Schlagwort: Alltagserfahrungen

im Exil / in der Heimat

  • Exil oder Was bedeutet Fremdheit in einer globalisierten Welt?

    2018: In der Fremde I

    Yara M. lässt ihren Blick über die vielen Passanten in dieser quirligen Straße mitten in Berlin-Kreuzberg schweifen. Sie nimmt einen Schluck grünen Tee am Tisch vor dem bunten arabischen Laden und drückt die Zigarette in einen Ascher, der mit Kamelen dekoriert ist. „Irgendwas ist mir abhanden gekommen, was früher zu mir gehört hat. Begonnen hat dieser Verlust schon, als ich Syrien verlassen musste. Nun suche ich danach, aber ich weiß nicht, ob es jemals wiederkommen wird“.

    Yara ist deprimiert. Mit dem Verlust hat sich auch ihr Schreiben verändert. In Syrien war sie bereits eine anerkannte Schriftstellerin und hatte für ihre Kurzgeschichten sogar eine Auszeichnung erhalten. Dann verließ sie das Land.

    Durch ein Stipendium schaffte sie den Sprung nach Deutschland. Später folgte der Umzug nach Berlin. Aber heimisch fühlt sie sich hier nicht. „Ein Gefühl der Zugehörigkeit habe ich hier noch nicht erlebt. Deshalb fällt es mir nun so schwer, als Schriftstellerin wieder Zugang zu meiner eigenen Identität zu finden“, stellt sie fest.

    Erinnerungen an Bürgerkrieg und Kindheit werden bewusst ausgeblendet

    Wenn sie in Berlin schreibt, dann sind es eher die alltäglichen, kleinen Dinge, die die Buchseiten füllen. Begebenheiten, die sie im Alltag beobachtet und Begegnungen mit skurrilen Typen, im Job Center zum Beispiel oder in einer der vielen Bars. Für Yara ist dieses Schreiben auch ein Versuch, mit der deutschen Sprache vertrauter zu werden.

    Sie nippt an ihrem Tee und zündet sich eine neue Zigarette an. „Auch im Schreiben etwas Neues anzufangen – das war mir in dieser Situation wichtig. Meine syrische Identität und Erinnerungen an meine Kindheit – das sind Themen, die ich jetzt erstmal in den Hintergrund schiebe. Vielleicht kann ich irgendwann wieder besser damit umgehen.“

    Ihr Blick wirkt jetzt angestrengt. „Gedanken an den Bürgerkrieg verdränge ich. Momentan fühle ich mich unfähig, darüber zu schreiben“. Das Gespräch fällt ihr offenbar schwer. Sie verabschiedet sich höflich aber bestimmt und ohne zurück zu blicken verliert sie sich in die Menschenmenge.

    1945: In der Fremde II

    Marga Karkowski steht mit ihren beiden Kindern am Hafen von Pillau. Bei 20 Grad minus und einem eisigen Wind harren sie hier jetzt aus. Fast ein halbes Jahr sind sie bereits auf der Flucht aus Ostpreußen. Margas Familie musste alles zurücklassen. So wie viele andere auch, die dort in Bauerndörfern oder auf Gutshöfen gelebt hatten. Das Wenige, was sie mitnehmen konnten, wurde auf hochbeladene Planwagen gepackt. Mit Schlitten und manchmal auch zu Fuß machten sie sich auf den Weg in Richtung Ostsee nach Königsberg und weiter nach Pillau, einem Ort mit zahlreichen Hafenbecken. Aber viele, darunter auch viele Kinder, schafften es nicht. Sie starben an Unterernährung und Wunden.

    Am Hafen, wo Marga jetzt steht, wird sie von Matrose Wilhelm beobachtet.  Er denkt an die unzähligen Menschen, die hier die letzte Rettung suchen: den Hafen von Swinemünde auf Usedom. Von dort geht es weiter mit dem Zug oder Schiff nach Flensburg, Lübeck oder Kiel. Wilhelm hat auf einem Kriegsschiff heute die Aufgabe, die Laderäume mit Stroh auszulegen.

    Das Deck ist bereits überfüllt. Hunderte von Menschen können zum Teil nur kauern oder sitzen. An Liegen ist nicht zu denken. „Hoffentlich überleben sie die Fahrt“, denkt Wilhelm und weiß zugleich, dass diese Menschen im Westen mit einem großen Problem konfrontiert werden. Er hat schon gehört, dass viele der Vertriebenen im Westen auf blanken Hass treffen. Wüste Anfeindungen und Rassismus gehören zum Alltag.

    Die erfahrene Ablehnung wirkt bis heute nach

    Der südschleswigsche Autor Tage Mortensen schrieb wenig später, 1946, über die Flüchtlinge, die er hämisch „Hitlers Gäste“ nannte: „Sowohl rassenmäßig als auch in kultureller und geistiger Hinsicht sind die Vertriebenen artfremd in Südschleswig“. Und noch tiefer ins Repertoire griff der Inhaber des Weingutes Weil in Kiedrich am Rhein. Er wurde zu 1000 Mark Strafe verurteilt, weil er im Ärger sagte „Ihr Flüchtlinge gehört alle nach Auschwitz in den Kasten“.

    Marga wird später nicht vergessen, auf wie viel Ablehnung sie und andere gestoßen sind – obwohl sie schwerstes Leid getragen hatten. Obwohl sie dieselbe Sprache sprachen. Obwohl sie zur gleichen Kultur und manchmal zur gleichen Konfession gehörten. Bis zu 14 Millionen Flüchtende und Vertriebene mussten im verbliebenen Deutschland unterkommen. Und ein Klischee machte schnell die Runde: „verlaust, zerlumpt, Polacken und Rucksackdeutsche“.

    Noch heute, im hohen Alter, muss Marga an die erfahrene Ablehnung denken. Die Auswirkungen einer tödlichen Mischung aus Ignoranz und Fremdenfeindlichkeit wirken bis heute nach.

    Weder fremd noch vertraut

    Zurück zu Yara in Berlin. Wenn sie am Schreibtisch sitzt und nach Worten sucht, um ihr Leben als syrische Autorin in Deutschland zu beschreiben, dann kommt sie an dem Begriff Exil nicht vorbei. Aber viel anfangen kann sie damit nicht. Was sie erlebt, ist eine globalisierte Welt, in der sich Verbindungen über Medien und Facebook in alle Richtungen herstellen lassen.

    Exil bedeutet: in der Fremde weilen. Dazu aber muss man fühlen und unterscheiden können, was überhaupt noch fremd und was vertraut ist. Für Yara ist jetzt alles irgendwie vernetzt. Die alten Orientierungspunkte, an denen sie früher ihr Leben ausgerichtet hat, passen hier nicht mehr. Und alte Begriffe wie Exil auch nicht. Und Marga? Mit welchen Worten könnte sie ausdrücken, wie das war – als Fremde mit der gleichen Sprache und Kultur unter Deutschen zu leben?

    Andere Frauen wie Marga damals und wie Yara heute werden ihr Lebensgefühl vielleicht anders beschreiben. Leicht und unbeschwert erleben die wenigsten das Ankommen in der neuen Umgebung. Denn was sich in dieser globalisierten Welt weiterhin verbreitet, sind Hass und Intoleranz. Und das sehr schnell.

    Quelle der zeitgeschichtlichen Hintergrundinformationen: NDR Kultur/ Dirk Hempel 22.01.2015

    Die Geschichten von Yara M. aus Syrien und Marga Karkowski aus Ostpreußen sind in dieser Form fiktiv, jedoch angeregt von zahlreichen Fluchtgeschichten aus jüngster und vergangener Zeit.

