Schlagwort: Freiheit

  • Jin, Jiyan, Azadî: Revolution im Iran – ein Faktenüberblick

    16. September 2022

    Tod von Jina Mahsa Amini, der die Revolution im Iran auslöste. Sie wurde am 13.9. von der Sittenpolizei festgenommen, weil sie ihren Hijab nicht richtig getragen haben soll. Wenige Tage später wird sie in Polizeigewahrsam getötet.

    Jin, Jiyan, Azadî

    “Frau. Leben. Freiheit.” Der Slogan stammt aus der kurdischen Arbeiterpartei und wird nun von den Protestierenden im Iran genutzt.

    19.000

    Mehr als 19.000 Demonstrierende wurden bei der Revolution im Iran bisher verhaftet. Gegen 13 von ihnen wurden Todesurteile verhängt, von denen 2 bereits durchgeführt wurden.

    500

    Nach Schätzungen von Menschenrechtler*innen wurden bisher mind. 500 Menschen bei den Protesten getötet.

    Gascht-e Erschad

    Die Sittenpolizei ist eine islamische Religionspolizei, die seit 2005 die geltende Kleiderordnung im Iran kontrolliert. In ihrem Gewahrsam wurde Jina Mahsa Amini getötet. Die Meldung aus dem Iran, die Sittenpolizei sei inzwischen abgeschafft worden, sei ein Ablenkungsmanöver, sagen Expert*innen.

    Ebrahim Raisi

    Die Proteste im Iran richten sich nicht ausschließlich gegen den Kopftuchzwang, sondern gegen die Regierung von Präsident Ebrahim Raisolsadati, der als ultrakonservativ gilt, und gegen das theokratische Regime.

    Mehr zu unserem Fokusthema Jin, Jiyan, Azadî – Revolution im Iran erfahrt ihr in der aktuellen Folge vom multivitamin-Podcast und in unserem Online-Magazin.

  • Hijab muss kein Hindernis sein – ein Zeichen für Selbstbewusstsein

    Ich bin der Meinung, dass jede Frau das Recht hat, frei zu leben und die Kleidung zu tragen, in der sie sich wohl fühlt. So gibt es Muslimas, die ein Kopftuch tragen, und Muslimas, die ihre Haare lieber offen tragen. Was mich betrifft: Ich trage meinen Hijab mit voller Überzeugung und Freiheit.

    Kleiderordnungen gibt es in vielen Fällen

    Kleiderordnungen, die bestimmte Kleidungsstile vorschreiben, gibt es für viele verschiedene Anlässe. Zum Beispiel gibt es Berufe mit Kleiderordnungen, gegen die niemand Einwände erhebt. Sogar die britische Königsfamilie stellt Kleidungsanforderungen an alle ihre Mitglieder. All diesen Vorgaben widerspricht niemand.

    Wenn es allerdings um eine Religion geht, die auch bestimmte Bedingungen für die Kleidung von Frauen festlegt, einschließlich der Pflicht zum Tragen des Schleiers, lehnen viele Menschen diese Regeln ab. Sie denken sofort an Unterdrückung und Unfreiheit. Als Muslima habe ich diese Religion jedoch angenommen und ich werde alle ihre Bedingungen mit voller Überzeugung und offenen Armen akzeptieren.

    Wie ich aufgewachsen bin

    Ich bin eine selbstbewusste syrische Frau, die in einer konservativen kurdischen Familie in einer kurdischen Gemeinde geboren und aufgewachsen ist. Als ich jung war, sah ich, wie meine älteren Schwestern den Schleier mit voller Überzeugung und ohne Druck trugen. Der Schleier hinderte sie nicht daran, das Studium abzuschließen und einer Arbeit nachzugehen. Also wusste ich, dass ich den Schleier eines Tages so tragen würde wie sie mit all meiner Zufriedenheit und meinem Glück. Meine Eltern lehrten uns, dass der Hijab eine Auszeichnung für uns ist und niemals ein Hindernis für die Erreichung unserer Ziele sein wird.

