schaffen wir es dann auch, dass sich Vermieter*innen mehr öffnen und dass am Ende eine Vermietung dabei rauskommt, die vorher nicht denkbar gewesen wäre.

    Wir sind das Bindeglied zwischen dem oder der Vermieter*in und den Klient*innen, unterstützen bei allen Behördenangelegenheiten. Die meisten von unseren Klient*innen sind zumindest teilweise im Leistungsbezug beim Jobcenter oder Sozialamt. Das heißt, wir müssen Miete und Kaution beantragen. Die Leute wissen meistens allein nicht, wie das geht. Und dann helfen wir mit dem Mietvertrag. Wir erklären diesen notfalls mit einem Dolmetscher, damit die Leute auch wissen, was ihre Rechte und Pflichten sind und überhaupt verstehen, was sie gerade unterschreiben.

    Und was auch wichtig ist, dass wir die Schlüsselübergabe begleiten. Das Wohnungsübergabeprotokoll ist wirklich wichtig und da kann auf den letzten Metern nochmal ganz viel schiefgehen. Danach bieten wir eine dreimonatige Nachbetreuung an. Dabei stehen wir, falls es Konflikte gibt, was eher selten ist, als Mittler*innen zur Verfügung. Wir versuchen, unsere Klient*innen im neuen Stadtteil an Beratungsangebote anzubinden. Da kann es um einen Kindergarten- oder Schulplatz sowie Sprachkurse gehen. Wir helfen bei der Stromanmeldung, klären über die private Haftpflichtversicherung, das richtige Heizen und Lüften zur Vermeidung von Schimmel und das Energiesparen auf.

     

    Die Menschen, die Sie betreuen, haben alle vorher in Wohnheimen gelebt und mussten sich um sowas wie eine Stromrechnung nicht kümmern.

    Genau. Im Zweifel können sie übrigens nur einen Topf oder eine Kommode mitnehmen, wenn überhaupt. Daher ist es auch wichtig, eine Wohnungserstausstattung zu beantragen.

     

    Was sind die größten Hürden bei der Unterstützung wohnungsloser geflüchteter Menschen?

    Die allergrößte Hürde ist der Wohnungsmarkt in Köln. Dazu kommen noch andere Hemmnisse, die den Anmietungsprozess stören können. Bei unseren Klient*innen ist es der Fluchthintergrund. Der ist mit sehr vielen Vorurteilen behaftet. Es gibt regelmäßig Vermietende, die irgendwelche Dinge, die sie im Bekanntenkreis aufgeschnappt haben, glauben. Auch das Thema des Familiennachzuges scheint ein Problem zu sein. Faktisch sieht es so aus, dass die Gesetzgebung viele Hürden eingebaut hat und bei weitem nicht jede*r Geflüchtete die Familie nachholen kann.

    „Vorurteile sind ein Problem bei der Wohnungssuche“

    Bei den Vermietenden ist die Angst da, dass die Geflüchteten erst allein einziehen und dann später viel mehr Leute in der Wohnung leben. Die Realität sieht ganz anders aus. Das wird so nicht passieren, in den seltensten Fällen. Es kann natürlich mal sein, dass jemand Familiennachzug plant und dann ist man darauf angewiesen, dass derjenige das auch sagt. Aber es ist nicht so, dass alle Geflüchteten, die auf Wohnungssuche sind, eine Großfamilie oder überhaupt irgendwen hinterherholen.

    Ich arbeite außerdem viel mit alleinstehenden Männern und was dabei auffällt ist, dass Vermieter*innen ihre Single-Wohnungen lieber an Frauen vermieten. Doch 95 Prozent unserer Klient*innen sind Männer. Es ist wirklich selten, dass wir überhaupt eine alleinstehende Frauen in unserem Klient*innen-Pool haben. Vorurteile gegen geflüchtete, alleinstehende Männer, besonders mit muslimischer Religionszugehörigkeit, haben sich, meiner Meinung nach, seit der Kölner Silvesternacht verschlimmert. Doch auch Kopftücher bei Frauen und die Hautfarbe können ein Problem bei der Wohnungssuche sein. Das sagen die Vermietenden nicht konkret, aber ich habe es tatsächlich mitbekommen.

    Kinderreichtum scheint auch eine Hürde zu sein, durch die Menschen schwieriger eine Wohnung bekommen. Es gibt Vorurteile, die Kinder seien zu laut und es würde dadurch Probleme geben. Manchmal gibt es Vermieter*innen, die unsere Klient*innen eigentlich mögen und positiv eingestellt sind, die aber Angst haben, dass die Nachbarschaft nicht mitmacht und dass von dort Probleme kommen können. Wenn ich es jetzt zusammenfasse, dann hat man einen ganzen Strauß voller Probleme, die man angehen muss.

