Schlagwort: Freundschaft

zwischen den Menschen

  • Deutsche Freunde als Gastgeber

    Meiner Meinung nach hat jede kulturelle Tradition ihre Vor- und Nachteile. Ich bin nicht hier um zu sagen, was besser ist, sondern um unterschiedliche Traditionen zu beschreiben. So können uns die Unterschiede  bewusster werden. Das würde uns dabei helfen, respektvoll und auf gute Weise miteinander umzugehen. Denn manchmal wird von dem einen etwas als gut angesehen, von dem anderen aber als unhöflich. Heute möchte ich über meine Erfahrungen mit meinen deutschen Freunden als Gastgeber beschreiben.

    Zur Vereinfachung habe ich die üblichen Verhaltensweisen bei gegenseitigen Besuchen in drei Phasen unterteilt: Planung – Während des Besuchs – Nach dem Besuch. Heute geht es um die Planung.

    Einladung auf Deutsch

    Wenige Monate nach meiner Ankunft in Deutschland wollte mein bester deutscher Freund ein Kaffeetrinken mit mir organisieren. Er hat mich nicht mal telefonisch angerufen, sondern alle Details in einer E-Mail verschickt. Für mich war das ein sehr kaltes und klares Zeichen dafür, dass er mich nicht als guten Freund ansah. Ich glaubte, dass gute Freunde andere per Telefon einladen, nicht per E-Mail.  Als arabische Person habe ich in den letzten 20 Jahren dreimal E-Mails in persönlichen Angelegenheiten geschrieben. Aus diesem Grund schickte ich eine Woche später meine Antwort, weil ich mir nicht sicher war, wie ich reagieren sollte!

    Nicht nur das; er erwähnte sogar in seiner E-Mail, von wann bis wann er frei sein würde. Eine genaue Startzeit für den Besuch festzulegen war nicht schön. Freunde tun das nicht, dachte ich. Es war für mich auch eine ungewöhnliche Art, die Besuchsdauer mitzuteilen. Nach meiner ursprünglichen Auffassung beträgt die typische Besuchsdauer 2-3 Stunden. Wenn der Gastgeber sie verkürzen möchte, beschleunigt er den Bewirtungsprozess. Bietet er beispielsweise arabischen Kaffee an und trinkt ihn sehr schnell, so signalisiert er, dass der Besuch beendet ist.

    Für mich war auch sehr seltsam, dass der Freund mir diese E-Mail drei Wochen vor unserem Treffen geschickt hat. Das empfand ich als ein Zeichen der Arroganz, oder als würde er diesen Besuch als Geschäftsbesuch ansehen.

    Wirklich schön in seiner E-Mail fand ich, dass er mich nach meinen Essgewohnheiten fragte. Er wollte wissen, ob ich bestimmte Essgewohnheiten befolge, die normalerweise niemand aus meiner Kultur hätte. Sie könnten ein bestimmtes Essen vorschlagen, um es zuzubereiten.

    Einladung auf Arabisch

    Was wäre, wenn ich Freunde zu einem solchen Treffen oder Abendessen einladen würde? Ich würde 2–3 Tage vorher telefonisch anrufen und für irgendeinen Abend einen Termin ohne eindeutigen Start- und Endpunkt vereinbaren. Was würden sie wohl als chaotischen und ungeplanten Lebensstil bezeichnen?

    Und jetzt?

    Ich erwähnte bisher drei Unterschiede, die ganz oder teilweise bei der Planung eines gemeinsamen Treffens zwischen Menschen aus der deutschen Kultur und Menschen aus dem Nahen Osten auftreten könnten.

    Was ist mit dem Besuch selbst? Darüber möchte ich in einem nächsten Text sprechen.

    Und denkt immer daran: Seid ihr euch bewusst, urteilt nicht, seid ihr neugierig, fragt nach.

  • Gulasch bringt uns zusammen

    Im Januar 2016 war ich bei einer deutschen Familie eingeladen. Ich wünschte mir was typisches Deutsch zu essen. Meine Gastgeber haben mir mehrere Gerichte angeboten. Ich fühlte mich wie ein arabischer König. Auf der Liste standen mehrere Optionen: Currywurst, Sauerkraut, Rouladen, Nordseekrabben – ich wollte unbedingt etwas typisch deutsches essen. Mit meinem schlechten Deutsch konnte ich aber nicht verstehen, was Rouladen heißt. Ist es das gleiche Wort wie für den Rollladen vor dem Fenster?

    Alle deutschen Worte waren für mich am Anfang gleich. Es gab keinen Unterschied zwischen „Scheiße“ und „Schießen“, „backen“ und „packen“, „mehr“ und „Meer“. Für mich hörten sich alle Wörter gleich an. Ö und O waren noch eine andere komische Geschichte.

    Bestimmt waren die Rouladen aus Wildschwein. Die Deutschen lieben zwei Dinge im Leben: die Bürokratie und Schweinefleisch. Mein Gastgeber Otto lacht und sagt, Schweinefleisch ist lecker. Eva hat neugierig gefragt, ob ich das Rindfleisch esse. Die Antwort war: „Ja, klar.“

    Wie eine Fressmaschine

    Sie haben Gulasch für mich gekocht. Gulasch mit dunkler Soße. Als ich das Gericht gesehen habe, fühlte ich mich wie im siebten Himmel. Das Rindergulasch hat mir geschmeckt. Ich war total zufrieden und glücklich. Sie haben mir erklärt, dass sie es extra nach Muttis Rezept mit dunkler Soße für mich gekocht haben.

    Ich habe die Gulasch-Fleischstücke wie eine Fressmaschine ohne Pause gegessen. Eva hat mich gefragt, ob das Essen lecker ist. Ich habe ihre Frage ignoriert, weil ich völlig begeistert war. Ich wollte mich nur auf das Essen konzentrieren. Wir Araber sprechen wenig beim Essen, im Gegensatz zu den Deutschen: Die quatschen immer währenddessen. Ich will nur meinen großen Bauch füllen.

    Ich war der erste, der sein Gericht beendet hatte. Egal, ich nahm mir Nachschlag. Eva grinste und sagte: „Du bist wohl hungrig.“ Meine Antwort war da wohl: „JA!“ Das Brot war hart, aber ich wusste schon, dass die Deutschen starke Zähne haben und sie stolz auf das deutsche Brot sind. Außerdem kann das Brot schimmeln. Das ist mehr als die AfD kann!

    Für mich war das Deutsche Brot eine große Überraschung. In Syrien haben wir einen Name für Brot. Es heißt „Brot“! Hier in Deutschland gibt es vielfältige Brotarten wie Weizenbrot, Roggenbrot, Vollkornbrot, Toastbrot, Schrotbrot, Pumpernickel und Mehrkornbrot. Naja, dieses Land ist eben sehr kompliziert. Sie haben sogar Millionen Brotsorten. Da will ich doch fast zurück nach Syrien!

    Wer bei dieser Geschichte Hunger bekommen hat und sich ein leckeres Gulasch kochen möchte findet hier unser Rezept für Rotwein-Gulasch. Guten Appetit!

  • Ein Iraker in Deutschland: Ich habe ein Ziel

    Jaafar Al-hthal ist mein Name. Ich komme aus dem Irak und bin 51 Jahre alt. Seit 2015 lebe ich in Deutschland. Ich habe vier Kinder. Sie leben in Irak. Dort arbeiten und studieren sie. Aufgrund meines Schreibens gegen Nur Al-Maliki, und seine Religion  habe ich persönliche Schwierigkeiten bekommen und in Deutschland Asyl beantragt. Ich habe von 1990 bis 2003 als Mitarbeiter im Außenministerium gearbeitet. Ab 2003 habe ich als Journalist gearbeitet. Ich lerne jetzt die deutsche Sprache und mein Ziel ist es, für ein Medienhaus in Deutschland tätig zu werden.
    Seit dem 8. Januar mache ich ein Praktikum beim Flüchtling-Magazin, und ich habe dort sehr viel gelernt. Ich erfahre hier, wie man den Fokus auf ein reales Bild, belegt durch verlässliche Quellen, richten kann.  Ich erlebe hier die Freiheit, das Motiv ohne Druck auszuwählen. Das gibt Journalisten einen großen Freiraum für Kreativität und bestmögliche Recherche.

