Schlagwort: Frieden

  • Afghanistan – was unsere Medien nicht berichten

    Mit wachen und besorgten Augen beobachtet die Jurastudentin nun die jüngsten Entwicklungen in ihrer Heimat. Ich traf Mouska zum Interview. In einem bewegten und intensiven Gespräch klärte sie mich über Aufbau und Struktur der Taliban auf, verriet mir, welche Ziele sie verfolgen und warum es dem Land so schwerfällt, zur Ruhe zu kommen. Trotz der momentanen Situation hofft Mouska, dass irgendwann einmal Frieden in Afghanistan einkehrt. 

    Welchen Bezug haben Sie persönlich zu Afghanistan?

    „Ich bin in Afghanistan geboren, in Kabul. Ich war allerdings noch nicht einmal ein Jahr alt, als meine Familie und ich nach Deutschland gekommen sind. Mein Vater war damals Diplomat. Das war 1990, zu der Zeit ist die damalige Regierung in Afghanistan gefallen. Kurz nach meiner Geburt hat die Regierung ihn nach Berlin geschickt. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt ist auch der Krieg in Afghanistan ausgebrochen und mein Vater hat beschlossen, dass wir in Deutschland bleiben, denn das ist viel sicherer. Ich habe noch Familie in Afghanistan, bin aber selber noch nie vor Ort gewesen. Meine Oma mütterlicherseits lebt in Kabul, außerdem habe ich etliche Tanten, Onkels und Cousins noch dort“

    Haben Sie derzeit Kontakt zu Ihren Familienangehörigen? Was berichten diese?

    „Ja, wir haben Kontakt. Meine Oma habe ich erst gestern erreichen können, nachdem das Internet in Kabul gekappt worden war. Wir haben mit ihr gesprochen und das, was sie uns erzählt hat, war schockierend. Sie berichtete, dass die Taliban von Tür zu Tür gehen, um zu kontrollieren. Genau das haben die Medien  ja auch gerade berichtet. Zunächst war es nur ein Gerücht. Meine Oma und weitere Bekannte schließen aber auch nicht aus, dass es sich dabei um den pakistanischen Geheimdienst ISI handeln könnte. Der ISI geht also von Tür zu Tür und nimmt diejenigen mit, die für die alte Regierung tätig waren. Für meine Oma ist dies sehr schwer zu ertragen, weil einer ihrer Söhne einmal bei einem Attentat ums Leben gekommen ist. Aus diesem Grund ist meine Oma beziehungsweise unsere gesamte Familie nicht gut darauf zu sprechen, wenn es um pakistanischen Terror geht.“

    Was ist damals genau passiert?

    „Mein Onkel hat zunächst in Deutschland gelebt. Er ist dann für drei, vier Jahre zurück nach Afghanistan gegangen und kam dort bei einem Attentat ums Leben. Ein pakistanischer Selbstmordattentäter ist in eine Gruppe von Passanten hineingefahren – mein Onkel war sofort tot. Das war 2012. Es ist kein Geheimnis, dass etliche solcher Terroranschläge von der pakistanischen Regierung/ Geheimdienst sowohl in der Vergangenheit als auch noch in der Gegenwart vorangetrieben werden und sie somit die Terror- Offensive der Taliban nähren. Verständlicherweise ist meine Oma und der Rest der afghanischen Bevölkerung natürlich geprägt und hat Angst.“

    Was passiert mit denen, die vom ISI mitgenommen werden?

    „Die Betroffenen werden wahrscheinlich ins Gefängnis nach Pakistan gebracht. Dort werden sie gefoltert oder auch umgebracht. Ein Onkel von mir ist aufs Land geflohen und versteckt sich dort – das haben wir gestern erfahren. Meine Oma ist natürlich beunruhigt. Momentan fällt die Regierung, keiner weiß, wie es weitergeht. Ein großes Problem ist die mediale Berichterstattung. Hier in Deutschland ist diese leider sehr einseitig und es wird nicht die Grundproblematik bzw. die Ursache des Ganzen durchleuchtet.“

    Wie bewerten Sie denn die Berichterstattung in den Medien – sowohl die des Westens als auch die aus Afghanistan selbst?

    „Wir schauen 24/7 afghanische Kanäle. Und die deutschen Medien verfolgen wir ebenfalls 24/7. Und wenn ich das gegenüberstelle, fällt auf, dass überwiegend über die Ortskräfte berichtet wird. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich, als grüne Aktivistin, finde es gut, dass die Flüchtlingsdebatte angeheizt wird. Zumal die Menschen in Bezug auf die anstehende Wahl, durch die aktuellen Geschehnisse, vielleicht angeregt sind, eine humanere Flüchtlingspolitik zu wählen. Was auch in den Medien untergeht, ist Ghanis Verhalten. So hat er zwei Tage nach der Machtübernahme in Kabul schon direkt eine Rede aus Abu Dhabi gehalten, aber davon wurde in den deutschen Medien überhaupt nichts nicht wirklich berichtet. Und auch nicht darüber, warum er überhaupt geflohen ist.“

    Können Sie diesen Aspekt näher erläutern?

    „Dr. Ghani hatte vor, die Machtüberahme friedlich verlaufen zu lassen, ohne ein Blutvergießen. Er hat aber deutlich gemacht, warum er fliehen musste. Kurz vor der Machtübergabe sind laut seinen Sicherheitsberatern und dessen Ermittlungen, anderssprachige Terroristen, mit dem Ziel Ghani zu ermorden, in seinen Regierungszweig eingedrungen. Die vermeintlich friedliche Machtübergabe sollte offensichtlich gehindert werden. Er wurde umgehend in Sicherheit gebracht und versucht aus Abu Dhabi zu kommunizieren. Es mag sich anhören wie in einem Action Film, aber so abwegig ist das in Afghanistan nicht. Denn genau das ist schon einmal in Afghanistan mit dem damaligen Präsidenten Dr. Najibullah passiert, nur dass dieser ermordet wurde. Ghani hat ein Wiederholen der Historie damit verhindert.

    Sie haben selber gesagt, dass die Medien nur unzureichend Bericht erstatten – woher haben Sie also all diese Informationen?

    „Das, was ich gerade zusammengefasst habe, hat Ghani in seiner Rede gesagt. Wir verfolgen die Berichterstattung täglich und wir sprechen beide Amtssprachen. Und wir bekommen ja auch Informationen von unseren Verwandten, die vor Ort sind.“

    Wie beurteilen Sie Ghanis bisherigen politischen Kurs?

    Er hat politisch sehr viel Gutes für das Land getan, hat die Wirtschaft mitaufgebaut und die Justiz stabilisiert. Und er bekämpft die Korruption im Land. Er hat gegen die Terrorzellen gekämpft und Kriminelle zur Rechenschaft gezogen. Gegen Terroristen gab es gerichtliche Verfahren und er möchte die Rechte der Minderheiten noch weiter stärken. Ghani, der ja auch amerikanischer Staatsbürger ist, wurde schlichtweg zu einem falschen Zeitpunkt von der amerikanischen Regierung konstituiert. Was die Afghanen viel dubiöser finden, ist z.B., dass gewisse andere machtgierige Fanatiker wie zum Beispiel der Mitregierende Dr. Abdullah Abdullah noch da ist. Dieser wurde bereits in der Vergangenheit zu Recht der Korruption verdächtigt. Man muss sich mal bewusstwerden, wie schwer es für einen Ghani gewesen sein muss, zum einen die innerafghanischen Probleme auf die Reihe zu kriegen und zum anderen die korrupten Mitregierenden, die ihn daran hinderten.“

    Wie erfolgreich war Ghani damit?

    „Er war teilweise erfolgreich. Es sind nicht nur innerafghanische Probleme, sondern auch außenpolitische wie zum Beispiel das Einmischen der Anrainer-Staaten. Bei jedem Terroranschlag, der in Ghanis Regierungszeit verübt wurde, sind die Täter zur Rechenschaft gezogen wurden. Das war also endlich mal ein Ergebnis, auch für das afghanische Volk – das endlich etwas gemacht wurde, das etwas passiert.“

    Von 1996 bis 2001 haben die Taliban das Land regiert. Jetzt haben sie vor wenigen Wochen erneut die Macht übernommen – was haben sie in den vergangen 20 Jahren gemacht?

    „Die Menschen wundern sich, von wo die Taliban so plötzlich wieder auftauchen. Fakt ist, dass die Taliban nie wirklich vertrieben worden sind. Vielmehr haben sie sich im Untergrund, in den Grenzgebieten bewegt. Als der Westen in Afghanistan einmarschiert ist, im Auftrag des Friedens beziehungsweise der Terrorbekämpfung, sind die Taliban in die Grenzgebiete verschwunden. Zum Beispiel an der pakistanischen Grenze, wo sie in Madrassen extreme Ideologien indoktriniert bekommen haben.“

    Was sind das für Ideologien?

