Schlagwort: CriticalWhiteness

  • Weiße Privilegien – Stimmen aus der Redaktion

    Die Rassismus-Debatte hat gezeigt: Vor allem weiße Menschen haben einiges aufzuholen, wenn es darum geht, sich der eigenen Privilegien bewusst zu werden. Unter dem Stichwort „kritisches Weiß-Sein“ haben in den letzten Wochen und Monaten viele darüber diskutiert, wie sich weiße Personen mit Rassismus beschäftigen können. Was genau kritisches Weiß-Sein bedeutet, hat unser Autor David hier erklärt. Als Redaktion fühlen wir uns in der Verantwortung, uns mit unseren weißen Privilegien auseinanderzusetzen – auch und gerade in Bezug auf unsere journalistische Arbeit. Unsere Selbstreflexion wollen wir gerne mit euch teilen. Wir nutzen die Leitfragen, die die Journalistin Josephine Apraku auf instagram veröffentlicht hat. Stimmen aus der Redaktion zu ihrer ersten Frage.

    Wann ist dir das erste Mal bewusst gewesen, dass du weiß bist?

    Anna: In dem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, war Weiß-Sein „die Norm“, v.a. an meiner Schule. Ich hatte wenig Kontakt zu People of Colour, weil die meisten zur Hauptschule gingen. Ich aufs Gymnasium. Das hat mich damals schon gewundert, aber wie rassistisch unser Schulsystem tatsächlich ist, habe ich erst viel später reflektiert. Vielleicht mit Mitte 20, als ich selbst in Ländern des globalen Südens war und angefangen habe, mich in Workshops und durch Literatur mit strukturellem Rassismus zu beschäftigen.

    Jenny: Das ist noch gar nicht lange her. Wahrscheinlich im Laufe des Studiums. Ich habe Stifte, die weiß waren als „hautfarben“ bezeichnet. Ich habe bis dahin auch nicht hinterfragt, dass Pflaster in Deutschland alle weiß sind. Sich das eigene Weiß-Sein bewusst zu machen, ist in einer Gesellschaft, welche diese Tatsache als Norm begreift und konstruiert, leider alles andere als eine Selbstverständlichkeit. 

    Hannah: Eine gute Freundin meiner Eltern ist Schwarz und ihre Tochter ist mit mir aufgewachsen. Wir haben damals über Hautfarben gesprochen – aber einen Unterschied haben sie nicht gemacht. So richtig bewusst ist mir mein Weiß-Sein erst geworden, als ich zum ersten Mal die einzige weiße Person im Raum war. 

    David: Am Anfang meiner 20er Jahre fing ich so richtig an zu reisen. War super oft in Italien. Dort bin ich vermehrt mit schwarzen Menschen in Kontakt gekommen und habe so festgestellt, dass ich weiß bin und andere Menschen Schwarz oder of Colour sind. Was das genau heißt, habe ich damals aber noch lange nicht verstanden oder nachvollzogen. Ich wuchs in Tübingen und Umgebung auf. Dort auf dem Land leben vor allem weiße Deutsche. So habe ich lange in einer Welt gelebt mit sehr eingeschränktem, weißem und privilegiertem Horizont.  

    Marius: Aufgewachsen im ländlichen Raum Deutschlands gehörte ich als weiße Person zur Mehrheit. Egal ob Schule oder Freundeskreis, Schwarze oder People of Colour waren praktisch inexistent, mein Privileg hinterfragte ich damals nie. Erstmals mit Anfang 20, als ich in einer Hamburger U-Bahn die Minderheit bezüglich der Hautfarbe bildete, reflektierte ich und fühlte mich, vermutlich aufgrund unbewusst internalisierter und rassistischer Denkmuster, situativ unwohl. Auch aufgrund aktueller Debatten setze ich mich häufiger mit der Thematik des kritischen Weiß-Seins auseinander. Zuletzt im Harz-Urlaub: Ein älterer Herr klärte meine Freundin und mich bei einem Spaziergang ungefragt über die Geschichte der dortigen Region auf. Es stellte sich die Frage: Hätte er dies auch getan, wären wir nicht weiß?

