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  • Syrien: Können Medien und Politik eine zerissene Gesellschaft zusammenbringen?

    Leider ist die syrische Gesellschaft nach wie vor schwer verwundet und in Teilen gespalten. Jüngste Ereignisse verdeutlichen dies: Ehemalige Assad-Soldaten unter der Führung des sogenannten „Schabiha“ Bassam Issa Hossam ad-Din, dem Anführer der Miliz „Katibat Usud al-Dschabal“, haben im Umland von al-Qardaha in der Provinz Latakia eine Patrouille der Behörde für öffentliche Sicherheit angegriffen. Dabei wurden zwei Mitglieder der Patrouille getötet, weitere verletzt und sieben verschleppt.

    Daraufhin wurde in der Stadt Latakia eine Demonstration organisiert, die sich generell gegen Alawiten richtete, weil Angehörige dieser Gruppe zum Umfeld des Angreifers gehören. Solche Spannungen sind in Syrien leider keine Seltenheit, insbesondere nach den langen und grausamen Kriegen des Assad-Regimes gegen die syrische Bevölkerung. Dieses Regime hat Minderheiten oft instrumentalisiert, um sich an der Macht zu halten.

    Hinzu kommt, dass in den sozialen Medien zahlreiche Falschinformationen verbreitet werden, die bewusst oder unbewusst Konflikte zwischen den Syrer*innen schüren und weitere Verletzungen verursachen können. In einer derart fragilen Situation braucht es sowohl eine verlässliche Politik als auch professionelle Medien, die zur Heilung der Wunden in der syrischen Gesellschaft beitragen. Das erfordert Zeit, Geduld und viele weitere Anstrengungen.

    Meiner Ansicht nach ist es genau die Aufgabe neuer Medien (mit jeweils klarer Sprache, Zielen und Redaktionslinie), an dieser Heilung mitzuarbeiten. Ein Beispiel dafür ist die deutsche Medienlandschaft nach dem Zweiten Weltkrieg: Obwohl diese nur aus wenigen Sendern und Zeitungen bestand, besonders im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, setzten sie sich dafür ein, nicht nur gegen die Ideologie des Naziregimes vorzugehen, sondern auch neue gemeinsame Ziele für den Wiederaufbau der Gesellschaft zu formulieren.

    Leider fehlt vielen syrischen Journalist*innen noch die entsprechende Erfahrung. Manchmal verschlimmern sie ungewollt bestehende Wunden, anstatt zur Versöhnung beizutragen. Hier liegt eine große Herausforderung für die Zukunft.


    Eine kurze Zusammenfassung der Lage:

    Humanitäre Hilfe:

    • Kanada stellt 12 Millionen US-Dollar als Soforthilfe für Syrien bereit, um humanitäre Bedürfnisse zu decken.
    • Deutschland will zudem 50 Millionen Euro zusätzlich für Syrien bereitstellen.

     

    EU-Sanktionen:

    • EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas kündigte ein Treffen der EU-Außenminister*innen Ende Januar an, um über eine mögliche Lockerung der Sanktionen gegen Syrien zu beraten.
    • Annalena Baerbock schlägt einen „intelligenten Ansatz“ bei den westlichen Sanktionen vor, um der syrischen Bevölkerung wirtschaftliche Erleichterungen zu ermöglichen. Sanktionen gegen Personen aus dem Umfeld des ehemaligen Präsidenten Assad sollen jedoch bestehen bleiben.

     

    Wirtschaft und Finanzen:

    • Wirtschaftsminister Basil Abd al-Hanan informiert, dass die Zentralbank den Wechselkurs stabil hält und vorerst keine neue Währung einführen wird. Zudem sei ein monatliches Mindesteinkommen von 120 US-Dollar für ein würdiges Leben notwendig und die vollständige Subventionsstreichung werde schrittweise erfolgen. Für das Jahr 2025 wird ein Wachstum von über 1 % erwartet.

     

    Gesundheit:

    • Laut UN-Generalsekretariat fanden in einigen Regionen Syriens Impfkampagnen gegen Cholera statt.

     

    Sicherheitslage:

    • An der libanesisch-syrischen Grenze kam es zu Zusammenstößen zwischen Einheimischen und bewaffneten Gruppen; mehrere Personen wurden verletzt.
    • Medien berichten von zahlreichen Syrer*innen, die nach dem Sturz des Assad-Regimes in den Libanon geflohen sind, sowie von Festnahmen ehemaliger Angehöriger der syrischen Armee und Geheimdienste.

     

    Bildung:

    • Mehr als drei Millionen Schüler*innen nehmen laut Bildungsministerium an den ersten Prüfungen zum Halbjahr teil.

     

    Trump-Regierung und Israel:

    • Quellen zufolge rieten hochrangige Mitarbeitende der Trump-Administration Israel, sich mit kritischen Äußerungen gegenüber der neuen syrischen Regierung zurückzuhalten, um Spannungen im Nahen Osten zu vermeiden.

     

    Türkischer Geheimdienst:

    • In Syrien wurde Muhammad Dib Kurali, der an einem Doppelanschlag von 2013 in der türkischen Provinz Hatay (Reyhanlı) beteiligt gewesen sein soll, gefasst.

     

    Verteidigungsministerium:

    • Verteidigungsminister Marhaf Abu Qasra und Generalstabschef Ali an-Na’san einigten sich mit den meisten bewaffneten Fraktionen auf eine neue Struktur des Verteidigungsministeriums. Eine künftige Armee soll auf Freiwilligkeit statt Pflichtdienst basieren und keine konfessionellen oder regionalen Sonderrechte gewähren.

    Syrische Sicherheitskräfte durch Assad-Anhänger getötet

    Die syrische Sicherheitsverwaltung gab am heutigen Dienstag bekannt, dass zwei ihrer Angehörigen durch Assad-treue Milizen im Umland von Al-Qardaha im Nordwesten des Landes getötet und sieben weitere gefangen genommen wurden; später sei jedoch deren Befreiung verkündet worden.

    Laut der syrischen Nachrichtenagentur SANA erklärte Oberstleutnant Mustafa Knaifati, Leiter der Sicherheitsverwaltung in Latakia, dass „Gruppen von Assads Resten“ gestern Fahrzeuge und einen Stützpunkt der militärischen Einsatzleitung im Dorf Ain Scharqiya und dessen Umgebung in der Region Dschabla angegriffen hätten, was Verletzungen verursacht habe. Er fügte hinzu: „Während eine Patrouille der Sicherheitsverwaltung heute routinemäßige Aufgaben im Umland von Al-Qardaha durchführte, wurde sie von Assads Resten angegriffen, was zum Tod zweier Angehöriger und Verletzungen bei anderen führte. Außerdem nahmen die ‚Reste Assads‘ sieben Mitglieder der Patrouille gefangen und drohten in Videobotschaften, sie zu enthaupten.“

    Knaifati betonte ferner, dass sich diese „Reste Assads“ in Wohngebieten in und um Dschabla versteckt hielten und die umliegenden Berge und Täler als Ausgangspunkte für Angriffe auf die Sicherheitsverwaltung und die militärische Einsatzleitung nutzten.

    Später gab Knaifati bekannt, dass die Sicherheitskräfte in Latakia in Zusammenarbeit mit der militärischen Einsatzleitung die heute gefangenen Patrouillenangehörigen befreien konnten.

    Öl- und Gas-Versorgung soll sichergestellt werden

    Der syrische Interims-Ölminister Ghiyath Diab erklärte, dass die Explorations- und Erkundungsmaßnahmen zur Suche nach Erdöl und Erdgas in weniger als einem Monat beginnen werden, nachdem alle notwendigen Schritte abgeschlossen sind. Er wies darauf hin, dass die Erdölförderung in den von der syrischen Verwaltung kontrollierten Gebieten nicht über 10.000 Barrel pro Tag hinausgehe, während die Gasproduktion acht Millionen Kubikmeter betrage. Diab fügte hinzu, dass die Raffinerie in Homs mit rund 40 bis 50 Prozent ihrer geplanten Kapazität arbeite, während die Raffinerie in Banias mit bis zu 60 Prozent ausgelastet sei.

    Er machte zudem deutlich, dass die Zusammenarbeit mit den kurdischen „SDF“-Kräften bei der Ölversorgung nach dem Sturz des Assad-Regimes eingestellt worden sei, wie „CNBC“ berichtet. Weiter erläuterte Diab, dass die Gaslieferungen vonseiten der „SDF“ zuvor bei rund 1,1 Millionen Kubikmetern pro Tag lagen und seit dem 8. des vergangenen Monats eingestellt sind, während die Ölförderung bei etwa 100.000 Barrel pro Tag liege. Er erwähnte Hinweise auf eine „exzessive Produktion“ in diesen Gebieten.

    Neue Resolution für Syrien ins Gespräch gebracht

    Der Sondergesandte der Vereinten Nationen für Syrien, Geir Pedersen, sprach über die Möglichkeit, die UN-Resolution 2254 anzupassen oder eine neue Resolution zu Syrien zu verabschieden. Am Rande seiner Teilnahme an den Syrien-Gesprächen in Riad erklärte Pedersen, dass die Vereinten Nationen „Garantien erhalten haben, dass es innerhalb von drei Monaten eine Übergangsbehörde in Syrien geben wird, an der alle syrischen Gruppierungen beteiligt sind“, und bekräftigte die Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft, sowohl mit der derzeitigen syrischen Verwaltung als auch mit der Übergangsbehörde zusammenzuarbeiten.

    Er fügte hinzu: „Wir sind uns bewusst, dass die Durchführung von Wahlen in Syrien vier bis fünf Jahre in Anspruch nehmen könnte.“ Die Abschlusserklärung der Treffen in Riad ging nicht auf die Resolution 2254 ein, welche die neue syrische Führung für die aktuelle Lage als nicht mehr angemessen erachtet.

    Nach dem Treffen zeigte sich Pedersen erfreut über „die starke, unterstützende Botschaft für das syrische Volk und den Wunsch, die Übergangsregierung in dieser kritischen Phase zu unterstützen“. Er betonte, die Gespräche hätten „nachdrücklich die Notwendigkeit eines inklusiven und vertrauenswürdigen, von Syrern selbst gesteuerten Übergangs“ unterstrichen, verbunden mit einem „ernsthaften internationalen Engagement, das syrische Volk bei seinem Übergang und dem Wiederaufbau des Landes zu unterstützen“. Pedersen bekräftigte zugleich die Bereitschaft der Vereinten Nationen, Syrien und die syrische Bevölkerung in dieser historischen Chance und Herausforderung zu begleiten.

    UN-Kommissar in Damaskus

    Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk, ist am Dienstag zu seinem ersten Besuch in der syrischen Hauptstadt Damaskus eingetroffen. Wie die Vereinten Nationen in einer Erklärung mitteilten, wird der österreichische Jurist vom 14. bis 16. Januar Syrien und den Libanon besuchen und dabei mit Regierungsvertreter*innen, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, Diplomat*innen sowie verschiedenen UN-Organisationen zusammentreffen. Weitere Einzelheiten wurden nicht bekannt gegeben. Während der Assad-Ära wurde vielen UN-Beamt*innen und Menschenrechtsorganisationen die Einreise ins Land verwehrt, um Vorwürfe zu Menschenrechtsverletzungen nicht untersuchen zu können.

    Ein Sprecher des Büros von Türk machte keine Angaben dazu, wie häufig er selbst oder seine Vorgänger*innen versucht haben, nach Syrien einzureisen.

  • Geldschmuggel aus Syrien nach Moskau

    Eine kurze Zusammenfassung der Lage

    Türkei und syrische Rückkehrer:

    • Der türkische Verkehrsminister kündigte an, dass in den kommenden Tagen der erste Direktflug aus der Türkei nach Damaskus starten soll. Zeitgleich plant der türkische Innenminister, im Rahmen eines freiwilligen Rückkehrprogramms innerhalb eines Monats 52.622 syrische Geflüchtete in ihre Heimat zurückzuführen.

     

    Diplomatische Besuche und gesellschaftliche Initiativen:

    • Der spanische Außenminister wird Damaskus besuchen, um in Gesprächen mit Führungen von Minderheiten, Zivilgesellschaft und humanitären Vertretenden einen integrativen politischen Prozess zu unterstützen. Gleichzeitig fand in Damaskus die erste Konferenz der syrischen feministischen Bewegung statt, bei der Projekte zur Stärkung der Rolle der Frau in der Zukunft des Landes vorgestellt wurden.

