Schlagwort: Klimaflucht

  • Lützerath aus meiner Perspektive

    Als koheros Redaktionsleitung – Natalia, Sarah und ich- diese Woche diskutiert hat, welches aktuelle Thema es für diese kohero_Kolumne gibt, kamen wir immer wieder auf die Demonstrationen rund um Lützerath. Es wurde sehr viel in den Medien dazu diskutiert, aber wir haben uns die Frage gestellt: passt dieses Thema zu koheros Fokus auf Flucht, Migration und Zusammenleben?

    Sarah sagte dazu: Doch, wieso sollte es nicht passen? Dafür spricht zum Beispiel, dass eine der Sprecherinnen der Initiative “Lützerath lebt”, Dina Hamid, im Interview sagte: “Wir müssen uns klarmachen, schon heute sterben Menschen an der Klimakrise (…) vor allem geht es darum, Leben zu schützen von Menschen, die am stärksten darunter leiden und das ist im globalen Süden. Wir erinnern uns auch daran, dass ein Drittel von Pakistan im letzten Jahr unter Wasser stand und das ist erst der Anfang. Wir rasen auf Kipppunkte zu…” (ZDF, ab 03:00).

    Wenn wir uns der globalen Klimakrise bewusst sind, ist das natürlich auch ein Thema für kohero. Es geht um die Auswirkungen der Klimakrise, die auch für viele Grund zur Flucht sind. Das zeigte auch unser Fokus auf das Thema Klimakrise als Ursache von Flucht im November 2021.

    Welchen Platz hat Lützerath auf der Prioritätenliste?

    Gleichzeitig ist es meine persönliche Erfahrung, dass die Art und Weise, wie in Deutschland und in deutschsprachigen Medien über die Klimakrise diskutiert und dagegen demonstriert wird, nicht inklusiv ist.

    Ich habe selber die Demonstrationen rund um Lützerath nicht so intensiv verfolgt, auch weil ich mich als Syrer in Deutschland von dem Aktivismus nicht angesprochen fühle. Und die Demonstrationen waren auch nicht unbedingt ganz oben auf meiner Liste von Prioritäten. Im Alltag beschäftigt mich die humanitäre und wirtschaftliche Krise, die bis heute Syrer*innen leiden lässt.

    Oder ich sorge mich um meine Familie in Syrien, die nur eine Stunde Strom am Tag bekommt, und ob sie Solarstromanlagen kaufen können oder ob auch das zu teuer ist. Hier eine Notiz: Aktuell werden viele Wohnungen und Häuser in den von Assad kontrollierten Gebieten mit Solaranlagen ausgestattet. Aber nicht, weil es ein großes Bewusstsein für erneuerbare Energien im Land gibt, sondern weil das syrische Regime sich einfach nicht mehr um die Stromversorgung für die einfache Bevölkerung kümmert.

    Wie für viele andere Geflüchtete in Deutschland gibt es für mich also Themen im Alltag und in der Zukunft, die mich mehr beschäftigen als Klima-Demonstrationen. Zum Beispiel, wie ich mit meinem abgelaufenen syrischen Pass umgehe, da die Hamburger Behörden mir keinen Ersatzpass für Ausländer ausstellen möchten. Oder um die gestiegenen Heizkosten und die Inflation, da wir bei kohero leider (noch) nicht einen Inflationsausgleich an mich und meine Kolleginnen zahlen können.

    Herkunft und Lebenswandel

    Aber weil ich auch viel Zeit mit Deutschen ohne Migrationsgeschichte verbringe, weiß ich, dass nach dem Wetter die Klimakrise ein Top Gesprächsthema ist. Durch diese Diskussionen habe ich auch viel gelernt, zum Beispiel was jede individuelle Person für oder gegen den Klimawandel tun kann. Als Kind einer Mittelschicht-Familie aus dem globalen Süden (oder ist es der globale Osten?) glaube ich, dass mein persönlicher CO2 Fußabdruck kleiner ist, als der von den meisten Aktivist*innen, die hier in Deutschland aufgewachsen sind. Aus finanziellen Gründen haben wir weniger Fleisch gegessen und sind als Familie nicht außerhalb von Syrien verreist.

    Als ich vor kurzem mit einem Bekannten über dieses Thema, Reisen und CO2-Fußabdruck gesprochen habe, hat er gesagt, er sei im letzten Jahr ‘nur’ acht Mal geflogen. Als ich dann fragte, ob er hin und zurück als zwei Flüge zählt, war er überrascht und sagte nein. Ich fragte mich danach: Und du? Wie viele Male bin ich im Flugzeug geflogen? Bis jetzt waren es vier Flüge – in meinem Leben.

    Klimakrise, Dürre und Syrien

    Obwohl viele Syrer*innen wie ich wegen unseren seltenen Reisen, oder der Art, wie wir aufgewachsen sind, die Umwelt mit weniger CO2 belastet haben, weiß ich, dass wir doch Aufmerksamkeit für dieses Thema brauchen. Denn wir leiden auch unter der Klimakrise, die Armut verursacht und Menschen in die Flucht treibt. Es gibt auch Diskussionen und Theorien über die Rolle einer jahrelangen Dürre in Syrien als einer der Auslöser der Revolution. Es war meiner Meinung nach nicht der Hauptgrund, aber es hatte in den Jahren vor 2011 viele Menschen innerhalb des Landes von den ländlichen Regionen in die Städte vertrieben. So hatte sich große Enttäuschung  in der Landbevölkerung verbreitet.

    Mit diesem Kommentar versuche ich auch, mir selber mehr bewusst zu werden, dass es nötig ist, die Klimakrise auch in meinem Kontext zu verstehen. Auch wenn es langfristig erscheint, Menschen fühlen weltweit die Konsequenzen der Klimakrise. Deswegen sollten wir alle – ob geflüchtet, zugewandert, hier aufgewachsen oder nicht – dagegen kämpfen, so wie wir können. Damit kämpfen wir für unsere Familien, unsere Freund*innen und ehemalige Nachbar*innen, und die Länder, wo unsere Wurzeln und Heimaten sind. Und für unsere Kinder, damit sie nicht die größten Verlierer von allen werden.

  • Klimakrise: Wohlstand, Armut, Migration

    Begriffe, die wir alle kennen, ja klar, unser „Wohlstand“, den wir uns hart erarbeitet haben. Natürlich gibt es auch Armut in der Welt, aber meist in den „unterentwickelten“ Ländern, wo oft korrupte Regime regieren. Selbstverständlich gibt es Lobbyverbände, die die Interessen der Industrie vertreten und unsere Arbeitsplätze sichern. Nur so kann uns unser Wohlstand erhalten bleiben.

    Ist das so?

    Der „Wohlstand“ existiert nur für einen kleinen Teil der Weltbevölkerung. Begonnen hat alles mit der Kolonialisierung der südamerikanischen Länder und dehnte sich letztlich auf alle Kontinente aus. Das Luxusleben der wenigen gefährdet die Existenz der meisten auf diesem Globus.

    Zum 27. Mal kommen ca. 190 Staaten aus allen Regionen der Erde in Scharm ElScheich zur UN-Klimakonferenz zusammen. Worum geht es?
    Es geht darum, dass wir unser Leben im Wesentlichen so fortführen können, wie wir es gewohnt sind, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Wir versprechen den Ländern Ausgleichszahlungen und dass wir unsere erneuerbaren Energien schnell ausbauen, gleichzeitig kündigt Olaf Scholz dem Präsidenten vom Senegal eine enge Zusammenarbeit bei der Gasförderung an.

    Wie passt das zusammen? Gar nicht! Hier stecken wieder Lobbyinteressen dahinter. Ach ja, wir müssen unseren „Wohlstand“ erhalten.
    Dieses Denken ist eines aus dem 20. Jahrhundert und hat in diesem Jahrhundert ausgedient. Wir können nicht weiter die Länder des globalen Südens ausbeuten, um unser Leben so weiterzuleben wie bisher.

    Die Probleme sind alle bekannt und die Technologien, mit denen wir sie lösen können, ebenfalls. Die Klimaziele von Paris sind nicht mehr zu erreichen, denn dafür hätte es in allen Industriestaaten der Welt mehr Tempo bei der Transformation von den Fossilen zu den erneuerbaren Energien bedurft.

    Eine neue Sinnhaftigkeit

    So weit der etwas längere Vorspann! All diese Dinge, die ich in diesem Vorspann beschrieben habe, führen zu Armut und Migration in großen Teilen unserer Welt. Kein Mensch verlässt seine Heimat freiwillig, wenn es ihm dort gut geht und er in Frieden und „Wohlstand“ leben kann. Mit Wohlstand habe ich hier nicht das Gleiche gemeint, was ich im Vorspann gemeint habe.