    Vieles ist möglich, wenn man einen starken Willen hat

    In der deutschen Presse zu arbeiten, ist keine einfache Sache. Aber vieles ist möglich, wenn man einen starken Willen hat und die notwendigen Voraussetzungen mitbringt, zumal die Flüchtlinge hier eine große Unterstützung erhalten, um ihre Ziele zu erreichen.
    Durch meine Kontakte zu Freunden im Irak versuche ich auch, die Idee des echten demokratischen Systems, das hier in Deutschland angewandt wird, zu vermitteln. Ich werbe für Aufbauarbeit und ermutige dazu, sich im Irak für eine Regierung in einem echten demokratischen Staat einzusetzen.
    Ich denke, dass Menschen sich auf der Grundlage eines demokratischen System entwickeln können, wenn Glauben und staatliche Verwaltung voneinander getrennt werden und  Individuen sich von der Idee einer heiligen Religion und eines absoluten Herrschers befreien.
    Einige Details der Lebensweise in Deutschland halte ich für sehr wichtig, z. B. die Ablehnung von Verwaltungskorruption und die Verpflichtung zur Arbeitszeit, da die Bürger die Pflicht haben, die vollen Rechte zu erhalten.

    Meine Erfahrungen können den Irakern beim Aufbau ihres Landes helfen

    Der große Aufschwung der letzten Jahre auf der Ebene der zwischenmenschlichen Kommunikation verbindet Menschen im kleinsten Dorf mit der ganzen Welt, so dass jeder daran arbeiten kann, sie vor Ort einzusetzen. Ich denke, das ist die Verantwortung und Pflicht derer, die in Deutschland Sicherheit gefunden haben und nun daran mitarbeiten können.
    Ich muss ein Ziel haben und mein Ziel ist es, die mir zur Verfügung stehende Freiheit nach dem Gesetz bestmöglich zu nutzen: Ich lebe in Deutschland und vermittle diese Erfahrung an eine große Zahl von Irakern und helfe ihnen beim Aufbau ihres Landes.
    Schließlich versuche ich, meine Erfahrung aus der Pressearbeit zu nutzen, die ich seit fünfzehn Jahren gesammelt habe,  um die ganze Wahrheit über das, was im Nahen Osten vor sich geht, zu vermitteln. Damit europäische Bürger im Allgemeinen und deutsche Bürger im Besonderen davon lesen können.
  • Freundschaft – ein Dialog. Folge 3

    Für mich auch, aber warum muss ich dich anlügen? In einer Freundschaft gibt es, glaube ich, keinen Grund für Lügen.

    Ja, wenn man sich wirklich versteht und kein Bild abgeben muss oder meint dies zu müssen. Wenn ich glaube, dass Du mich nur akzeptierst, wenn ich z.B. eine tolle Autorin bin, dann lüge ich vielleicht, damit du mich toll findest.

    Ehrlichkeit brauchen wir immer, zwischen allen Menschen, nicht nur zwischen Freunden.

    Das stimmt, aber Unehrlichkeit zwischen Freunden tut mehr weh als zwischen anderen Menschen, da das Vertrauen dann zerbrochen ist. Um das Vertrauen aufzubauen, habe ich Zeit in die Freundschaft investiert und Zeit ist eigentlich neben der Zuneigung, der Liebe das einzige, was wir wirklich zu geben haben. 

    Ich bin deiner Meinung.  Das hat damit zu tun, dass wir unter Freunden keine Vorurteile haben. Nur mit unseren Freunden können wir oder müssen wir sogar ehrlich sein. Mit andere Menschen müssen wir diplomatisch umgehen, indirekt sein, ausweichend reagieren oder wir müssen mit allen Menschen ehrlich umgehen und direkt sein. Freunde können wir teilhaben lassen an Freude und Trauer ohne das Gefühl zu haben, dass es nicht passend ist. Das hat auch etwas mit Vertrauen zu tun.

    Auch hier muss ich dich fragen, warum kann ich nicht alle Menschen teilhaben lassen an meiner Freude oder Trauer?

    Natürlich müssen wir auch mehr am Leben unserer Freunde oder Bekannten teilnehmen. Nicht nur das: Wir müssen versuchen, sie zu unterstützen und ihnen zu helfen, um sie aus ihrer Trauer rauszubekommen.

    Natürlich kann ich alle Menschen an meinem Leben teilhaben lassen. Aber ich und mein Leben sowie das Leben jedes Menschen sind wertvoll und ich muss Vertrauen haben, dass es nicht mit Füßen getreten wird. Das weiß ich aber nicht bei allen Menschen, d.h. ich bin vorsichtig, wem ich mich anvertraue.

    Vorurteil oder Selbstschutz?

    Die Frage ist, warum hast du Angst, wenn dein Leben öffentlich wird? Warum möchten wir nur in kleinen Kreisen leben? Das ist, was die sozialen Medien uns fragen. Ich weiß nicht, ob wir unsere Leben veröffentlichen müssen. Bei mir war es eine andere Situation, weil ich fremd war und andere Menschen interessierten sich für meine Geschichte, und sie haben mir viele Frage gestellt. Dann habe ich mich gefragt, warum kann ich nicht mein Leben öffentlichen machen.

    Es überfordert mich, wenn ich alle Menschen an meinem Leben teilhaben lasse. Ich bewundere es manchmal, wie Du über Social Media die Menschen an deinem Leben teilhaben lässt.

    Vielleicht waren sie interessiert, weil sie keine anderen Menschen haben. Oder sie haben gesehen, dass ich Unterstützung brauchte. Vielleicht interessierte es sie, was ich geschrieben habe, oder sie haben mich als Freund gesehen. Es kann aber auch einen ganz anderen Grund geben. Ich weiß es nicht genau.

    Was muss ein Freund machen, damit du ihn als Freund bezeichnest?

    Er muss mich nur als Freund haben wollen, nichts anderes. Wir sind Freunde, weil wir uns gut verstehen, nicht weil wir voneinander etwas brauchen. Freundschaft ist für unsere Seele, ohne einen bestimmten Grund.

    Ich meinte nicht “machen” im Sinne von tun, sondern was unterscheidet einen Freund von einem anderen Menschen in deinem Leben? Was genau ist es, was einen Freund zum Freund macht?

    Zeit zum Treffen, Unterstützen, Spaß gemeinsam haben, Diskutieren über alles. Sind das wirklich die Dinge, die eine Freundschaft ausmachen?

    Oder was darf er auf keinen Fall machen, weil sonst die Freundschaft zerbricht?

    Ich glaube, dass der Freund in der Freundschaft alles machen darf. Was ist es, warum du in einer Freundschaft ein Problem siehst? Wenn wir uns nach einiger Zeit als Freunde bezeichnen, dann glaube ich, gibt es keinen Grund, warum unsere Freundschaft zerbrechen sollte.
    Sonst ist die Frage, warum haben wir uns nicht wirklich verstanden? Warum haben wir einander nicht wirklich vertraut?  

    Ich glaube, dass die Freundschaft nur beendet wird, wenn es Missverständnisse oder Verrat gibt. Und natürlich ist die Zeit ganz wichtig, weil, wenn wir füreinander keine Zeit haben, dann sinkt unser Gefühl, unsere Motivation für unsere Freundschaft. Das ist sehr wichtig. Kann aber leider auch von beiden Seiten unterschiedlich empfunden werden.

    Wie kann ich einem Freund deutlich machen, dass er mir wichtig ist, auch wenn ich keine Zeit habe und momentan meine Prioritäten anders setze? Wie kann man ein unterschiedliches Empfinden/Gefühl ausgleichen? Doch nur wenn beide Seiten miteinander reden und sich aufeinander zu bewegen und es Verständnis gibt für den jeweils anderen.

    Das ist ganz richtig. Nur wenn wir miteinander reden, und zwar ehrlich miteinander reden, können wir einander verstehen.

    Immer wieder stoße ich auf den Schriftsteller Saint-Excupéry: „Ein Mensch unterscheidet sich von anderen Menschen, weil wir uns miteinander vertraut gemacht haben, wir haben Zeit füreinander investiert. Vertrauen braucht Zeit und die Bereitschaft den anderen in seiner Welt, seinen Gedanken, seinen Gefühlen zu verstehen, ohne zu urteilen. Es braucht auch Offenheit.“

    Richtig, aber er spricht allgemein, nicht nur über Freundschaft.

    Was meinst Du damit? Du meinst, er spricht allgemein über die Menschen? Ich glaube, er spricht sehr wohl über Freundschaft.

    Ich habe ein tiefes Gefühl zu einigen Menschen. Ist es Freundschaft, ist es Liebe?