     

    In einer Sitzung des Kölner Stadtrates wurde im Februar 2021 beschlossen, Gemeinschaftsunterkünfte zu schließen. Dieser droht nun wieder zu scheitern. Der Geschäftsführer der Kölner Flüchtlingsrates Herr Prölß äußerte sich dazu sehr kritisch und meinte, dass das Auszugsmanagement nicht ausreichend gestärkt wurde. Welche Maßnahmen gibt es konkret, um das Ziel, alle Geflüchtete bis 2025 in abgeschlossene Unterkünfte unterzubringen, doch noch zu erreichen?

    Das Ziel ist natürlich unterstützenswert, bis 2025 alle Menschen in anständige Wohnungen zu vermitteln. Aber die Praxis sieht leider anders aus. Wir sind im Auszugsmanagement auf der operativen Ebene insgesamt sieben Stellen und die Stadt Köln ist die viertgrößte Stadt Deutschlands. Und Geflüchtete werden nach einem Schlüssel verteilt. Das heißt, wir haben auch entsprechend viele Geflüchtete hier. Wenn man sich die weltpolitische Lage anguckt, kommen aktuell viele neue Flüchtende dazu, die auch untergebracht werden müssen. Sieben Stellen sind einfach zu wenig, um diesen Menschen gerecht zu werden und helfen zu können.

    Und die zweite Sache ist natürlich der fehlende Wohnraum. Wenn keine Wohnung da ist, dann können die Menschen nicht aus dem Wohnheim raus. Und ein ganz großes Problem ist da auch, dass wir viele Familien mit mehreren Kindern haben, die selbstverständlich auch zusammenbleiben wollen. Entweder weil die Kinder noch minderjährig sind oder die Familie schreckliche Dinge erlebt hat und zusammen bleiben möchte, was jedem von uns wahrscheinlich auch so gehen würde in der Lebenssituation. Die Wohnungen, die es in Deutschland gibt, besonders in Großstädten, sind eher klein. Diese teils sehr großen Familien können wir in keinem Kölner Mietshaus unterbringen.

    Es gibt ganz viele Stellschrauben, an denen man dringend drehen muss. Wir bräuchten mehr Kapazität, also mehr Stellen und mehr Wohnraum. Politisch muss viel passieren. Meine Idee ist, die Preisbindung der Sozialwohnungen zu verlängern oder generell mehr Sozialwohnungen zu bauen. Oder, dass man Vermietenden bestimmte Anreize schafft, ihren Wohnraum günstiger anzubieten. Die meisten Wohnungen, die hier in Köln neu gebaut werden, sind für Besserverdienende und nicht für unser Klientel. Es ist ein politisches Problem, wo zu viele Jahre weggeguckt oder einfach nicht genug gemacht wurde.

     

    Auf Grundlage des Flüchtlingsaufnahmegesetzes und dem Ordnungsbehördengesetz NRW stellt die Stadt Köln die Unterbringung aller Menschen, auch unerlaubt Eingereister, sicher. In einem Bericht des Amtes für Wohnungswesen wurden dazu konkrete Zahlen veröffentlicht und es zeigt sich, dass die Zahl der untergebrachten Geflüchteten rückläufig sei. Gibt es also immer mehr obdachlose Geflüchtete und warum?

    Diese Unterbringungspflicht, das ist gesetzliche Grundlage, warum unsere Klient*innen in Wohnheimen und Hotels sind. Aber die Menschen sind nicht obdach-, sondern wohnungslos. Es ist ja eine Unterbringung von der Stadt, weil diese Menschen keine Wohnung haben. In der Praxis begegnen uns aber auch öfter Menschen, die dann irgendwann aus diesem System rausfallen und nicht wieder reinkommen. Es gibt zwar zunächst diese Unterbringungspflicht, aber wenn ein Mensch oder eine Familie dort auszieht, etwa zu einem Freund oder in eine Privatwohnung, dann hat die Kommune ihre Pflicht der Unterbringung erfüllt.

    Nun haben wir aber durch den Wohnungsmarkt in Köln ganz oft das Problem, dass Menschen aus der Not heraus befristete Mietverträge unterschreiben. Und dann finden sie keine neue Wohnung, müssen aber aus der alten teilweise nach drei, sechs oder zwölf Monaten ausziehen. Die können dann nicht zurück in das Wohnheim oder Hotel für Geflüchtete. Sie landen dann faktisch in der Obdachlosenhilfe und dann sind sie obdachlos.

