Schlagwort: Diversität

  • Diverse Ansätze im Klimaaktivismus – die African Climate Alliance

    „Youth unite for climate justice“ lautet einer der Slogans der African Climate Alliance. Warum sind junge Stimmen in der Klimabewegung so wichtig?

    Jugendliche in Afrika sind mit unglaublichen Herausforderungen konfrontiert – von historischen bis hin zu aktuellen Ungerechtigkeiten, die ihr tägliches Leben beeinflussen. Dabei werden junge Stimmen auf der Ebene der Entscheidungsfindung nicht immer ernsthaft berücksichtigt, obwohl die Zukunft die jungen Menschen am meisten betreffen wird. Junge Stimmen bringen auch eine frische, energiegeladene und dynamische Perspektive in die Herausforderungen ein. Deshalb glauben wir an die Kraft junger Führungskräfte und respektieren gleichzeitig die Bedeutung der Weisheit der Älteren und die Auswirkungen, die eine generationenübergreifende Organisation haben kann. Mit unserer Arbeit wollen wir junge Menschen in die Lage versetzen, in ihren eigenen Gemeinschaften auf eine für sie sinnvolle Weise tätig zu werden.

    Welche Reaktionen erfahrt ihr aus Politik und Gesellschaft?

    Wir erhalten eine Vielzahl von Reaktionen. Einige nehmen uns nicht ernst, andere feiern, was wir zu sagen haben, wieder andere bringen uns in Räume, aber auf eine Art und Weise, die uns eher als Alibi darstellt, als dass sie wirklich zuhören, was wir zu sagen haben. Einige Politiker*innen und gesellschaftliche Kreise versuchen auch, uns zu diskreditieren, weil wir eine Bedrohung für ihre oft korrupten Interessen an fossilen Brennstoffen darstellen.

    Zu Beginn der ACA habt ihr euch an eurozentrischen Klimabewegungen orientiert. Wann kam der Wendepunkt zu einem afrozentrischen Ansatz?

    Es war keine bewusste Entscheidung, sich an der europäischen Klimabewegung zu orientieren. Es gab zu der Zeit einen Aufruf von Fridays for Future zu einem globalen Klimastreik, dem viele Menschen gefolgt sind. Es war ein Ventil für die Hilflosigkeit, die viele angesichts dessen empfanden, was wir über den Klimawandel lasen und in unserem Heimatland erlebten. In Kapstadt hatten wir bereits fast kein Wasser mehr, während viele Menschen in der Stadt noch nie Zugang zu Trinkwasser in ihren Häusern hatten.

    Als wir die ersten Proteste organisierten, wurde uns klar, dass der Aufruf, die Schule zu schwänzen und sich an einem zentralen Punkt zu versammeln, um zu protestieren, nicht die Bildungsunterschiede berücksichtigt, mit denen die südafrikanische Jugend konfrontiert ist, sowie den mangelnden Zugang zu preiswerten und sicheren öffentlichen Verkehrsmitteln. Dies bedeutete, dass die Proteste und Organisationsgruppen von jungen Menschen dominiert wurden, die finanziell und rassisch privilegiert waren. Wir haben unseren Schwerpunkt bewusst auf den Aufbau von Klimakompetenz verlagert, um die Bewegung zu vergrößern und sie für alle zugänglicher zu machen.

    “Wir müssen uns um das einzige Zuhause kümmern, das wir haben”

    Was sind für die größten Unterschiede zwischen euro- und afrozentrischen Klimabewegungen?

    Die Klimabewegung ist sowohl in Europa als auch in Afrika unterschiedlich geschichtet, so dass es nicht unbedingt angebracht ist, von einer homogenisierenden Bewegung zu sprechen. Wir haben jedoch gesehen, dass in einigen Untergruppen der eurozentrischen Klimabewegung ein starker Fokus auf die Wissenschaft des Klimawandels und ein Tunnelblick auf den Klimawandel allein besteht. Dies führt oft zu einer vereinfachten Fixierung auf technologische oder marktorientierte Lösungen oder dazu, das Problem allein auf die Überbevölkerung zu schieben.

    Wir bestreiten nicht, dass die Wissenschaft wichtig ist und dass verschiedene Lösungen ihren Platz haben. In afrozentrischen oder Bewegungen des globalen Südens sind wir uns jedoch bewusst, dass Kolonialismus und Kapitalismus die Hauptursachen des Klimawandels sind. Dieser Ansatz bedeutet, dass man sich nicht nur auf das Klima konzentrieren kann, sondern dass man einen intersektionalen Ansatz verfolgen muss. Ein Ansatz, der sich mit der Geschichte, mit sozialen Fragen, mit verschiedenen, miteinander verbundenen Elementen der Krise und mit möglichen Lösungen befasst.

    Mit „afrozentrisch“ meinen wir auch, dass wir Bildung und Lösungen in den Vordergrund stellen, die sich auf die Menschen in Afrika konzentrieren, einem Land, das im Namen des „Fortschritts“ und der „Entwicklung“ stark ausgebeutet wurde und das nun mit erheblichen Klimaauswirkungen konfrontiert ist. Wir suchen auch innerhalb Afrikas nach Lösungen für unsere Probleme und entwickeln sie. Denn während wir an globale Zusammenarbeit und Solidarität glauben, gibt es hier ein uraltes Wissen, das in nachhaltigem Denken und der richtigen Beziehung zum Land verwurzelt ist.

    Gibt es auch Gemeinsamkeiten?

    Im Mittelpunkt der Idee der Klimagerechtigkeit steht die Forderung nach einer besseren Gegenwart und einer besseren Zukunft für alle. Wir müssen uns um das einzige Zuhause kümmern, das wir haben.

    In einem Interview mit der Heinrich Böll Stiftung erklärt Ayakha Melithafa, dass die afrozentrische Klimabewegung einen eigenen Lösungsansatz benötigt. Wie sieht dieser aus?

    Das bedeutet, dass die besonderen Herausforderungen, mit denen die Menschen auf dem afrikanischen Kontinent konfrontiert sind und die von Land zu Land unterschiedlich sind, berücksichtigt werden müssen. Ein Beispiel ist die Gewährleistung eines gleichberechtigten Zugangs zur Bewegung selbst. Dazu gehört beispielsweise die Bereitstellung von Daten für die Teilnahme an Bildungsworkshops oder das Herunterladen von Bildungsressourcen über die Klimabewegung. Oder wenn es Proteste gibt, bedeutet es, angesichts der räumlichen Apartheid und der Probleme mit bezahlbaren und zuverlässigen öffentlichen Verkehrsmitteln zu mobilisieren.

    Es bedeutet auch, auf den lokalen Kontext zu achten, um zu verstehen, was die Gemeinschaften brauchen und wie sie auf ihre eigene Art und Weise die Verantwortung für Klimalösungen übernehmen können, anstatt davon auszugehen, dass eine technische Einheitslösung das ist, was die Menschen wollen oder brauchen.

