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  • “Ich möchte, dass sich alle von der Politik repräsentiert fühlen”

    Massieh, welche drei Worte beschreiben dich am besten?

    Ehrgeizig, empathisch, verantwortungsbewusst.

    Und warum?
    Wenn ich auf meine Vergangenheit schaue, dann war ich immer sehr ehrgeizig. In der Schule, während meines Studiums, in meinem zivilgesellschaftlichen Engagement, in meiner Selbstständigkeit und jetzt auch auf meinem Weg in die Politik. Ich kann mich sehr gut in die Gefühlswelt von Menschen einfinden, mit ihnen mitfühlen und dadurch verstehen, wie sie zu gewissen Schlüssen gekommen sind. Wenn ich mich einer Aufgabe annehme, wie beispielsweise dem Mandat für die Hamburgische Bürgerschaft, dann verpflichte ich mich mit allem, was ich bin, dieser Aufgabe. Und das mache ich, weil ich ein großes Verantwortungsbewusstsein verspüre und Menschen, die mir vertrauen, nicht enttäuschen möchte.

     

    „Der Rechtsruck der vergangenen Jahre hat mich in meinen Gedanken, in die Politik zu gehen, nochmal deutlich gestärkt“

     

    Du bist seit Jahren ehrenamtlich aktiv und setzt dich für soziale und politische Belange ein. Was bedeutet Ehrenamt für dich?
    Ehrenamtliches Engagement ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Ohne Ehrenamtliche wären viele gesellschaftliche Herausforderungen nicht gelöst worden. Der Staat hat nicht die Möglichkeit, alle Probleme zu lösen. Dafür braucht er die Bevölkerung, die sich ehrenamtlich engagiert. Menschen zu sehen, die sich ehrenamtlich engagieren und ihre Zeit spenden, um etwas Gutes zu bewirken, gibt mir Energie, um selbst weiterzumachen.

    Trotz beruflicher und privater Verpflichtungen hast du dich entschieden, politisch aktiv zu werden – und sogar für die Bürgerschaftswahl in Hamburg zu kandidieren. Gab es ein Schlüsselerlebnis, das deinen Weg in die Politik geprägt hat? 

    Der Rechtsruck der vergangenen Jahre hat mich in meinen Gedanken, in die Politik zu gehen, nochmal deutlich gestärkt. Die Enthüllungen von Correctiv Anfang 2024 waren dann quasi der letzte Auslöser. Ich möchte nicht, dass Menschen wie ich noch einmal fliehen müssen oder – Gott bewahre – in eine noch größere Gefahrensituation kommen. Mit Rechtsruck meine ich nicht nur die AfD, sondern auch die anderen Parteien, die sich von den Nazis vor sich her treiben lassen und teilweise zu ihrem Steigbügelhalter werden. Es ist gruselig, wenn man sich die Parallelen der heutigen Zeit zu den Jahren vor 1933 anschaut.

    Was motiviert dich auf diesem Weg? 

    Durchhaltevermögen, Disziplin und Einfühlsamkeit. Ein Zitat, das mich bislang mein ganzes Leben begleitet hat und dessen Interpretation ich den Leser*innen überlasse, stammt von meiner Mutter: „In Deutschland musst du [als Ausländer*in] immer doppelt so gut sein wie die Deutschen“. Auch wenn es mir wehtut, das so über die deutsche Gesellschaft zu sagen, glaube ich, dass es definitiv noch immer so ist. Als Mensch mit Migrationsgeschichte muss man strukturell viel mehr Hürden überwinden. Und das schafft man erst, wenn man an sich arbeitet und nicht aufgibt.

    Ich weiß, das hört sich gerade an wie ein Tipp von einem Lifecoach. Aber damit meine ich nicht sowas wie: „Du musst nur hart an dir arbeiten, dann wirst du es schon schaffen“. Nein, solche systemischen Hürden zu überwinden, braucht Zeit. Und wir brauchen Mutige, die sich dafür einsetzen, dass der Prozess zügiger vonstattengeht.

    Was möchtest du politisch erreichen?

