Schlagwort: Europa

  • Welche Folgen haben die Ergebnisse der Europawahl?

    Am 9. Juni 2024 war Europawahl. Die Bürger*innen der EU hatten die Chance, das Europäische Parlament zu wählen. Die Folgen werden nun für die EU und die restliche Welt zu bemerken sein. In diesem Artikel geht es um die möglichen Konsequenzen dieser Ergebnisse.

    Wie läuft eine Europawahl ab?

    Die Durchführung der Wahlen findet in jedem Land eigenständig statt. Die Parteien bekommen ihre Sitze im Europaparlament je nach Stimmenanteil. Es gibt keine 5-Prozent-Hürde. Deshalb können auch kleinere Parteien in das Parlament einziehen. Im Europäischen Parlament schließen sich diese Parteien zu überstaatlichen Fraktionen zusammen. Zum Beispiel sind die Grünen Parteien Teil der Fraktion Die Grünen/Freie Europäische Allianz. Am Ende wird auch noch eine Kommission für die EU gebildet. Die Kommission ist beispielsweise für Gesetzesvorschläge innerhalb der EU und der Vertretung nach außen verantwortlich.

    Wahlergebnisse

    In Deutschland gewann die Union mit 30 Prozent der Stimmen in Deutschland wieder die Europawahlen. Die Grünen haben nur noch 11,9 Prozent erhalten und haben damit an Stimmen verloren. Die SPD kam auf 13,9 Prozent und verlor damit auch an Stimmen. Die dritte Partei der Ampel, die FDP, kam auf 5,2 Prozent. Ein Rechtsruck deutet sich durch die Wahlergebnisse an, da die AFD 15,9 Prozent bekam. Die Linke kam nur noch auf 2,7 Prozent. Die neue Partei Bündnis Sahra Wagenknecht erhielt hingegen 6,2 Prozent. Den Rest der Stimmen erhielten Kleinparteien, die teilweise auch ins Parlament eingezogen sind.

    Diese politische Entwicklung spiegelt sich auch in der Sitzverteilung der Fraktionen wider. Die Fraktion der Europäischen Linken kommt im neuen Parlament auf 39 Sitze. Die Sozialdemokraten bleiben mit 136 Sitzen die zweitstärkste Fraktion. Die europäischen Grünen kommen auf 54 Sitze im Parlament. Die Liberalen haben im neuen Parlament 75 Sitze. Mit 188 Sitzen ist die konservative EVP weiterhin die größte Fraktion. Die rechte Fraktion EKR besetzt über 83 Sitze und die andere rechte Fraktion ID kommt auf 58 Sitze. Außerdem gibt es noch fraktionslose Parteien und Personen. Dies betrifft 87 Abgeordnete. Insgesamt gibt es im Europäischen Parlament 720 Sitze. Der Rechtsruck wird durch diese Besetzung im Parlament klar verdeutlicht.

    Was bedeuten diese Zahlen?

    Diese Zahlen bergen große Gefahren. Wenn die rechten Parteien derart viele Sitze bekommen, haben sie einen großen Einfluss. Entscheidungen werden damit öfter zu ihren Gunsten fallen. Bereits in vielen Staaten der EU sind in den letzten Jahren rechtspopulistische Regierungen an die Macht gekommen. Diese könnten durch ein nicht mehr genug wehrhaftes Parlament nicht mehr genug kontrolliert werden. Das ist eine Gefahr für die demokratische Ordnung.

    In politischen Debatten könnten so rechte und menschenfeindliche Positionen gestärkt werden. Durch die Sitze im Parlament könnte es auch sein, dass die EVP sich ihre Unterstützung vom rechten Rand des Parlamentes holen wird. Um die eigenen Anliegen durchzukriegen, würden sie womöglich mit den Rechtspopulisten zusammenarbeiten. Diese politische Entwicklung innerhalb der Konservativen zeigt Tendenzen zu diesem Mittel.

    Noch im alten Parlament wurde das „Europäische Asylpaket“ beschlossen. Wenn das Parlament nun noch weiter nach rechts rückt, kommen Fragen darüber auf, was jetzt passiert. Womöglich werden derartige Gesetze in Zukunft mit dieser Parlamentsbesetzung noch öfter kommen. In einem Parlament, in dem viele menschenverachtende Ansichten vertreten werden, zählen einstige Werte nicht mehr genug. Diese Parlamentskonstellation wird das Recht auf Asyl höchstwahrscheinlich viel zu wenig achten.

    Die Ergebnisse sind schockierend. Die möglichen Folgen dieser Wahl sind noch nicht alle einsehbar, aber sind sehr beängstigend. Es ist traurig, wie viele Menschen rechtsextreme Parteien gewählt haben. Auch haben viel zu wenige wahlberechtigte Personen gewählt. Um das Demokratieverständnis dieser Menschen zu stärken, muss es mehr politische Aufklärung geben.

  • Europawahl: Das planen die Parteien zum Thema Flucht und Migration

    34 Parteien stehen in Deutschland auf dem Wahlzettel zur Europawahl. Darunter die im Bundestag vertretenen Parteien sowie kleinere Parteien wie die Familien-Partei oder die DKP, die es bei der letzten Wahl nicht ins Europäische Parlament geschafft haben. Ebenfalls treten Vereinigungen wie etwa die Klimaliste und die Letzte Generation an. Migrationspolitisch vertreten die Parteien sehr unterschiedliche Positionen. Ein Überblick.

     