    Was es auch öfter gibt ist, dass Geflüchtete aus verschiedenen Gründen nicht in den Unterkünften sein wollen, es psychisch oder gesundheitlich nicht aushalten. Ich hatte auch mal einen Klienten, der nachts freiwillig im Park auf der Bank geschlafen hat, weil er sich mit meinen Zimmernachbarn nicht verstanden hat. Es gibt Regelungen in diesen Unterkünften, dass, wenn sich jemand nicht regelmäßig dort aufhält, angenommen wird, dass die Person diesen Platz nicht nötig hat. Sie wird dann aus dem Wohnheim abgemeldet. Das ist auch ein Weg, wie Menschen obdachlos werden können, obwohl sie in diesen Unterkünften sind.

     

    Es gab 2018 eine Zählung der obdachlosen Menschen in Hamburg. Seitdem gab es aber, auch bundesweit, keine weitere. Warum und wie viele geflüchtete Menschen obdachlos sind, kann man also gar nicht genau sagen.

    Ich kann es überhaupt nicht einschätzen, wie groß die Anzahl ist. Ich weiß halt nur, dass es diese Fälle mit auslaufenden Mietverträgen oder mit der Abmeldung aus dem Wohnheim gibt. Im letzten Jahr hatte ich Kontakt zu einer Frau, die neun Jahre in einer Mietwohnung gewohnt hat. Es gab dann einen Eigentümerwechsel und der neue Eigentümer wollte nicht an sie vermieten. Sie sagte aus rassistischen Gründen. Ich war nicht dabei, ich kann es also nicht sicher bestätigen. Aber ich glaube ihr und muss halt annehmen, dass er nicht an eine Schwarze Frau vermieten wollte, was sehr heftig ist. Er hat sie dann aus der Wohnung gemobbt und irgendwann kam sie nicht mehr in ihre Wohnung hinein. Dann war sie auf der Straße. Sie konnte durch ganz viel Unterstützung noch eine Wohnung finden. Aber sie war erstmal ein halbes Jahr in der Obdachlosenhilfe.

     

    Es wird gefordert, dass mehr mit Ehrenamtlichen und anderen Organisationen zusammengearbeitet werden muss, um die Problematik ansatzweise lösen zu können. Welchen Stellenwert sehen Sie denn bei Ehrenämtern im Kontext der Wohnungssuche für geflüchtete Menschen?

    Ich weiß nicht, wie es in anderen Städten aussieht, aber in Köln ist das wirklich der Wahnsinn, was ich hier geleistet wurde. Ehrenamtliche sind im Bereich der Wohnungssuche ganz wichtig. Wir vom Auszugsmanagement haben nicht die Kapazitäten, um den Bedarf zu decken. Das heißt, da brauchen wir jede helfende Hand. Die zweite Sache ist, dass Ehrenamtliche viele Ressourcen mitbringen, die wir oder das Klientel selbst nicht haben. Uns ist zum Beispiel aufgefallen, dass Ehrenamtliche ihre privaten Netzwerke aktivieren und darüber auch Wohnraum akquirieren konnten. Wenn die Ehrenamtlichen die geflüchtete Person schon länger kennen, dann legen sie oft ein gutes Wort bei den Vermietenden für sie ein. Eine andere Sache ist die Sprachbarriere, bei der ehrenamtliche Pat*innen unterstützen, als Ansprechpartner*in dienen und dadurch bei Vermietenden Ängste und Vorurteile abbauen können.

     

    Arbeiten Sie im Auszugsmanagement mit anderen Organisationen zusammen? Beispielsweise, um Sachspenden zu organisieren? Sie meinten zuvor, dass die Geflüchteten teilweise ohne Besitz ankommen.

    Bei den Unterkünften ist es so, dass die Stadt Köln diese bestückt. Das heißt, in dem Moment, wenn die Menschen dort untergebracht sind, spielt es erstmal keine Rolle, dass sie nichts haben. Wenn die Leute in eine neue Wohnung umziehen und wir dafür Möbelspenden verwalten wollten, bräuchten wir dafür eine Lagerfläche, die wir finanzieren müssten. Außerdem ist der Wunsch bei unseren Klient*innen sehr groß, nach jahrelanger Odyssee in städtischen Unterkünften, endlich in eine schöne eigene Wohnung zu ziehen, die nach eigenen Vorstellungen eingerichtet ist. Möbel, die gespendet werden, entsprechen dann meistens nicht so sehr den Vorstellungen.