    Als ich fünfzehn Jahre alt war, kam der Moment, auf den ich gewartet hatte. Ich zog meinen Hijab an und war stolz auf mich. Ich absolvierte mein Abitur und fühlte in keinem Moment, dass mein Hijab mich daran hindern könnte, meine Ziele zu verwirklichen. Dazu kommt, dass die syrische Gesellschaft, in der ich damals lebte, nicht so ist, wie in den deutschen Medien berichtet wird. In den Medien hier wird das Tragen eines Hijabs als Symbol für die „Unterdrückung der Frau“ dargestellt. Dadurch wird ein schlechter Eindruck des Schleiers erweckt und viele Menschen glauben, dass eine verschleierte Frau nicht weltoffen ist.

    Ich bin seit viereinhalb Jahren in Deutschland und studiere Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaft. Ich habe bereits viele Praktika in verschiedenen sozialen Einrichtungen gemacht und viele Deutsche kennengelernt. Als ich in Deutschland ankam, rieten mir jedoch viele Leute, den Hijab nicht zu tragen. Sie warnten mich vor seinen Nachteilen. Dass der Schleier in Deutschland oft Vorurteile provoziert, kann ich bestätigen.

    Vorurteile über den Hijab

    Meiner Erfahrung nach wird dem Hijab häufig mit Diskriminierung und Vorurteilen begegnet. Dies führt zu Chancenungleichheit im Beruf und im ganzen Leben, da man weniger Chancen bekommt, seine Fähigkeiten zu zeigen.

    Die meisten westlichen Gesellschaften denken, dass arabische Gesellschaften Frauen unterwerfen, ihnen den Schleier aufzwingen, sie außer Sichtweite halten und sie daran hindern, zur Schule zu gehen oder die vielen „Freiheiten“ zu genießen, die Frauen im Westen genießen. Diejenigen, die behaupten, der Schleier einer Frau oder eines Mädchens stelle eine Einschränkung ihrer Freiheit dar und werde nur aus Rückständigkeit und alter Gewohnheit getragen, liegen jedoch falsch. Der Islam will Frauen nicht in ihren Rechten einschränken oder sie in ihrem Erfolg behindern. Der Hijab soll Frauen nicht ausschließen und von der Welt isolieren, sondern im Gegenteil! Die Wahrheit ist, dass der Islam sagt, dass Frauen aus der Sklaverei und aus einer minderwertigen Betrachtungsweise befreit sind, wenn sie Muslimas sind.

    Ich weiß aus meiner Erfahrung in Deutschland, dass mich manche Leute wegen meines Kopftuchs verurteilen. Das sind aber nur wenige Leute, und ein großer Teil ist mir ohne Vorurteile begegnet. Ich wurde wegen meines Hijabs nicht schlecht behandelt, konnte meine Ausbildung hier machen und die deutsche Sprache lernen. Aber als verschleierte Frau möchte ich die Menschen ansprechen, die immer noch eine schlechte Vorstellung vom Schleier haben: Bitte verbinden Sie den Schleier nicht mit Übel, Terrorismus, Angst und Unterdrückung. Niemand sollte nach seinem Aussehen beurteilt werden. Zumal das Böse eines Menschen in Handlungen deutlich wird, nicht in seinem Aussehen. Niemand würde freiwillig ein Symbol des Bösen tragen.

    Diese Text hat mit Margarethe Hoberg  in schreibtandem projekt geschrieben.

     

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    This article is also published in Englisch hier:

    https://kohero-magazin.com/hijab-is-not-an-obstacle-it-is-a-sign-of-self-confidence/

  • Freiheit auf dem Fahrrad

    Aller Anfang ist schwer

    Eigentlich habe ich gerade vor zwei Monaten angefangen Fahrradfahren zu lernen. Das fiel mir nicht leicht und war für mich in meinem Alter eine große Herausforderung. Ich bekam immer Angst, wenn Fußgänger, andere Fahrräder oder Autos, vor mir oder hinter mir im Weg waren. Ich konnte nicht das Gleichgewicht halten.

    Am Anfang konnte ich nicht glauben, jemals auf einem so schmalen Fahrzeug mit nur zwei Rädern geradeaus fahren zu können, ohne umzufallen. Am Anfang habe ich mich immer geschämt, wenn jemand, gesehen hat, wie ich auf der Straße Fahrrad fuhr und es nicht hinbekommen habe. Ich habe mir vorgestellt, was die anderen wohl sagen, wenn sie sehen, dass eine erwachsene Frau kein Fahrrad fahren kann, oder dass sie mich vielleicht sogar auslachen.