    Ich möchte, dass alle Gruppen dieser Gesellschaft einen Zugang zu allen politischen Ebenen erhalten und sich von der Politik repräsentiert fühlen. Allen soll möglich sein, sich politisch zu beteiligen, Zugänge zu erhalten und sich einzubringen. Dadurch erhoffe ich mir, dass mehr gesellschaftliche Gruppen ein Teil unserer lebendigen Demokratie werden und sich ihr zugehörig fühlen. Denn wer sich der Gesellschaft zugehörig fühlt, wird sie auch schützen, wenn es darauf ankommt.

     

    „Ich setze einen großen Fokus auf politische Kommunikation über soziale Medien“

     

    Viele Menschen fühlen sich von der Politik übersehen. Wie stellst du sicher, dass deine politischen Botschaften verschiedene Menschen erreichen?

    Das ist eine wirklich wichtige Frage, die ich als Kandidat für die Hamburgische Bürgerschaft wahrscheinlich anders beantworte als ein gewählter Abgeordneter. Ich setze einen großen Fokus auf politische Kommunikation über soziale Medien. Das ist übrigens auch mein Beruf, als Soloselbstständiger. Und in diesem Zusammenhang kommentieren natürlich ganz viele unterschiedliche Menschen unter meinen Posts.

    Leider sind die meisten nicht an einer sachlichen Auseinandersetzung interessiert. Ich versuche trotzdem, eine Brücke aufrechtzuerhalten. Sprich, auch wenn man meine Partei und ihre Positionen nicht mag, stehe ich zur Verfügung, um Positionen einzuordnen, zu erklären und damit auch Unterschiede aufzuzeigen.

    Wenn du einen Tag absolute Entscheidungsmacht in Hamburg hättest, welche drei Dinge würdest du sofort umsetzen?

    Bleiben die Dinge dann auch langfristig? Falls ja, dann würde ich in allen städtischen Institutionen eine Quote etablieren, dass bei Neuanstellungen 30 % Menschen mit Migrationsgeschichte eingestellt werden müssen. Zweitens würde ich eine große Investition in unser Bildungssystem vornehmen. Und drittens würde ich den Döner in Hamburg per Erlass auf fünf Euro festsetzen.

    Du kommst aus Bremen und hast einige Zeit im Ausland verbracht. Warum hast du dich letztlich für Hamburg als Lebensmittelpunkt entschieden?

    Nach meinem Abitur bin ich mit zwei Freunden für ein Jahr nach Kanada gegangen, um dort zu arbeiten und zu reisen. Das war eine sehr prägende Zeit. Als ich zurück nach Deutschland kam, bin ich sofort nach Hamburg gezogen. Hamburg war also die erste Station meines Studentenlebens. Die erste Station, wo es auch für mein Leben „ernster“ wurde. In Hamburg habe ich eine gemeinnützige Organisation aufgebaut, die jetzt seit zehn Jahren besteht. Wir saßen übrigens über viele Jahre im gleichen Co-Working-Space wie das kohero Magazin.

    Was bedeutet Hamburg für dich?

    Die Stadt hat zwar leider ein typisch norddeutsches Wetter, die Menschen sind aber sehr offen und herzlich. Ganz anders als manche behaupten. Und ich finde auch, dass es Hamburger*innen gar nicht nötig haben, immer auf Bremen zu schauen (lacht). Hamburg ist eine tolle Stadt. Seid stolz drauf.

    Zum Schluss, die wichtigste Frage: Was ist dein kulinarischer Geheimtipp für Hamburg?

    Das afghanische Restaurant „Ariana“ in der Nähe des Jungfernstiegs. Die eröffnen jetzt bald nach einem Umbau.

     

  • Neu in Hamburg? Hier kannst du Kontakte knüpfen

    Du bist neu in Hamburg und auf der Suche nach Möglichkeiten, neue Leute kennenzulernen? So viel Auswahl wie Hamburg auch bietet, man kann sich trotzdem schnell verloren und einsam fühlen, gerade wenn man die Sprache noch nicht perfekt beherrscht. Doch keine Sorge: In Hamburg gibt es zahlreiche Organisationen, die Menschen aus aller Welt zusammenzubringen und dir den Start in der Hansestadt erleichtern wollen. Um dir dabei zu helfen, haben wir eine Übersicht mit einigen Möglichkeiten zusammengestellt.