    Die Frage ist, was bedeutet “tiefes Gefühl”?

    Das ist eine wichtige Frage, aber kann man Gefühle wirklich beschreiben, erklären?

    Nicht immer, aber man kann es immer versuchen. Mit deinen Versuchen kannst du alles erzählen.

    Okay, ich versuche es. Es ist ein sehr verbindendes Gefühl, das tief in meinem Herzen sitzt, da kann ich es richtig spüren. Es hat etwas zu tun mit der Nähe zu dem Menschen.

    Manchmal ist es weder Freundschaft noch Liebe: Zum Beispiel das tiefe Gefühl für unseren Vater (oder einen Menschen, der wie unser Vater ist), ein tiefes Gefühl für unsere Lehrer, weil sie uns viele Sachen mitgegeben haben, oder ein tiefes Gefühl für einen Autor, weil er sehr gut unsere Gefühle beschreiben kann.
    Warum haben wir dieses tiefe Gefühl für einige Menschen? Diese Frage kannst du stellen und dann sagen, ob es Freundschaft, Liebe oder etwas anderes ist. Nur du selbst kannst diese Frage beantworten und musst auch diese Fragen beantworten können: Was suche ich? Was finde ich bei ihm?

    Diese Fragen kann ich mir stellen, aber für das Gefühl, das ich meine, gibt es keine Beschreibung in meinen Worten. Es ist eine Seelenverwandtschaft, die es nur mit ganz wenigen Menschen gibt.  

    Vielleicht erinnerst du dich durch sie an eine wichtige oder tolle Sache. Vielleicht kannst du dich mit ihnen richtig finden oder eine neue tolle oder schlechte Sache an dir finden.

    Ja natürlich, weil wir bestimmte Gefühle haben und wir unterschiedlich sind, in dem was wir brauchen, was wir suchen und was wir finden. So fällt auch unsere Antwort auf diese Fragen unterschiedlich aus.
    Ich glaube auch, und das ist ein Aspekt von Vorurteilen, dass wir nur mit bestimmten Menschen Freundschaft schließen bzw. führen.

    Warum ist es ein Teil von Vorurteilen? Heißt das, Freundschaft wäre dann etwas, was über den Kopf, über den Verstand abläuft? Hat mein Herz Vorurteile? Oder ein sicheres Gefühl, was gut und richtig ist?

    Ich glaube ja. Freundschaft braucht immer deine Gedanken und deinen Geist. Und du kannst keine Freundschaft ohne Gedanken schließen. Gedanken verbunden mit Gefühl ist Freundschaft, nur Gefühl ohne Gedanken ist vielleicht Liebe.

    Oh, sehr spannend diese Sätze. Das Schließen von Freundschaften ist sicherlich ohne Gedanken nicht möglich. Aber davor ist ja schon etwas passiert, was ich auch weiter oben im Text schon mal angesprochen hatte.

    Was unterscheidet dann Freundschaft von Liebe?

    Vielleicht ist es Sex, aber die Menschen haben drei Sachen: Geist, Herz und ein Geschlechtsorgan. Und dann brauchen wir drei Worte: Freundschaft, Gefühl und Liebe.
    Unser Geist und vielleicht auch unser Herz brauchen Freundschaft und viele Freunde oder bestimmte Freunde, nicht nur einen.
    Aber unser Herz und unser Geschlechtsorgan brauchen Liebe und einen Geliebten.

    Interessant. Wo ist darin die Seele für dich? Wir sprechen immer von Körper, Geist und Seele. Die Seele bedeutet auch Herz, aber Rabea hat mir jetzt gesagt, dass die Seele nicht dasselbe ist wie das Herz, weil das Herz ein Gefühl ist. Meine Frage ist nun, was ist dann die Seele?

    Das Herz (oder ist es die Seele?) findet sich in allem wieder. Und alles ist miteinander verbunden. Je mehr Erfahrungen ich im Leben mache, desto klarer und faszinierender wird es, dass alles miteinander verbunden ist.

    Das ist auch richtig, aber die sexuellen Wünsche sind eine andere interessante Sache.

    Stammen sie nicht auch aus der Verbundenheit von allem, erleben wir in einem erfüllten, sexuellen Liebesleben nicht genau die Verbundenheit von allem: Körper, Geist und Seele. Ist dann nicht alles eins? Oder was meinst Du mit “interessante Sache”?

    Es gibt so viele Schattierungen von Beziehungen zu Menschen.

    Ich habe dich mit diesem Satz nicht ganz verstanden. Aber wenn du verschiedene Arten von Beziehungen meinst, ist es so, dass es so viele unterschiedliche Arten gibt, wie es unterschiedliche Menschen gibt?

    Es gibt Freundschaft mit Liebe oder ohne, es gibt Liebe ohne Gefühl oder mit bestimmtem Gefühl, wie z.B. zum Vater oder der Mutter und auch zu Freunden.

    Zwei Menschen können immer eine neue Art von Beziehung eingehen, sofern sie das möchten.

    (Für die Lesbarkeit des Dialogs verwenden wir nur die Bezeichnung “Freund”, meinen aber natürlich auch “Freundin”.)

    Freundschaft – ein Dialog. Folge 1
  • Freundschaft – ein Dialog. Folge 2

    Angst ist ja nicht grundsätzlich etwas Schlechtes. Ohne Angst kein Mut. Sie warnt uns vor etwas. Ich glaube, es ist vor allem die nicht verarbeitete Angst, die uns zum Problem wird. Ängste muss man sich anschauen, hinschauen, aber nur wenige Menschen tun das.

    Können wir Menschen uns nur am negativen Beispiel entwickeln? Könnten wir dann unseren Feind als Freund betrachten, indem wir sehen, dass er nur etwas in uns spiegelt, was wir an uns selbst nicht lieben? Oder das Bewusstsein haben, dass wir ein Vorurteil haben, da wir ihn nicht verstehen, da er uns fremd ist?

    Wir brauchen nicht nur unsere Freunde, sondern auch alle anderen Menschen. Für mich ist Kritik wie ein Rat und in meiner Kultur müssen wir immer anderen Menschen raten, sie beraten.  

    Vorurteil oder tatsächlich ein kultureller Aspekt? Was meinst du damit, wenn Du sagst, dass ihr in Deiner Kultur immer raten/beraten müsst?

    Das bedeutet, dass ich Kritik mag, wenn sie mit Respekt kommt.

    Jetzt sprichst Du von Dir, aber wie ist es in Deiner Kultur? Muss man bei Euch in einem Gespräch immer Lösungen auf die Fragen haben?

    Deine Frage ist auch Vorurteil. Ich kann nur über mich reden, über andere Syrer oder Flüchtlinge kann ich leider nicht immer reden.

    Kann eine Frage ein Vorurteil sein? Mit einer Frage möchte ich doch etwas verstehen, etwas begreifen, damit ich mit Wissen und nicht mit Vorurteilen die Welt betrachte. Es gibt ja kulturelle Verhaltensweisen, in die wir hineinwachsen, die uns in unserer Sozialisation geprägt haben, die volkstypisch sind. Daher nochmal die Frage: Zuhören allein reicht nicht?

    Vielleicht reicht es nicht immer, weil wir manchmal eine andere Meinung hören möchten und es das ist, was wir brauchen. Aber oft ist es so, dass derjenige, der redet, einfach Kritik übt, ohne, dass der andere darum gebeten hat. So viele Missverständnisse, Verletzungen passieren genau deswegen, weil wir nicht achtsam sind, sondern meinen, an dem anderen Kritik üben zu dürfen. Dabei sind es oft nur Spiegelungen des eigenen Mangels, Versagens, Fehlverhaltens.

    Muss man kritisieren?

    Bei mir ist Kritik etwas Schönes.  

    Ein Lob zählt nicht? Ist dies Deine Kultur oder ist es Dein Charakter?

    In jedem Fall mag ich Kritik, aber auch nicht immer. Aber wir mögen auch andere Menschen kritisieren und wir brauchen immer ein Lob.

    Jetzt sprichst Du einmal von Dir und dann von Wir. Was ist davon Deiner Meinung nach kulturell bedingt, was bist nur Du?

    Die Frage ist, wie wir raten/beraten. Das ist das Problem: raten um zu (be)raten oder um mich selbst dabei als weiser darzustellen und mein Gegenüber klein zu machen? Und von der anderen Seite ist die Frage, wie wir den Rat akzeptieren können und ob wir verstehen, warum unsere Freunde uns kritisiert haben.