    Ich habe mich klein und schwach gefühlt in einem Land in dem Fahrradfahren als selbstverständlich angesehen wird. Am Anfang bin ich zwei Monate lang nur in kleinen Straßen gefahren, wo keine Autos bzw. Fahrräder waren und nicht zu viele Menschen unterwegs waren.

    Als würde ich ein Flugzeug am Himmel fliegen

    Heute war der erste Tag an dem ich alleine mit dem Fahrrad zur Bibliothek, der Bücherhalle Hamburg, gefahren bin. Ich habe es nicht mit der Google-Map-App gefunden, aber eine Frau hat mir geholfen und mir dem Weg gewiesen. Einerseits hatte ich sehr große Angst, andererseits war ich auch sehr aufgeregt, glücklich und stolz auf mich.

    Je schneller ich gefahren bin, desto freier habe ich mich gefühlt. Am Anfang wirkten die Straßen noch sehr schmal auf mich, aber jetzt finde ich die gleichen Straßen sehr breit. Am Anfang hat das Fahrrad mich kontrolliert, aber heute habe ich das Fahrrad kontrolliert. Heute bin ich als erwachsene Frau mit dem Fahrrad gefahren, aber ich habe mich nicht gefühlt, als würde ich Fahrrad fahren, sondern als würde ich ein Flugzeug am Himmel fliegen.

    Frauenrechte in Afghanistan

    In meinem Heimatland, und insbesondere in meinem Dorf, haben Frauen keine Freiheit. Sie dürfen nicht selbst entscheiden, was sie tragen, ob sie nach draußen gehen, ob sie einkaufen gehen, oder ihre Familie besuchen. Für all diese Fragen benötigen sie die Erlaubnis eines Mannes: entweder von ihrem Ehemann, wenn sie verheiratet sind, oder von ihrem Vater oder Bruder, wenn sie ledig sind. Ich habe unter dieser Situation sehr gelitten, nicht nur wegen meiner selbst, sondern auch wegen anderer Frauen, die ich kannte oder die in meinem Dorf lebten.

    Kämpfen um finanzielle Unabhängigkeit

    Von 2008 bis 2009 habe ich in meinem Dorf für das UN-Habitat als Lehrerin für 50 nicht-alphabetisierte Frauen gearbeitet. Damals war ich vielleicht 14 Jahre alt (bei uns ist das Alter nicht sehr wichtig und weil meine Eltern nicht lesen und schreiben konnten, ist mein Geburtstag nicht eindeutig bekannt). Ich habe über zwei Jahre mit den Frauen bei uns Zuhause gearbeitet. Die Frauen haben nicht nur Lesen und Schreiben gelernt.

    Meine Organisation bot ihnen auch andere Möglichkeiten: zum Beispiel lernten sie Handarbeit, etwa verschiedene Arten, mit einer Maschine oder von Hand zu nähen. Wir hatten auch eine kleine Kreditbank für Frauen. Die Frauen konnten sich von dieser Bank ein bisschen Geld ausleihen, um eine Geschäftsidee zu verwirklichen und selbstständig zu arbeiten. Ein Schritt zu ihrer persönlichen Freiheit. Auf diese Weise mussten sie nicht immer ihre Männer nach Geld fragen, wenn sie etwas Geld für sich selbst brauchten, sondern konnten es selbst verdienen.

    Das wurde mit etwas Geld vom UN-Habitat unterstützt, aber vor allem sollten die Frauen jeden Monat zwei Mal 30 Afghani auf ein Konto einzahlen. Etwa so, wie wenn man in Deutschland jeden Monat dreißig Euro spart. Dadurch hatten wir genug Geld, um Frauen mit der Eröffnung eines kleinen Geschäfts unterstützen zu können.

    Die schönsten Tage in meinem Leben

    In dieser Organisation habe ich mich viel für Frauen und ihre Freiheit eingesetzt, damit Frauen auf ihren eigenen Beinen stehen konnten. Dadurch waren sie nicht mehr von Männern abhängig, sondern konnten freie und selbstständige Frauen sein konnten. Frauen, die keine Schule besucht haben oder sie nicht besuchen durften, haben Lesen und Schreiben gelernt.