    Auf euren Postern ist immer wieder der Slogan „System Change not Climate Change“zu lesen. Wie muss sich das System ändern?

    Das System muss sich dahingehend ändern, dass das Wohlergehen der Menschen und des Planeten Vorrang vor dem Profit hat. Es muss zu einem Modell übergehen, das nicht versucht, einen endlichen Planeten in ein unendliches Wirtschaftswachstum Modell anzupassen, und das den globalen Süden nicht zugunsten der Wirtschaft des globalen Nordens ausbeutet und vergiftet. Menschen sind auch Teil eines Systems. Das bedeutet, dass die Menschen, vor allem die Wohlhabenden, die im globalen Norden leben, ihre Lebensweise ändern müssen. Sie dürfen nicht nach Luxus und Überfluss auf Kosten aller anderen, des Planeten und letztendlich ihrer selbst streben.

    “Die Mitglieder der weißen Bewegungen versuchen nicht, über ihren eigenen blinden Fleck hinauszublicken, und führen sie ohne Rücksicht auf diejenigen an, die am meisten von der Klimaproblematik betroffen sind”

    In Deutschland werden Klimabewegungen oft als zu weiß und privilegiert kritisiert. Teilt ihr diese Kritik?

    Weiß, privilegiert oder gut ausgebildet zu sein, ist kein Grund, keine Bewegungen zu gründen und zu mobilisieren. Die Macht, die mit diesen Identitätsfaktoren einhergeht, ermöglicht es sogar, verantwortungsvoll mit dem Privileg umzugehen. Aus unserer Sicht besteht die Kritik eher darin, dass die Mitglieder dieser Bewegungen nicht versuchen, über ihren eigenen blinden Fleck hinauszublicken, oder dass sie die Bewegung arrogant und ohne Rücksicht auf diejenigen anführen, die am meisten von der Klimaproblematik betroffen sind. Das führt zu Dingen wie der Annahme, dass die Menschen in Afrika und im globalen Süden ihrem Beispiel folgen sollten, oder dass der globale Süden sieht, dass unsere eigenen Botschaften ohne Anerkennung übernommen werden.

    Wir haben auch gesehen, wie Schwarze und Braune Aktivist*innen von weißen europäischen Aktivist*innen unter unangemessenen Druck gesetzt wurden, um sicherzustellen, dass Schwarze und Braune Stimmen gehört werden. Vieles davon ist gut gemeint, hat aber manchmal auch negative Folgen. Während wir also wirklich über Länder-, Klassen- und Farbgrenzen hinweg zusammenarbeiten wollen, müssen wir in der Lage sein, harte Gespräche zu führen.

    Mit welcher Kritik werden afrozentrische Klimaaktivist*Innen in der afrikanischen Gesellschaft konfrontiert?

    Viele Menschen empfinden es als ungerecht, dass von Afrika erwartet wird, „zu einer grünen Wirtschaft überzugehen“, wenn ein Großteil des Kontinents noch nicht in den Genuss einer Wirtschaft mit fossilen Brennstoffen gekommen ist, weil diese vom globalen Norden gehortet wurden. Manchmal gibt es einen Mangel an Vertrauen und Widerstand gegen die Klimabewegung, weil man befürchtet, dass sie eine neue Art von grünem Kolonialismus hervorbringen könnte. Als Klimagerechtigkeitsaktivisten mit Sitz in Afrika verstehen wir diese – durchaus berechtigte – Befürchtung und setzen uns dafür ein, dass die Klimakrise nicht als Gelegenheit für den globalen Norden genutzt wird, seine extraktive und ungleiche Arbeitsweise mit Afrika fortzusetzen.

    Darüber hinaus setzen wir uns für dezentralisierte und in gesellschaftlichem Besitz befindliche saubere Energieoptionen ein, die unseren Menschen und der lokalen Wirtschaft zugutekommen. Wir müssen jedoch auch darauf hinwirken, dass unsere führenden Politiker*innen dies nicht als Vorwand nutzen, um die Bewegung zu behindern.

    Was würdet ihr euch von der eurozentrischen Klimabewegung wünschen?

    Die internationale Solidarität ist unglaublich stark. Sie war zum Beispiel ein Schlüsselelement beim Sturz des Apartheidsystems in Südafrika. Jetzt kann und muss sie wieder eingesetzt werden. Die Menschen in Europa haben es in der Hand, den Bedürfnissen der Menschen im globalen Süden Gehör zu schenken und ihre Nähe zur Macht zu nutzen, um ihre Anführer*innen aufzufordern, ihre Systeme zu ändern und den globalen Süden nicht länger zu opfern.

    Mehr Informationen zur ACA gibt es hier. Und weitere Beiträge zum Schwerpunktthema Klimaaktivismus findest du hier.

  • Raus aus dem Elfenbeinturm- Kulturarbeit heute

    Landesfachtagung „Kulturarbeit heute“

    Was braucht es, um Kunst und Kultur diverser zu machen? Wie können (post-)migrantische Kulturschaffende gestärkt werden? Wer Antworten auf diese Fragen sucht, sollte sich die Landesfachtagung „Kulturarbeit heute“ nicht entgehen lassen. Die Veranstaltung hat sich die Vernetzung baden-württembergischer Kunst- und Kulturschaffender auf die Fahne geschrieben und steht in diesem Jahr unter dem Motto „Diversität, Öffnung und Empowerment“. Der Fokus des Programms liegt auf der Sensibilisierung des Kulturbetriebs und auf der Stärkung (post-)migrantischer Künstler*innen. Es soll zahlreiche Workshops, Keynotes und Podiumsdiskussionen geben.

    „Kulturarbeit heute“ soll Künstler*innen, Aktivist*innen und (post-)migrantische Organisationen in Baden-Württemberg erreichen, richtet sich aber auch an Akteur*innen aus Kultur- und Kunsteinrichtungen. Seit 2014 organisiert das Kunstministerium des Landes die Landesfachtagung gemeinsam mit dem Dachverband (post-)migrantischer Kulturverbände Baden-Württembergs, dem Forum der Kulturen Stuttgart e. V. – eine Kooperation mit Vorbildcharakter: „Andere Bundesländer können von uns lernen“, so Anna Lampert vom Forum der Kulturen. „Das Kunstministerium hört uns zu, positioniert sich mit dieser Tagung und gesteht sich ein, dass der Kunstbegriff kritisch reflektiert werden muss.“

    Von „Hochkultur“ zu „Breitenkultur“

    Warum das notwendig ist? Noch immer dominiert den Kulturbetrieb eine eurozentrische Perspektive, (post-)migrantische Geschichten bleiben die Ausnahme. Obwohl Deutschland seit mehr als 70 Jahren migrantisch geprägt ist, spiegelt der etablierte Kunstbetrieb diese Vielfalt nicht wider: „Die Gesellschaft, welche die Kulturbetriebe eigentlich repräsentieren sollten, ist viel diverser“, so Lampert. Das Problem: Große Kunst- und Kultureinrichtungen sind akademisch geprägt, die Konkurrenz um Jobs ist hart. Dieser Habitus schrecke (post-)migrantische Künstler*innen ab. „Unsere Mitgliedsvereine sagen: wir passen in euren Elfenbeinturm der Hochkultur nicht hinein!“

    Einerseits soll die Tagung (post-)migrantische Künstler*innen also mit Handwerkszeug ausstatten, um sich im etablierten Kunstbetrieb behaupten zu können. Andererseits soll „Kulturarbeit heute“ anregen, bestehende Machtstrukturen zu hinterfragen: Themen sind etwa die Dekolonisierung des Theaters sowie die Verschränkungen von Klassismus und Rassismus in der Kulturarbeit. Ein anderer Workshop widmet sich dem machtkritischen Arbeiten in Museen. In offenen Vernetzungsräumen können sich Teilnehmende aus Kunst und Kultur austauschen und Foren bilden.

