Schlagwort: Krieg

  • Ghazwan Assaf – über die Reste einer Erinnerung  

    Aus einem abgenutzten schwarzen Notizbuch zieht Ghazwan Assaf eine Zeichnung hervor und legt sie mit bedächtiger Geste auf den Tisch. „Was siehst du hier?“ Seine Augen durchdringen den Raum. Die Zeichnung, schlicht mit Bleistift, zeigt eine gebeugte Gestalt in einem engen Raum. Noch bevor ich antworten kann, lächelt er und sagt: „Weißt du, ich finde dieses Bild nicht traurig. Im Gegenteil, es ist ein Bild der Hoffnung. Jemand hat sich bewegt, damit es entstehen konnte. Gerade die Bewegung, die nötig war, um es zu schaffen, macht es lebendig.“ 

    Ich treffe Ghazwan Assaf an einem stillen Sonntagnachmittag in Berlin, wo er in Zusammenarbeit mit dem Salam Kultur- und Sportclub eine Ausstellung präsentiert. Am Vortag, erzählt er, waren rund 200 Besucher*innen da. Die Ausstellung zeigt Syrien – vor und nach dem Krieg – in Gemälden und Kunstwerken, die sowohl Schönheit als auch Zerstörung einfangen. Die Reaktionen der syrischen Besucher*innen sind vielschichtig: Einige lächeln, andere verlassen den Saal in Tränen.  

    Ghazwan legt mir ein Gästebuch hin, voll mit Notizen in verschiedenen Sprachen, geschrieben von Menschen aller Altersgruppen. Selbst Kinder haben ihre Sehnsüchte nach Syrien hineingezeichnet. „Diese Ausstellung habe ich gemacht, um nicht nur mich auszudrücken“, sagt er, „sondern all jene, die den Krieg nicht in Worte fassen können.“ 

    Ghazwan lebte in Syrien ein gewöhnliches Leben, wie viele seiner Generation. Er ging zur Universität, sein Vater arbeitete in der Agrarwirtschaft, seine Mutter führte den Haushalt. Nie hätte er gedacht, Syrien zu verlassen. Doch als der Krieg kam und die Enge unerträglich wurde, musste er fliehen, um dem Militär zu entgehen. 2015 kam er nach Deutschland. Schon in Syrien hatte er von Kunst und Blumen geschwärmt, doch erst in der Geflüchtetenunterkunft in Deutschland nahm er Stift und Papier zur Hand. „Die ersten Zeichnungen waren überwiegend schwarz“, sagt er leise, „ich glaube, weil unser Leben damals auch so war. Wir haben viel verloren. Die Trauer habe ich mitgebracht, und obwohl ich sie hinter mir gelassen habe, spüre ich sie bis heute.“ 

    Zuerst zeichnete er mit Bleistift, später kam Öl hinzu. Schließlich begann Ghazwan, Miniaturen zu schaffen, vor allem von alten damaszenischen Häusern, die Nostalgie wecken sollten, besonders bei syrischen Betrachter*innen. „Auch wenn du nie in so einem Haus gelebt hast“, sagt er mit einem leichten Lächeln, „kommt es dir vertraut vor, nicht wahr?“ Erst danach ließ er den Krieg in seine Kunst einfließen, eine bittere Realität, die in seinen Werken Einzug hielt, nachdem er die Schönheit festgehalten hatte. 

    „Durch meine Kunst möchte ich die zerstörten Provinzen Syriens wiedergeben“, sagt Ghazwan und zeigt auf eine Miniatur: eine syrische Landkarte, aufgeteilt in 13 Fragmente, jedes steht für die Zerstörung einer Region. Er hat Videos des Krieges gesehen und daraufhin seine Gemälde geschaffen. „Wenn ich die Zerstörung darstelle, denke ich an die Menschen: Wer hat in diesem Haus gelebt? Wo sind sie jetzt? Wer ist gestorben, wer hat überlebt?“ Solche Gedanken zwingen ihn, innezuhalten. „Ich kann so etwas nicht zweimal zeichnen. Diese Gefühle, dieses Leid – es überfordert. Und doch ist es genau dieses Leid, das mich antreibt, weiterzumachen.“ Ein Gemälde nennt er Die Reste einer Erinnerung: Der Krieg soll nur ein Rest sein, nicht alles. Er darf nicht das ganze Leben einnehmen. 

    Ghazwan erzählt, dass ihm heute viele Menschen Bilder ihrer Häuser schicken. Einige haben keine Fotos mehr, weil ihre Häuser im Krieg zerstört wurden, und versuchen, diese aus der Erinnerung für ihn zu zeichnen. Aus diesen Bildern erschafft er für sie Miniaturen. Diese Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten und oft nie wieder dorthin zurückkehren können, sehnen sich nach einem greifbaren Stück ihrer Vergangenheit. 

    Die Miniaturen werden zu einem Symbol für das, was verloren ging, und zugleich zu einem Mittel, um diese Erinnerung an die nächste Generation weiterzugeben. Viele von ihnen stellen die Miniaturen in ihren neuen Wohnungen auf, um ihren Kindern zu zeigen, dass es einmal ein Zuhause gab und dass sie ein richtiges Haus besaßen. 

    Für Ghazwan bleibt die Kunst trotz ihres wachsenden Einflusses ein Hobby. Hauptberuflich hat er eine Ausbildung in der Elektrobetriebstechnik abgeschlossen, was er nun seit dreieinhalb Jahren auch noch studiert. In diesem Bereich möchte er weiterarbeiten. Dennoch lässt ihn die Kunst nicht los. Er plant, weitere Ausstellungen zu machen, die idealerweise über die Grenzen Deutschlands hinaus gezeigt werden. 