    Es freute mich immer sehr, wenn eine der Schülerinnen, eine erwachsene Frau oder ein Mädchen, meiner Klasse gelernt hatte zu lesen. Manchmal habe ich einem Kind einen Brief mit nach Hause gegeben und um eine Antwort gebeten (bei uns gibt es keine Post wie hier in Deutschland, wo man einfach einen Brief im Umschlag verschicken kann). Die Tage, an denen ich von den Frauen, die zu Beginn gar nicht lesen und schreiben konnten, eine Antwort bekam, waren die schönsten Tage in meinem Leben.

  • Gefährliche Kritik – Pressefreiheit in Gefahr

    „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Eine Zensur findet nicht statt“, so steht es in Artikel 5 des Grundgesetzes. Diese Pressefreiheit bezeichnet also das Recht von Medien – Zeitungen (auch netzbasierte Zeitungen und Blogs), Rundfunk und TV – auf eine ungehinderte Ausübung ihrer Tätigkeit. Vor allem ist es auch das Recht auf die staatlich unzensierte Veröffentlichung von Nachrichten und Meinungen. Details zu Rechtsfragen regelt das deutsche Presserecht.

    Die Idee dieser Presse- und Meinungsfreiheit wurde vor allem während der Zeit der Aufklärung ab dem 17. Jahrhundert entwickelt. Doch diese Rechte gelten leider in weiten Teilen der Welt nicht: In vielen Staaten gibt es  eine systematische Hetze  gegen Medienschaffende. Sie werden verfolgt und unterdrückt. Das führt dazu, dass sie zunehmend in einem Klima der Angst arbeiten müssen. Viele von ihnen werden inhaftiert und weggesperrt. Diktaturen und autoritäre Regime fürchten nichts so sehr wie das freie, kritische Wort.

    Der „Tag des inhaftierten Schriftstellers

    Jedes Jahr ist am 15. November der „Tag des inhaftierten Schriftstellers“. Man gedenkt denjenigen Medienschaffenden, die aufgrund ihrer Arbeit im Gefängnis sitzen. Dieser Tag soll weltweit auf das Schicksal von Schriftsteller*innen, Journalist*innen, Verleger*innen und Blogger*innen aufmerksam machen, die zu Unrecht inhaftiert und verfolgt sind. Außerdem soll an diejenigen erinnert werden, die getötet wurden – getötet, weil sie das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben.

    Auch in diesem Jahr ruft die internationale Schriftstellervereinigung PEN (Abkürzung für Poets, Essayists und Novelists) zur Solidarität mit den Inhaftierten auf. Der 15. November hat Tradition: Zum ersten Mal gedachte das Writers in Prison–Komitee der PEN den Gefangenen im November 1980.

    Gründe für Inhaftierungen

    Es gibt viele Gründe, warum Medienschaffende rund um den Globus in Haft sitzen. Manchmal werden sie direkt wegen Majestätsbeleidigung oder regierungskritischen Äußerungen angeklagt. Sehr oft werden andere Tatbestände auch einfach nur erfunden. In den meisten Fällen verfolgen die Regierungen die Betroffenen, aber nicht nur. In Lateinamerika und Südosteuropa z.B.  sind es auch Gruppierungen der organisierten Kriminalität, die Journalist*innen, die zu deren Verbrechen recherchieren, zum Schweigen bringen wollen. Denn genau darum geht es: Kritiker*innen mundtot zu machen.

    Die weltweite Liste der Pressefreiheit

    Auch in diesem Jahr ist die Pressefreiheit in vielen Staaten gefährdet oder sie existiert schlichtweg nicht. Die Corona-Krise befördert das Handeln autoritärer Regimes. Nach wie vor ist der freie Journalismus durch Populismus und Machtstreben in Gefahr. Die NGO „Reporter ohne Grenzen“ vergleicht jährlich die Situation für Medienschaffende weltweit in ihrer „Liste der Pressefreiheit“. Auf den oberen Plätzen stehen Länder mit demokratischen Regierungen: Es sind Staaten, in denen es eine funktionierende Gewaltenteilung gibt. Zum vierten Mal in Folge führt Norwegen die Liste an, Finnland, Dänemark, Schweden und die Niederlanden folgen. Deutschland belegt Platz 11.