    Neu ist in diesem Jahr ein Empowerment-Raum für Künstler*innen, die mit Rassismus konfrontiert sind. Die Idee: „Wir schaffen einen Safer Space für Artists of Color, wo eine Empowerment-Trainerin zur Seite steht, wenn es zu verletzenden Äußerungen kommt.“

    Bewegung – aber nicht genug

    Mit der Landesfachtagung gehört Baden-Württemberg zu den wenigen Bundesländern, die langfristige Öffnungsprozesse in der Kulturarbeit aktiv vorantreiben. An der Umsetzung der Anliegen (post-)migrantischer Künstler*innen scheitert es aber noch: „Der Kulturbetrieb in Baden-Württemberg ist noch immer sehr weiß, sehr etabliert“, sagt Lampert. In Zukunft brauche es einen Förderkatalog, der auch kleine, ehrenamtliche Kulturvereine in den Blick nimmt. „Das fehlt noch total!“ Ein Vorbild könnte Nordrhein-Westfalen sein, wo Fördergelder nach Diversitätskriterien vergeben werden.

    In Einem ist sich Lampert aber sicher: die Landesfachtagung wird Lust auf Veränderung wecken. Gäste aus etablierten Kultureinrichtungen hätten Gelegenheit zur Reflexion – über ihre Deutungshoheit und ihre Privilegien. „Allein die großen Räumlichkeiten alteingesessener Kultureinrichtungen sind wertvolle Ressourcen“, so Lampert. „Und wenn man sich einigt, zweimal im Monat gebe ich die Bühne ab für postmigrantisches Theater oder für kurdische Folklore, dann wäre das schon ein Anfang.“ Darüber hinaus sei die Tagung ein wichtiges Signal an Artists of Color: „Hier tut sich was! Wir bekommen Raum für unsere Kunst und für unsere Kultur!“

    Anmeldung

     

    Landesfachtagung „Kulturarbeit heute: Diversität, Öffnung und Empowerment“. Termin: Donnerstag, 28. April 2022, ganztägig. Veranstaltungsort: Kulturhaus Karlstorbahnhof, Am Karlstor 1, 69117 Heidelberg; auch als Livestream über YouTube. Wer vor Ort dabei sein will, kann sich bis zum 21. April anmelden. Zum Programm geht es hier

     

  • Meta – ein Chatbot als Brücke in einem Meer von Diskriminierung

    In einem Meer von Diskriminierung soll Meta für Betroffene von Diskriminierung eine Brücke zu der Insel mit Anwält*innen und der Insel mit Berater*innen sein. Als eine erste Anlaufstelle informiert er über rechtliche Handlungsempfehlungen in Diskriminierungsfällen und Antidiskriminierungsberatungsstellen in der Nähe. Für den Erfolg des Projektes steht für Said Haider die Diversität seines Teams an erster Stelle.

    Was genau ist Meta überhaupt? Wie kann man sich eine Beratung durch Meta vorstellen?

    Ziel von Meta ist es, den Menschen eine angemessene Handlungsempfehlung zu geben. Das heißt, sie über ihre Rechte aufzuklären, also was sind ihre Rechte? Wie können sie sie sichern? Außerdem sollen sie über Beratungsangebote in ihrer Nähe informiert werden. Viele Menschen, die Diskriminierungserfahrungen machen, kennen ihre Rechte überhaupt nicht. Meta soll ihnen zeigen, welche Rechte sie haben und aufzeigen, wie andere Menschen in ihrer Situation diese Rechte durchsetzen konnten.

    Said, was hat Dich als Jurist dazu gebracht, einen Antidiskriminierungs-Chatbot zu erfinden?

    Viele Konflikte in unserer Gesellschaft sind konstruiert. So denken zum Beispiel viele Menschen, Migration stelle eine Gefahr für „unsere Werte“ dar. Als Schüler*in findet man aber kein Gehör, also wollte ich etwas machen, was einen Einfluss auf die Gesellschaft haben kann. Deshalb habe ich damals angefangen Jura zu studieren, um den nötigen Werkzeugkasten zu haben, diese Konflikte zu dekonstruieren und zu lösen. Nach dem zweiten Staatsexamen haben mir die beruflichen Perspektiven, um etwas zu ändern aber nicht mehr gereicht. Also habe ich mir etwas anderes überlegt.

    Es gibt bereits einige Antidiskriminierungsberatungsstellen. Wozu braucht es dann noch Meta?

    Es gibt zwar Beratungsstellen, allerdings nicht flächendeckend und nur mit begrenzten Kapazitäten. Betroffene müssen teilweise viele Kilometer fahren oder aber lange warten, bis sie beraten werden können. Der Chatbot ist also einsetzbar, wo es noch an Menschen fehlt und steigert außerdem die Qualität der „analogen“ Beratung. So sind die Betroffenen schon vorinformiert, wenn sie in die Beratung kommen, zum Beispiel bezüglich Fristwahrung und Beweissicherung. Die Fristen, um rechtlich gegen Diskriminierung vorzugehen sind nämlich besonders kurz. Das erscheint fragwürdig, vor allem wenn man bedenkt, dass es ja auch meist erst einmal Zeit braucht, Diskriminierungserfahrungen emotional zu verarbeiten. Zudem gibt es eine Sache, die analoge Beratungen nicht bieten können und das ist Anonymität. Das verhindert zum Beispiel die Stigmatisierung Betroffener als „jemand, der sich als Opfer sieht“.

    Bezüglich der emotionalen Verarbeitung muss ich zugeben, dass es mir schwerfällt, mich in die Situation einer betroffenen Person hineinzuversetzen, da ich selbst nie Diskriminierungserfahrungen machen musste. Die erste kritische Frage aber, die mir beim Nachdenken über einen Antidiskriminierungs-Chatbot in den Sinn kam, war, ob eine Person, die gerade eine Diskriminierung erlitten hat, sich an einen Roboter wenden mag, um ihre Erfahrung mit ihm zu teilen.

