Schlagwort: Film

  • roots&reels #14: Ist Kino tot?

    Vielleicht hast du es auch schon mitbekommen: Anscheinend ist das Kino tot. Letzte Woche ist der Action-Blockbusters „Furiosa“ von George Miller gestartet, ein Prequel der Mad-Max-Reihe, die 2016 mit „Fury Road“ ihren kritischen sowie kommerziellen Höhepunkt erreichte. Uns allen wurde die Nachricht überbracht, dass der Film nicht die nötigen Zuschauer*innenzahlen geliefert hatte wie von den Produzenten erwartet. Und das nur wenige Wochen, nachdem Ryan Gosling und Emily Blunt in „The Fall Guy“ weit unter allen Erwartungen lagen. Der wichtigste Punkt dabei ist, dass sowohl „Furiosa“ als auch „The Fall Guy“ von der Presse weitgehend gefeiert wurden. Wir reden hier nicht über schlechte Filme. Zumindest auf dem Papier hätten die beiden erfolgreicher sein müssen.

    Also, woran liegt das genau? Gehen die Menschen einfach nicht mehr gerne ins Kino? Vor allem seit beziehungsweise nach der Pandemie? Bevorzugen sie lieber ihr bequemeres Setting und die Möglichkeiten von Streaming in ihren eigenen vier Wänden? Und was bedeutet das alles für die Zukunft des Mediums?

    Ich muss gestehen, dass mich solche News immer etwas kaltlassen. Erst letztes Jahr gab es das große Ringen um „Oppenheimer“ gegen „Barbie“, du erinnerst dich sicherlich. Und auch Tom Cruise mit einem seiner Mission-Impossible-Streifen belebte das Kino wieder (wenn er es nicht sogar rettete, danke Tom). Wenn jetzt trotz bester Voraussetzungen Filme wie „Furiosa“ oder „The Fall Guy“ nicht auf der großen Leinwand funktionieren, dann sollte das doch nicht gleich heißen, dass die große Leinwand an sich gestorben ist?

    Ich denke, so einfach ist es eben nicht. Die Frage und die Diskussion darüber finde ich aber natürlich spannend. Was denkst du eigentlich darüber – machst du dir auch Gedanken über the future of cinema? Was bringt dich dazu, überhaupt ins Kino zu gehen? Kommt das eher auf das Genre bei dir an oder achtest du auf besondere Schauspieler*innen? Wartest du auf bestimmte Werke von Regisseur*innen, die du nicht im Heimkino schauen möchtest? Schreib mir gerne!

    Diese Frage wird übrigens alle Jahre wieder gestellt, wie es denn jetzt eigentlich mit dem Kino weitergeht und eine Sache ändert sich dabei nie: Dass das Kino immer bestehen bleibt. Ich bin also skeptisch, dass „das“ hier, was auch immer das sein mag, ein Ende oder sogar Anfang vom Ende ist. Tom Cruise kehrt 2025 übrigens mit dem nächsten „Mission Impossible“ zurück.

  • roots & reels #13: Die Zweiflers

    Fragst du dich auch immer mal wieder, warum du in Deutschland die Rundfunkgebühr bezahlen musst, gerade dann, wenn das Fernsehprogramm bei ARD, ZDF und Co. qualitativ jetzt nicht so hochwertig oder anspruchsvoll ist, um monatliche 18 Euro irgendwas zu rechtfertigen? I feel you. Ich war mal bei meinen Eltern über Weihnachten und das Internet ging nicht, sodass ich in der Zeit leider nur ein paar deutschsprachige Sender empfangen konnte. Das wollte ich mir nicht freiwillig antun. Ich habe in dieser Zeit sehr viele Bücher gelesen.

    Aber genug Negativität für heute. Vor allem, wenn es solche Lichtblicke gibt wie „Die Zweiflers“. Diese neue deutsche Serie beweist uns, dass es Ausnahmen gibt. Alle sechs Folgen sind jeden Cent an die GEZ wert. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die titelgebende jüdische Familie um Opa Symcha, der das Frankfurter Delikatessengeschäft verkaufen möchte. Doch seine Enkel haben ihre eigenen Probleme: Samuel muss als plötzlich junger Vater klarkommen, Leon sich als junger Künstler etablieren. Schwester Dana komplettiert dieses Familienkonstrukt neben den beiden Eltern Mimi und Jackie.

    Die Serie von Showrunner David Hadda, die beim Cannes International Series Festival die höchste Auszeichnung erhalten hat, ist eine intelligente und einfühlsame Auseinandersetzung mit jüdischem Leben in Deutschland, in all seinen Facetten. Die Drehbücher, geschrieben von Hadda, gemeinsam mit Juri Sternburg und Sarah Hadda, kommen ohne Klischees aus. Das Jüdischsein ist hier nicht nur da, um die Figuren klischeehaft auszuschmücken, sondern ein authentischer Teil der Erzählung und um die Story organisch weiterzuentwickeln. Der Holocaust und wie Symcha sich als Überlebender ein Imperium im Frankfurt Bahnhofsviertel aufgebaut hat, ist ein integraler Bestandteil des Plots.

    Gleichzeitig gibt es auch Raum für nuancierte Charakterisierungen, wie bei der jüngeren Generation und wie sie mit der älteren Generation nicht in allen Punkten übereinstimmt. „Die Zweiflers“ ist wirklich sehenswert und kann mit jeder zeitgenössischen amerikanischen Serie mithalten. Dank der Schauspielenden, der Drehbücher, der Kamera, dem Schnitt und vielen weiteren Aspekten. Ich hoffe, es gibt bald eine zweite Staffel.