    In Nordkorea, Turkmenistan, Eritrea und China existiert die Pressefreiheit schlichtweg nicht. Deren diktatorischen Regierungen erlauben keine unabhängige und freie Berichterstattung. Journalist*innen werden offen verfolgt, inhaftiert und oft getötet. In fast ganz Asien hat sich die Situation für Medienschaffende negativ entwickelt. Zusammen mit dem Nahen Osten und Nordafrika bildet Asien das Schlusslicht der Rangliste. Auch die Türkei und Russland finden sich im unteren Drittel der Statistik wieder: In Russland wird kritische Berichterstattung massiv unterdrückt. In der Türkei ist die Zahl der inhaftierten Journalist*innen die höchste weltweit.

    Die Caselist für das Jahr 2019 vom deutschen PEN-Zentrum

    Am 7. Mai 2020 hat das deutsche PEN-Zentrum die Caselist für das letzten Jahr veröffentlicht. Diese Statistik verzeichnet insgesamt 212 Übergriffe auf Schriftsteller*innen, Journalist*innen und Blogger*innen. Zwei wurden aufgrund ihrer Arbeit ermordet, die anderen sitzen im Gefängnis – oft ohne Anlage und juristische Unterstützung.

    2019 ermordete man  den irakischen Schriftsteller Alaa Mashthob Abbaud sowie die nordirische Journalistin Lyra McKee wegen ihrer Publikationen und Recherche. Es gibt weitere Fälle, bei denen man den  Verdacht hat, dass man die Betroffenen ermordet hat, weil sie dabei waren, Skandale aufzudecken. Allerdings konnte man hier  das Motiv nicht eindeutig nachweisen.

    Im Jahr 2019 wurden insgesamt 67 Autor*innen inhaftiert – mit dem Ziel, ihre kritischen Stimmen zum Schweigen zu bringen. Weitere 37 Schreiber standen 2019 vor Gericht und davon mindestens zehn in der Türkei.

    Die Situation im Iran

    Seit der Islamischen Revolution 1979 gehört der Iran zu den repressivsten Ländern weltweit für Journalist*innen. Seitdem wurden Hunderte von ihnen verfolgt, inhaftiert oder getötet. Der Staat kontrolliert systematisch die iranischen Medien. Besonders das Internet unterliegt einer strengen Zensur und Überwachung.

    Kritik im Iran ist gefährlich. Man nimmt Journalist*innen willkürlich fest. Hinzu kommt ihre Verurteilung zu absurd langen Haftstrafen in einem sehr unfairen Verfahren. In den Gefängnissen selbst befinden sich die Betroffenen in Lebensgefahr. Man foltert sie und oft sterben sie an den Folgen. Auch Autor*innen, die im Exil leben, sind vor der Verfolgung durch die iranische Regierung nicht sicher. Oft wird auch ihre Verwandtschaft, die noch im Iran lebt,  angefeindet und bedroht. Der Iran befindet sich auf Rang 173. Derzeit befinden sich dort 22 Medienschaffende im Gefängnis.

    Der Fall Sedigeh Vasmaghi

    Eine von ihnen ist die Theologin und Publizistin Sedigeh Vasmaghi. Die kritische Autorin soll für sechs Jahre im Gefängnis bleiben. Mittlerweile sind ihre Bücher und Schriften  im Iran verboten. Vasmaghi schrieb unter anderem über religiöse, politische und gesellschaftskritische Themen. Sie stand lange Zeit unter der Beobachtung des iranischen Regimes, und auch unter ausländischer Observation. Grund hierfür waren ihre Kommentare über die islamische Rechtsprechung in ihrem Heimatland Iran. Im August 2020 verurteilte man Vasmaghi zunächst zu einem Jahr Gefängnis, weil sie eine Petition unterschrieben hatte, die heftig die Polizeigewalt während der Demonstrationen im November 2019 kritisierte.

    Vasmaghi ist 1961 in Teheran geboren. Von 1999 bis 2003 war sie Mitglied des City Council of Teheran, außerdem unterstützte sie die iranische Reformationsbewegung. Vasmaghi war eine der wenigen Frauen im Iran, die islamisches Recht unterrichten durfte. 1989 veröffentlichte die Menschenrechtsaktivistin ihren ersten Gedichtband Praying for Rain. Bis heute hat sie fünf Gedichtbände sowie einige akademische Lehrbücher herausgebracht. Ihre Übersetzungen von Texten aus dem klassischen Arabisch in die Sprache Farsi vervollständigen ihr Werk.

