Schlagwort: Journalismus

  • CDU stellt Gemeinnützigkeit der Zivilgesellschaft infrage

    Die CDU/CSU Fraktion stellte vergangenen Montag eine kleine Anfrage zur Prüfung staatlich finanzierter NGOs, darunter auch einige unabhängige Medienorganisationen. Die Aktion löste eine gesellschaftliche Debatte aus: Geht es der CDU wirklich um Transparenz – oder darum, kritische Organisationen unter Druck zu setzen?

    Die parlamentarische Anfrage der CDU/CSU umfasst insgesamt 551 Fragen zur Finanzierung und politischen Ausrichtung von mehren NGOs. Hintergrund ist die Sorge der Union, dass staatlich geförderte NGOs mit Steuergeldern Politik gegen sie betreiben könnten. Besonders betroffen sind Organisationen, die sich für Demokratie, Klimaschutz oder Pressefreiheit einsetzen. Dazu gehören unter anderem das Netzwerk Recherche sowie das Faktencheck-Portal Correctiv, dessen Recherche über ein rechtsextremes Geheimtreffen letztes Jahr große Aufmerksamkeit erregte und Initiator für deutschlandweite Demonstrationen gegen Rechts war.

    Viele der angefragten Organisationen wurden zuvor bereits vom rechten Online-Portal NiUS oder den Boulevardzeitungen BILD und WELT medial angegriffen. Besonders kritisiert wird auch, dass sich die CDU/CSU in ihrer Anfrage auf einen WELT-Artikel stützt, der Verschwörungserzählungen thematisiert, nach denen NGOs als eine Art parallele Staatsform dargestellt werden.

    Die kleine Anfrage der CDU/CSU kam für viele überraschend, denn gemeinnützige Organisationen, insbesondere der unabhängige Journalismus, halten eine zentrale Funktion in einer Demokratie inne: Sie setzen sich für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und politische Aufklärung ein. Auch kohero ist Teil des gemeinnützigen Journalismus und hilft dabei, die Stimmen marginalisierter Gruppen zu stärken.

    Viele Organisationen könnten durch solche politischen Aktionen finanzielle Einbüßen erleiden. So sind in Berlin bereits erhebliche Kürzungen im Kultur- und Bildungsbereich zu beobachten. Auch hier waren vor allem regierungskritische Organisationen betroffen.

    Die Unterstützung unabhängiger Medien und NGOs ist daher wichtiger denn je. Denn diese Organisationen ermöglichen es unter anderem, Machtstrukturen zu hinterfragen, Korruption aufzudecken und Menschen eine Plattform zu bieten, die sonst in der politischen Debatte wenig Gehör finden.

    Natürlich ist die Transparenz der Finanzierung von NGOs wichtig, aber die Anfrage der Union löst die Sorge aus, dass hier eine politische Debatte geführt wird, die Organisationen delegitimieren soll, die für progressive Werte stehen. Eine demokratische Gesellschaft braucht diese Vielzahl an Stimmen – vor allem Stimmen, die kritisch hinterfragen und alternative Perspektiven aufzeigen, um sich für eine gerechte Gesellschaft einzusetzen.

  • Mord im Schatten des Kremls: Wer hat Anna Politkowskaja getötet?

    Schüsse, vier Stück, drei davon in den Oberkörper, der vierte ist tödlich, er durchdringt einmal den Kopf. Abgegeben durch eine Makarow-Pistole, eine Ikone der sowjetischen Waffentechnologie, eingesetzt in zahlreichen Konflikten weltweit und eine der populärsten Handfeuerwaffen im Ostblock. Am Auslöser ein professioneller Auftragsmörder – schnell, effizient, ohne viele Spuren zu hinterlassen. Seine Identität: Vermutlich Rustam Machmudow.

    Ein klarer Angriff auf die Pressefreiheit

    Es ist der 7. Oktober 2006. An diesem Tag wird Russlands Präsident Putin 54 Jahre alt. Ein Zufall? Wohl kaum. Vielmehr scheint es, als wolle er sich selber ein ganz besonderes Geschenk machen, indem er seine stärkste und gefährlichste Kritikerin endgültig zum Schweigen bringt. Denn die russische Journalistin Anna Politkowskaja prangerte Putins autoritären und diktatorischen Regierungsstil unermüdlich an. Journalisten und Medienschaffende auf der ganzen Welt sehen ihre Ermordung als einen klaren Angriff auf die Pressefreiheit.

    Menschenrechtsaktivistin und Pazifistin

    Politkowskaja ist mehr als nur eine engagierte Journalistin gewesen. Sie war Menschenrechtsaktivistin, überzeugte Pazifistin, lehnte Krieg und Gewalt kategorisch und strikt ab. Immer und immer wieder machte sie die Gräueltaten des Tschetschenien-Krieges sichtbar, die Morde an den Soldaten und der Zivilbevölkerung, die Vergewaltigungen der Frauen, die Verschleppung der Kinder.

    Auf der Suche nach der Wahrheit

    Dazu gehört Mut. Entschlossenheit. Und ein hohes journalistisches Können. Politkowskaja liebte lange und ausführliche Reportagen, recherchierte diese im Vorfeld genau und gründlich, packte all ihre Erkenntnisse, ihre Schlussfolgerung, in eine Sprache, die verständlich für ihre Leser ist. Zuletzt schrieb sie für die im Jahr 2006 noch weitestgehend unabhängige Zeitung Novaja Gazeta. Angetrieben durch das Bedürfnis, die Wahrheit zu finden, arbeitete sie vor allem investigativ. Sie sprach sich offen für die Meinungsfreiheit aus, schreckte dabei auch vor Putins strikter Zensur nicht zurück. In Russland wurde sie daher als Feindin des russischen Volkes betrachtet, erhielt über die Jahre zahlreiche Morddrohungen. Doch Politkowskaja ließ sich nicht einschüchtern, sie recherchierte und berichtete unerschrocken weiter. Dabei versuchte sie immer, neutral zu bleiben, stellte sich weder auf die Seite des russischen Militärs, noch auf die der tschetschenischen Widerstandskämpfer.