    Kunst ist für ihn mehr als nur ein Ausdrucksmittel, sie dient Ghazwan auch als eine Form der Selbsttherapie. „Durch die Kunst kann ich mich ausdrücken“, sagt er, „sie hilft mir, das, was ich über Syrien fühle, zu verarbeiten.“ Über sein Heimatland zu sprechen, fällt ihm schwer. „Ich weiß nicht, was ich über Syrien sagen soll“, erklärt er. Doch wer seine Werke betrachtet, sieht in den Details der Gemälde die Erinnerungen: die Häuser, die er malt, aber auch die Zerstörung. „Ich kann nicht reden“, fügt er hinzu, „meine Kunst spricht für mich. Durch sie kommen meine Gefühle besser zum Ausdruck.“  

  • Erster Besuch in der Ukraine seit Beginn des Krieges

    Was fühlt der Mensch, wenn er sehr lange nicht zu Hause war? Welche Gefühle umfassen den Menschen, wenn er die Grenze zwischen dem Nachbarland und seiner Heimat überquert? Hat sich seine Heimat geändert? Gibt es da viel Neues oder ist alles wie früher geblieben? Auf diese Fragen kann man schon auf dem Weg in seine Heimat Antwort geben.

    Eigentlich komme ich aus Kyjiw, der Hauptstadt der Ukraine. Aber erstmal besuche ich nur meine Heimatstadt im Westen der Ukraine, die Borshchiv heißt. Schon an der Grenze zwischen Polen und der Ukraine sieht man viele Reihen von Autos, Bussen und LKWs, die Dutzende Kilometer lang werden können.

    Viele andere Ukrainer, die sehr lange nicht zu Hause waren, im Ausland wohnen oder nur arbeiten und ihre Heimat stark vermisst haben, sind aufgeregt und sogar neugierig während der Kontrolle und beim Warten an der Grenze, was sehr oft mehr als 7 Stunden dauern kann. Vor einer Woche bin ich dorthin gefahren und wir mussten 8 Stunden warten, bis wir die Kontrolle erreicht hatten. Wir haben oft gedacht, wann kommt endlich der Grenzübergang? Wenn alles vorbei ist, fährt man schon erleichtert nach Hause, obwohl wir noch 300 km fahren mussten.

    Luftalarm

    Aber nach der Ankunft in meiner Stadt bemerkt man sofort ein anderes Problem. Die Ukrainer, die lange im Ausland waren, besonders fast seit Anfang des Krieges, sind nicht an die ständigen Luftalarme und Angriffe der russischen Raketen im Luftraum der Ukraine gewöhnt. Obwohl der Krieg jetzt nur im Osten und Ostsüden der Ukraine herrscht, leidet der Westen, besonders die Hauptstadt und die restlichen Territorien der Ukraine unter den dauernden Attacken der Raketen vonseiten Russlands.

    Ehrlich gesagt, war ich total überrascht vom Verhalten der Menschen und ihrer Haltung zu der städtischen Sirene. Als ich im Zentrum von Borshchiv war, hat uns der Luftalarm erwischt, aber die Menschen sind nicht weggerannt oder in die Luftschutzbunker gelaufen, sondern waren weiter mit ihren Sachen und Dingen beschäftigt.

    Die Ukrainer leben und arbeiten weiter, trotz des Krieges und ständiger Attackengefahr. Unsere Menschen waren immer total fleißig und mutig, aber im Krieg haben sie ihre Ausdauer und Fähigkeit, jeden Moment des Lebens zu leben und zu schätzen, gezeigt.
    Außerdem sind die Preise überall in Europa wegen des Krieges gestiegen, aber man spürt das am stärksten in der Ukraine: Die Preise haben sich verdoppelt und sogar verdreifacht seit der Zeit, als ich kurz vor meiner Abfahrt nach Deutschland noch in der Heimat war.

    Wiedersehen mit Freunden

    Besonders auffällig sind auch die Denkmäler für die gefallenen Soldaten, die in der Mitte jeder Stadt installiert sind, um die gefallenen Landsleute zu ehren und sich immer an die schrecklichen Zeiten des Krieges zu erinnern, um zu sehen und zu verstehen, welchen hohen Preis die Ukrainer für die Sicherheit und freie Zukunft ihrer Heimat bezahlen.

    Aber das erfreulichste, was mit dem Menschen bei der Ankunft in der Heimat passiert, ist sich mit den Freunden und Verwandten, die er mehr als ein Jahr nicht gesehen hat, zu treffen. Im Gegensatz dazu ist für mich eineinhalb Wochen in der Heimat genug. Nachdem ich alle meine Geschäfte erledigt habe und genug Zeit mit meinen Freunden und Verwandten verbracht habe, beginne ich schon Deutschland vermissen, weil meine Familie und meine Beschäftigung da auf mich warten.

    Obwohl ich im Ausland wohne, bleibt die Ukraine immer meine Heimat und ich werde immer die Möglichkeit finden, öfter dieses Land mit der schönen Natur und guten Menschen zu besuchen.

  • Die neunte Bombe

    Die neunte Bombe

     Und einfach so, ohne Vorwarnung

    Wird die neunte Bombe explodieren

    In dieser nichtsahnenden Straße

    Sie wird aus extremer Depression explodieren

    Als möglichen Grund oder einzigen Grund

    Und die Wolken nahe diesem Vorfall

    Werden sich verwandeln

    In kalte Körperteile

    Und die Träume, die um vier Uhr morgens aufwachen, werden sterben

    Und die Saiten der vom Wind gespielten Geige werden zertrennt werden

    Passanten werden sich in die Hosen pissen

    Und die Nachfrage nach Blut speziell seltener Gruppen wird steigen

    Quadratische Gleichungen werden sich ändern

    Wenn die Geschwindigkeit der Flucht vor dem Tod

    In Hertz gemessen wird

    Bäume werden flach auf dem Boden liegen

    Und sich nie wieder aufrichten

    Der Sicherheitsrat wird eine Sitzung von Denunziation und Verurteilung abhalten

    Oder vielleicht auch nicht

    Und irgendein Gott wird eine Trauerzeit anordnen

    Für drei Tage

    Die CO2-atmende Bombe wird explodieren

    So gut sie nur kann

    In einem Moment des Wahnsinns den Zünder drücken

    Der mit der Ladung TNT verbunden ist

    Eine Gehirnerschütterung ist so ähnlich

    Sie wird explodieren mit ihren vier größten Arterien

    Mit ihren Stimmbändern

    Sie wird auf eine Weise explodieren, die voller Kunst und voller Tod ist

    Wie das Schicksal

    Sich selbst zerstörend in einem letzten Sonnenuntergang

     