     

    Tragische Vorfälle und Sicherheitsfragen:

    • Während einer Veranstaltung in der Umayyaden-Moschee in Damaskus kam es zu einem Gedränge, bei dem vier Frauen starben und fünf Kinder schwer verletzt wurden. Gleichzeitig lehnt Großbritannien einen US-Antrag zur Rückholung britischer IS-Kämpfer aus nord-ost-syrischen Lagern ab und betont dabei seine Sicherheitsinteressen.

     

    US- und israelische Maßnahmen:

    • Die Biden-Regierung behält die Terror-Einstufung der „Hayat Tahrir al-Sham“ (HTS) bei, was ein Hindernis für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg Syriens darstellt. Eine israelische Zeitung berichtete zudem von Plänen Tel Avivs, seinen Einfluss in syrischem Gebiet auszuweiten – mit einer militärischen Präsenz von 15 Kilometern und einer geheimdienstlichen Reichweite von 60 Kilometern, um Raketenangriffe aus dem syrischen Hinterland zu verhindern.

     

    Neustrukturierung und wirtschaftliche Maßnahmen in Syrien:

    • Innenpolitisch arbeiten syrische Behörden und bewaffnete Fraktionen an einer neuen Struktur im Verteidigungsministerium, um eine professionelle, freiwillige Armee zu schaffen. Parallel dazu kündigte der syrische Ölminister an, in weniger als einem Monat Explorations- und Förderaktivitäten in den Gebieten der neuen Verwaltung aufzunehmen, um die bislang zu geringen Produktionszahlen zu steigern.

     

    Internationale Initiativen und weitere Entwicklungen:

    • Iran hat einen Sondergesandten für syrische Angelegenheiten ernannt, während ein Übergangsorgan namens „Bidrsson“ diskutiert wird, das innerhalb von drei Monaten alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte Syriens integrieren soll.
    • Zudem kontrolliert die israelische Besatzungsarmee einen strategisch bedeutenden Hügel in der Region Quneitra. Schließlich arbeitet der Golfkooperationsrat an den Vorbereitungen für eine internationale Geberkonferenz zur Unterstützung des Wiederaufbaus Syriens.

    Geldschmuggel nach Moskau

    Eine geheime Dokumentation, die vom Syrischen Menschenrechtsbeobachtungszentrum eingesehen wurde, belegt, dass das gescheiterte syrische Regime Geld im Wert von durchschnittlich 20 Millionen US-Dollar pro Flug über die syrischen Luftverkehrsunternehmen nach Moskau schmuggelte. Der überwiegende Teil der Gelder stamme aus Investitionen in die Herstellung von und den Handel mit Captagon, ein Amphetamin. Zwischen Ende 2020 und Mitte 2024 wurde wöchentlich ein Flug zum Flughafen Vnukovo durchgeführt – zuletzt vier Tage vor Baschar al-Assads Flucht im Dezember.

    Die Dokumentation, die detaillierte Informationen wie Anzahl, Gewicht und Transferdatum der Geldtaschen sowie die Adresse der Moskauer Bank enthält, zeigt, dass das Geld unter direkter Aufsicht von Geheimdiensten transportiert wurde. Die Bargeldtaschen wurden direkt von der Zentralbank Syrien in einen gepanzerten Transporter verladen und getrennt von Passagiergepäck befördert. Zudem wurde strengstens untersagt, den Inhalt oder die Bestimmung der Taschen abzufragen, um die Geheimhaltung der Operation zu gewährleisten. Das offizielle, als „Geheim“ gekennzeichnete Schreiben, an den Generaldirektor der Syrischen Luftverkehrsunternehmen gerichtet, forderte die reibungslose Durchführung des Geldtransfers.

    Syrische Fachkräfte in Deutschland

    Offizielle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass in Deutschland lebende Syrer*innen eine bedeutende Rolle bei der Linderung des Fachkräftemangels spielen.

    Laut der Erhebungen arbeiten 287.000 Syrer*innen in Deutschland, von denen 237.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Die Zahlen basieren auf einer Umfrage vom letzten September, die kürzlich veröffentlicht wurde. Im Vergleich zu 2023 ist die Zahl der in Deutschland arbeitenden Syrer*innen um zehn Prozent gestiegen. Syrische Männer sind vor allem im Logistikbereich tätig, während syrische Frauen vermehrt im Gesundheitswesen arbeiten.

    Mehr als 23 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Syrer*innen – etwa 54.000 – sind in Berufen tätig, in denen ein akuter Arbeitskräftemangel herrscht und ein hoher Bedarf an Personal besteht.

    Gleichzeitig beziehen 54,9 Prozent der in Deutschland lebenden Syrer*innen Sozialleistungen. Von insgesamt 518.000 Empfänger*innen befinden sich 353.000 im erwerbsfähigen Alter. 165.000 sind Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren.

    Spannungen zwischen Israel und Syrien

    Eine israelische Zeitung enthüllt, dass Israel beabsichtige, seinen Einfluss in syrischem Gebiet auszuweiten. Demnach plane Tel Aviv, eine militärische Präsenz von 15 Kilometern in Syrien aufrechtzuerhalten, um zu verhindern, dass die neue syrische Verwaltung Raketen auf die Golanhöhen abfeuert. Zudem solle der Einflussbereich um 60 Kilometer erweitert werden, wobei eine geheimdienstliche Kontrolle übernommen werden soll, um potenzielle Bedrohungen rechtzeitig zu erkennen. Trotz der Betonung, dass sich der syrische Führer Ahmad al-Sharaa einer Konfrontation widersetze, äußerten israelische Verantwortliche Bedenken hinsichtlich einer möglichen Wende der syrischen Behörden in Zukunft. Die Zeitung kritisierte außerdem die syrischen Machthaber in Damaskus und warnte vor einer Verfestigung von Hamas in der Region.

    Aufbau eines unabhängigen Syriens

    Der Abschlussbericht der in Riad abgehaltenen Sitzungen zu Syrien betont, dass man an den Entscheidungen des syrischen Volkes festhalte und seinen Willen respektiere. Die Teilnehmenden – bestehend aus syrischen, arabischen und westlichen Vertretenden – diskutierten Maßnahmen, um das syrische Volk in dieser entscheidenden Phase zu unterstützen. Ziel sei es, Syrien als einen vereinigten, unabhängigen und sicheren arabischen Staat wiederaufzubauen, in dem Terrorismus keinen Raum hat und Souveränität sowie territoriale Einheit gewahrt werden.

    Zudem wurde ein politischer Übergangsprozess in Syrien befürwortet, bei dem alle politischen und sozialen Kräfte des Landes eingebunden werden sollen, um die Rechte aller Syrer*innen zu sichern. Im Dialog sollen alle Bedenken berücksichtigt und die Unabhängigkeit Syriens respektiert werden, da dessen Zukunft allein in den Händen des syrischen Volkes liege.

    Abschließend äußerten die Teilnehmenden ihre Besorgnis über das Eindringen Israels in den syrischen Pufferbereich und angrenzende Gebiete und betonten die Wichtigkeit, die Einheit, Souveränität und territoriale Integrität Syriens zu wahren.

  • Wir sind kein Wahlkampfmittel, Herr Merz!

    Die Äußerungen von Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der CDU, zur Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft bei Doppelstaatsbürger*innen, die Straftaten begehen, haben breite Empörung ausgelöst — und das zurecht.  Denn sie stellen einen erheblichen rechtlichen Verstoß dar.

    Artikel 16 des Grundgesetzes der BRD schützt die Staatsbürgerschaft vor willkürlicher Aberkennung – ein Prinzip, das nach den bitteren Erfahrungen der NS-Zeit eingeführt wurde, in der Millionen Menschen systematisch ausgebürgert wurden. Die heutige Wiederbelebung solcher Ideen, wenn auch in anderer Form, zeigt ein besorgniserregendes Vergessen der historischen Lehren und schwächt die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Deutschland.

    Der Vorschlag von Merz würde „de facto“ ein zweistufiges Staatsbürgerschaftssystem schaffen. Deutsche, deren Staatsbürgerschaft unantastbar ist, und Doppelstaatsbürger*innen, die als „auf Bewährung“ betrachtet werden. Diese Unterscheidung widerspricht dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz und öffnet die Tür für mehr gefährliche gesellschaftliche Spaltungen, da bestimmte Bürger*innen allein aufgrund ihrer Herkunft strengeren Strafen ausgesetzt wären.

    Die deutsche Staatsbürgerschaft ist kein Privileg, das für gutes Verhalten verleihen wird, sondern ein Grundrecht, das durch das Gesetz geschützt ist. In einem Rechtsstaat darf die Staatsbürgerschaft kein politisches Instrument oder Wahlkampfmittel sein, insbesondere wenn dies zu Marginalisierung und Polarisierung innerhalb der Gesellschaft führt.

    Anstatt Doppelstaatsbürger*innen indirekt als „Deutsche zweiter Klasse“ zu stigmatisieren, sollte sich der politische Diskurs darauf konzentrieren, Integration zu fördern und gesellschaftliche Einheit zu stärken. Deutsche mit Migrationshintergrund und ihre Nachkommen bereichern Deutschland durch ihre Arbeit und ihr Engagement. Seit Jahrzehnten haben sie beim Aufbau des modernen Deutschlands eine zentrale Rolle gespielt.

    Politiker*innen, die Bürger*innen aufgrund ihrer Herkunft oder doppelten Staatsangehörigkeit unterscheiden, riskieren, die Kluft zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen zu vergrößern. Angesichts der heutigen Herausforderungen braucht Deutschland eine konstruktive politische Rhetorik, die das gegenseitige Verständnis stärker macht, anstatt Spaltung anzuheizen.

    Die Ausnutzung von Migrationsthemen im politischen Diskurs, um kurzfristige Wahlerfolge zu erzielen, untergräbt das Vertrauen zwischen Bürger*innen und Staat. Solche Praktiken verstärken das Gefühl der Marginalisierung und gefährden langfristig die Stabilität der Gesellschaft.

    Der Vorschlag von Merz ist nicht nur verfassungswidrig, sondern auch ethisch fragwürdig und politisch unverantwortlich. Diese Ideen schaden den grundlegenden demokratischen und rechtlichen Werten. Deutschland braucht eine politische Führung, die die Werte von Gleichheit und gegenseitigem Respekt aller Bürger*innen unabhängig von ihrer Herkunft hochhält. Denn wir sind kein Wahlkampfmittel, Herr Merz!

     

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  • Warum begann die Revolution in Syrien?

    Ende Februar 2011 verhafteten die Sicherheitskräfte in Syrien mehrere Kinder, die solche Parolen an ihre Schulmauer geschrieben hatten – inspiriert von den Freiheitsrufen des Arabischen Frühlings. Die Kinder wurden in die Zentrale des politischen Sicherheitsdienstes in Daraa gebracht und dort grausam gefoltert (Deutschlandfunk berichtetet 2017 darüber). Als die Eltern verzweifelt nach ihren Kindern fragten, stieß sie Atef Najeeb, der Leiter des Sicherheitsdienstes und ein Cousin von Baschar al-Assad, mit einer zynischen Antwort zurück: „Vergesst eure Kinder und bekommt neue.“ Diese unmenschliche Reaktion löste Massenproteste aus, die zunächst in Daraa begannen und später das ganze Land erfassten. Doch auch diese friedlichen Demonstrationen wurden mit roher Gewalt niedergeschlagen – mit scharfer Munition. Die ersten Märtyrer der Revolution waren Hussam Al-Ayash und Mahmoud Al-Jawabrah.

    Doch die syrische Revolution entzündete sich nicht allein an diesem schockierenden Vorfall. Über 60 Jahre lang hatte das syrische Volk unter der Herrschaft einer brutalen Diktatur gelitten: keine Meinungsfreiheit, keine Gerechtigkeit, keine Würde. Korruption durchzog das Land, und eine kleine Elite plünderte die Ressourcen und Reichtümer Syriens, während die Bevölkerung in Armut und Hoffnungslosigkeit gefangen war.