    Ich denke, dass Betroffene emotional ohnehin von ihrem sozialen Umfeld wie ihrer Familie und Freund*innen unterstützt werden, wenn sie eine Diskriminierungserfahrung machen, und nicht von einem/einer Berater*in. Außerdem können diese Vertrauenspersonen den Chatbot für sie bedienen. Das Optimum wäre natürlich, wenn es bei der Diversität, die wir in unserer Gesellschaft haben, immer und überall Beratungsangebote gäbe. Da es aber nun einmal kein Profitgeschäft ist, sondern Beratung hauptsächlich durch Spenden und Ehrenamt ermöglicht wird, ist das schwer umsetzbar. Deshalb wollen wir Berater*innen entlasten.

    Wir haben aber nicht das Ziel sie zu ersetzen. Es ist klar, dass ein Chatbot keinen Menschen ersetzen kann. Meta soll Betroffene über ihre rechtlichen Handlungsmöglichkeiten aufklären. Dazu brauchen wir zurzeit die Expertise von Jurist*innen und Anwält*innen, um die besten Informationen darüber liefern zu können, wie man gegen Diskriminierung vorgehen kann, um etwas zu ändern. Gleichzeitig soll zwecks des psychosozialen Aufarbeitens an entsprechende Beratungsstellen verwiesen werden. In einem Meer von Diskriminierung soll Meta also die Brücke zu der Insel mit Anwält*innen und der Insel mit Berater*innen sein.

    Du arbeitest nicht alleine an der Entwicklung von Meta, wie setzt sich eigentlich Euer Team zusammen und seit wann läuft das Projekt?

    2019 habe ich einen ersten Hackathon ausgerichtet [bei einem Hackathon kommen Softwareentwickler*innen zusammen, um gemeinsam an der technischen Lösung eines gegebenen Problems zu arbeiten], um Menschen für das Projekt an Bord zu holen. Am 8. Februar 2021 haben wir dann den Prototypen des Chatbots gelauncht. Mittlerweile sind wir drei Hauptamtliche und 15 Ehrenamtliche im Team. Dabei steht an erster Stelle für den Erfolg von Meta die Diversität unseres Teams. Diversität schafft diverse Perspektiven und Meinungen.

     

     

    Wenn ich fragen darf, haben Du und Dein Team eigene Erfahrungen von Diskriminierung gemacht, die einen Einfluss auf Meta haben? Wenn ja, helfen Euch diese Erfahrungen bei der Entwicklung von Meta?

    Auf jeden Fall. Wir sind unfreiwillige Expert*innen, was die Perspektive der Betroffenen angeht, wir sind ein Teil der Zielgruppe des Projekts. Jedes Mal, wenn jemand von uns eine Diskriminierung erfährt – und das passiert ständig – versuchen wir in einem konstruktiven Gespräch Erkenntnisse daraus zu gewinnen, um Meta weiterzuentwickeln, damit andere nicht die gleichen Erfahrungen machen müssen.

    Vor kurzem wurde Mark Zuckerbergs Facebook zu Meta umbenannt. Ist eine Namensänderung von Eurem Chatbot vorgesehen?

    Ja, der fertige Chatbot soll einen neuen Namen erhalten, der ist aber noch geheim.

    In den sozialen Netzwerken habt Ihr Eure Follower*innen nach Vorschlägen für einen neuen Namen gefragt. Welche Rolle spielt die Einbindung der Community grundsätzlich bei der Entwicklung des Chatbots?

    Die eine „Community“ an sich gibt es eigentlich nicht. Der Chatbot soll allen Menschen mit Diskriminierungserfahrungen nützlich sein. Es gibt aber ganz viele verschiedene Gründe für Diskriminierung, also wollen wir auch unterschiedliche Communities erreichen. Deswegen sind wir darauf angewiesen, mit unseren Zielgruppen in Kontakt zu treten, um ihre Bedürfnisse kennenzulernen und mit dem Produkt bedienen zu können. Die Diversität unseres Teams bietet hier auch Zugänge zu den Communities.

    Wie sieht die Zukunft des Chatbots aus? Was sind kurzfristige und langfristige Ziele?

    Meta ist bisher nur ein Prototyp. Er diente vor allem dazu, Förder*innen und Investor*innen zeigen zu können, wie in etwa der fertige Chatbot einmal aussehen soll. Es ist nämlich nicht leicht, als erster Antidiskriminierungs-Chatbot finanzielle Unterstützung zu erhalten. Es gibt weltweit kein vergleichbares Projekt. Aber mit Hilfe des Prototyps haben wir Förder*innen und Investor*innen auf uns aufmerksam machen können, vor allem die Robert Bosch Stiftung und das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Außerdem hatte der Prototyp im letzten Jahr bereits 1.500 Testuser*innen. Unser Ziel war 300. Das zeigt deutlich, dass eine hohe Nachfrage nach einem Antidiskriminierungschatbot besteht.

    Unser Langfristiges Ziel ist daher die Produktreife. Momentan liegt dem Chatbot noch ein einfacher Entscheidungsbaum zugrunde, der keine Abkürzungen erlaubt. Der Chatbot, dann mit anderem Namen, soll mit einem höheren Level künstlicher Intelligenz ausgestattet werden, die ihn lern- und erinnerungsfähig macht. Spätestens nächstes, hoffentlich aber schon dieses Jahr soll der Chatbot dann voll einsatzbar sein. Ziel ist eine Verständnisrate von 80%. Um dem Chatbot hier noch unbekannte Fälle von Diskriminierung beizubringen, sind wir an dieser Stelle auch wieder auf die Einbindung unserer Zielgruppen angewiesen.

  • Wie divers ist kohero wirklich?

    Letztens saß ich, Hussam, mit einem Bekannten von mir zusammen. Er hat mich gefragt, warum das Team von kohero nur aus Deutschen ohne  Migrationshintergrund besteht. Es hat mich überrascht, wie unsere Leser*innen uns sehen. Ich frage mich: Stimmt es, dass wir wirklich ausschließlich weiße Deutsche sind? Die Idee von kohero ist doch, dass die Stimmen von Migrant*innen und Menschen mit Fluchtgeschichte gestärkt werden sollen. Es soll nicht über diese Menschen berichtet werden. sondern sie sollen ihre Geschichte selbst erzählen. Hat kohero das Ziel also nicht erreicht?

    Darüber habe ich mit Natalia, unserer Online-Redaktionsleitung, und Sarah, unserer Podcastleitung, diskutiert. Was sagt ihr dazu?

     

    Natalia: 

    Während meiner Journalismus-Ausbildung bin ich über das Schreibtandem zu kohero gekommen. Ich dachte, wenn ich selbst nicht viel zu den Thematiken Flucht und Migration sagen kann, dann kann ich zumindest eine*n Geflüchtete*n mit meinem journalistischen Know-How unterstützen.