    Es gibt aber generell in Köln bestimmte Systeme, die die Menschen nutzen können. Es gibt Sozialkaufhäuser, die machen quasi ihr Geschäft daraus, diese gebrauchten Möbel als Spenden anzunehmen, zu lagern und dann günstig weiter zu verkaufen. Außerdem gibt es in Köln die Kleiderkammer. Alle Bürger*innen können dort Kleiderspenden abgeben, dann werden diese sortiert und mehrmals in der Woche gibt es bestimmte Uhrzeiten, wo Bedürftige für eine Gebühr von drei oder fünf Euro sich all die Sachen aussuchen können, die sie haben möchten. Wir beim Auszugsmanagement des Kölner Flüchtlingsrates fokussieren uns auf die Beratungsarbeit und verweisen an diese gut laufenden Systeme, die schon da sind.

     

    Vielen Dank für die Arbeit, die Sie machen. Ich hoffe, dass sich da mehr Städte etwas abgucken.

    Ich hoffe das auch. In den letzten Jahren wurden wir öfter mal für Studien aus verschiedenen Teilen Deutschlands angesprochen. Daran merkt man auch, dass es diese Art der Unterstützung bei der Wohnungssuche leider noch viel zu wenig gibt. Wir haben mal eine Anfrage aus Kiel bekommen. Wenn uns die Universität Kiel anfragt, heißt das dann wohl auch, dass es sowas dort oder in der Umgebung nicht gibt.

     

    Mehr zum Thema Wohnungs- und Obdachlosigkeit erfahrt ihr in unserem Themenüberblick und in der aktuellen Folge des multivitamin-Podcasts.

    https://kohero-magazin.com/multivitamin-podcast-wohnungslosigkeit-migration/

  • 6,5 qm Zuhause

    Zehn Uhr. Der Samstagmorgen beginnt im Containerdorf mit einer Tasse Kaffee. In der Küche im blauen Container klappert Geschirr, der Wasserkocher pfeift. Die Sonne scheint durch die beiden Fenster, Studentinnen kochen Eier, schmieren Brote, füllen den Kühlschrank mit frischen Einkäufen.

    Das bunte Containerdorf ist ein besonderer Ort. Er ist Auffangnetz für Frauen*, die kein Zuhause haben. Häufig werden sie über Beratungsstellen vermittelt. Maximal zehn Frauen* belegen die Container – und die sind fast immer voll. Der Bedarf ist riesig. Das Projekt von der Caritas und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften getragen. Im Winter wird das Dorf über das Winternotprogramm finanziert, den Rest des Jahres lebt es von Spenden. Im Coronawinter 2020/21 wurden durch Spenden finanzierte neue Container angeschafft. In Regenbogenfarben. Die seien angenehmer als die grauen Vorgängermodelle, meint Andrea Hniopek, Sozialarbeiterin und Projektleiterin.

    Den Kaffee und alle Mahlzeiten können sich die Frauen* am blauen Container abholen, dem „Küchencontainer“. Zusammensein im Container ist wegen Corona nicht möglich. Zu groß ist die Angst vor Ansteckung. Außerhalb des eigenen Zimmers herrscht Maskenpflicht. Dennoch findet man im Containerdorf Nähe. Morgens und abends verteilen HAW-Studierende Mahlzeiten. Jeden Abend wird frisch und warm gekocht. Claudia sagt, dass sie nicht kochen kann, höchstens Toast Hawaii.

    Eine ältere Dame mit langen, weißen Haaren stimmt lachend zu. „Kann ich aber auch nicht, gebe ich zu“, schmunzelt sie. Dann holt sie sich ihren Kaffee und kehrt zurück in ihren Container, den grünen. Claudia erzählt uns später, dass diese Bewohnerin ein Alkoholproblem habe. Einige der Frauen* im Dorf konsumieren, erklärt sie. Sofern sie die Utensilien, die sie für den Konsum brauchen, bei sich im Container aufbewahren, habe hier niemand ein Problem damit. Das sei in der Obdach- und Wohnungslosenhilfe keine Selbstverständlichkeit, so Andrea Hniopek. Bei vielen Hilfsangebote ist das Clean-Sein eine Voraussetzung.

    Eine Hilfe zur Selbsthilfe

    Generell sei eine gewisse Mitwirkungsbereitschaft Bedingung für die Gewährung gesetzlicher Leistungsansprüche. Ziel einer Sozialhilfe ist die Überwindung von bestimmten Problemlagen. Diese entstehen aus der Verknüpfung von besonderen Lebensverhältnissen mit sozialen Schwierigkeiten und können nicht selbstständig bewältigt werden. Oft betrifft das Menschen, die dauerhaft unterhalb des Existenzminimums leben oder suchtbedingte körperliche und psychische Probleme haben.