    CDU/CSU CDU und CSU wollen „irreguläre“ Migration begrenzen. Dies soll durch eine stärkere Absicherung der Außengrenzen gelingen. Außerdem sollen Flüchtende, die in der EU Asyl beantragen, in sichere Drittstaaten gebracht werden und dort das Asylverfahren durchlaufen. Eine „Koalition der Willigen innerhalb der EU“ nimmt dann ein Kontingent an schutzbedürftigen Menschen auf. Um die Migration von Fachkräften zu erleichtern, sollen Arbeitsvisa schnell und digital erteilt werden.
    Grüne Die Grünen kritisieren, es werde an EU-Außengrenzen und in manchen Mitgliedsstaaten das Menschenrecht auf Asyl verletzt. Sie fordern, dass Pushbacks rechtlich und politisch konsequent sanktioniert werden. Sichere Fluchtrouten sollen nach Ansicht der Grünen mithilfe von Migrationsabkommen mit Drittstaaten und humanitären Visa entstehen. Europa solle zwar Fluchtursachen bekämpfen, aber sich gleichzeitig nicht abschotten. Das Dublin-System ist aus ihrer Sicht ungerecht. Die Grünen lehnen das Drittstaaten-Konzept ab und fordern stattdessen verbesserte Asylverfahren innerhalb der EU. Sie wollen die Fach- und Arbeitskräfteeinwanderung durch einheitliche Regelungen fördern, z.B. durch die Anerkennung von Abschlüssen.
    SPD Aus Sicht der SPD sollte jeweils der individuelle Asylanspruch geprüft werden und keine pauschale Kategorisierung nach Herkunftsländern erfolgen. Beschleunigte Asylverfahren an den Grenzen dürften nicht zu Rechtsschutzeinschränkungen führen. Humanitäre Visa, die von EU-Auslandsvertretungen erteilt würden, sollen helfen, legale Fluchtwege zu schaffen. Die SPD will Pushbacks verhindern. Eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten lehnt sie ab. Außerdem setzt sich die Partei für mehr Möglichkeiten der Einwanderung von Arbeitskräften und für die Visa-Vergabe zu Qualifikations- und Ausbildungszwecken ein.
    AfD Die AfD will die EU-Außengrenzen stärker absichern und „illegale“ Migranten*innen bereits dort abweisen. Asylverfahren sollten in sicheren Drittstaaten stattfinden, wo Schutzbedürftige letztendlich auch bleiben können. Nur für besonders Schutzbedürftige (etwa Kinder in medizinischer Notlage) kann sich die AfD eine befristete Aufnahme in Deutschland vorstellen, dies allerdings auch nur „wenn sich die massiv überspannte finanziellen, materiellen und kulturellen Aufnahmekapazitäten Deutschlands wieder erholt haben.“ Die AfD will vor Krieg Geflüchtete nach Beendigung des jeweiligen Konflikts schnell zurückführen und spricht sich ebenfalls für „Remigrations“-Programme aus.
    Die Linke Die Linke spricht sich gegen eine „Festung Europa“ aus und für verbindliche Flüchtlingsrechte für Armuts-, Umwelt- und Klimaflüchtlinge. Aus ihrer Sicht verstoße die EU an ihren Außengrenzen täglich gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und das müsse sich ändern. Eine Auslagerung von EU-Asylverfahren in Nicht-EU-Länder lehnt die Partei ab, ebenso wie Abschiebungen. Das Dublin-System müsse durch eine solidarische Regelung ersetzt werden.
    FDP Die FDP fordert stärker abgesicherte Außengrenzen, schnellere Asylverfahren und eine zügige Rückführung von ausreisepflichtigen Personen. Sie spricht sich dafür aus, Menschen ohne Bleibechance direkt an den Grenzen abzuweisen. Asylanträge könnten aus ihrer Sicht in Drittstaaten geprüft werden.
    Die Partei Keine Erwähnung
    FREIE WÄHLER Die Freien Wähler fordern, die Zuständigkeit der Einwanderungspolitik allein den Nationalstaaten zu überlassen. Dabei sei die „Integrationsfähigkeit auch in kultureller Hinsicht ein maßgebliches Kriterium“. Einwanderung will die Partei getrennt von Asyl betrachten. In europäischer Zuständigkeit bleibe der Schutz der Außengrenzen, der verstärkt werden und Frontex hierfür massiv ausgebaut werden solle. Asylverfahren sollten hauptsächlich an den Außengrenzen und innerhalb weniger Tage durchgeführt werden. Asyl ist aus ihrer Sicht ein „Aufenthalt auf Zeit“.
    Tierschutzpartei Nach der Partei Mensch Umwelt und Tierschutz sollten sichere und legale Wege für Geflüchtete Priorität haben und nicht Überwachung von Grenzen und Abschiebung. Es sollten schnelle Asylverfahren, einheitliche europäische Standards und eine gerechte Verteilung auf die Mitgliedsstaaten geben. Die Partei schlägt ein koordiniertes Einwanderungssystem vor, um Fachkräfte anzuziehen und die Rechte von Arbeitsmigrant*innen zu stärken.
    ÖDP Laut der Ökologisch-Demokratischen Partei müsse Europa sich stärker engagieren, Fluchtursachen zu bekämpfen, auch da die EU Mitverursacher sei. Eine Abschottung von Europa lehnt die Partei ab. Sie fordert eine Anerkennung der Flucht vor Klimafolgen als Asylgrund. Die ÖPD setzt sich für einen menschenwürdigen Umgang von Geflüchteten an den EU-Außengrenzen ein sowie eine gerechtere Verteilung von Geflüchteten oder entsprechenden finanziellen Ausgleich.
    FAMILIE Die Familienpartei will die geltende Dublin-Verordnung beibehalten. Darüber hinaus solle es eine bindende Verteilungsquote für Geflüchtete geben. Die Familienpartei will EU-Hilfeleistungen für Unterbringung und Integration festlegen. Die Partei will Fluchtursachen bekämpfen und plädiert dafür, dass Geflüchtete in ihr Land zurück sollten, sobald die Krise dort beendet sei.
    Volt Mit einem europäischen Migrationskodex will Volt neue legale Einreisewege schaffen. Auch sollen diese Möglichkeiten der Einwanderung und Asylverfahren in allen Mitgliedstaaten einheitlich sein. Die Partei schlägt vor, humanitäre Visa und humanitäre Korridore zu schaffen. Volt fordert außerdem einen neuen Rechtsrahmen für Klima-Geflüchtete. Rücknahmeverträge mit autokratischen Regimen lehnt die Partei ab. Asylverfahren sollten aus Sicht von Volt höchstens drei Monate dauern und Arbeiten vom ersten Tag des Aufenthalts an erlaubt sein.
    PIRATEN Die Piraten plädieren für eine solidarische Flüchtlingspolitik, die die Mitgliedsstaaten nicht mit finanziellen und bürokratischen Anstrengungen alleine lässt. Asylanträge sollten an jedem Ort der Welt gestellt werden können, damit Schutzsuchende human und sicher ins Aufnahmeland gelangen. Inhaftierung und Schnellverfahren von Geflüchteten sollten nach Ansicht der Partei vermieden werden.
    BSW Das Bündnis Sahra Wagenknecht will „illegale“ Migration stoppen und Perspektiven in Heimatländern vergrößern. Die Partei steht der Aufnahme von Menschen mit wirtschaftlich motivierten Fluchtgründen ablehnend gegenüber. BSW erkennt die Bereicherung durch Einwanderung an, solange diese nicht die Kapazitäten der Zielländer überfordere. Asylverfahren sollten an den Außengrenzen oder in Drittstaaten erfolgen. Das Anwerben von Fachkräften lehnt die Partei ab und spricht sich für die Förderung von Bildung und Qualifikation in den Heimatländern aus.
    MERA25 „MERA 25 – Gemeinsam für Europäische Unabhängigkeit“ lehnt die derzeitige Migrationspolitik der EU ab, die aus ihrer Sicht einen Fokus auf Grenzabsicherung und Abschiebung lege. Die EU trüge durch Wirtschaftsdruck, dem Anheizen von Krisen und klimaschädlichem Handeln dazu bei, dass Migration überhaupt nötig würde. Aus Sicht von MERA25 sollten Migrant*innen den gleichen Zugang zu gemeinschaftlichen Gütern bekommen, wie Bewohner*innen der EU.
    HEIMAT Die Heimatpartei fordert eine Rückführung aller in Deutschland lebenden Ausländer*innen. Es solle eine Rückführungspflicht eingeführt werden und das Bleiberecht abgeschafft. Aus Sicht der Partei solle „Deutschland den Deutschen“ gehören. Ebenfalls fordert die Heimatpartei eine Streichung des Grundrechts auf Asyl.
    TIERSCHUTZ hier! Kein Wahlprogramm für die Europawahl
    Partei für schulmedizinische Verjüngsforschung Keine Erwähnung
    BIG Das Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG) will das derzeitige Aufnahme- und Verteilungsverfahren grundlegend reformieren. Dabei sollen zum Beispiel Voraufenthalte und familiäre Verbindungen in den Mitgliedsstaaten berücksichtigt werden. Asylverfahren sollen vereinfacht und beschleunigt werden, außerdem sollen Familienzusammenführungen schnell realisiert werden. Die Außengrenzen sollen effektiv geschützt werden, „illegale“ Migration konsequent verfolgt und ausreisepflichtige Menschen schnell zurückgeführt werden. Innerhalb der EU muss durch Chancengleichheit und Förderung von Teilhabe eine sozialverträgliche Migration ermöglicht werden.
    Bündnis C Das Bündnis C, Christen für Deutschland, möchte die Entscheidung über Einwanderung den Mitgliedsstaaten überlassen. Die Partei setzt sich zudem für Asylzentren in den Herkunftsländern ein. Bündnis C fordert, dass das Befürworten von Menschenwürde, Grundfreiheiten und Gleichwertigkeit von Männern und Frauen als Voraussetzung für die Aufnahme in einem EU-Mitgliedsstaat gelte.
    PdH Die Partei der Humanisten will Fluchtursachen bekämpfen, Migration stärker steuern, „legale“ Migration stärken, Integration fördern und abgelehnte Asylsuchende konsequent abschieben. Obergrenzen lehnt die PdH ab. Durch strenge Kontrollen an den Außengrenzen will die Partei „illegale“ Einwanderung eindämmen. Die PdH spricht sich für ein zentrales Amt für Flucht und Migration aus. Durch computergestützte Vorprüfung und einheitliche digitale Abläufe sollen Asylverfahren beschleunigt werden. Die PdH will internationale Abschlüsse anerkennen und die Integration in den Arbeitsmarkt erleichtert, z.B. auch dadurch, Erwerbstätigkeit im laufenden Asylverfahren zu genehmigen.
    MENSCHLICHE WELT Die Partei MENSCHLICHE WELT will Fluchtursachen bekämpfen und dafür die Beteiligung der EU an diesen Ursachen untersuchen und anerkennen. Damit ist die wirtschaftliche Außenpolitik, die Ausbeutung von Rohstoffen und Aneignung von Land gemeint. Außerdem will die Partei eine Diplomatie im Sinne der Völkerverständigung und des Friedens etablieren und Beteiligung an Kriegen und Waffenexporte unterbinden. Oberste Priorität hat für die Partei, dass die aufnehmende Gesellschaft Migration und Integration bewerkstelligen kann. Geflüchtete sollten Sozialleistungen als bedarfsgerechte Sachleistungen erhalten.
    DKP Kein Wahlprogramm für die Europawahl
    MLPD Aus Sicht der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands zerstört die EU die Lebensgrundlagen in Afrika und bekämpft gleichzeitig fliehende Menschen durch Pushbacks, Flüchtlingslager und Abkommen mit autoritären Regimen. Die MLPD fordert außerdem ein Recht auf Arbeit von Anfang an.
    SGP Die Sozialistische Gleichheitspartei prangert an, dass es sich bei der EU-Flüchtlingspolitik um eine „Politik des Mords“ handle. Durch starke Grenzabsicherung und Unterbringung in Lagern schrecke die EU Flüchtende ab. Stattdessen fordert die Partei gleiche Rechte für Geflüchtete und Migrant*innen.
    ABG Die Aktion Bürger für Gerechtigkeit will „unbegrenzte und unkontrollierte Migration“ einschränken.
    dieBasis Keine Erwähnung
    BÜNDNIS DEUTSCHLAND Bündnis Deutschland will Migration stärker steuern und begrenzen. Unkontrollierte Migration würde Sicherheit, Stabilität, Finanzen und Zusammenhalt in der EU gefährden. Die Partei lehnt „illegale“ Einwanderung ab und will die Außengrenzen stärker absichern.
    DAVA Die Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch setzt sich für schnelle, faire und transparente Asylverfahren sowie Zugang zu rechtlicher Beratung und Unterstützung ein. Die Partei plädiert für einen frühzeitigen Zugang zu Sprachkursen, Bildung und zum Arbeitsmarkt. Bei der Sicherung der Außengrenzen solle der Schutz von Flüchtlingen gewährleistet sein und Schleuserkriminalität bekämpft werden. Frieden, Stabilität und Entwicklung solle in den Herkunftsländern durch die EU gefördert werden. Die Partei spricht sich für die strikte Einhaltung von Zuwanderungs-Quoten aus. Fachkräfte sollen gezielt angeworben werden.
    KLIMALISTE Die Klimaliste wirbt für eine Willkommenskultur gegenüber Migrant*innen wie auch Geflüchteten, auch um Arbeitskräfte in der EU zu halten. Dafür brauche es auch finanzielle Unterstützung für Städte und Gemeinden. Die Partei plädiert für faire Asylverfahren innerhalb der EU und lehnt Asylzentren und Schnellverfahren in Drittstaaten ab. Die Klimaliste schlägt Willkommenszentren vor, wo alle für Migrant*innen relevante Behörden gebündelt und Hilfe durch Integrationslots*innen angeboten würden. Die Partei betont, dass ihre wichtigste Forderung der Migrationspolitik der Kampf gegen die Erderhitzung ist, da diese zu unbewohnbaren Regionen, noch mehr Konflikten und Flucht führen würde. Die EU solle Fluchtursachen bekämpfen, beispielsweise durch die Einzahlung in den „Fonds für Umgang mit Klimaschäden“, der auf der Weltklimakonferenz beschlossen wurde.
    LETZTE GENERATION Wahlprogramm wird noch erarbeitet. In den Forderungen heißt es: „Wir streben ein Europa an, das Menschenrechte weltweit achtet. Dies schließt ein, dass die EU das Sterben an ihren Grenzen beendet (…) Statt Milliarden von Euro in Frontex zu investieren und damit den menschenfeindlichen Erhalt der Festung Europa anzustrengen, müssen gerechte Wege der Reparation kolonialer und aktueller Verbrechen gefunden werden.“
    PDV Die Partei der Vernunft will „legale und illegale“ Migration getrennt von der Asylpolitik betrachten, Wirtschaftsflüchtlinge zurückweisen und das Dublin-Verfahren beibehalten.
    PdF Die Partei des Fortschritts will Geflüchtete je nach Kapazität der Mitgliedsstaaten auf diese verteilen. Asylverfahren an den Grenzen durchzuführen, befürwortet die PdF. Ebenfalls spricht sich die Partei für Migrationszentren in Herkunftsländern aus, damit Asyl im Heimatland beantragt werden könne. Das Anwerben von Fachkräften sollte intensiviert und koordiniert werden. Außerdem sollten Sozialhilfe, Schule, Kitas, Wohnen gestärkt werden, da dies wichtig sei für eine erfolgreiche Integration. Die Partei spricht sich dafür aus, Geflüchtete ab Ankunft eine Arbeitserlaubnis zu gewähren. Die Mitgliedsstaaten sollten zusätzlich Arbeitsplätze zur Erfüllung staatlicher Aufgaben zur Verfügung stellen, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Ebenfalls sollten ausländische Bildungsabschlüsse anerkannt werden.
    V-Partei3 Die Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer will mit Blick auf den Konsum Fluchtursachen bekämpfen und setzt sich deshalb für faire Handelsstrukturen ein. Eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen wird von der V-Partei3 abgelehnt. Asylberechtigte sollen unter Berücksichtigung der individuellen Familienzusammenführung auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden. Die Partei spricht sich für verpflichtende Sprachkurse und schnelle Eingliederungen in den Arbeitsmarkt aus.