    Ein Teil meiner Familie ist aus Griechenland nach Deutschland migriert, aber ich kann mich mit dieser Geschichte, den Erfahrungen meiner Großeltern und ihren Sorgen nicht wirklich identifizieren. Das ist jetzt fast 50 Jahre her und zu weit von meinen eigenen Lebenserfahrungen entfernt. Mir ist dieses Migrationserbe dennoch bewusst, weil wir viel Zusammenhalt in der gesamten (sehr großen) Familie haben, gemeinsam griechische Feste feiern und auch meine deutsche Familie väterlicherseits immer interessiert an der griechischen Kultur war und ist. Es erfüllt mich mit Stolz, dass meine Familie in einem damals fremden Land heute glücklich und erfolgreich ist.

    Wenn ich mit Menschen über ihre Fluchtgeschichte spreche, kann ich natürlich nicht nachempfinden, was sie während ihrer Flucht oder in einem neuen Land fühlen. Mir ist es also wichtig, diese Menschen beim Erzählen ihrer Geschichte selbst zu Wort kommen zu lassen, sie zu unterstützen und ihnen mit kohero eine Plattform zu bieten. In Gesprächen mit Geflüchteten, die an der Arbeit bei kohero interessiert waren, musste ich feststellen, dass sich diese eine ehrenamtliche Tätigkeit nicht leisten konnten. Dafür müssen wir Medien in Deutschland eine Lösung finden.

    „Bin ich empathisch genug? Wie (un-)voreingenommen bin ich?“

    Ich frage mich immer wieder, ob ich mit meiner Geschichte die Redaktion eines Magazins, das sich mit Themen wie Flucht und Migration auseinandersetzt, leiten sollte. Die Redaktion, die überwiegend aus weißen Frauen besteht, befasst sich freiwillig und ehrenamtlich mit diesen Themen, ist interessiert und möchte für mehr Repräsentation von Geflüchteten und den Themen Flucht und Migration sorgen. Doch wir sollten uns ständig reflektieren: Bin ich empathisch genug? Weiß ich genug über diese Themen, um kohero und der Community gerecht zu werden? Wie (un-)voreingenommen bin ich bei der Themenauswahl oder bei Einschätzungen zum aktuellen Geschehen? Um diese Fragen wirklich zu beantworten, sollten wir unserer Community nicht nur fertige Beiträge präsentieren, sondern sie schon in frühere Schritte unserer Arbeit einbeziehen.

     

    Sarah:

    Ich bin seit Juni 2021 bei kohero und leite seitdem die Podcast-Redaktion. Auch ich habe mich gefragt, ob ich in dieser Position die richtige Person bin – denn schließlich bin ich selbst nicht geflohen und auch nicht migriert. Meine Eltern sind vor mehr als 35 Jahren von Pakistan nach Deutschland eingewandert. Sie kamen mit Studentenvisa und konnten bleiben, weil sie hier Arbeit fanden. Somit bin ich in dieser Hinsicht auch privilegiert: Meine Familie wurde nicht aus ihrer Heimat vertrieben, musste nicht in Sammelunterkünften leben und meine Eltern setzten sich dafür ein, dass ich eine gute Bildung genießen konnte.

    Die Migrationserfahrung meiner Eltern ist dennoch ein großer Teil meiner Identität. Denn ich bin sehr verbunden mit der pakistanischen Kultur, der Sprache, der Religion. Gleichzeitig wird mir von außen auch immer und immer wieder suggeriert, ich sei anders, weil ich nicht weiß bin. Obwohl ich hier geboren und aufgewachsen bin, fühle ich mich nicht immer als ein Teil der Mehrheitsgesellschaft.

    „Unsere Redaktion ist noch lange nicht so vielfältig wie unsere Gesellschaft“

    Stimmen von migrantischen oder rassifizierten Menschen sind in der Medienlandschaft stark unterrepräsentiert. Das merke ich selbst. Auch in linken Redaktionen, in denen ich gearbeitet habe, war ich entweder die einzige oder nur einer der wenigen Journalist*innen of Color.
    Dies hat strukturelle Gründe, denn Journalismus ist noch immer ein sehr elitäres Berufsfeld, zu dem Vielen der Zugang verwehrt bleibt. Schlecht- oder gar unbezahlte Praktika zu machen oder zu prekären Arbeitsbedingungen tätig zu sein, kann sich nicht jede*r leisten. Natürlich kann sich kohero diesem strukturellen Problem nicht komplett entziehen.  Leider ist es uns nicht möglich, all unsere Autor*innen zu bezahlen. Damit zeigt sich schon das grundlegende Problem: Ehrenamtliche Tätigkeiten können sich nur gewisse Menschen leisten. Diesem Dilemma müssen wir uns als Redaktionsleitung stellen. Denn es bringt nichts, die Dinge schönzureden: Unsere Redaktion ist noch lange nicht so vielfältig wie unsere Gesellschaft.

    Auch wenn durch mein Foto auf unserer Autor*innenseite erkennbar ist, dass ich nicht weiß bin, heißt das nicht, dass ich dadurch davon befreit bin, über meine eigenen Privilegien zu reflektieren. Ich muss genauso bedacht, sensibel, empathisch und solidarisch mit Betroffenen sein und möchte ihnen auf Augenhöhe begegnen. Und ich möchte dazu beitragen, Stimmen von Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte sichtbarer zu machen und ihnen eine Plattform zu bieten, auf der sie ihre Erfahrungen, Geschichten und Gedanken teilen können. Vielleicht kann ich diese nicht immer hundertprozentig  nachempfinden – aber ich kann zuhören. Und lernen.

     

    Hussam: 

    Viele von unseren Leser*innen kennen meine Geschichte. Als Flüchtling und Journalist aus Syrien versuchte ich, eine Plattform zu gründen, wo wir (Menschen mit Fluchtgeschichte) unsere Geschichte und Meinung veröffentlichen können. Damals trug kohero noch den Namen Flüchtling-Magazin. Es gab zwei Gründe, warum wir unseren Namen verändert haben. Die Themen, über die wir schreiben, sind Migrationsthemen, nicht ausschließlich Fluchtgeschichten. Wir sehen, dass Menschen, die heute Geflüchtete sind, morgen Migrant*innen werden. Viele Menschen mit Fluchtgeschichte interessieren sich auch für Migrationsthemen. Kohero funktioniert nur durch die Arbeit von Ehrenamtlichen und wir versuchen, viele diverse Menschen für kohero zu gewinnen. Aber das ist leider nicht einfach. Wie Sarah gesagt hat, liegt das an strukturellen Problemen, die kohero nicht allein lösen kann.

    Das Thema Migration ist eng mit dem Thema Armut verbunden. Laut des Statistischen Bundesamtes: Mikrozensus war 2019 das Armutsrisiko von Menschen mit Migrationshintergrund (27,8%) mehr als doppelt so hoch wie das von Menschen ohne Migrationshintergrund (11,7 %). Deswegen können viele Menschen mit Migrationsgeschichte nicht ehrenamtlich arbeiten. Leider kann kohero für Beiträge nocht nicht bezahlen. Es ist vergleichbar mit großen Medienhäusern, die Praktikant*innen sehr wenig Geld zahlen. Diese jungen Leute brauchen oft eine erste Arbeiterfahrung, sind also durch bestimmte Strukturen im Arbeitsmarkt darauf angewiesen, bekommen aber für ihre Arbeit kaum Geld. Haben sie kein anderes Einkommen, kaum möglich bei einem Vollzeit-Praktikum, oder Unterstützung durch die Eltern, ist das ein ähnliches Problem.