    Ab hier werde ich das Wort mit einer neuen Sinnhaftigkeit verwenden. Dieses Wort wird auch in unserer Gesellschaft in der kommenden Generation seine Bedeutung verändern, weil sich das Denken verändert. Geflüchtete berichten meistens von Krieg, Armut und der Klimakrise. In Afrika gab es Landstriche, da konnten Landwirte ihre Tiere weiden lassen und gut davon leben, dann fielen diese Gebiete der Klimakrise zum Opfer, es regnet nur selten, der Grundwasserspiegel sinkt immer weiter ab.

    Es sind die Länder, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, dennoch sind sie die Leidtragenden. Das andere Extrem sind Hochwasser und Überflutungen durch Starkregen. Schreibe ich hier Neuigkeiten?

    Natürlich nicht! Wohlstand sollte auf der Welt gerechter verteilt werden. Kinder sollen zur Schule gehen dürfen, anstatt Edelmetalle und seltene Erden aus dem Elektroschrott sammeln zu müssen. Ja, ich weiß, dass es eine gerechte und gute Welt auf absehbare Zeit nicht geben wird, aber sollten wir dieses Ziel nicht trotzdem im Auge behalten und danach unser Leben ausrichten. Stattdessen leben wir schneller, größer, reicher und neuer.

    Geflüchtete vor Krieg und den Folgen der Klimakrise

    Braucht man noch eine fünfte Million, um überleben zu können? Muss es unbedingt das größte und schnellste Auto sein, wobei Autos mit Verbrennungsmotor sowieso bald obsolet sein werden?  Müssen wir immer die neueste Mode tragen? Das Kleid vom letzten Jahr ist noch tadellos. So könnte ich noch viele weitere Fragen stellen, gleichzeitig haben die Menschen im globalen Süden oftmals nicht genug zu essen, damit ihre Kinder und sie selbst am Tag satt werden.

    Deutschland und alle anderen Industrieländer haben eine Bringschuld gegenüber den Menschen, die vor der Klimakrise vom afrikanischen Kontinent über das Mittelmeer fliehen. Es ist eine Schande, dass die EU-Nationen von ihren „Werten“ reden, aber das Gegenteil von dem praktizieren, womit sie sich in der Welt brüsten.

    Wir müssen diesen Menschen eine Perspektive bieten, damit sie hier ein neues Leben beginnen können. Sie könnten die Fachkräfte und Lehrer:innen von morgen sein, deren Mangel wir ja täglich in den Medien beklagen. Kommen wir nun zu den Erfolgsgeschichten, die es auch gibt.

    Sie werden von syrischen und afghanischen Schüler:innen, die mit Bestnoten ihr Abitur machen und anschließend hier studieren, geschrieben. Dabei will ich nicht die Frauen und Männer vergessen, die hier noch einmal eine Ausbildung absolviert haben, ich habe solche Menschen kennenlernen dürfen. Sie kamen aus Syrien, Afghanistan und dem Iran.

    Das sind die Dinge, die selten bis gar nicht in den öffentlichen Medien oder anderswo auftauchen. Es bleibt noch viel zu tun, aber wenn diese Menschen bei uns als Neubürger:innen ankommen, dann sind sie eine Bereicherung für unsere Gesellschaft, die sich verändern wird und auch schon verändert hat. Ihre Kultur kennenzulernen ist spannend und man kann gleichzeitig Vorurteile, diesowieso falsch sind, abbauen. Außerdem dient es auch dazu, Missverständnisse im alltäglichen Leben auszuräumen.

  • Nachrichtenüberblick KW 44

    Neuigkeiten aus Deutschland:

    Unbeantwortete Fragen zum NSU: weitere Aufklärung notwendig

    10 Jahre nach der Selbstenttarnung des nationalsozialistischen Untergrundes, einer rechten Terrororganisation, die zehn Menschen tötete, sind immer noch viele Fragen ungeklärt. Bis heute gibt es in der Ermittlung viele Ungereimtheiten. In Verfassungsschutzämtern werden immer noch Akten zum NSU zurück gehalten, Die Folge ist ein schwindendes Vertrauen in den Rechtsstaat. Mit der neuen Regierungen gibt es auch die Hoffnung, dass neuer Schwung in die Ermittlungen kommt und eine möglichst vollständige Aufklärung vorangetrieben wird.

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    Neue Erkenntnisse im Todesfall Oury Jalloh

    Im Todesfall von Oury Jalloh, der 2005 gefesselt in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, ist nun durch ein neues Brandgutachten die Vermutung sehr wahrscheinlich, dass Oury Jalloh mit Brandbeschleuniger übergossen und absichtlich entzündet wurde. Sowohl die Hinterbliebenen als auch die Gedenkinitiative an Oury Jalloh fordern nun nochmal nachdrücklicher eine Wiederaufnahme der Ermittlungen.

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    Mehr Unterstützung für Opfer von Terrorismus

    In Deutschland ist die finanzielle Unterstützung von Opfern und Hinterbliebenen von Terroranschlägen in den vergangenen Jahren gestiegen. Edgar Franke, der Opferbeauftragte der Bundesregierung sieht weiterhin Bedarf an Verbesserungen. Das Leid wird durch das Geld nicht gelindert, finanzielle Folgen aber abgefedert. Neben der finanziellen Unterstützung sollte es auch weitere Rehabilitationsmöglichkeiten geben und eine größere Unterstützung von Opferhilfeeinrichtungen.

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    Klagen gegen abgelehnte Asylbescheide sind bei mehr als einem Drittel erfolgreich

    Etwa 35% der Klagen gegen die Ablehnung von einem Asylbescheid fielen vor dem Verwaltungsgerichten zugunsten der Klagenden aus, da die Bescheide als rechtswidrig eingestuft wurden. Bei Afghan*innen war die Fehlerquote des Bundesamtes besonders hoch. Trotz der gegenwärtigen Situation mit den Taliban in Afghanistan wird es keine pauschalen Überprüfungen im Asylverfahren geben.

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    Forderungen für ein Denkmal für Gastarbeiter*innen

    Die Linke Hamburg setzt sich anlässlich der 60 Jahre des deutsch-türkischen Anwerbeabkommen für ein Denkmal für Gastarbeiter*innen ein. In Hamburg hat immerhin jede dritte Person eine Migrationsgeschichte. Das Denkmal soll die Diversität und Internationalität Hamburgs unterstreichen, an die Wichtigkeit dieser Geschichte für die Stadt erinnern und Gastarbeiter*innen Anerkennung zukommen lassen.

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    Wanderausstellung der interkulturellen Woche

    Im Rahmen der interkulturellen Woche in Germersheim sind vielfältige Bilder, Zeichnungen und Skulpturen vor dem Hintergrund des Themas Migration entstanden, die nun ausgestellt werden. Die Wanderausstellung ist momentan in der Verwaltung von Kandel zu sehen.

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    WDR beendet Zusammenarbeit mit Nemi El-Hassan

    Die aus rechten Netzwerken initiierte antimuslimische Hetzkampagne gegen die deutsch-palästinensische Journalistin Nemi El-Hassan, die von der BILD-Zeitung öffentlich verbreitet wurde, führt dazu, dass der WDR die Zusammenarbeit mit El-Hassan beendet. Anstatt sich unterstützend hinter die zukünftige Mitarbeiterin zu stellen, folgt der WDR den Argumenten einer rechten Kampagne. Laut der Sueddeutschen Zeitung wird El-Hassan bei dem gemeinsamen Angebot von ARD und ZDF „Funk“ weiterhin als Moderatorin tätig sein. Sie war bisher für das Format Der Fall aktiv.

    Mehr dazu hier und ein Kommentar von El-Hassan selbst hier und auf Englisch hier

    Fehlende Leichte Sprache im Internet

    Texte im Internet sind häufig in Standardsprache verfasst und somit für Menschen mit beispielsweise Lernschwierigkeiten, Behinderung und geringen Deutschkenntnissen nicht barrierearm zugänglich. Bei den Internetauftritten von Ministerien und Behörden gibt es durch gesetzliche Auflagen häufiger die Option für Leichte Sprache. Die Wichtigkeit von leicht verständlicher Informationen zeigen die Corona-Pandemie und die Hochwasserkatastrophe im Juli.