     

  • Infos zur Europawahl am 9.6.2024

    Rund 350 Millionen Menschen wählen vom 6. – 9.6.2024 die Abgeordneten des Europäischen Parlaments (EP) bei der Europawahl. In diesem Jahr  gibt es 720 Mandate (Abgeordnete), davon 96 aus Deutschland, gefolgt von Frankreich mit 81. Die Anzahl der Abgeordneten ergibt sich aus der jeweiligen Einwohnerzahl der Länder. Diese Wahl findet alle 5 Jahre statt. Das EP ist das einzige europäische Gremium, das direkt von den Bürger*innen gewählt wird. Dabei werden keine Einzelpersonen gewählt sondern Listen der zugelassenen Parteien. Jede*r Wahlberechtigte hat eine Stimme.

    Im Gegensatz zu anderen EU Ländern (Belgien, Griechenland, Luxemburg, Zypern) besteht in Deutschland keine Wahlpflicht. Bei der letzten Europawahl 2019 lag die Wahlbeteiligung europaweit bei  50,62% (in Deutschland 61,4%).

    Wer darf wählen?

    Wahlberechtigt in Deutschland sind alle in ein Wählerverzeichnis eingetragenen deutschen Staatsbürger*innen, die seit 3 Monaten in Deutschland oder einem anderen EU Land leben. Insgesamt gibt es 64,9 Mio Wahlberechtigte in Deutschland. Erstmals dürfen auch Jugendliche ab 16 Jahren wählen.

    Für die Teilnahme an den Europawahlen ist die EU-Staatsbürgerschaft zwingend erforderlich. Drittstaatsangehörige, also Personen ohne die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaates, sind von den Europawahlen ausgeschlossen, selbst wenn sie als Geflüchtete anerkannt sind und in einem EU-Land leben. Die Beschränkung des Wahlrechts auf EU-Bürger*innen ist in den EU-Verträgen geregelt und für alle Mitgliedstaaten bindend. Eine Ausweitung auf Drittstaatsangehörige wäre nur durch eine Änderung der EU-Verträge möglich, wofür die Zustimmung aller Länder erforderlich wäre. Somit können anerkannte Geflüchtete ohne EU-Staatsbürgerschaft in keinem der 27 Mitgliedstaaten an Europawahlen teilnehmen.

    Seit der letzen Europawahl 2019 wurden in Deutschland bis Ende 2022 insgesamt 538.025 Menschen eingebürgert. Allein in 2023 wurden 200.100 Menschen eingebürgert, so viele wie noch nie seit 2000, 19% mehr als in 2022, wobei 1/3 der neuen deutschen Staatsbürger*innen aus Syrien kommen. Das Durchschnittsalter beträgt 29,3 Jahre und der Frauenanteil beträgt 45%. Ein Großteil dieser Menschen (Kinder bis 16 Jahren sind dabei ausgenommen) ist nun auch wahlberechtigt. Gewählt werden kann direkt im Wahllokal, das auf dem Wahlschein angegeben ist (Ausweis mitnehmen) oder durch Briefwahl, die man beantragen muss, falls man am Wahltag, dem 9.6.24, nicht persönlich in das Wahllokal gehen kann.

    Der Bundeswahlausschuss hat 35 Wahlvorschläge von Parteien und Wählervereinigungen zur Europawahl zugelassen. Neben den bisher vertretenen Parteien sind auch ungewöhnliche Namen, wie die Partei für  schulmedizinische Verjüngungsforschung oder das Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG), dabei. Seit der letzten Wahl 2019 sitzen 14 deutsche Parteien im EP: CDU (23 Sitze), Grüne (21), SPD (16), AFD (11), CSU (6), Linke (5), FDP (5), Die Partei (2), Freie Wähler (2), Tierschutzpartei, Piraten, ÖDP und Volt (je 1 Stimme).

     

    Warum sollte ich meine Stimme bei der Europawahl abgeben?

    Für viele sind die Regelungen der EU zum Alltag geworden, manche sind etwas eigenartig (Verordnung Nr. 1677/88 EWG: eine Gurke darf auf einer Länge von 10 cm nicht stärker als 1 cm gekrümmt sein). Aber die Europawahl ist die einfachste Möglichkeit, die Politik in der EU selbst mitzugestalten. Sie entscheidet, worauf sich die EU in den nächsten 5 Jahren fokussieren soll, und Deutschland stellt die meisten Abgeordneten. Im EP werden Entscheidungen getroffen, die den Alttag konkret betreffen, z.B. die gemeinsamen sehr hohen Sicherheitsstandards für Lebensmittel, die freie Entscheidung, in welchem Mitgliedsstaat man leben, studieren oder arbeiten möchte, Verbraucherschutz, Migration, Klimawandel, Terrorismusbekämpfung – globale Herausforderungen können nur gemeinsam gelöst werden.

    Geht am 9.6.2024 wählen! Wählen zu dürfen ist ein Grundrecht, für das Menschen in nicht demokratischen Staaten bereit sind, ihr Leben zu riskieren. Wenn Du aus Protest nicht wählst, gibst Du damit Deine „Stimme“ auch denjenigen, die durch Hass und Hetze den deutschen Rechtsstaat spalten wollen.

    Und wenn Du noch nicht weißt, welche der 35 Parteien Du mit Deiner einen Stimme wählen sollst, hier ein Auszug aus den Wahlprogrammen der deutschen Parteien zum Thema Migration:

     

    Bündnis 90/Die Grünen:

    „ (…) Eine langfristige, geordnete und faire gemeinsame EU-Asylpolitik ist nötig, um die menschenunwürdigen und chaotischen Verhältnisse zu beenden. Reformen allein reichen dabei nicht aus, geltendes EU-Recht muss auch durchgesetzt werden. Wir setzen uns dagegen ein, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) zu einem Programm zum Abbau von Flüchtlingsrechten wird. Spielräume für Verbesserungen wollen wir nutzen.

    Mit einer fairen und verbindlichen Verteilung von Schutzsuchenden stärken wir die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Abschottung und Grenzzäune schaffen Chaos und Leid, rechtsstaatliche Verfahren, gute Integrationsangebote und menschenwürdige Bedingungen sorgen für Humanität und Ordnung (…) Menschen, die bei uns in Europa Schutz suchen, müssen zuverlässig registriert, erstversorgt und menschenwürdig untergebracht werden. Das Recht auf Einzelfallprüfung und das Nichtzurückweisungsgebot gelten dabei immer und überall.

    Der Asylantrag von Menschen, die in der EU ankommen oder bereits hier sind, muss in Europa inhaltlich geprüft werden. Grenzverfahren dürfen nicht dazu führen, dass weitere große Haftlager wie Moria an den Außengrenzen entstehen, die die Würde und die Rechte von Schutzsuchenden verletzen. Der Entrechtung von Menschen, die durch autoritäre Staaten instrumentalisiert werden, stellen wir uns entgegen….“

     

    CDU:

    „ (…) Das Konzept der sicheren Drittstaaten umsetzen. Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat außerhalb der EU gebracht werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Es muss ermöglicht werden, dass in sicheren Drittstaaten Asylverfahren stattfinden, die allen rechtsstaatlichen Voraussetzungen entsprechen. Im Falle der Anerkennung soll der sichere Drittstaat ihnen Schutz gewähren. Wir sprechen uns dafür aus, dass nach der erfolgreichen Umsetzung des Drittstaatskonzepts eine Koalition der Willigen innerhalb der EU jährlich ein Kontingent schutzbedürftiger Menschen aus dem Ausland aufnimmt und entsprechend verteilt. Wir wollen die Sozialleistungen in der EU für Asylbewerber und Schutzberechtigte unter Berücksichtigung der Kaufkraft der Mitgliedstaaten annähern (…)“

     

    SPD:

    „ (…) Es ist gut, dass sich nach jahrelangem Streit die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und das Europäische Parlament auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt haben. Diese wichti­ge Einigungsfähigkeit der Europäischen Union muss sich jetzt in der Praxis beweisen. Wir wollen, dass ein ge­meinsames System nicht länger nur auf dem Papier existiert, sondern von allen Mitgliedsstaaten angemessen getragen wird und den schutzsuchenden Menschen in der Praxis Hilfe leistet.

    Für die SPD gilt dabei unmiss­verständlich: Das individuelle Menschenrecht auf Asyl und das internationale Flüchtlingsrecht sind die unum­stößliche Basis für dieses Gemeinsame Europäische Asylsystem. Das war und ist für uns nicht verhandelbar. Deshalb stellen wir klar, dass ein faires Asylverfahren mit hohen rechtsstaatlichen Standards immer auch in Grenzverfahren gewährleistet sein muss……

    Wir fordern bei der Gewährleistung des Außengrenzschutzes der EU die Einhaltung aller humanitären und rechtsstaatlichen Vorschriften. Wir stellen klar: Pushbacks sind eine eklatante Verletzung des Völker­rechts. Ein Tolerieren durch oder gar eine Beteiligung von Behörden der Mitgliedsstaaten oder von Fron­tex darf es unter keinen Umständen geben. Illegale Zurückweisungen müssen unverzüglich eingestellt und sanktioniert werden.

    Wir unterstützen daher ausdrücklich ein unabhängiges Monitoring aller nationalen Aktivitäten im Kontext Migration und Asyl. Dabei muss insbesondere die Europäische Grenzschutzagen­tur Menschenrechtsverletzungen aufklären und, wo immer möglich, verhindern. Damit die EU-Außengren­zen rechtsstaatlich und sicher sind, braucht es weiterhin eine umfassende Prüfung der systematischen und strukturellen Probleme der größten EU-Agentur (…)“

     

    FDP:

    „ (…) Wir befür­worten die Einrichtung Europäischer Asylzentren an der EU-Außengrenze, die unter Wahrung humanitärer Stan­dards ein effizientes und schnelles Asylverfahren gewährleisten sollen. Wir wollen, dass Asylbewerber zur Bearbeitung des Asylverfahrens in sichere Drittstaaten überführt und bis zur Anerkennung des Asylantrags im Drittstaat untergebracht werden können – unter Gewährleistung humanitärer und rechtsstaatlicher Standards.