     

  • Kleine Ziegelsteine für die Zukunft bauen

    In Damaskus hat Maen eine Karriere als Dozent an der Universität gemacht. Er war tätig im Projektmanagement sowie als Marketing-Berater und Trainer in verschiedenen Bereichen. Zu seinen Qualifikationen und Abschlüssen zählen der Master in Business Administration (Marketing) sowie PRINCE2 Praktiker, PMP, PMI-RMP (Risk Management), PMI-ACP (Agile) International Project Zertifikate-Management.

    Mit Projekten gesellschaftliche Impulse geben

    Während des Konflikts in Syrien hat Maen als Projektmanager verschiedene soziale Initiativen in Syrien gegründet, wie zum Beispiel „Zusammen  lesen“ (Buchclubs) oder mehrere Fahrradkorsos, um gesellschaftliche und kulturelle Impulse zu geben wie z.B. zur Gleichstellung der Geschlechter und zur Förderung der Jugend.

    Außerdem hat Maen dutzende Workshops zum Projektmanagement, zu integrativen Verhandlungen, Kommunikationsfähigkeit, aktiver Bürgerschaft, Führung in der Gemeindeentwicklung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland gehalten. Aufgrund des Erfolgs seiner sozialen Projekte wurde er mehr als 40 Mal auf nationalen Fernseh- und Radiosendern und später auf BBC und CNN interviewt. Viele Universitäten und UN-Organisationen haben seine Bemühungen anerkannt, den syrischen Jugendlichen zu helfen.

    Auch wir wollten mehr über seine Erfahrungen wissen, haben ihm im Interview ein paar Fragen gestellt – und interessante Antworten bekommen:

    Herzlichen Dank für die Gelegenheit zu diesem Austausch! Über Integration und Identität wollen wir uns unterhalten. Vielleicht stellst du dich zunächst kurz mit ein paar Worten zu deiner Person und Herkunft vor?

    Mein Name ist Maen Elhemmeh. Meine deutschen Freunde haben immer Probleme, sich an meinen Namen zu erinnern. Also sage ich ihnen, dass ich wie der Fluss Main heiße, was die ursprüngliche Bedeutung meines Namens im Arabischen ist: der kleine Fluss. Nach meinem Geburtsdatum bin ich 44, aber gefühlt bin ich 31.

    Ich komme aus Syrien. Mein Vater stammt aus einem kleinen Dorf in Syrien, der Ursprung meiner Mutter stammt aus der Türkei. Ich bin am 22. Juli 2016 in Deutschland angekommen.

    Was hast du bisher in Deutschland gemacht?

    Zunächst habe ich am 30.06.2017 meine B1-Prüfung bestanden, anschließend auch den Integrationskurs. Bereits im Juni 2017 konnte ich ein Praktikum bei Tarxter Technologies beginnen. Im Juli folgte ein Teilzeitjob im Bereich Projektmanagement Consultant in Hella. Zum 01.01.2018 habe ich dann einen festen Vollzeitjob in der IT-Firma bekommen, in der ich ein Praktikum gemacht hatte. Daneben engagiere ich mich seit März 2017 als Vizepräsident beim Projektmanagement Institut Köln Chapter PMICC. Zu meinem sozialen Engagement gehört auch die Durchführung von sieben Workshops zur Unterstützung von Flüchtlingen bei der Arbeitssuche in Deutschland. Außerdem bin ich Volontär bei der Caritas und habe zwei öffentliche Vorträge über Diversity-Themen gehalten.

    Was bedeutet für dich Erfolg in Deutschland? 

    Ich finde das Wort Erfolg sehr allgemein, und es ist von einer Person zur anderen sehr unterschiedlich. Für mich bedeutet Erfolg:
    1. Unabhängigkeit
    2. Klare Ziele haben
    3. Ziele erreichen
    4. Zufrieden sein mit meinem Leben, mit Freunden, Arbeit und Privatleben
    In diesem Zusammenhang würde ich sagen, dass ich teilweise zufrieden bin.

    Wie hast du deine erfolgreichsten Geschichten geschafft?

    Wenn wir irgendwo anrufen, um einen Job zu finden oder eine gute Wohnung, um die Sprache zu lernen und am gesellschaftlichen Erfolg beteiligt zu sein, dann kommt es auf folgende Dinge an:

    • Neugierig und offen sein, um die neue Kultur zu verstehen und kennen zu lernen
    • Sich mit großartigen Menschen aus dieser neuen Kultur umgeben
    • Unterstützung von Freunden
    • meine deutsche spirituelle Familie, die mich bei verschiedenen Herausforderungen
    unterstützt hat

    Was bedeutet Heimat für dich?

    Heimat bedeutet für mich…

    …Sicherheit: ein Ort, an dem ich und meine Familie sich sicher fühlen
    …Freiheit: ein Ort, an dem ich und meine Familie die Freiheit haben, etwas zu glauben oder etwas zu tun, solange wir niemanden schaden oder Gesetze brechen
    …Freunde: mit Freunden kann ich rumhängen, scherzen und einfach lachen
    …Kultur: wo ich alle indirekten Botschaften verstehe, Witze machen und tiefe Diskussionen
    führen kann
    …Zukunft: ein Ort, an dem ich Tag für Tag kleine Ziegelsteine für die Zukunft bauen kann

    Was ist deine Nachricht für die Einheimischen?

    Ich gebe keine Ratschläge, ich glaube jeder kann seinen Weg alleine finden

    Was bedeutet Integration für dich? 

    Integration hat meiner Meinung nach zwei Seiten: die der Einheimischen und die der Eingewanderten.

    Die Einwandererseite umfasst:
    Für mich funktioniert Integration nicht nach 0/1. Es geht eher um einen langen Prozess, bei dem zumindest folgende Dinge für mich eine wichtige Rolle spielen:
    1. Ich glaube fest an die deutschen Werte oder respektiere zumindest diese Werte. Das heißt, wenn ich andere Überzeugungen habe, die im Konflikt mit den deutschen Werten stehen, dann muss ich
    meine Werte aufgeben und den neuen Überzeugungen folgen, nicht herumspielen.
    2. Arbeit und finanzielle Unabhängigkeit
    3. Eine bestimmte Stufe der deutschen Sprache

    Hast du Integration geschafft?

    Ich glaube nicht an Integration (Germanisierung). Ich glaube, dass Vielfalt und Toleranz jede Gesellschaft bereichern können. Die Neuankömmlinge sind nicht in der deutschen Gesellschaft
    aufzulösen, bis sie ihre Wurzeln vergessen. Die deutsche Gesellschaft und Politiker sollten zwischen Integration und Germanisierung unterscheiden, wenn sie ihre Kultur gerne mit anderen Kulturen
    bereichern oder nur Arbeiter für ihre Wirtschaft wollen.

    Allerdings würde eine gute Integration für mich auch (zusätzlich zu den oben genannten) beinhalten
    1. Höheres Niveau der deutschen Sprache
    2. In der deutschen Gesellschaft aktiv sein
    3. Freunde haben und von Zeit zu Zeit die deutsche Tradition genießen

    Gleichzeitig bedeutet eine gute Integration nicht:
    1. Ich sollte die deutsche Sprache mit meinen arabischen Freunden in der gleichen Firma oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln sprechen
    2. Ich sollte meine syrischen Traditionen vergessen, wenn sie nicht in Konflikt mit den deutschen Werten stehen
    3. Ich sollte meinen Kindern nur Deutsch beibringen und sie zwingen, unsere Traditionen und Sprache zu vergessen
    4. Ich kann nicht Buddhist sein!

    Die Identitätskrise der deutschen Gesellschaft und die Krise der Integration von Newcomern nach Deutschland – so lautet ein Post von dir. Was meinst du damit? 