    „Das sind islamistische, extreme Ideologien. Man muss dazu sagen, dass innerhalb der Taliban ja auch ein Generationswechsel stattgefunden hat. Viele der Taliban, die damals 1996 da waren, deren Kinder bilden jetzt die neue Generation. Sie sind zurück zu ihren Stammesgebieten, dort haben sie gewartet, haben ausgeharrt. Und: Die Taliban kamen auch zum Teil aus der Mitte des Volkes. Um das zu verstehen, müssen wir uns einmal den Begriff des Taliban näher anschauen. Ein Taliban bedeutet ja nicht nur, ein Terrorkämpfer wie er es im Krieg darstellte. Nein es bedeutet vielmehr, ein Schüler, ein Student, der nach dem Islam lebt und lehrt. Es sind also nicht nur die Kämpfer mit den Waffen um den Hals, die als Aufständische aktiv werden und die kämpfen wollen – es sind auch die, die sich als Koranschüler bezeichnen.“

    Was bedeutet die erneute Machtübernahme für Afghanistan?

    „Das kann alles in ganz verschiedene Richtungen gehen – laut der Pressekonferenz der Taliban, die ja letzte Woche unmittelbar nach der Machtübernahme stattgefunden hat, wurden konkrete Versprechungen an das afghanische Volk gemacht. Dazu gehört zum Beispiel die Aussage, dass Frauen auch weiterhin ihre Rechte behalten und arbeiten gehen können.“

    Wie glaubwürdig ist diese Aussage?

    „Das ist eine gute Frage und ich vermute, dass die Bevölkerung den Taliban gerne ihr Vertrauen schenken möchte, es aber aufgrund der Vergangenheit schwerfällt.“

    Welche Aussagen wurden noch gemacht?

    „Dass die Taliban diplomatische Beziehungen mit den westlichen Staaten eingehen beziehungsweise aufrechterhalten wollen. Dies könnte auf jeden Fall etwas sehr, sehr Gutes sein. Aber damit dies gelingt, müssten die westlichen Länder anfangen, die Taliban anzuerkennen und auch ernst zu nehmen. In der Vergangenheit ging die Vertrauenswürdigkeit zum größten Teil verloren. Daran muss jetzt gearbeitet werden.“

    Der Umsturz in Afghanistan kam plötzlich – wie angespannt ist die Lage im Land tatsächlich?

    „Wir bekommen durch die Medien ja nur mit, was gerade am Kabuler Flughafen passiert. Wie schon gesagt – diese Berichterstattung ist sehr, sehr einseitig. Meine Oma hat erzählt, dass das Internet von Zeit zu Zeit gekappt wird. Und viele Menschen haben Angst, ihre Geschäfte zu öffnen und zur Arbeit zu gehen. Aber meine Oma berichtet auch, dass man in den ländlichen Regionen, auf den Dörfern gar nicht viel mitbekommt. Da, wo wirklich chaotische Zustände herrschen, das ist am Flughafen Kabul.

    Die Bevölkerung hat durch die sozialen Medien oder aber auch durch Mund-zu-Mund-Propaganda mitbekommen, dass die Amerikaner und auch die Deutschen sie mitnehmen werden. Alle wollen weg. Aber man darf an dieser Stelle nicht vergessen, dass die Flüchtlinge ja auch schon vorher dagewesen sind und nicht erst seit der Machtübernahme. Denn in Afghanistan herrscht Armut und Hungersnot. Aus solchen Ländern gibt es immer Flüchtlinge.“

    Wie sind die Taliban strukturiert, wie sind sie zusammengesetzt?

    „Die Taliban sind nicht homogen. Sie möchten die Scharia, sie möchten, dass die Afghanen nach dem Koran leben. Da gibt es also zum einen die Taliban, die politisch agieren, nach außen hin mit der Welt, mit dem Westen. Sie wollen ihre wirtschaftlichen Beziehungen pflegen. Das ist der politische Flügel der Taliban. Dann gibt es zum anderen auch noch den inoffiziellen Flügel der Taliban – das sind die Ausreißer, die inoffiziell agieren. Die verüben unter dem Deckmantel der Taliban Terroranschläge. Sie kämpfen – aber inoffiziell. Sie sind so nicht mit dem politischen Flügel der Taliban kompatibel, sie bilden also keine Einheit.  Zum Teil bestehen sie aus Außenstehenden, die in die Taliban eingeschleust werden um Unruhe zu stiften. So war es auch 1996. Nun haben meine Familie und ich Angst, dass sich die Geschichte wiederholt.“

    Warum?

    „Afghanistan hat in den letzten Jahrzenten genug Blut vergossen. Es ist sehr viel sehr Schlimmes in diesem Land passiert. Ghani wollte ein erneutes Blutvergießen verhindern. Die Bevölkerung ist jetzt erneut in Aufruhr, eben weil sie das Chaos am Kabuler Flughafen mitbekommen. Viele sind traumatisiert, sie wissen nicht, ob sie den Versprechen der Taliban Glauben schenken können.“

    Welche Ziele verfolgen die Taliban?

    „Ihr hauptsächliches Ziel ist ja zunächst die Scharia einzuführen, also die islamischen Gesetze. Aber wie schon erwähnt – auch in den Taliban selbst hat ja ein Wandel stattgefunden. Wir leben in einer neuen Zeit und die Taliban haben sich weiterentwickelt – sie sind auch technisch fortgeschrittener und ebenso moralisch. Sie sagen jetzt zum Beispiel, dass die Frauen weiterhin arbeiten sollen – nur eben im Rahmen der Scharia. Und das gilt für die Männer ebenso. Hauptsächliches Ziel ist es, dass sich sowohl der Staat als auch die Gesellschaft an die Gesetze der Scharia halten sollen. Und die Taliban sind durchaus nicht abgeneigt, eine Mitbeteiligung von demokratischen Politikern in der Regierung zu haben.“

    Sind die Taliban denn bereit zu einem Dialog?

    „Ja, definitiv. Das zeigen euch die Geschehnisse des Doha-Prozesses letztes Jahr im Februar. Dort gab es Friedensverhandlungen zwischen westlichen Mächten und eben den Taliban.“

    Wie sollte sich Deutschland Ihrer Meinung nach in diesem Konflikt verhalten?

    „Deutschland sollte primär weiterhin humanitäre Hilfe leisten. Denn sonst wäre die afghanische Bevölkerung weiterhin sich selbst überlassen. Deutschland ist es den Afghanen schuldig, zu helfen, denn schließlich haben sie die Deutschen ja über Jahrzehnte hinweg auch unterstützt. Sekundär ist das Führen von Verhandlungen mit den Taliban. Dieser Dialog ist auch weiterhin wichtig.“

    Und was sollte die NATO tun?

    „Die NATO war ja jahrelang vor Ort, sie hat weiterhin einen Friedensauftrag. Ich denke, dass es gerade jetzt ungemein wichtig ist, dass sie sich am Kabuler Flughafen aufhält, dass sie Präsenz zeigt und unterstützt – eben solange, wie es nötig ist.“

    Sie selber sind überzeugte Pazifistin – was müsste Ihrer Meinung nach passieren, damit Frieden in Afghanistan einkehrt? Ist dies überhaupt noch möglich?

    „Ja, doch, das könnte möglich sein – wenn die westlichen Staaten anfangen, die Taliban anzuerkennen. Die afghanische Bevölkerung kann ja nur noch hoffen und auf die Versprechen vertrauen, die die Taliban geben. Aber was wollen die westlichen Staaten jetzt noch verhindern, was wollen sie jetzt noch machen? Wieder unter dem Vorwand erneut in das Land hineinzumarschieren, den Frieden voranzutreiben? Welchen Frieden denn? Der Frieden hatte nie eine wirkliche Chance, in Afghanistan einzukehren. Wir Afghanen sind die ganze Zeit über sehr angespannt. Und doch gehen wir davon aus, dass in Afghanistan ein Wandel einhergehen wird. Was uns dabei das Wichtigste ist: Kein erneutes Blutvergießen!“

    Was wünschen Sie sich für das Land?

    „Ich wünsche mir, dass sich dieses Land erholt, dass es endlich zur Ruhe kommt, dass die traumatischen Erlebnisse endlich aufhören und dass diese von der Bevölkerung aufgearbeitet werden können.“

    Noch mehr über Afghanistan erfährst du in unserer monatlichen Kolumne Neues aus Afghanistan

  • Interview mit Pshtiwan Qadir: Sei menschlich und gewissenhaft

    Pshtiwan, wo und wann bist Du geboren?  

    Im Dezember in Sulemanyia im kurdischen Teil des Irak.