    Assads Verbrechen

    Am 15. März 2011 brach in Damaskus, im Viertel Al-Harika, eine der ersten Demonstrationen aus. Menschen riefen nach Freiheit und forderten den Sturz des Regimes. Doch das Regime reagierte mit eiserner Hand: Protestierende wurden verhaftet, ihre Stimmen zum Schweigen gebracht. Diese Unterdrückung war kein neues Phänomen. Bereits nach dem Tod Hafiz al-Assads hatten kulturelle und politische Foren, wie das berühmte Forum von Suheir Al-Atassi, versucht, Veränderungen herbeizuführen. Doch das Regime ließ diese Bewegungen nicht lange bestehen – es verbot die Foren, verhaftete die Organisator*innen und festigte die Macht der Assad-Familie. Am 18. März 2011, dem „Freitag der Würde“, gingen Menschen in ganz Syrien auf die Straße. Der Freitag, als Ruhetag und Tag des Gebets, bot die perfekte Gelegenheit für friedliche Versammlungen. Doch das Regime ließ auch diese Demonstrationen nicht ungestraft und griff zu Gewalt.

    Die Assad-Herrschaft ist durchzogen von Grausamkeiten: Das Massaker von Hama 1982, bei dem innerhalb von zwei Tagen Zehntausende Zivilist*innen getötet wurden. Die Massaker von Tadmur, die Hinrichtung Tausender politischer Gefangener und der Einsatz chemischer Waffen gegen unschuldige Kinder und Zivilist*innen – all dies sind nur einige der dunklen Kapitel in Syriens Geschichte.

    Nach dem Sturz des Tyrannen

    Nun, einen Monat nach dem Sturz des Diktators, tragen die Menschen noch immer die Wunden seiner Verbrechen. Die Fassbomben, die von Russland und Iran unterstützt wurden, haben Häuser, Schulen und ganze Städte zerstört. Familien trauern um ihre Liebsten, die unter Folter in den Gefängnissen starben. Frauen, Kinder und Kriegsversehrte kämpfen um ihre Zukunft, während das Bildungssystem in Trümmern liegt.

    Doch trotz all dieser Herausforderungen glauben die Syrer*innen an den Wiederaufbau ihres Landes. Mit Unterstützung von Freunden und gerechten Nationen werden sie die Ruinen hinter sich lassen und ein neues Kapitel schreiben. Dieses Land, das kulturell vielfältig und ethnisch-religiös ist, das Land, in dem Zivilisationen geboren wurden, sich vermischten und seit Anbeginn der Geschichte friedlich koexistierten, ein Land, das seine Türen für jeden Gast und jede*n Fremden öffnet. Das ist Syrien ohne Assad! 

     

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  • Ein neuer Anfang für Syrien

    Gestern hat der Flughafen von Damaskus endlich wieder seinen Betrieb aufgenommen. Der erste Flug aus Doha, Katar, ist bereits gelandet. An Bord waren 147 Passagiere, fast ausschließlich Syrer*innen, die wegen Assads Krieg gegen die syrische Bevölkerung schon vor langer Zeit das Land verlassen hatten. Nun kehren sie in ihre Heimat zurück – in ein freies Syrien.

    Freiheit ist nicht bloß ein Wort, sondern eine Lebensform, deren Bedeutung viele Syrer*innen erst jetzt vollständig begreifen. Der Preis dafür war hoch: viel Blut, Schmerz und Leid. Ich hoffe, dass wir Syrer*innen diese Freiheit und den Frieden nun gemeinsam genießen können.

    Aber es wird nicht einfach. Jetzt beginnt die harte Arbeit, bei der wir uns vereinen müssen, um unser Land wiederaufzubauen. Das ist besonders schwierig nach so vielen Jahren Krieg, in denen zahlreiche Milizen mit unterschiedlichen Interessen und Ideologien entstanden sind. Dazu kommt, dass 56 Jahre Baath-Herrschaft die Zivilgesellschaft zerstört haben. Jegliche Art von Zusammenarbeit oder organisierter Gesellschaftsarbeit galt als Bedrohung für das Assad-Regime.

    Mit dem Beginn der Revolution entstanden viele NGOs, Parteien und Mediengruppen, durch die eine neue Zivilgesellschaft aufgebaut wurde. Dabei wurden allerdings auch Fehler gemacht: Einige syrische NGOs und zivilgesellschaftliche Gruppen haben ihre Projekte auf die Interessen der Geldgebenden ausgerichtet, um überhaupt finanzielle Unterstützung zu erhalten. Doch die meisten Menschen in Syrien brauchen ganz andere Formen der Unterstützung. Einige NGOs wurden wie Familienbetriebe geführt, in denen nur Familienmitglieder arbeiten durften. Außerdem gab es Konkurrenz untereinander. Doch aus diesen Fehlern können wir lernen.

    Nun gibt es jedoch auch große, etablierte NGOs, auf die viele Syrer*innen stolz sind, zum Beispiel die Weißhelme. Ich wünsche mir, dass diese Erfahrungen und das gesammelte Wissen nicht nur im Exil oder in Nordsyrien angewendet werden, sondern im ganzen Land.

    Viele Menschen vertrauen auf uns Syrer*innen und wir sind überzeugt, dass wir viel erreichen können. Denn wir können es wirklich!

    PS:  Danke und shukran, dass du dabei bist! Falls du neu dazu gekommen bist, fülle bitte diese kurze Umfrage aus.

     

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    Eine kurze Zusammenfassung der Lage:

    Mögliche Aufhebung humanitärer EU-Sanktionen

    • Frankreichs Außenminister kündigte an, dass die EU-Sanktionen gegen Syrien, die humanitäre Aspekte betreffen, möglicherweise bald aufgehoben werden.

    Opfer durch Kriegsüberreste

    • Zwischen Ende November 2024 und Anfang Januar 2025 starben 32 Zivilist*innen – darunter mehrere Kinder – durch explodierende Kriegsreste. Dutzende weitere wurden zum Teil schwer verletzt.

    Stromversorgung: Schiffe aus Katar und der Türkei

    • Zwei schwimmende Kraftwerke (800 MW Leistung) könnten rund die Hälfte der derzeitigen Stromproduktion in Syrien ergänzen. Damit würde die Stromversorgung für die Bevölkerung um circa 50 % steigen.
    • Jordanien signalisiert Bereitschaft, kurzfristig 250 MW Strom zu liefern, sofern die Leitungen in Syrien repariert werden.

    Militärisches Vorgehen Israels in al-Quneitra

    • Die israelische Armee führte im Südwesten Syriens Gelände- und Zerstörungsarbeiten durch und erklärte Teile der Region zum „militärischen Sperrgebiet“.
    • Einwohner*innen beklagen dahingehend die Untätigkeit der neuen syrischen Behörden und der internationalen Gemeinschaft.

    US-Abzug unter Präsident Trump?

    • Die geopolitische Expertin Caroline Rose rechnet mit einem raschen und vollständigen Abzug der US-Truppen aus Syrien und dem Irak.
    • Dies könnte türkische Offensiven gegen kurdische Einheiten (QSD) begünstigen.

    Ernährungssituation

    • Syrien steht laut Welternährungsprogramm (WFP) weltweit an sechster Stelle bezüglich Ernährungsunsicherheit.
    • Die Regierung hat den Preis für Brot erheblich angehoben, was die Bevölkerung stark belastet.
      • Offizielle Stellen betonen, der Staat übernehme weiterhin einen Teil der Produktionskosten und peile bis 2026 eine Eigenversorgung mit Weizen an.

    Neue US-Lizenz (OFAC) für Transaktionen in Syrien

    • Das US-Finanzministerium lockert bestimmte Sanktionen und erlaubt zeitlich befristet Transaktionen mit staatlichen Institutionen und im Energiesektor.
    • Die Grundfunktionen (Strom, Wasser etc.) sollen damit unterstützt werden, ohne die Sanktionen gegen sanktionierte Personen aufzuheben.

    Aussagen zum Verbleib syrischer Geflüchteter in Deutschland

    • Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hält die Aufnahme einer Arbeit für den wichtigsten Faktor, um dauerhaft in Deutschland zu bleiben.
    • Die CDU/CSU hält dagegen, dass Erwerbstätigkeit allein nicht genüge, sondern ein ausreichendes Einkommen im Alter nötig sei.

    Stromprojekte und Leitungsreparaturen

    • Die syrische Seite muss beschädigte Leitungen instand setzen, um Strom aus Jordanien beziehen zu können.
    • Parallel arbeiten syrische Behörden an der Integration der aus Katar und der Türkei gelieferten Stromerzeugungsschiffe.

    US-Gesandter und Kurdischer Nationalrat

    • Bei einem Treffen wurde die Notwendigkeit hervorgehoben, dass kurdische Parteien geschlossen gegenüber Damaskus auftreten.
    • Die US-Seite bekräftigte ihre Unterstützung für die Rechte der Kurd*innen und einen demokratischen Staatsaufbau.

    Gespräche mit kurdischen Truppen

    • Laut der türkischsprachigen Tageszeitung „Hürriyet“ lehnte Damaskus sowohl den Wunsch der QSD nach einem eigenständigen Korps in der neuen syrischen Armee als auch eine 50:50-Aufteilung der Öleinnahmen ab.

    Weitere Details zur US-Lizenz

    • Transaktionen mit militärischen oder nachrichtendienstlichen Stellen bleiben ausgeschlossen.
    • Ein- und Ausfuhren von Energie und private Überweisungen sind unter bestimmten Bedingungen vorübergehend erlaubt.

    Geplantes Treffen Blinkens in Rom

    • US-Außenminister Antony Blinken beabsichtigt, sich mit europäischen Amtskolleg*innen zu Syrien-Fragen zu beraten. Dabei soll es um einen friedlichen politischen Übergang und die Stärkung der Stabilität nach dem Sturz des Assad-Regimes gehen.

    Türkische Drohung gegen die YPG

    • Außenminister Hakan Fidan kündigte an, notfalls militärisch in Nordostsyrien gegen die kurdische YPG- Miliz vorzugehen, sollten türkische Forderungen nicht erfüllt werden.

    Abschiebungen aus dem Libanon

    • Bislang wurden 471 Personen an die syrischen Behörden übergeben. Insgesamt sitzen 2.297 syrische Staatsbürger*innen in libanesischen Gefängnissen.
    • Der libanesische Innenminister erklärt, dass kein gesuchter syrischer Flüchtling im Libanon „versteckt“ werde und bisher keine Rückführungsanträge aus Syrien eingegangen seien.

    Neue syrische Regierung kündigt Rechtsverfahren gegen Kriegsberichterstattende an

    Der syrische Informationsminister der geschäftsführenden Regierung, Mohammed al-Umr, hat angekündigt, dass jene Kriegsberichterstattende, die gemeinsam mit dem gestürzten Assad-Regime Verbrechen begangen und Blutvergießen unter der Zivilbevölkerung verursacht haben, den zuständigen Justizbehörden übergeben werden.

    In einer Presseerklärung betonte Al-Umr, dass die Kriegsberichterstattenden des abgesetzten Regimes vor Gericht gestellt und gemäß der Grundsätze der Übergangsjustiz behandelt würden. Damit komme die Regierung den Forderungen der Bevölkerung nach Gerechtigkeit nach.

    Medienlandschaft im Wandel

    Darüber hinaus arbeite sein Ministerium derzeit an klaren Standards, die einerseits die Pressefreiheit gewährleisten und andererseits den Werten des neuen Syriens entsprechen. Al-Umr hob hervor, dass die Medien während der Herrschaft des früheren Regimes fest in den Händen der Geheimdienste gewesen seien und der Einfluss dieser Strukturen nun überwunden werden müsse.

    Al-Umr stellte klar, dass die syrischen Medien heute frei seien und die Hoffnungen sowie Forderungen der Menschen wahrheitsgetreu widerspiegeln. Sie seien dabei ihren Werten und Prinzipien fest verpflichtet. Er wies außerdem darauf hin, dass die Syrische Nachrichtenagentur (SANA) wieder reaktiviert worden sei und nun als verlässliche Quelle für offizielle Nachrichten diene.

    Zugleich arbeite das Ministerium an einem umfassenden Mechanismus, um in naher Zukunft offizielle Regierungssprecher*innen zu ernennen, die die Kommunikation mit den Medien erleichtern sollen. Journalist*innen, die sich vom früheren Regime losgesagt hätten, sollen eine zentrale Rolle beim Aufbau der neuen syrischen Medienlandschaft spielen.

    Bereits am 14. Dezember hatte das syrische Informationsministerium der geschäftsführenden Regierung über seine offiziellen Kanäle hervorgehoben, dass alle Kriegsberichterstattende, die an der kriminellen Kriegsführung des gestürzten Regimes gegen das syrische Volk beteiligt waren, einem fairen Gerichtsverfahren unterzogen werden sollen.