    Ich glaube, dass die deutsche Gesellschaft eine Identitätskrise durchlebt, weil ihre ethnische Zugehörigkeit mit blauen Augen und goldenen Haaren immer geringer wird, während neue Leute mit
    anderen Farben und seltsamen Namen immer häufiger in ihrem Land leben. Wenn ich Deutscher wäre, würde ich die gleiche Angst haben, vor allem, dass einige dieser Neuankömmlinge mit ihren
    seltsamen Traditionen und Verhaltensweisen in unsere Viertel eindringen und so viele Kinder bekommen, dass ich befürchte, dass die Werte, für die wir so lange gekämpft haben – Demokratie,
    Frauenbefreiung und Freiheit – wieder zur Diskussion stehen. Ich würde befürchten, dass diese neuen Leute (die laut Medien aggressiver und lauter sind) anfangen, die deutsche Nationalität zu haben, und früher oder später werden sie eine Mehrheit haben!

    Aber wer sind die Deutschen? Sind sie blond und blauäugig? Sind die einheimischen deutschen Extremisten mehr Deutsche als jene Immigranten, die an die deutschen Werte glauben? Könnte es einen Islam mit höherer Toleranz und Akzeptanz für andere Kulturen geben? Oder sind das die Menschen, die an deutsche Werte glauben?

    Wo erlebst du selbst Probleme und welche Lösungen könnte es geben?

    Als Immigrant bin ich immer noch in dieser Integrationskrise. Ich werde nicht als deutsch angesehen, auch wenn ich die Sprache spreche, auch wenn ich an die deutschen Werte glaube. Im ersten Moment verliere ich meine Arbeit bei vielen Unternehmen. Ich werde mit meinem seltsamen Namen lieber nicht angestellt oder finde damit keine Wohnung. Wenn ich meine Arbeit verliere, werde ich einer jener Einwanderer sein, die vom deutschen Sozialsystem profitieren
    wollen.  Und wenn ich in einem Zug lache, werde ich schnell feststellen, dass die Leute mich komisch ansehen. Ich werde für immer der Syrer in Deutschland sein. Und in meinem syrischen
    Mutterland bin ich der Deutsche oder der Ketzer, der an die westlichen Kulturwerte glaubt.
    Wie kann ich mich integrieren, wenn ich weiß, dass diese Gesellschaft mich nicht als eines ihrer Mitglieder akzeptieren will, was immer ich auch tue? Offene Fragen brauchen Antworten!

    Was sind die Rechte und Pflichten für Geflüchtete und Deutsche, damit sie gut zusammen leben könnten? Was glaubst du?

    Ich glaube, dass Diskussionsrunden von allen politischen Parteien geführt werden sollten, dass mehr Kontrolle über gefälschte Nachrichten nötig wäre oder über Nachrichten, die mit den öffentlichen Meinungen ein Spiel treiben. Es wäre nötig, die Krise zu benennen und darüber zu diskutieren, dass es die einfachste Möglichkeit für Politiker ist, Helden zu sein.

    Diese Zuwanderungssituation ist für beide Seiten – Einheimische wie Einwanderer – von Nutzen, weil…

    …Einwanderer Arbeiter mit niedrigeren Löhnen sind.
    …sie verhindern, dass Arbeitsplätze nach Osteuropa verlagert werden. Der Erhalt von Arbeitsplätzen in Deutschland wird mehr Arbeitsplätze für alle und die Deutschen selbst schaffen.
    …in den meisten Fällen Einwanderer solche Arbeitsplätze annehmen, die viele Deutsche nicht tun würden, weil viele Einwanderer einfach nur überleben wollen.

    Auf der anderen Seite erleben wir in der Berichterstattung auch: Es gibt gute (unabhängig und orientiert an deutschen Werten) und andere, die das Wort Immigrant verwenden, um ein Verbrechen anzukündigen. Es ist schädlich, wenn man in den Medien jedes mal Einwanderer nennt, wenn wir wirklich eine vielfältige Gesellschaft aufbauen wollen, die an die deutschen Werte mit großer Toleranz und Akzeptanz gegenüber anderen Kulturen glaubt.

     

  • Hat der Staat Schuld an der Drogensucht?

    Nach der Ankunft in Deutschland kommt vieles auf einen Geflüchteten zu: Neben der Verarbeitung von Fluchterlebnissen, sind es die Sorgen um die Familie und das Zurechtkommen mit dem deutschen System. Eine Möglichkeit, vor den eigenen Sorgen zu flüchten, sind Drogen. Hinter jeder Ecke gibt es Marihuana, Heroin oder andere Drogen. Der Besitz geringer Mengen an Marihuana ist nicht strafbar.  Aber der Verkauf. Moaayad und Thing unterhielten sich dazu mit Farid M. und fragen sich: Hat der Staat Schuld an der Drogensucht?

    „Ich finde, der deutsche Staat ist hier scheinheilig“

    In Syrien sind Drogen nicht erlaubt. Trotzdem nehmen viele Menschen Drogen. Genauso wie auf dem Steindamm, der Sternschanze oder der Reeperbahn gibt es auch in Syrien wahnsinnig viele Drogendealer. Um Ordnung zu schaffen, patrouilliert in Hamburg die Task Force Drogen. In Syrien wäre eine solche Task Force wenig denkbar.

    „Die Dealer sind bewaffnet und die Polizisten haben Angst vor den Verbrechern”, sagt zum Beispiel Farid M. – ein Geflüchteter aus Syrien¹. Bei den Drogensüchtigen sind sie hierfür umso strenger. Wird ein Drogenabhängiger verhaftet, wird er härter bestraft als in Deutschland. Zuerst werden sie auf Entzug gesetzt und danach folgt die Haftstrafe. In Deutschland ist es viel zu locker.

    „Besitzt man nur geringe Mengen, wird man noch nicht mal festgenommen. Wenn man den Besitz nicht bestraft, erlaubt man doch indirekt auch den Verkauf. Dieser ist aber wiederum strafbar. Wie kann man so etwas verstehen? Ich finde, der deutsche Staat ist hier scheinheilig”, meint Farid. Da fragt man sich: Warum wird hier nicht sowohl der Besitz als auch der Konsum bestraft? 

    Drogen – Flucht aus dem Hier und Jetzt

    „Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe für den Konsum”, so der Psychopharmakologe David Nutt. „Um Freude zu erfahren und um Leiden zu lindern.” Dem kann Farid zustimmen:

    „Einige Freunde und Bekannte von mir nehmen Drogen, weil sie für eine kurze Zeit vergessen wollen. Sie wollen nicht dauernd an das Leid und die Sorgen von sich selbst, Freunden oder Familie denken.” Also nehmen sie Drogen, damit es ihnen für eine kurze Zeit besser geht. Drogen zu nehmen ist für einen religiösen Muslimen auch einfacher. Denn nach der islamischen Religion ist es Alkohol trinkenden für einige Wochen untersagt, zu beten. Nehmen Sie aber Drogen, steht dem täglichen Beten nichts im Wege.

    Leider kennen viele den Umgang mit Alkohol oder Drogen nicht und rutschen in die Abhängigkeit. Statt diese als solche anzuerkennen, wird sie allerdings als Krankheit oder Besessenheit abgetan. Das erschwert den Heilungsprozess noch mehr. Das fremde System und die unterschiedliche Drogen-Regulierung macht es für Migranten noch schwieriger, aus dem Teufelskreis zu kommen.


    Um den Menschen aus der Sucht zu helfen, gibt es verschiedene Beratungsstellen. Eine davon ist Sucht.Hamburg gGmbH. Der Verein widmet sich allen Formen der Sucht: Glücksspiel, Essstörung, Internet & Computer, Drogen und noch vieles mehr. Hier wird denjenigen geholfen, die es aus eigener Kraft nicht mehr schaffen. Um alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen, werden Migranten geschult. Als Peers können sie ihre Landsleute besser erreichen und helfen. 