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    … und der Welt:

    Fast 400 Menschen aus Seenot im Mittelmeer gerettet

    Am Mittwoch haben mehrere Rettungsschiffe im Mittelmeer, eine der gefährlichsten Fluchtrouten der Welt, insgesamt 397 Menschen gerettet, darunter auch viele Kinder. Die Hilferufe der Rettungsschiffe sind bisher unbeantwortet geblieben, so müssen die Geretteten an Bord ausharren bis die Schiffe einen Hafen ansteuern dürfen.

    Mehr dazu hier und hier

     

    Hilfsorganisationen wird Zugang zu Grenze verweigert

    Polen verhindert die medizinische Unterstützungen von Migrant*innen an der Grenze zu Belarus. Trotz mehrerer Todesfälle wird die medizinische Hilfe weiterhin blockiert. Menschenrechtsorganisationen und Journalist*innen wird der Zutritt den Grenzgebiete verweigert.

    Mehr dazu hier

     

    Klimawandel raubt Lebensraum

    Auf dem Klimagipfel (COP26) in Glasgow sollen weitere Umsetzungen des Pariser Klimaabkommens besprochen werden. Eines der Ziele ist die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Denn die Erderwärmung hat fatale Folgen. Zunehmende Naturkatastrophen im Globalen Süden führen beispielsweise durch Dürren oder Starkregen zu Ernteverlusten und dadurch zu Hunger und Armut. Dies wiederum hat zur Folge, dass mehr Menschen in anderen, reicheren, Ländern Zuflucht suchen: Klimaflucht.

    Mehr dazu hier und hier

     

     

    Auf Mallorca kommen so viele Migrant*innen an wie noch nie

    In den ersten Oktoberwochen kamen aufgrund der ruhigen Meereslage sehr viele Geflüchtete und Migrant*innen über das Mittelmeer nach Mallorca, so viele wie noch nie. Die nusschalen ähnlichen und extrem instabilen Boote starten aus Algerien. Die Menschen, die auf Mallorca ankommen und einen Abschiebebescheid der Polizei erhalten, können momentan nicht nach Algerien abgeschoben werden, da die Grenzen aufgrund von Corona geschlossen sind.

    Mehr dazu hier

  • Klimaflucht – zum Anhören, Anschauen und Lesen

    62.900.000 Ergebnisse in 0,41 Sekunden. Stichwort: Klimawandel. Bei der Anzahl an Treffern ist es gar nicht so einfach, den Überblick über das Thema zu behalten. Wir haben uns in der Redaktion umgehört und nach Tipps gefragt, die die Themen Klimawandel, Klimaflucht und Klimagerechtigkeit gut darstellen und erklären.

    … ZUM LESEN

    Rosa Luxemburg Stiftung – Schöne grüne Welt – Über die Mythen der Green Economy
    (Broschüre)

    Hast du schon mal von Green Economy gehört? Die Green Economy gilt als Wunderwaffe, die nicht nur den Klimawandel und das Artensterben stoppt, sondern uns auch ganz nebenbei aus der Finanz- und Wirtschaftskrise herausholt. Der Begriff ist 1992 auf einer UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro entstanden, hieß damals allerdings noch “nachhaltige Entwicklung”. Seit fast 30 Jahren ist sie ein Leitbild der globalen Politik. Doch so richtig geht es mit der nachhaltigen Entwicklung nicht voran.

    Die Rosa Luxemburg Stiftung geht in ihrer umfassenden Broschüre der Green Economy auf den Grund und erklärt in 13 Mythen,  was hinter dem Begriff steckt. Denn: Der Begriff Green Economy ist umstritten und wird je nach Interessen mit verschiedenen, teils widersprüchlichen Inhalten gefüllt.

    Die komplette Broschüre findest du hier.

     

     

    Paragh Khanna – Move. Das Zeitalter der Migration
    (Buch)

    Trockenheit, Verwüstung, Waldbrände, steigende Wasserspiegel und Grundwassermangel – die Menschen werden durch unterschiedliche Folgen des Klimawandels aus ihrer gewohnten Umgebung vertrieben. Doch wohin fliehen sie? Und wie sieht Migration bedingt durch den Wandel des Klimas in einigen Jahren aus? Der Politikwissenschaftler Khanna entwirft in seinem Buch das Bild der “Zivilisation 3.0”. Eine Gesellschaft, die ständig in Bewegung sein wird. Und für die das völlig normal sein wird.

    Sein Buch kannst du hier direkt bestellen:

     

    Kolonialismus & Klimakrise – Über 500 Jahre Widerstand
    (Broschüre)

    Kennst du die queere Klimaaktivits*in Adwoa Addae aus Jamaika? Oder weißt du warum sogenannte grüne Lösungen, wie das E-Auto, zur Ausbeutung von BIPoC aus dem globalen Süden beitragen? In der aktuellen Klimadebatte in Deutschland wird der Zusammenhang zwischen Klimakrise, dem europäischen Kolonialismus und Rassismus gerne ignoriert.

    Das Projekt LocalsUnited vom Verein BUND Jugend möchte das mit ihrer Broschüre „Kolonialismus & Klimakrise – Über 500 Jahre widerstand“ ändern. Auf 62 Seiten erklären die Autor*innen Laura Bechert, Shaylı Kartal und Dodo einfach und anschaulich was Klimagerechtigkeit bedeutet. Und sie erklären, warum der Globale Norden die Verantwortung für die Klimakrise trägt und inwiefern Umweltrettungsaktionen von privilegierten weißen Menschen oft zu Lasten von BIPoC-Communities gehen.

    Besonders lesenswert machen die Broschüre auch die wunderschönen Illustrationen von Menschen, die für die Umwelt und Klimagerechtigkeit kämpfen, aber in der weiß dominierten Klimabewegung oft unsichtbar gemacht werden. Die Broschüre zum Download findest du hier.

     

    … ZUM HÖREN

    1,5 Grad – der Klima-Podcast mit Luisa Neubauer
    Folge: Imeh Ituen – Was hat Rassismus mit der Klimakrise zu tun?

    Luisa Neubauer ist die bekannteste deutsche Fridays-for-Future-Aktivistin. In ihrem Podcast “1,5 Grad – der Klima-Podcast mit Luisa Neubauer” spricht sie mit unterschiedlichen Gäst*innen über die Folgen der globalen Klimakrise. In der sechsten Folge fragt Neubauer: “Was hat Rassismus mit der Klimakrise zu tun?”

    Eine Antwort darauf erhält sie von Imeh Ituen. Imeh ist Sozialwissenschaftlerin an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Uni Hamburg und beschäftigt sich unter anderem mit Rassismus und kolonialen Kontinuitäten in Klimapolitik und -bewegungen. Wo die Wurzeln der Klimakrise eigentlich liegen, weshalb manche Lösungen auf Kosten diskriminierter Menschen gehen und wie wir welche finden, die gerecht sind, hörst du in der Folge mit Imeh Ituen. Den Podcast gibt’s nur auf Spotify.

    Kanackische Welle
    Folge: Wie weiß ist (deutscher) Klima-Aktivismus ?

    Bio-Lebensmittel kaufen, kein Fleisch essen, nur Fair-Trade-Klamotten tragen und richtig recyclen lernen– das ist der privilegierte öko-Lebensstil einer weißen Mittelschicht. Damit können sich Menschen aus der Arbeiterklasse und migrantischen Communities oftmals nicht identifizieren. In der Folge „Wie weiß ist der (deutsche) Klimaaktivismus?“ diskutieren die beiden Hosts Malcolm Ohanwe und Marcel Aburakia des Podcasts mit der Empowerment-Trainerin Aaliyah Nah-Traoré und Fridays For Future-Aktivist Shayli Kartal, warum es für sie als BIPoCs so schwer ist, Anschluss in der Klimabewegung zu finden.

    In einem sehr persönlichen Gespräch ergründen sie ihre ersten Berührungspunkte mit dem Klimaaktivismus, machen ihrer Wut über weiße Klimaaktivist*innen Luft, die ihnen vorschreiben wie sie die Welt zu retten haben, und diskutieren, wie die Klimabewegung diverser werden kann.

    Diese Folge ist vollgepackt mit interessanten Perspektiven und Meinungen zum Klimaaktivismus, die man viel zu selten hört.

     

    … ZUM ANSCHAUEN

    Klimaflucht – die wahre Umweltkatastrophe

    Von 70 Kamelen bleiben Mohammed Ibrahim am Ende nur sieben. Denn die restlichen Tiere sind auf seiner Flucht vor der Hitze verdurstet. Weil es am Tschadsee immer heißer und trockener wurde, beschließt Ibrahim zusammen mit seiner Familie und seinen Tieren zu fliehen. Er möchte dorthin, wo die Temperaturen niedriger sind und es Wasser gibt. Mehrere Jahre ist die Familie mit den Tieren unterwegs und die Hitze ist ihr ständiger Begleiter.