    “Russisches Tagebuch”

    So sind diverse Bücher entstanden. Das bekanntestes ist wohl ihr “Russisches Tagebuch”. Politkowskajas Aufzeichnungen beginnen hier mit Putins Kampagne zu seiner Wiederwahl im Dezember 2003 und enden im September 2005 mit der bestimmenden Frage: “Habe ich Angst?”. Es ist ihr wohl eindringlichstes Werk, in dem sie sorgfältig die Politik ihres Landes dokumentierte. Ebenso wichtig war ihr immer auch, die Bevölkerung, die einfachen Menschen, die Arbeiterklasse zu Wort kommen zu lassen. Eben diejenigen, die unter dem Krieg am meisten zu leiden haben. Sie sprach mit den verzweifelten und trauernden Müttern, die ihre Söhne in dem sinnlosen Krieg verloren hatten, dokumentierte den Kampf dieser Frauen um die Würde und Rechte ihrer Söhne.

    Angst, Rechtlosigkeit und Korruption

    Das “Russische Tagebuch” beschreibt detailliert ein Klima der Resignation, der Angst und der Rechtlosigkeit. Politkowskajas kritisiert darin aber nicht nur Putins grausames Vorgehen, sondern auch die mutwillige Blindheit und Ignoranz des Westens gegenüber den klaren Missständen in ihrer Heimat. Und auch die Korruption im russischen Verteidigungsministerium war immer wieder Thema ihrer Recherchen. Dadurch hat sich Politkowskaja viele Feinde gemacht und bezahlte ihren Mut schlussendlich mit dem Leben.

    Die Suche nach den Hintermännern

    Die Vermutungen, Theorien, Spekulationen darüber, wer Politkowskaja am Abend des 6. Oktober 2006 vor dem Fahrstuhl in ihrem Moskauer Wohnhaus ermordet hat, sind zahlreich. Eine weit verbreitete Theorie besagt, dass der Mord an Politkowskaja von staatlichen, russischen Akteuren in Auftrag gegeben wurde, mit Verbindungen zum Kreml und dem russischen Geheimdienst. Eine weitere Vermutung ist, dass tschetschenische Führer, insbesondere der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow, in den Mord verwickelt sein könnten. Politkowskaja hatte Kadyrow und seine Anhänger ebenfalls mehrfach kritisiert und auch ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Es wird spekuliert, dass Kadyrows Umfeld aus Rache oder zur Verhinderung weiterer Enthüllungen den Mord in Auftrag gegeben haben könnte.

    Der Prozess und die Verurteilungen

    Im Jahr 2014 wurden fünf Männer für den Mord an Politkowskaja verurteilt, darunter der mutmaßliche Schütze Rustam Machmudow und sein Onkel Lom-Ali Gaitukajew, der als Drahtzieher des Mordes gilt. Es wurde jedoch nie abschließend geklärt, wer den Mord tatsächlich in Auftrag gegeben hat. Viele Beobachter und Kritiker sind der Meinung, dass die eigentlichen Hinterleute nie zur Rechenschaft gezogen wurden und dass die Verurteilungen nur die direkten Ausführenden betrafen, während die wahren Drahtzieher weiterhin im Verborgenen bleiben.

    Bis heute ungeklärt

    Politkowskajas Ermordung zeigt einmal mehr, wie gefährlich es ist, sich mit den Mächtigen anzulegen. Ihr unermüdlicher Einsatz für die Wahrheit, ihre Entschlossenheit, Unrecht aufzudecken, und ihr Mut, gegen Korruption und Unterdrückung zu kämpfen, sind beispiellos. Solange jedoch die wahren Hintermänner dieses Verbrechens nicht zur Rechenschaft gezogen werden, bleibt die Frage nach Gerechtigkeit unbeantwortet. Ihr Tod ist vor allem eines: Eine Mahnung, dass die Freiheit der Presse niemals selbstverständlich ist. Sie muss immer wieder aufs Neue verteidigt werden. Und dafür braucht es mutige und unerschrockene Journalisten – wie eben Anna Politkowskaja.

     

     

    Verwendung des Beitragsbildes unter der Creative Commons Lizenz. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Stepanowna_Politkowskaja#/media/Datei:Anna_Politkovskaja_im_Gespr%C3%A4ch_mit_Christhard_L%C3%A4pple.jpg

     

  • Wie geht mehr Vielfalt in Redaktionen?

    „Wir setzen uns für mehr Vielfalt in unserer Redaktion ein“, so lautet das Motto vieler Medienhäuser in Deutschland. Und viele von ihnen haben sogar die „Charta der Vielfalt“ unterschrieben. Das sieht eindrucksvoll aus für viele Journalist*innen mit internationalem Hintergrund. Doch die Realität ist anders.

    Theoretisch ist den Medienhäusern seit ein paar Jahren bewusst, dass ihre Redaktionen vielfältiger sein müssen. Deshalb setzen sie sich für mehr Vielfalt unter den Bewerber*innen durch sprachliche und visuelle Anpassung der Stellenausschreibungen ein. Doch praktisch sind sie davon noch weit entfernt.

    Denn für viele Redaktionen ist die Sprache das größte Hindernis, Journalist*innen mit internationalem Hintergrund aufzunehmen. Damit bleibt diese Gruppe ohne echte Chance, eine Stelle zu finden, denn sie haben zum Beispiel einen Akzent, der in der deutschen Medienwelt, Zeitung, im Radio oder Fernsehen nicht erwünscht ist. Insbesondere wenn dieser Akzent ein arabischer, türkischer oder kurdischer ist.

    Immer auf der Suche

    Deswegen bleiben Journalist*innen mit internationalem Hintergrund immer auf der Suche nach echten Chancen, um sich in den Medien zu etablieren. Sie bewerben sich für ein Volontariat, bekommen jedoch stattdessen ein Praktikum ohne Aussicht auf Weiteres. Was dazu führt, dass sie immer unter Druck stehen, ihre Fähigkeiten zu beweisen, damit sie später eine richtige Stelle bekommen.

    Falls sie die Stelle überhaupt bekommen. Oder ihnen wurde im Vorstellungsgespräch mitgeteilt, dass sie für die Stelle nicht passen, weil sie sich für große Themen interessieren, die in den lokalen Medien keinen Platz haben.

    Aber um zu beschreiben, wie ihr Alltag in der Redaktion aussieht, braucht es viele Seiten. Sie dürfen beispielsweise ein wichtiges Thema „Asyl“ nicht kommentieren, weil der Chef dieses Thema kommentieren will. Eine junge Journalistin kann aus demselben Grund das Thema „Gewalt gegen Frauen“ nicht kommentieren. Sie werden täglich wegen ihres Hintergrunds unterschätzt und ihre Meinung wird wegen der Sprachbarriere nicht wahrgenommen.