    Von diesem Standpunkt aus kann man die Frage aufwerfen: Haben die Deutschen Schuld an der Drogensucht der Flüchtlinge? Wäre eine restriktivere Drogenpolitik in Deutschland besser für jedermann? 

    Mit Sook Thing Wong wurde dieser Artikel im Schribtandem geschrieben

    ¹ Da unsere Autoren keine Erfahrungen mit Drogen haben, holten sie die Meinung von Farid M. ein, der vor einigen Jahren aus Syrien nach Deutschland kam. Der Name wurde von der Redaktion geändert.

     

  • Freiwilligendienst für Geflüchtete – Gemeinsam in Deutschland arbeiten.

    Gemeinsam etwas Gutes tun und Kontakte knüpfen

    Soziale Einrichtungen nennen sich Einsatzstellen, wenn sie im Freiwilligendienst mitmachen. Hierbei helfen Menschen freiwillig mit, um anderen etwas Gutes zu tun und damit etwas für das Zusammenleben in der Gesellschaft beizutragen. Es handelt sich demnach um ehrenamtliche Tätigkeiten im Rahmen eines freiwilligen Engagements.

    Im Unterschied zu einem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis bekommen Freiwillige keinen Lohn, aber dennoch etwas Geld als Dank für ihre Hilfe. In Kursen lernen sie außerdem interessante Dinge für ihre Tätigkeit und ihre Zukunft – auch der Kontakt mit anderen Freiwilligen kann sehr hilfreich sein, um sich auszutauschen und dabei neue Ideen zu bekommen.

    Vorteile im Freiwilligendienst

    Es gibt eine Reihe von Vorteilen, die so ein Freiwilligendienst mit sich bringen könnte. Man kann z.B.:

    • Tätigkeiten nachgehen, die man interessant findet,
    • sein Wissen und seine Erfahrung erweitern,
    • den Arbeitsalltag in Deutschland kennenlernen,
    • ausprobieren, welche Aufgaben und Tätigkeiten eventuell gut zu einem passen,
    • herausfinden, welcher berufliche Weg nach dem Freiwilligendienst möglich wäre,
    • eigene Projekte planen und durchführen,
    • sich an Bildungstagen mit anderen Freiwilligen beraten,
    • nebenbei einen Sprachkurs machen,
    • Sprachkenntnisse anwenden und trainieren.

    Vorraussetzungen zur Teilnahme

    Allerdings gibt es, wie immer in Deutschland, Regeln – auch für Freiwilligendienste. 😉
    Und so sehen sie aus, wenn ihr Lust habt, als Freiwillige mitzumachen:

    • ihr solltet mindestens 18 Jahre alt sein und in Hamburg wohnen,
    • erste Deutschkenntnisse haben,
    • jede Woche mindestens 20 Stunden Zeit für eine Einsatzstelle aufbringen,
    • eine Aufenhaltserlaubnis oder Aufenthaltsgenehmigung
    • und eine Beschäftigungserlaubnis haben.

    Außerdem wichtig zu wissen für euch: Insgesamt würde euer Freiwilligendienst 12 Monate dauern.

    Keinen Bundes-Freiwilligen-Dienst für Geflüchtete können leider Asylbewerber/-innen machen, die aus einem sicheren Herkunftsland nach §29a des Asylgesetztes stammen. Dazu gehören: Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Albanien, Mazedonien, Bosniesn und Herzegowina, Montenegro, Ghana, Senegal, Kosovo, Serbien.

    Hier ein paar organisatorische Details

    Es gibt drei Partner im Freiwilligendienst: die Freiwilligen, die Einsatzstelle und den Träger.

    Die Einsatzstelle ist die soziale Einrichtung bei der ihr als Freiwillige eine Person haben werdet, die euch die Tätigkeit erklärt und alle Fragen beantwortet. Euer Alltag kann ganz unterschiedlich aussehen. Im Kindergarten gäbe es z.B. Aufgaben in der Verwaltung, Betreuung, Küche oder im Garten. In einer Kleiderkammer (dort werden Kleiderspenden gesammelt) oder Schulen wären euer Aufgaben wieder andere. Die Tätigkeiten in den Einrichtungen sind ganz verschieden – je nachdem, was euch liegt, könnt ihr wählen.

    Die Träger sind gemeinnützige Vereine, die dafür arbeiten, dass es den Freiwiiligendienst gibt. Ein Träger ist der AFS Interkulturelle Begegnungen e.V. Er untertsützt und hilft Freiwillige sowie Einsatzstellen. Wenn ihr diesen Deinst macht, wird euch der AFS eine Kontaktperson zur Seite stellen.

    Menschen helfen und selbst davon profitieren

    Mal abgesehen davon, dass ihr mit eurem Freiwilligendienst der Gesellschaft einen großen Dienst erweist, gibt er auch euch etwas zurück.

    Neben dem Austauch mit anderen und der Gelegenheit, eure Sprachkenntnisse zu üben, gibt es Bildungstage. Diese sind tatsächlich auch Pflicht, aber damit sind sie euch auch garantiert:

    • Wenn ihr unter 27 Jahre alt seid, habt ihr 25 Bildungstage in 12 Monaten.
    • Seid ihr unter 27 Jahre alt oder älter habt ihr 13 Bildungstage in 12 Monaten.

    In Seminaren lernt ihr u.a. anderem Freiwillige aus anderen Einsatzstellen kennen und bekommt nützliche Einsichten über den Arbeitsalltag, Möglichkeiten und Optionen nach dem Freiwilligendienst.

    Und hier die konkreten Vorteile:

    Zwar bekommt ihr keinen regulären Arbeitslohn, aber etwas Geld, das als „Taschengeld“ bezeichnet wird. Es beträgt bis zu 200 Euro pro Monat und varriert je nach Einsatz.
    Auch sehr gut: Ihr seid als Freiwillige sozial- und haftpflichtversichert. Für euch bedeutet das, dass die Einsatzstelle die Sozialversicherung für euch zahlt, die mit zur Krankenversicherung gehört.
    Außerdem bekommt ihr Urlaubstage. Bei 12 Monaten Freiwilligendienst bedeutet das 24 Urlaubstage. Nur während der Seminare und/ oder gesetzlich vorgeschriebenen Integrationsmaßnahmen/ Deutschkursen kann kein Urlaub genommen werden.

    So könnt ihr bei Interesse mitmachen

    Nehmt Kontakt mit AFS auf, dann werdet ihr zu einem Kennelernen eingeladen. Sagt am besten dazu, was ihr gerne machen würdet, damit die passende Einsatzstelle gefunden werden kann. Ihr bekommt dann einen Vorschlag und es wird ein Probearbeitstag organisiert. Passt die Stelle gut zu euch, kann es direkt losgehen.

    Mehr Informationen bekommt ihr hier.

  • Tabu oder die Angst vor dem Unbekannten?

    Kann ein Tabu auch die Angst vor etwas Unbekanntem sein? Arash ist ein junger Mann aus Afghanistan. Wie viele anderen ist er allein nach Europa gekommen. Seine Familie hat sehr viel Geld für seine Überfahrt bezahlt. Jetzt ist er in Deutschland und versucht, sich so schnell wie möglich anzupassen, die Sprache zu lernen und sich eine neue Perspektive im Leben aufzubauen. Davon wird auch seine Familie profitieren, wenn er einen Job bekommt und Geld nach Hause schicken kann.