    Was ist Dein Schulabschluss?  

    Ich habe das Abitur, habe aber nicht studiert. Sondern ich wollte arbeiten und Geld verdienen.  

    Was hast Du gearbeitet?  

    Ich habe als Volontär in einer Zeitungsredaktion („ Hawbir“)  gearbeitet und schließlich ein eigenes Magazin herausgegeben: „Sahir“ (wörtliche Bedeutung „Schlaflosigkeit“) als Hommage an den arabischen Sänger und Komponisten Kadim Al Sahir. Das Hauptthema war  Kunst. Dann habe ich mit Freunden das Magazin „Honya“ gemacht, das die Themen Politik, Gesellschaft und Kunst behandelte.  Später habe ich in der Buchhaltung in zwei großen Firmen gearbeitet.  

    Wann hast du den Irak verlassen?  

    Ich bin 2016 in die Türkei geflüchtet. Von Istanbul aus mit dem Schiff, das eigentlich nach Italien fahren sollte, aber kaputt ging. So bin ich in Athen gelandet. Von dort ohne Schlepper zu Fuß, manchmal per Autostop oder auch mit dem Zug nach Deutschland.  

    Warum bist Du geflüchtet?   

    Ich fühlte mich gefangen

    Durch einen Artikel, in dem ich die Korruption der Regierung  anprangerte, wurde ich verhaftet und war drei Wochen im Gefängnis.  Außerdem fühlte ich mich „gefangen“. Eine Umsiedlung in eine andere Stadt und die Anmietung einer Wohnung war nur möglich, wenn man  eine Ehefrau hatte.  

    Wo möchtest Du leben?  

    Überall dort, wo Frieden und Freiheit herrschen und wo man zufrieden und in Sicherheit leben kann. 

    Was ist für Dich das vollkommene irdische Glück?  

    Wenn es keine Kriege mehr gibt und keine Menschen mehr verhungern oder fliehen müssen, wenn es keine Folter mehr gibt und alle Menschen in ihrem Heimatland ein friedliches Leben ohne Ungerechtigkeiten führen können. Wenn alle Menschen gleich sind.  (Charta der Menschenrechte). 

    Was ist für Dich das größte Unglück?  

    Krieg, Rassismus und Unfreiheit

    Jedes Mal, wenn ein Krieg ausbricht, sterben unschuldige Menschen: Kinder, Frauen und Männer.  

    Welche Fehler entschuldigst Du am ehesten?  

    Fast alle, bis auf Machtgier und Korruption.   

    Welches sind Deine persönlichen Stärken?  

    Eine schnelle Auffassungsgabe, Organisationstalent und Verständnis für meine Umwelt.   

    Was sind Deine Schwächen?  

    Schüchternheit, Ungeduld, Wortkargheit.   

    Was schätzt Du bei Deinen Freunden am meisten?  

    Engagement, Kompromissfähigkeit und Aufrichtigkeit.   

    Was verabscheust Du am meisten?  

    Gewalt, Ungerechtigkeit, Machtmissbrauch und Überheblichkeit. Ignoranz, Rücksichtslosigkeit, Rassismus, Lügen.   

    Welche militärischen Leistungen bewunderst Du am meisten? 

    Keine.   

    Am liebsten lesen

    Was sind Deine liebsten Romane?  

    „Sinuhe der Ägypter“ von Mika Waltari. „Moses, Prince of Egypt“ von Howard Fast. „Anabasis“ von Xenophon. „Zorba“ von Nikos Kazantzakis. „Sofies Welt“ von Jostein Gaarder. „Der da Vinci-Code“ von Dan Brown und „Der Pate“ von Mario Puzo. 

    Was ist Dein Lieblingsbuch?  

    Zur Zeit „The Story of Civilization“ von Will und Ariel Durant.  

    Was sind Deine Lieblings-Filmschauspieler?  

    Charlie Chaplin in all seinen Filmen. Anthony Quinn in „Zorba“, Marlon Brando und Al Pacino in „Der Pate“ und Robert de Niro in „Taxi Driver“.  

    Was sind Deine Lieblingsmaler?  

    Leonardo da Vinci. Jean- Francois Millet, Vincent van Gogh, Pablo Pi casso.   

    Was sind Deine Lieblingskomponisten?  

    Beethoven, Bach, Mozart, Tschaikowski. Die Klassiker habe ich über das Radio kennen- und schätzen gelernt.  Mikis Theodorakis „Kadim al  Sahir, Yanni“.  

    Was ist Deine Lieblingsbeschäftigung?  

    Im Regen spazieren gehen, dem Regen lauschen, Wandern im Wald  und am Meer. Und natürlich lesen.   

    Wer oder was hättest Du gern sein mögen?  

    Archäologe oder Pilot.  

    Warum gerade diese Berufe?  

    Als Kind war ich fasziniert von den am Himmel fliegenden Flugzeugen.  Archäologie hat mich später interessiert und noch heute bin ich  fasziniert von der Antike und allen alten Zivilisationen.  

    Magst Du die Natur?   

    Ich mag den Regen

    Ich mag das Meer und den Wald. Und natürlich Tiere und  Pflanzen.   

    Welches sind Deine Lieblingsschriftsteller?  

    William James Durant, Dale Carnegie, Maurice Maeterlinck, Khalil Gibran, Ali Al Wardi.   

    Wie bist Du auf Maurice Maeterlinck gekommen? Der ist ja selbst hier kaum noch bekannt. 

    Ich habe sein Buch – übersetzt heißt es, glaube ich „Schicksal und  Weisheit“ – in einem Buchladen entdeckt, gekauft und dreimal gelesen.   

    Deine Idole der Wirklichkeit?  

    Charlie Chaplin. Nizar Qabbani. Kadim al Sahir.  

    Wer ist Nizar Qabbani?  

    Ein syrischer Poet und Schriftsteller, dessen Gedichte z.B. alle von Kadim al Sahir vertont und gesungen wurden.   

    Deine  Idole in der Geschichte?  

    Ramses, Echnaton, Sokrates. Platon, Aristoteles, Homer, Herodot, Ibn Khaldun. René Descartes und Karl Marx.   

    Von den Denkern Griechenlands geprägt

    Warum bist Du so von der Antike fasziniert?  

    Griechenland mit seinen Denkern und Philosophen haben das europäische Denken geprägt und tun es bis heute. Und natürlich das Wissen des alten Ägypten und Babylons. Die Araber waren führend in Mathematik, Medizin und Astronomie und Astrologe. Tempel, die vor  Jahrtausenden von Jahren gebaut wurden und heute noch existieren.  All das muss geschützt werden.  

    Wen möchtest Du gern persönlich kennenlernen?  

    Kadim Al Sahir, der „Cäsar der arabischen Musik“, Emmanuel Macron und Justin Trudeau.   

    Warum gerade Macron und Trudeau?  

    Sie sind jünger als die üblichen politischen Führer und deshalb kreativer und dynamischer. Mit mehr Weitblick. Und sie machen den Mund  auf. Und mitunter scheint es, als ob sie tatsächlich meinen, was sie  sagen. Obwohl ich natürlich weiß, dass auch sie nur Worthülsen von sich geben.  

    Menschen sind wichtiger als die  Ökonomie

    Was ist für Dich die wichtigste Erfindung der letzten 100 Jahre? 

    Das Flugzeug. TV und Radio. Die Atombombe. Computer, Internet und Handy. Und die neue „Erfindung“ des Coronavirus.  

    Glaubst Du, dass Gott eine Erfindung der Menschen ist? 

    Ich möchte diese Frage nicht beantworten.   

    Was würdest du tun, wenn du Bundeskanzler wärst?  

    Den sozialen Zusammenhalt stärken. Menschen sind wichtiger als die  Ökonomie. Der Kanzler oder Präsident sollte immer das öffentliche  Interesse und die Bedürfnisse der Landesbewohner als ersten  Maßstab nehmen. Gesetze, die vor Jahren erlassen wurden, müssen  immer wieder geprüft werden und sich auf die aktuelle Lage beziehen können, z.B. das Asylrecht. Ein Kanzler oder Präsident und auch seine  Minister und Mitarbeiter dürfen nicht mit Unternehmen verbunden sein. Wichtig ist auch, die Souveränität des Landes zu wahren, trotz  aller außenpolitischen Kompromisse die Unabhängigkeit zu behalten.   

    Welche geschichtlichen Gestalten verabscheust Du am meisten? 

    Hitler. Sadam Hussein.   

    Welche Reform bewunderst Du am meisten?  

    Die Renaissance.   

    Aber Renaissance ist ja nur eine kulturelle Reform bzw. Revolution. Wie  steht es mit den politischen Revolutionen?  

    Weder die Russische Revolution noch Maos Kulturrevolution waren  gut für die Menschheit. Sie waren gut für eine bestimmte politische  Klasse.   