    Amanda: Ich war in meiner Grundschulklasse die einzige Schülerin, die nicht migrantisch gelesen wurde. Ich hatte immer recht gute Noten und wurde häufig als “gutes Beispiel” mit anderen Schülern verglichen. Das hatte ganz sicher auch etwas mit meinem Weiß-Sein zu tun. Mir ist damals schon aufgefallen, dass die Anderen härter für eine Gymnasialempfehlung arbeiten mussten als ich.

    Natalia: Bin ich ehrlich, habe ich mich mit dem Weiß-Sein das erste Mal auseinandergesetzt, als ich Sophie Passmanns Buch „Alte weiße Männer“ gelesen habe. Zuvor ist mir meine weiße Bubble, in der ich lebe, nicht aufgefallen. Als ich dann einigen Männern erklärt habe, wie weiß und alt sie sind, bin ich auf viel Gegenwehr gestoßen. Erst da ist mir bewusst geworden, dass Weiß-Sein viel mehr bedeutet, als weiße Haut zu haben. Es hat aber die aktuelle Diskussion, die Proteste und die mediale Aufmerksamkeit gebraucht, Rassismus als ein Problem zu erkennen, das mich auch betrifft.

    Willst auch du dich mit deinen weißen Privilegien auseinandersetzen? Die zweite Frage lautet: War dir zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass dein Weiß-Sein mit einer vergleichsweisen besseren Behandlung und einem besseren Zugang zu Ressourcen, wie Bildung oder dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, einhergeht? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?

    https://kohero-magazin.com/rechte-weltbilder-und-die-norm-weisser-maennlichkeit/

  • Sich seiner Privilegien bewusst werden

    Da wir in Deutschland in einer weißen Mehrheitsgesellschaft leben, ist es wichtig, dass wir auch durch die Perspektive der Critical Whiteness auf Rassismus schauen. Diese stellt eine grundsätzliche politische Auseinandersetzung unter weißen Menschen mit ihren Privilegien dar. Um zu verdeutlichen, dass Critical Whiteness nicht nur eine amerikanische Thematik ist, nutzen wir hier an dieser Stelle den übersetzten Begriff Kritische Weißseinsforschung. Dass sie als weiße Menschen privilegiert sind, ist den meisten Weißen in unserer Gesellschaft tatsächlich gar nicht bewusst. Mit dem Wissen und der Aufarbeitung weißer Privilegien kann Rassismus abgebaut werden. 

    Weiße Privilegien

    Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, fällt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema oft schwerer. Sie spüren durch ihre Hautfarbe und die damit verbundenen Privilegien und die Position in der Gesellschaft keine negativen Auswirkungen. Weiße Menschen sind nicht mit den Nachteilen und den damit verbundenen Problemen konfrontiert, die ihre Privilegien in der Gesellschaft für andere Menschen mit sich bringen.

    Schwarze Menschen und People of Colour [(Sing.  Person of Colour) ist ein Begriff aus dem anglo-amerikanischen Raum. Im Gegensatz zu „coloured“ (dt.: Farbige_r) handelt sich hier nicht um eine eindimensionale Zuschreibung seitens der weißen Mehrheitsbevölkerung, sondern um eine Selbstbezeichnung von nicht-weißen Minderheiten] befinden sich im ständigen Konflikt mit Rassismus. Sie müssen sich fragen, ob unserer Gesellschaft sie als Individuum ansieht oder als fremd betrachtet und ob überhaupt zugehörig sind. Von der Polizei werden sie häufiger verdächtigt kriminell zu handeln und dadurch öfter Personenkontrollen unterzogen. Sie haben geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und oft einen erschwerten Zugang zu Kulturangeboten.  