    Wir wollen den Pakt für sichere, ge­ordnete und reguläre Migration der Vereinten Nationen auch auf europäi­scher Ebene umsetzen. Europäische Entwicklungszusammenarbeit muss Fluchtursachen vor allem präventiv angehen und damit auf längere Sicht abmildern. Wir befürworten die Ein­richtung humanitärer Schutzzonen im Einvernehmen mit den jeweiligen Staaten und mit Finanzierung der EU. Wir wollen die Prüfung von Asyl­anträgen in Drittstaaten ermöglichen. So können Betroffene dort ausloten, ob sie eine Bleibeperspektive in der EU haben und gegebenenfalls auf eine gefährliche Flucht verzichten. Selbstverständlich unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Grund- und Menschenrechte (…)“

     

    AFD:

    „(…) Zum Schutz unserer Freiheit, unserer Lebensweise und unserer Identität muss die irrreguläre und illegale Masseneinwanderung aus kulturfremden Regionen nach Europa beendet werden. Der Schutz der Außengrenzen des Europäischen Bundes wird als Aufgabe aller Mitgliedsstaaten verstanden. Er umfasst die Errichtung  wirksamer physischer Barrieren, eine moderne technische Überwachung und den Einsatz von Grenzschutzpersonal. Er wird durchgeführt von nationalen Behörden im Zusammenwirken mit der Agentur für die Grenz- und Küstenwache des Bundes.

    Alle mit dem Außengrenzschutz verbundenen Kosten werden von der Gemeinschaft getragen. Die nationalen Behörden der Grenzstaaten können in Krisensituationen die Unterstützung von Behörden anderer Mitgliedsstaaten anfordern. Einsatzkräfte der Bundespolizei und der Landespolizeien unterstützen in diesem Fall andere Mitgliedsstaaten bei der Kontrolle ihrer Außengrenzen. Sie handeln dann als Unterstützung für Polizei- und Grenzschutzbeamte des jeweiligen Staates. Die Grenzstaaten werden außerdem ermächtigt, zur Wahrnehmung des Grenzschutzes technische und personelle Unterstützung ihrer Streitkräfte (Militär)heranzuziehen…..

    Auf den Meeren werden Schleuserboote ausnahmslos zu ihren Herkunftshäfen oder den nächstgelegenen, nichteuropäischen Häfen zurückeskortiert (…)

    Die millionenfache Aufnahme junger Menschen aus Entwicklungsländern Afrikas und des Nahen Ostens in Europa beraubt die Herkunftsstaaten jener Leitungsträger, die dort zum Aufbau bzw. Wiederaufbau benötigt werden. (…) Auf nationaler und europäischer Ebene müssen Remigrationsprogramme auf- und ausgebaut werden (…)

    In den letzten Jahren wurden Migrationsbewegungen gezielt als Mittel der hybriden Kriegsführung und zum Zwecke der politischen Erpressung eingesetzt. Verteidigung gegen die Migration als Mittel der hybriden Kriegsführung (…)“

     

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  • Die Schwimmerinnen: Die wahre Story über Flucht nach Europa

    24 Geflüchtetenhelfer*innen stehen auf der griechischen Insel Lesbos vor Gericht. Ihnen drohen 20 Jahre Haft. Angeklagt sind sie, weil ihnen unter anderem Spionage, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und die illegale Nutzung von Funkfrequenzen vorgeworfen wird. Unter ihnen ist die syrische Schwimmerin Sara Mardini. Ihre Fluchtgeschichte wurde von Netflix in „Die Schwimmerinnen“ verfilmt.

    Die Geschichte von zwei Schwestern

    Am ersten Weihnachtsfeiertag saßen meine Schwester, mein Vater und ich auf der Couch und berieten darüber, welchen Film wir uns anschauen sollen. Die Wahl fiel auf die Netflix-Produktion „Die Schwimmerinnen“, welche im September 2022 beim Toronto International Film Festival ihre Premiere feierte. In dem Film wird die Geschichte von den Schwestern Sara und Yusra Mardini erzählt.

    Beide Schwestern sind Wettkamp-Schwimmerinnen in Syrien und fliehen nach Ausbruch des Krieges nach Deutschland. In einem überfüllten Schlauchboot fahren sie mit Geflüchteten anderer Länder übers Mittelmeer. Da das Boot zu kentern droht, springen Sara und Yusra Mardini ins Wasser, ziehen das Boot hinter sich her und schwimmen an Land, auf Lesbos. Über die Balkanroute gelangen sie nach Berlin, wo Yusra Mardini wieder anfängt zu schwimmen und schließlich 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro im Refugee Team teilnimmt.

    Hier endet der Film. Eine Erfolgsgeschichte, wie man sie eben gerne schaut. Ergreifend, dramatisch, aber am Ende eben doch das Happy End. Doch die wahre Geschichte beginnt erst danach. Im Abspann erfährt man, dass Sara Mardini nach Lesbos zurückkehrt, um ankommenden Geflüchteten zu helfen, sie zu versorgen und aus dem Meer zu retten. Und dass sie 2018 deswegen von den griechischen Behörden aufgegriffen wird und 100 Tage in Haft verbringen muss.

    Mangel an Sensibilität und psychologischer Betreuung

    Im ersten Moment bewegt mich der Film. Er hat starke Bilder und zeigt, welche unvorstellbaren Gefahren Fliehende auf sich nehmen müssen, um nach Europa zu gelangen. Auch die Dynamik zwischen den Schwestern und ihrer Familie berührt mich. Doch je mehr ich nach dem Schauen darüber nachdenke, desto mehr frage ich mich, welches Narrativ hier rübergebracht werden soll. Denn ab der Ankunft in Berlin scheint alles so einfach: Yusra wird in einem Sportverein aufgenommen und kann dort trainieren, zieht schnell aus der Erstaufnahmestelle aus und wird sogar zur gefeierten Olympionikin. Andere Geflüchtete, die mit auf dem Boot waren, und wie es für sie weitergeht, kommen nur am Rande oder gar nicht mehr vor.

    Schauspielerin Manal Issa, die Sara Mardini spielt, äußerte sich nach der Veröffentlichung sehr kritisch über die Produktion. Sie kritisiert, dass keine syrischen Schauspieler*innen eingesetzt wurden. Außerdem habe es wenig Sensibilität und Wissen über die arabische Sprache, Kultur und die politischen Dimensionen in Syrien gegeben. Stattdessen habe man sich an klassischen orientalistischen Bildern bedient. Im Online-Magazin Middle East Eye berichtet sie davon, dass sie beim Dreh auf dem Mittelmeer echte Boote mit geflüchteten Menschen gesehen hätten. Andere Schauspieler*innen mit eigener Fluchtgeschichte seien retraumatisiert worden. Psychologische Betreuung habe es keine gegeben.

    Die Wirklichkeit ist hässlich

    Diese Schilderungen hinterlassen einen bitteren Beigeschmack. Und sie lassen mich fragen, ob Netflix diese Geschichte auch verfilmt hätte, wenn die beiden Schwestern Kopftuch tragen würden oder es nicht zu Olympia geschafft hätten.

    Wie europäische Staaten mit Geflüchteten und Seenotretter*innen umgehen, möchte sich niemand an Weihnachten mit der Familie anschauen. Denn diese Story ist hässlich. Es ist einfacher, die Augen vor den wahren Geschichten von Geflüchteten zu verschließen. Wie sie gewaltsam an den Grenzen zurückgedrängt werden, wie willentlich in Kauf genommen wird, dass sie im Mittelmeer ertrinken und wie diejenigen kriminalisiert werden, die ihnen helfen wollen.

    Kriminalisierung von Flüchtlingssolidarität in Europa

    Gerade deswegen ist es wichtig, dass dieser Prozess Aufmerksamkeit erhält. Seit fünf Jahren warten die Angeklagten auf ihn, er wurde schon etliche Male verschoben. Diese Woche hat er nun endlich begonnen. Sara Mardini kann an den Verhandlungen nicht teilnehmen, da sie nicht nach Griechenland einreisen darf. Die 27-Jährige gilt als Bedrohung der nationalen Sicherheit.

    Menschenrechtsorganisationen und sogar das Europaparlament kritisieren den Umgang mit den Aktivist*innen. Ein Untersuchungsbericht aus dem Jahr 2021 bezeichnet den Prozess als „den größten Fall der Kriminalisierung von Flüchtlingssolidarität in Europa“.

    “Die Schwimmerinnen” hat versäumt, ein realistisches Bild von der Flucht nach Europa zu porträtieren. Statt zu zeigen, wie widersprüchlich der Umgang mit den beiden Schwestern ist, wurde sich eine Erfolgsgeschichte rausgepickt, die die Erfahrungen von Menschen mit Fluchtgeschichte nicht repräsentiert. Zuschauer*innen vor dem Fernseher oder der Kino-Leinwand können danach wohlig in ihren Alltag zurückkehren, während vor den Toren Europas jeden Tag Menschen sterben und Aktivist*innen um ihre Freiheit bangen müssen. Das ist makaber.

     

  • Violent pushbacks on the EU external borders: “What we need, is real solidarity between European member states”em

    Can you give our readers a brief overview of the pushbacks at the Croatian border?

    Pushbacks from the Croatian territory are a systematic and ongoing practice on the Croatian Border since 2016. It has been six years now that severe human rights violations happen at the Croatian border with thousands of testimonies of people who have been tortured, who have been pushed back, and who experienced traumatic treatment from the Croatian police.

    We have known for years that these illegal pushbacks are ordered from the very top of the of the hierarchy in Croatia, from the ministry of Interior. But there are no effective investigations into these human rights violations: neither into the policemen who commit the pushbacks, nor politicians who let them happen or even command them. This shows that this is not only a human rights violation issue, but it’s also an issue of the justice system in Croatia.

    In theory, there is a procedure laid out for asylum seekers arriving on Croatian territory: Asylum seekers shall express their intent to seek asylum at the border crossing point, a police station or at the Reception Center for Foreigners. They may express their intent to seek asylum also if they crossed the border illegally, if they justify it with a good reason. A few weeks after lodging the application for international protection, applicants are invited to an interview after which the Ministry of Interior decides about the application.

    Reality is very different for almost everyone trying to cross into Croatia: Asylum seekers arriving on Croatian territory are pushed back before they can even express their intent to seek Asylum. Some have tried it as often as 30 times, and the pushbacks often go hand in hand with violent and humiliating treatment: migrants are beaten up brutally, policemen take away their clothes, shoes and phones (often the only possessions people are left with after their long journey to Europe), insult and torture them. Subsequently, the policemen force them to walk back into Bosnia or Serbia.

    The violence asylum seekers experience are not isolated cases of police officers slipping up. It happens much rather systematically and is coordinated by the Croatian government in the so-called “Operation Corridor”. The order for the illegal deportations comes from the Ministry of the Interior in Zagreb, as reported by three independent sources from the Croatian police.