    Diese Leistungen nach § 67 SGB XII sind nachrangig gegenüber der Unterstützung anderer Sozialleistungsträger sowie Maßnahmen, wenn diese den Bedarf vollständig decken. Soll heißen: Die Menschen, die potenziell hilfeberechtigt sind, konnten von anderen, vorgeschalteten Maßnahmen keinen Gebrauch machen. Der 67er ist ihre letzte Chance. Und dennoch fallen manche durch das Versorgungsraster.

    Problem: Mitwirkungsbereitschaft?

    In der Realität haben Betroffene häufig mehrere Bedarfe gleichzeitig. Im Behördendeutsch heißt das dann „mehrfache Problemlage“. Nicht wenige Betroffene haben psychische Krankheiten oder eine Suchtproblematik, was häufig ein Grund für Schwierigkeiten bei der Gewähr von „67erhilfen“ist. Für die Anspruchsgewährung wird ein gewisses Maß an Mitwirkungsbereitschaft der Betroffenen vorausgesetzt.

    „Sie schaffen die Hürden in die Einrichtung oft nicht“, sagt Andrea Hniopek. Etwa, wenn eine durch psychische Erkrankungen bedingte Ablehnungshaltung besteht. Oder, wenn Menschen aufgrund einer Suchterkrankung noch nicht bereit sind, ihre Lebensumstände so zu verändern, wie es die Norm aus dem Sozialgesetzbuch vorsieht. Dazu erklärt Andrea Hniopek: „Die sind noch gar nicht so weit. Sie brauchen einfach Zeit, die brauchen Ruhe, Zeit und es braucht die eigene Motivation, was am Leben zu verändern.“

    Eine weitere Problematik der Sozialhilfe ist der Aufenthaltsstatus der Betroffenen. Nur Deutsche im Sinne des Gesetzes sowie ihnen gleichgestellte Personen können diese Leistungen in Anspruch nehmen. Ein Umstand, den Andrea Hniopek nicht nachvollziehen kann: „Wohnungslosenhilfe bestehen aber zu zwei Drittel aus Migrant*innen. Und davon hat nur ein ganz geringer Teil diese Gleichstellung mit Deutschen. Das heißt, diese Leute fallen alle raus, obwohl sie die gleichen Schwierigkeiten haben.“

    Das Containerdorf macht es anders

    Andrea Hniopek sagt, sie fände es nicht richtig, jemandem, der noch nicht bereit für eine grundlegende Veränderung ist, die Hilfe zu verwehren. Im Containerdorf finden die Bewohnerinnen ein Zuhause. Auch die, die keinen Aufenthaltstitel haben. Und sie werden grundlegend mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln versorgt. Auch die, die sonst keinen Anspruch auf Leistungen haben. Das Containerdorf biete einen Schutzraum, hier sind die Frauen* unter sich.

    Die Fassade des HAW-Turms neben dem Containerdorf ist grau, der Asphalt ist grau. An diesem verregneten Tag auch der Himmel. Wie kleine Farbkleckse ducken sich die regenbogenfarbenen Container im Schatten des Hochhauses. Vor jedem eine Sitzbank, Blumenbeete zwischen den Wohneinheiten. Die bunte Siedlung ist einladend – auch für Menschen, die hier gar nicht leben. So sei es schon vorgekommen, dass Spaziergänger*innen auf den Bänken verweilen. Viele wüssten gar nichts von der Existenz des Wohnprojekts, sagt Claudia.

    Die Containertür führt in einen kleinen Flur, rechts und links ist jeweils ein Zimmer mit eigenem Fenster. Bett, Schrank, Tisch, Stuhl, Lampe. Das ist die Grundausstattung. 6.5qm Zuhause. Der Wasserkocher bleibt Streitgegenstand. Die Brandgefahr durch das Elektrogerät sei groß. Zurzeit darf jede Frau* einen in ihrem Zimmer haben. Um ihn zu benutzen, muss der Stecker, der die Heizung versorgt, ausgesteckt werden. Aber die Frauen* sind kreativ. Jede hat ihr Zimmer individuell eingerichtet und Stauraum bis zur Decke geschaffen.