    Weiße Privilegien sind unter anderem:  als Individuum angesehen zu werden, nicht automatisch als fremd betrachtet zu werden, alle Menschen die nicht weiß sind benennen, einteilen und kategorisieren zu können, wenn gewollt öffentlich anonym bleiben zu können, sich Teile anderer Kulturen aneignen zu dürfen, Fremden die eigene Herkunft nicht erklären zu müssen, grundsätzlich davon auszugehen, dass Menschen in Büchern und Zeitungsartikeln weiß sind, ungehindert und unkontrolliert durch die ganze Welt reisen zu können, nicht auf Rassismus reagieren zu müssen…   

    All diese Privilegien stehen versinnbildlichend für die weiße Dominanz. So gilt Weiß-Sein in der Wahrnehmung von Weißen grundsätzlich als die Norm.  

    Sich nicht entscheiden können

    Schwarzen Menschen und People of Colour hingegen stehen diese Privilegien nicht zu. Im Gegenteil: Sie werden heutzutage, wie schon in den letzten Jahrhunderten immer noch von weißen Strukturen unterdrückt, ausgebeutet und benachteiligt und sind damit die Opfer des Rassismus. Schwarze Menschen können sich nicht bewusst oder unbewusst dafür entscheiden, sich mit der eigenen Betroffenheit von Unterdrückung und Diskriminierung zu beschäftigen. Schwarze Menschen haben weniger Zugang zu Sicherheit durch Behörden und den Staat als weiße Menschen. Sie werden kriminalisiert und für unglaubwürdig gehalten.  

    Menschen, die behaupten, hierzulande gäbe es keinen Rassismus (mehr), verleugnen damit sowohl die vielschichtigen Realitäten schwarzer Menschen und People of Colour, die weiße Dominanz und ihre Privilegien. Die Rolle der weißen Person sollte die des Antirassisten*in sein und in der antirassistischen Arbeit eines Verbündeten, eines ally liegen. Sie sollten schwarzen Menschen und People of Color zuhören und von ihnen lernen, über ihre eigenen Privilegien nachzudenken. Nur daraus kann verantwortungsvolles Handeln gegenüber den nicht-weißen Gemeinschaften entstehen. Dafür ist die Reflexion eigener weißer Privilegien essenziell, um sich so der Problematik bewusst zu werden und sie abzubauen.  

    Was ist zu tun?

    Es geht allerdings nicht darum, dass weiße Menschen loslaufen und alibi-halber Schwarze oder of Colour Freund*innen finden, sondern dass sie die Beziehungen, die es schon gibt, neu bewerten und vertiefen. Wenn weiße Menschen denken, sie unterhalten keine Beziehungen zu People of Colour, brauchen sie sich nur in ihren Wohnorten umschauen. Sie werden sie finden, bei Nachbar*innen, Arbeitskolleg*innen, Mitstudent*innen, Stammkund*innen und Angestellte in der Bäckerei, in der Bar oder in der Apotheke.

    Vor allem wir weißen Menschen sind in der Pflicht unsere Privilegien für von Rassismus betroffene Mitmenschen positiv zu nutzen. Wir müssen Gemeinschaften aufzubauen, die systematische Veränderungen bewirken können. Für eine solidarische, sichere, gewaltfreie und antirassistische Gesellschaft die für alle Menschen in positivem Kontext steht. 

    In unserer Redaktion wollen wir uns verstärkt der Perspektive des kritischen Weiß-Seins widmen. Als überwiegend weiße Menschen sehen wir es als unsere Verantwortung an, uns mit weißen Privilegien auseinanderzusetzen – auch und gerade in Bezug auf unsere journalistische Arbeit. Es ist nicht einfach, dafür den richtigen Weg zu finden. Wir beschäftigen uns viel mit dem Thema und wollen unsere Selbstreflexion gerne mit euch teilen. Daher werden wir demnächst unsere persönlichen Gedanken zu Rassismus, Weiß-Sein und weißen Privilegien hier veröffentlichen.

    Quellen: 

    Migazin Online Ausgabe 2013/2: Das Problem mit ,,Critical Whiteness‘‘ 

    Wikipedia Artikel zu Weiß sein/Critical Whiteness

    Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard: Wie Rassismus aus Wörtern spricht 

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