    Für uns gibt es einen Unterschied zwischen Rat und Kritik. Wenn ich einen Rat gebe, dann akzeptiere ich trotzdem, was der andere getan hat. Wenn ich kritisiere, dann akzeptiere ich es nicht. Wie ist das bei Euch?

    Bei uns akzeptieren wir beides nicht, aber bei mir ist es so, dass ich die Kritik brauche, weil ich nicht allein meine Fehler oder meine Beule sehen kann, sondern ich brauche andere Menschen, die mir das sagen. Meine Freunde können mich unterstützen, aber meine Feinde können mich lehren, damit ich besser werden kann. Für mich ist es so, dass ich immer alle Menschen kritisieren muss, aber mehr noch meine Freunde, weil ich an meinen Freunden andere Seite sehe und versuche, andere Gedanken zu vermitteln. Ohne das können wir nicht leben.

    Glaubst Du, es gibt so etwas wie den richtigen Moment für Kritik?

    Auch zwischen Geschäftspartnern muss es Vertrauen geben. Bei der Freundschaft kommt eine Zugewandtheit zum Gegenüber als Mensch hinzu, eine Zuneigung, Sympathie.

    Ist es das, was den Unterschied macht oder gibt es andere Aspekte?

    Das ist richtig, aber es kann für beides gelten, für Freundschaft und für Geschäftspartner. Verständnis ist auch wichtig mit Zugewandtheit, die vom Verständnis her kommt. Ein Aspekt von Freundschaft ist für mich auch die Zeit. Zum einen fühlt sich die Zeit, die ich mit Freunden verbringe, positiv gefüllt an. Zum anderen kann auch Zeit vergehen, ohne dass man sich sieht und spricht und man fühlt sich trotzdem verbunden und kann jederzeit den Kontakt aufnehmen. Das ist auch ein Teil von Freundschaft. Freundschaft braucht eine Entscheidung, um mit einem Menschen als Freund zu leben.

    Spannend, wenn Du das so sagst. Triffst Du die Entscheidungen für Menschen bewusst?

    Ja, weil ich glaube, dass ich die Menschen brauche, aber natürlich nicht immer. Unter Menschen zu sein, ist fast immer schön, weil die Einsamkeit sehr schlecht ist. Ich treffe die Entscheidung für einen Menschen nicht wirklich bewusst, sondern es passiert. Es gibt eine Zuneigung, ein Verständnis, ein Gefühl.

    Aber was ist es genau, was da passiert, wenn ich in Beziehung gehe mit einem Menschen? In dem Moment oder auch mit der Zeit? Warum passiert es mit einem Menschen und mit dem anderen nicht?

    Die Menschen sind ganz unterschiedlich. Du kannst nicht mit allen Menschen gut sein, weil du nicht alle Menschen gut verstehen kannst und nicht alle Menschen können dich gut verstehen. Deswegen kannst Du nur mit einigen Menschen Freundschaft schließen. Ich suche eine Beziehung unter den Menschen, auf der Straße nicht zuhause. Man muss aktiv sein und dabei gibt es keinen Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe. 

    Ehrlichkeit spielt für mich eine Rolle.

    Für mich auch, aber warum muss ich dich anlügen? In Freundschaft gibt es, glaube ich, keinen Grund für Lügen.

    Ja, wenn man sich wirklich versteht und kein Bild abgeben muss oder meint dies zu müssen. Wenn ich glaube, dass Du mich nur akzeptierst, wenn ich z.B. eine tolle Autorin bin, dann lüge ich vielleicht, damit du mich toll findest.

    Ehrlichkeit brauchen wir immer, mit allen Menschen, nicht nur mit Freunden.

    Das stimmt, aber Unehrlichkeit zwischen Freunden tut mehr weh, als zwischen anderen Menschen, da das Vertrauen dann zerbrochen ist. Für Vertrauen habe ich mit dem Freund Zeit investiert, um uns vertraut zu machen. Und Zeit ist eigentlich neben der Zuneigung, Liebe das einzige, was wir wirklich zu geben haben.

    Ich bin deiner Meinung. Das hat damit zu tun, dass wir unter Freunden keine Vorurteil haben, dass wir nur mit unseren Freunden wirklich ehrlich sein können oder müssen. Mit anderen Menschen können wir mit Diplomatie, indirekt, ausweichend agieren. Oder wir können mit allen Menschen Ehrlichkeit üben und alles direkt sagen. Freunde können wir teilhaben lassen an Freude und Trauer, ohne das Gefühl zu haben, dass es nicht passend ist. Das hat auch etwas mit Vertrauen zutun.

    Auch hier muss ich dich fragen: Warum kann ich nicht alle Menschen teilhaben lassen an Freude und Trauer?

    Aber natürlich müssen wir auch mehr am Leben unserer Freunde oder Bekannten teilnehmen. Mehr noch: Wir müssen versuchen, sie zu unterstützen und ihnen zu helfen, aus ihrer Trauer herauszukommen. Natürlich kann ich alle Menschen an meinem Leben teilhaben lassen, aber ich und mein Leben wie das Leben eines jeden Menschen sind wertvoll. Ich muss Vertrauen haben, dass es nicht mit Füßen getreten wird. Das weiß ich aber nicht von vielen Menschen, d.h. ich bin vorsichtig, wem ich mich anvertraue.

    Vorurteil oder Selbstschutz?

    Die Frage, die sich dabei stellt: Warum hast du Angst, wenn dein Leben öffentlich wird? Warum möchten wir nur in kleinen Kreisen leben? Das ist, was die Sozialen Medien uns fragen. Ich weiß nicht, ob wir unsere Leben veröffentlichen müssen. Bei mir war es eine andere Situation, weil ich fremd war und andere Menschen interessierten sich für meine Geschichte. Sie haben mir viele Frage gestellt und dann habe ich mir gesagt: Warum kann ich nicht mein Leben öffentlichen machen?

    Es überfordert mich, wenn ich alle Menschen an meinem Leben teilhaben lasse. Ich bewundere es manchmal, wie Du über Social Media die Menschen an Deinem Leben teilhaben lässt.

    Vielleicht, weil sie keine anderen Menschen haben, vielleicht haben sie gesehen, dass ich Unterstützung brauchte, vielleicht interessierte es sie, was ich geschrieben habe. Oder sie haben mich als Freund gesehen. Vielleicht gibt es andere Gründe. Ich weiß es nicht genau.

    (Für die Lesbarkeit des Dialogs verwenden wir nur die Bezeichnung “Freund”, meinen aber natürlich auch “Freundin”)

    Freundschaft – ein Dialog. Folge 1
    Freundschaft – ein Dialog. Folge 3
    In Gespräche von Julia Vweymarn
  • Unwahrscheinliche Freundschaft – Gedanken zu einem Film

    Philippe, der rund um die Uhr auf die Hilfe angewiesen ist, sucht nach einem neuen Angestellten und begegnet so Driss, der gerade erst aus der Haft entlassen wurde. Der sucht eigentlich keinen Job, sondern nur eine Unterschrift als Bestätigung fürs Arbeitsamt möchte.

    Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft…

    Doch Philippe hat einen Narren an dem unbeschwert, humorvollen und manchmal etwas unbeholfenen jungen Mann gefressen. Er bietet ihm, zum Entsetzen der übrigen Mitarbeiter, die Stelle auf Probe an. So beginnt eine wunderbar verrückte und unwahrscheinliche Freundschaft zwischen zwei gänzlich unterschiedlichen Menschen, die sich gegenseitig das geben, was ihnen zuvor gefehlt hatte.

    Driss schafft es, dem einsamen und desillusionierten Philippe wieder Lebenswillen einzuhauchen. Er bringt ihn zum Lachen und zeigt ihm, dass man die Dinge manchmal auf die leichte Schulter nehmen muss. So arrangiert er sogar heimlich ein Treffen zwischen Philippe und seiner langjährigen Brieffreundin Éléonore.

    Driss bekommt im Gegenzug ein neues Zuhause, nachdem ihn seine Tante vor die Tür gesetzt hat, findet aber vor allem Halt und Struktur in seinem neuen Freund. Der kultivierte Phillip schafft es sogar ihn für Bach und Mozart zu begeistern. Driss fängt außerdem an zu malen und verkauft dank der Unterstützung von Philippe eins der Bilder gewinnbringend.