    Trotz der Sprachbarriere hat die o.g. Zielgruppe das Recht, eine echte Chance zu haben, ihre Fähigkeiten in einer gesunden Arbeitsatmosphäre zu beweisen. Daher reicht es nicht aus, dass Medienunternehmen die Charta der Vielfalt unterschreiben und sich bereit erklären, die Vielfalt in den Redaktionen zu stärken. Sie müssen auch ihre Kultur ändern und darüber nachdenken, ein Arbeitsumfeld für Journalist*innen mit multikulturellen Kompetenzen zu schaffen.

    Eine Lösung könnte darin bestehen, ein Sprachtandem-Projekt innerhalb des Medienhauses zu gründen, damit die Sprachbarriere abgeschafft wird. Oder Sprachtraining als Teil des Volontariats zu erstellen, um die mit Akzent gesprochene Sprache zu verbessern.

    Stimmt, das kostet viel Geld. Doch wer an die Zukunft denkt, muss investieren.

     

  • 8 Empfehlungen zum Thema “Medien & Journalismus”

    Das MiGAZIN

    Das MiGAZIN (MiG=„Migration in Germany“) ist ein Online-Magazin zum Thema Migration. Themen, die vorrangig Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte betreffen, werden darin so aufgearbeitet, dass sie auch für Menschen ohne Migrationsgeschichte zugänglich sind. Die Idee dahinter: Mehr Ausgewogenheit in der Medienagenda herstellen und einen Platz für diese Themen schaffen, um Zugang und Verständnis zu fördern. Die Artikel werden von der Redaktion sowie ehrenamtlichen Autor*innen – den MiGmachern – erstellt. Da diese selbst entscheiden, über welche Themen sie berichten, schreibt sich das MiGAZIN ein hohes Maß an Authentizität und eine diverse Themenauswahl zu, die die eigene Community repräsentiert.

    Mediendienst Integration

    Fakten statt Fake News: Beim Mediendienst Integration (MDI) handelt es sich um eine verlässliche Informationsplattform für Journalist*innen, die sich den Themen Flucht und Migration widmet. Auch bei kohero nutzen wir häufig die zusammengetragenen Zahlen und Fakten, Quellen und Hintergrundberichte für unsere Recherchen. Zudem fördert der MDI Projekte zur Weiterbildung, bietet Informationsveranstaltungen an und vermittelt Kontakte zu Expert*innen für eine ausgewogene und qualitativ hochwertige Berichterstattung.

    Glossar der Neuen Deutschen Medienmacher*innen

    Warum sollten Medien lieber von Asylsuchenden als von Asylbewerber*innen sprechen? Die Antwort darauf gibt das Glossar der Neuen Deutschen Medienmacher*innen. Der Verein setzt sich seit 15 Jahren für mehr Vielfalt im Journalismus ein und stellt seit einigen Jahren ein Online-Glossar zur Berichterstattung über die Einwanderungsgesellschaft zur Verfügung. Dabei handelt es sich um ein Wörterverzeichnis, in dem Begriffe erklärt und definiert werden. Es soll helfen, präzise und korrekte Begriffe zu verwenden, um eine genaue und diskriminierungssensible Berichterstattung zu gewährleisten. Darüber hinaus soll es dazu anregen, alternative und möglichst wertfreie Begriffe zu finden und in der Berichterstattung zu etablieren.

     

    NDR Doku „Das denken Deutsche über Akzente in Medien“

    ZAPP, das Medienmagazin des NDR veröffentlichte dieses Jahr eine Dokumentation mit dem Titel „Das denken Deutsche über Akzente in Medien“. Der Moderator Raja Khadour, welcher selbst Deutsch mit Akzent spricht, stellt die Frage, inwieweit Diversität in den deutschen Medien tatsächlich hörbar wird – und ob dies gewünscht ist. Dafür führt er Interviews mit Entertainer Jorge Gonzáles, Reporterin Katja Garmasch und Journalist Sulaiman Tadmory von Strg_F.

    Für die Dokumentation wurde auch eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben, die eine Einschätzung darüber möglich machen soll, ob Zuhörer*innen offen für mehr Personen mit Akzent vor dem Mikrophon und vor der Kamera sind. Die Ergebnisse dieser Umfrage und viele spannende Gespräche findet ihr in diesem Videobeitrag.

     

    MeKriF

    Das Projekt „MeKriF – Flucht als Krise. Mediale Krisendarstellung, Medienumgang und Bewältigung durch Heranwachsende am Beispiel Flucht“ widmete sich einer vertieften Analyse des Medienverhaltens von Jugendlichen in Bezug auf Fluchtthemen und untersuchte, welchen Medieninhalten Jugendliche ausgesetzt sind. Auf Grundlage dieser Analyse wurden Veröffentlichungen erstellt, die konkrete Handlungsempfehlungen für Journalist*innen bieten, die eine jugendliche Zielgruppe ansprechen und über das Thema Flucht berichten. Übergeordnetes Ziel des Projekts war es, die Kompetenzen und Ressourcen von Jugendlichen im Umgang mit dem sensiblen Thema Flucht zu stärken.

    quoted. der medienpodcast & „Was sich ändern muss“ von der SZ

    Die Süddeutsche Zeitung bietet gleich zwei Formate, die sich kritisch mit Medieninhalten beschäftigen. Im Podcast „quoted. der medienpodcast“, der gemeinsam mit der CIVIS-Medienstiftung für Integration und kulturelle Vielfalt in Europa produziert wird, nehmen Kommunikationswissenschaftlerin Nadia Zaboura und SZ-Autor Nils Minkmar regelmäßig die aktuelle Berichterstattung und mediale Diskurse unter die Lupe. Sie sprechen unter anderem über die Berichterstattung über den Krieg in Nahost, die Proteste im Iran sowie den Umgang von Medien mit verschiedenen Kriegsregionen und Krisen weltweit.

    In der SZ-Artikelreihe „Was sich ändern muss“ schreiben hingegen Medienschaffende mit Migrationsgeschichte Beiträge darüber, welche Verbesserungen sie sich in der deutschen Medienlandschaft wünschen, um rassistische Strukturen aufzubrechen und einen inklusiven und diversen Journalismus zu schaffen. Besonders gut ist, dass die Handlungsmöglichkeiten sehr konkret werden und sich direkt an diejenigen richten, die über diese Handlungsmöglichkeiten verfügen.

     

    Media Diversity Institute

    Das Media Diversity Institute (MDI) arbeitet global an einer Verbesserung der Berichterstattung über diverse soziale Identitäten und Merkmale wie Religion, Ethnie, Klasse, Alter, Behinderung, Geschlecht und sexuelle Identität. Sie setzen sich für die Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz ein.