    Noch eine Empfehlung:

    Eine weitere aktuelle Serie, die sehr zu empfehlen ist, allen voran für Fans des südkoreanischen Meister-Regisseurs Park Chan-wook („Oldboy“, „Die Taschendiebin“), ist „The Sympathizer“ (auf Wow). Chan-wook inszeniert Schauspieler Robert Downey jr., der für seine Leistung als Lewis Strauss in Christopher Nolans „Oppenheimer“ erst vor ein paar Monaten seinen ersten Oscar als bester Nebendarsteller erhalten hat, in gleich vier verschiedenen Rollen. Er spielt in „The Sympathizer“ einen CIA-Agenten, Hochschulprofessor, Politiker und Filmregisseur. Und er brilliert in jeder Persönlichkeit, von schleimig über sanft bis schwungvoll.

    „The Sympathizer“ basiert auf Viet Thanh Nguyens Pulitzer-Preis-Gewinner von 2015 und handelt vom Captain (Hoa Xuande), der zum Ende des Vietnamkriegs als Doppelagent nach Amerika geschickt wird, um dort für die nordvietnamesischen Kollegen Spionagearbeit zu leisten. Oder verfällt er doch seinem neuen Leben in Amerika, wo er Sofia (gespielt von Sandra Oh) kennenlernt? Ich habe die ersten drei Folgen gesehen und hier scheint die Serie erst so richtig Fahrt aufzunehmen. Es werden noch mehr Spannung, Verrat, Skurrilität (dank Robert Downey Jr.) und Vietnam-Geschichtsstunden in den verbleibenden vier Episoden versprochen.

     

  • roots & reels #12 : Wie lang ist der perfekte Film

    Wie lang sollte ein Film im Idealfall sein? Unter 90 Minuten? Oder genau 90 Minuten? Vielleicht doch eher zwischen 100 und 120 Minuten? Oder 180, nein, 240 Minuten??? Diese Frage ist vielleicht etwas unnötig. Ein Film sollte eben so lang sein, wie lang er sein muss. So lang wie das Drehbuch vorgibt, so lang wie der Regisseur für seine Vision benötigt (hier habe ich bewusst gegendert, Männer lieben es, lange Filme zu drehen).

    Auch wenn ich persönlich froh bin, wenn alles in anderthalb Stunden oder noch kürzer erzählt wird, habe ich nichts dagegen, wenn eine Geschichte drei oder vier Stunden braucht. Wenn mir von der ersten Sekunde an das Gefühl vermittelt wird, dass sich hier Zeit genommen wird. Und du? Magst du eher kurze oder lange Filme?

    Zum Thema Männer noch eine kleine Anmerkung: Das war natürlich Quatsch. Der vermeintlich beste Film aller Zeiten, der alle 10 Jahre durch das renommierte Filmmagazin „Sight and Sound“ ausgezeichnet wird, ist „Jeanne Dielman“ der belgischen Filmemacherin Chantal Akerman. Das Drama geht stolze 201 Minuten. Und drei der bekanntesten weiblichen Filmschaffenden in Indien, Zoya Akhtar, Farah Khan Kunder und Meghna Gulzar, produzieren regelmäßig Filme, die die 2,5- bis 3-Stunden-Marke knacken. Gut, Indien ist ein Fall für sich, dort gehen die Streifen so oder so sehr lang. Man hat sogar Glück, wenn man in 2 Stunden fertig ist.

    Der Grund, weshalb ich über die Länge von Filmen so im Detail nachdenke, ist unter anderem wegen ALFILM, dem arabischen Filmfestival in Berlin. Darüber hatte ich ja bereits in der vorherigen Ausgabe von „roots & reels“ geschrieben. Doch in dieser wurde nicht erwähnt, dass ich mir während des Festivals auch noch „The Gate of Sun“ (Bab el shams) des ägyptischen Regisseurs Yousry Nasrallah angeschaut hatte.

    Dieser Film gilt als Meisterwerk des arabischen Kinos und ist eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Elias Khoury (als „Das Tor zur Sonne“ auch auf Deutsch erhältlich). Geschildert wird eine Familiengeschichte von der Nakba in 1948 bis hin zu den Unruhen der 90er Jahre (und schaut man sich die heutige Nachrichtenlage in Palästina an, dann merkt man, wie aktuell dieser Film von 2004 ist).

    Ich konnte zum Glück beide Teile des Films sehen, die letztes Jahr vollständig restauriert wurden, The Departure sowie The Return. Der erste Teil geht 135 Minuten, der zweite Teil einen Tick länger mit 143 Minuten. Somit waren wir schon bei über 4,5 Stunden! Was ich aber sagen will und das ist eigentlich das Wesentliche: Es hat sich zu keinem Zeitpunkt danach angefühlt.

    Nasrallah ist so ein begnadeter Geschichtenerzähler, „The Gate of Sun“ so lebendig und schwungvoll inszeniert, mit all der Freude und Trauer der Materie. Einige 90-Minüter, ich werde hier keine Namen nennen, fühlen sich vergleichsweise länger an. Das ist sehr bemerkenswert. Ich hoffe, dass es nicht bei dieser einen Sonderveranstaltung in Berlin bleiben wird, sondern dass es in Zukunft weitere Screenings von diesem wichtigen und zeitgemäßen Film geben wird.

    BINGE-WATCHING: MINISERIEN

    Spricht man über Längen von Filmen, dann dürfen Miniserien natürlich nicht vergessen werden. Im Zeitalter des Binge-Watchings (befinden wir uns eigentlich immer noch in diesem Zeitalter?) ist es ja nicht unüblich, dass 6 bis 8 Folgen einer neuen Serie in einem einzigen Zug geguckt werden. Ich selbst habe das jüngst getan, bei der Netflix-Produktion „Baby Reindeer“ zum Beispiel. Aber auch „Ripley“ und „Heeramandi“ (auch beide bei Netflix) hatte ich jeweils in zwei, drei Tagen durch, „Mr & Mrs Smith“ (Prime) sogar in einer Nacht – ich bin nicht stolz drauf.