    Ein Film aus dem Leben, über das Leben und für das Leben

    Das Drehbuch ist keine fiktive Geschichte, sondern basiert auf der Autobiografie von Philippe Pozzo di Borgo, ein französischer Unternehmer, der seit einem Paraglidingunfall an den Rollstuhl gefesselt ist. Im wahren Leben verbindet ihn eine tiefe Freundschaft zu seinem ehemaligen algerischen Pfleger Abdel Yasmin Sellou, der in ähnlichen Verhältnissen wie Driss groß wurde. Er half Philippe, seine Depression zu überwinden, die durch den frühzeitigen Tod seiner Frau ausgelöst wurde.

    Der Film wurde europaweit zu einem Riesenerfolg. Was wäre wohl gewesen, wenn dieser Film nicht 2011, sondern 2015 oder 2016 erschienen wäre?
    Die Zuschauer hätten ihn vielleicht in einem anderen Kontext wahrgenommen. Er hätte viele wichtige Fragen aufwerfen und Denkanstöße liefern können. Denn eines ist sicher: Von diesem Film kann man unglaublich viel über Menschen, über das Leben und vor allem über die Bedeutung von Freundschaft lernen.

    Freunde ermutigen dazu, über den eigenen Schatten zu springen

    Man kann lernen, wie wichtig gerade die Menschen sind, die einen dazu ermutigen, über seinen eigenen Schatten zu springen und die einen zwingen, seine Komfortzone zu verlassen. An der Seite von Freunden scheint jede Herausforderung bekanntlich plötzlich nur halb so groß. Manche Freunde begleiten uns ein Leben lang, durch Höhen und durch Tiefen.

    Ein guter Freund ist jemand, auf den man sich auch in Krisensituationen verlassen kann, der für einen da ist, auch wenn man gerade nicht die beste Gesellschaft abgibt. Das zeichnet wahre Freundschaft aus. Es kommen immer wieder Momente, da wird die Freundschaft auf die Probe gestellt. Da weiß man sofort, ob es für die Ewigkeit bestimmt ist oder eben nicht – das spürt man einfach.

    Doch was früher für uns selbstverständlich war, sehen wir heute mit anderen Augen: Erst spät erkennen wir den Wert dieser langjährigen und tiefen Freundschaften und wissen sie oft erst im Alter wirklich zu schätzen. Bei den guten Freunden bedarf es in manchen Situationen nicht vieler Worte, denn sie kennen einen meist besser als man sich selbst. Sie geben Zuneigung, Geborgenheit und Selbstvertrauen. In manchen Situationen müssen sie aber auch brutal ehrlich sein und dürfen kein Blatt vor den Mund nehmen.

    Freunde sind die Familie, die man sich aussuchen kann

    Die neue Realität sieht so aus: Partner kommen und gehen. Jobs und Wohnorte werden immer öfter gewechselt. In der heutigen Schnelllebigkeit geben uns unsere Freunde Halt, seit Internet und Smartphone neuerdings auch über Kontinente und Zeitzonen hinweg.
    Freunde sind, wie man so schön sagt, die Familie, welche man sich aussuchen kann. Ein Großteil der Deutschen betrachten, einer Umfrage der Stiftung für Zukunftsfragen zufolge, ihren Freundeskreis als eine zweite Familie.

    Freundschaften sind im Notfall sogar in der Lage, zerrüttete Familienverbände zu ersetzen. Laut einer Studie leben Menschen mit Freunden erwiesenermaßen sogar länger als Menschen ohne Freunde. Soziale Kontakte stärken das Immunsystem, beschleunigen die Wundheilung, senken Herz-Kreislauf-Erkrankungen und beugen Depression vor. In Stresssituationen bewahren wir mit ihnen eher die Ruhe als ohne sie. Unsere Freunde sind also gut für unsere Gesundheit, da ist sich die Forschung einig.

    Intimität und Vertrauen sind wichtig

    Dabei geht es keineswegs darum, möglichst viele Freunde zu haben, sondern lieber wenige und dafür gute. Natürlich müssen wir mit unseren Freunden lachen können und man muss sich in ihrer Gegenwart wohlfühlen. Wir brauchen Intimität und Vertrauen zu ihnen. Unsere Aufmerksamkeit und Zuneigung muss von ihnen erwidert werden. Macht ein Freund gerade eine schwierige Phase durch, ist es selbstverständlich, dass ihm in dieser Zeit etwas mehr Aufmerksamkeit zuteil wird, als er in diesem Moment zurückgeben kann.

    Doch umgekehrt erwarten man in Krisenzeiten die gleiche aufopferungsvolle Hingabe. Mit den Freunden kann man ganz so sein, wie man eben ist, und muss keine Rolle spielen. Freundschaft ist, wenn man sich nach Monaten oder Jahren wieder sieht und es ist, als wäre man nie getrennt gewesen.

    Aufrichtigkeit und Loyalität gehören dazu

    Freundschaft bedeutet, ehrlich miteinander zu sein ohne sich zu verletzten. Mit Freundinnen und Freunden kann es gelingen, sich zu streiten und wieder zu vertragen. Aufrichtigkeit und Loyalität sind dabei wichtige Voraussetzungen. Zur Freundschaft gehört, die Macken des Anderen zu akzeptieren. Freunde können einen auf die Palme bringen. Freundschaft bedeutet immer da zu sein wenn man gebraucht wird – auch um 4 Uhr morgens. Freundschaft bedeutet einander bedingungslos zu lieben.

    Der Film „Ziemlich beste Freunde“ ist weder unrealistisch noch naiv. Natürlich werden beide zunächst mit einem fremden Lebensstil, einer neuen Denkweise konfrontiert, was Driss’ und Philippes Beziehung komplizierter, aber auch tiefgründiger werden lässt, da sie gezwungen sind, wirklich mit ihrem Gegenüber auseinandersetzen. Nur auf diese Weise erkennen wir uns selbst und wachsen an und mit dem Versuch, ein guter Freund zu sein. Dafür braucht es vor allem Gegensatz.

  • Freundschaft – ein Dialog. Folge 1

    Ein wichtiger Bestandteil von Freundschaft ist für mich das gegenseitige Vertrauen. Vertrauen, dass der andere mich meint, mich sieht, mich an manchen (Schwach-)Stellen (schmerzhaft) erkennt, mir Schönes wie Kritisches sagen kann. Ich weiß, dass er es ernst meint, aber nicht um mich klein zu machen, sondern um mich wachsen zu sehen. Und dies natürlich gegenseitig.

    Freundschaft, ist eine Beziehung zwischen zwei Menschen, die sich miteinander gut verstehen, die einander brauchen um mit einer/einem Freund an der Seite den richtigen Weg im Leben zu gehen.

    Freundschaft bedeutet, dass du deinen Freund gut verstehst. Verständnis ist ganz wichtig, aber das kommt, wie du geschrieben hast, mit der Zeit. Wir brauchen Zeit, nicht für Vertrauen, sondern um uns zu verstehen.

    Ja, Verständnis ist die Vorstufe für Vertrauen. Ohne Verständnis füreinander gibt es kein Vertrauen miteinander. Oder?

    Wir finden uns erst mit anderen Menschen. Wir lernen uns nur mit anderen Menschen gut kennen. Unsere Freunde ermöglichen es uns, uns selbst zu finden und zu verstehen.

    Manchmal haben wir Freunde, die das Gegenteil von uns sind und das ist toll, weil wir uns vervollständigen. Und manchmal haben wir Freunde, die sind wie wir und können uns ein Spiegel sein, durch den wir uns sehen können.

    Ja, das stimmt. Beides gibt es und ist wunderbar. Gibt es für Dich einen Unterschied, ob wir über einen Freund oder eine Freundin sprechen?

    Ich glaube, dass es nicht viele Unterschiede gibt, aber manchmal ist es komisch, weil du nicht genau weißt, ob die Beziehung nur als Freundschaft gesehen wird oder mehr und hier muss man sich ganz sicher sein mit welcher Art von Beziehung man selbst gehen möchte.

    Diese Schwierigkeit kenne ich auch. Beziehungen zwischen Menschen machen uns sehr stark, aber auch sehr schwach und verletzlich. Das heißt, wenn ich zugebe, dass ich mehr Gefühl als nur Freundschaft habe für den anderen, dann habe ich Angst vor Zurückweisung.

    In deinem Kulturkreis sind, soweit ich weiß, Freundschaften zwischen Mann und Frau eher selten (oder unmöglich)?