    Ihre Aktivitäten umfassen Konferenzen, Schulungen, Workshops und die Formulierung von Empfehlungen für Regierungen und Medienanstalten weltweit. Zusätzlich bieten sie eine Vielzahl an akademischen und journalistischen Ressourcen.  Ihr Ziel ist es, Redaktionen in aller Welt zur Nutzung dieser Angebote und damit zu einer akkuraten Berichterstattung zu ermutigen.

     

    Newsletter „What Happened Last Week“

    Sham Jaff ist Journalistin und Politikwissenschaftlerin aus Berlin. Sie wurde in Slemani, Kurdistan, Irak, geboren und zog im Alter von neun Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland. Seit 2014 schreibt sie den englischsprachigen Newsletter „what happened last week“, in dem sie wöchentlich die wichtigsten Nachrichten aus Afrika, Asien und Lateinamerika zusammenstellt und erklärt. Sie berichtet von Stimmen, Geschehnissen und Blickwinkeln aus dem Globalen Süden. Dazu gibt die Autorin Empfehlungen für andere Formate ab und lässt in die ein oder andere Nachricht auch ihren Humor mit einfließen. Super daran: Der Newsletter ist leicht verständlich und kostenlos zugänglich.  Bereits über 15.000 Menschen aus verschiedenen Ländern lesen regelmäßig „what happened last week“.

  • Berichterstattung über Migration und Flucht – eine Bestandsaufnahme

    „Sexualdelikte, Mord, Raub: Die Wahrheit über kriminelle Zuwanderer“ (FOKUS Online), „Nicht mal Schüsse konnten den Messer-Flüchtling stoppen“ (BILD) – Schlagzeilen, die auch 2023 immer noch aufkommen, wenn man sich auf die Suche nach aktuellen Meldungen zu Migration macht. Solche Titel und viele weitere Formen der Berichterstattung über Migration und Flucht werfen viele Fragen zu der Verantwortung der Medien auf.

    Fünf Jahre Medienberichterstattung über Flucht und Migration – eine Studie 

    Die Studie „Fünf Jahre Medienberichterstattung über Flucht und Migration“ der Universität Mainz und der Merkator Stiftung zeigt, dass interessante Entwicklungen in der Art der Berichterstattung über Flucht und Migration zu verzeichnen sind.

    Als zentraler Punkt lässt sich feststellen, dass immer seltener und immer negativer über Themen rund um Migration und Flucht berichtet wird. Die Studie stützt sich auf eine Analyse sechs deutscher Leitmedien, darunter Printmedien wie die Frankfurter Allgemeine, die Süddeutsche und die Bild sowie Nachrichtensendungen der Tagesschau, ZDF heute und des Senders RTL. Der untersuchte Zeitraum beläuft sich auf vier Jahre von 2016 bis 2020.

    Die Studie zeigt nicht nur, dass die Anzahl der Medienbeiträge zum Thema Flucht drastisch abgenommen hat, sondern auch, dass die Berichterstattung vor allem die Unsicherheiten und Gefahren, die damit in Zusammenhang stehen sollen, herausstellt.

    Jeder zehnte der untersuchten Beiträge behandelte dabei Terrorismus oder Flüchtlingskriminalität. Die Beziehung zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Zuwanderern wird zudem häufig als Konflikt inszeniert. Auch die dargestellte Demographie deckt sich hierbei nicht mit den tatsächlichen Zahlen. Überwiegend werden in den Beiträgen, gerade bei Fotos und Videos, Männer gezeigt, trotz dessen im untersuchten Zeitraum Kinder unter vier Jahren die größte Gruppe bei der Erstasylbeantragung darstellten.

    Die Berichterstattung folgt vor allem den aktuellen Ereignissen und orientiert sich maßgeblich an politischen Beschlussfassungen. Die Geflüchteten selbst kommen hierbei in der Regel nicht zu Wort und die Geschichten über gelungene Integration bleiben weit zurück hinter den Erzählungen über Schädigungen und Konflikte.

    Frames and Biases

    Durch die Studie wird klar, dass bestimmte Narrative über Migration und Flucht durch die mediale Berichterstattung entstehen. Es kommt zum Framing. Framing meint hierbei, dass spezifischen Aspekten mehr Raum gegeben wird und dadurch Informationsweitergabe nur in selektiver Weise stattfindet. Wenn dies wiederholt auftritt und man von einem Kommunikationsmuster sprechen kann, führt das in der Folge dazu, dass auch die zukünftige Auswahl von Informationen davon geprägt wird. Man spricht dabei auch von dem „confirmation bias“ oder „Bestätigungsfehler“.

    Dieser meint, dass Informationen so ausgewählt werden, dass das eigene Weltbild und die eigenen Erwartungen bestätigt werden. Sowohl Medienschaffende als auch Konsument*innen können von diesem Bias betroffen sein. Medienschaffende können, bewusst oder unbewusst, bestimmte Perspektiven verstärken oder vernachlässigen, während Konsument*innen dazu neigen, Medieninhalte auszuwählen, die ihre bestehenden Überzeugungen unterstützen, und andere Meinungen zu ignorieren. Es handelt sich hierbei also um einen Prozess mit nachhaltigen, meinungsbildenden Auswirkungen. Eine dieser Auswirkungen ist die Reproduktion von rassistischen Stereotypen. Dies lässt sich am Beispiel der Berichterstattung über Ausländerkriminalität verdeutlichen.

     

    Reproduktion von Vorurteilen am Beispiel „Ausländerkriminalität“

    Ein Rechercheteam von NDR und BR hat eine Datenerhebung durchgeführt, um zu untersuchen, wie die Polizei über die Nationalität von Tatverdächtigen berichtet. Dafür wurden 700 000 Polizeipresse-Meldungen über einen Zeitraum von 6 Jahren erhoben und analysiert. Das Ergebnis: Bei Menschen aus Flucht-Herkunftsländern wird die Nationalität doppelt so oft genannt wie bei deutschen Tatverdächtigen.

    Dies wird oft unhinterfragt von den Medien übernommen. Die Überbetonung der Nationalität legt einen Zusammenhang zwischen dieser und der Tat nahe und begünstigt damit die Bildung und Bestätigung bereits bestehender Vorurteile.