    Reporter ohne Grenzen fordert Gerechtigkeit

    Nach dem Sturz des syrischen Regimes erklärte Reporter ohne Grenzen (ROG): „Assad und seine Verbündeten haben mehr als 181 Journalistinnen und Journalisten aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit getötet. Am Tag des Sturzes des Regimes durch die Hayat Tahrir ash-Sham am 9. Dezember 2024 saßen mindestens 23 Journalistinnen und Journalisten in den Gefängnissen des Landes ein, während 10 als vermisst galten, von denen 7 Opfer erzwungenen Verschwindens waren.

    Reporter ohne Grenzen begrüßt zwar das Ende eines der repressivsten Regime in der jüngeren Geschichte, das Syrien auf Platz 179 von insgesamt 180 Ländern im weltweiten Pressefreiheitsindex geführt hat. Gleichzeitig fordert die Organisation, dass den Journalist*innen, die getötet, verletzt, inhaftiert oder vermisst wurden, Gerechtigkeit widerfährt. Die Verantwortlichen, die künftig die Geschicke Syriens leiten, müssten sicherstellen, dass eine neue Ära der Pressefreiheit eingeläutet wird.

    ROG wies außerdem darauf hin, dass die Streitkräfte des früheren syrischen Regimes Anfang Dezember – wenige Tage vor dem Sturz Baschar al-Assads und seiner Flucht – versucht hätten, das Vorrücken von Oppositionsgruppen aus Idlib auf die Hauptstadt zu stoppen. Dabei seien zwei Journalisten getötet worden, die gerade die Kämpfe dokumentierten: Mustafa al-Kurdi, der für das Online-Magazin „Fox Halab“ und als Korrespondent der türkischen Radio- und Fernsehanstalt (TRT) in Aleppo arbeitete, sowie Anas al-Kharboutli, Fotograf der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

    Mit diesen Vorgängen zeichnet sich ein tiefgreifender Wandel der syrischen Medienlandschaft ab: Während die Übergangsregierung Gerechtigkeit für im Auftrag des alten Regimes begangene Medienverbrechen anstrebt, fordern internationale Organisationen wie Reporter ohne Grenzen, die neue Regierung müsse nun die Chance nutzen, eine echte Pressefreiheit zu garantieren und so einen Neubeginn für den Journalismus in Syrien zu ermöglichen.

    Der Grundstein für Syriens Zukunft

    Der syrische Außenminister Asad al-Schaibani verkündete am Dienstag, dass die neue Regierung an der Bildung eines breit angelegten Vorbereitungskomitees arbeite, das die verschiedenen Teile der Bevölkerung repräsentieren soll. Dieses Komitee soll eine nationale Dialogkonferenz vorbereiten, die nach seinen Worten den „Grundstein“ für die Zukunft des Landes nach dem Sturz von Baschar al-Assad legen werde.

    Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Amman mit seinem jordanischen Amtskollegen Aiman as-Safadi erklärte al-Schaibani auf die Frage nach dem Termin für den nationalen Dialog, den die neue Führung bereits angekündigt habe: „Wir haben mit der Konferenz ein wenig gewartet, obwohl sie bereits Anfang Januar hätte stattfinden können.“

    Weiter führte er aus: „Wir haben uns entschieden, ein breit angelegtes Vorbereitungskomitee zu bilden, dem Damen und Herren angehören, (…) das die umfassende Repräsentation des syrischen Volkes gewährleisten kann.“ Dieses Komitee solle „Vertreter aller Gesellschaftsschichten und Provinzen Syriens“ einschließen.

    „Syrien ist geeint“

    Al-Schaibani betonte: „Wir sind in Syrien ein vielfältiges Land. Diese Vielfalt können wir entweder als Chance und Kraftquelle begreifen oder als Problem betrachten. Wenn wir sie als Chance sehen, dann können wir von allen profitieren, um das künftige Syrien aufzubauen.“

    Er fügte hinzu: „Wir werden Syrien nur als ein vereintes Land betrachten, mit all seinen Bürgerinnen und Bürgern, seinen verschiedenen Gruppen und seiner Vielfalt. Wir werden nicht erfolgreich sein, wenn wir diesen Weg nicht einschlagen.“

    Einen konkreten Zeitpunkt für die Bildung des Komitees oder den Termin der Konferenz nannte al-Schaibani nicht. Er sagte lediglich: „Wir wollen, dass diese Konferenz den Willen des syrischen Volkes widerspiegelt. Wir betrachten sie als Grundstein für das zukünftige Syrien. Sie wird befähigt sein und die Zuständigkeit besitzen, die politische Identität des syrischen Volkes zu gestalten.“

  • Die syrische Medienlandschaft

    Facebook ist das soziale Netzwerk, auf dem die meisten Syrer*innen aktiv sind. Dort wird diskutiert, aber es kommt auch zu Streit. Seit dem 8. Dezember, als Assad gestürzt wurde, ist die syrische Community dort besonders aktiv – nicht nur die Syrer*innen im Exil, sondern auch jene in Syrien. Facebook ist ein wichtiger Kanal, über den sich Syrer*innen austauschen können.

    Allerdings wird dort oft sehr emotional und übertrieben diskutiert. Soziale Medien spiegeln nicht immer die Wirklichkeit wider, sondern können eine ganz andere Realität erzeugen, die nicht unbedingt richtig ist. Eine besondere Gefahr sind dabei sogenannte „Fake News“, bei denen viele falsche Informationen veröffentlicht und geteilt werden. Das ist besonders gefährlich, weil die syrischen Staatsmedien noch nicht in der Lage sind, sich zu erneuern, die neuen Entwicklungen zu analysieren und aktiver zu agieren. Die Medien leben noch immer in der Assad-Zeit.

    Private Medien gibt es in Syrien kaum, und auch die Medien, die gegen Assad waren, sind zwar nach seinem Sturz sehr aktiv, haben ihre redaktionelle Ausrichtung jedoch noch nicht an die aktuelle Lage angepasst. Die relevanten Medienstrukturen sind also ganz anders als jene, die eine neutrale Berichterstattung für alle Syrer*innen bieten könnten. Es wird Zeit brauchen, bis die syrische Medienlandschaft ihre Redaktionslinien an die neue Situation anpasst. Bis dahin bleiben die sozialen Medien, allen voran Facebook, ein besonders wichtiger Kanal.

    Trotzdem finde ich es sehr wichtig, dass alle Syrer*innen eine eigene Meinung bilden und diese äußern. Auch wenn einige Beiträge sehr kritisch oder emotional sind, brauchen wir diese Stimmen und Perspektiven. Allerdings sollte unser Blick auf die Dinge mehr als nur eine persönliche Sichtweise sein. Wir Syrer*innen müssen neue Initiativen, Vereine, Parteien, Foren und Gruppen gründen. Ohne Zusammenarbeit und Austausch untereinander können wir weder in Syrien noch anderswo wirklich etwas bewirken.

    Es wird Zeit brauchen, um gemeinsam zu arbeiten und Vertrauen aufzubauen, und wir werden sicherlich Fehler machen – doch nur so können wir lernen. Das passiert auch in Syrien und auf Facebook und ist im Grunde positiv. Wichtig ist, dass wir lernen, einander zuzuhören und miteinander zu diskutieren, anstatt gegeneinander zu reden.

    Bis dahin wünsche ich uns allen, als Syrer*innen, alles Gute

    Liebe Grüße
    Hussam Al Zaher

    Chefredakteur

    PS:  Danke und shukran, dass du dabei bist! Falls du neu dazu gekommen bist, fülle bitte diese kurze Umfrage aus.


    Eine kurze Zusammenfassung der Lage:

    • Landminen und Opfer:
      Laut des Syrischen Netzwerkes für Menschenrechte starben seit 2011 in Syrien 3521 Zivilist*innen – darunter 931 Kinder und 362 Frauen – durch Landminen. Mehr als 10.000 Menschen wurden verletzt. Der Bericht warnt, dass Minen die Rückkehr Geflüchteter und den Wiederaufbau gefährden, und fordert die neue Regierung sowie die UNO zum Handeln auf.
    • Asylpolitik und Reaktionen:
      In Frankreich sind rund 700 Asylanträge von Syrer*innen vorerst ausgesetzt. Zudem haben etwa zehn europäische Staaten nach dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember beschlossen, syrische Asylanträge zu prüfen oder auszusetzen. Auch Deutschland gehört dazu. Die USA kündigten an, ihre Hilfe für Syrien in humanitärer Hinsicht zu lockern.
    • Politische Initiativen und Außenpolitik:
      US-Außenminister Blinken will mit europäischen Amtskolleg*innen in Rom über einen friedlichen, inklusiven Übergang in Syrien beraten. Nach einem Besuch in Damaskus erklärte Frankreichs Außenminister Barrot, dass keine ausländische Macht Syrien ausnutzen dürfe, und stellte eine mögliche Lockerung bestimmter Sanktionen in Aussicht. Präsident Macron versprach zudem, die kurdischen SDF-Kämpfer nicht im Stich zu lassen.
    • Situation vor Ort:
      Die neue syrische Verwaltung erfasst das Ausmaß der Kriegszerstörungen, um den Wiederaufbau voranzutreiben. Der kommissarische Finanzminister berichtet von Unregelmäßigkeiten und „Geisterangestellten“, was die geplante Gehaltserhöhung verzögert. In Afrin kehrten rund 4000 Familien zurück, wobei der Kurdische Nationalrat die Rückkehr unterstützt.

      • Türkische Behörden planen derweil den erleichterten Import syrischer Pistazien, um die durch „Dubai-Schokolade“ steigende Nachfrage zu decken und Preise zu stabilisieren.
    • Vermisste und Kinder:
      Die Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz betont, dass die Klärung des Schicksals der Vermissten Jahre dauern könnte. Laut Syrischer Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden 100 Kinder politischer Gefangener in Damaskus an ihre Familien übergeben.
    • Zukunftsperspektive:
      Ein Bericht der Zeitschrift „Foreign Affairs“ warnt, dass nur ein geeintes Syrien langfristige Stabilität garantieren könne. Ein gespaltenes Land würde zu neuen Konflikten und möglichen internationalen Interventionen führen. Die USA sollten sich zurückziehen, sobald es Garantien gibt, dass die neue syrische Führung in der Lage ist, Terrorgruppen einzudämmen und die Rechte der Kurd*innen zu schützen.

    Pläne des Innenministeriums über Verbleib von Syrer*innen in Deutschland

    Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser vertritt die Auffassung, dass einige Syrer*innen, die nach Deutschland geflohen sind, unter bestimmten Bedingungen in ihre Heimat zurückkehren sollten. In einem Interview mit den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, das am Sonntag veröffentlicht wurde, erklärte Faeser: „Entsprechend unserem Gesetz wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die gewährte Schutzberechtigung überprüfen und widerrufen, wenn die Menschen diesen Schutz in Deutschland nicht mehr benötigen, weil sich die Lage in Syrien stabilisiert hat.“

    Sie fügte hinzu, dass dies für Personen gelten wird, die kein Bleiberecht aus anderen Gründen wie Arbeit oder Ausbildung haben und nicht freiwillig nach Syrien zurückkehren. Faeser betonte, dass das Auswärtige Amt und das Innenministerium gemeinsam daran arbeiten, ein klareres Bild von der Situation in Syrien nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Baschar al-Assad zu erhalten.

    Laut Angaben des Innenministeriums leben derzeit rund 975.000 Syrer*innen in Deutschland, von denen die meisten nach 2015 aufgrund des syrischen Bürgerkriegs eingereist sind. Mehr als 300.000 von ihnen verfügen über einen subsidiären Schutzstatus, weil sie nicht aufgrund persönlicher Verfolgung, sondern wegen des Bürgerkriegs in ihrer Heimat aufgenommen wurden.

    Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte kürzlich entschieden, wegen der dynamischen Entwicklungen in Syrien vorübergehend keine Entscheidungen über Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen zu treffen.

    Faeser wies auch darauf hin, dass Deutschland sich besonders auf Sicherheitsfragen konzentriere und die Bundesregierung dabei eng mit europäischen und internationalen Partnern zusammenarbeite. Weiter sagte sie: „Diejenigen, die sich gut integriert haben, Arbeit haben, Deutsch gelernt haben und hier eine neue Heimat gefunden haben, sollten in Deutschland bleiben dürfen.“

    Zugleich betonte sie, dass Menschen, die zurückkehren möchten, unterstützt werden müssten. Straftäter dagegen müssten so schnell wie möglich abgeschoben werden. Die rechtlichen Möglichkeiten dafür seien deutlich ausgeweitet worden und würden genutzt, sobald die Lage in Syrien dies erlaube.