    Bei uns gibt es auch Kontakt zwischen Männer und Frauen aber nicht viel, mehr als Kollegen in der Schule, Uni oder auch bei der Arbeit. Ich bin unsicher, ob die Beziehung Freundschaft war oder nur Kollegen. In Syrien habe ich nicht viel erlebt. Denn unsere Kollegen machen nach der Schule oder nach der Uni andere Sachen und danach habe ich keinen Kontakt mehr mit ihnen gehabt. Deswegen glaube ich, dass das nur Kollegen waren, nicht mehr.

    Wenn es Freundschaften zwischen Mann und Frau gibt, können sie überhaupt gelebt werden? Wie erlebst du das jetzt für dich hier in Europa/Deutschland? Du hast viele Kontakte gewonnen, vielleicht sogar mehr deutsche Frauen als deutsche Männer (?). War es leicht für dich, damit umzugehen?

    Das ist auch ein bisschen komisch, weil viele meiner Freunde  über Facebook kommen und an unterschiedlichen Orten in Deutschland wohnen. Wir haben uns bis jetzt nicht getroffen, aber wir möchten Freundschaft schließen und wir versuchen, das zu schaffen. Andere Freundinnen gibt es, die mich unterstützt haben. Hier kann ich auch nicht sagen, dass wir Freundschaft schließen, sondern es ist wie eine Beziehung zwischen Mutter und ihren Kindern.

    Dann gibt es auch andere Freundinnen, die sich mit mir getroffen haben und wir haben über unterschiedliche Thema diskutiert und wir haben Spaß mit unseren Diskussionen. Dann würde ich sagen, dass es Freundschaft ist. Vielleicht ist es bei mir so, dass Freundschaft mit Diskutieren entsteht, aber auch mit Spaß oder der Freude an der Diskussion, obwohl es verschiedene Ansichten gibt. Es macht Spaß, andere Meinungen zu hören.

    Wie ist das mit dem Vertrauen zwischen den Menschen?

    Vertrauen ist ganz toll und natürlich ist es das, was wir immer brauchen. Aber meine Frage ist: Warum haben wir für andere Menschen kein Vertrauen? Warum können wir anderen Menschen nicht vertrauen?

    Leider haben wir für andere Menschen kein Vertrauen, weil wir Vorurteile haben, weil wir glauben, dass nur wenige gute Menschen auf der Welt leben und leider das Bild von den Menschen, die schlechtes gemacht haben, in unserer Erinnerung, in unserer Wahrnehmung, in unserer Vorstellung bleibt. Obwohl es im Verhältnis nur wenige sind auf der Welt, aber ihre Stimmen sind ganz laut und die Stimmen der anderen Menschen sind ganz leise.

    Warum ist das so?

    Weil wir die schlechten Beispiel mit Angst betrachten und unsere Angst uns unterdrückt. Wir erinnern uns mehr an die schlechten Dinge, weil die Angst unser Erleben  bestimmt und wir glauben, dass es mehr Schlechtes als Gutes gibt. Die schönen Dinge passieren seltener. Oder das damit verbundene Gefühl ist nicht so stark, wie die Angst und bleibt daher nicht so lange in Erinnerung.

    Warum hören wir mehr die schlechten Stimmen und weniger die guten?

    Weil die Menschen, die Schlechtes gemacht haben, ihre Stimme gegen andere Menschen erheben. Die Menschen, die Gutes gemacht haben, glauben, dass sie nicht schreien müssen und erheben ihre Stimme nicht gegen die anderen Menschen. So ist da nur eine laute Stimme und wir hören dieser Stimme zu, aber mit Angst.

    Ist es wirklich nur die Lautstärke der Stimme? Warum gibt es keine Zeitung mit positiven Nachrichten, was alles gutes passiert in der Welt?

    Es ist die Aufgabe der Medien, wie ich das verstehe.  Die Medien berichten über das was in der Gesellschaft passiert ist. Manchmal sind die Menschen, die Schlechtes machen, die die mehr machen als andere Menschen.

    Aber, sofern ich Dich richtig verstehe, stimmt das doch nicht. Jeden Tag passiert soviel Gutes, mehr als Schlechtes.

    Ja, das ist genau das, was das Flüchtling-Magazin versucht zu machen: über Gutes zu berichten. Aber das ist nicht einfach. Zum Beispiel: Die deutschen Ehrenamtlichen, die viel gemacht haben und die Integration geschafft haben, sind stolz auf die deutsche Willkommenskultur. Ich glaube, dass sie viel mehr sind als die Menschen, die gegen Ausländer sind, aber wir haben als Menschen alles vergessen und wir gucken und hören was die Menschen, die gegen Ausländer sind, machen. Wir glauben, dass die deutsche Willkommenskultur nicht mehr vorhanden ist.

    (Für die Lesbarkeit des Dialogs verwenden wir nur die Bezeichnung “Freund”, meinen aber natürlich auch “Freundin”)

    Freundschaft – ein Dialog. Folge 2
  • Können aus Fremden Freunde werden?

    „Zuerst war es Deutschunterricht und jetzt ist es Freundschaft“ – so Nour, seit Januar 2017 in einem Swaf Tandem. Swaf schafft Begegnungen zwischen Menschen, die sich in ihrem Alltag nur selten begegnen: zwischen Geflüchteten und Deutschen. Durch eine persönliche Vermittlung werden Tandems zusammengestellt auf Augenhöhe. Die individuellen Interessen und Bedarfe der Tandempartner werden dabei berücksichtigt. Bundesweit konnten in den letzten 2 Jahren über 3000 Tandems zusammengestellt werden und eine sehr aktive Community ist entstanden. Vor allem aber ist auch mancher Begegnung eine Freundschaft entstanden, so wie z.B. zwischen Lynn aus Hamburg und Anas aus Syrien.

    Lynn über Anas: „Mich beeindruckt seine ruhige Art und sein positives Wesen“

    Die beiden sind seit etwas über einem Jahr Tandempartner. Swaf hat die beiden zusammengebracht. Lynn und Anas sind bzw. waren im Marketing tätig, sie haben ähnliche Interessen und sind im selben Alter. In einem Gespräch erzählen sie über ihre Erfahrungen:

    Hattet ihr Bedenken vor dem ersten Treffen?

    Anas: Ja, natürlich. Ich habe mich gefragt, wie sieht sie aus? Ist sie freundlich? Ist sie jemand, mit dem man gut sprechen kann? Sie hat dann gleich am ersten Tag geschrieben und nach einem Treffen gefragt.

    Lynn: Nein, Bedenken hatte ich eigentlich nicht. Ich war sehr gespannt auf Anas und ob wir klar kommen würden. Und was er mir wohl erzählen würde. Das lief aber dann eigentlich alles von allein, als wir uns das erste Mal trafen.

    Welches war Euer schönstes Erlebnis?

    Anas: Jedes Treffen ist besonders. Ein einzelnes kann ich gar nicht benennen.

    Lynn: Mein bislang schönstes Treffen mit Anas war das vorletzte Mal: Da sind wir zusammen in Altona bei IKEA gewesen. Nachdem wir dort kurz einkaufen waren, sind wir noch zu einer Bäckerei gegenüber und haben uns bei Kaffee und Tee weiter unterhalten. Am Ende meinte Anas, dass er heute sehr glücklich sei, denn er habe alles verstanden, was ich auf Deutsch gesagt habe. Und ich habe an unserem ganzen Treffen Deutsch geredet. Dass er das gesagt hat, fand ich sehr besonders und toll. Ich habe mich mit ihm gefreut. Ich habe davon auch Freunden erzählt.

    Anas über Lynn: „Ich habe viel über die deutsche Kultur und die Menschen gelernt“

    Was lernt ihr voneinander?

    Anas: Ich habe viel über die deutsche Kultur und die Menschen gelernt. Sie hat mir sehr geholfen und mich unterstützt.

    Lynn: Mich beeindruckt seine ruhige Art und sein positives Wesen. Er hat so viel mehr als ich erlebt und strahlt dennoch Ruhe und Ausgeglichenheit aus meiner Sicht aus. Das finde ich sehr bemerkenswert und prägt mich jedes Mal, wenn ich ihn treffe. Er hat mir auch schon versucht, ein bisschen Arabisch beizubringen, aber ich bin da einfach nicht so talentiert 🙂 Anas lernt wesentlich schneller Deutsch 🙂

    Bezeichnet ihr euch beide als Freunde?