    So, wie Mohammed Ibrahim, verlassen unzählige Menschen auf der ganzen Welt ihre Heimat nicht wegen Kriegen und Krisen, sondern wegen der Folgen des Klimawandels.

    Bleibt die Frage: Wie viele Menschen werden von dieser Situation bis 2050 betroffen sein? Die Dokumentation von 2019 geht dieser Frage nach und beschäftigt sich mit der Sahelzone, Indonesien und der russischen Tundra – den sogenannten Hotspots des Klimawandels.

    Die Dokumentation kannst du dir hier kostenlos anschauen.

     

    Filme für die Erde (Verzeichnis/Mediathek)

    Du suchst noch mehr spannende Dokus rund um Umwelt- und Klimathemen? Dann wirst du in der Film-Mediathek von Filme für die Erde auf jeden Fall fündig. Denn das internationale Kompetenzzentrum für Umweltdokumentarfilme hat es sich zur Aufgabe gemacht, möglichst vielen Menschen den Zugang zu den besten Umweltdokumentarfilmen zu ermöglichen. Auf der Webseite findest du eine riesige Auswahl an den renommiertesten und sehr bewegenden Dokus samt Trailer, Inhaltsbeschreibungen, Filmkritiken und Infos, wo du den Film streamen kannst.

    Und viele der Filme kannst du sogar direkt auf der Webseite kostenlos anschauen. Zum Beispiel hier, den von Kritiker*innen hoch gelobten Film Climate Refugees. Die Weltreise und die Befragung von mehreren der weltweit 25 Millionen Klimaflüchtlingen bringt ans Tageslicht, was die größte Herausforderung der Menschheit wird.

    Verpasse außerdem nicht das alljährliche Filmfestival von Filme für die Erde. Das nächste findet am 19. & 21. November 2021 statt. Alle Infos dazu findest du hier.

     

    EJ-Atlas

    Auf der ganzen Welt kämpfen Menschen darum, ihr zu Hause vor schädlichen Projekten mit schweren ökologischen und sozialen Auswirkungen, wie z. B. Bergbau, Staudämme oder Fracking, zu schützen. Mit einem Klick macht der Atlas der Umweltgerechtigkeit die sozialen Konflikte sichtbar. Die Karte ist in ständiger Bearbeitung, denn die Macher*innen hinter der Website legen großen Wert darauf, die Missstände zu aktualisieren, zu dokumentieren und auch zu katalogisieren. Jede Farbe der Punkte steht für ein anderes Problem. Klickt man auf einen drauf, erhält man eine kurze Beschreibung, und ein weiterer Klick führt das Problem weiter aus. Über einen Filter kann man die angezeigten Konflikte und Projekte gezielt selektieren.

    Mit dem Atlas der Umweltgerechtigkeit möchten die Macher*innen die Geschichten von Gemeinschaften teilen, die sich für mehr Umweltgerechtigkeit einsetzen. Sie möchten deren Mobilisierung sichtbar machen und Forderungen hervorheben. Und sie plädieren dafür, dass Unternehmen und Staaten für die negativen Auswirkungen ihrer Aktivitäten zur Rechenschaft gezogen werden.

    Den Atlas der Umweltgerechtigkeit sowie weitere Informationen über das Projekt findest du hier: https://ejatlas.org/

  • KlimaGesichter: „Unser Planet ist in Gefahr“

    Magst du dich kurz vorstellen? Woher kommst du und wo lebst du jetzt?

    Khaldeah: Ich engagiere mich im Projekt KlimaGesichter. Ich komme aus Syrien und lebe jetzt in Berlin.

    KlimaGesicht Khaldeah
    KlimaGesicht Khaldeah

    Was war der Grund für deine Flucht?

    Khaldeah: Der Grund für meine Flucht ist der Krieg.

    Wie beeinflusst der Klimawandel die Region, aus der du kommst?

    Khaldeah: Klimaveränderungen spielten eine große Rolle bei den Gründen für die Flucht. Der Krieg und dessen Konflikte und Folgen von Zerstörung und Bränden haben zur Verknappung und zum Verlust der natürlichen Ressourcen und Lebensgrundlagen geführt.

    Anonym: Der Klimawandel spielt eine große Rolle in meinem Heimatland, da die Bauern und Landwirte kaum
    Erträge bekommen, wodurch die Wirtschaft des Landes stark beeinträchtigt wird.

    Wie kamst du auf die Idee, deine Geschichte im Rahmen des Projektes KlimaGesichter zu erzählen und auf den Klimawandel aufmerksam zu machen?

    Khaldeah: Als Agraingenieurin habe ich in meiner Heimat Syrien im Bereich Naturschutz und Biodiversität gearbeitet und viele Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Wälder und natürlichen Ressourcen miterlebt.  Als ich nach Deutschland geflohen war, habe ich am Projekt KlimaGesichter teilgenommen, um neue Erfahrungen in diesem Bereich zu sammeln. Hier kam mir die Idee, meine Geschichte und meine Arbeit in diesem Bereich zu erzählen.

    Anonym: Ich war von unser WorkshopVeranstaltung ermutigt, über den Klimawandel in meinem Heimatland zu erzählen, damit andere auch wissen, dass schon jetzt viele Länder unter dem Klimawandel leiden.

    Ihr leistest mit eurer Arbeit als KlimaGesicht selbst einen wichtigen Beitrag in der Bildung und seid eventuell direkt vom Klimawandel betroffen. Was sind eure Forderungen oder Wünsche an andere Menschen, an die Medien und die Politik, wie sie sich mit der Problematik auseinandersetzen sollten?

    Khaldeah: Ich wünschte, die Menschen würden ihr Umweltverhalten ändern und bewusster werden. Die Medien sollten auf klimabewusstes Leben und Nachhaltigkeit setzen. Was die Welt heute erlebt, ist ein Beispiel dafür, dass unser Planet in Gefahr ist. Und wir die verbleibenden Ressourcen schützen müssen, um zukünftige Generationen zu schützen.

    Anonym: Medien sollten sich mehr damit auseinandersetzen, damit die Politiker und Unternehmen verpflichtet sind, klimafreundlich zu handeln.

     

    Vielen Dank an das Projekt KlimaGesichter für die tolle Zusammenarbeit bei unserem Fokus-Thema Klimaflucht!

  • CREACTIV – Schulprojekt für Klimaschutz und globale Gerechtigkeit

    kohero: Seit 2015 motiviert die KinderKulturKarawane mit dem Projekt CREACTIV Hamburger Schüler*innen sich für Klimaschutz und globale Gerechtigkeit einzusetzen. Wie kam es zu dem Projekt und welche Ziele verfolgt ihr damit?

    Sarah Höfling: Die KinderKulturKarawane an sich ist unser Dach. Da war die Idee, dass man einen Austausch mit Jugendlichen und jungen Künstler*innen aus dem Globalen Süden macht, um die Probleme, die es dort gibt, direkt nach Deutschland zu holen. Und das nicht durch eine theoretische Auseinandersetzung, sondern indem die Jugendlichen etwas zusammen machen – also indem sie zusammen Kunst produzieren.

    Wir möchten über die Emotionen und über das Handeln auf das Wissen kommen. Das ist die Grundidee der KinderKulturKarawane und daraus hat sich 2015 CREACTIV entwickelt. Unsere Motivation ist, dass wir wirklich mit Menschen von dort reden. Menschen, die wirklich direkt vom Klimawandel betroffen sind, sie nach Deutschland einladen und sie in den Austausch bringen mit Jugendlichen von hier.

     

    Wie läuft das Projekt CREACTIV ab?

    CREACTIV läuft über das ganze Schuljahr. Das Projekt fängt zum Schuljahresanfang an und besteht aus drei Phasen: Der Vorbereitung, der Begegnung und einer Nachbereitung. Am Anfang gibt es eine Einführung. Da haben wir einen Basis-Workshop von vier Stunden, an dem alle beteiligten Schüler*innen teilnehmen. Danach gibt es kleine Workshops, in denen sich die Schüler*innen das erste Mal kreativ mit dem Thema auseinandersetzen. Sie können Plakate erstellen, Trickfilme machen, Podcasts aufnehmen – was ihnen dazu so einfällt. Zeitgleich treffen sie sich online mit ihrer Partnergruppe.