    Flughafen in Damaskus nimmt internationalen Betrieb ab dem 7. Januar wieder auf

    Der Leiter der syrischen Zivilluftfahrt- und Transportbehörde, Ashhad as-Salibi, gab bekannt, dass der Internationale Flughafen Damaskus ab dem 7. Januar dieses Jahres wieder internationale Flüge abfertigen wird. Zuvor hatte bereits der syrische Verkehrsminister Baha ad-Din Scharm erklärt, der Flughafen könne binnen einer Woche wieder Flüge empfangen.

    As-Salibi sagte am Samstag: „Wir geben bekannt, dass wir ab dem 7. Januar wieder internationale Flüge von und nach dem Internationalen Flughafen Damaskus aufnehmen. Wir haben alle Beschäftigten dazu aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren.“

    Am 8. Dezember vergangenen Jahres wurden alle Angestellten aus dem Flughafen Damaskus evakuiert, und sämtliche Flüge wurden eingestellt – als Folge der militärischen Auseinandersetzungen vor dem Sturz Assads. Bereits im letzten Monat hatte die Flughafenverwaltung angekündigt, dass alle Flüge ausgesetzt bleiben, mit Ausnahme derjenigen, die eine spezielle Genehmigung von der Zivilluftfahrtbehörde erhalten.

    Die Fluggesellschaft Qatar Airways gab in einer Erklärung bekannt, dass sie ihre Flüge nach Syrien ab dem 7. Januar wieder aufnehmen werde. Geplant seien zunächst drei wöchentliche Flüge nach Damaskus – nach rund 13 Jahren Unterbrechung.

    Datenbank über das Ausmaß der Zerstörung in Syrien geplant

    Der geschäftsführende syrische Minister für Kommunalverwaltung, Muhammad Muslim, erklärte, dass die neue syrische Verwaltung bestrebt sei, eine klare Datenbank über das Ausmaß der Zerstörung in Syrien aufzubauen. Er wies darauf hin, dass das Ministerium sich in erster Linie auf den Wiederaufbau der durch den Krieg und die Bombardierungen zerstörten Häuser konzentriere, um eine sichere und würdevolle Rückkehr der Vertriebenen zu ermöglichen. Weiter sagte er laut der Nachrichtenagentur SANA: „Die Priorität wird bei Einrichtungen liegen, die grundlegende Dienstleistungen wie Brot, Wasser und Strom bereitstellen.“

    Muslim erläuterte, dass erste Luftaufnahmen einiger zerstörter Gebiete ein gewaltiges Ausmaß an Zerstörung in Städten und ländlichen Regionen zeigten. Es würden spezialisierte Teams eingesetzt, die professionelle Bestandsaufnahmen durchführten, um Pläne und Ziele für die kommende Phase festzulegen. Er betonte zudem, dass das Ministerium sich noch in der Phase der Erfassung aller Bereiche befinde, die einen Wiederaufbau erfordern. Dabei merkte er an, dass das Assad-Regime früher niemals präzise Statistiken für die Provinzen erstellt habe.

  • Haben internationale Gemeinschaften versagt?

    Alle Länder, selbst arabische Staaten, haben ihre eigenen Bedingungen, um eine Beziehung zur neuen Regierung in Syrien aufzubauen, die HTS (Hay’at Tahrir ash-Sham) anzuerkennen oder die Sanktionen aufzuheben. Dabei heißt es stets, ein demokratisches System müsse geschaffen und Minderheiten müssten geschützt werden. Das klingt zwar schön und gut, und wir begrüßen es grundsätzlich, aber auf der anderen Seite sind es oft dieselben Länder, die selbst kein demokratisches System haben oder ihre eigenen Minderheiten nicht schützen.

    Gleichzeitig fragt sich eine Vielzahl von Syrer*innen: Wo waren diese Länder bisher? Wo waren die UN, die EU und andere arabische Länder? Wie konnten sie zulassen, dass Assad in seinem Krieg gegen die eigene Bevölkerung mehr als 500.000 Menschen tötete, über 100.000 Menschen verhaften ließ und niemand weiß, ob sie noch leben oder längst umgebracht wurden – und wenn sie getötet wurden, wo ihre Leichen sind? Obwohl Assad gestürzt ist und alle Gefängnisse eigentlich leer sein sollten, gibt es immer noch Tausende Verschwundene. Niemand weiß, wo sie sich befinden.

    Aktuell kursiert in den sozialen Netzwerken ein eindrückliches Video: Eine syrische Frau attackierte das Fahrzeug eines UN-Teams, das das Gefängnis von Saidnaya bei Damaskus besuchte, mit ihrem Schuh. Bei der Ankunft der UN-Delegation am Eingang dieses berüchtigten Gefängnisses stürzte sich die Frau auf eines der Autos. Sie rief: „Wozu kommt ihr jetzt noch? Wir wollen euch nicht mehr!“, und warf ihren Schuh auf den Wagen, in dem sich der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen, befand. Laut der Nachrichtenagentur AFP hat die Frau einen Bruder und zwei Cousins, die vermisst werden. Sie waren Insassen im Saidnaya-Gefängnis.

    Warum hat die internationale Gemeinschaft die Syrer*innen nicht geschützt? Warum hat sie zugelassen, dass die Hisbollah, iranische und andere schiitische Milizen sowie Russland nach Syrien kamen, um dort Syrer*innen zu töten? Niemand kann diese Fragen wirklich beantworten. Es scheint, als sei alles „zu kompliziert“. Niemand kann dieser Frau und anderen syrischen Familien die verlorene Zeit zurückgeben oder ihre Kinder aus Assads Gefängnissen befreien. Die internationale Gemeinschaft hat in Syrien – wie auch in anderen Ländern – versagt.

    Danach, als die Syrer*innen es aus eigener Kraft geschafft hatten, sich gegen das diktatorische Regime zu erheben – ein Regime, das einen großen Teil der Bevölkerung unterdrückte – rufen plötzlich alle Länder an und sagen: „Ihr müsst dies und das tun.“ Doch das Problem liegt nicht nur bei der Frage des Minderheitenschutzes.

    Ein großer Teil der syrischen Geschichte, wenn man sie versteht, erinnert an die Zeit, als England und Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts das Osmanische Reich unter Druck setzten, mit der Begründung, sie müssten die Christen und andere Minderheiten schützen. In Wirklichkeit ging es um ihren eigenen Einfluss im Land. Später übernahm Frankreich während der Kolonialzeit die Kontrolle in Syrien und kümmerte sich letztlich auch nicht um den Schutz der Minderheiten.

    Heute scheint es ähnlich zu sein: Einige Länder gebrauchen das Thema „Minderheitenschutz“ als Vorwand, um Einfluss in Syrien zu gewinnen. Fast alle haben bereits ihren Einfluss dort verloren und versuchen nun, über den „Schutz“ von Minderheiten wieder einen Fuß in die Tür zu bekommen.

    Letztlich ist der Nahe Osten schon lange ein großes Spielfeld, auf dem zahlreiche Staaten ihre Machtspiele treiben. Die Frage ist, ob all diese Länder nach dem langen Krieg in Syrien und im Nahen Osten nun tatsächlich bereit sind, den Syrer*innen beim Wiederaufbau ihres Landes zu helfen – oder ob sie sie weiterhin unterdrücken wollen, nur um Einfluss in Syrien zu gewinnen.

    Liebe Grüße
    Hussam Al Zaher

    Chefredakteur

    PS:  Danke und shukran, dass du dabei bist! Falls du neu dazu gekommen bist, fülle bitte diese kurze Umfrage aus.


    Eine kurze Zusammenfassung der Lage:

    Sicherheitslage und Tötungsdelikte:

    • Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtet von 118 getöteten Personen (darunter vier Frauen und zwei Kinder) seit dem Sturz des früheren syrischen Regimes.
    • Es kam zu 76 Verbrechen in verschiedenen Landesteilen.
    • Die Verbreitung von Waffen und das allgemeine Chaos haben zu einem deutlichen Anstieg von Gewalt und Mordfällen geführt.

    Zerstörte Infrastruktur:

    • Laut „Koordinatoren der Syrien-Hilfe“ sind über 58.000 Häuser in Aleppo, Hama, Idlib, Homs und im Umland von Damaskus beschädigt oder völlig eingestürzt.
    • 16.333 Häuser gelten als komplett zerstört, 21.844 als teilweise beschädigt und 19.483 als leicht beschädigt.
    • 358 Kilometer Straßen und 48 Brücken wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen. Zahlreiche Wasser-, Strom- und Abwassernetze sowie 107 Gesundheitseinrichtungen und 498 Bildungseinrichtungen erlitten ebenfalls Schäden.

    Diplomatische Entwicklungen:

    • Eine syrische Delegation unter Leitung von Außenminister Asʿad al-Schaybani besuchte erstmals seit dem Sturz Baschar al-Assads das Ausland und traf in Saudi-Arabien ein.
    • Begleitet wurde er von Verteidigungsminister Marhaf Abu Qasra und Geheimdienstchef Anas Chattab.

    Angebliche Vergiftung Baschar al-Assads:

    • Das russische Telegram-Konto „General SVR“ behauptet, bei Assad seien Giftstoffe gefunden worden, was auf einen Mordversuch hinweisen könnte.
    • Offizielle Bestätigungen liegen nicht vor und die Quelle gilt als schwer verifizierbar.

    Großrazzien in Homs:

    • In Zusammenarbeit mit der Abteilung für militärische Operationen führte das Innenministerium Durchsuchungen in mehreren Stadtteilen von Homs durch. Ziel war die Verhaftung von Kriegsverbrechern und Personen, die Waffen nicht abgegeben haben.
    • Mehrere Konvois wurden zudem an die Küste verlegt, um dort die Sicherheitslage zu stabilisieren. Laut exklusiven Quellen stehen auch hochrangige Offiziere des alten Regimes auf den Fahndungslisten.

    Gesundheitslage:

    • WHO-Sprecherin Margaret Harris warnt, dass über 15 Millionen Menschen in Syrien dringend medizinische Versorgung benötigen.
    • Gesundheitseinrichtungen sind teils stark beschädigt oder überlastet.
    • Die WHO betont die Bedeutung einer umgehenden Hilfe durch die internationale Gemeinschaft.

    Ausmaß der Überwachung unter Assad:

    • Neue Geheimdokumente zeigen, wie der ehemalige Machthaber Baschar al-Assad die gesamte Bevölkerung – selbst innerhalb von Familien oder in Schulen – ausspionieren ließ.
    • Viele Details über das Privatleben Tausender Bürger*innen wurden akribisch festgehalten; sogar Kinder blieben nicht verschont.
    • Ehemalige Gefangene standen auch nach ihrer Freilassung weiter unter Beobachtung.

    Änderungen im Lehrplan

    Die Entscheidung des syrischen Bildungsministeriums in der Übergangsregierung, teilweise Änderungen an den Lehrplänen vorzunehmen, hat in Syrien große Diskussionen ausgelöst.

    Das Ministerium beschloss zudem, das Fach „Nationale Erziehung“ abzuschaffen, „weil es falsche Informationen enthalte, die der Propaganda des entmachteten Assad-Regimes dienen und seine Parteigrundsätze festigen sollen.“

    Im Rahmen der neuen Lehrplanänderungen wurden Passagen und Textstellen entfernt, die sich auf das Assad-Regime und den „Befreiungskrieg im Oktober“ (ḥarb tašrīn al-taḥrīriyya) beziehen. Ebenso wurden bestimmte Bilder gestrichen oder verändert.

    Darüber hinaus wurden jene Passagen gelöscht, die die osmanische Herrschaft als „tyrannische Osmanenherrschaft“ bezeichnen, sowie „schwache Hadithe“, Themen zum „Ursprung und zur Entwicklung des Lebens“ und zur „Entwicklung des Gehirns“.

    Zu den Änderungen, die für besonders viel Aufsehen sorgten, gehören:

    • Die Ersetzung der Formulierung „zur Verteidigung des Vaterlandes“ durch „auf dem Weg Gottes“.
    • Das Streichen der Gestalt „Zenobia“ aus dem Buch für islamische Erziehung.
    • Die Entfernung der Figur „Chawla bint al-Azwar“, da sie als „fiktiv“ gilt.
    • Das Entfernen des Wortes „Gesetz“ in der Wendung „Einhaltung von Gesetz und Scharia“.
    • Die Änderung der Auslegung von „al-maġḍūb ʿalaihim wal-ḍāllīn“ (die „vom rechten Weg Abgekommenen“) von „sie verirrten sich vom Pfad des Guten“ hin zu „die Juden und Christen“.