    Es gibt Memes und Witze darüber, wie Menschen, die sich vor langen Filmen scheuen, überhaupt kein Problem damit haben, mehrere Folgen einer Serie am Stück wegzubingen. Ich bin kein Psychologe und kann an dieser Stelle leider nicht sagen, woran das liegt, aber es ist trotzdem ein interessanter Aspekt der Frage, wie lang ein Film sein darf, oder noch genauer: Wie lange braucht es, eine gute Geschichte zu erzählen? Es gibt übrigens Menschen, die lange Filme, wie etwa „Killers of the Flower Moon“ von Martin Scorsese, wie eine Miniserie schauen, diesen also in mehrere Teile zerstückeln und über ein paar Tage gucken. Ich möchte nicht daran denken …

  • roots&reels #11: ALFILM und Hiam Abbass

    Immer, wenn die Rede von den besten Schauspielerinnen der Welt ist – und ich meine echte Legenden, und nicht die jüngere Riege (Sorry, Zendaya, Florence Pugh usw.) – dann werden meist dieselben Namen genannt: Meryl Streep, klar, Judi Dench, dann Juliette Binoche und Isabelle Huppert aus Frankreich, Viola Davis natürlich und so weiter. Alle zurecht – sie sind so gut in dem, was sie machen. Aber ein Name wird leider selten bis kaum genannt, obwohl diese Schauspielerin meiner Meinung nach auf jeden Fall in diese Aufzählung gehört: Hiam Abbass!

    Abbas wurde Anfang der 60er in Nazareth geboren, in einer Familie, die 1948 während der „Nakba“ (zu Deutsch: Katastrophe) aus ihrem palästinensischen Dorf vertrieben wurde. Als junge Frau verliebte sie sich in das Theater, beschloss aber recht früh, Israel zu verlassen, unter anderem weil sie nicht immer unter den schwierigen behördlichen Bedingungen arbeiten wollte. Ohne so wirklich den Segen ihrer Familie zu haben, verließ Abbass ihr Zuhause, schließlich wartete eine illustre Karriere auf sie, in Filmen von Regisseuren wie Julian Schnabel, Steven Spielberg, Jim Jarmusch oder Ridley Scott. Jüngst war Abbass im Blockbuster  „Blade Runner 2046“ zu sehen oder den Festival-Favoriten „Insyriated“ und „Gaza mon amour“.

    Auch im Binge-Watching-Programm ist Hiam Abbass voll und ganz angekommen: Sie hat eine wunderbare Rolle als Mutter von „Ramy“ (auf MGM+ bei Prime verfügbar) und auch als undurchsichtige Frau von Gründer und CEO Roy Logan in „Succession“ (alle Staffeln bei WOW). Abbass ist also in mehreren Prestige-Sachen zu finden, genauso wie in Arthouse-Stoffen und dabei immer eine Bereicherung für den Cast. Mehr Leute sollten sie auf dem Schirm haben.

    15 JAHRE ALFILM

    Es ist somit nur richtig, dass im Programm der 15. Edition von ALFILM Hiam Abbass mehrfach vertreten ist. ALFILM ist das jährlich stattfindende arabische Filmfestival Berlins und zeigt seit inzwischen fünfzehn Jahren die besten arabischen Geschichten in den Kinos der Hauptstadt. Der Eröffnungsfilm ist die einfühlsame und emotionale Dokumentation „Bye Bye Tiberias“ von Lina Soualem – Hiam Abbass Tochter. Mit diesem Film kehrt Soualem in das Dorf zurück, in dem Abbass aufgewachsen ist und letztendlich verlassen musste, um Weltstar zu werden.

    Mit einer intelligenten und sensiblen Kameraführung, gemischt mit sehr viel Archivmaterial und ehrlichen Gesprächen aller Beteiligten, zeichnet die junge Regisseurin ein Porträt ihrer Familie zwischen Palästina, Syrien, Frankreich und anderswo und nimmt insbesondere mehrere Generationen von Frauen in den Fokus, ihre Ängste und Hoffnungen, ihre Liebe und Trauer. Sie erzählt vom Verlust der eigenen Heimat, ein Thema, das sich durch die ganze Geschichte zieht.

    Um all das geht es auch im Kurzfilm „Sokrania 59“ von Abdallah Al Khatib. Hier spielt Hiam Abbass eine Geflüchtete aus Syrien (mit palästinensischer Herkunft), die mit ihrer Familie in Deutschland in einem Gemeinschaftshaus untergekommen ist. Willkommen fühlen sie sich nicht, vor allem weil sie täglich von einem Inspekteur schikaniert werden, der unangekündigt auftaucht und die Familie an alle – sehr deutschen – Regeln erinnert.

    Von einem Tag auf den anderen kommen dann auch noch zwei ukrainische Geflüchtete dazu, mit denen die Wohnung geteilt werden muss. Ab dieser Szene ist der Film vorhersehbar, mit typischen Culture-Clash-Komponenten, aber was soll’s, es ist ein Kurzfilm und die Message ist in diesen Zeiten der gesellschaftlichen Spaltungen wichtiger denn je. Dem Film gelingt es jedenfalls, nicht ins absurd Melodramatische abzudriften. Und die Kameraeinstellungen zum Ende hin machen auch Spaß.

    Weniger spaßig ist „Yellow Bus“ von Wendy Bednarz, doch die Performances sind hier sehr stark: Ananda und ihr Mann Gagan haben Indien in der Hoffnung auf ein besseres Leben verlassen, doch ihr Leben in einem ungenannten arabischen Golfstaat wird schnell zum Albtraum. Eines Tages wird ihre Tochter tot im Schulbus aufgefunden, sie wurde dort einfach vergessen und ist an der Hitze erstickt. Ananda schwört Rache, doch so einfach ist das nicht in einem Land, wo ihre Religion und Kultur auf hiesige Bräuche und Regeln prallt, wo niemand Verantwortung übernehmen möchte. Der Film ist vielleicht 15–20 Minuten zu lang, aber er lohnt sich für die aufrichtige Darbietung von Tannishtha Chatterjee als gebrochene Mutter.