    Aber zuerst muss er ein Problem lösen. Es ist etwas, worüber er in seiner Heimat niemals sprechen würde, auch nicht mit den Eltern. Durch eine Routineuntersuchung in der Erstaufnahme bekam er die erschreckende Diagnose: HIV. Diese drei Buchstaben könnten das Aus für seine Pläne bedeuten. Er wird mit Sicherheit abgeschoben. Die Deutschen wollen sicher keine kranken Leute bei sich haben, egal wo und warum sie herkommen.

    Ein Tabu, das nicht gebrochen werden darf

    Während der langen Flucht hatte Arash ab und zu Sex mit Frauen gehabt. Sicher wusste er, dass man manchmal davon krank werden kann. Die Jungs in seiner Heimatstadt sprachen verborgen darüber. Aber die Lust und die Suche nach Trost waren stärker als die Angst. Und jetzt wird er beim nächsten Gespräch zu seinem Asylantrag sicher darüber reden müssen. Er betet zu Gott, dass keine Beamtin mit ihm redet, das wäre das Schlimmste, was er sich vorstellen kann. Mit einer Frau über Sex zu reden, ein Tabu, das auf keinen Fall gebrochen werden darf. Arash fühlt sich in einer ausweglosen Situation.¹

    ‚AFRIKAHERZ‘ – ein Projekt zur gesundheitlichen Aufklärung

    Rosaline M’Bayo kennt nur zu gut die Berührungsängste vieler Flüchtlinge. Die Sozialpädagogin aus Sierra Leone lebt seit 32 Jahren in Deutschland und arbeitet für das Projekt ‚AFRIKAHERZ‘.Die Initiative wurde 1998 gegründet und betreibt unter anderem die gesundheitliche Aufklärung bei Migranten. „Viele haben Angst, wegen ihrer Infektion abgeschoben zu werden oder, dass ihr Asylantrag abgelehnt werden kann. Sie verschweigen sie lieber.“

    Die kulturellen Barrieren sind hoch. Manchmal braucht sie zehn bis zwanzig Gespräche, bis sie das Vertrauen zu ihren Schützlinge aufbauen kann, um die gesundheitlichen Aspekte ansprechen zu können. Das Tabu vieler Flüchtlinge, über Sexualität, AIDS oder HIV zu sprechen führt recht häufig zu Fragen wie: „Darf ich trotz HIV schwanger werden?“ oder „Wem darf ich von meiner Infektion erzählen?“. Rosaline wünscht sich eine stärkere politische Unterstützung, um die Aufklärung und HIV-Prävention auszubauen. „Oft werden Betroffene stigmatisiert und daher ist die Entwicklung kultursensibler Versorgungsangebote wichtig.“²

    Aktive Unterstützung für Menschen aus arabischen Ländern

    Der Sudanese Badreldeen Babiker lebt seit 2014 in Deutschland und arbeitete zunächst ehrenamtlich in der Osnabrücker Aidshilfe. Seit 2017 finanziert die deutsche Aidsstiftung seine Stelle. Seine Geschichte fängt aber viel früher an: 2015 im Sudan. Ein Freund, der Medizin studiert hatte, gründete dort eine kleine Aidshilfe. Mit weiteren fünf Freunden halfen sie HIV-Positiven und versuchten, über die Krankheit aufzuklären. Diese Hilfe war heimlich und illegal, in einem Land, wo die Verteilung von Kondomen per Gesetz verboten ist.

    Offen über Sex zu reden, käme einer Todessünde gleich. Ein Tabu. Diese Hilfe war aber nicht der Grund, warum der Sudanese sein Land verlassen musste. Er war seit 1999 Mitglied einer politischen Gruppierung, die gegen die Regierung vorging. Drei Mal hätte er beinah mit seinem Leben dafür bezahlt und er saß auch mehrmals im Gefängnis. Babreldeen ist ein Glücksfall für die Aidshilfe, sagt eine Mitarbeiterin. Denn er weiß, wie Menschen aus arabischen Ländern denken.

    In seinen Informationsveranstaltungen vermittelt er den Teilnehmern unter anderem, wie man sich vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützen kann. Bestimmte Themen gleichen einer hohen Hürde, die man zuerst überwinden muss. „Die Gemütsregungen sind fast immer gleich, zuerst wiegt der Scham in einem sprachlosen Raum, irgendwann kommt ein befreiendes Lachen und dann folgt die aktive Mitarbeit.“

    Tabus können auch positiv sein

    „Ich war am Anfang selbst schüchtern“, gesteht er. Tabus sind in jeder Gesellschaft vorhanden. Arash würde sein Dilemma beschreiben als etwas, über das man in der Öffentlichkeit nicht spricht oder etwas, was man nicht macht oder zeigt. Die Grenze zwischen Tabu, Unhöflichkeit und Aberglaube ist manchmal fließend und werden auch vom Generationsunterschied beeinflusst. Das liebe Geld ist in Deutschland ein Tabu, keiner würde nach dem Gehalt eines Anderen fragen.

    In Osteuropa, auf dem Balkan, verschenkt man keine gerade Anzahl an Blumen. Nicht in die Augen zu schauen während eines Gesprächs, gilt in Europa als unhöflich. Dagegen ist es in El Salvador ein Tabu, beim Reden in die Augen des Partners zu schauen. Dort zeigt man Freundlichkeit und Respekt durch intensiven Körperkontakt. Und das wiederum wäre unter Deutschen inakzeptabel. Tabus kommen und gehen und sind ungeschriebene Gesetze, um gesellschaftliche Beziehungen zu regeln. Was passieren kann, wenn es keine Tabus mehr gibt, können wir bereits in den sozialen Netzwerken beobachten.

    Tabus können positiv dazu beitragen, unsere unterschiedlichen Kulturen zu verstehen und zu akzeptieren. Vorausgesetzt, dass das freie Denken nicht tabuisiert wird.

    Quellen:
    ¹Ärzte Zeiting online. Pete Smith: HIV – bei Flüchtlingen oft ein Tabu-Thema. Erschienen am 27.03.2018. Abgerufen am 13.06.2018.
    ²Neue Osnabrücker Zeitung. Sandra Dorn: Aus der Tabuzone: Flüchtlinge sprechen in Osnabrück über Sex und Aids. Erschienen am 05.04.2018. Abgerufen am 13.06.2018.

    Autor: Leonardo De Araújo

  • Geschichte des Menschen, der ein Flüchtling sein musste – Teil 1

    Wir sind keine Dämonen und die Deutschen keine Engel.
    Ich bin ein Mensch auf der Welt, aber leider bin ich auch ein Flüchtling, und auf Deutsch gibt es nur einen Flüchtling (männlich), nicht eine Flüchtlingin (weiblich). Ich weiß nicht warum, aber auf Deutsch muss der Flüchtling ein Mann sein.

    Eine Freundin hat mir gesagt: „Seit sehr langer Zeit gibt es alle Worte mit ‚ling‘ am
    Ende nur als männliches Substantiv. Es bezeichnet damit aber kein bestimmtes Geschlecht – beim Säugling sind es ja auch männliche und weibliche Säuglinge.“

    Kritik am Suffix „ling“: Es verdinglicht! Als wäre es ein „Geflüchteter“, und ich glaube, wenn das Wort einen männlichen Artikel hat, dann bedeutet das „Mann“ und nicht „man“. Männlicher Artikel, das bedeutet, die deutsche Sprache hat keine Gleichberechtigung, wie alle anderen Sprachen.

