Schlagwort: migrationsnew

  • Wo bleibt die Empörung über menschenfeindliche Politik?

    Du hast es bestimmt mitbekommen: Die Unionsfraktion hat in der vergangenen Woche mit einem Antrag und einem Gesetzesentwurf eine radikale Verschärfung der deutschen Asyl- und Migrationspolitik gefordert. Der Antrag, der sogenannte „Fünf-Punkte-Plan“ zu den Themen Grenzen und „illegale Migration“, wurde mit Unterstützung der AfD im Bundestag beschlossen. Es war das erste Mal, dass der Bundestag einen Beschluss gefasst hat, bei dem die Stimme der als teilweise rechtsextrem eingestuften AfD entscheidend war. Der Gesetzesvorschlag der CDU/CSU wurde zwei Tage später jedoch mit knapper Mehrheit abgelehnt.

    Viele blicken nun zu Recht empört darauf, dass die Union offenkundig mit der AfD paktiert. Doch wo bleibt die Wut darüber, dass sich liberale Politiker*innen nicht über die menschenrechts- und verfassungswidrigen Inhalte des Antrags aufregen, sondern „lediglich“ über die Zusammenarbeit der Unionspartei mit der AFD?

    Diese Verschiebung verdeckt die Tragweite des nicht bindenden Beschlusses: Der Antrag sieht nämlich unter anderem vor, dass es ein faktisches Einreiseverbot für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumente geben soll – selbst für jene, die in Deutschland Asyl beantragen möchten. Diese Forderung verstößt nicht nur gegen das Grundrecht auf Asyl nach Artikel 16a des Grundgesetzes, sondern auch gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, welche als Lehre aus dem Zweiten Weltkriegs in Kraft gesetzt wurde. Noch gravierender wird es bei der Forderung, ausreisepflichtige Personen unmittelbar inhaftieren zu lassen – eine Praxis, die im Widerspruch zu internationalen Menschenrechtskonventionen steht.

    Zwei Tage später wurde der Gesetzesentwurf, das sogenannte „Zustrombegrenzungsgesetz“, am Freitag mit knapper Mehrheit abgelehnt. Dieses hätte der Bundespolizei das Recht eingeräumt, eigenständig Haftanträge zu stellen, was einen massiven Eingriff in die Gewaltenteilung bedeutet, sowie die Abschaffung der Familienzusammenführung für subsidiäre Schutzbedürftige. Dass die Union so weit geht und Unterstützung von der FDP erhält, macht deutlich, dass autoritäre Tendenzen schon längst nicht mehr nur ein Problem der extremen Rechten sind, sondern auch in Parteien, die sich selbst als „bürgerlich“ bezeichnen, zunehmend akzeptiert werden.

    Tatsächlich hat die Ampel-Regierung selbst durch ihre verschärfte Asylpolitik in den letzten Jahren den Boden für solche Debatten geebnet. Der wahre Skandal dieser Woche liegt somit nicht nur im Tabubruch der Union, sondern auch in der breiten politischen Akzeptanz von immer drastischeren Maßnahmen gegen Geflüchtete und Migrant*innen in diesem Land. Während sich die Debatte um die Frage dreht, mit wem die CDU gestimmt hat, geht unter, worüber sie abgestimmt hat.

    Und genau das ist das Gefährlichste an diesem Moment: Wenn menschenfeindliche Politik nur aufgrund ihrer parlamentarischen Durchsetzung als Skandal gilt, dann hat sich die politische Normalität schon längst weit nach rechts verschoben.

     

     

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  • Wahl in den USA – Welche Konsequenzen hat die amerikanische Migrationspolitik?

    Die heutigen Präsidentschaftswahlen in den USA rücken vor dem Hintergrund einer kritischen und enttäuschenden innen- und außenpolitischen Lage in den Fokus. Innenpolitisch steht das Land vor tiefgreifenden Krisen im Gesundheitswesen, bei den reproduktiven Rechten und in der Wirtschaft. Außenpolitisch unterstreichen die Entwicklungen der letzten Jahre – vom Krieg in der Ukraine bis zur aktiven Beteiligung an den eskalierenden „Konflikten“ im Nahen Osten – die Krise, in der sich die Vereinigten Staaten befinden. Auf internationaler Ebene und an den eigenen Grenzen hat das Land massiv an Glaubwürdigkeit verloren.

    Der Vertrauensverlust in das politische System zeigt sich besonders in der desaströsen Migrationspolitik, bei der sowohl die Demokrat*innen als auch die Republikaner*innen gleichermaßen versagt haben. Doch der eigentliche Skandal besteht darin, dass dieses System gar nicht gescheitert ist – es funktioniert genau so, wie es konzipiert wurde.

    Abschottung und Unterdrückung

    Dies zeigt sich besonders an der US-mexikanischen Grenze, die seit Jahren als Symbol für Abschottung und Unterdrückung gilt. Die US-Einwanderungspolitik und die Justiz stützen sich auf historische Strukturen von weißer Vorherrschaft, Machtausübung und systematischer Kontrolle, die täglich daran scheitern, Menschenwürde und Leben zu schützen.

    Obwohl der Wahlkampf der Demokrat*innen 2020 große Hoffnungen auf eine Reform des Einwanderungssystems weckte, fiel die Bilanz unter Joe Biden ernüchternd aus: Versprechen auf grundlegende Änderungen blieben weitgehend unerfüllt. Statt die extrem restriktiven Maßnahmen der Trump-Ära zurückzunehmen, hat Biden viele dieser Richtlinien fortgeführt oder sogar verschärft, was sich vor allem in der weiteren Kriminalisierung von Migrant*innen zeigt. Ein markantes Beispiel ist eine im Sommer eingeführte Verordnung, die die Bearbeitung von Asylanträgen an der Südgrenze nahezu vollständig blockierte – eine Maßnahme, die an Trumps Abschottungspolitik erinnert, wie das Einreiseverbot für mehrheitlich muslimische Länder und die Einschränkung des Asylrechts.