    In Anbetracht dieser Problematik stellt der Politik- und Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez in seinem Vortrag „Die verhängnisvolle Neigung der Medien … Plädoyer für einen Humanitären Journalismus.“ die Frage nach der Wirksamkeit ethischer Grundsätze in der Berichterstattung, wie sie im Pressekodex repräsentiert werden. Hafez argumentiert, dass die bestehenden ethischen Standards oft nicht ausreichen, um die Fehler in der Berichterstattung zu erfassen.

    Am vorhergehenden Beispiel kann man diese These einordnen, denn das begründete öffentliche Interesse, unter welchem die Nennung der Nationalitäten von Tatverdächtigung oft gerechtfertigt wird, ist nicht ausreichend definiert. Für Hafez ist klar, dass die Nennung der ethnischen und religiösen Herkunft nur erfolgen darf, wenn sie in klarem Zusammenhang mit der Tat steht. Dies trifft für die meisten Fälle nicht zu.

     

    Die Forderung nach einem humanitären Journalismus

    Kai Hafez plädiert für ein Umdenken im journalistischen Arbeiten und für einen humanitären Journalismus, der sich nicht dem Populismus und den Gesetzen des Marktes unterwirft. Denn die formale Medienethik ist nicht ausreichend gut aufgestellt, um die Bekämpfung des strukturell begründeten Rassismus durch die Art und Weise, wie Diskurs geführt wird, aufzubrechen.

    Hierfür formuliert er Kriterien in Anlehnung an den Friedensjournalismus. Darunter die Forderung einer Reform der Berichterstattung über Migration, mehr Ausgewogenheit und Komplexität in der Medienagenda und die Wiederbelebung der Fähigkeit des Journalismus, eigenständig kreativ zu sein und Lösungsansätze zu entwickeln. Bei diesem sensiblen Thema stehen nicht nur die Informationen im Vordergrund, sondern auch das Wohl und die Würde der betroffenen Menschen. Hafez appelliert daher an die Verantwortung der Medien, insbesondere wenn es um Themen wie Migration geht, bei denen Menschenrechte und -leben im Mittelpunkt stehen, eine ausgewogene, ethisch fundierte Berichterstattung zu leisten.

    „… diese Schwankungen mögen wir uns bei manchen Themen leisten können, sie sind bei niedrigschwelligen Themen sogar unvermeidlich – wir können und sollten sie uns aber nicht dort erlauben, wo Menschenleben auf dem Spiel stehen.“ (Hafez, 2019)

  • ZEIT für Qualitätsjournalismus?

    Am 30. Mai postet ZEIT Online Politik auf Twitter Folgendes: “Integration war gestern: Deutschland ist das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt und die Urdeutschen dürften auf absehbare Zeit zu einer numerischen Minderheit unter vielen werden. Und nun?” Darunter ein Bild von vier migrantisch gelesenen Männern in einem Cabrio, einer von ihnen am Handy. “Migranten: Sie werden die Mächtigen sein” heißt der Beitrag, der hier angeteasert werden soll. Mein erster Gedanke: ein nicht ganz so qualitätsjournalistisches wtf.

    Der Artikel erscheint unter dem Schwerpunkt Weltland. In drei Beiträgen sollen Migrationsbewegungen nach Deutschland erklärt werden, so far so good. Hätte man ein wenig weiter als 1950 zurückgeschaut, würde klar werden, dass es Migration schon immer gab und wir alle in irgendeiner Form eine Migrationsgeschichte haben, doch daran will ich mich an dieser Stelle nicht aufhängen.

    ABER: Wer rechte Rhetorik und rassistische Framings nutzt, diskriminiert, schürt Ängste und stärkt rechtsextreme Strömungen. Das sieht man schon daran, dass sich unter dem Post Personen tummeln, die man überwiegend rechten Gruppen zuordnen würde. Beifall von AfD-Anhänger*innen ist kein Kompliment.

    Es reicht nicht, den Post zu löschen und sich erklären zu wollen. “Wir haben einen Tweet zu einem Essay von @_vanessavu gelöscht. Die Wortwahl war missverständlich. Der Text handelt davon, dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland statistisch bald nicht mehr in der Minderheit sein könnten” – das war nicht missverständlich, es war richtig schlimm und problematisch! Statt des Dreizeilers sollte sich die ZEIT für das Posting entschuldigen und die Bezahlschranke vor dem Beitrag entfernen. Nach diesem Teaser kann dann zumindest jede Person den Inhalt für sich selbst einordnen.

    Höchster Anspruch?

    Inzwischen gibt es ein neues Posting von ZEIT Online zu dem Beitrag. Als neues Bild für den Tweet wurde ein Foto von zwei Ukrainerinnen aus dem Beitrag genutzt, im Text wird das Narrativ der “Anderen” genutzt, um migrierte Menschen zu beschreiben. ZEIT Online stehe nach eigener Bezeichnung für “einen einordnenden Qualitätsjournalismus mit höchstem Anspruch”.

    Was bei diesen Postings mit höchstem Anspruch eingeordnet wurde, erkenne ich ehrlich gesagt nicht. Und genau das überrascht mich auch nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass von einem deutschen Massenmedium unsensibel, diskriminierend und verallgemeinernd über geflüchtete und migrierte Menschen berichtet wird.

    Als Journalist*innen haben wir eine Verantwortung. Die ZEIT sollte das wissen und ernst nehmen. Gerade bei Themen, wo es um gesellschaftlich, politisch und strukturell diskriminierte Menschen geht, hat die Berichterstattung viel Macht. Sich dieser Macht bewusst zu sein, sie konstruktiv zu nutzen und der informierenden und einordnenden Funktion von Medien nachzukommen – das wäre eher Qualitätsjournalismus.

     

  • Mathias Döpfner: Meinungen. Macht. Medien

    “free west, fuck the intolerant muslims und all das andere Gesochs” – niemand scheint so wirklich überrascht, als die Nachrichten von Mathias Döpfner an die Öffentlichkeit kommen. Schon seit Jahren hetzen Springer-Medien gegen geflüchtete und migrierte Menschen, sie fordern eine “härtere Linie” in der Asylpolitik. Doch ein Wort, das in den Kommentarspalten unter dem Instagram-Posting der ZEIT immer wieder zu finden ist: beängstigend. Beängstigend, dass ein Mensch mit solcher Verantwortung so denkt. Beängstigend, dass er eine solche Reichweite hat.

    Nachdem sogar innerhalb des eigenen Verlags eine Entschuldigung für die Aussagen gefordert wird, kommt Döpfner dieser nach. In der Bild schreibt er: “’Eigentlich ist eine Entschuldigung fällig, Chef!’ Das hat Marion Horn am Samstag in “Bild” geschrieben. Stimmt.” Doch er greift nur die Aussage auf, die auch so oft in anderen deutschen Medien zitiert wird: „Die ossis sind entweder Kommunisten oder faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig.”