    Sprachcafe und Tandem

     

    VHSSprachtandem

    Das Sprachtandem der Hamburger Volkshochschule ist ein kostenloser Service, bei dem du dich mit Menschen unterschiedlicher Muttersprachen austauschen und so eine neue Sprache lernen kannst, während du gleichzeitig der anderen Person deine eigene Sprache näherbringst. Du gibst einfach deine Muttersprache und die gewünschte Zielsprache an und es wird ein*e passende*r Partner*in in deiner Nähe für dich gefunden. Ihr könnt euch dann entweder persönlich oder online treffen. Dabei lernst du nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur und die Person selbst besser kennen.

     

    kohero Schreibtandem

    Auch bei kohero gibt es die Möglichkeit, Teil eines Tandems zu werden. Hier kannst du mithilfe einer Person, die Deutsch als Muttersprache spricht, Texte schreiben, die dann auf unserer Website veröffentlicht werden. Du übst das Schreiben auf Deutsch und knüpfst dabei einen neuen Kontakt. Hier kannst du mehr darüber erfahren.

     

    Sprachbrücke 

    Die Sprachbrücke-Hamburg bietet erwachsenen Zugewanderten die Möglichkeit, ihr Deutsch in lockeren Gesprächen mit anderen zu üben. Es handelt sich dabei nicht um offiziellen Deutschunterricht, der Schwerpunkt liegt auf alltäglichen Unterhaltungen in einer entspannter Atmosphäre, wo man neue Leute kennenlernen kann. Die Gesprächsgruppen werden von Ehrenamtlichen geleitet und bestehen aus vier Teams und einer Lenkungsgruppe. Es gibt mehrere Gesprächsorte an unterschiedlichen Tagen sowie die Möglichkeit, online teilzunehmen.

     

    Internationale Vereine

     

    Café Exil

    Das Café Exil ist eine selbstverwaltete und unabhängige Beratungs- und Unterstützungsstelle für Geflüchtete und Migrant*innen. Der Schwerpunkt liegt auf rechtlicher Beratung, Unterstützung bei Übersetzungen und Begleitung im Alltag bei rassistischen Erfahrungen. Gleichzeitig ist es ein offenes Café, das als Treffpunkt und Kommunikationsraum dient.

     

    Verikom

    Verikom ist eine Beratungsstelle, die ein breites Spektrum an Projekten in den Bereichen Beratung, Bildung und Gewaltschutz anbietet. Die Organisation engagiert sich besonders gegen Rassismus, Sexismus und Diskriminierung. Neben diversen Projekten werden auch Deutschkurse und arbeitsmarktorientierte Trainings für Geflüchtete angeboten. Die vielfältigen Angebote ermöglichen nicht nur persönliche Weiterbildung, sondern bieten auch eine Gelegenheit, neue Menschen kennenzulernen.

     

    Freiwilligenarbeit 

     

    Flexhero

    Durch Freiwilligenarbeit kannst du Menschen mit ähnlichen Interessen und Werten treffen, da ihr gemeinsam an Projekten arbeitet. Flexhero ist eine Plattform, auf der du dich mit Ehrenamtlichen vernetzen kannst und verschiedenste Projekte in vielen Bereichen finden kannst.

     

    Mitmacher 

    Die Plattform Mitmacher folgt demselben Prinzip, legt jedoch ihren Fokus darauf, speziell geflüchtete und migrierte Menschen in Ehrenämter zu vermitteln. So kannst du problemlos ein Ehrenamt finden, auch wenn deine Deutschkenntnisse noch nicht perfekt sind.

     

    Events 

     

    Eat the World Tour

    Die Eat the World Tour in Hamburg bietet eine kulinarische Reise durch die Vielfalt der Elbmetropole. Mit den Tourguides erlebt man die Stadt aus einer Insider-Perspektive, entdeckt verborgene Orte und genießt sechs ausgewählte Kostproben bei inhabergeführten Partnerbetrieben. Man taucht ein in die Geschichte und den Geschmack der Hamburger Stadtviertel – jenseits der klassischen Touristenpfade. Es gibt eine Vielzahl an Touren in verschiedenen Stadtteilen über verschiedene Themen, wie eine Krimirätseltour oder vegane Touren, sodass für jeden etwas dabei sein sollte. Preislich liegen die Touren bei etwa 77 €.