     

     

    Züchtigung

    Wir wurden von Vätern geschlagen

    Die Stöcke zur Erziehung

    Und Gewalt zur Einschüchterung benutzten

    Und von den neuen Ausbildern

    In Klassen in denen wir lernten

    Von den Lehren der Nationalhymne

    Und dass der Gott der Gnade

    Verse der Vergebung verfasst hat

    Und dass Füchse listige Jungtiere gebären

    Und Hundesöhne die wahren Bewohner der Hölle sind

    Und Inder Kühe anbeten

    Während wir sie zum Schlachthof treiben

    Und Amerika, die Allmächtige

    Diejenige ist, die Kriege beginnt

    Und jede böse Person George Bush ist

    Wir wurden auf diesen Füßen geschlagen, die in den Abgrund gezerrt wurden

    In Nächten

    In denen Wolken eine Schweigeminute halten

    In Nächten, in denen Revolutionen scheitern

    In Nächten, in denen Steine en mass aus den Anden migrieren

    Wir wurden geschlagen

    Als Kameraden eine kommunistische Statue in Mariupol abrissen

    Als unsere Träume Folterkammern überdauerten

    Als wir die Falten von Flüssen mit Alzheimer abschälten

    Wie wurden geschlagen

    Wir, die wir aus der dritten Welt kommen

    Wir sind es, die an Dinge glauben, die die Götter unglücklich machen

    Wir sind es, die Symphonien auf Streichholzschachteln spielen

    Kinder der Kneipen, in denen weise Fliegen sich betrinken

    Kinder der Zelte, die unsere Lebensgeschichte begleiten

    Kinder der Frauen, denen Abtreibung verweigert wird

    Kinder der Straßen, auf denen Hunde an Herzversagen sterben

    Wie wurden geschlagen in der Gegenwart von Sternen die Mücken fressen

    Manchmal

    Mit Gas das Tränen fließen lässt

    Und manchmal mit Wellen die Billiard auf dem Rücken des Mittelmeeres spielen

    Und jeder Anlass war angemessen.

  • Als Syrer im Sudan – erneut auf der Flucht

    •Ahmad ist ein Bekannter von mir, der seit 2019 im Sudan lebt. Er hat seinen Master in Wissenschaften in Syrien abgeschlossen, bevor er das Land verlassen hat, um nicht in die Armee eingezogen zu werden. Als Syrer waren seine Optionen begrenzt und der Sudan war seine einzige Wahl, da er dort einen Verwandten hat, der ihm einen Job in einem syrischen Restaurant als Kassierer oder Verkäufer besorgt hat. Ahmad heißt eigentlich anders, aber da er wie viele Syrer immer noch Konsequenzen der Assad-Regierung fürchten muss, nutze ich nicht seinen echten Namen. 

    Trotzdem ist Ahmads Geschichte ähnlich wie die vieler anderer syrischer Geflüchtete, die ihr Land verlassen und in den Sudan gezogen sind. 

    Leider hat sich die Situation im Land Mitte April mit Zusammenstößen zwischen der sudanesische Armee (“Sudan Armed Forces”) unter der Leitung von General Abdul Fattah al-Burhan und der Miliz RSF (“Rapid Support Forces”) unter Oberbefehlshaber Mohamed Hamdan Daglo verschlechtert. Für alle Menschen im Sudan, auch für die Geflüchteten aus anderen Ländern wie Syrien, ist die Lage dramatisch. Nach Angaben der Vereinten Nationen für 2021 leben mehr als 90.000 syrische Geflüchtete in der Hauptstadt Khartum und anderen Teilen des Sudan. 

    Laut meinem Bekannten Ahmad ist die Lage für Syrer*innen im Sudan „tragisch“, da „es keine Sicherheit für irgendjemanden im Land gibt, einschließlich der Syrer in Khartum, die zu einer Geisterstadt geworden ist.“ Er meint, dass „11 Syrer getötet wurden und es keine Statistiken über Verletzte gibt.“

    Syrer*innen und andere Ausländer flüchten gemeinsam

    Ahmad schrieb mir auf Facebook, dass die aktuellen Kämpfe und Gewalt unerwartet kamen und dass viele Syrer*innen mit anderen Ausländer*innen nach Port Sudan im Osten des Landes geflüchtet sind, weil es der einzige noch funktionierende Hafen ist, der mit dem Zug erreichbar war. Es sind auch viele Jemenit*innen mit ihm in Port Sudan. 

    Wie viele andere Syrer*innen hoffte auch Ahmad, den Sudan verlassen zu können. Der Preis für ein Transportticket von Khartum nach Port Sudan betrug etwa 300 US-Dollar pro Person. Als ich mit Ahmad sprechen konnte, schätze er, dass etwa 5.000 Syrer*innen vor Ort sind. Die wahre Zahl ist wahrscheinlich noch höher und wird weiter steigen. 

    Die meisten Menschen wie Ahmad verließen Khartum nur mit ihrer Kleidung und nahmen mit, was sie tragen konnten. Viele haben ihre Arbeit verloren, und jeden Tag werden über WhatsApp-Gruppen Bilder von syrischen Geschäften und Fabriken veröffentlicht, die geplündert wurden. „Alle Menschen sind frustriert, weil sie aufgrund des unerwarteten Krieges nicht in der Lage sind, ihr Eigentum und ihr Geld zu schützen“, erzählte er mir.

    Es ist schwierig, in Khartum weiterzuleben, da fast alle Geschäfte geschlossen sind und die Preise ständig steigen. Ahmad spricht von einer gemeinsamen Flucht von Syrer*innen und Sudanes*innen in andere Länder.

    Die saudische Hafenstadt Dschidda ist nicht weit entfernt von Port Sudan und es soll saudische Schiffe geben, die viele Ausländer nach Saudi-Arabien bringen. Ahmad erzählte mir, dass Syrer vor Ort die Information von den saudischen Schiffsbetreibern bekommen haben, dass keine Syrer mit auf die Schiffe dürften. Der Grund sei, dass die syrischen Behörden den saudischen keine Garantie geben konnten, dass sie ihre Staatsbürger*innen aus Saudi-Arabien nach Syrien bringen können. Den syrischen Behörden fehlt es angeblich an Geld. 