    Ich hätte gern in der Antike gelebt

    Welche natürliche Gabe möchtest Du besitzen?  

    Komponieren. Und ich hätte gern in der Antike gelebt, in Babylon, bei den Pharaonen und den Hellenen.   

    Es ist interessant, dass bei Dir immer wieder „die Antike“ erwähnt wird.   

    Welchen Sport treibst du?  

    Schwimmen und Fahrrad fahren.   

    Welches Auto möchtest du gerne fahren?  

    Ein altes aus den 20ern.

    Welche drei Gegenstände würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen? 

    Bücher, Stift, Papier und ein Klavier.  

    Der Tod ist ein natürlicher Prozess

    Wie möchtest Du gern sterben?   

    Wie ich sterbe, war mir bisher egal. Aber da der Tod ein natürlicher Prozess ist, wäre es schön, wenn es ein friedliches Sterben wäre, also  nicht im Krieg.  

    Was ist Dein Lebensmotto?  

    Meine persönlichen Zehn Gebote: Sei menschlich und gewissenhaft. Jedes Problem kann man lösen. Von  jedem Mensch, dem ich begegne, kann ich etwas lernen. Ich lerne aus  meinen Fehlern. Alles, was ich beginne, kann ein Erfolg werden. Sich selbst treu sein. Alles, was passiert, hat eine Bedeutung und einen  Grund. Man ist nicht nur für das verantwortlich, was man tut, sondern  auch für das, was man unterlässt. Respektiere die Menschen, die dich respektieren. Alles wird vergehen.   

    Was würdest Du tun, wenn Du viel Geld hättest?  

    Ich würde eine Akropolis bauen lassen, exakt nach den alten Vorgaben, ohne jegliche Technologie, wie in alten Zeiten.  

    Wie ist Deine gegenwärtige Geistesverfassung?  

    Immer im Stress. Immer mit Gedanken an die unsichere Zukunft: die Aufenthaltsgestattung gilt immer nur für ein halbes Jahr. Deshalb  unkonzentriert und unsicher.  

    Dein Wunsch für die Zukunft?  

    Frieden und Verständigung

    Ich wünsche mir eine Welt ohne Kriege und dass alle Menschen ihre Probleme in Frieden lösen. Und dass alle Menschen eine gemeinsame  Sprache sprechen, wie z.B. das Esperanto, neben ihrer Muttersprache und Dialekten. Denn Sprache ist Basis für Missverständnisse, die  wiederum zu Streit führen und zu weiteren Folgen. Manchmal sind diese  Missverständnisse nur das Ergebnis falscher Interpretation,  manchmal vielleicht ganz bewusst forciert. 

    Dein Wunsch für Deine persönliche Zukunft?   

    Ich möchte gern arbeiten oder studieren. Eine Ausbildung als Tischler  würde mir gefallen. Ein Studium der Archäologie auch, ich weiß aber,  dass das fast unmöglich ist.  

     

    Das Gespräch mit Pshtiwan Qadir wurde am 4. September 2020 mit Almut Scheller Mahmoud im Schreibtandem Projekt geführt.

    Übrigens: Pshtiwan sucht eine kleine Wohnung bzw. ein Zimmer in einer ruhigen WG. 

  • Frieden: Die Schönheit im Anderen sehen

    Die Erfahrungen aus meiner Vergangenheit sind nicht schön. Sie sind gekennzeichnet durch Schmerz, Qual, Leiden, Folter und die knappe Flucht vor dem Tod. Ich komme aus einem Land, das von unaufhörlichen Morden, Konflikten, Terrorismus, Krisen, Entführungen, Militanz und der unmenschlichen Gewalt durch die gefürchtete Gruppe Boko Haram verwüstet wird.

    Kein Frieden in Nigeria

    Die Existenz von Boko Haram und den jetzt militarisierten Fulani-Hirten hat das Land Nigeria und seine Bürger in Angst und Schrecken versetzt. Es gibt keinen Frieden im Land. Der Nordosten wird belagert. Die mittleren Gürtelstaaten befinden sich im Chaos. Die südliche Region, die reich an Ölvorräten ist, wurde bombardiert, die Bodenschätze gestohlen und Einrichtungen des Staates zerstört.

    Die Geschichte von Trauer, Qual und Schmerz in Nigeria ist endlos. Es scheint keinen möglichen Ausweg zu geben, um die Probleme in absehbarer Zeit zu beheben. Denn diejenigen, die sich an der Macht befinden, unterdrücken durch systemische Korruption, Vetternwirtschaft, Faschismus und Militärdemokratie den Rest des Landes. Damit verhindern sie die Bildung einer sozial liberalen Zivilgesellschaft und Pressefreiheit.

    Leben mit Angst und Unsicherheit

    Das Handeln der gescheiterten Regierung von Präsident Muhammadu Buharis hat dafür gesorgt, dass die schändlichen Gruppen ermutigt und unterstützt werden. Diejenigen, die vom „Mayham“ – dem Chaos, der Verwüstung – profitieren, sind die im Korridor der Macht. Gleichzeitig leiden und sterben unzählige unschuldige Zivilisten und müssen weiterhin in ständiger Angst und Unsicherheit leben.

    Das Streben nach Frieden und dessen Nachhaltigkeit weltweit ist uns allen ein großes Anliegen. Ich möchte in diesem Zusammenhang das Wort von Martin Luther King Jr. aufnehmen und umformulieren: „Kein Frieden irgendwo ist eine Bedrohung für den Frieden überall.“ Und ich verweise auch auf die Bemühungen von Weltorganisationen wie den Vereinten Nationen, die sich für die Förderung und Erhaltung des Weltfriedens einsetzen.

    Unfrieden anderswo bedroht den Frieden überall

    In der jüngsten Vergangenheit, am Sonntag, dem 21. April 2019, wurden Gläubige im ostasiatischen Bundesstaat Sri Lanka, die sich zur Feier der Wiederauferstehung Jesu Christi versammelt hatten, in einem willkürlichen Ausmaß von Terroranschlägen ermordet. Die Bombenexplosionen verursachten den Tod von 290 Menschen und verletzten viele weitere Menschen schwer.

    Neben dem Angriff auf Sri Lanka, der sich gegen Christen richtete, gab es auch einen ähnlichen Angriff im einst terrorfreien Neuseeland. Bei diesem Waffenangriff stand die Tötung von Muslimen im Mittelpunkt des Schützen. Es war ein schreckliches Ereignis, das ebenfalls viele unschuldige Opfer forderte. Dem Terrorakt in Neuseeland folgte nur wenige Wochen später das Attentat auf eine jüdische Gemeinde in Kalifornien in den Vereinigten Staaten von Amerika.

    Egal, ob es sich um einen Angriff von Muslimen auf Christen oder um einen Angriff von Christen auf Muslime handelt – fast täglich berichten unsere Medien über beunruhigende Geschichten, über Konflikte, Krisen, Kriege und die damit verbundenen Schmerzen, Qualen, Ängste, Leiden von Menschen.

    Feindseligkeit zwischen Bauern und Hirten

    Besonders in Afrika, so auch in Nigeria, wo die Feindseligkeiten zwischen Bauern und Hirten wieder aufleben, ist das Leiden groß. Die fundamentalistische islamische Boko Haram-Miliz, die die gesamte Sahelsahara- und Westafrika-Region mit bereits zehntausenden Toten verwüstet hat, ist eines der traurigsten Beispiele für den Terror auf diesem Kontinent. Die Stärke der Gruppe wuchs zweifellos durch das Scheitern der Regierungssysteme in den afrikanischen Staaten. Natürlich spielt auch die Unterstützung anderer terroristischer Organisationen wie Al-Shaababab, Isis und Al-Qaeda eine große Rolle.

    In Venezuela und in der indisch-pakistanischen Grenzregion –  ja,  fast auf der ganzen Welt – herrschen Krieg und Konflikte. Und deshalb sollte der Ruf nach Frieden auch in diesem Moment lauter sein als je zuvor.

    Aus den Weltkriegen lernen

    Die schlimmen Erfahrungen der Weltkriege des 20. Jahrhunderts bieten den Menschen eine Lehre, aus der sie lernen können. Die unermessliche Zerstörung dieser Kriege ebnete zumindest den Weg für die Etablierung einer internationalen, multikulturellen Organisation wie den Vereinten Nationen.

    Die UNO hat neben anderen Funktionen den Auftrag, den internationalen Frieden und die Sicherheit zu wahren. Sie wirkt hin auf freundschaftliche Beziehungen zwischen den Nationen. Durch internationale Zusammenarbeit erfährt das Handeln der Nationen eine Harmonisierung und zielt darauf ab, einen weiteren Konflikt zu verhindern.