    Auch die Fortführung und Verschärfung von „Titel 42“, der pandemiebedingt eingeführt wurde und es der Regierung ermöglichte, Migrant*innen aus gesundheitlichen Gründen schnell an den Grenzen abzuweisen, verdeutlicht die Härte der aktuellen Maßnahmen und die daraus resultierenden humanitären Missstände.

    Diese Politik zeigt, wie die Demokrat*innen in der Einwanderungsfrage zunehmend Positionen übernommen haben, die früher als extrem galten und von republikanischen Hardlinern propagiert wurden. Die sogenannte „Grenzkrise“ wird oft als Vorwand benutzt, um weiße nationalistische Narrative zu stärken und die republikanische Basis zu mobilisieren.

    Doch ist die dehumanisierende Migrationspolitik ein Problem der Republikaner*innen oder der Demokrat*innen? Die Wahrheit ist, dass beide Parteien ein rassistisches System aufrechterhalten, das auf der gewaltsamen Geschichte der USA gründet. Die Vereinigten Staaten sind das Ergebnis eines fortdauernden kolonialen Projekts europäischer Einwanderer*innen. Forderungen nach härterer Migrationspolitik sind tief in rassistischen Ideologien verwurzelt und ignorieren die Tatsache, dass Migration, insbesondere aus Lateinamerika, keine Ursache, sondern eine Folge des US-Imperialismus ist: Menschen aus Lateinamerika kommen in die USA, weil die USA ihre Länder seit Jahrzehnten destabilisieren.

    Ein System, das auf weißer Vorherrschaft basiert

    Nach meinem siebentägigen Aufenthalt an der Grenze bei San Luis, Arizona, wurde mir besonders eines klar: Die viel zitierte „Grenzkrise“ existiert nicht in der Form, wie sie von den westlichen Medien dargestellt wird. Was dort tatsächlich passiert, ist eine Krise der Ausbeutung – ein Produkt der imperialistischen Außenpolitik der USA, die ihr „Imperium“ unter dem Deckmantel des Neokolonialismus ausweitet.

    Während es in anderen politischen Bereichen Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten gibt, bleibt das Grundproblem bestehen: Ein System, das auf weißer Vorherrschaft und Imperialismus basiert, lässt sich nicht mit kleinen Reformen ändern. Solange die Mehrheit der US-Bevölkerung damit zufrieden bleibt, lediglich zwischen dem „kleineren Übel“ zu wählen, werden die tödlichen Ungerechtigkeiten im In- und Ausland nicht nur fortbestehen, sondern sich weiter verschärfen.

     

    Liebe Grüße
    Kady

    Online-Redaktion

     

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  • Bin ich hier noch in Deutschland? – die migrationsnews von kohero

    Letztes Wochenende war ich kurz im Ruhrgebiet, um ein paar Freunde und Bekannte zu besuchen. Zuerst war ich in Köln, wo die Stadt ihre Arme für alle öffnete, mit viel Lachen und herzlichen Begrüßungen. Danach wollte ich von Köln nach Gelsenkirchen fahren, was aufgrund zahlreicher Verspätungen und Ausfälle im Regionalverkehr über drei Stunden dauerte.

    Eine besonders interessante Erfahrung machte ich bei einer Kontrolle, bei der ich mit einem Kontrolleur sprach, der selbst hier geboren wurde, aber arabische Wurzeln hat. Er erzählte mir, wie er vielen älteren Menschen hilft.

    In Gelsenkirchen stellte ich mir dann die Frage, ob ich mich tatsächlich noch in Deutschland befinde. Die Hauptstraße wirkte mit vielen verlassenen Häusern und Geschäften sehr heruntergekommen. Gelsenkirchen hat eine der höchsten Kinderarmutsraten in Deutschland, 2017 waren es über 35,8 %, und es wird erwartet, dass diese Zahl bis 2027 auf 41 % steigen könnte.

    Gelsenkirchen ist eine sehr interessante Stadt, in der Armut und Migration eine große Rolle spielen. Über 35 % der Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund, in vielen Schulen sind es sogar über 95 %. Ein Freund sagte zu mir, Gelsenkirchen sei wie ein Loch, das Menschen anzieht. Den Themen Städte, Räume und deren Macht haben wir bei kohero übrigens eine ganze Printausgabe gewidmet.

    Die Geschichte von Gelsenkirchen ist eng mit dem Kohle- und Stahlbergbau verbunden. Der Niedergang dieser Industrie führte dazu, dass die Stadt seit 2012 über 150.000 Einwohner*innen verloren hat. Viele Wohnungen stehen leer und wurden von unbekannten Personen gekauft, die damit begannen, Menschen aus Rumänien und Bulgarien, insbesondere Sinti*zze und Rom*nja, dort unterzubringen.

    Klar ist, dass die Lösung komplex ist. Ein Teil der Lösung könnte darin bestehen, dass die Stadt die Häuser kauft, renoviert und dann vermietet. Aber die eigentliche Lösung liegt darin, in die Infrastruktur zu investieren und die Arbeitsstruktur zu vereinfachen. Das wird jedoch leider nicht alle Probleme lösen. Und Gelsenkirchen ist nicht die einzige Stadt, die mit solchen Herausforderungen zu kämpfen hat; auch viele andere Städte in Deutschland stehen vor ähnlichen Problemen.

    Welche Gedanken hast du zu Armut in deutschen Städten? Welche Lösungen fallen dir ein?

     

     

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