    Ein eigenes Zuhause

    Nicoles sonnengelber Container ist warm und gemütlich. Die Künstlerin hat ihn ganz nach ihrem Geschmack mit Gegenständen gefüllt, die den Weg zu ihr gefunden haben. Ein Obstkorb steht unter dem Fenster, wie ein Stillleben. Spiegel, Pflanzen, Tassen, ein Hut – und eine Lampe, die sie mit Perlen verziert hat. Unter ihrem Tisch stapeln sich Bücher und Teetassen. Früher war sie freischaffende Künstlerin, schuf großformatige Airbrushbilder. Seit zehn Jahren hat sie keinen festen Wohnsitz mehr; freiwillig, wie sie sagt. Auch von ihrem Anspruch auf Arbeitslosengeld macht sie keinen Gebrauch. Sie verdient sich etwas Geld in einer Werkstatt hinzu, stellt Schmuck her. Sie sei gern unabhängig, erzählt Nicole. Wann sie weiterzieht, das weiß sie im Gegensatz zu anderen hier schon. Für die nächste Zeit will sie aber im Containerdorf bleiben.

    Einige bleiben wenige Tage, andere mehrere Jahre. Das Leben im Containerdorf ist unbefristet. Letzte Woche erst ist ein Zimmer frei geworden. Die Bewohnerin ist eines Abends nicht mehr zurückgekommen. In ihrem Container warten zusammengepackt ihre Habseligkeiten. Ein Sack Kleider. Eine Weste. Eine rote Handtasche. Ihre Dokumente in einer Plastiktüte. Die Bettwäsche wurde schon abgezogen. Ob die Sachen abgeholt werden, ob sie wiederkommt, weiß niemand. Auch das gehört im Containerdorf dazu. Eins ist sicher: Das Zimmer wird nicht lang leer stehen, der Bedarf ist groß. Claudia erzählt, dass die wenigsten Frauen nach ihrem Aufenthalt in eine eigene Wohnung ziehen. Die meisten finden Unterschlupf in anderen Hilfseinrichtungen oder kehren zurück in ein Leben auf der Straße.

    Morgenzigarette

    Langsam wacht das Dorf auf und geselliges Zusammensein vor dem blauen Container beginnt. Anka, eine Frau aus Bulgarien, schleicht noch etwas müde in pinkem Bademantel und Schuhen zum lilafarbenen Container rüber. Da sind die Bäder untergebracht. Jeweils fünf Frauen* teilen sich eins. Neu sind die Analduschen an den Toiletten. Einige der Frauen* gehen der Sexarbeit nach, da ist die beim Frischmachen praktisch. „Vorher haben sie die Duschköpfe geklaut und ich habe nie verstanden, warum“, lacht Claudia.

    Treffpunkt für die Raucherinnen ist der Aschenbecher neben dem Wäschehäuschen. An dem schwarz-weißen Kabuff hängt ein Briefkasten mit den Namen aller Bewohnerinnen. Hier im Containerdorf ist ihr Zuhause, sie können Post empfangen, haben eine eigene Adresse. Anka erzählt Claudia von ihrem Vater, der in der Heimat im Krankenhaus liegt. Ankas andere Heimat ist hier, im Containerdorf. Zumindest für die nächste Zeit.

    Jennifer

    Eine elegante, großgewachsene Frau mit Perlenkette, rotem Nagellack und Lippenstift gesellt sich zu den Raucherinnen. „Claudia only comes back because she misses us so much“, witzelt sie, während sie sich eine Zigarette anzündet. Sie heißt Jennifer. Ausschweifend erzählt sie von ihren Abenteuern in einem Van in Thailand, da habe sie acht Jahre lang gelebt. Und von ihrem Kumpel, einem talentierten, aber unterschätzten Comedian.

    „The weather forecast is shit“, beschwert sie sich. Wegen des angekündigten Regens, der dann doch nicht kam, hat sie einen Arbeitstag verloren. Sie spielt Gitarre. Mal in Clubs, mal auf der Straße. Die Clubgigs sind seit der Pandemie rar geworden. „What do the French say? The more things change the more they stay the same“, flucht sie. „The rich get richer, the rest still struggles.“ Ihr Standardplatz ist jetzt unter der Schanzenbrücke, da könne sie aber im Moment nicht hin, weil sich dort Bettelnde niedergelassen haben. Heute wird sie es in der Schanzenstraße versuchen. Vielleicht hat sie Glück und es kommen mehr Passanten*innen vorbei. Sie schwingt ihren Gitarrenkoffer auf den Rücken, nimmt noch einen letzten Zug von ihrer Zigarette und macht sich auf den Weg. „Nice meeting you“, ruft sie über ihre Schulter zurück. Ihre schillernde Persönlichkeit wirkt viel zu groß für ihren kleinen Container, den grünen.