    Die Allianz gegen Islam- und Muslim­feind­lichkeit (CLAIM) hat nun eine Petition gestartet, in der sie auch eine Entschuldigung für die anti-muslimischen Äußerungen einfordern.

    Aber sie zeigt eben auch, bei welchen Aussagen der öffentliche Aufschrei lauter ist. Die CLAIM-Allianz argumentiert meiner Meinung nach ganz folgerichtig, dass anti-muslimischer Rassismus ein viel größerer Skandal in Deutschland sein muss.

    Aber reichen diese Entschuldigungen? Reichen Entschuldigungen aus, zu denen man aufgefordert werden muss? Reichen Entschuldigungen aus, die man nur macht, weil dieses eine Mal “leider” doch durchgekommen ist, was man wirklich denkt? Sie reichen nicht aus. Klar, Journalismus ist nicht objektiv. Persönliche Meinungen und Erfahrungen scheinen durch, allein in der Themenauswahl, beim implicit bias oder bei der Auswahl von Gesprächspartner*innen.

    Die vierte Gewalt

    Doch Journalist*innen sollten aufrichtig versuchen, facettenreich und vielschichtig zu berichten. Und in keinem Fall dürfen diskriminierende Ansichten einer Einzelperson die Meinungsmache im ganzen Land beeinflussen. Dass Döpfner direkt mit der Haltung seiner Medien in Verbindung steht und diese beeinflusst, wird durch die Leaks seiner Nachrichten bestätigt. Und damit gehört er nicht an die Spitze eines Verlagshauses.

    Die konkrete Unterstützung bestimmter Parteien – auch das zeigen die veröffentlichten Nachrichten von Döpfner – und die menschenfeindliche Haltung der Springer-Verlagsspitze und ihrer Medien sind demokratiegefährdend. Als vierte Gewalt einer Demokratie haben Medien Macht. Man kann also von Machtmissbrauch sprechen, wenn Mathias Döpfner politische und gesellschaftliche Diskussionen durch seine Medien beeinflusst. Eine Entschuldigung reicht nicht. Ein Rücktritt von seiner Position als Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE eher.

  • Flügel und Freunde

    „Irgendwo,“ sagt unsere Autorin Boshra Al-Bashawat aus Syrien, „habe ich einmal die Redewendung ‚Anstelle von Flügeln gab Gott uns frohe Nachrichten und Freunde‘ gelesen.“Dieser Redewendung sollte man hinzufügen: Akzeptanz, Zufriedenheit und Kameraden.

    Seit September 2020 arbeite ich beim Kieljournal. Und seit sechs Jahren wohne ich in der Landeshauptstadt, dieser Küstenstadt über dem Kielkanal. Die Bundesmarine wollte eine Verbindung zwischen ihrem Stützpunkt im baltischen Meer und dem in der Nordsee ohne Umweg über Dänemark schaffen. Also entschied sie, den Kanal zu bauen. Doch ich bin nicht hier, um über diese sanfte und ruhige Stadt zu sprechen.

    Der Weg zum Kieljournal

    Ich möchte über mein Leben als syrische Geflüchtete in dieser Stadt sprechen und über die Beziehung, die ich zu ihr aufbaute – oder die sich mit der Zeit ergab.

    Eine Beziehung zum Ort, eine Beziehung im zeitlichen Gefüge und eine Beziehung zu anderen Menschen – das ist das Wichtigste. Eine Beziehung zu den Menschen, mit denen ich zusammenwirke, eine Beziehung zwischen Zeit und Raum.

    Ich hatte gerade das B2-Niveau im Deutschkurs erreicht, als sich das Coronavirus auszubreiten begann und damit die Zeit des Lockdowns über alle Bundesländer hinweg einläutete.

    Unter diesen Umständen war mein theoretisches Sprachniveau nicht ausreichend, um einen Schritt in Richtung neue Berufsausbildung, Studium oder Arbeit zu machen.

    Die Sachbearbeiterin im Arbeitsamt schickte mich also auf meine Anfrage hin und aufgrund meines bereits absolvierten Studiums in diesem Bereich zum Kieljournal.

    Sie meinte, dort könne ich in eine gewohnte Arbeitsatmosphäre zurückkehren und die Sprache praktisch anwenden, im Kontrast zum trockenen Unterricht.

    Die neue „Klasse“

    Der Monat September holte bei mir stets all die Gefühle von früher an die Oberfläche. Der Semesterstart in Syrien, die Rückkehr der Kinder, Lehrer und Student*innen in die Klassen – und ich kehrte in eine noch höhere und weitaus herausfordernde Klasse zurück.

    Die „Klasse“, in die man mich versetzte, war das halbjährlich erscheinende Kieljournal mit seinen etwas mehr als zehn Mitarbeiter*innen, die alle fachfremd waren – mit Ausnahme eines „nicht mehr anwesenden“ Kollegen.

    Dieses Konzept fußt auf der Idee, interessierten Menschen sowie Journalist*innen ohne Vorkenntnisse, also denjenigen, die lernen wollen, eine Möglichkeit zum Schreiben zu bieten. Das Journal erscheint in drei Sprachen (Deutsch, Arabisch und Englisch), und das war meine Chance.

    So konnte ich zum ersten Mal seit langem meiner wahren Berufung nachgehen und gleichzeitig meine Sprachkenntnisse anwenden und erweitern sowie in realer Umgebung und mit direktem Praxisbezug mit dieser Sprache kommunizieren, die mir bis dato immer einen Schritt voraus gewesen war und mir die Zunge rausgestreckt hatte.

    Die erste Hürde

    Die erste Hürde, die ich überwinden musste, erschien in Gestalt der Hauptprojektleiterin Rebecca und ihrem jungen Assistent Konrad. 

    Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen direkten Kontakt zu dieser Sprache und ihren Sprecher*innen gehabt, obwohl die Sprache doch eine Beziehung zu den Mitmenschen erst möglich macht.

    Und was gibt es Besseres an diesem Ort als Freunde und das Meer?

    Ich war es nicht gewohnt, das Deutsche so schnell und in unterschiedlichen Dialekten zu hören, von zahlreichen Personen mit verschiedenen Stimmen und Nuancen, mit unterschiedlich viel Erfahrung und auf unterschiedlichen Lernstufen. 