     

    Is it Frontex or Croatian police doing illegal pushbacks?

    We don’t have enough material to state Frontex is pushing back people themselves. However, there have been testimonies of refugees describing a special police unit involved in the pushbacks. They usually wear balaclavas, are dressed completely in black and heavily armed. Their uniforms are stripped of any identifying details. This is not only documented in testimonies of migrants, but also recorded by journalists: a lighthouse report caught these policemen on camera while they were pushing back migrants to Bosnia and Hercegovina who intended to seek asylum in Croatia. Also, there are two testimonies of police officers describing the orders they are given: they are supposed to turn off their GPS and cover their insignia when they’re going to pushback people.

    The non-profit organization Lighthouse Reports investigated in 2021 for eight months into the organization and finances of pushbacks on the external borders of the EU. The evidence they found is crushing: not only did they record high resolution footage of pushbacks on the Bosnian border on cameras and drones, but they also found evidence that the pushbacks on Croatian territory are financed by EU funds.

    The masked men committing the pushbacks own batons and clothes consistent with Croatia’s Intervention police, a unit that usually controls riots in football stadiums or protests. Their video footage is supported by testimony of people who were interviewed right after their pushbacks. Jackets, accommodation, and daily allowance are paid for from the EU Internal Security Funds (ISF).

     

    And how did the Croatian government react to these allegations in the past? Was there any reaction?

    Unfortunately, the reaction is always the same: Ministry of Interior always denies this happened. In many, many cases, the Ministry of Interior is giving a statement within just a few hours saying they checked the allegations and that this didn’t happen – but it’s ridiculous to believe this can be checked within couple of hours.

    In this last footage of the lighthouse report it was more difficult to deny the charges because the footage was detailed and very long. In turn, they did an internal disciplinary action against three police officers who were recorded beating up pushing back refugees. However, these policemen were sanctioned only for not properly wearing their uniforms, but not for the pushbacks. They were suspended for about three months and then went back to work. These policemen are, however, at the very bottom of the hierarchy. Until the whole chain is held responsible, these cases will end up with similarly weak punishments, if even.

     

    Many asylum seekers don’t want to stay in Croatia, they want to move on further to Western Europe. Why then does Croatia make it so hard for them to enter the country?

    It’s not completely true that many of the people don’t want to stay in Croatia. Some want to move on, which is reasonable looking at possibilities of integration, finding work, learning the language and so on. There are lots of different reasons for where people choose to seek asylum.

    And why does the Croatian government command these pushbacks? Well, that’s not easy to answer. I think the main issue is that the common European Asylum System needs a reform, because the asylum politics of the EU are based on externalization. This means, EU wants third countries to deal with stopping refugees and migrants before they enter the EU. That’s why the EU has agreements with Turkey and with Libya and many other countries which breach human rights. They do this so they can externalize the migration politics.

     

    That leads to my next question: what is the responsibility of the other EU members, which knowingly let these human right violations other their borders happen?

    We need political will for this to change. We can see this will right now with Ukraine, which is absolutely amazing. But this protection should be available to everyone who needs it, regardless of whether they are coming from Ukraine or Sudan, regardless of their skin colour or their religion. What we need is real solidarity between European member states. It is not fair that countries with external EU borders are left alone with the reception of migrants. But the whole EU can deal with this if they work together.

    Solidarity means in this case actual shared responsibility, and the willingness to work together in the reception and integration of migrants. The EU needs to stop exposing itself to the will of dictators like Erdoğan or Lukaschenko. This issue needs to be brought into all the institutions of the EU, especially the Council, the Parliament and the Commission.

     

    Can you tell us something about the situation of asylum seekers in other Balkan countries like Serbia and Bosnia and Herzegovina?

    I can share what I hear from my colleagues that work in those countries. Concerning Bosnia, reception conditions are really not good. And it would be very unfair to expect from Bosnia and Herzegovina to be able to host everyone who the EU isn’t willing to take. It’s hypocritical to point at Bosnia and Herzegovina and say: “you’re not providing enough food or shelters for the refugees we refuse to take.”

    EU countries go as far as committing chain pushbacks from Austria through Italy, Slovenia, Croatia and then to Bosnia and Herzegovina. After these chain pushbacks, migrants find themselves in Bosnia where they sometimes face more chain pushbacks even to the to their original state. Same goes for Serbia, which is why the Constitutional Court of Croatia assessed last year Serbia is not a safe country for migrants.

    One of the most tragic victims of the failing EU migration politics is the case of Madina Hussiny. Madina, a six-year-old girl from Afghanistan, her mum and her siblings crossed the border from Serbia to Croatia in November 2017 on foot. A few miles into Croatian territory, a police officer told them to go back to Serbia, although they expressed their intent to seek asylum. The police ignored the asylum request of a mother and six children and ordered them to follow the railway tracks back to Serbia in the middle of the night. While they were following these tracks, a train came and killed Madina Hussiny.

    The European Court of Human Rights has been dealing with Madinas case. In November 2021, they finally found clear violation of five human rights, including that Croatia violated right to life of little Madina because they didn’t carry out effective investigations into her death. Still, the Croatian government tries to cover up the reasons for Madinas death. They turn their back to this refugee family that experienced horrible things in Croatia and go to the end to prove that this did not happen.

  • Gewaltsame Pushbacks an den EU-Außengrenzen: „Wir brauchen echte europäische Solidarität“

    Kannst du unseren Leser*innen einen kurzen Überblick über die Pushbacks an der kroatischen Grenze geben?

    Pushbacks an der kroatischen Grenze passieren systematisch seit 2016. Es gibt tausende Zeug*innenaussagen von Menschen, die gefoltert wurden, die gewaltsam zurückgedrängt und von der Behandlung durch die kroatische Polizei traumatisiert wurden. Wir wissen seit Jahren, dass diese illegalen Pushbacks vom Innenministerium angeordnet werden. Dennoch gibt es keine Ermittlungen zu diesen Menschenrechtsverletzungen. Weder zu den Polizist*innen, die die Pushbacks begehen, noch zu den Politiker*innen, die sie geschehen lassen oder gar befehlen. Es gibt also in Kroatien nicht nur ein Problem mit der Wahrung der Menschenrechte, sondern auch mit dem Justizsystem.

    Theoretisch gibt es ein Verfahren für Asylsuchende, die auf kroatischem Gebiet ankommen: Asylsuchende müssen ihre Absicht, Asyl zu beantragen, an der Grenzübergangsstelle, einer Polizeidienststelle oder im Aufnahmezentrum für Ausländer*innen bekunden. Sie dürfen ihre Absicht auch dann äußern, wenn sie die Grenze illegal überschritten haben. Einige Wochen nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz werden die Antragstellenden zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, nach dem das Innenministerium über den Antrag entscheidet.

    Die Realität sieht für fast alle Geflüchteten anders aus: Asylsuchende, die auf kroatischem Gebiet ankommen, werden zurückgedrängt, bevor sie überhaupt ihre Absicht zum Ausdruck bringen können. Manche versuchen die Grenzüberquerung bis zu dreißig Mal. Die Pushbacks gehen oft mit gewalttätiger und erniedrigender Behandlung einher. Migrant*innen werden brutal verprügelt, die Polizei nimmt ihnen Kleidung, Schuhe und Telefone weg (oft die einzigen Dinge, die ihnen nach ihrer Flucht übrigbleiben), beleidigt und foltert sie. Anschließend zwingt die Polizei sie, nach Bosnien oder Serbien zurückzugehen.

    Diese Gewaltexzesse sind keine Einzelfälle oder „Ausrutscher“ der Polizei. Sie geschehen vielmehr systematisch und werden von der kroatischen Regierung in der sogenannten „Operation Corridor“ koordiniert. Die Anordnung für die illegalen Abschiebungen kommt vom Innenministerium in Zagreb, wie drei unabhängige Quellen der kroatischen Polizei berichten.

     

    Wer führt diese illegalen Pushbacks durch: die europäische Grenzschutzagentur Frontex oder die kroatische Polizei?

    Wir können nicht sicher sagen, ob Frontex selbst Menschen zurückdrängt. In Zeug*innenaussagen beschreiben Geflüchtete jedoch eine spezielle Polizeieinheit, die an den Pushbacks beteiligt ist. Sie tragen meist Sturmhauben, sind komplett in Schwarz gekleidet und schwer bewaffnet. Von ihren Uniformen sind alle Symbole, die sie identifizieren könnten, abgerissen worden. Dies ist auch von Journalist*innen aufgezeichnet worden: Die NGO Lighthouse Reports hat Polizisten dabei gefilmt, wie sie Migrant*innen, die in Kroatien Asyl beantragen wollten, nach Bosnien und Herzegowina zurückdrängen. Außerdem gibt es zwei Zeugenaussagen von Polizisten, die die Befehle beschreiben: Und zwar sollen sie ihr GPS auf dem Handy ausschalten und ihre Abzeichen verdecken, wenn sie Geflüchtete pushbacken.

    Im Jahr 2021 untersuchte die gemeinnützige Organisation Lighthouse Reports acht Monate lang die Organisation und Finanzierung von Pushbacks an den Außengrenzen der EU. Die Nachweise in ihrem Material sind erdrückend: darunter sind sowohl Kamera- und Drohnenaufnahmen von Pushbacks an der bosnischen Grenze also auch der Nachweis, dass die Pushbacks auf kroatischem Territorium aus EU-Geldern finanziert werden.

    Die maskierten Männer, die Geflüchtete aus der EU zurückdrängen, besitzen dieselben Schlagstöcke und Jacken wie die kroatische Interventionspolizei. Eine Einheit, die normalerweise Unruhen in Fußballstadien oder während Protesten kontrolliert. Das Videomaterial von Lighthouse Reports wird außerdem durch Aussagen von Zeug*innen unterstützt, die direkt nach ihren Pushbacks interviewt wurden. Jacken, Unterkunft und Tagegeld werden aus dem EU-Fonds für die innere Sicherheit (ISF) bezahlt.

     

    Wie hat die kroatische Regierung in der Vergangenheit auf diese Vorwürfe reagiert? Gab es eine Reaktion?

    Leider ist die Reaktion immer dieselbe: Das Innenministerium bestreitet die Vorwürfe. In vielen Fällen erklärt das Innenministerium innerhalb weniger Stunden, dass es die Anschuldigungen überprüft hat und die Vorfälle nie passiert sind – aber natürlich kann man solche Vorwürfe nicht innerhalb weniger Stunden überprüfen.