    Eine andere Lösung sollten Flüge nach Syrien sein, organisiert von privaten Fluggesellschaften wie Cham Wings Airlines. Laut meinen Quellen gab es bisher etwa 10 Flüge, um Menschen nach Syrien zurückzubringen. Angeblich waren diese ersten Flüge kostenlos, aber „nur sehr wenige und vor allem kranke Menschen und schwangere Frauen, die dringend evakuiert werden mussten, konnten davon profitieren.“ Die Flüge seitdem seien extrem teuer, bis zu 1.100 $ und selbst wenn jemand das Geld dafür hat, gibt es kaum verfügbare Plätze. Ahmad hofft seit über einer Woche auf einen Platz. 

    Unterstützung ist wieder verschwunden

    ِAhmad fügt hinzu: „Der Großteil der Syrer ist in die Stadt Port Sudan gegangen, während sudanesische Staatsangehörige nach Ägypten gegangen sind. Ein Visum nach Ägypten kostet aktuell zwischen 1.000 und 1.300 US-Dollar, glaube ich.“ Für uns Syrer*innen sind Visa sowieso keine realistische Option. Leider gibt es kaum Lösungen, außer irreguläre Wege zu suchen, zum Beispiel mit Schmugglern über die Grenze. Dafür braucht man laut meinen Quellen aber mindestens 400 $ um nach Ägypten zu kommen, oder das doppelte, um die Grenze zu Äthiopien zu überqueren. Und viele haben Angst davor. 

    Die Situation der Syrer*innen und anderen Ausländer*innen, vor allem Jemenit*innen in Port Sudan beschreibt Ahmad als „einfach extrem schlecht”. Er fügte hinzu, dass „einige Sudanesen den Ausländern Essen gebracht hatten” und dass es eine medizinische Versorgung durch den Internationalen Roten Halbmond gegeben habe, aber diese Hilfe ist in den letzten Tagen wieder verschwunden.

    Die Preise für eine Unterkunft sind hoch und die Kosten für Lebensmittel sind noch höher. Er und viele Familien leben in einer Moschee, weil sie sich keine Wohnung oder andere kurzfristige Unterkunft leisten können. Die vorübergehenden Unterkünfte, die aufgebaut wurden, sind so schlecht, dass “nicht einmal Tiere dort leben könnten”. Aber das größte Problem von allen ist, dass es nur sehr wenig Trinkwasser gibt. Die Stadt Port Sudan hat sowieso in den heißen Monaten Probleme mit Trink- und Nutzwassermangel. Die Ankunft von weiteren Geflüchteten in die Stadt hat die Situation noch angespannter gemacht. 

    Wie bleibt man stark genug?

    Während ich mit Ahmad Nachrichten per Facebook austausche und versuche, mehr über seine Situation zu erfahren, frage ich mich, was Syrerinnen und Syrer getan haben, um dieses Schicksal zu verdienen. Wie bleibt man stark genug, um nach der ersten Flucht vor dem Krieg und der Armee in Syrien ein neues Leben in einem neuen Land aufzubauen – und dann wieder alles zu verlieren? 

    In seinen letzten Nachrichten schrieb mir Ahmad, dass er jetzt versucht, zurück nach Syrien zu kommen, auch wenn er dann in die Armee eingezogen wird. Er sagt, es bleibt ihm keine andere Möglichkeit mehr. Der Krieg hat die Syrer*innen aus ihrem Land vertrieben, und nun ist es ein anderer Krieg, der sie zurück nach Syrien zwingt. 

    Der Name wird von der Redaktion verändert,

  • Makar Liebermann – Between Fashion and War

    After World War One people’s appearance changed, fashion changed, new silhouettes appeared. Balenciaga, Chanel. It was Dior’s New Look, the post-war collection that created a new image and a new understanding of fashion after World War Two.

    December 2022

    If I were scared, I would leave Kyiv. There is a workshop, I can sew. I was looking for things to sew, for what was needed in this moment.

    The question: what should I wear today? turned into: how can I help?

    Makar Liebermann stayed in Kyiv. In the ninth month of war he returned to work, and volunteer work has not come to a stop.  After the initial shock, it is now necessary to help by asking what can be done. Every day is a challenge. Makar owns two businesses: in Riyne in western Ukraine, and in Kyiv, which has been closed for a while now. All of the seamstresses – ten women – stayed in Ukraine. The workshop in Kyiv was re-opened eventually and new seamstresses joined the team. He began not to prepare new collections but to dress the army.

    From expensive fabric bought initially for an Italian brand they began to fashion pillows for soldiers in gentle blue, then balaclavas, flags, stretchers for the wounded, raincoats, tents, sweaters. All at their own expense. Later they were joined by volunteer fonds, friends from all   around  the world helped by placing orders from him.

    A renaissance

    Fashion during the time of war is a chain of daily, brave decisions – as long as we can help, we will help and it will be seen. Reflecting, the designer shares his vision of the Ukrainian people after the war – as tone setter of a certain fashion.

    „I feel that we are right before a renaissance. I did not expect this because of the pandemic and the war, but historically, it is the darkest night before the dawn.”

    The designer recently returned from the 7th Global Sustainable Fashion Week in Budapest. It was only in the EU that he recognized how tired and used to war he had gotten. Abroad his spirits recouperated in no time. He is back in Kyiv; leaving Ukraine is only possible with permission of the Ukrainian ministry of culture. By now, his scarves are flying all over Europe, Budapest, Belgium, Czechia, France and soon Germany.

    julia

    The founder and creative director of the brand MAKI Maki is working continuously throughout the horrible bombardment of Kyiv, blackouts, even if the light is turned of three times a day for four hours, bad communication. Nevertheless, he is preparing a Christmas-collection of scarves, among them Anastasis.

    This article was also published in German.