    Das ALFILM-Festival läuft vom 24. bis 30. April in verschiedenen Berliner Kinos und zeigt u. a. Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme, Panels und Masterclasses mit Filmschaffenden. BYE BYE TIBERIAS, SOKRANIA 59, YELLOW BUS und viele weitere Titel sind alle noch zu sehen.

    Weitere Infos: https://alfilm.berlin/

     

    KONTAKT FÜR ANREGUNG, LOB (BITTE NICHT), KRITIK, BRIEFFREUNDSCHAFT USW.

    Du kannst mir natürlich auch jederzeit schreiben, wenn dir etwas auf dem Herzen liegt. Wenn du einen von mir empfohlenen Film nicht gut findest oder wiederum einen Film empfehlen möchtest, über den ich bei „roots & reels“ schreiben soll, melde dich. Mir ist wichtig, was du zu sagen hast! Ich antworte auch allen, versprochen:

    schayan@kohero-magazin.de

    Dein

    Schayan

  • roots&reels #9: Dune 2

    Endlich! Aufmerksame Leser*innen werden bemerkt haben, dass der letzte Newsletter schon eine Weile zurückliegt, vor über einem Monat. Manchmal wird man eben vom eigenen Leben und der eigenen Gesundheit eingeholt. Jetzt aber geht es munter weiter mit „roots & reels“ und hoffentlich genauso erfolgreich wie mit „Dune“ (sorry für diese billige Überleitung):

    „Dune 2“, die Fortsetzung des Science-Fiction-Films von Denis Villeneuve aus dem Jahr 2021, regiert derzeit alle Film-Schlagzeilen und auch Social Media. Tiktok ist überflutet mit Content von Sandwürmern, von der Droge „Spice“, von der Liebesgeschichte zwischen Paul Atreides und seiner Geliebten Chani. Und von den vier jungen Talenten Timothée Chalamet, Zendaya, Austin Butler und Florence Pugh, die neben der älteren Schauspiel-Riege Stellan Skarsgård, Javier Bardem, Josh Brolin und weiteren das Ensemble des Films ausmachen. Es scheint, als hätte Hollywood in diesem Jahr noch keinen weiteren Film produziert.

    Die Geschichte von „Dune“ basiert auf Frank Herberts gleichnamigem Roman von 1965. Der junge Fürst Paul Atreides (Chalamet) verteidigt nach dem Tod seines Vaters (Teil 1) mithilfe der indigenen Bewohner*innen den Wüstenplaneten Arrakis gegen imperiale Truppen. Schon in den 80ern wurde Herberts Bestseller vom Filmemacher David Lynch verfilmt, doch nicht so bildgewaltig und episch wie vom Kanadier Villeneuve. Doch Lynch brauchte nicht zwei ganze Filme dafür.

    Ich war ehrlich gesagt kein großer Fan des ersten Dune-Films, den zweiten habe ich noch nicht gesehen. Was ich persönlich interessanter finde als die Filme selbst, sind die Analysen und Interpretationen drumherum. Wenn man den Roman gelesen hat, dann weiß man, wie sehr Herbert von monotheistischen Religionen wie dem Islam inspiriert wurde. Nachträglich Ramadan Mubarak an alle Leser*innen an dieser Stelle!

    Paul Atreides gilt für die Fremen, die indigenen Bewohner*innen des Wüstenplaneten, als langersehnter „Mahdi“, als „Lisan al Gaib“. Hier kann man sehen, dass Herbert ein Faible fürs Arabische, aber auch für das Muslimische hatte. Denn der Glaube an das Erscheinen eines Propheten, der in der Endzeit das Unrecht auf der ganzen Welt beseitigen wird, ist ein zentraler Bestandteil einiger islamischer Konfessionen.

    Man muss aber auch festhalten, dass im Koran selbst der sogenannte Mahdi und sein Kommen nicht ausdrücklich erwähnt werden. Und das zeigt, dass Herbert keine rein islamische Geschichte wiedergibt, sondern dass er sich eher von der Kultur hat inspirieren lassen, sich hier und da an Ideen und Wörtern vergriffen hat, die er spannend fand, vor allem bei den indigenen Ethnien Nordafrikas wie den Amazigh, und daraus seine Science-Fiction-Story geschrieben hat. Ihm geht es weniger um die Religion selbst, vielmehr schreibt er über falsche Propheten und wie sie Religion als Werkzeug nutzen, um Strategien zu formulieren und ihre Kriege zu führen.

    Ob man nun „Dune“ gesehen oder gelesen hat, hier noch eine Empfehlung in der ARTE-Mediathek (weil wir auch intellektuell unterwegs sind und nicht nur Hollywood-Blockbuster schauen): Die faszinierende Doku „Jodorowskys Dune“ über den misslungenen Versuch des chilenischen Filmemachers Alejandro Jodorowsky, Frank Herberts „Dune“ in den 70ern zu verfilmen, ist wirklich sehenswert. Der Film lehrt uns so viel über Kreativität, Kunst, Kommerz.

     

     

    Hier kannst du unsere Newsletter abonnieren

     

  • roots&reels #8: Berlinale

    Vom 15. bis 25. Februar fand die Berlinale statt. Bereits im Vorfeld gab es einen großen Aufreger über das internationale Filmfestival: Zur Eröffnungsfeier wurden fünf AfD-Abgeordnete eingeladen, wie in den vorherigen Jahren auch. Und als ob man einen Grund bräuchte, warum man ausgerechnet nicht mit rechten Politiker*innen feiern sollte, gab es in diesem Jahr sogar noch mehr handfestes: Laut einer Recherche von CORRECTIV hatte sich ein Zusammenschluss aus AfD, der rechtskonservativen Werteunion, weiteren Rechtsextremen und Unternehmer*innen gegeben, die sich im November 2023 unter anderem über die Vertreibung von Millionen von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte austauschten. Kristin Brinker, eine der eingeladenen Gäst*innen auf der Berlinale, nahm auch an diesem Treffen teil.