    Im Falle des Lighthouse Reports war es schwieriger, die Anschuldigungen zu leugnen, denn das Filmmaterial war sehr detailliert und lang. Das Innenministerium hat also ein Disziplinarverfahren gegen drei Polizisten eingeleitet, die an den Pushbacks beteiligt waren. Allerdings wurden diese Polizisten nur für etwa drei Monate suspendiert, weil sie ihre Uniformen nicht ordnungsgemäß getragen haben – von den Pushbacks war keine Rede. Diese Polizisten stehen aber ohnehin ganz unten in der Hierarchie. Bis die gesamte Kette zur Verantwortung gezogen wird, wird es immer ähnlich schwache Strafen geben, wenn überhaupt.

     

    Viele Asylbewerber*innen wollen nicht in Kroatien bleiben, sondern weiter nach Westeuropa ziehen. Warum macht es Kroatien ihnen dann so schwer, in das Land einzureisen?

    Es stimmt nicht ganz, dass viele nicht in Kroatien bleiben wollen. Einige wollen weiterziehen, was angesichts Integrationsmöglichkeiten, der Arbeitssuche, des Lernens der Sprache und so weiter verständlich ist. Aber die Gründe dafür sind letztlich sehr individuell und unterschiedlich.

    Das Hauptproblem ist, dass die Asylpolitik der EU auf Externalisierung basiert. Die EU möchte also, dass Drittländer Geflüchtete aufhalten, bevor sie in die EU einreisen. Deshalb hat die EU Abkommen mit der Türkei, mit Libyen und vielen anderen Ländern, die Menschenrechte mit Füßen treten. Einfach, damit andere Länder die Migrant*innen davon abhalten, in die EU zu kommen.

     

    Das führt zu meiner nächsten Frage: Was ist die Verantwortung der anderen EU-Mitglieder, die wissentlich diese Menschenrechtsverletzungen außerhalb ihrer Grenzen geschehen lassen?

    Wir brauchen politischen Willen, damit sich das wirklich ändert. Diesen Willen sehen wir im Moment mit der Ukraine, und das ist wirklich toll. Aber diesen Schutz sollten alle bekommen, die ihn brauchen, egal ob sie aus der Ukraine oder dem Sudan kommen, unabhängig von ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion. Was wir brauchen, ist echte Solidarität zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten. Es ist nicht gerecht, dass Länder mit EU-Außengrenzen mit der Aufnahme von Migrant*innen allein gelassen werden. Gemeinsam kann es die EU schaffen, wenn sie zusammenarbeitet.

    Solidarität bedeutet in diesem Fall echte gemeinsame Verantwortung und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei der Aufnahme und Integration von Migrant*innen. Die EU muss aufhören, sich dem Willen von Diktatoren wie Erdoğan oder Lukaschenko auszuliefern. Dieses Anliegen muss in alle Institutionen der EU eingebracht werden, insbesondere in den Europarat, das Parlament und die EU-Kommission.

     

    Kannst du etwas über die Situation von Asylsuchenden in anderen Balkanländern wie Serbien und Bosnien und Herzegowina erzählen?

    Ich kann das teilen, was ich von meinen Kolleg*innen in diesen Ländern höre. In Bosnien sind die Lebensbedingungen Geflüchteter schlecht. Aber es wäre unfair, von Bosnien und Herzegowina die Aufnahme aller Geflüchteter, die die EU nicht will, zu erwarten. Es ist heuchlerisch, auf Bosnien und Herzegowina zu zeigen und zu sagen: „Ihr stellt den Flüchtlingen, die wir nicht aufnehmen wollen, nicht genug Nahrung oder Unterkünfte zur Verfügung.“

    Die EU greift mittlerweile sogar auf Ketten-Pushbacks von Österreich über Italien, Slowenien, Kroatien und dann nach Bosnien und Herzegowina zurück. Nach diesen Ketten-Pushbacks finden sich Migrant*innen also in Bosnien wieder, wo sie manchmal weiter bis in ihr Herkunftsland zurückgedrängt werden. Gleiches gilt für Serbien, weshalb das Verfassungsgericht Kroatiens im vergangenen Jahr urteilte, dass Serbien kein sicheres Land für Migrant*innen ist.

    Eines der tragischsten Opfer der gescheiterten EU-Migrationspolitik ist der Fall von Madina Hussiny. Madina, ein sechsjähriges Mädchen aus Afghanistan, überquerte mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern im November 2017 zu Fuß die Grenze von Serbien nach Kroatien. Nach ein paar Meilen auf kroatischem Territorium forderte ein Polizist sie mitten in der Nacht auf, nach Serbien zurückzukehren, obwohl die Familie ihre Asylabsicht bekundete. Dennoch befahl die Polizei der Mutter und ihren sechs Kinder, entlang der Zuggleise zurück nach Serbien zu laufen. Während sie den Gleisen folgten, kam ein Zug und tötete Madina Hussiny.

    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich lange mit Madinas Fall befasst. Im November 2021 stellten sie schließlich die klare Verletzung von fünf Menschenrechten fest. Unter anderem habe Kroatien Madinas Recht auf Leben verletzt und ihre Todesumstände nicht ausreichend untersucht. Dennoch versucht die kroatische Regierung, die Gründe für Madinas Tod zu vertuschen. Sie kehren Madinas Familie, die in Kroatien Schreckliches erlebt hat, den Rücken zu und versuchen bis zuletzt, die eigene Verantwortung zu vertuschen.

  • Europäische Mitgliedsstaaten verschärfen Asylpolitik

    Am 28.07.1951 verabschiedete die UN die Genfer Flüchtlingskonvention. Seit Beschluss der Konvention hat sich viel verändert. Kriege, Konflikte und Hungerkrisen sowie die Klimakrise führen dazu, dass immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen müssen.

    Europäische Länder setzen auf strengere Asylgesetze

    Aufgrund der steigenden Zahlen von Geflüchteten setzen immer mehr europäische Länder auf strengere Asylgesetze. Dabei basieren diese auch immer auf härteren und schnelleren Abschiebeverfahren, besonders an den Grenzen Europas. Allein im Jahr 2020 sind 1.426 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Zu den europäischen Ländern, die in den letzten Wochen und Monaten ihre Asylpolitik verschärft haben, zählen unter anderem Litauen, England und Dänemark. Der Trend zu strengeren Asylgesetzen zeichnet sich allerdings in ganz Europa ab.

    Litauen

    Litauen gilt für viele Menschen auf der Flucht aufgrund der geografischen Lage als “Durchreiseland”. Die Geflüchteten, vor allem aus dem Irak, Syrien, Senegal, Mali und anderen afrikanischen Ländern, versuchen über Litauen in europäische Länder einzureisen. Geflüchtete werden dabei aus Belarus – einem nicht EU-Mitgliedsstaat an der osteuropäischen Außengrenze – gezielt und ohne Mitwissen der litauischen Regierung eingeschleust. Die Regierung Litauens wirft daher dem belarussischen Regime von Diktator Alexander Lukaschenko vor, Geflüchtete als “politische Waffe” einzusetzen.

    Litauen gehört schon seit längerem zu einer der Zielscheiben der belarussischen Regierung, da die litauische Landeshauptstadt Vilnius Hauptquartier der belarussischen Opposition ist. Die Anzahl illegaler Übertritte durch Geflüchtete an der litauischen Grenze ist im Vergleich zu 2020 um das 19-fache gestiegen. Laut litauischer Regierung müsse man den Schutz der EU-Ostgrenze dringend verstärken. Es wird hier also zu mehr Abschiebungen und sogenannten “push-backs” an der Grenze kommen. Dadurch müssen Menschen auf der Flucht immer gefährlichere Routen wählen, um in sichere Länder einreisen zu können.

    England

    Auch andere EU-Länder verschärfen ihre Asylpolitik. In England verabschiedete die britische Regierung 2021, ganz nach Brexit-Versprechen, ein neues Asylgesetz. Dieses beinhaltet die sofortige Haft für Geflüchtete ohne Visum und lebenslange Freiheitsstrafen für Menschenschmuggelnde. Laut der Hilfsorganisation Refugee Council würde das Gesetz 9.000 bisher als Geflüchtete anerkannte Migrant*innen kriminalisieren. Ihnen droht dann eine Freiheitsstrafe von vier Jahren. Das neue Asylgesetz beinhaltet außerdem, dass asylsuchende Menschen gar nicht erst nach England einreisen dürfen. Stattdessen sollen sie während ihres Asylverfahrens in Auffangzentren fernab der Insel untergebracht werden.

    Dänemark

    England ist nicht das einzige europäische Land, das über die Idee externer Auffangzentren für Asylsuchende nachdenkt. Die dänische Regierung verschärft bereits seit Jahren zunehmend ihre Asylpolitik. Im Juni diesen Jahres verabschiedete Dänemark nun ein neues Gesetz. Demnach sollen Asylzentren in Drittländern eingerichtet werden. Wo das ganze stattfinden soll? Hierüber ist sich die dänische Regierung noch unklar, steht jedoch in Gesprächen mit Ruanda, Tunesien, Äthiopien und Ägypten.

    Laut neuem Asylgesetz sollen Geflüchtete selbst dann Schwierigkeiten haben nach Dänemark einzureisen, wenn dem Asylantrag stattgegeben wurde. Stattdessen sollen Menschen entweder in dem Land des Auffangzentrums bleiben, oder zunächst in ein UN-Lager für Geflüchtete gebracht werden. Viele Hilfsorganisationen, wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, stufen einen solchen Umgang mit Geflüchteten als gewissenlos und sogar potenziell rechtswidrig ein. Auch das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen spricht von Verantwortungslosigkeit. Es warnt vor einem Domino-Effekt, demnach sich immer mehr europäische Länder einem solch unverantwortlichen Verfahren anschließen könnten.

    Solidarisches Europa??

    Ein Blick auf die Asylpolitik Europas, vor allem an den Außengrenzen, verstärkt dieses Bedenken: Die europäische Agentur Frontex, zuständig für die Kontrolle der Außengrenzen Europas, gerät immer wieder scharf in Kritik. Anstatt Hilfsorganisationen bei Seenot-Rettungsaktionen zu unterstützen, ist Frontex immer wieder in Fälle verwickelt, bei denen Menschen in Booten illegal abgeschoben werden. Von einem solidarischen Europa ist hier nichts zu spüren.

    Einerseits wird die schon fast bizarre Vorstellung von Einheit, Solidarität, Gemeinschaft und 70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention als große Errungenschaft gefeiert. Andererseits zeigen jedoch Bilder von überfüllten Schlauchbooten auf dem Mittelmeer und das gesetzlich verankerte Auslagern von Asylsuchenden in Drittländer vor allem die Schattenseiten der „Festung Europas” auf. Solange jeden Tag Menschen auf dem Mittelmeer ertrinken und Europa nicht in der Lage ist, eine menschenrechtliche Asylpolitik zu fahren und sich weiterhin nach außen abschottet, bleibt die Vision eines solidarischen Europas eben genau das: Eine Vision.