     

    Welcome Dinner 

    Das Welcome Dinner bietet eine Gelegenheit, beim gemeinsamen Abendessen neue Menschen kennenzulernen. Der Verein bringt Menschen aus aller Welt mit verschiedenen Deutschkenntnissen an einem Küchentisch zusammen. Du kannst dich entweder als Gäst*inoder Gastgeber*in anmelden und bekommst passende Personen für ein gemeinsames Essen vermittelt.

     

    Plattformen

     

    Meetup

    Meetup ist eine Plattform, auf der verschiedenste Events wie Wanderungen, Brunch- oder Networking-Treffen sowie viele weitere Veranstaltungen angeboten werden. Dadurch hast du die Möglichkeit, dich mit Menschen vernetzen, die deine Interessen teilen. Du kannst entweder an bestehenden Events teilnehmen oder eine eigene Gruppe gründen und eigene Events organisieren.

     

    Bumble BFF

    Bumble BFF funktioniert ähnlich wie eine Dating-App, nur für Freundschaften. Du erstellst ein Profil, gibst deine Interessen an und kannst dann potenzielle Freund*innen matchen. Es ist dabei möglich, nach Geschlecht, Altersgruppe und Entfernung zu filtern. Nach einem Match könnt ihr zuerst schreiben oder euch direkt treffen, um euch kennenzulernen.

     

     

     

  • fluctoplasma: Wie „in/between“ bist du? 

    Das Hamburger Festival „fluctoplasma“ für Kunst, Kultur und Diversität hat dieses Jahr wieder mit seinen vielfältigen Angeboten geglänzt. Besonders spannend war der Research Workshop „in/between“, der sich mit den Themen Identität und Zugehörigkeit von BIPoC auseinandergesetzt hat.

    Organisiert und durchgeführt wurde der Workshop von Sun Hee Martischius, die sich mit Macht und Diskriminierung im politischen Kontext, dem Medium Fotografie, Mediation, Tanz und Theater beschäftigt.

    Die zentralen Fragestellungen laden zu einer inneren Forschungsreise ein. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, rassifizierte, marginalisierte und als migrantisch gelesene Menschen sollen sich in diesem Workshop damit beschäftigen können, wie man sich selbst definiert und was einem von Außen zugeschrieben wird: Wo fühlen wir uns zugehörig und in welchen Räumen werden wir ausgeschlossen? Gleichzeitig soll der Bogen zu Sozialisation und internalisierten Glaubenssätze geschlagen werden. Die Forschung soll dabei nicht nur im Inneren geschehen, sondern auch durch Körperarbeit sollen Gefühle und Glaubenssätze ergründet werden.

    Einen passenden Rahmen für die Veranstaltung liefert dabei das Turmzimmer im MARKK. Das Besondere an diesem Raum ist, dass er mit einer Spielwiese und Sitzkissen ausgestattet ist. Schuhe haben auf der Spielwiese nichts verloren, wodurch eine echte Wohlfühlatmosphäre geschaffen wurde.

    Sich den Raum zu nehmen und erstmal anzukommen, war für Mentorin Sun Hee besonders wichtig. Durch den gesamten Workshop wurden alle Teilnehmenden ganz organisch, ohne eine strenge Agenda, begleitet. Die Ruhe, mit der Sun Hee uns begleitet hat, hat sich direkt auch auf alle anderen Teilnehmenden ausgewirkt. Mithilfe von Spielkarten, auf denen Sprüche und Gefühle aufgedruckt waren, konnten sich alle im Raum die Zeit nehmen, sich in die Thematik hineinzufühlen.

    „Ich bin in/between. Die Summe meiner Teile“

     

    Die Teilnehmenden haben erst über ihre eigenen internalisierten Glaubenssätze nachgedacht und sich dann im Anschluss der Gruppe geöffnet. Alleine fühlen und gemeinsam reflektieren, hat bei einem so tiefen Thema wie Zugehörigkeit und Ausgrenzung eine heilende Wirkung.