    Anas: Ja, ich finde sie sehr, sehr nett.

    Lynn: Ganz klar: ja.

    Hat Start with a friend geholfen, Ängste auf beiden Seiten abzubauen?

    Beide: Die Stammtische von Start with a friend haben uns geholfen, uns noch näher kennenzulernen. Leider haben wir nicht mehr so viel Zeit, zu den Stammtischen zu gehen, die Uhrzeiten und Tage passen nicht so gut für uns beide. Aber wir treffen uns privat ungefähr ein Mal in der Woche, das kriegen wir auch ohne Stammtisch hin 😉

    Hat es erleichtert, mit der anderen Kultur zurecht zu kommen?

    Beide: Ja, in der Gemeinschaft des Stammtisches lernt man viel von den anderen. Wie ist der Humor? Was wird erzählt? Wie wird mit einer Situation umgegangen? Bei unseren privaten Treffen merken wir, dass wir auch viele Gemeinsamkeiten haben und das Weihnachten zum Beispiel gar nicht so anders gefeiert wird – ob nun in Syrien oder Deutschland.

    Mit Lynn Steinmetz hat diesen Artikel geschrieben

  • Freundschaft in Zeiten der Migration

    Die anderen können eine Freundschaft auch mit jemandem führen, den sie durch Zufall kennengelernt haben, dem sie ab und zu auf Facebook ein „like“ schenken und höchstens alle zwei Jahre sehen.

    „Sobald man sich auf Augenhöhe begegnet, ist für mich eine Freundschaft geboren“

    Für mich ist es egal, wie oft ich jemanden zu Gesicht bekomme oder wie lange ich jemanden kenne. In meinen Augen basiert eine Freundschaft vor allem auf Werten wie Sympathie, Verständnis, Toleranz, Akzeptanz und Loyalität. Sobald man sich auf Augenhöhe und mit diesem gemeinsamen Wertesystem begegnet, ist für mich eine Freundschaft geboren.
    Ich persönlich führe verschiedene Arten von Freundschaften. Eine ganz neue Art ist dazugekommen, als ich 2015 nach einigen Jahren zurück nach Deutschland gezogen bin. Mein letztes Studienjahr führte mich zu dieser Zeit nach Hamburg.

    Von der Masterarbeit zur Verbindung fürs Leben?!

    Meine Heimat liegt etwa 800 km entfernt. Genau zur gleichen Zeit kamen zahlreiche andere junge Leute in die Stadt. Deren Heimat liegt allerdings ein paar Tausend Kilometer weg.
    Für meine Masterarbeit suchte ich damals für Interviews vor allem SyrerInnen. Wie viel Hilfsbereitschaft ich da erfahren habe, ist wirklich unglaublich. Egal, wen ich in den so genannten „Flüchtlingscafés“ angesprochen habe – alle waren dazu bereit, meine Fragen zu beantworten und jeder Einzelne nahm sich viel Zeit dafür. Aus diesen Gesprächen sind unter anderem richtige Freundschaften entstanden.

    Es passierte dann so viel Denkwürdiges, dass ich natürlich nicht alles in diesen Text packen kann. Als Erstes fällt mir ein, wie belustigt Mahmoud war, auf meiner Geburtstagsfeier einen Deutschen zu treffen, der die schlimmsten syrischen Slangwörter kannte. Oder wie Hameedi extra für mich kochte und wir danach Shisha geraucht und zu syrischer Musik getanzt haben.

    Mit Aman war ich unter anderem im Museum für Kunst und Gewerbe – sein erster Museumsbesuch überhaupt. Wir beide wurden sogar mal vom Spiegel-Magazin interviewt. Da ging es vor allem um ehrenamtliches Engagement (bei mir) und Deutschlernen (bei ihm). Diese Stichwörter habe ich allerdings nie mit unserer Freundschaft in Verbindung gebracht.

    Veränderungen und Unterschiede stellen kein Hindernis dar

    Was ich außerdem aus dieser Zeit mitgenommen habe, ist die Erkenntnis, dass Freundschaften mit Menschen möglich sind, die nicht nur komplett anders aufgewachsen sind, sondern auch etwas durchgemacht haben, das ich mir nicht mal im Entferntesten vorstellen kann.
    Nicht zuletzt sind diese Freundschaften also etwas Besonderes, weil sie von meiner Seite durchaus mit Bewunderung gespickt sind. Es geht also nicht zwingend darum, von vornherein möglichst viel mit dem Freund oder der Freundin gemeinsam zu haben, sondern trotz der Unterschiede befreundet zu sein und gut miteinander auszukommen.

    Das Leben ist dynamisch. Ich wohne inzwischen woanders, arbeite und führe ein anderes Leben als zu Studienzeiten. Ebenso hat sich das Leben meiner FreundInnen verändert: Auch von ihnen sind nicht mehr alle in der Hansestadt. Zum Glück haben die meisten inzwischen weiter studieren oder beruflich Fuß fassen können.

    Letztendlich bin ich unglaublich froh und dankbar, dass ich diese tollen Menschen kennenlernen durfte, wir uns gegenseitig geholfen haben, wenn es nötig war und so viel voneinander lernen konnten.
    Und auch wenn es im Moment schwieriger ist, sich persönlich auszutauschen, werden wir Freunde bleiben. Vielleicht treffen wir uns ja erst in zwei Jahren wieder? Für unsere Freundschaft wird das keinen Unterschied machen.

  • Geschichte einer Patenschaft

    Menschen, die ehrlich gemeinte Hilfe falsch verstehen wollen, das Andere. Doch lest selbst – ein ehrlicher und authentischer Beitrag, der zeigt, wie sehr beide Seiten gefordert sind, aufeinander zu zugehen:

    … und plötzlich habe ich zwei syrische Brüder!

    Ich bin Carina und arbeitete vor zwei Jahren noch in einer kleinen Amtsverwaltung. Mein Job war es, neu angekommenen Flüchtlingen eine Erstunterkunft zur Verfügung zu stellen. Und mein deutscher Anspruch und Geschmack schienen sich so gar nicht mit den Erwartungen der zugewiesenen Personen aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak zu decken.

    Daher suchte ich jemanden, der mir erklärte, worauf unsere arabischen Neubürger bei ihren Unterkünften Wert legen, aber auch, um Erklärungen ihrer mir fremden Traditionen und Bräuche (Ramadan, Shisha, auf dem Fußboden essen, Schuhe in der Wohnung ausziehen) zu erfahren. Im Gegenzug wollte ich dafür bei Behördengängen, Arzt-, Bank- und Krankenkassenbesuchen unterstützen und bei den vielen Formularen helfen – ich wollte eine Patenschaft übernehmen !

    Also sprach ich mit meinem damaligen Kollegen Dirk in unserem gemeinsamen Büro im Amt über meinen Plan der Patenschaft, und während unserer Diskussion tauchten Maher und Bassel, zwei Brüder aus Syrien, auf.

    Erste Begegnung und kein leichter Anfang …

    Maher und ich konnten uns auf Englisch verständigen. Die Konversation mit Bassel erfolgte über Maher. Anfänglich waren die beiden so gar nicht begeistert von meinem Angebot einer Patenschaft. Dennoch verbrachten wir in den folgenden Wochen viel Zeit miteinander. Der Alltag von Bassel und Maher war mir sehr fremd:

    Außer Einkaufen und Fernsehen, Handy, Internet und gelegentlichen Besuchen von und bei Landsmännern unternahmen sie nichts. Essen vom Fußboden auf Zeitungspapier und meist auch ohne Besteck, das förmliche Händeschütteln beim Begrüßen und Verabschieden, die stets eingehaltenen Gebetszeiten und die
    kritische Ablehnung deutschem Essen wie Brötchen, Krabben oder Vollkornbrot gegenüber … all das war neu für mich.

    Unser Anfang war nicht leicht, denn es gab viele Missverständnisse (nicht nur wegen der Sprache!) und dazu kamen mir bis dahin völlig unbekannte Anfeindungen: Es gab Leute, die meinten, ich würde Maher und Bassel bei der Wohnungsvergabe bevorzugen. Andere tuschelten, ich hätte eine Affäre mit einem der Brüder oder sogar mit beiden. Selbst von Freunden und Familie gab es Kritik, ich würde zuviel Zeit mit „den Arabern“ verbringen und meinen guten Ruf riskieren. Ein Kollege denunzierte mich bei den Vorgesetzten im Amt, so dass ich zum Gespräch gebeten wurde.