  • moveurope! Informiert über legale Migrationswege

    Über die Hintergründe des Projekts berichtet die Initiatorin Karla Kästner im Interview.

    Seit wann gibt es migration_miteinander und wer steht dahinter?

    

Der Verein migration_miteinander e.V. wurde im April 2017 von einer Gruppe junger Menschen gegründet. Wir setzen uns dafür ein, dass Geflüchtete und die lokale Bevölkerung ein bereicherndes Miteinander erleben. Damit wollen wir die große Idee eines auf Solidarität und gegenseitiger Unterstützung beruhenden Europas vorantreiben.

    moveurope! ist die Hauptaktivität von migration_miteinander. Erzähl doch etwas mehr dazu.

    Wir informieren und beraten Geflüchtete und ihre Unterstützer*innen in Deutschland, Italien und anderen EU-Ländern über die Bewegungsrechte und legalen Möglichkeiten von Geflüchteten in Europa. Konkret begleiten wir junge Geflüchtete vor, während und nach einer Mobilität. Und wir organisieren als Verein auch selbst Kurz- und Langzeitmobilitäten, wie z.B. Jugendaustausch, Freiwilligendienst und Praktika.

    Unsere legalen Migrationswege über FSJ und Ausbildung können Geflüchteten aus einem ersten Aufnahmeland in der EU eine langfristige und nachhaltige Perspektive in einem anderen EU-Staat – in unserem Fall hauptsächlich Deutschland – bieten.

    moveurope! startete 2017 als deutsch-italienisches Pilotprojekt. Wir sind vor allem im binationalen Kontext tätig, erweitern uns jedoch gerade gemeinsam mit europaweiten Partnern auch in andere EU-Länder. Unser Ziel ist es, die Bewegungsmöglichkeiten für Geflüchtete in diesen Ländern in Zukunft ebenfalls nutzen zu können und mehr Mobilität in mehr Länder möglich zu machen.

    Mit moveurope! wollen wir konkret Menschen unterstützen und gleichzeitig die positiven Effekte von legalen, innereuropäischen Migrationswegen für Geflüchtete, Aufnahmegesellschaft und Staaten aufzeigen. Damit wollen wir in der Zukunft einen strukturellen Wandel hin zu einem faireren, europäischen Asylsystem bewirken.

    Ihr sprecht in eurer Beschreibung davon, dass ihr dabei helft „alternative Migrationswege“ zu organisieren. Wie kann man sich das genau vorstellen?

    Durch das aktuelle europäische Asylsystem (Dublin III) ist die Bewegungsfreiheit von Asylbewerber*innen und Geflüchteten eingeschränkt. Deshalb möchten wir den Zugang zu alternativen Mobilitätsmöglichkeiten für Geflüchtete mit einem Aufenthaltstitel in einem anderen EU-Land (z.B. Italien) in Deutschland fördern. Dafür organisieren und vermitteln wir kurz- und langfristige Mobilitäten für Dublinierte und anerkannte Geflüchtete in Deutschland. Ziel ist es, eine Alternative zur irregulären Weiterwanderung oder einem Aufenthalt ohne Perspektive im ersten Aufnahmeland zu bieten und sie somit auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu begleiten.

    Hierzu bauen wir ein Netzwerk mit Organisationen und Unternehmen in Deutschland auf, die auf der Suche nach jungen, motivierten Freiwilligen oder Auszubildenden sind und setzen sie mit Geflüchteten im EU-Ausland in Verbindung. Wir begleiten sowohl die Geflüchteten, als auch die Aufnahmeorganisationen in Deutschland bei allen bürokratisch nötigen Schritten (Sprache, Visum, kulturelle Mediation). Außerdem organisieren wir selbst als Verein Mobilitäten für Geflüchtete und setzen uns für die Verbreitung von Informationen zu Bewegungsrechten von Geflüchteten ein.

    Wie kamst du auf die Idee? Was war dein Weg dorthin und was hast du davor gemacht?

    Als eine in Deutschland geborene, weiße Europäerin habe ich das große Privileg, einen der besten Reisepässe der Welt zu haben. Dieses Recht, ja diese Freiheit, sollte allen Menschen gleichermaßen zustehen. Hotspots, die die Bewegungsfreizügigkeit von Menschen unmöglich machen, ein europäisches Asylsystem, das Ungleichheit und Diskriminierung durch eingeschränkte Mobilität für Geflüchtete schürt – das ist nicht das Europa, in dem ich aufgewachsen bin und das ich für unsere gemeinsame Zukunft möchte.

    Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Geflüchteten in Europa durch das aktuelle europäische Asylsystem hat zu den größten Problemen (Diskriminierung, Rechtspopulismus, gespaltene Gesellschaften, Migranten als „Feinde“ anstatt als Bereicherung) unserer Gesellschaft geführt. Bis sich das System hoffentlich eines Tages zum Besseren ändert, möchte ich mein Wissen teilen und für Alternativen einsetzen, die für alle bereichernd sein können.

    In den letzten sechs Jahren konnte ich berufliche und ehrenamtliche Erfahrungen im Bereich Migration und Integration in verschiedenen europäischen Ländern sammeln und vor allem den Geflüchteten selbst zuhören. Mir wurde bewusst, dass nur alle europäischen Länder gemeinsam die Herausforderung der Integration bewältigen können. Das aktuelle System ist nicht fair, weder für Geflüchtete noch für die Aufnahmegesellschaften.

    Es fiel mir auf, dass es keinen Zugang zu notwendigen Informationen über das europäische Asylsystem gibt, was wiederum das Leben von Geflüchteten und ein positives Miteinander negativ stark beeinflusste. So beschlossen wir 2017 moveurope! ins Leben zu rufen, um Menschen über ihre Rechte zu informieren und alternative Migrationswege zu ermöglichen.

    Wo hast du auf dem Weg zur Gründung von migration_miteinander und bis heute Informationen und Unterstützung erhalten? Und auch: Wo lagen und liegen die größten Hürden?

    Die größte Unterstützung haben wir – die Initiatoren und Menschen, die sich migration_miteinander über die Jahre angeschlossen haben – uns selbst gegeben. Trotz vieler Steine, die uns immer wieder in den Weg gelegt werden, haben wir nie aufgegeben und immer weitergemacht. Beim Start unseres Projekts war vor allem das Waldorf Institut in Witten eine der ersten Organisationen, die an uns geglaubt hat und erste Mobilitäten für Geflüchtete anbieten wollte. Diese Unterstützung war ein Meilenstein für uns, da sie viele Türen geöffnet hat.

    Auf unserem Weg haben uns viele Menschen und Vereine begleitet, die uns durch aktiven Austausch unterstützt haben. Am wichtigsten ist jedoch bestimmt, den Geflüchteten selbst zu zuhören und moveurope! an ihre Bedürfnisse anzupassen. Unser Hauptpartner in Italien, Associazione Interculturale Universo, ein Migrant*innenverein, spielt dabei eine Schlüsselrolle.

    Was waren bislang deine größten Lerneffekte?

    Jede*r bei uns im Team hat langjährige Erfahrung in der Arbeit mit Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen. Viele von uns haben selbst eine Flucht- oder Migrationsbiografie. Trotzdem ist jeder Fall individuell zu behandeln und man lernt nie aus!

    Manchmal muss man noch mutiger sein, sich noch mehr zutrauen, z.B. wenn es um die Kontaktaufnahme zur Bundesebene oder „großen Tieren“ in der NGO-Welt geht – wir sind alle nur Menschen und Netzwerken ist das A und O!

    Wie ist deine Vision für die Zukunft?

    Meine Vision: Gleiche Bewegungsfreiheit und -rechte für alle jungen Menschen in Europa, unabhängig von ihrem rechtlichen Status und ein faires europäisches Asylsystem für alle!

    Wo soll die Reise für migration_miteinander und im Speziellen für moveurope! in den nächsten Jahren hingehen? Und wie kann man euch auf diesem Weg unterstützen?

    Konkret wollen wir in den nächsten Jahren unser europäisches Netzwerk ausbauen und ein starkes Netzwerk innerhalb Deutschlands mit Organisationen und Unternehmen, die auf der Suche nach jungen, motivierten Freiwilligen oder Auszubildenden sind, aufbauen. Dazu möchten wir unsere Arbeit professionalisieren und unsere Kommunikationskanäle ausbauen.

    moveurope! soll zu einem Knowledge-Hub im Bereich Mobilität für Geflüchtete in Europa werden. Damit wollen wir mehr Menschen erreichen und auf die Situation von Geflüchteten, sowie bereits bestehende legale, innereuropäische Migrationswege aufmerksam machen (durch Kampagnen, Schulungen, Konferenzen, usw.). Unser Ziel ist es, auf höherer Ebene einen strukturellen Wandel hin zu einem faireren, europäischen Asylsystem bewirken.

    Was würdest du jemandem empfehlen, der/die selbst eine Idee hat und ein eigenes Projekt starten möchte?

    Traut euch! Ihr habt nichts zu verlieren. Ihr werdet Einblick in so viele verschiedene Bereiche haben und einen unglaublichen Lernprozess durchlaufen, mit Höhen und Tiefen. Am Ende werdet ihr vor allem stolz sein auf das, was ihr gemeinsam mit anderen geschafft und geschaffen habt! Das klingt alles wie eine Floskel für euch? Dachte ich vorher auch, ist es aber nicht. Ich hatte am Anfang Angst, vor allem vor der großen Verantwortung – was passiert, wenn ich etwas falsch mache? Nun blicke ich auf die letzten Monate zurück und bin erstaunt, was ich alles dazu gelernt habe und heute selbstbewusst und wie selbstverständlich täglich ausführe.

    Ich möchte noch etwas Wichtiges für unsere junge Generation in Deutschland hinzufügen: Deutschland bietet uns die unglaubliche Sicherheit, uns jederzeit auf den Staat verlassen zu können. Viele junge Menschen in Europa haben nicht die gleiche Chance, weil es keine Arbeit oder ein starkes Sozialhilfesystem in ihrem Land gibt – sie müssen oft viel größere Hürden bewältigen und können nur mit großer Schwierigkeit eigene Projekte realisieren. Wir haben diese Möglichkeit und deshalb das große Privileg, auch mal experimentieren zu können. Vergesst das nicht!

    Der Text erschien im Original auf www.reflecta.network.