    Besorgniserregend, verwirrend, auch bedrohlich. Mit ungeheurer Angst vor unbeabsichtigten Fehlern, wenn ich einen Satz oder eine Antwort auf eine Frage nicht verstand.

    Aber Rebecca war immer da, lächelnd, dynamisch und unverdrossen.

    Auch Konrad war immer da, hübsch und freundlich, ein Student kurz vor dem Abschluss.

    Und dann die anderen Freunde, die anderen Kollegen.

    Es gab einen weiteren Syrer, der Einzige außer mir, der Arabisch sprach, sowie zehn weitere Kolleg*innen.

    Das erinnert mich an einen Satz des Dichters Mahmoud Darwish: „Auch wenn sie uns die Orte wiedergeben, wer bringt uns dann die verlorenen Freunde zurück?“

    Die Kolleg*innen wurden zu Freund*innen.

    Den ersten Monat erlebte ich wie einen realen Test. Ich fühlte die Berührung dieser Sprache, ihre Berührung mit den Lippen der Muttersprachler*innen. Auch die Berührung mit den Buchstaben auf der Tastatur, die mit arabischen Buchstaben überklebt waren, damit der Mitarbeiter hier leicht und schnell arabische Artikel schreiben könne. 

    Dieser Monat war anders als jeder zuvor. Ich tat mich zunächst beim Verstehen einiger Kolleg*innen schwer, aber nach und nach übte ich das Verstehen. Besonders in den Pausen half es, bei ihnen zu stehen und zuzuhören, wie sie sich über die alltäglichen Neuigkeiten austauschten. Jeden Tag nahm mich Carina, eine meiner Kolleginnen, im Auto mit zur Arbeit und wieder zurück, denn sie wohnte im selben Viertel wie ich.

    Vielleicht überrascht es manche, dass ich dieses freundliche Angebot von einer Deutschen erhielt. Doch ich finde, es kursieren zu viele falsche Gedanken über die Deutschen, die aus Unwissenheit entstehen.

    Hin und zurück mit Carina, wobei wir uns ein wenig unterhielten, auch lachten und ich eine Hürde nach der anderen nahm.

    Der erste Artikel

    Weitere Monate beim Journal folgten, in denen es mir gelang, einen Artikel zu schreiben. Die Mitarbeiter*innen kamen und überprüften den Artikel und berichtigten Fehler. Sie waren immer lächelnd, und mit einem vollen Dutzend Themen, die sich jeden Tag zur Diskussion stellten: von der Küche bis zur abgelegensten Gasse in Kiel.

    Nachdem ich Monate gebraucht hatte, um mich in diesen Kolleg*innenkreis einzufügen und ich mich nun endlich zumindest teilweise ihnen zugehörig fühlte, mussten sie mir einfach die Chance auf Verlängerung geben. Und als ich danach gefragt wurde, stimmte ich schnell und enthusiastisch zu.

    Die Verlängerung

    Rebeca öffnet ihr Heft und beginnt, mir eine Reihe an Fragen zu stellen, auf die ich antworten soll.

    Warum bist du zum Kieljournal gekommen?

    Wie hast du von der Arbeit hier profitiert?

    Bei was haben Konrad und ich dir während deiner Arbeit hier geholfen?

    Und sehr viele weitere Fragen, die ich aufrichtig beantwortete und in „undeutscher“ Kürze beantwortete, da ich Angst hatte, Fehler zu machen.

    Die Entdeckung einer fremden Welt

    Rebeca sagte mir nach einem ganzen Jahr der Zusammenarbeit im Kieljournal vor wenigen Wochen, dass sie etwas befangen gewesen sei, als sie mich zum ersten Mal sah, und vielleicht auch etwas besorgt. Sie hatte sich gefragt, wie es wohl sein würde, zum ersten Mal mit einer arabischen Frau, einer verschleierten Muslimin zusammenzuarbeiten. Denn sie hatte doch keinerlei Erfahrung in dieser Hinsicht sammeln können.

    Sie hatte sich gefragt, wie sie mit mir umgehen müsste und über welche Themen wir uns unterhalten könnten. Sie hatte sich sogar Gedanken über das Essen und Trinken gemacht, wie das wohl sein würde.

    Vielleicht dachte sie, dass sie diese fremde Welt entdecken müsse, und es besser wäre, letztere zu kennen.

    Rebeca erzählte unbeirrt lächelnd weiter, dass sie, als sie mich kennenlernte, schon nach dem ersten Treffen den Hijab vergaß und ihn auch anschließend nicht mehr als ein Hindernis sah. Durch mich und durch unsere gelegentlichen Unterhaltungen lernte sie, wie die arabischen Frauen sind, wie die syrische Frau ist.

    Das können die Medien nicht vermitteln. Wie ist dieser andere Mensch, der aus einer weit von unserer Kultur und unserem Leben entfernten Welt kommt?

    Sie sagt, dass sie neuerdings positiv über ihre Erfahrung mit einer syrischen und arabischen Frau berichten kann (übrigens, für die anderen sind wir außerhalb der geografischen Bezeichnungen alle nur Araber*innen).

    Sie kann über alles sprechen, was sie von mir weiß.

    Sie kann einige Namen so aussprechen, wie wir sie aussprechen.

    Sie kann von einigen unserer Bräuche und Traditionen erzählen.

    Sie kann einfach erklären, was Eid al-Fitr und Eid al-Adha sind.

    Sie kann ihren Mitmenschen von der Ehe erzählen, von der arabischen Familie, von Bildung, vom Leben in Syrien in jenen Häusern, die für sie bisher geheimnisvoll und fragwürdig erschienen.

    Sie lächelt und fügt etwas Überraschendes hinzu, dass sie sieht, was ich erreicht habe und noch erreichen werde.

    Eine positive Erfahrung

    Und das verdiene es, dass sie von ihrer Erfahrung mit mir positiv berichtet. Diese Erfahrung würde stets in ihre persönliche Geschichte einfließen und alle früheren Vorstellungen vom Menschen, der aus seinem Land floh, vom Menschen, der immer von vorne anfängt, ausmerzen. Ein Mensch, geleitet von Menschlichkeit und Vernunft, geprägt von Abschied und Flucht, Trauer und Vergangenheit – und doch heiter ob neuer Anfänge.

    Sie spricht immer von der Freude über den Neuanfang, was mich sehr freut. Ich werde meine Arbeit beim Kieljournal im nächsten Februar beenden, um eine andere Ausbildung zu beginnen, und dabei werde ich diese Erfahrung im Herzen tragen. 