    Obwohl ihre Mission zur Erhaltung des Weltfriedens in den ersten Jahrzehnten des Kalten Krieges zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion und ihren jeweiligen Verbündeten im Laufe der Jahre scheinbar kompliziert war, können ihre Bemühungen um die Erhaltung des Weltfriedens nicht genug betont werden. Die Organisation hat Fortschritte bei der Wiederherstellung des Friedens in den bisher vom Krieg verwüsteten und konfliktreichen Regionen der Welt gemacht.

    Der Völkermord an den Hutu und Tutsi, der über 800.000 Ruandern das Leben kostete, wurde durch den wirksam koordinierten Mechanismus der Vereinten Nationen für Frieden und Konfliktlösung gestoppt. Glücklicherweise leben die Bewohner dieses Landes heute in gegenseitigem Verständnis, Toleranz und nachhaltigem Frieden.

    Durch ein gemeinsames Ziel verbunden

    Als Flüchtling habe ich ebenfalls versucht, die Zusammenarbeit und den Frieden zwischen in Deutschland lebenden Flüchtlingen zu analysieren und zu bewerten. Im Lager der LEA Mannheim, in dem ich wohne, aber auch in den meisten Lagern in ganz Deutschland bietet das Verhältnis des friedlichen Zusammenlebens unter Flüchtlingen eine interessante Fallstudie.

    Ich habe festgestellt, dass diese Flüchtlinge trotz unterschiedlicher Nationalität, Herkunft, Religion, ethnischer Zugehörigkeit, Hautfarbe, Sprache, sozialer und politischer Perspektiven offensichtlich an ein gemeinsames Ziel gebunden sind. So leben sie in den Lagern herzlich und in Frieden zusammen. Offenbar haben die selbstlosen und vorsichtigen Bemühungen der Sozialarbeiter und Pflegekräfte, die in diesen Lagern tätig sind, eine wesentliche Rolle in dieser Hinsicht gespielt.

    Einzigartigkeit der Nachbarn schätzen

    Bei der Ankunft im Lager werden die Flüchtlinge ermutigt, angeleitet und auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Werte anderer Bewohner und Gastgeber zu schätzen und zu respektieren. Kein Wunder, dass mein Freund aus der Region Kurdistan im Irak, der sich in Deutschland aufhält, Stipendiaten aus anderen Regionen in den Nahostländern schätzt und mit ihnen zusammenlebt. Hier ist der Muslim ein Freund eines Juden. Und der palästinensische Gefährte speist in derselben Cafeteria, sitzt von Angesicht zu Angesicht mit einem Israeli zusammen. Beide haben ein Lächeln auf dem Gesicht. Dies wird zweifellos nur dadurch ermöglicht, dass wir die Einzigartigkeit unserer Nachbarn schätzen.

    Am Beispiel Ruandas und durch meine fast dreijährige Erfahrung als Flüchtling gibt es ein gutes Argument, dass der Weltfrieden erreicht und erhalten werden könnte. Ich weiß: Es gibt die Möglichkeit der gegenseitigen Toleranz, des Zusammenlebens, des Respekts, der Liebe und des Friedens, und zwar durch die Wertschätzung der Werte anderer.

    Wertschätzung für individuelle Unterschiede

    Konfuzius (551 v. Chr. – 479 v. Chr.), der chinesische Lehrer, Herausgeber, Politiker und Philosoph, sagte einmal: „Alles hat Schönheit. Aber nicht jeder sieht es.“ Ich glaube, dass wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten sollten, das Wesen in jedem Menschen zu schätzen. Das ist die Grundlage für den globalen Frieden.

    Es geht nicht um unsere Farbe, unsere Herkunft, unseren Hintergrund, unseren Status oder unsere Geographie, die uns durch Gedanken trennen. Vielmehr geht es darum, dass Menschen das Gute und die Schönheit in anderen Menschen sehen. Wir müssen ein tiefes Bewusstsein der Wertschätzung der individuellen Unterschiede entwickeln, die zwischen uns bestehen. Durch die Wertschätzung sehen wir diese Einzigartigkeit unter uns als ein wahres Werkzeug für die globale Entwicklung, die vom Frieden zwischen den Menschen eingeleitet wird.

    Unsere Welt durchläuft zweifellos schwierige und beunruhigende Zeiten. Dies zeigt uns die Notwendigkeit, umzugestalten, zu lernen und mehr Anstrengungen zu unternehmen, uns hinzusetzen und miteinander zu sprechen. Denn wenn wir reden, verstehen wir auch uns selbst besser. Und indem wir uns selbst verstehen, lernen wir, auch andere zu schätzen. Durch Anerkennung fördern wir die Liebe. Durch die Liebe könnten wir glücklich zusammenleben. Das ist unser größter Wunsch. Dass dadurch Frieden erreicht werden kann.

    Es wird Friede sein!

  • Erinnerungen und Betrachtungen

    In der Nacht ruht der Lärm und wachen die Erinnerungen auf. In der Nacht beginnt der Kampf zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, der mörderischen Vergangenheit und der ungewissen Zukunft.

    Ich erinnere mich!

    Ich erinnere mich, dass ich unfähig war, etwas zu tun, während ich tief im Chaos meiner Gefühle steckte. Das war an dem Tag, an dem mein Onkel verschwand, mein Onkel, die Hälfte meines Herzens, mit dem ich zehn Jahre meines Lebens verbracht habe, in denen er ein Vaterersatz für mich war. Für meinen Vater, der seine Vaterrolle und seine Pflicht nicht erfüllen wollte.

    Ich erinnere mich an meinen Cousin, der nicht mehr mit bei mir ist. Mein Cousin war mein Freund, Verwandter und meine Stütze, vor allem nachdem mein Onkel im Gefängnis verschwand, war mein Cousin mein ein und alles. Ich weiß nicht, was mein Onkel sich hat zuschulden kommen lassen, dass er ins Gefängnis gesteckt wurde. Ich glaube auch nicht, dass er das Gefängnis verdient, denn er war der Liebende und Feinsinnige.

    Ich betrachte die Augen meiner Mutter jeden Tag. Sie trägt eine andere und besondere Geschichte in sich. Sie ähnelt in ihrer Kraft der Erhabenheit der Berge und sie steht fest, ebenfalls wie ein Berg. Sie hat mich aufgezogen, damit ich stark bin und das Leben mit Durchhaltevermögen meistere, auch wenn ich allein bin.

    Gestalten ohne Gefühle

    Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Menschen um mich herum, nichts anderes sind als Gestalten ohne Gefühle. Ich werde vom Chaos der Gefühle und dem Durcheinander der Gedanken beherrscht. Ich merke plötzlich, dass ich dennoch unter diesen Menschen in einer Gesellschaft, die arrogant und ignorant ist, lebe.

    Ich merke, dass wir nicht frei wählen können, was wir tun und lassen sollen. Bei der Geburt haben wir weder unser Aussehen, unsere soziale Schicht, unsere Religion, noch unsere Heimat ausgewählt. Auch unsere Väter und Mütter haben wir nicht ausgewählt. All dies stand uns nicht zur Auswahl.

    Ich habe das Bedürfnis zu schreiben. Onkel, warum hat das Leiden uns ausgewählt? Ich möchte mich bei dir entschuldigen, aber wie kann ich das machen? Ich frage mich, was du jeden Tag tust, und ob es dir gut geht. Ich hoffe, es geht dir gut, die Hälfte meines Herzens.

    Wir haben viele Qualen durchlebt, du und ich. Du warst immer wieder bemüht, logische Antworten auf meine Fragen zu finden, vergeblich! Ich sagte immer, das ist unser Schicksal! Aber was bedeutet Schicksal?

    Ich verspreche dir, dass ich deinen Schmerz nie vergessen werde. Und ich werde mein ganzes Leben gegen das autoritäre Regime, das dich verhaftet hat, aufschreien. Ich verspreche dir, dass unsere Träume wie ein Vogel frei bleiben.

    Das Schöne in unseren Seelen wird nicht besiegt.

    Die Nacht geht zur Neige und ich erinnere mich, betrachte und warte auf einen schöneren Morgen.

     

     Frieden zwischen Hier und Dort

    „Frieden zwischen Hier und Dort“ ist ein Schreibworkshop-Projekt des Friedenskreis Syrien. Der Verein tritt für einen friedlichen und kooperativen Austausch zwischen Menschen ein und schafft Austauschplattformen für einen konstruktiven Dialog.

    Die Texte sind bereits in veränderter Form in der taz erschienen. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit Bi´bak, Start with a Friend (SwaF) und Multaka (Treffpunkt Museum) in Berlin durchgeführt und ist durch das Frauen ID Projekt im Rahmen des Kultur macht Stark Förderprogramms / PB und BMBF gefördert.