     

     

  • Zeit für Märchen

    Unser Land, die Sowjetunion, bestand aus 15 Republiken, die alle die gleichen Rechte hatten. Dort wohnten verschiedenen Völker: Russ*innen, Ukrainer*inne, Belaruss*innen, Usbek*innen, Kasach*innen, Georgier*innen, Litauer*innen und viele mehr. Bukwar, mein erstes Buch. Und das Buch vieler Kinder, die in der Sowjetunion groß geworden sind. Mit diesem Buch, meins war auf Ukrainisch, habe ich Lesen gelernt. Wir sind mit den gleichen Märchen aufgewachsen. Für westlichere Familien war es wie ein rotes Tuch. Ganz unbekannt. Meine Oma hat Märchen erzählt, aber jetzt verstehe ich, dass es nicht die Märchen der Brüder Grimm waren. Es waren Kriegsmärchen. In ihren Geschichten brannte es, sie musste wegrennen.

     

    Seit Kriegsbeginn sind viele Kinder aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Wie auch in der Ukraine, aufgeteilt nach Westen und Osten, sprechen sie Ukrainisch oder Russisch. Für sie wollte ich Märchen erzählen. Ein 6-jähriges Kind aus Mariupol, das jetzt in Hamburg ist, nimmt sich mein Mikrofon. Er erzählt kein Märchen, sondern von einer Realität, die schlimmer als ein Horrorfilm ist. Krieg klaut nicht nur Träume, er klaut die Kindheit. Erwachsene fragen oft, ob Volksmärchen nicht zu gruselig für Kinder sind. Auf der anderen Seite sehe ich ständig Kinder, die schon im Kinderwagen ein Handy in der Hand haben. Alles ist digital – auch Krieg. Er ist laut und präsent. Eine Märchenstimme dagegen ist ganz leise und wird kaum wahrgenommen. 

     

    “Volksmärchen werden seit Jahrhunderten weitererzählt. Es sind vertraute Geschichten. Sie erzählen von uns, von kleinen und großen Menschen, von unseren Sorgen und Nöten. Immer gibt es Probleme im Leben, aber es gibt auch Helfer oder Helferinnen: alte, weise Frauen oder Männer, die zuweilen in der Gestalt von Feen, Riesen oder Tieren erscheinen. Natürlich zeigt sich auch das Böse, das Unheimliche in der Gestalt von Hexen, Zwergen, Riesen. Am Ende geht es aber immer gut aus, es finden sich neue Wege, das Leben geht weiter. Eine Voraussetzung gibt es aber für den Wandel zum Guten: Man muss sich auf den Weg machen, nicht untätig bleiben. Das ist eine Botschaft der Märchen”, sagt Hanna Margarete Schilling, Mitglied im Vorstand des Märchenforums Hamburg e.V., “in jedem Lebensalter tut es gut, diese Geschichten zu erzählen oder sie vorzulesen – sowohl den Erzähler*innen als auch den Zuhörer*innen. ,Und weil sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute’: die Märchen der Brüder Grimm, die Märchen aus aller Welt.”

     

    In der Ostukraine leben schon lange Kinder, die nicht mehr an Märchen glauben. Sie hören nicht die Stimme ihrer Eltern, sondern die Raketen. Anhand von Märchen wird ihnen erzählt, wie sie sich ducken müssen und die Hände über die Ohren drücken müssen, wenn Raketen fallen. Da ist keine Magie. In Russland handeln die Märchen von Vätern, die zu Kriegshelden werden. Der Krieg dauert schon neun Jahre, nicht erst eins. 

     

    Ich habe letztens ein Foto von einer Demonstration für die Ukraine gesehen. Darauf war ein strahlendes Kind, das ein Schild hochgehalten hat: “Wir brauchen mehr Leoparden.” Kinder brauchen keine Leoparden, denke ich. Sie brauchen eine Kindheit. Mut, um Böses zu besiegen, egal um welchen Preis. Im Märchen gewinnen Hoffnung, das Gute und die Wahrheit. 

    Wir brauchen mehr Zeit für Märchen! Am 29.01.2023 hat das 14. Märchenfest im Märchenforum Hamburg stattgefunden. Weitere Infos hier: Programm

  • Makar Lieberman – zwischen Mode und Krieg

    Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich das Bild der Menschen, die Mode änderte sich, neue Silhouetten tauchten auf. Balenciaga, Chanel. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es die Dior-Kollektion, die ein neuen Look, eine Nachkriegskollektion, ein neues Image, ein neues Verständnis erschuf.

    Dezember 2022

    Wenn ich Angst hätte, würde ich Kiew verlassen. Es gibt eine Werkstatt, ich kann nähen. Ich habe gesucht, was ich nähen kann, was gerade in diesem Moment gebraucht wird.

    Die Frage, was ich heute anziehen soll, wurde zu: Wie kann ich helfen?

    Makar Lieberman blieb in Kiew. Im 9. Kriegsmonat kehrte er zur Arbeit zurück, die Freiwilligenarbeit hört nicht auf. Der Schock hat sich geändert, es ist notwendig zu helfen, indem man fragt, was man jetzt tun kann. Jeder Tag ist eine Herausforderung. Makar hat 2 Geschäfte: eines in Rivne, in der Westukraine, und eines in Kiew, das einige Zeit geschlossen war.

    Alle Näherinnen, zehn Frauen, blieben in der Ukraine. Die Werkstatt in Kiew wurde schließlich wieder geöffnet und neue Näherinnen traten dem Team bei. Er begann nicht, neue Kollektionen vorzubereiten, sondern die Armee zu kleiden.

    Aus dem teuren Stoff, der für Hemden einer italienischen Marke gekauft wurde, begannen sie, Kissen für Soldaten in sanftem Blau zu nähen, dann Sturmhauben, Flaggen, Tragen für Verwundete, Regenmäntel, Zelte, Pullover. Alles auf eigene Kosten, später schloss sich ein freiwilliger Fonds an, Freunde aus aller Welt halfen, indem sie beim ihm bestellten.