     

    Dieser Artikel wurde zuerst auf Arabisch veröffentlicht und im Scheibtandem von Sonja Jacksch übersetzt.

    Hier kannst du eine andere Erfolgsgeschichte lesen.

  • Eine vielfältige Gesellschaft braucht Vielfalt im Journalismus

    Mehr als 26 Prozent der Bevölkerung in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Das bedeutet jede vierte Person in Deutschland hat eine Migrationsgeschichte. Trotz dieses großen Anteils in der Gesellschaft bleiben Menschen mit Migrationshintergrund in den Medien unterrepräsentiert. Laut einer Studie des Vereins Neue deutsche Medienmacher*innen sind sechs Prozent der für die Studie befragten 126 Chefredaktionen mit Menschen mit Migrationshintergrund besetzt. Und dem entspricht die Vielfalt in der Gesellschaft nicht. 

    Die Vielfalt in den Redaktionen ist nicht nur ein bereichernder Faktor innerhalb der Presseinstitution, sondern auch entscheidend bei der redaktionellen Entscheidungsfindung durch die Anwesenheit von Journalist*innen mit unterschiedlichen Hintergründe und multikulturellen Kompetenzen, was sich auf die Auswahl der zu behandelnden Themen auswirkt. Damit sollen Medien neue Perspektiven bei der Berichtserstattung über Zielgruppen mit Migrationshintergrund schaffen. Dies hilft auch dabei, eine andere Vision der Gesellschaft zu haben, mit einem Netzwerk von Beziehungen zu gesellschaftlichen Gruppen, die die Redaktionen nicht angemessen erreichen können, was zumindest neuen Geschichten und einem neuen Publikum weichen kann.

    Gelungener Versuch

    Der neuen deutschen Medienmacher*innen e.V. hat ein wichtiges Modell geschaffen, um Diversity im Journalismus sichtbar zu machen. „Wir sind immer sehr glücklich zu sehen, wie sich junge, talentierte Journalist*innen mit Zuwanderungsgeschichte im Beruf etablieren, wenn sie etwas Unterstützung bekommen, vor allem Zugänge in die Redaktionen“, sagt Najima El Moussaoui, Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher*innen. 

    Das Netzwerk versucht beispielsweise durch Mentoringprogramme mehr Journalist*innen mit multikulturellen Kompetenzen in verschiedene Medienbereichen zu bringen. Ziel des Mentoringprogrammms ist es, dass Medienschaffende of Colour und Journalist*innen mit Migrationshintergrund unterstützt und gefördert werden. „Einige Alumnis unserer Nachwuchsförder-Programme sind heute prominente Medienschaffende, wie zum Beispiel Aline Abboud, die die ARD-Tagesthemen moderiert. Aber auch viele, die wir nachher nicht vor den Kameras sehen, entwickeln sich innerhalb eines Jahres, so lange dauert ein Mentoring-Jahrgang, enorm weiter, sowohl beruflich als auch in ihrer Persönlichkeit“, ergänzt die Leiterin des auf den Lokaljournalismus im Ruhrgebiet spezialisierten Projektes „Mentoring@Ruhrgebiet“.

    Diversity stärken

    Für viele Redaktionen ist die Sprache das größte Hindernis, Journalist*innen mit Migrationshintergrund aufzunehmen, vor allem wenn sie keine perfekten Deutschkenntnisse oder einen Akzent haben, denn das ist in den Medienhäuser nicht erwünscht. Trotz der Schwierigkeiten bleiben daher Journalist*innen ohne Deutsch als Muttersprache auf der Suche nach einer Redaktion bzw. einem Team durch Praktika, Volontariat oder sogar ehrenamtliche Arbeit, um den ersten Schritt in den Journalismus in Deutschland zu finden. Ihnen fällt es schwer, eine Stelle in dem Bereich zu bekommen, „Wir unterstützen Nachwuchsjournalist*innen mit internationaler Familiengeschichte darin, ihren Weg in die Medienwelt zu finden.

    Das machen wir über zwei Projekte: unser bundesweites Mentoringprogramm „Vielfalt stärken“ und unser auf den Lokaljournalismus im Ruhrgebiet spezialisiertes Programm „Mentoring@Ruhrgebiet“, berichtet El Moussaoui und ergänzt: „Wir versuchen Chefredakteur*innen davon zu überzeugen, warum Vielfalt unabdingbar ist, um unsere heutige Welt in den Medien angemessen darzustellen. Das ist richtige 1:1-Aufklärungsarbeit. Zum Beispiel haben wir, nachdem wir unseren Diversity Guide veröffentlicht haben, mit denen, die dieses Buch gerne haben wollten, ein einstündiges Gespräch geführt. Wir wollten vor allem den Führungskräften in den Medienhäusern in einem persönlichen Gespräch deutlich machen, wieso es eine Win-Win-Situation ist, wenn sie sich für mehr Vielfalt entscheiden.“

    Die fehlende Vielfalt in den Medien ist ein großes Problem. Und dafür kann es viele Gründe geben, einschließlich des fehlenden Mutes der Medien, Menschen aus unterschiedlichen Hintergründen einzustellen. „Es fängt damit an, dass die meisten Journalist*innen aus herkunftsdeutschen Akademikerfamilien kommen“, betonte El Moussaoui.

    „Wenn Medien diverses Personal haben möchten, müssen sie aktiv etwas dafür tun: Nachwuchs fördern und bereit sein, auf allen Ebenen diverse Mitarbeitende einzusetzen, nicht nur auf den unteren oder mittleren Karrierestufen. Es reicht nicht, eine migrantisch aussehende Person vor die Kamera zu stellen, wenn das Team dahinter komplett weiß ist. Dies bedeutet nämlich in der Regel, dass die Journalist*innen eine ähnliche Perspektive auf Themen haben, weil sie ähnlich sozialisiert sind.“

    Anderes darüber nachdenken

    Deutschland ist ein Migrationsland und hat eine vielfältige Gesellschaft, daher ist das Bewusstsein für die Bedeutung von Diversität in den Medien eine Grundvoraussetzung für die Repräsentation aller Menschen in der Gesellschaft. Trotz der Förderung und der Unterstützung von den Neuen deutschen Medienmacher*innen, Vielfalt im Journalismus zu stärken, scheint es, dass die deutschen Medien selbst viel zu tun haben, um ihre Kultur zu ändern und darüber nachzudenken, ein Arbeitsumfeld für Journalist*innen mit multikulturellen Kompetenzen zu schaffen.

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