    In sieben Workshop-Tagen setzten sich die Teilnehmerinnen unter Leitung der syrischen Autorin Kefah Ali Deeb mit der Methode des Schreibens auseinander. Teil des Projekts waren Besuche in einigen Berliner Museen, die sich teilweise in den Geschichten der Frauen widerspiegeln. Entstanden sind Texte über das neue Lebensumfeld Berlin, über Heimat und eben über den “Frieden zwischen Hier und Dort”. Wir veröffentlichen sie nach und nach hier.

  • Keiner lernt aus den Erfahrungen der anderen

    Ich bin in Aleppo geboren und aus Aleppo vertrieb mich der Krieg, gezwungenermaßen, damit ich hier in Berlin zum Flüchtling werde.

    Ich habe mir nie vorgestellt in einem europäischen Land zu leben. Heute lebe ich in Deutschland. Sogar in der Hauptstadt, mitten in der Hauptstadt Deutschlands. Ich habe hier einen Ort gefunden, an dem ich das Gefühl habe, ich bin zu Hause. Also, fast wie das Haus, das ich hinter mich ließ, in meinem vom Krieg gebeutelten Land.

    Tatsächlich war dies mein Gefühl, als ich das Aleppo-Zimmer im Museum für Islamische Kunst in Berlin besuchte. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich im Haus meiner Familie in Aleppo. Mich überkam das Bedürfnis, die Türe aufzumachen und aus den Räumen in den Innenhof hinaus zu treten, wo ich meine Mutter womöglich beim Blumengießen vorfinden würde. Ich bildete mir ein, ich hätte ihre Stimme gehört, dass sie mich bittet, die Blumen weiter zu gießen, während sie das Mittagessen zubereitet.

    Die Farben der Intarsien, der Geruch und alles in dem Aleppo-Zimmer versetzte mich in meine Kindheit zurück, in die Viertel der Altstadt von Aleppo, wo die historischen Häuser, die große Moschee und die mit Souvenirs und Handwerk gefüllten Märkte sind.

    Ein Gefühl von Stolz

    Mit dem Verlassen des Museums für Islamische Kunst begann mein Gedächtnis zu erlahmen. Als ich wiederum das Ischtar-Tor sah, war ich sprachlos, nicht nur wegen der Schönheit der Hohen Kunst, sondern weil es mich an das Glas im alten Aleppo erinnerte. Die Reliefs am Tor waren von unbeschreiblicher Schönheit, insbesondere die Chrysanthemen, das Symbol der syrischen Göttin Ischtar, der Göttin des Ursprungs und die Symbole unserer altsyrischen Götter.

    Ein Gefühl von Stolz auf die Kultur und Kunst, denen ich angehöre, erfasste mich plötzlich. Jeder, der dieses Museum besucht, hat die Chance dadurch mehr über uns und unserer Geschichte zu erfahren. Die Besucher können hier ein anderes Gesicht von meinem Land erfahren, als das was sie durch die Bilder über den Krieg kennen, die von den Medien verbreitet werden.

    Die gemeinsame Erfahrung des Krieges

    Aber wiederholt sich die Geschichte? Und teilen die Völker dasselbe menschliche Leid? Im Museum für Deutsche Geschichte sah ich das Leiden und die Trauer, die das deutsche Volk während der Kriege erfahren hat. Seine Erfahrungen im Krieg ähneln dem, was wir erlebt haben und was wir immer noch erleben. Man verliert die Liebenden, das Heim wird zerstört, das Gedächtnis wird ausgebrannt, der Tod lauert überall. Überall herrschen Barbarei, Seuchen; Flucht und Vertreibung und die Angst vor dem sicheren Tod.

    Eine Geschichte, die sich wiederholt, und Erfahrungen, die sich ähneln, obgleich die Zeiten, die Nationen, die Geographien sich voneinander unterscheiden.

    All diese Dinge haben eins gemeinsam: Den Krieg! Mit dem Krieg verschwinden die Unterschiede zwischen den Menschen. Jeder erlebt bittere Erfahrungen und schwere Zeiten. Alle sind von Flucht und Vertreibung bedroht und haben Angst vor der ungewissen Zukunft, die ihnen auferlegt wird.

    Aber niemand lernt aus der Erfahrung der anderen.

     

    „Frieden zwischen Hier und Dort“ ist ein Schreibworkshop-Projekt des Friedenskreis Syrien. Der Verein tritt für einen friedlichen und kooperativen Austausch zwischen Menschen ein und schafft Austauschplattformen für einen konstruktiven Dialog.

    Die Texte sind bereits in veränderter Form in der taz erschienen. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit Bi´bak, Start with a Friend (SwaF) und Multaka (Treffpunkt Museum) in Berlin durchgeführt und ist durch das Frauen ID Projekt im Rahmen des Kultur macht Stark Förderprogramms / PB und BMBF gefördert.

    In sieben Workshop-Tagen setzten sich die Teilnehmerinnen unter Leitung der syrischen Autorin Kefah Ali Deeb mit der Methode des Schreibens auseinander. Teil des Projekts waren Besuche in einigen Berliner Museen, die sich teilweise in den Geschichten der Frauen widerspiegeln. Entstanden sind Texte über das neue Lebensumfeld Berlin, über Heimat und eben über den “Frieden zwischen Hier und Dort”. Wir veröffentlichen sie nach und nach hier.

  • Deutschland – der letzte Hafen?

    Am Strand an der Ostsee, an der nordöstlichen Grenze Deutschlands: Ich stand da und ließ die Füße im Sand versinken. Als die kalten Wellen meine Zehen berührten, stieg der Frost hinauf bis in mein Herz. Dann kam die Erinnerung zurück. Ich bin kein Flüchtling. Ich bin in kein Gummiboot zur Flucht eingestiegen und meine Füße zitterten nicht von den mächtigen Wellen des weiten Ozeans. Das musste ich nicht durchmachen, aber andere, die mir so ähnlich sind. Dieser Ähnlichkeit zuliebe, will ich ihnen meine Stimme leihen. Eine Stimme, der die Welt vielleicht kurz zuhört.

    Damals waren es Europäer

    Im Museum der deutschen Geschichte stand ich vor einem Gemälde. Dort war ein brennendes Schiff gemalt. Es sah so echt aus, ich hatte das Gefühl die Flammen springen gleich aus ihren Farben, um meine Wimpern zu erfassen. Die Passagiere flohen von dem Schiff und sprangen aus Angst vor dem Feuer ins Wasser, wie die Herbstblätter, die sich von ihren Zweigen verabschieden und auf die Erde sinken. Das waren Europäer. Damals sind sie emigriert, auf der Suche nach einem besseren Leben. Heute sind sie das Ziel und ermöglichen das Bessere für die anderen.

    Wie oft dreht sich die Zeit? Wir alle glauben daran, dass die Erde eine Kugel ist und dass sie sich dreht. Wenn wir uns dieses Drehen vor Augen hielten und darüber nachdenken würden, wären wir dann weiser und menschlicher? Wir kamen so unterschiedlich wie wir sind und trotz unserer Konflikte zum gleichen Ort. Vereint sind wir durch die Hoffnung, dass die Sonne vielleicht hier aufgeht, wenn sie da, wo wir sie hinter uns gelassen haben, unterging.

    Schmerzhafte Erinnerungen

    Sei es ein Flüchtling, ein Migrant oder ein Reisender auf seinem langen Weg: Dieses Land verspricht uns die Verwirklichung unserer Träume und ihre Natur tröstet uns mit schöner Ablenkung, also vergessen wir langsam unsere Schmerzen. Weil die Sehnsucht nach dem geliebten Syrien manchmal so schmerzhaft ist und einen im Bett aus dem Schlaf aufweckt.

    In Syrien spricht jede Ecke für sich, hat eine klare Identität und ist klar identifizierbar. Hier in Berlin färbt sich jeder Ort mit der Identität der Gruppe, die ihn bewohnt. So findet man auf einer Straße in Berlin mal etwas, was an eine weiche Farbe des schönen Syriens erinnert und auf einer anderen riecht man einen Duft, der den Sinnen vortäuscht, in Syrien zu sein. Wir sehen Damaskus, zerstückelt und verteilt über Berlin, aber das Ganze wohnt in unseren Erinnerungen. Die geliebte Stadt wiederzusehen ist immer ein Ziel, worauf man eine Ewigkeit warten könnte.

    Deutschland war eine Stütze

    Jedenfalls kriegen wir hier auch die Liebe zu spüren. Deutschland, dieses schöne, starke Land. Es ist für uns eine Stütze gewesen und war der Hafen für die Trümmer unserer Seelen. Je länger wir hier sind, um so mehr wächst auch unsere Dankbarkeit. Wenn Deutschland will, werden wir Teil seines Gerüstes und wenn es uns braucht, kommen wir sogleich. Denn wenn man Gutes bekommt, gibt man Gutes zurück. Wir alle wurden, ob wir es wollen oder nicht, eine vielfältige Mischung aus den Erfahrungen unserer Gegenwart hier und den Erlebnissen unserer Vergangenheit, dort.