    Damit gelang auch der Blick in das Innere und die verschiedenen Erfahrungen, die alle Gäste gemacht haben, wodurch gemeinsam neue Perspektiven kreiert wurden. Was verbindet uns und was macht uns einzigartig? Als unterschiedliche Individuen sind wir einzigartig, doch die Räume, für die wir keinen oder nur einen sehr schweren Zugang finden, sind womöglich gleich.

    Zugehörigkeit lässt sich auch durch Bewegung ausdrücken und das in/between steht vielleicht auch für die unterschiedlichsten Eigenschaften, die einen Mensch prägen können. Die eigene Komplexität, Paradoxität und innere Diskrepanz wurden in diesem Workshop zelebriert. Als ein Mensch, der zwischen zwei Kulturen aufgewachsen ist, ist eine der wichtigsten Lektionen, zu erkennen, dass mich keine Eigenschaft definiert, ich bin in/between. Die Summe meiner Teile.

    Am Ende des Workshops hatte ich persönlich das Gefühl, dass die Zeit viel zu knapp war, um das vielschichtige Thema Identität und Zugehörigkeit ganzheitlich von allen Perspektiven zu beleuchten. Insgesamt stellt „in/between“ allerdings eine Chance dar, sich außerhalb des turbulenten Alltags in Ruhe mit sich selbst und seiner eigenen Wahrnehmung zu beschäftigen.

     

    Eine inspirierende Gelegenheit für eine tiefgehende Selbstreflexion und interaktive Exploration, die von Sun Hee Martischius mit viel Engagement geleitet wurde. Die Veranstaltung fördert somit nicht nur die intellektuelle Auseinandersetzung, sondern schafft auch eine emotionale und körperliche Verbindung zum Thema Identität und Zugehörigkeit. Für mich war „in/between“ die perfekte Gelegenheit, Körper und Geist in Einklang zu bringen und gemeinsam mit anderen Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte auf den Spuren von uns selbst zu sein. Am Ende hatten die Teilnehmenden sogar die Möglichkeit, ihre eigene Reise durch ein Fotoprojekt von Sun Hee festzuhalten.

     

  • Städte und wir

    „Wenn du diese Stadt verstehst, dann verstehst du dich selbst.”

    Dieses Zitat habe ich in einem saudischen Film gehört. Ein alter Mann sagte es zu einem jungen Mann.

    Dieses interessante Zitat hat mich nachdenklich gemacht. Welche Beziehung haben wir zu den Städten? Warum können wir uns nur verstehen, wenn wir unsere Stadt verstehen?

    Meine Erinnerung führt mich in die Zeit, als ich jünger war, in die kleine Stadt in der Nähe von Damaskus, in der ich aufwuchs. Von der ich fast jeden Tag träume. Damals konnte ich mich verstehen, ich konnte mich durch die Blicke meiner Familie, Nachbar*innen, Freund*innen sehen und verstehen. Damals habe ich diese Bedeutung der Stadt noch nicht gesehen, ich habe sie angeschaut wie einen Stern.

     

    Flucht durch die Städte

    Danach musste ich innerhalb von drei Jahren wegen des Krieges in mehr als zwanzig verschiedene Wohnungen ziehen. Da hatte ich keine große Verbindung zu der Wohnung meiner Eltern.

    Schließlich musste ich meine Stadt ganz verlassen und bin nach Istanbul geflohen. Dort hatte ich kein so großes Heimweh, habe meine Stadt nicht so sehr vermisst. Vielleicht, weil Damaskus mich verstoßen hat, weil es seine Kinder nicht mehr in ihren Armen tragen konnte? Oder weil ich mich in Istanbul sehr sicher gefühlt habe als ich in Damaskus war?

    Ich wusste damals nicht warum und weiß es auch heute immer noch nicht. Aber als ich in Istanbul war, konnte ich Damaskus verstehen. Ich habe gesehen, wie ähnlich Istanbul und Damaskus sind, nicht nur wegen der Kultur, und Geschichte, auch wegen der Menschen, der Verbindung zwischen der Stadt und den Menschen.

    Sowohl Damaskus als auch Istanbul sind Städte der Gegensätze und Widersprüche. Es gibt arme und reiche Stadtteile, schöne Gebiete aber auch hässliche. Diesen Widerspruch können Tourist*innen nicht so deutlich sehen, aber die Zuwander*innen aus anderen Völkern können das spüren und riechen. Diese Städte vererben ihren Kindern diese Widersprüche. Werden sie diesen Widerspruch auch in sich tragen oder sich daran gewöhnen?