    Bei Menschen, die neu angekommen sind, sieht es ein wenig anders aus. Sie haben noch nicht viel Erfahrung mit den Strukturen, in denen ehrenamtliche Arbeit stattfindet, und verstehen ein Ehrenamt als Dank an die Gesellschaft. Dabei helfen die Neuangekommenden zum Beispiel älteren Menschen oder beim Aufräumen nach der Flutkatastrophe. Außerdem haben diese Menschen nach ihrer Flucht noch nicht viel Zeit gehabt, sich mit ihrem neuen Leben und Träumen zu beschäftigen.

    „Wir müssen unser Bild von Menschen in Deutschland verändern“

    Wenn ich es wieder im Kontext von kohero betrachte, kommt dazu, dass auch nicht viele Menschen mit Fluchtgeschichte am Schreiben interessiert sind oder ihnen das Schreiben in der neuen Sprache schwer fällt. Deswegen gibt es seit Beginn unser Herzprojekt, das Schreibtandem. Im Schreibtandem  verbinden wir eine*n Deutschsprachige*n mit einer oder einem Geflüchtete*n und gemeinsam können sie Geschichten oder Artikel schreiben. Während der Pandemie ist das Projekt etwas kürzer gekommen, da es vom persönlichen Austausch lebt. Im neuen Jahr werden wir dieses Projekt aber wieder aktivieren und nach neuen Tandems suchen.

    Eine Sache hat mich übrigens sehr überrascht: Viele von den Menschen, die bei kohero arbeiten, haben einen europäischen oder asiatischen Migrationshintergrund. Und das zeigt mir, dass nicht alle weißen Menschen hier Deutsche ohne Migrationshintergrund sind. Außerdem können wir nach 60 Jahren Einwanderungsgeschichte in Deutschland nicht sagen, dass alle PoC Nicht-Deutsche sind. Was ich meine, ist, dass wir unser Bild von Menschen in Deutschland verändern müssen. Die deutsche Gesellschaft ist sehr vielfältig. Das zeigt auch eine weitere Angabe des Statistischen Bundesamtes, nach der 2020 26,7% aller Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund hatten.

     

    Wir fassen zusammen:

    Wir als Chefredakteur, Online- sowie Podcast-Redaktionsleitung wissen, dass unser Team nicht so vielfältig ist, wie es für die Repräsentation Geflüchteter sein sollte. Anders als große deutsche Medien, „Wir kennen das Problem, haben aber keine Finanzierung dafür übrig“, wollen wir es aber nicht bei Ausreden belassen oder uns darauf ausruhen.

    Wir sagen: Kohero lebt von Geschichten von Menschen mit Migrations- oder Fluchterfahrung. Wir versuchen, neue Idee zu entwickeln, damit wir zukünftig mehr Menschen mit Migrationsgeschichte gewinnen. Wie werden etwa unterschiedliche Formate produzieren, um die verschiedenen Communities von Migrant*innen zu erreichen und gemeinsam zu arbeiten. Außerdem werden wir uns stärker auf das Schreibtandem fokussieren. Wir wollen mehr Menschen mit Fluchtgeschichte dafür gewinnen und ihre Meinung und Geschichte veröffentlichen. Dazu kommt, dass wir versuchen, unsere Autor*innen durch Spenden zu bezahlen, damit sie regelmäßig für kohero schreiben können.

    Wir werden mehr mit lokalen Organisationen und Initiativen arbeiten und suchen Kooperation mit Initiativen, die mit Menschen mit Migrations- oder Fluchterfahrung Kontakt haben. Wir wollen in Workshops zusammenarbeiten, den Communities etwas bieten und den Menschen die Möglichkeit geben, sich bei kohero auszuprobieren.

    Weil wir mit Ehrenamtlichen arbeiten, suchen wir Menschen, die Zeit und Lust haben, mit uns neue Sache zu probieren und zu lernen. Für die Mitarbeit braucht man keine Erfahrung, denn die sammelt man gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen mit der Zeit. Wir arbeiten unter dem Ansatz, voneinander zu lernen und sich auszutauschen. Deshalb planen wir auch interne Workshops wie auch für externe Autor*innen, damit sich sich im Bereich Journalismus weiterentwickeln können. In diesem Jahr konnten wir außerdem drei Praktikantinnen die Möglichkeit bieten, Erfahrung im Bereich Medien und Journalismus zu sammeln. Das wollen wir auch zukünftig.

    Geschichten erzählen, Perspektiven aufzeigen und einen Dialog schaffen

    Für das neue Jahr haben wir uns vorgenommen, mehr aktuelle Nachrichten zu den Themen Flucht und Migration sowie Artikel in Einfacher Sprache zu veröffentlichen. Wir haben bemerkt, dass wir den Menschen, die neu in Deutschland angekommen sind, damit entgegenkommen können. Auch Artikel in anderen Sprachen, dieses Jahr haben wir bereits einige auf Englisch veröffentlicht, könnten eine Möglichkeit sein. Wir wollen auch Menschen, die sich im europäischen Raum für die Themen Fluch, Migration und Zusammenhalt interessieren, erreichen und dafür auch solche Geschichten und Perspektiven veröffentlichen. Schlussendlich ist unser Ziel, dass kohero eine Plattform für die eigene Geschichte, auch ohne Sprachkenntnisse und journalistische Erfahrung wird.

  • Diplomats of Color – für mehr Diversität im Auswärtigen Amt

    Als wir uns über Zoom zum Interview treffen, ist es zehn Uhr morgens – zumindest in Deutschland. Für unsere Interviewpartnerin Tiaji Maynell Sio ist es schon drei Uhr nachmittags. Sie ist zurzeit nämlich in Vietnam. Dort arbeitet die 24-Jährige im Wirtschaftsreferat an der deutschen Botschaft in Hanoi.

    Das südostasiatische Land ist nicht der erste Auslandsposten der jungen Diplomatin. Zuvor hatte sie bereits für jeweils zwei Monate das Rechts- und Konsularreferat in Senegal geleitet. Weiter hat sie an der deutschen Botschaft in Mosambik gearbeitet und während des Studiums noch ein neunmonatiges Praktikum in China, Shanghai gemacht. Im Auswärtigen Amt kommt man viel rum. Gehört man einmal zum Stammpersonal, wird alle drei bis fünf Jahre der Einsatzort gewechselt.