    Die zweite Phase ist die Begegnung. Eine Gruppe kommt für eine Woche an die Schule und arbeitet gemeinsam mit den Schüler*innen an einer Präsentation. Die Partnergruppen kommen aus den Bereichen Zirkus, Theater und Tanz. Nach der Begegnung gibt es noch eine Nachbereitung, bei der die Schüler*innen eine Aktion planen sollen, mit der sie zeigen, was sie gelernt haben oder was sie gegen den Klimawandel machen wollen. Das kann von Müll sammeln bis Bäume pflanzen alles sein.

     

    Begegnung schaffen und Kontakte knüpfen – die jahrelang bestehen bleiben

     

    Gibt es einen Moment, an den du gern zurück denkst?

    Oh! Ganz viele! (lacht) Ich war selber 2018 Tourbegleiterin und habe mit einer Gruppe aus Peru das CREACTIV-Programm gemacht. Da habe ich wahnsinnig viel gesehen und es war immer die Abschlussaufführung, die mir in Erinnerung geblieben ist. Weil oft Jugendliche, die sich eher im Hintergrund gehalten haben oder nicht so aufgefallen sind, auf der Bühne explodieren. Das ist immer super schön.

    Was vielleicht auch ein Highlight ist, sind die Kontakte, die bestehen bleiben. Da sind Familien, die zum Beispiel nach Peru reisen, weil sie die Gruppe noch mal besuchen. Wir haben eine Teilnehmerin aus Uganda, die jetzt auf dem Gut Demeter-Hof arbeitet und hier eine Ausbildung macht. Mein Highlight letztes Jahr waren die coolen Jungs, die Bollywood getanzt haben. Da steht man da und denkt sich: “Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet”.

    Es ist allen wichtig, Traditionen zu bewahren

    Die Jugendlichen aus den Gruppen engagieren sich in ihren jeweiligen Heimatland auch vor Ort unter anderem gegen den Klimawandel. Mit welchen Folgen des Klimawandels haben sie jeweils zu kämpfen?

    Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Wir haben an die 20 Gruppen, mit denen wir zusammenarbeiten. In Brasilien und Peru sind die Themen Amazonas und Regenwald akut. Die Gruppen aus Afrika, gerade aus Uganda und Tansania, kämpfen mit den Themen Wasserknappheit, Dürre, Trockenheit und Hitze. Die Gruppe aus Indien beschäftigt sich viel mit den Themen Monsun und Überschwemmungen.

    Ich weiß nicht, ob das vom Klimawandel kommt, aber was allen ganz wichtig ist, ist, die Traditionen zu bewahren. Dadurch, dass viel Binnenflucht geschieht, dass indigene Völker nicht mehr dort leben, wo sie Jahrhunderte, Jahrtausende gelebt haben, ist das sehr wichtig für viele.

     

    Welchen Herausforderungen stellen sie sich im Kampf gegen den Klimawandel und gehen die Gruppen mit dem Thema anders um, als wir hier in Deutschland?

    Das ist schon anders, weil das Thema da noch nicht so groß ist im Vergleich zu Deutschland. In den Ländern, aus denen die Gruppen stammen, ist es meistens ein untergeordnetes Thema. Sie kämpfen dafür und machen darauf aufmerksam, aber natürlich haben diese Länder auch ganz andere Probleme. Für sie ist das Thema Klimawandel erst mal nicht so wichtig. Was natürlich dramatisch ist, wenn man sich das anguckt und denkt: “Ihr seid ja direkt davon betroffen!”. Aber sie leben einfach damit. Es gibt Fridays For Future auch da, ist aber natürlich viel, viel kleiner.

     

    Der direkte Austausch

     

    Mit den deutschen Klassen arbeiten die Gruppen auf Augenhöhe, ihr nennt das Peer-to-Peer. Was bedeutet es, dass ihr “Erwachsenen” euch raushaltet? Wie bereiten sich die Gruppen darauf vor? Und wieso wählt ihr diesen Ansatz?

    Den Ansatz wählen wir, weil wir einfach sehen, dass es so am besten funktioniert – also durch den direkten Austausch. Es ist einfach eine Methode, die viele Gruppen aus dem Globalen Süden kennen. Einen Workshop zu geben, bedeutet ganz oft für sie: “Wir zeigen euch etwas und ihr macht das einfach nach”. Und daraus entwickelt sich schon was. Das kennt man in Deutschland, finde ich, eher nicht so (lacht). Sondern hier muss man erst theoretisch viel erklären.

     

    Klimaflucht natürlich auch immer ein Thema

     

    Der Fokus der kohero-Redaktion liegt gerade auf dem Thema Klimaflucht. Ist das in den Gruppen oder auch den Klassen ein Thema? Oder in den Gruppen sogar real?

    Die Gruppen, die aus dem Globalen Süden kommen, betrifft es im Moment, Gott sei Dank, noch nicht. Aber natürlich beschäftigen sie sich damit. Wir haben ganz viel Infomaterialien rund um Klimawandel und Klimagerechtigkeit auf unserem Blog. Da ist Klimaflucht natürlich auch immer ein Thema. Für die Gruppen aus Afrika spricht es der Leiter aus Tansania, der sich auch sehr für Klimagerechtigkeit und gegen Klimawandel einsetzt, immer wieder an.

     

    Auf eurem Instagram-Kanal ist zu sehen, dass ihr an Fridays For Future teilgenommen habt. Wie wichtig sind solche (weltweiten) Aktionen für junge Leute? 

    Ich glaube, extrem wichtig. Gerade weil sie aus Ländern kommen, wo das Thema einfach noch nicht so groß ist. Wenn sie sehen, dass es eine weltweite Bewegung gibt, der sie sich anschließen, haben sie eine Chance, weiter zu machen. Das schafft einfach eine größere Reichweite für die Gruppen, um ihr Anliegen nach vorne zu bringen.

     

    “Was kann ich in meiner kleinen Welt tun, damit es der großen vielleicht ein Stück besser geht?”

     

    Merkt ihr einen Unterschied in eurer Arbeit von 2015 bis heute? Wie gehen die Gruppen innerhalb des CREACTIV-Programms damit um?

    Ja, doch schon. Einfach, dass sich die Gruppen mehr damit auseinandersetzen. Eben durch Fridays For Future, weil sie jetzt z. B. in Peru auch auf die Straße gegangen sind – also wirklich konkret für Klimawandel und Klimagerechtigkeit. Ansonsten sind sie “nur” mit ihrer Gruppe auf die Straße gegangen, um die Leute da vor Ort zu unterhalten. Die Gruppe aus Uganda hat ein Baumpflanz-Projekt in den letzten zwei Jahren gestartet, mit dem Ziel, die meisten Bäume in Uganda zu pflanzen und damit den Weltrekord zu brechen. Da merkt man einfach, die beschäftigen sich viel mehr mit dem Thema.

     

    Wenn unsere Leser*innen nicht mehr zur Schule gehen, um dieses tolle Angebot wahrzunehmen, wie können sie sich für mehr Klimagerechtigkeit einsetzen?

    Ich finde, man muss zum Beispiel nicht radikal alles nur noch unverpackt einkaufen. Aber das man darauf achtet, dass man keine Äpfel aus Neuseeland kauft, sondern man regional vor Ort guckt, wie man hier Sachen unterstützen kann. Einfach, dass man auf seinen Konsum achtet. Welches Fleisch man kauft. Dass billig nicht immer die Lösung ist. Dass man guckt, wo man seine Klamotten herbekommt. Solche Kleinigkeiten. Man sollte sich fragen: “Was kann ich in meiner kleinen Welt tun, damit es der Großen vielleicht ein Stück besser geht?”

  • „Meine Art, gegen den Klimawandel zu kämpfen, ist Bildung“

    Erst vor einigen Wochen kam es in Deutschland zu schlimmen Naturkatastrophen, bei denen Menschen ihr Zuhause verloren haben oder sogar gestorben sind. Solche extremen Wetterverhältnisse können auch eine Folge des Klimawandels sein, von denen besonders Länder des globalen Südens betroffen sind.

    Ein Projekt, das darüber aufklären will, nennt sich KlimaGesichter – Umweltbildung mit Geflüchteten. Es ist eine Initiative der  Deutschen KlimaStiftung, dem Unabhängigen Institut für Umweltfragen e.V. in Berlin und der Jugendwerkstatt Felsberg e.V. in Hessen. Es wird durch die Nationale Klimaschutz Initiative ermöglicht. Seit 2019 werden in diesem Rahmen u.a. Menschen mit einer Migrationsgeschichte zu Klimabotschafter*innen ausgebildet, die Workshops etwa für Schulklassen oder andere Bildungseinrichtungen geben.