    Später musste ich diese neue Stadt wieder verlassen, wie ich in meinem Artikel im Szene Magazin, das im April eine Ausgabe über Divers (c)ity veröffentlichte, geschrieben habe. Denn Istanbul bot mir keinen sicheren Ort zum Bleiben und keine Willkommenskultur. So konnte ich mir dort keine Zukunft aufbauen, ohne Asylrecht, ohne Möglichkeit, die Sprache zu lernen, mit sehr eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten. Ich hätte dort nur in einer Fabrik arbeiten können.

    Danach bin ich weiter nach Hamburg geflüchtet. Es dauerte eine lange Zeit, bis ich Hamburg richtig sehen und auch verstehen konnte. Der Unterschied zwischen Hamburg und Istanbul ist, dass ich in Hamburg zuerst die Menschen kennengelernt habe und danach durch diese Kontakte die Stadt, während ich in Istanbul die Stadt kennengelernt habe, aber bis jetzt nicht sagen kann, dass ich die Menschen in Istanbul kennengelernt habe. Ich weiß nicht, warum das so ist.

     

    In Hamburg

    Ich kann mir nicht erklären, warum ich keine Beziehung zu Hamburg ohne die Hamburger* innen aufbauen kann. Warum kann ich Hamburg nur durch die Augen anderer sehen, nicht durch meine eigenen Augen? Warum öffnet Hamburg nicht seine Tür für mich?

    Erst jetzt, nach sechs Jahren, kann ich Hamburg langsam sehen und verstehen. Leider sehe ich es nur im Gegensatz zu Istanbul und Damaskus, nicht als eigene neue Stadt. Hamburg ist total anders als Damaskus oder Istanbul, nicht nur wegen der Sonne, wie viele Hamburger*innen sagen. Hamburg bietet sofort viele Möglichkeiten, aber es ist eine sehr vorsichtige Stadt. Hamburg wird nicht schnell zur Mutter für ihre neuen Kinder. Sie ist sehr hart und streng, schön im Sommer und traurig im Winter.

    In Hamburg habe ich Heimweh und Sprachweh.

    Doch endlich habe ich Hamburg verstanden und die Beziehungen zwischen den Menschen und ihrer Stadt. Auch die Beziehung zwischen mir und meinen Städten kann ich jetzt verstehen, und ich verstehe, was diese Städte mit mir gemacht haben.

     

    Sohn der Städte

    Ich habe entdeckt, dass die Städte mich geschaffen haben, dass ich ein Sohn dieser Städte bin.

    Die erste Stadt ist Golan, die Heimat meiner Eltern. Durch die Erinnerung und Erzählungen meiner Eltern gehöre ich zu Golan und fühle mich so, als ob ich dort gelebt hätte, obwohl ich nie da war.

    Die zweite Stadt ist Damaskus. Zu ihr möchte ich gehören wegen ihrer Geschichte und wegen der Erinnerung an meine Jugendzeit. Denn, wie ich in einem Artikel veröffentlicht habe, ich komme aus der Hauptstadt des Jasmin. Ich bin zwar nur in der Nähe von Damaskus aufgewachsen, aber ich habe in Damaskus studiert und dort die Welt besser verstanden. In Damaskus konnte ich Syrien sehen und habe Syrer*innen aus verschiedenen Städten kennengelernt. Vielleicht ist das der Grund, dass ich zu Damaskus gehöre und nicht zu Syrien? Oder vielleicht wegen der syrischen Identität, die wir als Syrer*innen nicht haben, wie ich in diesem Artikel geschrieben haben. Vielleicht weil ich nur zu Städten gehören möchte oder das besser sagen kann!

    Die dritte Stadt ist Istanbul, wo ich gelebt und gearbeitet habe und die mich an meine Heimat Damaskus erinnert, wo ich verstanden habe, was Armut bedeutet. Was es bedeutet, keine Träume zu haben, keine Möglichkeiten. Nur zu arbeiten, um zu existieren.