    Jüdische Gemeinschaft in Syrien

    Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Syrien, Bachur Schammtob, erklärte laut „Rudaw Digital“, dass sich im Ausland lebende Jüd*innen mit ihm in Verbindung setzen, um die Eliyahu-Hanavi-Synagoge im Damaszener Stadtteil Dschobar nach den Schäden des 13 Jahre andauernden Konflikts wiederaufzubauen.

    Der 74-jährige Schammtob, der gemeinsam mit einigen syrischen Jüd*innen zum ersten Mal seit 15 Jahren die Synagoge besuchte, sagte: „Vor dem Konflikt war die Synagoge intakt. Wir konnten sie ganz selbstverständlich betreten. Jetzt bin ich verstört und schockiert, sie in diesem Zustand zu sehen. Wir hoffen, dass sie wieder so wird, wie sie einmal war, aber das wird Zeit brauchen.“ Er betonte, dass diese Synagoge für die jüdische Gemeinschaft in Syrien von großer Bedeutung sei.

    Schammtob erläuterte, dass sie vor Ausbruch des Krieges regelmäßig samstags zum Beten nach Dschobar kamen. „Ich erinnere mich noch an die auf Hirschleder geschriebene Tora, die Kronleuchter, Gemälde und Teppiche – all das ist verschwunden und wurde wahrscheinlich von Dieben gestohlen.“

    Er fügte hinzu, dass er trotz des Krieges und obwohl alle seine zwölf Geschwister das Land verließen, selbst nicht aus Syrien fortgehen wollte. „Ich bin zufrieden – ich bin zwar Jude, doch alle mögen mich. Egal wo ich hinkomme, begrüßen sie mich mit ‚Schalom, Schalom‘. Ich habe keine Probleme, ganz im Gegenteil“, sagte er.

    Weiter erläuterte Schammtob: „Wenn die Leute erfahren, dass ich Jude bin, dann zeigen sie mir gegenüber Freude. Sie mögen Juden, aber manche haben ein falsches Bild von uns. Wenn sie jedoch mit uns zusammenleben, merken sie, dass dieses Bild nicht stimmt. Der Jude ist friedlich, er schadet niemandem, verursacht keine Probleme.“

    Die Eliyahu-Hanavi-Synagoge im Stadtteil Dschobar gilt als eines der ältesten jüdischen Gotteshäuser der Welt. Ihr Bau geht auf das Jahr 720 v. Chr. zurück. Sie wurde schwer beschädigt: Wände und Dächer sind eingestürzt, und ein Teil ihrer historischen Gegenstände ging verloren.

    Mutmaßliche Verwicklung früherer Assad-Anhänger in Kindesentführungen

    In jüngster Zeit kursieren unter Syrer*innen Dokumente, die belegen sollen, dass Angehörige des entmachteten Assad-Regimes an Kindesentführungen beteiligt waren. Die Kinder wurden demnach nach Änderung von Namen und Identität in Waisenhäuser gebracht.

    Laut der Tageszeitung „al-Araby al-Jadeed“ deuten die Unterlagen darauf hin, dass diese Verbrechen unter Aufsicht ranghoher Geheimdienstapparate – allen voran des Luftwaffengeheimdienstes (al-Muchabarat al-Dschawwiyya) – und mit Kenntnis des syrischen Sozial- und Arbeitsministeriums verübt wurden.

    Dabei rückt auch wieder der Fall der syrischen Ärztin Rania al-Abbasi in den Fokus. Sie und ihre Kinder sind seit ihrer Verhaftung zu Beginn der syrischen Revolution verschwunden. Dies wirft erneut Fragen nach dem Schicksal Hunderter Kinder auf, deren Familien seit 2011 jede Spur verloren haben.

    Der Fall Rania al-Abbasi und die Rolle von „SOS“ bei der Identitätsänderung

    Die syrische Schachmeisterin Rania al-Abbasi wurde im März 2013 in ihrem Haus in Homs gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren fünf Kindern – Dima (14), Intisar (11), Najah (9), Walaa (8) und Layan (1,5) – verhaftet.

    Ihre Verhaftung wurde damit begründet, dass sie Hilfsgüter aus Homs bereitgestellt hatte, zu einer Zeit, als die syrische Revolution gerade begann. Ein Jahr später musste ihre Familie erfahren, dass Ranas Ehemann getötet worden war, nachdem sein Bild in den sogenannten „Caesar“-Dateien, die von einem geflüchteten Militärfotografen stammten, identifiziert wurde.

    Später tauchte in einem Werbeclip der internationalen Hilfsorganisation „SOS“ ein Mädchen auf, das nach Aussage von Rania al-Abbasis Bruder Hassan ihre Tochter sein könnte. Doch seine Versuche, mit der Organisation Kontakt aufzunehmen, um Informationen über den Verbleib seiner Nichten und Neffen zu erhalten, stießen auf Abwehr. Die Organisation beharrte darauf, dass das im Video gezeigte Mädchen eine Familie habe, die es regelmäßig besuche, und nicht mit der Familie al-Abbasi verwandt sei.

    Komplizenschaft mit dem Regime

    Hassan al-Abbasi beschuldigt die internationale Organisation „SOS“, die eng mit Asma al-Assad – der Ehefrau des gestürzten syrischen Machthabers Baschar al-Assad – verbunden sei, in die Fälle verschwundener Kinder verwickelt zu sein. Sie habe mit dem früheren syrischen Regime zusammengearbeitet, um Namen und Identitäten von Kindern inhaftierter Eltern zu verändern und diese Kinder verschwinden zu lassen.

    Gegenüber „al-Araby al-Jadeed“ betonte al-Abbasi, dass „SOS“ über die Umbenennung der Kinder Bescheid wusste, die vom syrischen Geheimdienst in die Obhut der Organisation überstellt wurden. Er bemühe sich mit allen Mitteln, das Schicksal der Kinder seiner Schwester in Erfahrung zu bringen.

    Außerdem forderte er Ermittlungen gegen Kinderbetreuungseinrichtungen, die mit dem Regime kooperierten, etwa das Waisenhaus „Sayyid Quraysch“ und „Dar al-Amān“, und wies darauf hin, dass einige Führungskräfte dieser Einrichtungen ranghohe Offiziere in den syrischen Sicherheitsbehörden gewesen seien.

    In diesem Zusammenhang schilderte Fida Dakouri, Leiterin der Kinderhilfsorganisation „Difa“, auf Facebook, dass bewaffnete Personen kürzlich das Gebäude ihrer Organisation durchsucht hätten. Dabei hätten sie nach vermissten Kindern gesucht, die möglicherweise in „SOS“-Einrichtungen untergebracht seien.

    Unklare Dokumentationen und fehlende Unterlagen

    Viele Vermisstenfälle werfen Zweifel an der Rolle von „SOS“ auf. Berichten zufolge fehlt es etlichen in Waisenhäuser gebrachten Kindern an jeglicher Dokumentation. Laut der offiziellen Darstellung von „SOS“ hatten die syrischen Behörden bis 2019 Kinder ohne Unterlagen in die Heime geschickt. Erst seit 2019 verlange die Organisation, dass Kinder nicht mehr ohne offizielle Dokumente überstellt werden.

    Betul Muhammad, Leiterin der Betreuungsdienste in einem der „SOS“-Kinderdörfer, wird in „al-Araby al-Jadeed“ damit zitiert, dass die Aufnahme von Kindern stets den festgelegten Verfahrensabläufen folge und man bei keiner der bisher überprüften Aufnahmen habe feststellen können, dass diese Kinder von Inhaftierten abstammten. Es habe keine Dokumente gegeben, die auf ihre tatsächliche Identität schließen ließen.

    Andererseits erklärt Asim al-Zuʿbi vom Menschenrechtsbündnis „Ahrar Horan“, dass viele Kinder, die in Waisenhäusern landeten, ihre ursprünglichen Namen oder Identitäten verloren hätten. Al-Zuʿbi glaubt, dass eine Identifizierung mithilfe der eigenen Familienangehörigen oder mittels DNA-Tests grundsätzlich möglich wäre.

    Nach seiner Einschätzung müssten sämtliche Verdachtsfälle, in denen Kindern neue Identitäten zugewiesen wurden, gründlich untersucht werden. Dies setze ernsthafte juristische und strafrechtliche Ermittlungen voraus.

    In diesem Sinne forderte auch der Aktivist Majd al-Amin im Gespräch mit „al-Araby al-Jadeed“ eine internationale Untersuchung zum Verbleib der in „SOS“-Waisenhäuser untergebrachten Kinder. Viele von ihnen hätten ursprünglich mit ihren Familien zusammen gelebt und seien entweder gemeinsam in Haft geraten oder aufgrund von Krieg und Misshandlungen in syrischen Gefängnissen voneinander getrennt worden. Al-Amin ist überzeugt, dass eine Umbenennung der Kinder für ihre Familien eine neue Tragödie darstelle, da die Suche nach ihnen dadurch erheblich erschwert werde.

    Viele Berichte dokumentieren ähnliche Fälle. So berichteten Kinder, die in „SOS“-Waisenhäusern aufwuchsen, sie seien unter undurchsichtigen Umständen dorthin gebracht worden. Alaa Radschub zum Beispiel wuchs in einer solchen Einrichtung auf. Er schildert in einem Video, das „al-Araby al-Jadeed“ vorliegt, dass er im Alter von sieben Jahren zusammen mit seinem Onkel verhaftet und anschließend in ein Kinderheim nach Damaskus gebracht wurde, wo man ihm einen neuen Namen gab. Später sei er aus Syrien geflohen, um nicht zum Militärdienst gezwungen zu werden.

    Forderung nach Aufklärung

    Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen pochen darauf, dass das Schicksal der in den vergangenen Jahren verschwundenen oder mutmaßlich umbenannten Kinder dringend aufgeklärt werden müsse. Sie weisen darauf hin, dass das Thema der verschwundenen Kinder, die seit Beginn der Revolution zusammen mit ihren Eltern verhaftet wurden, eine gravierende humanitäre Tragödie darstelle, die sofortige internationale Aufmerksamkeit verlange.

    Diese Organisationen drängen auf umfassende internationale Untersuchungen und Ermittlungen – insbesondere angesichts der neuen Indizien, wonach auch internationale Einrichtungen wie „SOS“ in Identitätsänderungen verwickelt gewesen sein könnten. Die Forderungen richten sich sowohl an die syrische Übergangsregierung als auch an internationale Menschenrechtsorganisationen, damit die Schicksale der betroffenen Kinder endlich geklärt werden.

  • Beginnt jetzt eine neue politische Ära in Syrien?

    in letzter Zeit konnte ich leider keine neue Folge dieses Newsletters schreiben. Das lag nicht daran, dass es weniger Informationen gab – im Gegenteil –, sondern daran, dass ich mir einfach eine kleine Pause genommen habe. Während dieser Pause habe ich allerdings viele Nachrichten gelesen und analysiert. Nun ist es ein wenig schwierig, nach der kurzen Auszeit wieder einen neuen Newsletter zu verfassen.

    Zunächst möchte ich über Ahmad al-Sharaa (al-Joulani) sprechen, der die Leitung von HTS innehat. In der vergangenen Woche hat er sein äußeres Auftreten verändert und seinen Anzug voller Selbstbewusstsein getragen – nicht allein, sondern in Zusammenarbeit mit fast allen neuen Ministern. Die Bilder zeigen, dass HTS nun als politische Kraft auftreten möchte und nicht länger als Rebellengruppe agieren will. Genau das hat Al-Sharaa auch in mehreren Interviews betont, zumal viele arabische Länder große Angst davor haben, dass aufgrund des Sturzes von Assad ein neuer „Arabischer Frühling“ entstehen könnte.

    Ich habe die Interviews mit Al-Sharaa angehört und bis jetzt zeigt sich, dass er ein sehr fähiger Politiker ist. Er sagt genau das, was andere Länder hören möchten. Jede seiner Botschaften wirkt, als lese er sie aus einem Handbuch ab. Auf bestimmte Fragen geht er allerdings nicht direkt ein. Das macht deutlich, dass wir es mit einer vollkommen neuen Art von Politikern zu tun haben, die sich an die gesamte arabische Welt richten und dabei ausgerechnet aus Syrien kommen – einem Land, das für viele arabische Staaten stets als Vorbild galt oder vielleicht immer noch gilt.