    Referent des Projektes, Dr. Tsiry Rakotoarisoa (32), stammt aus Madagaskar und ist 2014 nach Deutschland gekommen. Hier hat er Dank eines Stipendiums in Biologie promovieren können. Mit seiner Familie lebt er inzwischen in Hannover, wo er neben seiner Arbeit bei den KlimaGesichtern in einem Unverpackt-Laden arbeitet.

     

    kohero: Herzlich Willkommen und danke, dass du dir die Zeit nimmst, unsere Fragen zu beantworten. Würdest du das Projekt KlimaGesichter kurz vorstellen?

    Tsiry: Unser Ziel mit den KlimaGesichtern ist, über die Themen Klimawandel, Klimaschutz und Klimaflucht aufzuklären. Wir sind Menschen aus verschiedenen Nationen und berichten in Workshops über unser Heimatland und wie sich der Klimawandel dort auswirkt. Das Projekt richtet sich an alle interessierten Menschen. Meistens arbeiten wir mit Bildungseinrichtungen wie Schulen zusammen.

    Welche Funktionen nimmst du als Referent bei den KlimaGesichtern ein und wie bist du auf dieses Projekt aufmerksam geworden?

    Ein Bekannter hat mir eines Tages eine E-Mail geschickt, in der es um das Projekt KlimaGesichter der Deutschen KlimaStiftung ging. Ich habe mich dort beworben, wurde angenommen, hatte dann mehrere Workshops und Fortbildung. Und irgendwan konnte ich eigene Workshops in verschiedenen Bildungseinrichtungen geben. Das waren Schulen, aber auch Kooperationspartner wie Engagement Global oder mit anderen Stiftungen.

    Ich erzähle viel über mein Heimatland Madagaskar, über die Natur, die Kulturen, den Klimawandel. Und ich erzähle über klimabedingte Migration. Was sind Klima-Geflüchtete? Warum sind sie bisher noch nicht international als Geflüchtete anerkannt? Das sind Fragen, auf die ich aufmerksam machen möchte.

    Hattest du dich schon vor der Zeit bei den KlimaGesichtern mit den Themen Klima und Migration auseinandergesetzt?

    Das mache ich seit dem Anfang meines Studiums. Ich habe auf Madagaskar Biologie auf Lehramt studiert. Und ich habe mich durch die Menschen, die ich an der Uni getroffen habe, nach und nach neuen Themen zugewandt und eben auch dem Klimawandel. Am Ende des Studiums haben wir an der Uni einen Umwelt-Club gegründet. Durch private Spenden von Familie und Freunde in Deutschland konnte ich lokal Menschen auf Madagaskar finanziell helfen. Außerdem habe ich Workshops in Schulen gegeben. Da ging es um Themen wie dem Klimawandel oder Biodiversität.

    Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich so nachhaltig wie möglich gelebt. Der Grund, warum ich jetzt Referent geworden bin, ist, dass es mir nicht mehr reichte, dass ich kleine Dinge in meinem Alltag ändere. Ich wollte mich mehr engagieren. Meine Art, gegen den Klimawandel etwas zu tun, war und ist auch heute noch, das Thema den zukünftigen Generationen zu vermitteln. Die müssen sich zwangsläufig mehr, mehr als wir, mit dem Klimawandel und den Folgen auseinandersetzen.

    Du bist 2014 aufgrund eines Stipendiums aus Madagaskar nach Deutschland gekommen, also selbst nicht geflohen. Warum ist es dir so wichtig, auch über diesen Aspekt, der Flucht in Bezug auf die Klimakrise, zu sprechen?

    Madagaskar ist eine Insel und wir kommen nicht so einfach ins Ausland. Wir haben ein großes Problem im Bereich der Binnenmigration wegen der Folgen des Klimawandels. Die Menschen, die betroffen sind, gehen in die größeren Städten, die sowieso schon überfüllt sind. Damit bekommen wir mehr Probleme da. Die Kriminalitätsrate steigt, die Armutsquote steigt. Es wird enger, dreckiger, gefährlicher. Das sind indirekte Folgen des Klimawandels.

     

    „Die Regierung hat weder das Geld noch die Infrastruktur, aber auch den Willen nicht, diesen Menschen zu helfen.“

     

    Das heißt, du bist mit der Binnenflucht zuerst in Berührung gekommen.

    Ja, ich konnte das direkt beobachten, weil ich in der Hauptstadt gewohnt habe. Über die Jahre konnte ich sehen, dass mehr Menschen zu uns gekommen sind. Und es haben sich auch mehrere Slums gebildet, weil die Menschen einfach keine Unterstützung von der Regierung bekommen.

    Welche direkten Folgen des Klimawandels gibt es denn auf Madagaskar?

    Gerade ist im Süden Madagaskars eine starke Dürre aufgetreten. 1,3 Millionen Menschen sind davon betroffen. 75.000 Kinder sind kritisch unterernährt. Das sind enorme Zahlen. Die Gelder für eventuelle Hilfsaktionen sind oft nicht ausreichend. Ohne die internationalen Hilfskräfte, die jetzt auf Madagaskar arbeiten, wären diese Menschen verloren. Die Regierung hat weder das Geld noch die Infrastruktur, aber auch den Willen nicht, diesen Menschen zu helfen.

    Wie gehen die Menschen auf Madagaskar denn mit der Situation um? Nehmen sie die Klimakrise auch als solche wahr? Und haben sie vielleicht auch eigene Strategien entwickelt, diese zu bekämpfen?

    Madagaskar ist eines der ärmsten Länder der Welt. Da gibt es noch mehr Probleme als Armut und Hunger. Die Hälfte aller Madagassen und Madagassischen können nicht lesen und schreiben, es gibt also auch ein Bildungsproblem. Die Korruption ist sehr hoch auf Madagaskar. Außerdem ist die Kluft zwischen Reichen und Armen enorm. Bei uns, also für die meisten Menschen auf Madagaskar, ist der Klimawandel gar kein bewusstes Thema. Die haben andere Prioritäten im Leben: zu überleben.

     

    „Die Länder des globalen Südens tragen nicht so stark zum Klimawandel bei, spüren die Auswirkungen aber deutlich stärker.“

     

    Ja, das ist natürlich verständlich, dass erstmal andere Dinge im Vordergrund stehen. Auch wenn es nicht der einzige Fluchtgrund bei vielen Menschen ist, kommt es zu immer größeren Flucht- und Migrationsbewegungen, die klimabedingt sind. Würdest du diesen Zusammenhang einmal erklären?

    In diesem Moment, in dem wir hier sprechen, müssen viele Menschen ihre Heimat verlassen. 2015 gab es laut Neuer Zeitung Zürich 19 Millionen Menschen, die wegen der Folgen des Klimawandels geflohen sind. Das waren doppelt so viele Menschen wie die, die vor einem Krieg geflohen sind. Diese Zahlen sind inzwischen aber viel höher: Die Welthungerhilfe prognostiziert, dass es um die 140 Millionen Klimageflüchtete bis 2050 geben wird. Das sind natürlich Schätzungen. Flucht ist ein zu komplexes Thema, um wirklich zwischen verschiedenen Fluchtgründen zu unterscheiden.

    Nehmen wir einen Bauern in Mali als Beispiel: Er kann aufgrund einer Dürre keine Landwirtschaft mehr betreiben. Dazu kommt dann auch noch ein bewaffneter Konflikt zwischen den Menschen vor Ort, weil die Ressourcen knapp werden. Wenn er flüchtet, ist er dann ein Klimageflüchteter oder ein Kriegsgeflüchteter? Man kann kaum unterscheiden. Das ist auch der Grund, warum es schwer ist, in meinem politischen und rechtlichen Rahmen Klimageflüchteten Asyl zu gewähren.

    Wie bewertest du es, dass Klimaflucht nicht offiziell anerkannt wird? Siehst du da Handlungsbedarf? Gerade jetzt, wo sich die Situation in vielen Ländern noch verschärft?

    Wir haben die Genfer Flüchtlingskonvention und die entscheidet, wer „Flüchtling“ ist und wer nicht. Gründe wie Hunger, Armut und die Folgen des Klimawandels sind laut deren Definition keine Fluchtgründe. Hier wird nur politische Verfolgung aufgeführt. Es ist außerdem sehr schwer, diese aktuelle Definition zu erweitern. Beim Klimawandel können wir kaum vorhersagen, was wann und wo passieren wird. Wie kann man dann eine klare Definition festlegen?