    Aida

    Aida lebt im roten Container. Sie ist 35, geboren im Iran, studierte und arbeitete dort als Buchhalterin. Die Liebe, das Leben, die Pandemie. Verschlungene Pfade führen sie nach St. Georg, in ihren Container.

    Im Iran lernt sie ihren ersten Ehemann kennen. Aufgrund internationaler Embargos gegen das Land gehen dem Arbeitgeber ihres Mannes die Aufträge aus. Um Arbeit zu finden, ziehen die beiden nach Deutschland. Aber die Ehe geht in die Brüche und Aida kehrt zu ihrer Familie in den Iran zurück.

    Sie verliebt sich neu, bekommt eine kleine Tochter mit ihrem neuen Partner. Als das Kind sechs Monate alt ist, stirbt der Vater des Mädchens. Die Situation veranlasst sie, nach Deutschland zurückzukommen.

    Aida arbeitet hier zunächst in der Kinderbetreuung, lebt allein in einer Mietwohnung, alles läuft nach Plan. Dann kam Corona. Aida verliert erst ihren Job und dann ihre Wohnung. Für einige Wochen kommt sie bei einer Freundin unter. Als diese wegzieht, hat Aida keine Bleibe mehr. Eine Beratungsstelle vermittelt sie ans Winternotprogramm. Aida teilt sich mit drei ihr fremden Frauen ein Zimmer. Sie erzählt, dass sie sich unsicher gefühlt habe, es sei oft zu Konflikten gekommen. Ihrer Familie im Iran erzählt sie nichts von ihrer Situation.

    Sommer 2021

    Ajdas nächste Station: Ein Projekt vom Roten Kreuz, in dem sich die Menschen um obdachlose Frauen kümmern. 50 Frauen in einem Schlafsaal. Aida fühlt sich wohl, will wieder auf die Beine kommen. Sie sucht sich einen neuen Job. Einige Frauen in der Moschee, die sie besucht, vermitteln ihr Schüler*innen, denen sie für kleines Geld Arabisch beibringt. Mit dem Verdienst kann sie sich etwas Handyguthaben kaufen, um mit ihrer Familie im Iran zu sprechen. Ab und zu kann sie zu Mittagvessen, doch für eine Wohnung reicht es nicht. Immerhin wurde ihr Aufenthaltstitel erneut für sechs Monate verlängert. Aida plant in Intervallen, immer sechs Monate. Immerhin kann sie in Deutschland bleiben.

    Es ist Sommer geworden. Das DRK-Projekt steht vor dem Aus. Das Winternotprogramm hat noch nicht begonnen. Wohin soll sie gehen? Eine junge Frau aus Polen, die sie beim DRK kennengelernt hat, und Aida tun sich zusammen. Einen festen Schlafplatz haben sie nicht. So ziehen die beiden in ein Waldstück in Niendorf, schlafen in einem Zelt auf dem Waldboden. Zum Duschen fahren die beiden in die Stadt. Die Nächte im Wald machen Aida zu schaffen. Sie berichtet von Albträumen, Angst. Überanstrengt vom Hausen im Wald, beschließt Aida, in der Stadt einen Schlafplatz zu finden. Wechselnde Schlafplätze, weitere schlaflose Nächten.

    So verschieden die Frauen* und ihre Geschichten sind, ihre Wege kreuzen sich im bunten Containerdorf. Und so leben sie eine Zeit lang als Nachbarinnen zusammen, in ihrem kleinen Zuhause. Bis sich ihre Wege trennen. Irgendwann.

     

    Mehr über das Thema Obdachlosigkeit und das Containerdorf kannst du in der neuen Folge des multivitamin-Podcasts hören! Der Artikel ist gemeinsam mit Valeria Bajaña Bilbao entstanden.

    https://kohero-magazin.com/multivitamin-podcast-wohnungslosigkeit-migration/

  • Wohnungs- und Obdachlosigkeit — ein Überblick

    417.000 Menschen

    …sind wohnungs- oder obdachlos (laut Schätzungen der BAG W, 2020). Nur Menschen in sozialen Noteinrichtungen wurden in die Schätzungen einbezogen. Es fehlen also Menschen, die wohnungslos sind und keine Hilfsangebote aufsuchen. Die realen Zahlen sind also deutlich höher. Ab 2022 will die Regierung die Zahlen in einem Wohnungslosenbericht erfassen.

    Die Worte „obdach-“ und „wohnungslos“ bedeuten nicht das Gleiche

    Wohnungslosigkeit ist der übergeordnete Begriff, Obdachlosigkeit ist dagegen eine Art der Wohnungslosigkeit.