    Es gab viel Protest von Filmschaffenden und die Berlinale reagierte. Sie lud die AfD-Politiker*innen wieder aus. Während der Berlinale gab es dann den einen oder anderen Pro-Demokratie-Protest auf roten Teppichen, auch Statements zum vierten Jahrestag des Anschlags in Hanau, aber weitere Aufreger blieben aus. Bis zur großen Preisverleihung: Ein von Menschen aus Palästina und Israel gemeinsam realisiertes Projekt, die Langzeitbeobachtung „No Other Land“ über die Zerstörung und Zwangsräumung des Ortes Masafer Yatta in der Westbank, gewann den Preis für den besten Dokumentarfilm der Berlinale.

    Die Filmemacher Basel Adra und Yuval Abraham nahmen den Preis entgegen und sprachen sich für ein Ende der Besatzung aus, für einen Waffenstillstand, für Frieden. Auch weitere Preisträger*innen machten Gebrauch von dieser großen Plattform in Berlin und sprachen sich für ein Ende des palästinensischen Leids aus. Unter ihnen war auch die französisch-senegalesische Regisseurin Mati Diop, die mit „Dahomey“ den Goldenen Bären für den besten Film im Wettbewerb gewann.

    Aber das alles passte einigen überhaupt nicht, wie zum Beispiel der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die übrigens noch ein paar Wochen zuvor die Einladung der AfD-Politiker*innen verteidigt hatte. In einem Statement nach der Preisverleihung stellte sie klar, dass sie nur für den Israeli Yuval Abraham, nicht aber für den Palästinenser Basel Adra geklatscht hatte. Auch der Bürgermeister und der Kultursenator von Berlin, Kai Wegner und Joe Chialo, waren empört über die Worte der verschiedenen Filmemacher.

    Sie alle deuteten die diversen Reden als antisemitisch. Weil man sich in Deutschland nicht für Frieden aussprechen kann, scheint es. Weil Israel alles richtig mache. Weil die Hamas an allem Schuld sei. Waren vielleicht die silbernen und goldenen Bärenstatuen auch von der Hamas gesponsert?

    Yuval Abraham, der in seiner Rede über die Ungleichheit der Lebensrealitäten von Israelis und Palästinenser*innen sprach und über Privilegien, die er gegenüber seinem Kollegen Basel Adra hat, bekam nach dem Abend Morddrohungen. Wie konnte er es auch nur wagen, sowas zu sagen, ohne sich einmal klar und deutlich von der Hamas zu distanzieren oder an die israelische Geisel zu erinnern (hatte er übrigens schon vor der Preisverleihung in einem Artikel für das +972 Magazine).

    Ich hoffe, dass deutsche Politiker*innen sich jetzt darüber freuen, dass sie als nicht-jüdische Menschen auch mal einem jüdischen Israeli Antisemitismus vorgeworfen haben. Und auch dieses palästinensisch-israelische Kollektiv, welches um Verständigung bemüht ist, als antisemitisch geframed haben. Herzlichen Glückwunsch und herzlich willkommen in Deutschland.

  • roots&reels #5: Barbie vs Oppenheimer

    Was für ein Jahr. 2023 stand das Kino ganz im Zeichen von zwei Filmen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Barbie und Oppenheimer starteten im Sommer am gleichen Tag und lösten ein Popkultur-Phänomen aus, wie wir es selten erleben. Es schien eine Zeit lang so, als gäbe es nur noch schwarz und pink auf der Welt. Und weil beide Filme auch gut und erfolgreich waren, war das ein Gewinn für Kinobetreiber, die nach mehreren Jahren des Strugglens (erinnert ihr euch noch an Corona?) wieder volle Kinosäle zu melden hatten.

    Aber kurz etwas Transparenz: Ich habe geschrieben, dass Oppenheimer und Barbie beides gute Filme sind. Ich lüge. Ich fand nur Barbie gut. Gut gespielt, hatte was zu sagen, Ryan Gosling. Oppenheimer war … auch gut gespielt, aber auch unglaublich langweilig. Und unfokussiert. Ich bin mir bis heute nicht sicher, für was Oppenheimer wirklich steht und was der Film uns über diese komplexe Persönlichkeit sagen möchte. Bei Barbie wiederum fand ich – intellektueller Filmkritiker, der ich bin – alles klar und verständlich.

    2023 stand auch im Zeichen von Shah Rukh Khan. Der indische Megastar hatte sein großes Comeback mit gleich drei Projekten: der Spionage-Thriller „Pathaan“, der Actionfilm „Jawan“ und zuletzt das Migrationsdrama „Dunki“. Auch SRKs Tochter Suhana Khan feierte letztes Jahr ihr Debüt im Netflix-Film „The Archies“, neben Amitabh Bachchans Enkelsohn Agastya Nanda und Khushi Kapoor, Tochter der legendären Schauspielerin Sri Devi. Regie führt Zoya Akhtar, Tochter des berühmten Drehbuchautors Javed Akhtar und Schwester des Regisseurs, Schauspielers und Sängers Farhan Akhtar.

    Ist dir schon schwindelig? Der Begriff „Nepo-Baby“ ist inzwischen zum Meme geworden, aber als ich den Artikel darüber Ende 2022 im Vulture Magazine gelesen hatte, musste ich ehrlich gesagt nur schmunzeln. Nepotismus ist für mich nämlich der Inbegriff von Bollywood – und nicht Hollywood oder anderswo.