    Eine Renaissance

    Mode während des Krieges ist eine Kette täglicher mutiger Entscheidungen – solange wir helfen können, helfen wir und es wird gesehen werden.  Der Designer reflektiert und teilt seine Vision von den Ukrainern nach dem Krieg als Gesetzgeber einer bestimmten Mode.

    „Ich habe das Gefühl, dass wir kurz vor einer Renaissance stehen. Das habe ich wegen der Pandemie und des Krieges nicht erwartet, aber historisch ist die dunkelste Nacht vor der Morgendämmerung“.

    Der Designer ist kürzlich von der 7. Global Sustainable Fashion Week in Budapest zurückgekehrt und hat erst in der EU gemerkt, wie müde und kriegsgewöhnt er ist. Im Ausland erholte sich sein Gemüt in kürzester Zeit. Er ist zurück in Kiew und das Verlassen der Ukraine ist nur mit Genehmigung des Kulturministeriums der Ukraine möglich. Inzwischen fliegen seine Halstücher durch Europa, Budapest, Belgien, Tschechien, Frankreich und bald auch in Deutschland.

    Der Gründer und Kreativdirektor der Marke MAKI MAKI ist ständig am Werk zwischen dem schrecklichen Beschuss in Kiew und Stromausfällen, auch wenn das Licht dreimal am Tag für vier Stunden ausgeschaltet wird, schlechte Kommunikation. Doch er bereitet eine Weihnachtskollektion von Halstüchern vor, darunter Anastasis.

     

     

     

    Dieser Beitrag ist im Schreibtandem entstanden. 

  • Sprechende Bilder: Frieden, Ruhe und Kunst

    Stellen Sie sich vor: Sie trinken morgens Kaffee, machen Frühstück für Kinder, schauen aus dem Fenster und sehen einen russischen Panzer, der durch Ihr Blumenbeet mit Rosen durchfährt. Er hält, bewaffnete Männer kommen aus ihm raus und sagen, dass sie ab jetzt hier leben werden. Wenn Sie fragen, ob Sie mit den Kindern aus der Stadt wegfahren dürfen, sagen sie „nein“ und erschießen Sie… bestenfalls.

    In meiner Arbeit wollte ich zeigen, wie Frieden und Ruhe zu relativen Begriffen geworden sind. Wir sind es gewohnt, unser Leben zu leben: unsere Familie zu lieben, uns um die Familienmitgliedern zu kümmern, zur Arbeit zu gehen, Kinder zu erziehen… Wir glauben, dass unser Leben eine Norm ist. Aber irgendwo in der Nähe wohnt ein verrückter Psychopath, der eigene Pläne hat. Einen solchen Psychopathen kennt jetzt die ganze Welt.

    Er hat die Kontrolle über Atomwaffen, greift in die Territorien und die Unabhängigkeit anderer Staaten ein. Er verstößt gegen alle Normen des Völkerrechts und verletzt die allgemeinmenschlichen Werte. Er verdient viel Geld durch Erpressung und Raub. Solange so ein Unmensch sich in seinen Taten gut und frei fühlt, ohne dafür verantwortlich zu sein, sind wir alle – wo auch immer wir sind – in seinem Visier. Seine Waffe kann jederzeit auf jeden gerichtet werden. Es ist unmöglich, den Vereinbarungen mit ihm, die er unterzeichnet, zu glauben, und es ist sinnlos zu verhandeln. Niemand darf ruhig bleiben, weil die ganze Welt im Visier ist. Und wer ist der nächste – eine Frage der Zeit und der Stimmung des Psychopaths.

     

     

    „Meine Gegenwart 20_06_2022, “ 2022, 50Х50 cm, Leinwand, Acryl.

    Die Arbeit entstand im Rahmen des deutsch-ukrainischen Projekts “ ЗМІСТ> ФОРМА (Inhalt-Form-red.). ALL THIS JUSTIFIES THINKING OF…„…. Die Ausstellung fand ab 23.06.2022 bis 26.06.2022 im MOM Art Space (Hamburg) statt. 

    Weitere Arbeiten von Olga sind auf ihrem Instagram-Account @olga_barashykova_art zu sehen.

     

    Dieser Beitrag ist im Rahmen des Schreibtandems entstanden.

  • Werden Palästinenser*innen die größten Verlierer*innen sein?

    „Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen. 50 Massaker, 50 ,Holocausts‘“. So hat Abbas in der Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz auf eine Frage von einem Journalisten, ob er Israel angesichts des 50. Jahrestags des Attentats auf die israelische Olympiamannschaft bei den Spielen in München um Entschuldigung bitten wolle, geantwortet. Diese Aussagen lösten eine heftige Kritik in Deutschland aus. Die Frage des Journalisten war meiner Ansicht nach auch bemerkenswert, denn im Juni 2022 war der israelische Ex-Premier in Berlin. Warum wurden ihm eine solche Frage nicht gestellt? Nach der Entscheidung, einen Krieg gegen Gaza zu führen, war seine Regierung allein im letzten Jahr für die Tötung von mehr als 250 Palästinenser*innen verantwortlich.

    Laut der palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA hat Mahmoud Abbas demnach zu seinen Äußerungen Stellung genommen. „Präsident Mahmoud Abbas wiederholt, dass der Holocaust das abscheulichste Verbrechen ist, das sich in der modernen Menschheitsgeschichte ereignet hat“, so die Quelle. Der WAFA zufolge betonte er, „dass seine Antwort nicht darauf abzielte, die Besonderheit des Holocaust zu leugnen“.

    Hintergrund

    Damit man den Hintergrund dieser Äußerungen versteht will, muss man eine kurze Reise ins Jahr 1948 machen. Nach der Gründung des Staates Israel, Nakba für Palästinenser*innen, wurden etwa 800.000 Palästinenserinnen und Palästinenser aus ihrem Dorfer vertrieben. Infolge des Krieges wurden etwa 70 Massaker an Palästinenserinnen und Palästinenser verübt, in denen mehrere Hunderte getötet wurden. Außerdem wurden 531 Dörfer zerstört.