    Und ich bin ein Mann, und viele Deutsche haben gefragt, warum sind die meisten Geflüchteten Männer?
    Ich sage, weil unsere Frauen Angst vor dem Meer haben. Zu Hause konnten sie nicht mit dem Boot auf dem Meer fahren, und sie mussten nicht zur Armee gehen, und sie blieben bei unseren Kindern, und wir fuhren mit dem Boot auf das Meer, und danach sollten unsere Familien mit dem Flugzeug kommen, weil die Geflüchteten das Recht auf die Zusammenführung hätten. Aber fast einer Million Geflüchteter wurde dieses Recht von der Regierung verwehrt.

    „Weil alle unsere Namen eine Bedeutung haben“

    Ich komme aus der Zivilisation. Aber das war in unserer Geschichte vor 500 Jahren. Jetzt komme ich aus dem Krieg in Syrien. Mein Land ist die Wiege der Zivilisation. Dort wurde die erste Zivilisation der Menschheit geboren, und seither hat Syrien viele Zivilisationen erlebt, von den Hyksos, den Pharaonen, dem Königreich Aram Damaskus, über das assyrische Reich, die babylonische Kultur, byzantinische Zivilisation bis zu den islamischen Zivilisationen.

    Und weil alle unsere Namen eine Bedeutung haben: „Der Name Syrien kommt aus dem Griechischen, das wahrscheinlich den alten Namen Assur übernommen hat. Nach
    Ansicht einiger Forscher ist der Name hingegen nicht von Assyria abgeleitet, sondern von Tyros (Sūr). In der Antike und im Mittelalter bezeichnete Syrien ein erheblich größeres Gebiet als den heutigen Staat, nämlich in etwa die Region zwischen Mittelmeer, Taurus, Arabien und Mesopotamien. Die syrische Sprache, das Ostaramäische, war sogar noch weiter verbreitet.“ (Wikipedia)

    Oder „Syrien“ kommt aus dem Sanskrit. Das bezeichnet die verschiedenen Varietäten des Alt-Indischen. Die älteste Form ist die Sprache der Veden, einer Sammlung religiöser mündlicher Überlieferungen im Hinduismus. Ihre Entstehung wird auf 1200 v. Chr. datiert (laut Wikipeda). Und „Syrien“ bedeutet im Sanskrit „die Sommer“, das meint, ein tolles Wetter, fast immer warm, aber leider gibt es nicht so viel Regen wie in Hamburg, der Stadt des Regens.

    In einem Dreieck gefangen

    In Syrien gibt es alles, was es hier in Deutschland gibt, also Syrien ist ein Land wie Deutschland, dort werden Autos gebaut, man hat Rundfunksender und Verlage, aber wir haben keine Freiheit. Wir haben Tritte, eine Diktatur. Eine Diktatur unserer Präsidenten und unserer Religion und unserer Traditionen.

    Ich weiß nicht, wer der erste Diktator war, aber immer benutzten unsere Herrscher die Religion, um für immer auf unserer Brust zu bleiben. Auch heutzutage unterstützt unsere Religion die Regierung. Wir wurden vom Politiksystem, der Religion und den Traditionen in das Gefängnis des Dreiecks gesteckt. Weil wir die Freiheit gefordert und dafür gebetet haben, ist uns der Krieg von unserer Regierung aufgezwungen worden.

    Unsere Religion hat zwei unterschiedliche Meinungen dazu. Ein Teil der Religionsführer, die auf Seiten der Regierung stehen, hat bestimmt: „Gott und der Prophet haben gesagt, dass wir zu unserer Regierung halten und sie unterstützten.“
    Aber der andere Teil der Religionsführer hat bestimmt: „Gott und der Prophet haben gesagt, dass wir gegen unsere Regierung aufstehen und kämpfen müssen.“

    Ich habe vergessen, was mein Name ist, mein Name bedeutet Schwert, und ich gehöre nur zu einer Stadt: Damaskus, arabisch دمشق Dimaschq, DMG Dimašq, französisch Damas, türkisch Şam. Die Hauptstadt von Syrien ist meine Religion und mein Glaube. Damaskus bedeutet für mich Jasmin. Und der Jasmin ist eine schwache und kleine Blüte, aber wer kennt nicht den Jasmin?

    Alle Welt kennt den Jasmin und das Parfüm, so wie Damaskus die Mutter aller anderen Städte auf der Welt ist. Zart, aber auch stark, hübsch, aber auch bescheiden, alt, aber Zeitgenosse, schnell, aber auch geduldig, nicht reich, aber auch nicht arm. Alle Menschen auf der Welt sind ihre Kinder, sie ist das Herz der Welt. Sie ist die Stadt der Engel und auch der Teufel. Das ist Damaskus, die Stadt der Gegensätzlichkeit.

    (Fortsetzung folgt mit Teil 2)

    Diese Text stammt aus dem Buch: “ Fluchtpunkt Hamburg. Texte im Exil

  • Meine Nachricht an alle afghanischen Frauen

    Ich habe an der Universität Informatik studiert und für internationale und nationale Organisationen sowohl in der IT als auch im Management gearbeitet. Meine persönliche Lebenserfahrung sowie gesellschaftliche Aspekte haben mich dazu gebracht, Frauenrechtlerin zu werden und für Gleichberechtigung zu kämpfen. Ich arbeitete als stellvertretende regionale Managerin von Medica Afghanistan – Women Rights Support Organisation (MedicaMondiale) im afghanischen Herat.

    Ich kam hierher, um ein besseres Leben für meinen Sohn und mich zu haben. Im Moment lerne ich die Sprache und suche nach einem Job in der IT-Branche oder im Management. Mein langfristiger Plan ist, mein eigenes Geschäft zu gründen bzw. mein eigenes Business aufzuziehen.

    Deutschland als sicherer Zuchfluchtsort

    Ich wurde weit weg von Deutschland und seiner Kultur geboren, aber ich entschied mich dazu, hierher zu kommen und ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Als ich nach Deutschland kam, suchte ich Sicherheit für meinen Sohn und mich. Ich wollte in einer Gesellschaft leben, in der wir als Individuen respektiert werden. Ich habe gehofft, in Deutschland nicht als Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden, und nach unseren bisherigen Erfahrungen sehe ich, dass wir die Möglichkeit haben, uns weiterzuentwickeln, weiterzukommen und zu lernen. Meine Erwartungen wurden erfüllt und ich bin sehr zuversichtlich.

    Als alleinerziehende Mutter wünsche ich mir für meinen Sohn, dass er seine Träume in der Zukunft erreichen kann. Er ist die erste Einwanderergeneration und ich versuche mein Bestes, um ihm alle Unterstützung zu geben, die er braucht, um sich zu verbessern und ein starkes Individuum zu werden. Ich hoffe, dass wir zukünftig vollständig in unsere neue Gesellschaft integriert sein werden und Deutschland zu unserer Heimat wird.

    „Wir verdienen das Beste vom Leben“

    Meine Botschaft an afghanische Frauen ist, daran zu glauben, dass wir das Beste vom Leben verdienen. Was ich als Problem sehe, sind unsere Gedanken und unsere Perspektiven.
    Wir haben in unserem Land Probleme mit der Sicherheit, Wirtschaft usw. Eines der größten Hindernisse in unserem täglichen Leben ist jedoch, unsere Art zu denken.

    So viele von uns glauben an eine Kultur, die uns begrenzt und erniedrigt, in der wir hauptsächlich existieren, um Kinder zu versorgen und die Bedürfnisse von jemand anderem zu erfüllen. Wenn wir daran glauben, dass wir Respekt und gleiche Rechte in unserem Leben verdienen, können wir die Normen im Laufe der Zeit ändern.