    Ich möchte an dieser Stelle gar kein Urteil fällen über „das Geschäft“, weil es irgendwo doch spannend ist, zu sehen, wenn Kinder von berühmten Schaupieler*innen selbst Schauspieler werden. Das weckt schon eine gewisse Neugierde. Aber – und das ist ein großes Aber – sowohl Amitabh Bachchans Enkelsohn, Sri Devis und leider auch Shah Rukh Khans Tochter sind grottenschlecht. Das macht „The Archies“ zu einem schrecklichen Filmerlebnis. Und sie lassen Shah Rukh Khan in seinen Filmen wie Daniel Day-Lewis aussehen.

    Ich bin gespannt, was uns dieses noch frühe Jahr zu bieten hat. Auf was freust du dich? Hast du einen Film, dem du besonders entgegenfieberst? Welche Filme hast du 2023 besonders gefeiert? Und welchen Film hast du gesehen, der deiner Meinung nach komplett untergegangen ist? Ich freue mich, wenn du deine Erfahrungen mit mir teilst.

  • roots&reel #4: Elaha

    Elaha, eindrucksvoll gespielt von Bayan Layla, tanzt unbekümmert auf einer kurdischen Hochzeit. Sie tanzt und tanzt mit ihrem Verlobten, die beiden packen ihre wildesten Moves aus. Als sie sich nach kurzer Zeit hinsetzt, wird sie von ihrer Mutter ermahnt. Sie soll sich doch bitte beherrschen und anständig sein.

    Diese anfängliche Szene aus „Elaha“, dem Debütfilm der Regisseurin Milena Aboyan, setzt den Ton für die nächsten zwei Stunden. Für wen leben Frauen eigentlich in patriarchalen Strukturen? Wer bestimmt ihr Leben? Und wie können sie sich davon befreien, ohne – wohlgemerkt – gegen ihre Familie zu gehen?

    Mich hat dieser Film wirklich beeindruckt. Zum einen aufgrund der unglaublich starken und mutigen Performance von Bayan Layla in der Hauptrolle. Ich hatte sie überhaupt nicht auf dem Schirm und hier liefert sie die schauspielerische Leistung des Jahres, zumindest im deutschen Film. Zum anderen haben mir die vielschichtige, differenzierte Erzählweise und das kluge Drehbuch gefallen. Milena Aboyan kommt gut ohne Kino-Klischees aus, weil sie, das behaupte ich jetzt einfach mal, nicht daran interessiert ist, eine ganze Kultur zu verteufeln. Vielmehr wünscht sie sich eine Auseinandersetzung mit Denkweisen, Systemen und eben dem Patriarchat, unter dem Frauen wie Elaha leiden, klar, aber auch Männer, die ihre Männlichkeit beweisen müssen.

    Die Themen dieses Filmes werden normalerweise mit einer Art Hysterie und Überemotionalität behandelt. Eine junge Frau steht kurz vor ihrer Hochzeit und muss ihre Unschuld wiederherstellen. Hier ist es aber eine feinfühlige, kultursensible Charakter- und Milieustudie geworden. Ich bin gespannt, was Milena Aboyan als Nächstes machen wird. „Elaha“ ist ab heute im Kino zu sehen.

     

    Im Spotlight: Fitore Muzaqi

    Hey Fitore, stell dich bitte einmal kurz vor.

    Ich bin deutsche Regisseurin und Drehbuchautorin mit Migrationsbiografie. Meistens erzähle ich noch dazu, dass ich Hauptschülerin war, weil ich bei Treffen der Filmbranche fast immer die einzige mit einer solchen Laufbahn bin. Früher habe ich mich dafür geschämt, heute bin ich aber froh darüber, meine Geschichte erzählen zu können. Indem ich zu meinem Werdegang stehe, kann ich hoffentlich für andere Menschen mit wenigen Privilegien ein Role Model sein.

    Was sind deine Themen als Autorin?

    Meine Themen, die ich als Autorin und Regisseurin erarbeite, drehen sich fast immer um Migrationsbiografien, Klassismus, Rassismus, Feminismus oder auch ganz einfach Ungleichheit. Ich bin mit meiner Familie vor dem Kosovo-Krieg geflohen. Wir haben nicht nur alles verloren, sondern sind auch noch ohne Ressourcen in Deutschland gelandet. Wir konnten die Sprache nicht und kannten auch das System nicht.

    Ich glaube, dass das einer der Gründe ist, weshalb meine Geschwister und ich direkt auf die Hauptschule geschickt wurden. Wir haben uns danach durchgekämpft, unser Abitur gemacht und studiert. Aber erstmal mussten wir auf die Hauptschule und das ist eine Ungerechtigkeit neben dem Verlust unserer Heimat, die mich mein Leben lang begleitet hat und begleiten wird.

    Warum Film?

    Ich wollte schon Filme machen, seitdem ich als Kind die erste Kamera in der Hand gehalten habe. Das ist eine Welt, in die du gut flüchten kannst, wenn die Realität zu viel wird, in der du aber auch eine verlorene Sprache in Bilder und Worte übersetzen kannst. Aber um in die Filmbranche reinzukommen, musste ich viele Umwege gehen und mir als Migrantin und als Frau meinen Weg hart erkämpfen. Ich würde sagen, dass ich resilient bin und das meine Themen auch umso stärker macht.

    Woran arbeitest du gerade?

    Gerade arbeite ich mit der Kölner Produktionsfirma eitelsonnenschein an meiner Serie FRIED DREAMS, aber auch an weiteren Stoffen. Dieses Jahr wurde der Kurzfilm TURTLE & ALBION von der Film- und Medienstiftung gefördert – mein erstes gefördertes Projekt – zu dem Malte Vogt das Drehbuch geschrieben hat und bei dem ich Regie führen werde. Nächstes Jahr steht auch ein Highlight für mich an: Ich werde meine eigene Produktionsfirma gründen. Das ist eine Arbeit, die schon einige Jahre auf mich gewartet hat und jetzt in die Realität umgesetzt wird. Darauf freue ich mich sehr.