    Palästinenserinnen und Palästinenser wissen schon, was mit den Verbrechen gemeint ist, über die Mahmoud Abbas gesprochen hat. Es sind die Massaker, die seit der Nakba durch die israelischen Streitkräfte am palästinensischen Volk verübt wurden, und diese Verbrechen haben bis heute nicht aufgehört.

    Der unverzeihliche Fehler

    Viele Palästinenser*innen kämpfen jeden Tag, um der Welt ein Bild von dem Konflikt zu vermitteln. Und zwar mit der Hilfe der internationalen Menschenrechtorganisationen, wie Human Rights Watch, Amnesty International und B´Tselem. Sie versuchen immer, sich mit ihren Berichten auf die Menschenrechtsverletzungen zu fokussieren, damit sie ihre Perspektive zum Konflikt in den westlichen Medien schildern können. Daher ist vielen bewusst, dass jeglicher Vergleich mit anderen Verbrechen nicht infrage kommen darf.

    Abbas Fehler war, dass er das Wort „Holocaust“ verwendet hat, als er über die Verbrechen an Palästinenserinnen und Palästinenser sprach. Das wurde auch unter Menschen aus Palästina kritisiert. Denn solche Äußerungen sind auch für sie inakzeptabel und es trägt nicht zur Konfliktlösung bei, sondern verkompliziert eher. Wenn man die Solidarität der Welt fordert, dann braucht man das Verbrechen gegen sein Volk nicht mit anderen zu vergleichen. Abbas hätte sagen können, „Es sind mehr als 50 Massaker.“ ohne das Wort „Holocaust“ zu erwähnen. Er ist ein Präsident und darf diesen Fehler nicht machen, insbesondere in Deutschland, wo man sich täglich von den antisemitischen Vorwürfen distanzieren muss.

    Solche Fehler sollten in der palästinensischen Politik nicht auftreten. Insbesondere wenn Politiker*innen zu Gast in einem Land sind, welches eine besondere historische Beziehung zu der anderen Konfliktpartei hat. Aus diesem Grund bauen die Länder untereinander diplomatische Beziehungen auf und tauschen diplomatische Vertretungen aus, deren Aufgabe es ist, die Gesetze und die Besonderheiten des Gastgeberlandes zu beachten. Sie bereiten Pressekonferenzen, Treffen und sogar Antworten auf die Fragen von Journalist*innen vor, um Verwirrung zu vermeiden, die zu einer diplomatischen Krise zwischen den beiden Ländern führen könnte. Und es schien so aus, als ob die palästinensische diplomatische Mission in Berlin diesen Punkt verpasst hat.

    Im Nahostkonflikt gibt es zwei Partei, die versuchen, die ganze Welt davon zu überzeugen, dass sie diejenigen sind, die das Land rechtmäßig regieren dürfen. Dafür braucht man einen ausgewogenen und genauen politischen Diskurs, der zur eigenen Zielgruppe passt, um diese Zielgruppe für seine Seiten zu gewinnen. Wenn Abbas die Anerkennung seines Staates und seiner Bevölkerung in der Welt erringen will, sollte er bei seinen Äußerungen nicht auf Improvisation setzen, sondern sich auf den Gewalttaten und Menschenrechtverletzungen gegen sein Volk konzentrieren – statt die Taten mit andern Verbrechen zu vergleichen. Ansonsten verliert er aus diesem Grund die Solidarität der Welt.

    Kollektivstrafe gegen Palästinenser*innen

    Nach der Pressekonferenz begann in Deutschland die Debatte. Es wurde gefordert, dass Palästinenser*innen kein Geld mehr von Deutschland erhalten. Eine Art Kollektivstrafe gegen das ganze Volk. Zwar regieren Abbas und Co. die palästinensische Autonomiebehörde, aber sind sie von der Mehrheit der Bevölkerung ausgewällt? Natürlich nicht. Denn etwa sechs Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser haben nicht das Recht, sich an den Wahlen zu beteiligen, weil sie Geflüchtete sind und mehrheitlich in der Diaspora leben. Daher ist die Forderung, deutsche finanzielle Unterstützung an Palästinenserinnen und Palästinenser zu stoppen, eine Kollektivstrafe, die in keinem Fall hilfreich sein kann, eine Lösung für diesen Konflikt zu finden. Es dient dazu, zu betonen, dass der anti-palästinensische Rassismus in der deutschen Gesellschaft verankert ist.

    Schweigen ist eine Legitimation

    Palästina ist ein Land für etwa fünf Millionen Menschen. Das Land leidet unter der Unterdrückung der israelischen Seite. Siedlung werden in der Westbank überall aufgebaut. Checkpoints kontrollieren das tägliche Leben der Bevölkerung. Palästinenserinnen und Palästinenser in der Westbank müssen stundenlang an den Checkpoints warten, um ein Geschenk kaufen zu gehen. Das Land hat keinen Zugang zum Waser und die Bevölkerung kann während dieser Hitze nicht ans Meer gehen.

    Da Palästina keinen eigenen Flughafen hat, braucht man etwa 36 Stunden, um aus Deutschland zum Gazastreifen zu reisen, damit man einen Urlaub mit der Familie verbringt. Palästinenserinnen und Palästinenser aus der Westbank müssen vor 20 Uhr ihre Einreise in die Westbank planen, denn die Grenze zwischen Israel und Jordanien wird täglich zu dieser Zeit zugemacht. Ansonsten müssen sie bis zum nächsten Tag warten. Wie kann es sein, dass ein Land keine Kontrolle an ihrem eigenen Grenzen hat?

    All das findet in Deutschland keinen Diskussionsraum. Viele Palästinenser*innen verstehen das historische Verhältnis zwischen Israel und Deutschland sehr gut. Die Schoah ist der größte Völkermord der Geschichte, der verurteilt und nicht geleugnet werden muss. Von daher muss der Antisemitismus in der ganzen Welt weiter bekämpft werden. Das bedeutet aber nicht, dass alles, was Israel unternimmt, zu legitimieren ist. Auch in diesem Fall ist das Schweigen auf Menschenrechtsverletzungen eine Legitimation. Jeder Versuch der Palästinenser*innen in Deutschland, den Konflikt und ihr tägliches Leid zu verdeutlichen oder zu vermitteln, rückt sie ins Fadenkreuz des Antisemitismus.