    Zahl der wohnungslosen anerkannten Geflüchteten sinkt

    Die Zahl liegt bei ca. 161.000 Menschen. (Jahresgesamtzahl).
    Von 2018 bis 2020 konnte ein Rückgang der Wohnungslosigkeit anerkannter Geflüchteter von 64 Prozent festgestellt werden. Laut BAG W sei dieser Rückgang mit dem Rückgang der aufgenommen Geflüchteten seit 2017 erklärbar.

    Wohnungslosigkeit, Migration und Rassismus können zusammenhängen

    Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte werden bei der Wohnungssuche diskriminiert – wegen ihres Namens, ihres Aussehen und/oder Staatsangehörigkeit. Außerdem haben sie einen schlechteren Zugang zum Arbeitsmarkt und dadurch schlechtere Chancen auf dem Wohnungsmarkt.

    Zahl der wohnungslosen Menschen steigt

    Die Anzahl der Wohnungslosen im Wohnungslosensektor (alle Betroffene exklusive Geflüchtete) ist nach Schätzung der BAG W von 237.000 (2018) auf 256.000 (2020) gestiegen, insgesamt um 8 Prozent.
    Da viele Hilfsangebote coronabedingt schließen mussten, ist die tatsächlich Zahl der wohnungslosen Menschen vermutlich höher.

    Anteil wohnungsloser Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit steigt

    2009 hatten 70% der wohungslosen Menschen die deutsche Staatsangehörigkeit. 2018 lag der Anteil bei 36%. Diese Zunahme an wohnungslosen Menschen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit ist durch die steigenden Zahlen von Geflüchteten bedingt.

    Männer sind besonders häufig von Wohnungslosigkeit betroffen

    Laut der Befragung obdachloser, auf der Straße lebender Menschen und wohnungsloser, öffentlich-rechtlich untergebrachter Haushalte in Hamburg waren 2018 1.057 Männer, 251 Frauen und sieben nicht-binäre Menschen wohnungslos.

    Besonders hoch ist der Anteil obdachloser Menschen aus Osteuropa

    In Hamburg lag 2018 der größte Anteil obdachloser Menschen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit mit 62% bei Menschen aus Osteuropa (u.a. Polen, Rumänien, Ukraine, Russland, Bulgarien, Slowakei, Tschechien und Ungarn). Der nächstgrößte Anteil obdachloser Menschen liegt bei 7,7% (Menschen aus Afrika).

    Mehr zu unserem Fokusthema Wohnungs- und Obdachlosigkeit erfahrt ihr in der aktuellen Folge vom multivitamin-Podcast.

    Grundlage dieser Fakten sind die Aktuellen Schätzungen der BAG Wohnungslosigkeit (2021) und eine Befragung obdachloser, auf der Straße
    lebender Menschen und wohnungsloser,
    öffentlich-rechtlich untergebrachter
    Haushalte (im Auftrag der Stadt Hamburg, 2018).

  • zu.flucht-Podcast: Wohnungslosigkeit & Migration

    Welche Erfahrungen machen Geflüchtete und Migrant*innen auf der Straße? Warum ist für sie besonders schwer, aus der Wohnungslosigkeit zu kommen? Und welche Ansätze gibt es bereits, die dabei helfen?
    In dieser Folge sprechen wir mit Velina Weber. Sie ist Sozialarbeiterin bei Social Bridge Hamburg und erzählt uns mehr über die Herausforderungen für osteuropäische Migrant*innen. Sie übersetzt für uns ebenfalls Gespräche mit Asya und Emiliya, die akut von Wohnungslosigkeit betroffen sind – sie berichten von ihren Wünschen und Erfahrungen.
    Außerdem haben wir das Containerprojekt der HAW Hamburg und der Caritas besucht und mit Leiterin Andrea Hniopek und Bewohnerin Aida gesprochen.
    Zu Beginn der Folge hören wir von Gülay Ulaş, Mitbegründerin von GoBanyo, die uns mehr darüber erzählt, wie sich Rassismus auch auf obdachlose Menschen auswirken kann.
    Bei Fragen, Anmerkungen oder Feedback schreibt uns gerne an podcast@kohero-magazin.de oder über unseren Instagramkanal @multivitamin.podcast.
    Das Multivitamin-Team: Valeria Bajaña Bilbao, Chiara Bachels, Florent Gallet, Jonas Graeber, Natalia Grote, Sassetta Harford, Sophie Kolodziej, Lionel Märkel, Sarah Mohsenyan, Sina Nawab, Anna Seifert, Anne Josephine Thiel, Lili Rihl, Sarah Zaheer

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