    Ich will arbeiten und in Deutschland leben. Neben dem Absolvieren von Weiterbildungen möchte ich ein eigenes Unternehmen gründen. Ich will Handel mit Afghanistan betreiben, um dadurch die wirtschaftliche Lage der afghanischen Frauen in meinem Heimatland zu verbessern. Ich habe aus eigener Erfahrung gelernt, dass eines der wichtigsten Elemente häuslicher Gewalt die finanzielle Abhängigkeit von Frauen in Familien ist, die Gewalt tolerieren. Unabhängige Frauen können besser denken, entscheiden und sich selbst und ihre Kinder schützen. Eine bessere wirtschaftliche Situation gibt den Frauen die Freiheit und die Möglichkeit zu wählen.

    Afghanische Frauen müssen für ihre Rechte kämpfen

    Als ich mein Land verließ, hatte ich keine andere Wahl, als zu gehen. Es war eine der schwierigsten Entscheidungen, die ich je in meinem Leben getroffen habe. Die sich aber gleichzeitig zur besten Chance in meinem Leben entwickelt hat.
    Ich verließ meine Familie, meine Freunde und meine Wurzeln in Afghanistan und lernte eine neue Sprache und Kultur. Ich bin alleine und kämpfe um einen besseren Plan für die Zukunft. Am wichtigsten ist, eine alleinerziehende Mutter zu sein und die volle Verantwortung für meinen Sohn zu haben, war und ist nicht einfach, aber das Unterstützungssystem hier hilft mir, all das zu überwinden. Ich halte mich nicht mehr für eine Fremde und fühle mich eher zu Hause.

    Laut Volkszählung sind Frauen, die Hälfte der Bevölkerung Afghanistans, noch unsichtbar. Sie werden nicht gehört, gesehen oder wahrgenommen. Die Diskriminierung beginnt bereits bei ihrer Geburt und sie wachsen in einer solchen Umgebung auf. Ich bin stolz auf die afghanischen Frauen, die sich für ihre Rechte einsetzen und erkennen, dass sie mehr verdienen, als die afghanische Gesellschaft ihnen zugesteht. Sie kennen alle Gefahren, Risiken und Grenzen, kämpfen aber für gleiche Rechte und positive Veränderungen.

    Der Unterschied zwischen Stadt und Land

    In ländlichen Gebieten haben Frauen keinen oder nur sehr wenig Zugang zu Sicherheit, Justiz, Gesundheitsversorgung und Bildung. Wenn es um die Zentren von Großstädten wie Herat oder Kabul geht, sind die Probleme und Härten von unterschiedlicher Natur, dort geht es nicht mehr um die Grundbedürfnisse. Dort arbeiten Frauen in diesen Bereichen, aber sie müssen sich in einen Rahmen von Kulturen und Normen begeben, der von der patriarchalischen Gesellschaft und ihren Werten akzeptiert wird.

    Sie müssen ihre Gedanken, Kleider, Aktivitäten und Gespräche nach dem richten, was die Gesellschaft für sie entscheidet. Wenn sie selbstbewusst klar machen, wer sie sind, beginnen die Probleme. Die Gesellschaft wird sie nicht akzeptieren und eher isolieren. In einigen Fällen werden sie den Unterschied in der Ideologie mit ihrem Leben bezahlen.

    Der Kampf für Gleichberechtigung auf unterschiedlichen Niveau

    Ich denke, Frauen in Afghanistan und Deutschland leben in zwei verschiedenen Jahrhunderten. Sie sind nicht in der gleichen Situation oder haben dieselben Chancen. Sie leben in zwei völlig verschiedenen Umgebungen. Frauen in Afghanistan kämpfen für die grundlegendsten Rechte, während Frauen in Deutschland auf einem viel höheren Niveau für Gleichberechtigung kämpfen.

    Wir als afghanische Frauen haben nicht das Recht, unsere Kleidung auszusuchen, wir können nicht entscheiden, wen wir heiraten oder was wir glauben. Wir haben kein Recht auf unsere Kinder. Viele Frauen erleiden ihr ganzes Leben lang häusliche Gewalt, nur weil sie ihre Kinder nicht zurücklassen können und das Gesetz den Vater oder seine Familie als Hüter der Kinder anerkennt. Als afghanische Mutter hatte ich keine Rechte an meinem Kind. Im Ausweis oder Reisepass meines Sohnes kann man meinen Namen nicht finden, das musste ich in Deutschland viele Male erklären. Ich bin eine afghanische Mutter, aber unsichtbar, ohne Rechte.

    In Deutschland fordern Frauen gleiche Jobchancen und gleiches Gehalt, während wir in Afghanistan als Frauen nicht arbeiten dürfen. Und wenn doch, entscheiden andere, was unsere Arbeit und Karriere sein soll. Hoffentlich wird sich das im Laufe der Zeit ändern. Aber ich glaube, wir haben einen langen Weg vor uns, bis wir das Leben einer afghanischen Frau mit einer deutschen Frau vergleichen können.

    Der Internationale Frauentag erinnert mich daran, was die Macht der Frauen bedeutet und auch, warum diese Bewegung überhaupt begonnen hat und welche Ursachen dafür noch immer vorhanden sind. Seit dieser Zeit haben Frauen viel erreicht, um überall auf der Welt gleiche Rechte zu haben. Aber die Ungleichheit widersteht der Zeit und wir Frauen müssen vereint und aktiv bleiben.

  • Was ist das Deutsche? Ein Erklärungsversuch.

    Bei Kirschgrün gehen oder Wurzeln schlagen?

    Die Korrektheit der Deutschen im Straßenverkehr ist ein Markenzeichen unseres Charakters. Man könnte meinen, eher würden wir vor einer kaputten Ampel verhungern, als bei Rot zu gehen. Die Umfrage fördert jedoch ein viel realistischeres und – nennen wir es mal – weltkonformeres Bild der Deutschen zutage. 71% der deutschen Fußgängern gaben zu, über Rot zu gehen, wenn der Verkehr es zulässt. Wie auch immer man das interpretieren mag …

    Die wohltemperierte Currywurst

    Der weltbekannte Ruf als „Volk der Dichter und Denker“ galt über viele Jahre als unumstößlich und so gut wie in Stein gemeißelt. Historisch gesehen könnte das sogar noch heute stimmen. Doch dürften hieran wage Zweifel aufkommen, wenn man die Frage stellt, welche Menschen oder Dinge typisch deutsch sind. Einen sensationellen Erfolg erreicht hier nämlich die Königin der deutschen Kantinen: die Currywurst.

    Und genau den gleichen Umfragewert erreicht einer der genialsten deutsche Komponisten aller Zeiten – Johann Sebastian Bach ist also nicht viel mehr wert als die gemeine Wurst, beide bekamen 24% der Punkte.

    Tatort: „Made“ in Germany – hat sie eine Schwäche für Mord?

    Unsere Bevölkerung scheint auch ein recht klares Bild davon zu haben, was einen typischen Ekelfaktor bei den Deutschen ausmacht. Maden im Fleisch ist der absolute Renner, fast 80% stimmten zu. Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass andere Gesellschaften diesen Anblick als nicht genau so abstoßend wie unsere Landsleute einschätzen würden.

    Auch die bekannte Liebe zu Krimis konnte sich nicht als das halten, was viele Deutsche als typisch für sich sehen. Trotz der hohen sonntäglichen Einschaltquoten, konnte die langjährige Krimiserie Tatort nur magere 16% für sich verbuchen. Also doch kein besonders Faible für Mord und Totschlag. Friede, Freude, Eierkuchen wären da eher ein gemeinsames gesellschaftliches Merkmal – so jedenfalls könnte man das deutsche Phlegma deuten, wenn man den Gedanken eines berühmten deutschen Philosophen folgt.

    Die Mut und der Langmut. Ein deutsches Paar.