    Viele Palästinenserinnen und Palästinenser wissen genau, dass jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel ist und das muss scharf kritisiert werden. Aber gleichzeitig können wir, vor allem in Deutschland, die israelischen Gewalttaten gegen die Palästinenserinnen und Palästinenser, die seit 1947 andauern, nicht ignorieren, als ob nichts passiert wäre. Sie müssen auch kritisiert und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

  • How war united us

    I guess you read the news about Ukraine and the war in Europe. Do you have thoughts on that?

    I honestly feel heartbroken. It was really devastating to see people fleeing their homes and leaving everything behind, being stuck in traffic jam. To see them trying to leave their homeland that they were born in, that they lived in for their entire lives.
    War doesn’t give you warning, it does not wait for you, it is not merciful. And I always said: War did not accomplish anything in Syria or Iraq or Afghanistan or during the World War II or before, or after it. War is the most heartbreaking event that can happen to anyone. And it’s the most aggressive kind of events that can happen to any human beings.

    My prayers are with the people of Ukraine. I know that the war won’t accomplish anything for the invaders. And I know that people of Ukraine are resilient, are strong and they will certainly come out of this much stronger, but my prayers are for those who are yearning for peace around the world today and every day.

     

    Do you know any Ukrainians?

    I have many Ukrainian friends. They messaged me during the war in Syria, asking me if I can flee the city and go to Ukraine, telling me they were able to host my family.

    Now I just texted them yesterday and asked them if there is anything we can do for them here in Canada. I’m very pleased to see the Canadian responses being very welcoming.

     

    Does the current war in Ukraine make you think back to your own past, did you have flashbacks these last days?

    Absolutely. You know, living in the war has given me these memories that I will never forget. I was one of the lucky ones actually that I did not really get affected much from the war. I did not suffer from PTSD, like many other friends and family members. But I have memories from the war, I always keep imagining how the world should be and could be much more beautiful, much more prosper without aggressive acts like launching a war to invade another sovereign country.

     

    What do you remember from the war in Syria?

    I remember many nights when the war started in Damascus, that was in 2012, in the middle of the summer. My family and I were sitting in our building. We lived in a building where my grandmother was on the first floor. We were on the second floor and my uncles and my aunts and everyone was in the building. Ten floors of my family members solely, it was really lovely. But when the war started in Damascus, the explosions started hitting in the middle of July 2012 and we started feeling the building shaking, we heard bombings and the neighborhoods soldiers were on the streets.

    Tanks were destroying the buildings and soldiers were entering buildings, getting men and whoever was over eighteen years old outside of their apartment, outside of their houses, and shooting them in front of their kids and their families. I was just peaking through the curtain from my room at that time.

    And then I told my family: We cannot stay. Everyone was so scared. Nobody knew what was happening. And we could hear the powerful explosions outside. We were rushing down the stairs, all my family members, because we lost electricity and were not able to use the elevator. And then we were hiding in the basement in a little tiny room that can barely fit.

     

    How many people were there?

    We were many, a lot of extra people were sitting on the laps of each other. We couldn’t even really sleep, because we couldn’t lay down in that room. There was no space. So we stayed there for five nights without electricity. We sat there with the bare minimums of necessities for living: water, food, and medications.

    And so many times we run out of fresh air, we run out of oxygen. We were not able to breathe. On the sixth day there was a ceasefire, so we got out of the building and everyone left. And now my family is scattered over twentythree countries.

     

    So war had an enormous effect on your family?

    I think the most atrocious, the most aggressive hardship that anyone can live through is the disconnection from your loved ones and your family. This is really the hardest thing throughout living in a war.

    So seeing people yesterday on the news, trying to flee their countries or being stuck at the border was horrible and I am especially sorry for everyone that lost connection with their family members. I really hope that all of them make it to a safe haven. Our doors here in Canada are open to support Ukrainians.

    The war is connecting their journey to us. It’s just removing all the differences and brings all the similarities, right? We are always bonded by crisis more than anything else.

     

    Crisis as a bond that brings us all together?

    Yes, the pandemic for example has brought us all together much stronger than anything else. And now, I am seeing people having the same experiences as us, Syrians and Iraqis and Afghans and everyone and who suffered and is still suffering, because of someone empowered decided to make a decision that’s not going to affect him. No one who makes this decision joins the war –  they send people to war. They don’t join it. It is quite a hypocritic way of living for those political leaders.

    But I appreciate, you know, living through times where we are brought together as human beings by our passion and our mission towards living a peaceful life, towards living a happy life. So that’s really how I connect to every Ukrainian trying to survive this. That’s how I connect to every person around the world struggling to make it to a safe place and rebuild their lives. But I also connect to people through resiliency and adaptability. You know, living through war can teach you many things. It can teach you the most powerful assets of a human being. You can just not imagine how powerful we are as human beings, and how much we can bring from that power to accommodate the new realities.

     

    What was the most important thing that war has taught you?

    The most important thing I learned was that we can only make it if we help each other. You become selfless during the war because you really want to be able to help those who did not make it or help those that were not as lucky as we were.

    When the war started in Syria, I was really young and I could have done anything. You know, I could run, I could jump, I could escape. My grandmother was like seventy years old at the time, she couldn’t do any of that. I just felt at that time that my responsibility was to be there for others.

     

    It’s impressive that you manage to have such a constructive perspective on war, since you yourself went through so much.

    There was something that we used to say in Syria during the war: There is nothing good in war except its ending. So, we are always looking forward to the day and when the war ends. It did not yet end in Syria, only in parts of Syria.

    It doesn’t take much for a war to start, right? You would never know that you can really become a victim of a war yourself. But it doesn’t take much at all. It can be a decision by a single leader. It can be an accumulation of events of a settlement, or a conflict. And so that’s why my mission since arriving in Canada is to make sure Canadians understand that aspect, you know, that war doesn’t take much. And that working through it and reconciliation are the only ways to prevent it.

    Here you can read the interview in German.

    https://kohero-magazin.com/der-krieg-schweisst-uns-zusammen/

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