     

    „Frieden zwischen Hier und Dort“ ist ein Schreibworkshop-Projekt des Friedenskreis Syrien. Der Verein tritt für einen friedlichen und kooperativen Austausch zwischen Menschen ein und schafft Austauschplattformen für einen konstruktiven Dialog.

    Die Texte sind bereits in veränderter Form in der taz erschienen. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit Bi´bak, Start with a Friend (SwaF) und Multaka (Treffpunkt Museum) in Berlin durchgeführt und ist durch das Frauen ID Projekt im Rahmen des Kultur macht Stark Förderprogramms / PB und BMBF gefördert.

    In sieben Workshop-Tagen setzten sich die Teilnehmerinnen unter Leitung der syrischen Autorin Kefah Ali Deeb mit der Methode des Schreibens auseinander. Teil des Projekts waren Besuche in einigen Berliner Museen, die sich teilweise in den Geschichten der Frauen widerspiegeln. Entstanden sind Texte über das neue Lebensumfeld Berlin, über Heimat und eben über den “Frieden zwischen Hier und Dort”. Wir veröffentlichen sie nach und nach hier.

  • Workshop „Frieden zwischen Hier und Dort“

    Vor etwa fünf Jahren kam ich nach Deutschland. Anfangs verglich ich das neue Land, Deutschland, mit seinen Nuancen und seinem Alltag stets mit meinem Herkunftsland Syrien. Es fiel mir schwer, diese Vergleiche nicht zu ziehen oder mein ständiges Nachdenken darüber einzustellen. Alles führte mich entweder nach Damaskus, die Stadt, die ich liebe, oder nach Latakia, die Stadt, in der ich geboren wurde. Eineinhalb Jahre später begann ich für die taz zu schreiben.

    Ohne zu zögern wählte ich damals den Titel „Hier und dort“ für die Kolumne, die ich heute noch schreibe, und in der ich versuche, meine Gedanken zu formulieren. Immer mehr stellte ich die Bedeutung dieser Kolumne für mich fest; und wie das Schreiben mir half, den Zustand des Flüchtlingsseins zu überwinden.

    Ich schrieb über die Wahrnehmung der Fremde und die damit verbundenen Schwierigkeiten, über den Alltag mit seinen Einzelheiten, die Sehnsucht nach der Vergangenheit und die Angst vor der Zukunft. Nach jedem Text merkte ich, dass ich mehr Zuversicht, Selbstvertrauen, Stolz und Fähigkeit für einen neuen Anfang in mir spürte. Denn meine Stimme wird dankenswerterweise gehört, ich bin nicht allein, ich kann mich mitteilen und ich fühle mich nicht mehr fremd.

    Die eigene Schreiberfahrung teilen

    Aus diesem Hintergrund heraus dachte ich an die Frauen, die mir in Deutschland an verschiedenen Orten, wie Flüchtlingsunterkünften, Integrationskursen, auf der Straße oder beim Jobcenter begegneten. Jede dieser Frauen hat ihr eigenes Narrativ, das sie erzählen könnte, dachte ich. Ich hörte mir ihre Geschichte an und stellte dabei fest, dass jede dieser Geschichten der Anfang eines Romans sein könnte.

    Geschichten über ihre eigenen Erfahrungen von Flucht und Vertreibung; Geschichten, die die vermeintlichen Werte der Weltgemeinschaft infrage stellen. Ich überlegte mir, wie man die Erzählungen dieser Frauen weitererzählen könnte. Wie könnte ihnen eine Bühne geboten werden, damit sie selbst über ihre Gefühle, Träume und Niederlagen sprechen können?

    So entstand die Idee des Workshops „Frieden zwischen Hier und Dort“. Ich wollte den Frauen damit ein Fenster zur Außenwelt öffnen, aus dem sie die Anderen sehen und von diesen gesehen werden. Ich wollte, dass sie die Anderen hören und von den Anderen gehört werden. Und dass sie nach all den Leiden an eine bessere Zukunft glauben.

    Nachdem die Organisations- und Verwaltungsphase abgeschlossen war, sollte dann die Zielgruppe der Frauen definiert und zur Teilnahme motiviert werden. Danach begann die Erläuterung des Workshops und die damit verbundenen Ziele. Das Vorhaben war leichter gesagt als getan. Es gab wesentlich mehr Hindernisse als gedacht. Ich besuchte Flüchtlingsunterkünfte, Integrationskurse und verschiedene Einrichtung, die sich um Flüchtlinge kümmern. Trotzdem stieß ich immer wieder auf Schwierigkeiten, denn die Frauen wollten aus verschiedenen Gründen nichts erzählen.

    Selbstvertrauen durch das Schreiben

    Die Gründe für ihre Zurückhaltung waren grundverschieden. Viele Frauen in der Altersgruppe zwischen 18-26 Jahren sind bereits verheiratet und haben Kinder, welche sie nicht allein lassen wollten. Manche Frauen waren von der Bedeutung des Schreibens über ihre Erfahrungen nicht überzeugt. Andere sahen ihre Prioritäten woanders. Denn sie waren zum Teil auf der Suche nach einer Wohnung oder Schul- oder Kindergartenplätze.

    Fast alle Frauen, die ich traf, trugen hauptsächlich die Verantwortung für ihre Familien; das heißt, dass sie sämtliche Verwaltungsgänge allein und ohne Hilfe ihrer Ehemänner erledigen mussten. Viele von ihnen waren außerdem damit beschäftigt, Deutschkurse zu besuchen und von der Idee, in arabischer Sprache zu schreiben, nicht überzeugt.

    Am Ende gelang es mir jedoch eine Gruppe von 15 Frauen für den Workshop zu gewinnen. Nicht alle konnten bis zum Schluss bleiben und jede Einzelne hatte ihre Gründe dafür. Gleichwohl aus diesem Workshop sechs wunderbare Texte hervor. Ich hatte viel Freude daran, die Frauen während der Arbeitsphasen des Workshops persönlich näher kennenzulernen. Ich durfte beobachten, wie die Frauen ihre Schreibfähigkeiten spürbar entwickelten, die Bedeutung des Schreibens für sich schätzten und schätzen lernten, den Dialog miteinander suchten, sich gegenseitig zuhörten und mit Respekt und Anerkennung politische, soziale und kulturelle Themen diskutierten.

    Ich lernte viel von diesen Frauen und ihre Texte sprechen am besten über sie.

    Die Texte aus dem Kefahs Schreibworkshop werden in diesem Monat nach und nach im Flüchtling-Magazin veröffentlicht. Hier könnt ihr (ab dem 10.04.2019) die wundervollen Artikel lesen: „Frieden zwischen Hier und Dort“

     Der Workshop "Frieden zwischen Hier und Dort" hält seine Abschlusslesung
    Die Abschlusslesung des Schreib-Workshops „Frieden zwischen Hier und Dort“. Foto: Hannah Newbery
  • Friedensforscherin Heela Nadschibullah: Wo Frieden beginnt

    Was bedeutet es, unter den Bedingungen von Krieg, Gewalt und Unruhen groß zu werden?  Wie weit reicht unser Einfühlungsvermögen für die seelischen Verletzungen und Bedürfnisse von Menschen aus Krisengebieten wirklich an die Realität heran?

    Immer wieder stelle ich mir diese Fragen, wenn Menschen mit Fluchterfahrungen aus ihrem Leben erzählen – sei es im persönlichen Gespräch oder in niedergeschriebenen Berichten.  Sie erzählen von einem Leben, das sie hinter sich gelassen haben, um der Gewalt, dem Krieg und den Menschenrechtsverletzungen zu entkommen. Und sie erzählen zugleich von Menschen, die dort geblieben sind. Manchmal meine ich eine innere Zerrissenheit zu spüren. Hier leben sie mit der Sehnsucht  nach Frieden und Vertrauen. Nicht weniger stark aber fühlen sie sich verbunden mit dem Zurückgelassenen. Erinnerungen an Menschen und belastende Erlebnisse, enttäuschte Friedenshoffnungen und zerplatzte Träume bleiben präsent.

    Die Friedenssehnsucht ist groß – aber vieles bleibt schmerzlich und verborgen

    Nie kann ich mir anmaßen, bis in die Tiefe nachzuempfinden, was das für einzelne Menschen mit ihrer individuellen Lebensgeschichte wirklich bedeutet. Vieles bleibt verborgen. Aber vielleicht gelingt es, Vertrauen zu vertiefen, zuzuhören, behutsam nachzufragen, mich selbst zu hinterfragen. Vielleicht gelingt es, mehr Aufmerksamkeit zu üben und genauer wahrzunehmen, was hier, aber auch in den Herkunftsländern einwirkt auf das Weiterleben von Menschen.