    Über Freunde auf dem ganzen Globus

    Klar, das könne auch mal schwierig sein: „Wenn man neue Freunde findet, muss man die auch immer wieder verlassen. Mittlerweile habe ich sehr viele Freunde verteilt auf dem ganzen Globus. Aber dadurch, dass wir alle auf Social Media usw. verbunden sind, haben wir regelmäßig Kontakt. Man sieht sich halt nur seltener.“

    Und natürlich hat es vor allem gute Seiten, immer wieder in eine neue Stadt irgendwo auf der Welt zu ziehen. „Das Spannendste ist für mich, wirklich in eine andere Kultur einzutauchen – sich diese Flexibilität zu bewahren, dass man alle drei Jahre woanders hingeht und wieder in einen komplett neuen Kontext geworfen wird. Man lernt ein Land auf jeden Fall besser kennen, als wenn man einfach nur touristisch für eine kurze Zeit irgendwo ist.“

    Gründung des Diversitätsnetzwerks

    Ein Traum-Einsatzort für Tiaji ist Südamerika: „Das ist der einzige Kontinent, wo ich noch nicht war. Das würde ich voll gern mal erleben.“ Vor allem weil sie Salsa tanzt. Auch wenn sie dafür momentan gar nicht so viel Zeit hat. Denn: Neben ihrem Job als Diplomatin und ihrem Masterstudium „International Development“ an der Universität Edinburgh hatte Tiaji Mitte 2019 das Diversitätsnetzwerk „Diplomats of Color“ (DoC) im Auswärtigen Amt gegründet – damals noch als ganz informelle Gruppe.

    Sie trafen sich alle paar Wochen zum Mittagessen, um sich zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen. Heute, zwei Jahre später, geht ihr Engagement für mehr Diversität im Außenministerium weiter: Diplomats of Color setzt sich für institutionelle Veränderungen gegen systematische Ungleichheit ein.

    Planung von Veranstaltungen

    Dafür organisiert Tiaji mit einem siebenköpfigen Planungsteam zum Beispiel interne und auch öffentliche Veranstaltungen – so wie die Gesprächsreihe „Außenpolitik neu denken“ in Kooperation mit der jungen DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik). Wie alle anderen Veranstaltungen bisher auch, musste diese coronabedingt digital stattfinden. „Unsere erste Veranstaltung 2020 hatten wir sogar noch analog geplant. Und das war dann aber genau die Woche, als die ersten Beschränkungen eingeführt wurde. Direkt die erste Veranstaltung haben wir dann voll digital gemacht. Das hat aber auch den Vorteil, dass sich weltweit Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland dazuschalten können. Wir können das aufnehmen und dann noch später zu Verfügung stellen.“

    So hat Diplomats of Color eine größere Reichweite und auch Leute, die gerade nicht in Berlin sind, können teilnehmen. Mittlerweile sind nämlich bereits 150 Leute im Auswärtigen Amt Mitglied bei DoC, die auf der ganzen Welt verteilt leben und arbeiten. Und es gibt ein Schwesternetzwerk – Diplomats of Color and Allies. „Da wollen wir auch nochmal explizit weiße Menschen ansprechen, die auch mitmachen und das aktiv unterstützen wollen.“

    Je höher die Position in der Hierarchie, desto weniger divers sind die Menschen

    Dass es gerade im Auswärtigen Amt, das doch aus der Arbeit mit verschiedenen Ländern, Menschen und Kulturen besteht, ein Diversitätsnetzwerk braucht, klingt erstmal vielleicht verwunderlich. Aber: „Eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung hat herausgefunden, dass in der Bundesverwaltung nur zwölf Prozent der Beschäftigten einen Migrationshintergrund haben – im Vergleich zu 26 Prozent in der Gesamtbevölkerung“.

    Das Außenministerium ist da einfach keine Ausnahme. Als Tiaji 2015 nach ihrem Abitur anfing, „Public Administration“ an der Akademie Auswärtiger Dienst in Berlin zu studieren, fiel ihr auf: „Im Vergleich zu meinem Aufwachsen ist es im Auswärtigen Amt homogener. Vor allem je höher ich in der Hierarchie geschaut habe, hat sich gezeigt, dass es dann anscheinend doch noch nicht so selbstverständlich ist, dass sich diese diverse Gesellschaft und diese diverse Umgebung, die ich für normal hielt, auch in Spitzenpositionen in der Verwaltung widerspiegeln.“

    Heimatstadt Frankfurt

    In ihrer Heimatstadt Frankfurt am Main hatte Tiaji das bis dahin nämlich anders erlebt. „Ich war gewohnt, dass Menschen mit ganz vielen verschiedenen Sprachen und Kulturen aufwachsen. Dass es auch tatsächlich wertgeschätzt wird. Es kam mir gar nicht in den Sinn, darüber nachzudenken, dass es irgendwie strukturelle Hindernisse oder so für mich geben könnte.“

    Beim Auswärtigen Amt habe sie sich einfach aus einem fachlichen Interesse heraus beworben. Durch erste Erfahrungen mit Außenpolitik hatte sich bei ihr der Wunsch gefestigt, in die Diplomatie zu gehen. Noch während ihrer Schulzeit hatte Tiaji beim Europäischen Jugendparlament mitgemacht und an „Model United Nations“-Sitzungen teilgenommen. „Ich fand es spannend, da in Sitzungen in ganz Europa teilzunehmen und mit Jugendlichen aus verschiedenen europäischen Ländern zu diskutieren. Ich dachte, das ist super cool – ich möchte sowas Ähnliches auch in meinem späteren Beruf machen.

    Studium beim Auswärtigen Dienst

    Diesen Wunsch setzte Tiaji mit dem Studium beim Auswärtigen Dienst in die Tat um. Dabei engagierte sie sich weiterhin auch außerhalb des Studiums – unter anderem als Jugendbotschafterin bei ONE, einer Organisation, die sich dafür einsetzt, bis 2030 extreme Armut und vermeidbare Krankheiten zu beenden. In dieser Funktion hat Tiaji 2015 mal Ellen Johnson Sirleaf, die ehemalige Präsidentin von Liberia, getroffen. „Ich fand sie eine super inspirierende Persönlichkeit, weil sie sich vor allem auch für die Rechte von Frauen und Mädchen eingesetzt hat.“

    Die Friedensnobelpreisträgerin war 2006 die erste Frau, die in einem afrikanischen Staat zum Staatsoberhaupt gewählt wurde – und ist ein Vorbild für Tiaji, so wie auch die Ex-Siemens-Vorständin Janina Kugel, die derzeit als Beraterin und Aufsichtsrätin tätig ist. „Auch von ihr kann man super viel lernen, gerade zum Thema Führung. Sie ist ein supergroßes Vorbild.“

    Tiaji Sio als Vorbild

    Dabei ist Tiaji Sio aber selbst ebenso ein Vorbild für andere: 2020 schaffte sie es auf die „FORBES DACH 30 Under 30“-Liste. Damit wurde sie von dem Wirtschaftsmagazin zu einer der 30 erfolgreichsten Unternehmer*innen, Gründer*innen, Wissenschaftler*innen, Sportler*innen und Künstler*innen in Deutsch, Österreich und der Schweiz gekürt – für ihr Engagement mit Diplomats of Color und den Anti-Rassismus-Diskurs, den sie damit im Auswärtigen Amt vorantreibt.