    Die Arbeit Vasmaghis wurde und wird weiterhin heftig zensiert. Man schüchtert sie ein. Derzeit sitzt sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in Teheran im Gefängnis und wartet auf ihren Prozess.

    Die Lage in der Türkei: 

    Auch in der Türkei ist die Situation für Journalist*innen nach wie vor bedenklich. Das Land belegt aktuell Platz 154 auf der Liste der Pressefreiheit. Die einst pluralistische Medienlandschaft steht so gut wie vollständig unter Kontrolle der Regierung oder regierungsnaher Geschäftsleute. Die Regierung unter Erdogan und die türkische Justiz gehen mit extremer Härte gegen Journalist*innen vor.

    Dies musste auch Can Dündar erfahren. Dündar ist Journalist, Dokumentarfilmer, Buchautor und TV-Moderator und ehemaliger Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet. Dündar und die Cumhuriyet berichteten am 29. Mai 2015 unter der Überschrift „İşte Erdoğan’ın yok dediği silahlar“ (zu Deutsch: Hier sind die Waffen, die Erdogan leugnet) über Munition, die der türkische Geheimdienst MIT im Jahr 2014 per LKW an islamistische Milizen in Syrien geliefert hat. Präsident Erdogan bedrohte Dündar daraufhin öffentlich und stellte Strafanzeige gegen ihn wegen des Verdachts auf Spionage: Die Rede war von Beleidigung und übler Nachrede gegen den MIT sowie der Verbreitung von Staatsgeheimnissen.

    Der Cumhuriyet-Prozess

    Am 26. November nahm man dann Dündar zusammen mit dem Leiter des Hauptstadtbüros Erdem Gül fest und inhaftierte sie. Die Türkei geriet mit der Festnahme Güls und Dündars in die internationale Kritik. Beide Journalisten erfuhren Solidarität innerhalb der türkischen Zivilgesellschaft und in der ganzen Welt. Am 25. Februar 2016 erklärte das türkische Verfassungsgericht die Verhängung der Untersuchungshaft gegen Dündar und Gül für nicht rechtens. Einen Tag später kamen beide nach drei Monaten Haft aus dem Gefängnis. Das Verfahren geht unter dem Namen „Cumhuriyet-Prozess“ in die Geschichte ein.

    Am 6. Mai 2016 war Dündar Ziel eines Schusswaffenattentats. Dündars Frau und sein Anwalt konnten den Attentäter jedoch überwältigen und Dündar wurde nicht verletzt. Wenige Tage später hob das Gericht das Ausreiseverbot gegen Dündar auf und er reiste aus der Türkei nach Deutschland aus. Dündar lebt und arbeitet derzeit in Deutschland. Er ist Chefredakteur des Webradios ÖZGÜRÜZ (zu Deutsch: Wir sind frei) und schreibt unter anderem für die Wochenzeitung „Die Zeit“.

    Zensur in Uganda

    Uganda befindet sich derzeit auf Platz 125 der Liste der Pressefreiheit. Diverse Gesetzte schränken die Pressefreiheit in dem afrikanischen Staat stark ein. Medien werden willkürlich zensiert oder sie werden für kürzere oder längere Zeit ganz geschlossen. Oft werden Journalist*innen wegen Hochverrats angeklagt – mit gravierenden Folgen, denn häufig greift in diesen Fällen die Todesstrafe. Immer wieder kommt es vor, dass Polizisten oder Soldaten Journalist*innen angreifen. Die Regierung billigt dies und trägt mit Drohungen zu diesem Klima der Angst entscheidend bei. Häufig werden Medienschaffende bei ihrer Arbeit schwer verletzt und viele tauchen nach Morddrohungen unter.

    Kritik am ugandischen Staatspräsidenten

    Am 18. September 2020 wurde der ugandische Schriftsteller und Journalist Kakwenza Rukirabashaija in seiner Wohnung in Kigulu verhaftet. Inzwischen inhaftierte man ihn in Mbuya, und wenig später transportierte man ihn in die Sonderuntersuchungseinheit nach Kireka. In Kireka hielt man ihn drei Tage ohne jegliche rechtliche Grundlage fest. Und das, obwohl das ugandische Recht vorsieht, dass nach einer Festnahme innerhalb von zwei Tagen vor Gericht Anklage erhoben werden muss. In Zusammenhang mit seiner Festnahme steht ein Schreiben, in dem er sich kritisch gegenüber Staatspräsident Museveni geäußert haben soll. Nun starten die Ermittlungen gegen Rukirabashaija wegen „Anstiftung zur Gewalt und Förderung von Sektierertum“.