    Syrien war das erste Land, das sich vom Kolonialismus befreite. Dort fand auch der erste Militärputsch statt, bevor weitere arabische Länder Ähnliches erlebten. Außerdem entstand die Idee, dass Assad seine Macht an seine Kinder vererben könnte, was später auch in Libyen, Ägypten und dem Irak versucht wurde. Gleichzeitig kommt aus Syrien die Baath-Partei mit ihrer Idee des arabischen Nationalismus. Sie wollte eine „arabische Nation“ begründen, doch Syrien unter der Baath-Partei hat dafür viel Schmerz und Blutvergießen erleiden müssen.

    Al-Sharaa hingegen scheint anstelle dieses arabischen Nationalismus eher eine islamisch geprägte Form von Nationalismus zu verfolgen, ähnlich den Ansätzen von Mostafa El-Feki, dem ägyptischen Autor und ehemaligen Diplomaten. El-Feki meint: „Al-Sharaa und seine Gruppe vertreten eine völlig andere Denkrichtung und gehören zu einer vollkommen anderen Schule als das Übergangsdenken, das die Region seit den Tagen Adib asch-Schischaklis, Gamal Abdel Nassers und Muhammad Nagibs kennt. Es handelt sich um vollkommen andere Revolutionäre, die ich in diesem Sinne an den Rand stelle.“

    Zudem übt Al-Sharaa offenbar einen neuen intellektuellen Einfluss aus, der auf einer moderneren islamischen Identität beruht. Das ist etwas völlig anderes als die Baath-Partei und zugleich ein anderer Weg als der jener Muslimbruderschaft, die beide für eine recht harsche Rhetorik bekannt sind. Al-Sharaa hingegen wirkt vergleichsweise gemäßigt. Übrigens vertritt die Muslimbruderschaft meiner Ansicht nach eher einen „säkularen Islam“ türkischer Prägung, also eine Art „türkischen Säkular-Islam“.

    Die Frage ist: Was bedeutet das genau für Syrien und die Syrer*innen? Welche neue Form des säkularen Islam wird sich am Ende in Syrien etablieren? Auf diese Frage wird nur die Zeit eine Antwort geben.

    Ich wünsche dir einen guten Rutsch ins neue Jahr.

    PS:  Danke und shukran, dass du dabei bist! Falls du neu dazu gekommen bist, fülle bitte diese kurze Umfrage aus.


    Eine kurze Zusammenfassung der Lage:

    Israelische Truppenpräsenz in Syrien

    • Israelische Offiziere warnen vor einer möglichen Eskalation der Gewalt, sollte die israelische Armee länger in kürzlich besetzten Gebieten in Syrien verbleiben.
    • Die Soldaten fühlen sich frustriert, da es keine klaren Einsatzziele gebe.

    Fälschung von Pässen in der syrischen Botschaft im Libanon

    • Ermittlungen laufen, nachdem bekannt wurde, dass die Botschaft an der Fälschung von Pässen für Angehörige der Assad-Familie beteiligt war.
    • Die syrischen Behörden haben den Betrieb der Botschaft vorübergehend eingestellt, um herauszufinden, ob weitere Familienmitglieder die gefälschten Dokumente nutzen wollten.

    Maritime Grenzen zwischen Türkei und Syrien

    • Der türkische Verkehrsminister kündigte an, mit Damaskus über die Festlegung von Seegrenzen im Mittelmeer verhandeln zu wollen.
    • Griechenland lehnt ein solches Abkommen ab, da in Damaskus nur eine Übergangsverwaltung bestehe. Es warnt vor möglichen Beeinträchtigungen seiner eigenen Hoheitsrechte.

    Kämpfe zwischen SDF und pro-türkischen Milizen

    • Seit 20 Tagen dauern Gefechte nahe der Kara-Kosak-Brücke und beim Tishrin-Staudamm an.
    • Rund 120 Menschen kamen dabei bereits ums Leben.

    Über 112.000 Vermisste

    • Das Syrische Netzwerk für Menschenrechte berichtet von mehr als 112.000 gewaltsam Verschwundenen unter dem Assad-Regime, trotz angeblich geöffneter Gefängnisse.
    • Zwar wurden Tausende freigelassen, doch bleiben sehr viele weiterhin vermisst.

    Erste Spannungen in Syrien seit dem Sturz des alten Regimes

    • Bei einem Versuch, einen Funktionär des alten Regimes festzunehmen, entfachten Proteste, die sich insbesondere in Regionen mit alawitischer Bevölkerung ausweiteten.
    • Es kam zu Drohungen, Moscheen niederzubrennen, und zum Waffeneinsatz.
    • 14 Kämpfer der „Verwaltung der Militäraktionen“ kamen ums Leben.

    Rückkehr syrischer Geflüchteter

    • Der türkische Innenminister meldete, dass 30.000 Syrer*innen innerhalb von 17 Tagen in ihre Heimat zurückgekehrt sind.

    Verhaftungen

    • Die Syrische Beobachtungsstelle dokumentiert die Festnahme von rund 300 Personen binnen einer Woche, darunter Militärangehörige und Assad-Anhänger.

    Zustand syrischer Flughäfen

    • Ankara will Expertenteams nach Damaskus und Aleppo schicken, um Modernisierungsbedarfe zu bewerten.
    • Türkische Minister kritisieren den veralteten Zustand der Flughäfen und planen mögliche Kooperationen mit der neuen syrischen Führung beim Ausbau der Infrastruktur.

    Binnenvertriebene

    • Laut des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN-OCHA) sind seit Assads Sturz rund 486.000 Binnenvertriebene in ihre Heimatgebiete in Aleppo und Hama zurückgekehrt, während noch immer etwa 664.000 Menschen neu vertrieben sind (viele davon in Idlib).

    Aufsehen aufgrund der Äußerungen zur Zukunft syrischer Frauen

    Die Aussagen von Aisha ad-Dibs, Leiterin des „Büros für Frauenangelegenheiten“ in der syrischen geschäftsführenden Regierung, während eines Interviews mit dem türkischen Sender „TRT“ zum Status der Frau in der neuen Verwaltung des Landes, haben unter Aktivist*innen in den sozialen Netzwerken für heftige Diskussionen gesorgt. Ad-Dibs betonte in ihren Ausführungen, dass es „derzeit kein fertiges Modell für die syrische Frau gibt. Wir warten darauf, uns mit allen zusammenzusetzen und einen Dialog zu führen. Die islamische Scharia ist die grundlegende Basis für jedes Modell.“ Sie fragte weiter: „Warum sollten wir ein säkulares oder ziviles Modell übernehmen?“

    Außerdem bekräftigte Ad-Dibs, dass jede Einrichtung, die im Bereich der Frauenarbeit tätig werden möchte, „mit dem Modell übereinstimmen“ müsse, dessen Vision die neue Verwaltung zu entwickeln beabsichtigt. Gleichzeitig stellte sie klar, dass die Frau „für sich selbst, ihren Ehemann und ihre Familie zuständig“ sei und dies ihre Hauptprioritäten seien. Die Aussagen der Leiterin des „Büros für Frauenangelegenheiten“ in der syrischen geschäftsführenden Regierung stießen auf breite Kritik und sorgten für eine Kontroverse über die Zukunft der Frauen im Land.

    Einheit in Syrien?

    Patriarchen und Kirchenoberhäupter in Syrien bekräftigen am heutigen Sonntag die Einheit des Landes und betonen ihre Überzeugung, dass das „neue Syrien“ nach der Flucht des gestürzten Präsidenten Baschar al-Assad eine Heimat für alle seine Bürger*innen sein muss und als modernes Staatsmodell auf den Grundlagen der Staatsbürgerschaft aufgebaut werden sollte.

    In einer gemeinsamen Erklärung bekräftigten die Kirchenvertreter, dass sich Syrien in einer „neuen Geburtsstunde“ befinde, während dieser „historischen Phase“ nach dem Sturz des Assad-Regimes. Sie betonten zudem die Notwendigkeit, „sich einer Kultur des Dialogs und der Offenheit füreinander zu verpflichten“. Weiter heißt es in der Erklärung, diese Phase erfordere „Demut, Mut und Entschlossenheit, um das Syrien der Zukunft aufzubauen“. Sie sei eine Zeit, die alle dazu aufrufe, sich „weise, besonnen und vorausschauend“ zu verhalten und nicht auf fruchtlose Auseinandersetzungen, Populismus oder Isolation hereinzufallen.

    Die Kirchenoberhäupter erklärten: „Wir Christinnen und Christen haben in dieser Phase eine wichtige und zentrale Rolle zu erfüllen, indem wir uns mit allen Kräften am Wiederaufbau dieses Landes beteiligen.“ Abschließend hielten sie fest: „Wir sind uns der spirituellen, moralischen und nationalen Verantwortung bewusst, stets die Stimme der Wahrheit zu erheben, die Würde des Menschen unter allen Umständen zu verteidigen und entschieden die Wege von Demokratie, Freiheit, Unabhängigkeit und Frieden zu unterstützen, welche die Rechte und die Würde aller Syrerinnen und Syrer gewährleisten.“

    Aussagen der neuen syrischen Führung

    Leitung der HTS und Oberkommandierender der neuen syrischen Verwaltung, Ahmad Al-Scharaa, sagte im saudischen Fernsehsender „Al-Arabiya“:

    • Wir haben bei der Befreiungsoperation darauf geachtet, dass es weder Opfer noch Vertreibungen gibt.
    • Wir haben uns sehr bemüht, den Machtwechsel reibungslos zu gestalten.
    • Die Befreiung Syriens garantiert die Sicherheit der Region, des Golfgebiets und Syriens selbst für die kommenden 50 Jahre.
    • Wir sind weder in Teheran noch in den Süden des Libanon eingezogen, sondern in unsere eigenen Städte und Dörfer.
    • Ich sehe mich nicht als den Befreier Syriens – alle, die Opfer gebracht haben, waren am Befreiungsprozess beteiligt.
    • Mehrere politische Etappen werden dem Auswahlprozess des Präsidenten vorausgehen. Das Ausarbeiten einer neuen Verfassung kann etwa drei Jahre dauern. Wir streben eine Verfassung an, die möglichst lange Bestand hat. Das ist ein anspruchsvolles und langwieriges Vorhaben. Die Abhaltung von Wahlen könnte sich um vier Jahre verzögern. Jede korrekte Wahl erfordert eine umfassende Volkszählung.
    • Die Nationale Dialogkonferenz wird spezialisierte Ausschüsse bilden und Abstimmungen beinhalten.
    • Syrien benötigt ungefähr ein Jahr, damit die Bürger grundlegende Veränderungen bei den öffentlichen Diensten spüren.
    • Der Vorwurf, dass wir Personal nur aus einer politischen Strömung einsetzen, ist berechtigt, da die jetzige Phase Geschlossenheit verlangt. Die derzeitige Form der Ernennungen war eine Notwendigkeit dieser Phase und keine Ausgrenzung.
    • Wir werden bei der Nationalen Dialogkonferenz die Auflösung von Hay’at Tahrir asch-Scham (HTS) bekanntgeben.
    • Die Vereinten Nationen haben es nicht geschafft, auch nur einen Gefangenen freizulassen oder einen einzigen Flüchtling zurückzubringen. Das syrische Volk hat sich selbst gerettet. Wir werden die Syrer nicht in die Ausgangssituation vor dem Konflikt zurückversetzen. Die UN-Mission spielt eine Rolle, hat das Problem jedoch nicht gelöst.
    • Wir werden Syrien vor jeglichen politischen Streitigkeiten bewahren. Unser Ziel ist Entwicklung und Wirtschaft.
    • Syrien wird niemandem Unannehmlichkeiten bereiten.
    • Wir werden diese Übergangsphase mit einer staatlichen Denkweise gestalten.
    • Die jüngsten saudischen Erklärungen zu Syrien sind sehr positiv. Saudi-Arabien strebt Stabilität in Syrien an. Saudi-Arabien hat große Investitionschancen in Syrien. Ich bin stolz auf alles, was Saudi-Arabien für Syrien getan hat. Saudi-Arabien wird eine große Rolle in der Zukunft Syriens spielen.
    • Ich hoffe, dass der Iran seine Interventionen in der Region überdenkt. Diese Phase erfordert, dass der Iran seine Politik neu bewertet. Wir haben unsere Pflicht als Staat gegenüber den iranischen Einrichtungen erfüllt, trotz aller Wunden.
    • Das Recht auf Demonstrationen, ohne die Institutionen zu beschädigen, steht allen Gesellschaftsgruppen zu. Das Demonstrationsrecht ist ein legitimes Recht jedes Bürgers, um seine Meinung zu äußern.
    • Das syrische Verteidigungsministerium wird die kurdischen Streitkräfte in seine Reihen aufnehmen. Die Kurden sind ein integraler Bestandteil der syrischen Gesellschaft.
    • Wir werden nicht zulassen, dass Syrien Ausgangspunkt für PKK-Angriffe wird.
    • Es wird keine Teilung Syriens geben – weder auf irgendeine Art noch in Form einer Föderalisierung.
    • Wir verhandeln mit den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF), um die Krise im Nordosten Syriens zu lösen.
    • Wir hoffen, dass die nächste US-Administration nicht die Politik des Vorgängers fortsetzt. Wir hoffen, dass die Regierung von Trump die Sanktionen gegen Syrien aufhebt.
    • Wir wollen nicht, dass Russland Syrien auf eine Weise verlässt, die dem Verhältnis nicht gerecht wird. Syrien hat strategische Interessen mit Russland. Russland ist die zweitstärkste Macht der Welt und besitzt großes Gewicht.
    • Der Iran hätte sich an die Seite des syrischen Volkes stellen sollen. Wir hatten positive Erklärungen aus dem Iran erwartet.
    • Rechtliche Ausschüsse werden über eventuelle Entschädigungsforderungen gegen Staaten oder Gruppen entscheiden.