  • #hamburgistbereit – hier könnt ihr helfen

    Von Lilly M. und Anna Heudorfer

    Grundsätzlich wird über Flüchtlingspolitik auf Bundesebene entschieden. Doch ein vom Europa-Abgeordneten Erik Marquardt in Auftrag gegebenes Gutachten zeigt, dass die Aufnahme durch die Länder ohne Zustimmung des Bundes durchaus möglich ist, wie z.B. die Oberhessische Presse berichtet (06.03.2020): Gutachten: Länder können Flüchtlinge aufnehmen – ohne Okay vom Bund 
    Das Original-Gutachten hat Erik Marquardt auf seiner Website zur Verfügung gestellt.

    Die Stadt Hamburg hat angeboten, 3.000 minderjährige Geflüchtete aufzunehmen, wie die TAZ Hamburg berichtet (05.03.2020): Bereit für Geflüchtete

    Außerdem bietet die ZEIT eine Zusammenfassung, was Deutschland seit 2015 in Sachen Integration “geschafft” hat (25.06.2020): Was schon geschafft ist – und was nicht

    Angesichts der Corona-Epidemie verschärft sich die Lage für die Geflüchteten extrem. Wie MIGazin berichtet, könnte es für geflüchtete Kinder Hoffnung geben, dass einige EU-Länder sich zur Aufnahme bereit erklären (16.03.2020). Zahlreiche Flüchtlingsorganisationen warnen indessen vor der Gefahr, die Corona für die Menschen in Flüchtlingslagern mit sich bringt und fordern in einem Aufruf (18.03.2020) sofortige Maßnahmen.

    Zurück nach Griechenland: Ihr fragt euch, wie ihr helfen könnt? Wir haben recherchiert, wer (noch) vor Ort aktiv ist.

    An diese Organisationen könnt ihr spenden:

    Hilfstransporte von Deutschland nach Griechenland, werden weiterhin von der Hamburger Organisation “Hamburger Hilfskonvoi” durchgeführt: www.hamburgerhilfskonvois.de Wer für den Hilfskonvoi spenden möchte (ob Geld oder Sachen oder Zeit): bitte wendet euch an Hanseatic Help e.V., die die Zusammenstellung und den Transport übernimmt: www.hanseatic-help.org/spenden

    Die Refugee Law Clinic Berlin hat auch eine “Außenstelle” auf Samos eingerichtet, sucht fortlaufend Ehrenamtliche und Spenden: www.rlc-berlin.org/samos

    Ärzte ohne Grenzen ist auch in Griechenland aktiv: www.aerzte-ohne-grenzen.de

    Die U.K. NGO HelpRefugees kooperiert mit mehreren lokalen Einrichtungen und Organisationen: helprefugees.org/greece/

    Die Schweizer NGO, die das Zentrum One Happy Family (wo auch die “School of Peace” zuhause war) betrieb, nimmt auch Spenden an. Das Community Centre wurde vor einigen Tagen Ziel eines Brandanschlags (mutmaßlich von Rechtsradikalen verübt):  ohf-lesvos.org/de/spenden

    Das Greek Council for Refugees (Griechischer Flüchtlingsrat) arbeitet seit 1989 und setzt sich für die Unterstützung für Geflüchtete ein, bietet z.B. eine Sozial- und Rechtsberatung an. Zu der aktuellen Lage in Griechenland haben sie einen offenen Brief an die Regiereung von über 85 griechischen Organisationen veröffentlicht: www.gcr.gr

    Auch der Druck der Öffentlichkeit kann helfen. Deshalb findet ihr unseren Hashtag #hamburgistbereit auf twitter. Nutzt ihn, um zu zeigen, dass wir Geflüchtete in unserer Stadt aufnehmen wollen!

  • Europa: Humanität trotz Angst

    Situation in Griechenland

    Mit meiner Verlobten habe ich über die Situation an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei diskutiert. Sie hat mir gesagt, wir hätten von 2015 lernen sollen. Wir hätten die griechischen Inseln, auf der die Geflüchteten leben, unterstützen sollen. Wenn wir das gemacht hätten, könnten die Menschen da leben und die neuen Geflüchteten jetzt empfangen. Nun können sie nur ins Meer gucken und möchten ihnen nicht helfen. Die geflüchteten Kinder, die in Griechenland leben, hätten wir hierher nach Deutschland holen sollen. Wir hätten, wir hätten… aber am Ende wurde nichts gemacht, nur geguckt, was passiert.

    2015 und seine Folgen

    Niemand möchte 2015 wiederholen, das höre ich oft. Die meisten Politiker in Deutschland und Europa verhalten sich so, als wäre 2015 eine peinliche oder verbotene Geschichte passiert. Nein, 2015 darf sich nie wieder wiederholen. Obwohl 2015 für viele auch ein Moment der Hoffnung war und ein guter Moment für die berühmten europäischen Werte. Viele haben zu Europa „Chapeau“ gesagt! Endlich kann Europa auch ein paar seiner Werte für alle und nicht nur für die Europäer umsetzen.

    Was wir jetzt erleben ist auch ein direktes Ergebnis von 2015. Ich habe das Gefühl, wir haben viel diskutiert und wenig gelernt. Welcher Politiker hat sich für die Verbesserung der Situation in Griechenland stark gemacht? Wir haben nichts gelernt, weil wir Angst haben. Vielleicht haben die Menschen Angst um ihre Familien, ihre Dörfer, ihre Wohnungen, ihre Stadt und er 0der sie möchten nichts machen.

    Die Bilder von den Geflüchteten sind überall, aber die Angst ist stärker:

    Weil sich die Rechtsextremen in vielen europäischen Ländern verbreitet haben und sie viele Europäer überzeugt haben, dass Europa nur mit geschlossenen Grenzen leben kann. Die Angst ist auch stärker, weil Europa viele terroristische Angriffe von Extremisten von allen Seiten erleben musste. Und weil viele traditionelle Parteien sehr viele Stimmen verloren haben und die Menschen unsicher sind, wie die Zukunft aussehen kann. Viele Politiker haben auch Angst um ihre Position. Sie haben nicht den Mut zu sagen:“Egal was passiert, diese Menschen brauchen Hilfe“.

    Vielleicht ist die Gesellschaft auch müde von diesem Thema? Haben wir nicht alle genug geholfen? Ist es nicht mehr cool, am Hauptbahnhof zu warten und Menschen willkommen zu heißen? Für viele Fragen suchen wir die Antwort bei der Politik. Wir hoffen, dass die Politiker die Antworten kennen. Beim Thema Geflüchtete frage ich sie: was habt ihr davon gelernt?

    Fragen an die Politiker

    Was könnt ihr noch, außer nur zu diskutieren?:

    Hat Frau Merkel die Grenze geöffnet oder war die Grenze immer offen?

    Ist das Geld genug, um Europa und seine Werte zu unterstützen? So wie das Abkommen mit der Türkei, die mehr als 3 Millionen Geflüchtete  empfingen und 6 Milliarden Euro dafür bekommen haben, damit die Türkei Europa unterstützt?

    Ist die Katastrophe, die die Geflüchteten in Griechenland erleben, groß genug, damit sie verstehen können, dass Europa nicht mehr Geflüchtete empfangen kann oder möchte?

    Sollen sie mehr Schiffe auf das Mittelmeer schicken? Ist das Geld für Diktatoren (insbesondere die der nordafrikanischen Länder) genug, damit sie ihre Grenze schützen? Nach dem Motto: Wir dürfen unsere Humanität nur in Europa umsetzen, aber draußen ist es egal.

    Europas Verantwortung

    Was haben die europäischen Länder in Syrien gemacht? Versuchten sie eine Lösung zu finden? Haben sie versucht Russland zu unterdrücken oder  haben sie alle anderen Länder nach Berlin eingeladen, um ein Friedensabkommen zu schließen, wenn sie nichts direkt dagegen machen können?

    Jetzt sehen wir alle was an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland passiert. Kinder, Frauen, und Männer leben im Winter unter freiem Himmel. Sie möchten nur die Grenze überqueren und sie bekommen Pfefferspray und Tränengas, weil  Europa seine Grenzen schützen will. Die armen Leute dürfen nicht reinkommen, weil Europa sich nicht nur vor den Geflüchteten, sondern auch vor Rechtsextremen, die hier leben, schützen will. Aber das ist keine Lösung.

    Haben wir alle nach 5 Jahren „Willkommenskultur“ oder „Flüchtlingskrise“ akzeptiert, dass es kein europäisches Asylrecht gibt?

    Gibt es keine europäische Lösung und sollen wir Griechenland, oder Italien alleine lassen?

    Sollen die Kinder an der Grenze zu Europa keine Hilfe bekommen und sterben?

    Fragen über Fragen

    Wir sollten jetzt über die Realität nachdenken, nicht was wir machen sollen, sondern was wir machen können. Wie können wir die Geflüchteten unterstützen und ihnen helfen? Haben wir Angst?

    Wie können wir zwischen Angst und Humanität einen Kompromiss finden? Nicht in der Utopie, sondern im richtigen Leben und in der Welt, in der wir jetzt leben. Einer Welt, in der es Krieg, Waffen, Diktatoren und schlechte Politiker, arme Leute und Kinder, die an der Grenze unserer Welt sterben, gibt.

    Nicht nur Europa, sondern alle Menschen, die humanitär sind, befinden sich heute in einem großen Test.

    Europa kann nicht alle Geflüchteten empfangen, aber kann es vielleicht viele Geflüchtete unterstützen? Es könnte den Geflüchteten helfen, auch wenn diese nicht vor der Tür von Europa stehen. Viele Organisationen, Akademiker und Journalisten haben diese Möglichkeiten bereits aufgezählt. Es könnte mehr getan werden, um die Situation in Syrien strategisch zu lösen. Die UN könnte endlich wieder die benötigte Finanzierung bekommen. Oder die UN könnte überzeugt werden, ihre Hilfsgelder in Syrien nicht direkt an die von Assad kontrollierten Organisationen weiterzugeben.

    Können wir doch bereit sein, vielen Geflüchteten zu helfen, weil wir Mut dafür haben?

    Ist es möglich zu sagen, dass 2015 nicht eine Mutation oder ein Moment war, sondern ein Ergebnis unserer europäischen Werte, die wir nach dem zweiten Weltkrieg gelernt haben?

    Können wir sagen, dass wir nach 2015 sehr viele neue Projekte und Initiativen gegründet haben? Auch als Ehrenamtliche arbeiten wir und wir waren mehr als 6 Millionen. Wir haben  sehr viel Erfahrung damit gesammelt und wir möchten und können miteinander unter einem Dach arbeiten, wenn sie ein bisschen das bürokratische System vermeiden.

    Oder wir können einfach  ein paar Tweets oder Facebook Beiträge dagegen posten, und uns mit dem gutem Gefühl der Humanität einschlafen.

    Mit meinem Artikel möchte ich nur Fragen stellen. Fragen, die du vielleicht auch hast. Aber wer kann anfangen sie zu beantworten?

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