    Selbst hier in Deutschland hatten wir plötzlich Starkregen und Überschwemmungen in NRW und in Rheinland-Pfalz. Und das konnte niemand vorhersagen. Und ein weiterer Grund ist ein wirtschaftlicher. Es müsste festgelegt werden, wer für Kosten aufkommt, die durch den Klimawandel entstehen. Die Länder des globalen Südens tragen im Vergleich nicht so stark zum Klimawandel bei, spüren die Auswirkungen aber deutlich stärker.

    Du siehst da also konkreten Handlungsbedarf, der allerdings schwer umzusetzen scheint, und auch eine Verantwortung des globalen Nordens, sich damit zu befassen, also zu erkennen, welche Rolle er dabei spielt und wie man diese Folgen, die jetzt schon für die Menschen spürbar sind, ausgleichen kann.

    Ja, natürlich. Ich kann zumindest für Madagaskar sprechen. Wir haben zum Klimawandel nichts bis wenig beigetragen. Wir hatten im 19. Jahrhundert keine industrielle Revolution auf Madagaskar. Und heutzutage stößt im Vergleich jede*r Deutsche fast achtzig Mal mehr CO2 pro Kopf aus als der*die Madagasse*n. Aber wir leiden mehr an den Folgen des Klimawandels und das ist komplett ungerecht. Hierauf machen wir auch in unseren Workshops mit den KlimaGesichtern aufmerksam.

    Ich möchte die Schülerinnen und Schüler sensibilisieren, dass man sich nicht aussuchen kann, wo und wann man geboren wird. Man bekommt eine Heimat und man übernimmt einfach alles, was da ist. Wenn man Glück hat, hat man sogar schon seit der Geburt Privilegien, die man sich nicht selbst erarbeiten musste. Ich sehe die Verantwortung klar im globalen Norden. Ich will nicht über Schuld sprechen, sondern wie wichtig es ist, jetzt Verantwortung zu übernehmen.

    Klimaungerechtigkeit ist ein großer Themenblock, über den du auch in deinen Workshops sprichst. Gibt es denn Ansätze, auch im größeren Stil, diese ein wenig auszugleichen?

    Es gibt tatsächlich schon positive Beispiele, bei denen sich viele Länder auch ohne einen politischen und rechtlichen Rahmen engagieren. In Afrika z.B. helfen sich die Länder gegenseitig, wenn es Wetter-Extrema, also Katastrophen, gibt. Es gibt eine Initiative, die nennt sich die Nansen Initiative. Sie wurde von Norwegen und der Schweiz initiiert und hat eine Agenda zur Thematik Klimaflucht vorgestellt.

    Darin wurde festgehalten, wie man den Menschen, die zu Klimageflüchteten werden könnten, vor Ort helfen muss. Außerdem, im Falle einer Klimaflucht, wie man sie vor Gewalt schützt, dass ihre Menschenrechte in den Aufnahmeländern gewahrt werden, auch wie die Integration verläuft.

    Und eben wirklich, wie man deren Heimatland unterstützen kann, damit es auch dort wieder Perspektiven gibt. Da braucht es in diesem Fall keine Änderung irgendeiner Definition in der Genfer Flüchtlingskonvention. Es ist ein praktisches Tool, eine Handlungsempfehlung, um die Situation zu bewältigen. Und ich sehe die Verantwortung definitiv bei den Ländern im Norden, diesen Menschen zu helfen.

     

    „Es bringt uns sehr wenig, wenn Deutschland allein ,grüner‘ wird.“

     

    Wie wünschst du dir den Umgang mit der Problematik in der Politik und auch den Medien in Deutschland?

    Ich glaube, Bildung ist die effizienteste Methode, um den Menschen zu zeigen, dass sie eine gewisse Verantwortung tragen. Ich kann sie nicht zwingen, aber eben durch Aufklärung sensibilisieren und sie dazu bringen, ihre Werte zu überdenken. Die Schülerinnen und Schüler, denen ich jetzt etwas beibringen kann, werden eines Tages arbeiten und vielleicht in die Politik gehen. Und das ist eine Investition für mich, also auf lange Sicht so vielleicht etwas zu ändern in der Politik.

    Ich wünsche mir außerdem, dass die Regierung mehr Geld in die Entwicklungshilfe steckt. Eigentlich ist das Problem aber noch viel größer: So lange wir keine faire globale Wirtschaftsstruktur haben, Ressourcen ausgebeutet werden und es in vielen Ländern im globalen Süden keine Rechtstaatlichkeit gibt, ist es schwer, gegen den Klimawandel zu kämpfen. Es bringt uns sehr wenig, wenn Deutschland allein „grüner“ wird.

    In den letzten Jahren ist das Bewusstsein für den Klimaschutz in Deutschland deutlich angestiegen, vor allem durch Bewegungen wie Fridays For Future. Denkst du, dass im Klima-Aktivismus ausreichend Perspektiven des globalen Südens mitgedacht werden?

    Das starke politische Engagement dieser jungen Menschen gibt mir viel Hoffnung. Ich war bei einigen Demos dabei und natürlich geht es dort darum, was hier in Deutschland getan werden muss. Forderungen bezüglich der globalen Klimagerechtigkeit gab es aber auch. Da ging es auch um Verantwortung und wie man den Menschen im Süden helfen kann.

    Bei den Workshops der KlimaGesichter arbeitest du ja auch mit jungen Menschen jeden Alters zusammen. Worauf muss man da achten?

    Es hängt wirklich von der Altersgruppe ab, wie ich das Thema Klimawandel erkläre. Die jüngeren Kinder oder kleine Kinder darf man nicht überfordern und sie interessieren sich oft mehr für die Natur und Kultur von Madagaskar. Die Klimaproblematik kann ich anschneiden, aber zu sehr gehe ich da nicht in die Tiefe. Sonst entsteht ein Ohnmachtsgefühl.

    Bei den Älteren kann man schon mehr erläutern. Da kommen wir in den Workshops auch richtig ins Debattieren. Das kann sehr intensiv sein und am Ende hinterlässt es einen bleibenden Eindruck bei ihnen. In meinen Workshops versuche ich nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern es mit Emotionen und Gefühlen zu verknüpfen, indem ich meine eigene Geschichte erzähle.

    Du investierst viel Arbeit, zukünftige Generationen für das Thema zu sensibilisieren. Dabei sprichst du viel von deinem Heimatland, in dem es Krisen gibt und hast außerdem selbst eine kleine Tochter, die die Auswirkungen des Klimawandels wohl noch stärker als wir spüren wird. Übermannt dich diese komplexe Problematik des Klimawandels und klimabedingter Flucht auch manchmal? Und wie gehst du damit um?

    Am Anfang wusste ich einfach nicht, wo ich anfangen soll. Korrupte Regierungen, Armut, mangelnde Bildung. Und dann habe ich all diese Themen auf kleine Schritte runtergebrochen und im kleinen Rahmen angefangen. Da habe ich auch immer mehr Unterstützung etwa durch Spenden bekommen, um meine Arbeit zu finanzieren. Das hat geholfen und ich habe mich nicht mehr so machtlos gefühlt. Ich muss einfach immer optimistisch bleiben. Ich glaube, die Bekämpfung des Klimawandels ist die große Herausforderung in diesem Jahrhundert. Und ich versuche, meinen Teil beizutragen. Ich hoffe, ich werde noch lange genug leben, um zu sehen, was wir alle zusammen erreichen können. Aber Hoffnung habe ich auf jeden Fall. Denn ohne Hoffnung kann ich nicht leben.

     

    Das Interview entstand gemeinsam mit Sarah Zaheer aus der Podcast-Redaktion. Mehr über Tsiry und das Thema Klimaflucht erfahrt ihr in unserem Multivitamin-Podcast!

  • zu.flucht-Podcast: Klimaflucht – Wie erreichen wir Klimagerechtigkeit?

    Wir haben mit Sami Celticoglu über seine Arbeit bei dem Projekt KlimaGesichter gesprochen. Er wurde politisch verfolgt, weil er die klimaschädliche Politik der Türkei kritisiert hat. Sami wünscht sich, dass Klimaflucht offiziell anerkannt wird.

    Dr. Tsiry Rakotoarisoa ist Bildungsreferent bei den KlimaGesichtern. Er hat uns erzählt, wie sich die Klimakrise auf sein Heimatland Madagaskar auswirkt und weshalb der Globale Norden Verantwortung übernehmen muss.

    Eine wissenschaftliche Einschätzung zum Thema hat uns Prof. Dr. Jürgen Scheffran von der Uni Hamburg geliefert. Er ist Mitglied der Fachkommission Fluchtursachen des Bundesentwicklungsministeriums gewesen.