    Fazit

    Nach wie vor leben einige Medienschaffende in weiten Teilen der Welt gefährlich. Sie riskieren ihre Sicherheit und ihr Leben, um kritischen, unabhängigen Journalismus zu betreiben, um aufzuklären und um zu informieren. Sie wollen, dass die Wahrheit ans Licht kommt, aber man bringt sie zum Schweigen. Regierungen oder Gruppierungen der organisierten Kriminalität stecken sie ins Gefängnis, oft ohne Anklage, ohne Prozess und ohne juristische Unterstützung. Diese mutigen und couragierten Menschen müssen wir unterstützen. So ruft der PEN dazu auf, Briefe an die jeweiligen Regierungen zu schicken oder die Geschichten der Inhaftierten beispielsweise auf Social Media zu teilen und somit auf deren Schicksäle aufmerksam zu machen.

     

     

    Quellen: echo-online.de / pen-international.de / pen-deutschland.de / neues-deutschland.de / reporter-ohne-grenzen.de / dejure.org

     

     

  • Artikel 2 – Persönliche Freiheit bedeutet Demokratie

    In Artikel 2 geht es um die freie Entfaltung der Persönlichkeit und damit um Freiheit – ein Begriff, der sehr viele Bedeutungen haben kann: In Syrien eine andere als in Deutschland, für junge Menschen eine andere als für ältere. Darüber spricht Antonios aus Syrien in unserem Interview.

    In Artikel 2 des Grundgesetzes wird festgelegt, dass jeder Mensch sich frei entfalten können muss. Diese Freiheit ist nach der Menschenwürde das zweite Menschenrecht des Grundgesetzes und gilt damit für alle, nicht nur für deutsche Bürger*innen.

    (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. [expand title = „Weiterlesen“]

    (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. [/expand]

    Das Menschenrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf körperliche Unversehrtheit wird nicht überall eingehalten. In Ländern wie Syrien können Menschen, die eine andere Meinung haben, nicht frei leben. Sie müssen zwischen der Freiheit und dem Leben wählen. In Deutschland gibt es viele Freiheiten – nicht nur für die Politiker*innen, sondern für jeden: Die Freiheit zu leben, wie man möchte, egal welchen Glauben, welche Meinung oder welche sexuelle Orientierung man hat.

    Grenzen werden nicht nur vom Gesetz festgelegt

    Allerdings ist es auch hierzulande so, dass nicht nur das Gesetz Grenzen festlegt, sondern auch die Gesellschaft. Nach wie vor werden Menschen diskriminiert, die nicht den Normalitätsvorstellungen der Mehrheit entsprechen. Die Vorbehalte betreffen häufig auch Geflüchtete und schränken ihre Freiheit ein.

    Das deutsche System war der Traum für viele Geflüchtete, die nach Freiheit suchten, so auch für Antonios aus Syrien, der seit fast drei Jahren in Deutschland lebt. Er hat in Syrien für ein demokratisches System gekämpft und musste wegen des Krieges fliehen. Heute studiert er Informatik und Politik auf Lehramt an der FU Berlin. Ich habe mit ihm über Artikel 2 des Grundgesetzes gesprochen.

    Der Grundstein der modernen Demokratie

    Für Antonios ist Artikel 2 der Grundstein der modernen Demokratie. Die persönliche Freiheit darf zwar nicht auf Kosten der Rechte anderer gehen, doch sie ist ein unbestrittenes Recht. Allerdings findet er den Teil, in dem über Sittengesetz gesprochen wird, nicht optimal. „Ich bin kein großer Fan von Sitten und Tradition, weshalb meiner Meinung nach Moral besser zum Kontext passt“, sagt er. Tatsächlich ist es nicht einfach, in Gerichtsverfahren festzustellen, was das „Sittengesetz“ genau umfasst.