     

    Ernennung der ersten Frau als Gouverneurin der Syrischen Zentralbank

    Die neue Verwaltung in Syrien hat am heutigen Montag Maysa Sabrin zur Gouverneurin der Syrischen Zentralbank ernannt. Damit ist sie die erste Frau überhaupt, die dieses Amt in dem Land bekleidet. Die Ernennung von Sabrin erfolgt vor dem Hintergrund zahlreicher wirtschaftlicher Herausforderungen, mit denen Syrien an mehreren Fronten konfrontiert ist, während die neue Verwaltung bestrebt ist, in dem seit Kriegsbeginn im Jahr 2011 schwer gebeutelten Land für Stabilität zu sorgen.

    In der vergangenen Woche hatte die Syrische Zentralbank eine Entscheidung erlassen, die den Erhalt eingehender Überweisungen in Fremdwährungen oder in syrischen Pfund zu den offiziellen Wechselkursen erlaubt, nachdem dies unter dem früheren Regime jahrelang stark eingeschränkt war.

    Sabrin, die einen Master-Abschluss in Rechnungswesen besitzt, tritt damit die Nachfolge von Muhammad Issam Hazeema an, den Assad im Jahr 2021 zum Gouverneur der Zentralbank ernannt hatte. Zuvor war sie als erste stellvertretende Gouverneurin der Zentralbank tätig, leitete die Abteilung für Bürokontrolle und war seit 2018 als Vertreterin der Zentralbank Mitglied des Verwaltungsrats der Wertpapierbörse von Damaskus, wie syrische Medien berichten.

  • Jahresrückblick auf die migrationsnews 2024

    Das Jahr neigt sich nun dem Ende zu und vielleicht hast du dir um die Feiertage ja sogar eine Pause von den Nachrichten genommen. Wir haben die Zeit genutzt und dir einen Jahresrückblick auf das, was im Kontext von Flucht und Migration passiert ist, zusammengestellt. Heute blicken wir auf ein ereignisreiches 2024 zurück.

    Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat bekanntgegeben, dass die Zahl der flüchtenden Menschen weltweit 2024 auf über 122 Millionen gestiegen ist. Das sind fast fünf Millionen mehr als noch im Vorjahr. Der nationale Direktor des UNHCR in Deutschland, Peter Ruhenstroth-Bauer, erklärte in einer Stellungnahme, die Zahlen seien erschreckend. Hinter jeder Zahl stehe ein Mensch, der auf Sicherheit und Zukunft hoffe. Er betonte, dass es die Aufgabe der Organisation sei, diesen Menschen Schutz und Perspektiven zu bieten.

    Weiter heißt es in der Erklärung, dass die sich verschlechternde Lage in der Demokratischen Republik Kongo und in Myanmar einen großen Anteil an der Zunahme der weltweiten Zahlen geflüchteter Menschen habe. Zudem habe der Krieg im Gazastreifen und im Libanon zur Vertreibung von über 1,7 Millionen Menschen geführt.

    Wir konnten teilweise live auf Instagram mitverfolgen, wie Kriege geführt wurden, wie Anfeindungen im Alltag gegen migrantisierte Menschen zunahmen und auch in der Politik verschärfte sich die Stimmung. Mit der GEAS-Reform machte Europa deutlich, dass weiterhin auf eine Politik der Abschottung gesetzt wird. Diese Einstellung wurde auch in den Ergebnissen der Europawahl deutlich – die AfD holte dort 15,9 %. In Deutschland zeigte sich der Rechtsruck bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Unter diesen Voraussetzungen blicken wir gebannt und sorgenvoll auf die Bundestagswahl im Februar und inwiefern die Migrationspolitik auch diese Wahl bestimmen wird.

    Im neuen Jahr brauchen wir bei kohero deine Unterstützung, um weiterhin unabhängigen Journalismus von und für Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte machen zu können. Schon mit fünf Euro pro Monat kannst du Member werden und uns unterstützen!

    Ich wünsche dir einen guten Start in das neue Jahr!

     

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  • Im Spotlight: Rand Beiruty

    In ihrer Langzeitbeobachtung „Tell Them About Us“ hat die jordanische Filmemacherin Rand Beirut junge, überwiegend arabischstämmige Frauen in Eberswalde mit der Kamera begleitet.
    Ab 2019 dokumentierte Beiruty über drei Jahre, wie diese Gruppe mit der anfangs für sie neuen deutschen Kultur zurechtgekommen ist und wie die einheimischen Bewohner*innen sie willkommen geheißen haben – mal mehr und mal weniger.
    Ich habe mit Rand Beiruty über ihren Werdegang und ihren Film gesprochen.

    Liebe Rand, du bezeichnest dich als „Filmemacherin zwischen Amman und Berlin“. Wie haben die beiden Orte deine Arbeit beeinflusst?

    Amman ist der Ort, an dem ich meine Leidenschaft für das Geschichtenerzählen entdeckt habe, insbesondere zu Geschichten, die in Communities verwurzelt sind. Es ist der Ort, an dem mein eigener Hintergrund und die Komplexität meiner Arbeit lebendig werden. In Berlin konnte ich wiederum in eine globale Gemeinschaft eintauchen, voll mit kreativen und vielfältigen künstlerischen Ansätzen, was mich dazu inspiriert hat, Introspektion mit einem größeren kulturellen Dialog zu verbinden.

    Du hast Design, Visual Communication, Design Thinking und Film in Babelsberg studiert. Kannst du ein wenig über diesen Weg von dir in den verschiedenen visuellen Künsten erzählen?

    Das Design- und Visual Communication Studium in Jordanien hat mir den nötigen Raum gegeben, mit unterschiedlichen visuellen Formen und Sprachen zu experimentieren. Im zweiten Jahr belegte ich einen Experimentalfilm-Kurs und mir wurde klar, dass Film mein eigentliches Ding ist. Ich entdeckte eine Vielzahl an Werkzeugen, mit denen ich durch das Vermischen von Bild und Klang, Geschichten zum Leben erwecken konnte.

    Mit Design Thinking konnte ich meine Fähigkeit, Probleme kreativ zu lösen, vertiefen und diese menschliche Erfahrung in meinen Projekten noch bewusster zentrieren. Aber beim Film sind dann all diese Fähigkeiten zusammengekommen. Beim Film ist es mir möglich, komplexe Erzählstrukturen zu erforschen, insbesondere im Dokumentarfilm, wo das Zusammenspiel von Bildern und Ethik noch einmal die Kraft hat, eine nachhaltige Wirkung zu schaffen.

    Kommen wir zu „Tell Them About Us“. Wie bist du auf diese Gruppe von Mädchen aufmerksam geworden und warum hast du dich entschieden, sie über einen längeren Zeitraum dokumentarisch zu begleiten?

    Meine Verbindung zu den Mädchen entstand ganz natürlich – unser gemeinsamer kultureller Hintergrund und ihre lebendigen Persönlichkeiten haben mich von Anfang an angesprochen. Ihnen über die Jahre zu folgen war notwendig, um die Tiefe ihrer Werdegänge einzufangen und um zu zeigen, wie ihre Leben sich entfalten. Die Workshops, die wir über die Jahre geführt haben, dienen als zentraler Anker für eine kohärente Erzählung, sie markieren den Verlauf der Zeit und spiegeln die Entwicklung der Mädchen wider.

    Vertrauen aufzubauen und eine offene Kommunikation aufrechtzuerhalten, hat mir ermöglicht, jedes Mal, wenn wir zu ihnen zurückgekehrt sind, genau dort anzuknüpfen, wo wir aufgehört hatten. Dieser vertrauensbasierte Ansatz sorgte nicht nur für die Kontinuität der Erzählung im Film selbst, sondern auch dafür, dass die Dokumentation authentisch und ihren Erfahrungen treu bleibt.

    Hoffnungen, Träume und Wünsche spielen eine große Rolle im Film, und es hat mir sehr gefallen, wie viel Raum du diesen Themen gegeben hast. Was bedeuten diese Worte für dich persönlich und wie verbinden sie sich mit deiner (Film-)Arbeit?

    Für mich repräsentieren sie sowohl die Möglichkeit, Dinge zu verändern als auch Resilienz. Diese ist erforderlich, um Veränderungen auch unter schwierigen Bedingungen umzusetzen. In meinen Filmen sind diese Themen nur ein Weg, die Menschlichkeit jeder Geschichte zu präsentieren. Sie sind nicht nur abstrakte Ideen, sondern greifbare Kräfte, die das Leben der Menschen prägen, insbesondere derjenigen, deren Stimmen oft überhört werden. Indem ich mich auf Hoffnungen und Träume konzentriere, versuche ich nicht nur zu zeigen, was sich die Menschen wünschen, sondern auch, gegen welche Hürden sie ankämpfen – also die Barrieren, Kompromisse und Momente stiller Stärke.

    Und auf einer praktischen Ebene haben mir diese Ideen geholfen, die Struktur von „Tell Them About Us“ zu gestalten. Die Workshops und die Szenen, wo wir einige Träume der Protagonistinnen inszeniert haben, waren ein Weg, die Bestrebungen der Mädchen zu erforschen und gleichzeitig den Film in einer gelebten Realität zu verankern. Es ist diese Spannung zwischen Traum und Realität, die mich immer wieder zum Geschichtenerzählen zurückführt, also eine Art, die Welt zu reflektieren und vorzustellen.

    Auf deiner Website steht, dass du dir Fragen stellst wie: „Wer darf wessen Geschichte erzählen?“ Oder: „Warum ist Repräsentation wichtig?“. Ich würde gerne wissen, welche Antworten du durch den Prozess einer so intimen Dokumentation wie „Tell Them About Us“ gefunden hast – und was hast du dabei über Deutschland gelernt?

    Repräsentation ist wichtig, weil sie beeinflusst, wie wir uns selbst und wie wir andere sehen – sie kann uns empowern oder das Gegenteil bezwecken. Für mich geht es immer darum, in Kollaboration mit den Teilnehmerinnen zu arbeiten und sicherzustellen, dass ihre Stimmen im Mittelpunkt stehen, dass eine eindimensionale Darstellung über sie vermieden wird. „Tell Them About Us“ hat mir erneut bestätigt, wie wichtig es ist, Raum für marginalisierte Stimmen zu schaffen, insbesondere in einem Land wie Deutschland, wo Gespräche über Integration, Identität und Zugehörigkeit nach wie vor wichtig sind. Durch diesen Film habe ich verstanden, dass authentische Repräsentation das Potenzial hat, grenzenloses Verständnis zu fördern.

    Arbeitest du derzeit schon an einem weiteren Film?

    Ich arbeite derzeit an „Portrait of A“, einem Film, der sich auf Andrea, eine der Teilnehmerinnen aus „Tell Them About Us“, fokussiert. Ich hoffe, ich kann bald mehr darüber teilen.

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