    Außerdem haben wir Ibo Mohamed interviewt. Er ist Aktivist bei Fridays For Future und konnte uns berichten, wie mit Antirassismus in der Klimabewegung umgegangen wird.

    Ihr hört uns auf Spotify, YouTube, Soundcloud und Apple Podcast! Wenn ihr Fragen, Anmerkungen oder Themenvorschläge für die nächsten Folgen von „Multivitamin“ habt, schreibt uns gern über Social Media oder unter podcast@kohero-magazin.de

     

    Das Multivitamin-Team:

    Valeria Bajaña Bilbao, Marina Bühren, Sassetta Harford, Lionel Märkel, Sina Nawab, Anna Seifert, Anne Josephine Thiel, Lena Tuulia Wilborn, Florent Gallet, Sarah Zaheer

  • Klima als Fluchtursache – ein Überblick

    „Der Klimawandel könnte zum Hauptfluchtgrund werden. Er verstärkt den Wettstreit um die Ressourcen – Wasser, Nahrungsmittel, Weideland – und daraus können sich Konflikte entwickeln“, sagt António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, 2009 auf dem Weltklimagipfel in Kopenhagen. Diese Aussage ist heute, 12 Jahre später, aktuell wie nie zuvor. Wir haben uns mit der Multivitamin-Redaktion zusammengetan und sind dem Thema Klimaflucht auf den Grund gegangen. Wie hängt der Klimawandel mit Flucht und Migration zusammen, was sagen Expert*innen und Betroffene? Wie sieht der rechtliche Rahmen für Klima-Geflüchtete aus und was muss noch getan werden? Das erfahrt ihr in den nächsten Tagen hier in unserem Online-Magazin und am 13. August in der neuen Folge des Multivitamin-Podcasts!

    Die Klimakrise trifft nicht die, die sie verursachen.

    Von den zehn Ländern weltweit, die zwischen 2000 und 2019 nach angerichteten Schäden und Zahl der Toten am stärksten von akuten Extremwetterereignissen betroffen waren, fielen sieben in die Kategorie Entwicklungsländer mit niedrigem Einkommen: Myanmar, Haiti, die Philippinen, Mosambik, Bangladesch, Pakistan und Nepal.

    20,4 Millionen Menschen sind auf der Flucht.

    Die Zahl der Menschen, die aufgrund der Klimakrise fliehen mussten, hat sich von 2010 bis 2019 fast verdoppelt: Mittlerweile sind 20,4 Millionen Menschen aufgrund von Folgen der Klimakrise auf der Flucht.

    Die Klimakrise betrifft uns alle.

    Obwohl ärmere Länder überdurchschnittlich stark von Folgen der Klimakrise und Klimamigration betroffen sind, gehen Forscher*innen davon aus, dass spätestens 2050 auch Länder des globalen Nordens immer stärker die Folgen der Klimakrise zu spüren bekommen werden. Der große Unterschied jedoch ist, dass Industrienationen mehr Geld dafür haben, sich vor den Folgen der Klimakrise zu schützen.

    150 Millionen Klima-Geflüchtete bis 2050.

    Der Weltklimarat IPCC schätzte 1990, dass die Zahl der Menschen, die aufgrund der Klimakrise ihre Heimat verlassen müssen, bis 2050 bei 150 Millionen Menschen liegen wird. Aufgrund der sich drastisch verschlechternden Bedingungen und inkonsequenten Klimapolitik des globalen Nordens kann diese Zahl jedoch noch wachsen.

    Das Thema Klimaflucht ist sehr komplex.

    Als “Klimaflüchtling” gilt ein Mensch laut Genfer Konvention dann, wenn 1) die Person ihr Heimatland verlassen musste und 2) die Person nachweisen kann, dass sie dies aufgrund der Klimakrise tun musste. Da viele Folgen der Klimakrise wie Naturkatastrophen, bewaffnete Konflikte oder Hungerkrisen jedoch nicht immer eindeutig auf die Klimakrise zurückgeführt werden können, ist es wahnsinnig schwierig als “Klimaflüchtling” anerkannt zu werden.

    Die Klimakrise wird nur indirekt als Fluchtursache gezählt.

    Umweltzerstörung und Klimawandel wirken sich meist nur indirekt auf Fluchtbewegungen aus: Indem sie beispielsweise Hunger, Ressourcenkonflikte und Gewalt auslösen. Aber Naturkatastrophen, die bedingt durch den Klimawandel immer häufiger auftreten, können auch direkt zu Migrationsbewegungen führen.

    Kein Asylrecht für Klima-Geflüchtete.

    Da die Klimakrise nur indirekt als Fluchtursache bewertet wird, gibt es keine rechtliche Definition für Menschen, die aufgrund der Klimakrise und Umweltkatastrophen ihre Heimat verlassen müssen. Menschen, die aufgrund des Klimas fliehen, haben deswegen auch in Deutschland kein Recht auf Asyl.

    Klimamigration bedeutet meistens Binnenmigration.

    80% der Klima-Geflüchteten fliehen innerhalb ihres Landes. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) können es sich die meisten Menschen gar nicht leisten, in ein anderes Land auszuwandern.

    Das Wasser wird knapp.

    Weltweit haben 2,1 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Kein durchgängig verfügbares Trinkwasser führt an vielen Orten der Welt auch zu gewaltsamen Konflikten und Kriegen, die wiederum einen Fluchtgrund für Menschen darstellen können.

    Mehr Menschen hungern.

    Die Zahl der hungernden Menschen ist 2020 weltweit auf bis zu 811 Millionen gestiegen. Knapp 10 % der Weltbevölkerung sind unterernährt. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie führen dazu, dass sich viele Menschen Lebensmittel nicht mehr leisten können. Covid-19 verschlechterte die Ernährungssituation dort, wo sie ohnehin schon schwierig war – auch durch Klimaschwankungen und Extremwetterereignisse.

    Klimaveränderungen treffen besonders Menschen auf dem Land.

    Hitze, Trockenheit und ausbleibender Regen treffen vor allem Menschen, die auf dem Land leben und von der Landwirtschaft abhängig sind. Häufiger als bei anderen Fluchtursachen machen sich deshalb Menschen mit niedrigem Bildungsstand auf den Weg. Da ihre Einkommensquellen wegbrechen, flüchten sie in die Städte, um dort nach Arbeit zu suchen.

    Flucht kann zum Umweltproblem werden.

    Große Bewegungen von Geflüchteten können wiederum negative Auswirkungen auf die Umwelt mit sich bringen. Im Umkreis von Geflüchteten-Lagern kann es zu Abholzung, Überfischung und dem Verbrauch ohnehin knapper Wasserressourcen kommen. Umso wichtiger für das Wohlbefinden der Menschen vor Ort und die Arbeit von Hilfsorganisationen ist der Umweltschutz.

    Klimabedingte Katastrophen haben sich innerhalb eines Jahres verdoppelt.

    Überall auf der Welt sehen wir das vermehrte Auftreten von Klimakatastrophen. Wissenschaftler*innen warnen davor, dass diese Zahlen immer weiter steigen werden. Und jedes Mal, wenn eine Naturkatastrophe eintritt, verlieren Menschen ihr Zuhause und müssen im schlimmsten Fall über Landesgrenzen fliehen.

    Weitere Forschung ist notwendig.

    Die Datenlage zu den Zusammenhängen der Klimakrise und Fluchtbewegungen ist dünn. Im Vergleich zu anderen Arten von Migration ist die Forschung hier noch nicht weit fortgeschritten. Weitere Studien sind notwendig, um verlässliche Prognosen treffen zu können, wie viele Menschen in Zukunft aufgrund von Klimaveränderungen ihre Heimat verlassen müssen.

    Wir müssen jetzt handeln, um die Klimakrise zu stoppen.

    Reiche Industrienationen, die in großen Teilen für die Klimakrise verantwortlich sind, müssen ihren CO2-Ausstoß drastisch reduzieren. Es braucht eine nachhaltige, faire Klimapolitik, um den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen und die Pariser-Klimaziele einzuhalten.

    Solidarität und Hilfe: vor Ort und überall.

    Solange Länder und Politiker*innen des globalen Nordens sich nicht dazu bereit erklären, eine Klimapolitik umzusetzen, bei der Menschenrechte und keine wirtschaftlichen Profite im Vordergrund stehen, müssen wir alle helfen. Vor Ort gilt es, die Menschen zu unterstützen, deren Leben durch Folgen der Klimakrise eingeschränkt und zerstört werden. Die Menschen, die aufgrund der Klimakrise fliehen müssen, brauchen ein Recht auf Asyl.

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