    Die vierte Stadt ist Hamburg, wo ich meine Liebe, und meine zukünftige Familie, meine Träume, meine Arbeit und mich gefunden habe. Wo ich fast jeden Tag Neues lernen kann, wo ich erlebt habe, dass Menschen einfacher zu einer Stadt gehören können als zu einem Land mit seinen Grenzen. Vielleicht, weil die Städte wie eine große Familie sind und von den Menschen erbaut wurden, während die Länder nur durch Krieg und Blutvergießen entstanden sind? vielleicht….

    In Hamburg habe ich auch entdeckt, dass Integration ein überregionales Thema ist, aber nur auf  lokaler Ebene können wir sie erreichen. Diese Ebene können die Städte und auch die Länder sein…

     

    Verstehen durch Veränderung

    Am Ende möchte ich sagen, dass ich jetzt dieses Zitat des älteren Mannes verstehen kann. Es hat mich beeindruckt und es beschäftigt mich.

     

    „Wenn du diese Stadt verstehst, dann verstehst du dich selbst.” 

    Dieses Zitat kann mein Leben beschreiben, weil ich in verschiedenen Städten leben musste. Ich habe erfahren, wie die Menschen sich im Spiegel ihrer Stadt sehen, wie stark die Städte unseren Blick, unsere Perspektive ändern können. Das macht den Unterschied zwischen Menschen, die nur in einer Stadt gelebt haben und denen, die in vielen verschiedenen Städten gelebt haben. Viele Städte sind sich sehr ähnlich, man findet keine Unterschiede und verändert sich deshalb auch nicht. Und manche Städte sind sehr gegensätzlich, sehr verrückt, schön, sexy, alt, arm, reich, neu. Sie können sich in vielerlei Hinsicht unterscheiden.

    Eine Stadt zu verstehen ist nicht einfach, besonders, wenn wir in eine neue Stadt ziehen müssen. Aber vielleicht sollten wir das tun, um uns zu verstehen!! Weil die Städte uns verändern werden. Um diese Veränderung verstehen zu können, sollten wir auch die Stadt verstehen.

    Oder was sagst du?

  • Physiotherapie auf Rädern – wie Fina die Ungleichheit im Gesundheitssystem ausbessern will

    Fina, wie hast du zum leetHub gefunden?

    Von Anfang Januar bis Ende März hat das leetHub eine Online-Projektwerkstatt veranstaltet, bei der den acht Teilnehmerinnen innerhalb von zehn Wochen von der Idee bis zur Projektplanung verholfen werden sollte. Ich hatte zu der Zeit nur die Idee für das PhysioMobil, und es hat mir sehr geholfen, dass wir uns gemeinsam Anstoß gegeben haben. Mittlerweile vermisse ich es fast schon ein bisschen!

     

    Erklär doch mal, was genau ist das PhysioMobil, das du in der Projektwerkstatt entworfen hast?

    Das PhysioMobil ist eine Physiotherapie auf Rädern. Ich möchte Physiotherapie für Menschen ohne Krankenversicherung zugänglich machen. Dafür gebe ich kostenlose Behandlungen in einem Bus, den ich zu einem Behandlungszimmer ausbaue. Denn einige Klient*innen können nicht in eine Praxis kommen, haben aber auch selbst keinen Ort, an dem ich sie behandeln könnte.

     

    Und wie bist du auf die Idee des PhysioMobils gekommen?

    Nach meiner Ausbildung habe ich mich als mobile Physiotherapeutin selbstständig gemacht, das heißt, ich gehe zu meinen Klient*innen nach Hause. Nach einem Gespräch mit einem Anwalt über meine Rechte und Vorgaben ist herausgekommen: Ich darf nur Selbstzahler*innen und privat Versicherte behandeln. Denn die gesetzlichen Krankenkassen zahlen keine Behandlungen in mobilen Praxen. Ich fand es ungerecht, dass ich nur die Reichen behandeln kann, und habe nach einem Weg gesucht, mit dem ich alle behandeln kann. Bei der Recherche habe ich dann gedacht: Was ist mit denen, die gar keine Versicherung haben? So bin ich auf eine Lücke im System aufmerksam geworden, die viele überhaupt nicht wahrnehmen.

     

    Ist das Problem tatsächlich so groß? Es ist ja eigentlich völlig normal, eine Krankenversicherung zu haben.