    Chancengerechtigkeit ermöglichen

    Mittlerweile geht es aber nicht nur um den Diskurs, sondern um konkrete Handlungen. Das übergeordnete Ziel: Eine Diversitätsstrategie. „Wir wollen prüfen, ob Chancengerechtigkeit herrscht. Und wenn nicht, was für Maßnahmen wir ergreifen können, um Chancengerechtigkeit in der Bundesverwaltung zu ermöglichen. Das schließt verschiedene Dinge mit ein. Zum Beispiel, dass man kritisch schaut, ob die Auswahlverfahren fair gestaltet sind: ob es da einen Unconscious Bias gibt und ob die Voraussetzungen für alle dieselben sind.“

    Weitere Aspekte sind, rassismuskritische Aus- und Fortbildungen, insbesondere für Führungskräfte, anzubieten, Leitfäden für inklusive Sprache zu implementieren und die Durchlässigkeit bei der Hierarchie genau in den Blick zu nehmen. Beim Frauenanteil unter den Führungskräften sei das Auswärtige Amt mit 23 Prozent Schlusslicht unter allen Ministerien. „Da kann man natürlich auch schauen: Wie sieht das denn bei Personen mit Migrationsgeschichte aus? Gibt es strukturelle Barrieren?“

    Quote als Lösung?

    Und eine Quote? Wäre das die Lösung für mehr Diversität in Ministerien? Auch hier zieht Tiaji wieder den Vergleich zu Frauen: „Da gibt es gesetzliche Grundlagen. Es gibt das Gleichstellungsgesetz auf Bundesebene seit 2001. Es gibt Gleichstellungsbeauftrage. Und trotzdem sind Frauen noch immer unterrepräsentiert, besonders in Führungspositionen. Das heißt, man kann sich durchaus fragen, ob da eine Quote vielleicht Abhilfe schaffen kann.“

    Dahingegen besteht für Menschen mit Migrationsgeschichte noch keine solche Rechtsgrundlage. Während z.B. Gleichstellungsbeauftrage oder Schwerbehindertenbeauftragte gesetzlich verpflichtend sind, gibt es kaum Diversitätsbeauftragte. „Falls man das rechtlich verankern möchte, kann man da direkt Lehren ziehen aus anderen Bereichen. Das wäre zum Beispiel eine Quote.

    Andere Länder, mit denen das deutsche Auswärtige Amt im engen Kontakt ist, seien da schon weiter: „Kanada ist besonders fortschrittlich. Die haben beispielsweise einen Diversity Champion und konkrete Maßnahmen, wie sie die Repräsentation der gesellschaftlichen Vielfalt fördern können. In den USA gibt es ein Fast Track Programme, insbesondere für afroamerikanische Diplomaten und Diplomatinnen. Und auch im UK gibt es auch so einen Fast Stream.“ Da könne man schauen, was man auf Deutschland übertragen könnte.

    Gesellschaftliche Vielfalt  sollte sich in Politik und Verwaltung widerspiegeln

    Den Rückhalt der Bundesregierung habe Diplomats of Color dafür. Besonders das Auswärtige Amt sei besonders offen. „Ich glaube, dass das auch der Grund ist, weshalb sich DoC zuerst dort gebildet hat und nicht etwa im Heimatministerium. Ich war tatsächlich überrascht, wie positiv die Initiative aufgenommen wurde. Wir haben eine politische Führung, die vollkommen hinter uns steht und das ebenso als Ziel für sich definiert hat.“

    Sicht der Opposition

    Nur ein Teil der Opposition sieht das wohl anders. In einer Bundestagsanfrage beleuchtete die AfD-Fraktion Tiaji Sio und die Legitimität von Diplomats of Color kritisch anhand von suggestiven Fragen, die einen Zusammenhang mit Linksextremismus herstellten. „kritisch“ klingt irgendwie so legitim; den Fall genauer ausführen?

    Und auch am Diversity Day gab es auf Social Media einen Shitstorm von rechts, als Tiaji auf den Kanälen des Auswärtiges Amtes Diplomats of Color vorstellte. Die Vielzahl negativer Nachrichten überraschte die Diplomatin. „Natürlich ist es wichtig, dass man auch kritischen Stimmen zuhört und versucht, in den Dialog zu treten. Aber für Debatten muss es einen Grundkonsens darüber geben, dass es eine gesellschaftliche Realität ist, dass wir in Deutschland in einer vielfältigen Gesellschaft leben, in der mehr als 25%, also mehr als jeder Vierter, einen Migrationshintergrund hat. Dass wir ein Einwanderungsland sind.“

    In einer repräsentativen Demokratie sollte sich diese gesellschaftliche Vielfalt dementsprechend auch in Politik und Verwaltung widerspiegeln. „Auf der Grundlage kann man natürlich diskutieren, was für Maßnahmen am besten geeignet sind, um sich für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen. Aber es gibt eben Leute, die noch nicht mal an eine offene, vielfältige Gesellschaft glauben.“ Dennoch glaube Tiaji, dass das eine Minderheit in Deutschland sei – die einfach eine sehr laute Stimme hat. „Der Großteil glaubt an eine offene, plurale Gesellschaft. Und das sind auch genau die Leute, die wir erreichen wollen – und ich glaube, das machen wir auch.“

    Netzwerk als Ziel

    Ziel sei ein Netzwerk mit Vorbild Diplomats of Color in allen Ministerien. Diversitätsbeauftragte in jedem Ministerium. Ein Diversitätsgesetz. Und langfristig natürlich: „Dass wir in einer chancengerechten Welt leben, in der das alles gar nicht mehr notwendig ist.“ All dem ist Diplomats of Color nun einen Schritt nähergekommen. Denn die Initiative hat eine Förderung von erhalten. Damit soll nun das nächste Projekt umgesetzt werden: „Wir sind gerade in der Anfangsphase, ein interministerielles Diversitätsnetzwerk aufzubauen. Das heißt DIVERSITRY. Im Entwicklungsministerium, im Verteidigungsministerium und verschiedenen anderen Ministerien sind wir gerade in den ersten Gesprächen. Da gibt es jetzt auf jeden Fall Bewegung.

    Dank der Förderung JoinPolitics können zwei Personen hauptamtlich für DIVERSITRY arbeiten. Vier weitere engagieren sich ehrenamtlich dort – darunter auch Tiaji Sio, neben ihrem Job als Diplomatin im Auswärtigen Amt.

    Mittlerweile ist es schon später Nachmittag bei ihr in Vietnam. Die E-Mails werden weniger, der Arbeitstag neigt sich dem Ende. Bevor wir uns verabschieden, ermutigt Tiaji nochmal alle, die sich auch beim Auswärtigen Amt bewerben möchten: „Go for it. Macht es einfach!“

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