    Was wünschst du dir für die Filmbranche?

    Am meisten wünsche ich mir Zusammenhalt, Vielfalt und Verständnis. Das kann nur durch Dialog passieren und für diesen Dialog setze ich mich gerne ein.

  • roots&reels #3: Joyland

    Meine Eltern kommen beide aus Pakistan und es gibt für mich nur zwei Momente, in denen ich mich besonders pakistanisch fühle. Zum einen, wenn die Cricket-WM läuft (aber bitte frag mich jetzt nicht, wie Pakistan dieses Jahr spielt) und wenn die Mango-Saison in vollem Gang ist.

    Neuerdings musste ich mir eingestehen, dass es noch einen dritten Moment gibt: Wenn ein pakistanischer Film auf einem internationalen Filmfestival läuft. Wenn das Programm eines Filmfestivals angekündigt wird, ist es oft das Erste, wonach ich suche. Ich rufe die Website auf, klicke auf „Country“, suche im Drop-Down-Menü nach … Polen, nein … Palästinensische Gebiete … cool, aber wo ist Pakistan? Warum gibt es schon wieder keinen pakistanischen Film?

    Jedes Jahr werden mehrere Filme aus Indien eingeladen, nach Berlin, nach Cannes, nach Venedig, aber pakistanische Filme konnten bisher nicht aus dem Schatten der benachbarten Filmindustrie austreten. Oft ist es eine Frage der Qualität und auch der Ressourcen. Natürlich produziert auch Pakistan viele Filme, doch das Land hat sich eher als großer Fernsehmarkt etabliert. Auch indische Sender kaufen pakistanische Fernsehserien für das indische Publikum ein und somit ist das Kino eher ein zweitrangiges Geschäft. Und ich habe noch gar nichts zur Zensurbehörde gesagt, die pakistanischen Filmemachenden das Leben zusätzlich erschwert.

    Aber das ändert sich jetzt alles so langsam. Saim Sadiqs „Joyland“ hat letztes Jahr in Cannes mehrere Preise gewonnen, darunter den Queer Palm. Ein Jahr davor hat sein Kurzfilm „Darling“ in Venedig den Preis für den besten Kurzfilm gewonnen. Diesen Monat wird die pakistanisch-kanadische Produktion „In Flames“ von Zarrar Khan auf dem Filmfest in Mannheim-Heidelberg deutsche Premiere feiern, nachdem der Film bereits in Cannes und Toronto gelaufen war. Gut, das sind jetzt nur zwei Filme, aber lass mich bitte optimistisch sein.

    Und all das wäre ja irrelevant, wenn die Filme nicht gut wären. Zum Glück ist „Joyland“ ein Meisterwerk. Heute startet der Film auch in den deutschen Kinos, mach dir also gerne ein eigenes Bild von diesem Gesellschaftsdrama, der von Mitgliedern einer Familie handelt, die inmitten einer patriarchalen Struktur versuchen, ihren eigenen Weg zu gehen. Allen voran Haider, der auf der Suche nach einem Job, um seine schwangere Frau zu unterstützen, in einem Burlesque-Theater zu arbeiten anfängt und sich in die Tänzerin Biba verguckt, eine Transfrau. Ein wirklich einfühlsamer, intelligenter Debütspielfilm von Sadiq.

    Im Spotlight: Esra und Patrick Phul

    Hallo Esra und Patrick, stellt euch bitte kurz vor.

    Wir sind deutsche Filmemacher mit Migrationsgeschichte. Letztes Jahr haben wir die Rap-Musical-Serie HYPE herausgebracht als Produzenten, Regisseure und Drehbuchautoren. Und dieses Jahr haben wir die Veranstaltung „Talent over Privilege“ ins Leben gerufen.

    Was genau ist „Talent over Privilege“?

    „Talent over Privilege“ ist eine Bewegung und Plattform, die sich für mehr Sichtbarkeit und Chancengleichheit von Filmschaffenden mit Migrationsgeschicht ein der deutschen Filmbranche einsetzt. Unser Ziel ist es, die Missstände in der Branche aufzuzeigen, die oft denjenigen die Zugänge erschwert, die nicht dem Mainstream entsprechen und oft keine Privilegien haben. Das wollen wir verändern. Wir glauben, dass Talent und Vielfalt über Herkunft und Privilegien stehen müssen. „Talent over Privilege“ arbeitet daran, diese Botschaft zu verbreiten und sorgt für eine inklusive, vielfältige Zukunft für die deutsche Filmbranche.

    Und was hat euch dazu bewegt, diese Veranstaltung ins Leben zu rufen?

    Wir würden uns als Quereinsteiger bezeichnen, wir sind erst seit 2 bis 3 Jahren in der Branche. Mit „Hype“ haben wir unser Debüt gegeben und wir haben gemerkt, wie ungerecht diese Branche ist. Viele Filmschaffende mit Migrationsgeschichte haben keinen Zugang, der deutsche Film ist ein elitärer Kreis, den wir durchbrechen wollen.

    Wir haben im letzten Jahr die deutschen Fernsehpreis- oder Filmpreisverleihungen beobachtet, das war alles sehr weiß, die ganzen Jurys sind weiß, das spiegelt die Gesellschaft gar nicht wider. Das hat uns wütend gemacht. Und wir verstehen das nicht, weil wir hier sind, wir sind da, wir sind talentiert und wir wollen auch ein Teil davon sein. Das war der Grund: Wenn wir nicht ein Teil davon sein können, dann müssen wir eben unsere eigene Preisverleihung, unsere eigene Veranstaltung auf die Beine stellen. Und aus dieser Motivation heraus ist das Ganze entstanden.

    Wie lief die erste „Talent over Privilege“-Veranstaltung im Oktober in Köln?