    Ja, denn Menschen ohne Krankenversicherung leben oft unter dem Radar. Ich habe bei verschiedenen Praxen und Organisationen nachgefragt, die Menschen ohne Krankenversicherung behandeln, ob es überhaupt Bedarf an physiotherapeutischer Behandlung gibt. Die Praxis ohne Grenzen hat mir mitgeteilt, dass schon so viele ihrer Klient*innen eine Physiotherapie benötigt hätten. Auch die Ärzte der Welt und das Arztmobil haben mir ähnliches bestätigt.

     

    Und wen genau betrifft dieses Problem?

    Laut des statistischen Bundesamtes waren 2019 etwa 60.000 Menschen in Deutschland nicht krankenversichert. Das sind oft Geflüchtete und wohnungslose oder erwerbslose Menschen. Aber beispielsweise auch Rentner*innen, die lange in einer privaten Versicherung waren und jetzt nicht mehr in eine gesetzliche Versicherung aufgenommen werden. Auch Selbstständige können sich teilweise keine Krankenversicherung leisten, die um die 180€ kostet und prozentual immer teurer wird. Wenn man ein Drittel vom Lohn an die Krankenversicherung abgeben muss und mit dem Geld eigentlich eine Familie durchbringen müsste, lässt man das möglicherweise lieber.

     

    Wie findet die Behandlung im PhysioMobil konkret statt?

    Ich kaufe einen Bus, in dem ich ein Behandlungszimmer im Miniformat aufbaue. Den stelle ich an verschiedenen Standorten auf, denn Menschen ohne Krankenversicherung können keinen Arzttermin machen. Das heißt, ich muss beispielsweise immer freitags um 15 Uhr an einem bestimmten Ort stehen. Meine Klient*innen kommen dann dort vorbei. Oder ich fahre zu anderen Praxen, die Behandlungsbedarf haben, zum Beispiel den Ärzten der Welt, und behandle dort Klient*innen, die eine Physiotherapie benötigen.

     

    „Ich würde mich freuen, wenn ähnliche Projekte auch in anderen Städten entstehen.“

    Wovor hast du Respekt beim Gründen des PhysioMobils?

    Darüber habe ich noch gar nicht so viel nachgedacht. Am meisten Respekt habe ich davor, alles selbst organisieren zu müssen und die Verlässlichkeit zu geben, immer zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort für meine Klient*innen da zu sein. Die Mitarbeiter*innen des Arztmobils haben mich außerdem darauf vorbereitet, dass das eine ganz andere Arbeit als in einer Praxis ist: Um mit Menschen mit Suchterkrankungen oder wohnungslosen Menschen zu arbeiten, braucht man ein anderes Auftreten, man muss wirklich in sich ruhen. Außerdem ist die Behandlung von Menschen ohne Krankenversicherung eine rechtliche Grauzone, richtig abgesichert bin ich da nicht. Aber ich bin gespannt auf die Arbeit mit Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen.

    Am schwierigsten ist eigentlich der erste Schritt, wenn man sich informieren und durch viel Bürokratie durchbeißen muss. Deswegen möchte ich gerne andere unterstützen, die auch mobile Behandlungsmöglichkeiten aufbauen möchten. Das Physiomobil soll es keinesfalls nur in Hamburg geben, sondern ich würde mich freuen, wenn ähnliche Projekte auch in anderen Städten entstehen. Dafür teile ich auch gerne das Wissen und die Erfahrungen, die ich bisher gesammelt habe.

     

    Zu guter Letzt – Wie kann man dich unterstützen?

    Der nächste Schritt ist, einen Bus zu kaufen, den ich zu einem Behandlungszimmer ausbauen kann. Dafür brauche ich etwa 10.000€, die ich mit einer Spendenaktion sammeln will. Man kann mich durch Spenden unterstützen, und wenn mein Projekt auf social media geteilt wird, erfahren mehr Leute davon. Und Reichweite hilft mir sehr viel.

     

    Mehr über Fina und das PhysioMobil lest ihr hier auf ihrer Webseite.

    Spenden für Finas Projekt könnt ihr hier, außerdem findet ihr Fina auf Instagram und Facebook.

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