    Wie kann es Menschen, zum Beispiel in Afghanistan, aktuell gelingen, unter so verstörenden Lebensbedingungen an Friedensprozessen mitzuwirken? Woher nehmen sie die Kraft dafür? Lässt sich dort überhaupt eine Vergewisserung für das eigene Leben erfahren, aus der heraus auch für andere Menschen Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln wären?

    Heela Nadschibullah und “social healing” als Chance zur Versöhnung

    Eine, die ihre Kinderjahre in Afghanistan verbracht hat, ist die afghanische Friedensforscherin Heela Nadschibullah (geb. 1977). Seit vielen Jahren lebt sie in Europa, hat  in der Schweiz studiert und arbeitet heute für eine Hilfsorganisation mit Migranten in Ungarn.

    Für sie ist das Heilen gesellschaftlicher Traumata ein ganz entscheidender Aspekt der aktiven Friedensarbeit. Und dieses Heilen kann – oder muss manchmal sogar – außerhalb des von Krieg und Unruhen erschütterten Land beginnen. Sie ist davon überzeugt: Nach Zeiten der permanenten Angst, Bedrohung und Verunsicherung geht es zunächst darum, Vertrauen aufzubauen und sich gegenseitig zu verstehen.

    Heela Nadschibullah spricht und schreibt in diesem Zusammenhang von „social healing“.  Sie meint damit einen Prozess, der immer bei einem selbst anfangen muss. Dazu aber brauchen Menschen zunächst einen geschützten Raum, der ein solches Vertrauen wachsen lassen kann. In Afghanistan selbst sieht sie dafür derzeit nur wenige Chancen. Zwar lassen sich auch diese in der Zivilgesellschaft stärken. Beispiele wie die Bücherbus-Initiative von Freshta Karim in Kabul verdienen große Anerkennung und Unterstützung. Aber zugleich versteht Heela Nadschibullah das, was Menschen außerhalb von Afghanistan an Sicherheit und Vertrauen erfahren, als wirksame Friedensarbeit für Menschen mit Kriegs- und Gewalterfahrungen. So können Vertrauenserfahrungen hier positiv Einfluss nehmen auf Heilungsprozesse und Neuanfänge in Krisenregionen anderswo.

    Wie Friedensprozesse ihren Anfang nehmen

    Überall dort, wo Menschen sich darin unterstützen, ein Leben in Sicherheit und mit Vertrauen zueinander zu führen und mitzugestalten, können solche Anfänge für einen möglichen Friedensprozess gelegt werden. Auch bei uns, mit mir selbst und mit den Menschen, die davon etwas weitertragen.

    Heela Nadschibullah erinnert sich dabei gern an eine alte Weisheitsgeschichte,  die sich in vielen Varianten, in verschiedenen Religionen und Kulturen weltweit verbreitet hat. Ich erzähle sie hier in Anlehnung an eine Version eines englischen Geistlichen aus dem Jahr 1100 nach:

    „Als ich jung war und meine Visionen keine Grenzen kannte, träumte ich davon, die Welt zu verwandeln in eine friedliche Welt. Aber die Welt veränderte sich nicht. Also beschloss ich, wenigstens mein Land zu verändern, damit Frieden endlich möglich werden kann.  Aber auch das erschien mir unveränderbar. Als ich älter wurde, versuchte ich, wenigstens die Menschen zu verändern, die mir am nächsten standen. Aber auch das sollte mir nicht gelingen. Schließlich wurde mir klar: Wenn ich damit anfange, mich selbst zu verändern und Frieden zu finden in mir,  dann kann dieser Frieden auch  auf andere Menschen ausstrahlen. Mit ihnen gemeinsam kann dieser Frieden in einem Land immer weitere Kreise ziehen. Und – wer weiß –  am Ende sogar die Welt verändern.“

    Ein Interview mit Heela Nadschibullah zum Weiterlesen

  •  Eisenkriminalität

    Der Tatort lag in der Nähe meines Hauses. Ich saß am Tisch und plötzlich hörte ich einen lauten Knall. Die Erde zitterte. Ich lief los und beeilte mich, um zu sehen was passiert war. Es gab viel Rauch und ich konnte die Hauswand gegenüber nicht mehr erkennen. Viele Leute rannten umher und riefen nach Allah.

    Monster verschlingen Menschen …

    Der Knall stammte von der Explosion einer Panzergranate. Leider fielen mein Nachbar Hani, der Besitzer eines Geschäfts, und ein weiterer Mann dem Angriff zum Opfer. Der ganze Ort wurde zerstört, und ich erinnere mich daran, wie ich Teile ihrer Körper in einer Tasche sammelte. Dabei hörten meine Augen nicht auf zu weinen.

    Es war ein Panzer, der in einer Stellung auf dem Berg lag, wie eine Vogelscheuche über der Region. Ein Monster, das alle paar Tage einen Mann verschlang. Nur ein Befehl von einem Soldaten und es führte sofort die Operation aus .

    … und die Welt schaut zu.

    Bei diesem Verbrechen gibt es keinen Ermittler oder Kommissar. Leider scheint die Welt unfähig, es zu stoppen. Die Opfer waren unschuldig, der Täter ist bekannt, aber niemand wird ihn verurteilen.

    Dies ist nur eine Geschichte unter Tausenden von ähnlichen Geschichten aus meinem Land: Syrien.

  • Ist das menschlich, wenn ich von meiner Familie nur träumen darf?

    Seit Oktober 2015 bin ich in Deutschland. Ich habe subsidiären Schutz im September 2016 bekommen und wohne im Zweitaufnahmeheim. Meine Familie, zwei Töchter, acht und sechs Jahre alt und meine Frau, leben noch in Syrien. Ich habe meine Familie seit März 2015 nicht gesehen. Ich habe 6 Monate in Istanbul gelebt und gearbeitet, aber ich konnte meine Familie nicht zu mir in die Türkei holen. Dann kam ich nach Deutschland in der Hoffnung, meine Familie nachholen zu dürfen. Aber die deutsche Regierung hat im März 2016 ein neues Gesetz, mit dem uns das Recht auf Familiennachzug genommen wurde, verabschiedet. Wegen dieses Gesetzes muss ich bis März 2018 auf meine Frau und Kinder warten.

    Ich will selbst Geld verdienen

    Ab Mai 2016 habe ich in einem asiatischen Geschäft als Verkäufer gearbeitet, weil ich nicht vom Geld des Jobcenters leben möchte und weil ich nicht nur schlafen will und sonst nichts. Ich muss arbeiten, das sagt mir mein Verstand.

    Als ich subsidiären Schutz bekommen habe, habe ich sogar nachgedacht, nach Syrien zurückzufahren. Weil das bedeutet, dass ich noch zwei Jahre warten muss. Wie kann ich noch zwei weitere Jahre warten?

    meine Familie fehlt mir

    Ich vermisse meine Töchter, ich vermisse meine Frau, ich bin ein Niemand ohne meine Familie. Ist das menschlich, wenn ich von meiner Familie nur träumen darf? Ich versuche mehr Geduld zu haben, ich lenke mich mit meiner Arbeit ab. Weil ich keine andere Wahl habe. Ich bin ein Flüchtling.

    Und jetzt hat die CDU ein anderes Gesetz vorgeschlagen, dass wir Flüchtlinge bis März 2020 auf unsere Familien warten müssen. Mit Tränen möchte ich den Innenminister fragen, was sind denn eines Vaters Gefühle ohne seine Kinder, ohne seine Familie? Ist das fair? Ist das menschlich?

    Es gibt viele Deutsche, die mich gefragt haben, warum kamen nur Männer nach Deutschland und haben ihre Familien im Krieg gelassen? Weil wir nach Deutschland für unsere Familien und unsere Kinder kamen. Wir haben unser Leben riskiert in der Hoffnung, dass wir hier ein sicheres Leben für unsere Familien finden. Aber leider haben wir ein großes Gefängnis gefunden, wir sind in Sicherheit, aber unsere Familien sind im Krieg. Wie können wir so leben? Wir sind hier, aber unsere Seelen sind in Gefahr. Wir müssen die Sprache lernen und Integration schaffen. Wie können das alles schaffen?

    Wir möchten in Frieden leben

    Zum Schluss möchte ich noch sagen: Wir kamen nicht nach Deutschland, weil wir Hunger hatten, sondern weil wir Sicherheit und Frieden für unsere Kinder brauchen. Weil wir im Frieden mit unseren Familien leben möchten.

kohero-magazin.com