    Die Veranstaltung war ein voller Erfolg. Das ist alles viel besser, vielkrasser geworden, als wir uns das vorgestellt haben. Die Resonanz war durchwegpositiv. Menschen aus der Filmbranche, mit Migrationsgeschichte, sind auf unszugekommen und haben sich bei uns bedankt, weil sie sonst nicht gesehen werden. Dass es endlich so eine Veranstaltung gibt, wo wir die Entscheider sind, wir die Jury besetzen, wir bestimmen, wer auf die Bühne darf und so weiter. Das ist ein großer Meilenstein in der deutschen Filmbranche und wir freuen uns, dass das so gut angekommen ist.

    Was war euer Highlight?

    Unser Highlight, nicht nur für uns, sondern für die meisten Anwesenden, war der Opening-Song der Preisverleihung, den wir extra für die Veranstaltung produziert haben und den der Rapper Osiriz33 performed hat. Das war sehr geil!

  • roots&reels #2: Palestinian Stories

    200 Meter – das ist die Entfernung zwischen Mustafa und seiner Familie. Die israelische Grenzmauer trennt die beiden voneinander, sie sehen sich meist nur über ihre Balkone. Obwohl Mustafas Frau und drei Kinder die israelische Staatsbürgerschaft haben und er dadurch auch eine beantragen könnte, weigert er sich, als Palästinenser diesen Weg zu gehen. „Ich möchte keinen israelischen Ausweis!“, erwidert er eines Tages, als seine Frau ihn darauf anspricht. So bleibt es nur bei traurigen Telefonaten oder bei gelegentlichen, zeitlich begrenzten Besuchen.

    Eines Tages bekommt Mustafa einen Anruf. Sein Sohn hat sich verletzt und ist im Krankenhaus. Jetzt muss er dringend für seine Familie da sein. Doch sein Passierschein ist abgelaufen. Wie kommt er jetzt an der harten Grenzkontrolle vorbei? Hier verwandelt sich der Film vom banalen Alltagsdrama in ein spannendes Road Movie. Und die Entfernung zwischen Mustafa und seiner Familie weitet sich ins Unendliche aus.

    Ameen Nayfeh ist mit „200 Meters“ ein bemerkenswerter Debütfilm gelungen, mit einer bemerkenswerten schauspielerischen Leistung von Ali Suliman in der Hauptrolle. Du solltest dir diesen Film auf jeden anschauen, wenn du auf einer nuancierten und menschlichen Art und Weise erfahren möchtest, was Palästinenser*innen in den illegal besetzten Gebieten permanent durchmachen müssen und wie Aktionen, die für uns so alltäglich erscheinen, hier eine ganz andere Dimension der Unterdrückung annehmen.

    Der Film ist wie viele andere „Palestinian Stories“ auf Netflix verfügbar. Doch Achtung: Du solltest besser deine Spracheinstellungen auf Englisch umswitchen, es kann sein, dass die Filme in der deutschsprachigen Netflix-Version, trotz eines deutschen Netflix-Accounts, gar nicht angezeigt werden. Das war für viele der Fall, als Netflix diese Kollektion 2021 veröffentlichte.

    Ein paar weitere Filme, die ich empfehlen kann, neben den vielen sehenswerten Kurzfilmen wie „The Crossing“, „A Drowning Man“, „The Present“ oder „Ave Maria“ ist „3000 Nights“ von Mai Masri. Masri ist eine Regie-Legende, unter anderem ist sie auch für ihren Dokumentarfilm „Children of Shatila“ über Kinder im libanesischen Geflüchteten-Camp Shatila bekannt. In „3000 Nights“ porträtiert Masri das israelische Gefängnissystem als einen weiteren Ort der Entmenschlichung palästinensischer Individuen.

    Layal, gespielt von Maisa Abd Elhadi, wird verhaftet, nachdem sie sich weigert, gegen einen Jugendlichen auszusagen. Sie kennt diese Person gar nicht, hat ihr lediglich eine Mitfahrgelegenheit angeboten. Dass diese Person im Visier der israelischen Justiz war, wusste sie nicht, als sie von A nach B gefahren ist. Und das bringt sie für acht Jahre hinter Gittern. Im Gefängnis erfährt sie, dass sie schwanger ist. Dieser Film beruht auf wahren Begebenheiten.

    „3000 Nights“ funktioniert sehr gut als Double-Bill mit „Ghost Hunting“ von Raed Andoni. In diesem außergewöhnlichen Dokumentarfilm werden ehemalige palästinensische Gefangene gebeten, ihre Inhaftierung beziehungsweise Vernehmung durch die israelische Polizei nachzustellen und dadurch ihr Trauma einerseits wieder zu erleben, aber andererseits auch zu verarbeiten. Der Film ist in Teilen echt hart, aber auch absolut essentiell, wie ich finde, wie so viele in dieser Netflix-Kollektion, weil er aus einer dezidiert palästinensischen Perspektive heraus erzählt.

    Eine Perspektive, die in Deutschland leider viel zu oft viel zu kurz kommt. Erst recht in Film und Fernsehen und überhaupt in den Medien. Habt ihr schon mal einen palästinensischen Film oder Filme mit palästinensischen Geschichten gesehen? Habt ihr eigene Empfehlungen? Oder habt ihr andere Filme in den letzten Wochen und Monaten gesehen, die ihr erwähnen möchtet? Schreibt mir, ich würde eure Tipps gerne in nächsten Ausgaben teilen.

    Und ich weiß, dass ich in der letzten, der ersten Ausgabe von roots & reels geschrieben hatte, dass ab heute auch Rubriken wie „Streaming-Tipps“ oder „Gespräche mit Filmschaffenden“ erscheinen werden. Nun, alle genannten Filme sind auf einer Streaming-Plattform verfügbar. Den zweiten Punkt werde ich in der dritten Ausgabe nachholen – versprochen! Alle guten Dinge sind ja sowieso drei oder so. Danke für eure Geduld und fürs Lesen! Bis zum nächsten Mal.

kohero-magazin.com