    Das empfand ich als unfair und ungerecht. Vielleicht hätte ich da schon mit Bassel und
    Maher sprechen sollen, aber zum Einen gab es das Kommunikationsproblem und zum Anderen wollte ich sie damit nicht belasten.

    Krisen-Bewältigung gegen äußere Widerstände

    Es kam noch härter, denn Anfang August berichtete Maher mir ganz nebenbei, dass er und Bassel in ein anderes Bundesland in die Nähe der dort lebenden Cousins umziehen wollten. Ich war einfach nur sauer und enttäuscht, da ich weder mir, meinem Arbeitgeber noch Freunden und Familie gegenüber einer Schuld bewusst war. Und wozu das alles? Damit Bassel und Maher mich in all diesem Chaos der Patenschaft allein sitzen lassen?!

    Zum Glück hatte ich Urlaub und konnte mich von alldem distanzieren. Nach drei Wochen rief Maher mich an. Es folgte ein sehr langes Gespräch und ich erfuhr, dass auch er und Bassel Ärger hatten, da einige Landleute meinten, sich über die beiden bei mir Vorteile bezüglich Wohnungszuweisung zu beschaffen. Und auch ihnen wurden kritische Fragen zu unserem „Verhältnis“ gestellt.

    Gemeinsam gestärkt als Freunde weiterkämpfen

    Ich glaube, das war der Zeitpunkt, an dem sich die Patenschaft in eine Freundschaft änderte. Da Bassel und Maher aufgrund der Wohnsitzauflage nicht in ein anderes Bundesland umziehen durften, war ihr Wunsch, in die Kreisstadt umzuziehen. Und so starteten wir gemeinsam die nicht ganz einfache Wohnungssuche. Das kostete viel Zeit, die aber unseren Zusammenhalt förderte.
    Den Umzug in die Kreisstadt erlebte ich wie einen Schlussstrich unter das bisher Erlebte. Oder wie einen Neuanfang. Während des Einrichtens rief Maher aus dem Nebenzimmer „Schwester Carina!“ und brachte es damit auf den Punkt. Und das macht es auch bis heute soviel einfacher, Leuten zu erklären, in welchem „Verhältnis“ wir zueinander stehen: Wir sind Geschwister!

    Der Herzens-Bruder anderer Eltern

    Früher habe ich mir immer einen jüngeren Bruder gewünscht: Er sollte so verrückt und spontan sein wie ich (und damit ganz anders, als meine drei leiblichen, älteren Brüder). Bassel kommt meinem Wunschdenken erstaunlich nahe: Er hat manchmal die verrücktesten Ideen und Einfälle, ist oftmals uneinsichtig und stur, und auch anstrengend, aber sehr lieb, empathisch und fürsorglich. Und ich liebe sein Temperament beim Fußball.
    Maher ist ganz anders: Er akzeptiert mich nicht so bedingungslos wie Bassel und ist viel schwerer zu überzeugen. Ich spüre manchmal immer noch seine Zweifel und sein Misstrauen. Erfolge sind nie mein Verdienst, sondern Zufall oder der Wille Allahs.

    Vertrauen – die Ebene für gegenseitiges Verständnis

    Ich musste lernen, wieder zu vertrauen. Denn ich verstand, dass insbesondere Maher mir nur vertrauen würde, wenn ich ihm vertraue. Er fing an, viel von zu Hause zu erzählen, seinen Eltern, den Geschwistern und seinem Leben in Syrien. Das war und ist immer so voller Liebe und Respekt. Maher hat mich gelehrt, zu verstehen. Zu verstehen, dass die Vergangenheit Spuren hinterlässt, die Gegenwart hart und die Zukunft ungewiss ist. Da war mir klar: Ich helfe Bassel und Maher, eine Zukunft in Deutschland aufzubauen.

    Tagebuch einer Patenschaft. Darum!

    Darum führte ich etliche Telefonate mit dem BAMF, da Maher seine Anerkennung als Flüchtling bereits im April erhalten hatte und Bassel wochenlang ergebnislos auf seine Anerkennung wartete. Tatsächlich wurde er zeitgleich mit Maher anerkannt, man hatte jedoch vergessen, dieses schriftlich mitzuteilen. Darum vermittelte ich Maher in einen Minijob und Bassel in einen ehrenamtlich organisierten Deutschkurs.
    Darum wollte ich eine schöne Wohnung für sie finden.

    Darum durfte Maher als einziger mein Auto fahren und bekam einen Schlüssel zu meinem Haus.
    Darum unterstützte ich sie, einen Platz im Integrationskurs im neuen Wohnort zu bekommen.
    Darum suchen wir gemeinsam eine Lösung, wie die Familie wieder zusammen geführt werden kann.

    Es war nie mein Wunsch, mit arabischen Männern befreundet zu sein – vielleicht weil ich so erzogen wurde, vielleicht weil ich die vielen Vorurteile meiner Landsleute kenne. Und als ich mich für eine Patenschaft angeboten habe, war mir klar, dass diese für eine gewisse Zeit dauert und dann vorbei ist. Ich hätte nie gedacht, dass ich Maher und Bassel so schnell ins Herz schließen würde.

    Das Glück im Rückblick

    Wenn ich darüber nachdenke, bin ich erstaunt – und glücklich, denn ich bin so stolz auf meine syrischen Brüder:

    Bassel, der anfänglich gar nicht Deutsch lernen wollte, spricht so gut und wird deswegen – gerade von älteren Menschen – angesprochen und gelobt, bei der Post oder im Wartezimmer beim Arzt. Seitdem kürzlich Bassels Frau und der gemeinsame kleine Sohn aus Syrien nach Deutschland einreisen durften, wird er selbständiger und hat für seinen Sohn einen Platz im „Miniclub“ gefunden, denn für einen Kitaplatz gibt es eine lange Warteliste.
    Mit seinen Fortschritten überrascht Bassel mich immer wieder auf’s Neue – und stolzer kann eine große Schwester nicht auf den kleinen Bruder sein wie ich es bin.

    Maher kann inzwischen problemlos Formulare ausfüllen, telefoniert auf Deutsch, er hat die Prüfung für die Fahrerlaubnis bestanden und wird in Kürze seine B2-Prüfung machen. Wir diskutieren sehr viel und können dabei auch unsere verschiedenen Standpunkte akzeptieren, ohne dass einer von uns Recht haben muss oder den anderen überzeugen will. Er ist sehr geduldig mit mir, wenn ich ihn wieder einmal Tausende von Fragen über Syrien, Moscheen, den Islam und den Koran stelle. Er macht mich wahnsinnig mit seinem ewigen „Inshallah“ – der Antwort auf alles, die für mich nichtssagend ist und bleibt.

    Manchmal ist er der große-kleine Bruder aus Syrien und auch ein Freund aber … Maher ist so viel mehr für mich. Ich hab den passenden Begriff oder das richtige Wort noch nicht gefunden – vielleicht, weil er so einzigartig für mich ist und ich ihm von Herzen dankbar bin, dass er mich gelehrt hat, wieder zu vertrauen und, dass er mein Leben auf so vielfältige Weise immer wieder neu bereichert.

    Akzeptanz und Bereicherung im Anderssein

    Das Geheimnis von uns? Wir können uns akzeptieren trotzdem wir so verschieden sind (Alter, Nation, Geschlecht, Kultur, Tradition). Wir müssen nicht gleich sein, denn gerade weil wir so unterschiedlich sind, wird unsere Geschwister-Freundschaft bereichert. Hätten die beiden je Weihnachten mit Baum, Geschenken und typisch deutschem Essen gefeiert oder Silvester mit Fondue? Oder hätten sich die beiden die Queen Mary 2 in Hamburg
    angesehen oder den Reichstag in Berlin? Wären sie nach Sylt gefahren oder in Hagenbecks Tierpark?

    Und ich? Hätte ich jemals Schafskopf probiert, eine Shisha-Messe oder Moscheen besucht und arabische Musik gehört oder Ramadan mitgemacht?
    Bassel scherzt manchmal, dass meine Integration gut funktioniert.
    Unsere Geschwister-Freundschaft ist langsam gewachsen, sehr verbindlich und stark, ehrlich und vertrauensvoll.
    Sie war nicht geplant, ist zufällig passiert und ist ein großes Glück für uns drei.

    Mit  Maher Alaboud und Bassel Alaboud hat diesen Artikel geschrieben.

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