    Auch wenn Antonios ein Kritiker vieler Aspekte der modernen Demokratie ist, wie er erzählt, hält er die persönliche Freiheit für ihren wichtigsten Baustein. Sie sollte also auch in einem aktualisierten Konzept von Demokratie vorkommen.

    Verschiedene Freiheiten

    Die Realisation einer solchen Freiheit ist, wie schon erwähnt, wichtig für die moderne Demokratie. Über seine eigene Freiheit erzählt Antonios: „Als ich in Syrien lebte, war die politische Freiheit die Freiheit, wovon ich immer träumte. Hier in Deutschland ist mir die digitale Freiheit die wichtigste Art, woran ich arbeite.“ Antonios sagt, dass persönliche Freiheit nicht nur eine einzige Form hat. „Die persönliche Freiheit ist der Zusammenhang aller Freiheiten und sie alle sind lebenswichtig.“

    Eine Idee oder Realität?

    Antonios Hazim in einem Garten. In diesem Artikel spricht er über persönliche Freiheit und Demokratie.
    Antonios Hazim

    „Ohne die Idee persönlicher Freiheit existiert das Leben, wie wir es kennen, nicht“, sagt Antonios. Er spricht jedoch nur über die Idee, denn in vielen Ländern sieht die Realität leider ganz anders aus. In Syrien erlebte er keine Freiheit. Im syrischen Grundgesetz gibt es zwar einen ähnlichen Artikel und vermutlich in vielen Verfassungen der Welt. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass die Leute in Freiheit leben.

    Antonios kann sich nicht vorstellen, in einem Zeitalter der Sklaverei und Tyrannei zu leben. Unter Tyrannei habe er zwar gelebt, aber er glaubt, dass das in der internationalen Gesellschaft nicht mehr akzeptiert wird. Das zeige sich an der Sympathie der Menschen mit den Syrern.

    Syrien ist kein Rechtsstaat mehr

    Die syrische Verfassung wurde 1920 eingeführt, seit 1950 haben Frauen das Wahlrecht. 1973 hat der Vater des heutigen Despoten Assad seine eigene Verfassung umgesetzt. In der syrischen Verfassung sind die Grundrechte nur ein sehr kleiner Teil. Außerdem gelten sie nicht für alle und nicht immer.

    Antonios sagt, Syrien ist leider seit einiger Zeit kein Rechtsstaat mehr. „Was in der Verfassung steht, wird nicht geachtet. Die Machthaber tun, was sie wollen.“ Die aktuelle Realität ist, dass die Macht nicht mehr aufgeteilt ist, so wie es eigentlich im Gesetz steht. Das trug dazu bei, dass das Land seit den Achtzigerjahren nicht mehr stabil ist. Zwar wurde die syrische Verfassung nach dem Modell des französischen Grundgesetzes geschrieben, doch führte das nicht dazu, dass die Syrer die gleichen Grundrechte wie die Franzosen bekamen, erklärt Antonios.

    „Die fehlenden Freiheiten sind bestimmt ein Teil des heutigen Problems. Da die Stabilität der Regierung in Damaskus nur auf der guten Wirtschaft aufgebaut war, konnte das Regime in den ‚guten alten‘ Zeiten die Bevölkerung ’sättigen‘, ohne ihr Freiheit anbieten zu müssen.“

    Kritik an der Demokratie

    Antonios Kritik an den Strukturen der „modernen“ Demokratie ist, dass sie auf viele Probleme keine Antworten mehr hat. „Wir sehen heutzutage wie viele Probleme die alten Demokratien haben. Wer glaubt, dass Rechtsextremismus eine Antwort auf das Problem der Geflüchteten in Europa ist, sollte einen Blick auf die Lage in Frankreich und Ungarn werfen.“

    Antonios glaubt, dass die junge Generation etwas verändern kann. Außerdem setzt er seine Hoffnung in die Digitalisierung. Er ist der Meinung, dass das der Weg ist, um die Demokratie zu retten. „Ich bin der Meinung, die Zukunft gehört uns, den Jungen, deshalb arbeite ich immer daran, die Jugend zu ermutigen, sich in der Politik zu engagieren, sodass ihre Stimmen gehört werden.“

    Die weiteren Artikel unserer Grundgesetz-Reihe findet ihr hier: Das Grundgesetz wird 70.

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