    Immanuel Kant hat eher ein negatives Verhalten seiner Landsleute als typisch beschrieben. Die Deutschen besäßen einen gleichmütigen Charakter und deshalb könne man ihnen politisch einiges zumuten. Sie fügen sich unter allen zivilisierten Völkern am leichtesten und dauerhaftesten der Regierung, unter der sie leben.

    Angesichts der aktuell mangelnden Proteste in Bevölkerung und Medien, trotz einer quälend langen und zum Teil erfolglosen Suche nach einer neuen Regierung, scheint Kant hier in weiser Voraussicht einiges erahnt zu haben. Er lag aber trotzdem falsch, wenn wir die jüngste deutsche Geschichte betrachten. Der Umsturz einer kommunistischen Diktatur, und der trennenden Grenze, war das Ergebnis eines mutigen Kampfs und einer an der Schmerzgrenze politischer Anstrengungen. Die Obrigkeitstreue scheidet spätestens hier als ein typisch deutsches Verhalten aus.

    Sind Deutsche Profis in Angstkultur?

    Unsere Nachbarn aus dem englischsprachigen Raum hingegen, scheinen eine besondere gemeinsame deutsche Qualität ausgemacht zu haben: die German Angst. In einem Artikel von Deutschland Funk Kultur, vom 25. Januar dieses Jahres, beschreibt der Journalist Matthias Baxmann die Sichtweise auf diese neue deutsche Eigenschaft

    . Den Worten von Derek Scally aus Irland folgend, merken die Deutschen die gegenwärtige, weltweite Angst eventuell nicht, weil sie das mit der Muttermilch bekommen haben. Einer seiner Freunde meinte, dieser kulturelle, deutsche Pessimismus hänge mit dem 30-jährigen Krieg zusammen – der Angst, dass irgendetwas Böses passieren könnte.

    Irland habe eine recht traurige geschichtliche Entwicklung, die Iren hätten aber die Idee, dass am Ende alles gut würde. Der irische Lyriker und Autor Oscar Wilde hat bereits im 19. Jahrhundert diese positive Sicht der Dinger humorvoll beschrieben: „Am Ende wird alles gut! Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.“ Es bleibt zu hoffen, dass die regelmäßige Lektüre dieses Aphorismus‘ unsere neue, gemeinsame deutsche Angst vor dem Leben etwas abmildern könnte.

    Akiko Yamashita aus Japan attestiert uns einen grundsätzlichen, deutschen Negativismus: „Früher dachte ich immer, die Deutschen haben Angst vor wirtschaftlichen Situationen, immer diese etwas pessimistische Prognose für die Zukunft. Und jetzt, wo es Deutschland wirtschaftlich so gut geht, spüre ich dennoch Angst. Für mich sieht es so aus, als ob die Deutschen immer nach Problemen suchen, vor denen man Angst haben sollte.“ Hat etwa der große Lyriker Heinrich Heine mit seinem Gedicht „Denke ich an Deutschland in der Nacht“, diese grundsätzliche Angst des deutschen Wesens auf den Punkt gebracht? Die Deutschen, ein Volk von Schisshasen?

    Typisch Mensch!

    Auch wenn versucht wird, manche Verhaltensweisen als das Deutsche schlechthin darzustellen, treffen sie genau so wenig oder so viel auf uns zu, wie der Versuch, das typisch Spanische, Italienische, Englische, Japanische oder Indische zu beschreiben. Wir sind alle mehr denn je Kinder und Bürger einer rasanten, globalisierten Welt, in der Verhaltenseinflüsse in verschiedenen Bereichen blitzschnell eine neue Heimat finden.

    Ich sehe uns als Weltmenschen. So wie die erfolgreichste Automarke der Welt. Da ist es schon wieder, das typische Deutsche.

     

  • Brauchen wir alle eine psychiatrische Behandlung?

    Das überraschte mich und ich fragte mich, warum er das glaubte. Weil er eventuell in einer Behörde arbeitete? Oder stimmte das vielleicht sogar?

    Unser Leben ist nicht „normal“

    Wir sind nicht „normal“ und unsere Leben sind auch nicht „normal“. Auch unsere Gedanken nicht, aber das muss nicht bedeuten, dass wir psychiatrische Patienten sind.

    • Ein Teil von uns hat z.B. in der Vergangenheit in seinem Land normal gelebt, er hatte einen tollen Job und eine Familie um sich, und jetzt ist alles anders – alles ist „verrückt“. Sein Haus ist kaputt, seine Familienmitglieder leben an verschiedenen Orten. Sie können sich nicht treffen. Er muss vom Jobcenter Geld nehmen und sich mit einem komischen bürokratischen System befassen. Außerdem muss er eine neue Sprache lernen und seine Vergangenheit vergessen, um „richtig“ leben zu können. Aber er kann einfach nur in der Vergangenheit leben, er hatte sich vieles über seine Zukunft ausgedacht, aber das lässt sich nicht realisieren und so fragt er sich: „Warum muss ich das alles machen?“
    ©Cartoonist Rabea Al Sayed

    Innere Diskussion und Zerrissenheit

    • Ein zweiter Teil von uns hat sich z.B. in einer anderen Kultur befunden und er muss in einer neuen Gesellschaft leben. Er muss sich integrieren, aber diese Kultur ist nicht seine alte Kultur. In dieser neuen Kultur trotzt er seiner alten Gesellschaft, er kann jetzt machen, was er in seiner alten Kultur nicht durfte. Und er macht das alles, aber innerlich gibt es das große Diskutieren: Ob er es richtig oder falsch macht, ob er sich in dem Neuen finden kann, ob er richtig glaubt oder nicht, oder ob es Gott gibt, oder nicht. Ob er das wirklich machen darf, was er macht, oder nicht – so läuft die Diskussion in ihm ohne Ende.
    • Ein dritter Teil von uns hat sich z.B. auch in einer anderen Kultur befunden, aber er hat sie sich ausgesucht und er hat sich gesagt: „Hier kann ich nicht in meiner alten Kultur leben. Ich habe andere Werte und eine andere Ethik, und ich bin stolz auf meine Kultur und meine Regierung. Ich bin hier, weil ich keinen anderen Ort habe und hier gibt es viele Möglichkeiten, ich kann diese nutzen, ohne auch diese Kultur zu übernehmen oder in dieser Gesellschaft zu leben. Sondern ich kann vielleicht mit anderen Freunden eine Gesellschaft aufbauen.“ ©Cartoonist Rabea Al Sayed[/caption]

     

      • Ein vierter Teil von uns ist z.B. faul, er möchte nichts machen. Er findet, dass die deutsche Sprache sehr schwierig ist. Warum lerne ich das, warum muss ich mit den Deutschen in Kontakt treten? Ich kann sie nicht verstehen, weil sie warme und kalte Sachen zur selben Zeit essen, oder wenn sie zur Toilette gehen, machen sie dafür einen Plan und einen Termin … Er ist stolz auf seine Kultur und er mag keine deutsche Kultur. Er mag nur essen und spielen.

    Trotz Integration keine Sicherheit

    Aber alle diese Beispiele betreffen nur sehr wenige, denn die Mehrheit hat eine richtige Integration geschafft. Ein paar haben Arbeit, andere haben mit einer Ausbildung oder einem Studium an einer Universität begonnen, oder sie lernen noch Deutsch.

    Doch alle sind sie unsicher – und sie müssen mit der Frage leben: „Bis wann dürfen wir hier bleiben?“

  • Mit einer neuen Heimat gehe ich ins neue Jahr

    Manche Steine gehören zur Geschichte des assyrischen Reichs, manche zur babylonischen Kultur, zur byzantinischen Zivilisation, zur islamische Zivilisationen. In der Bibel wird Damaskus erstmals im 1. Buch Mose Kapitel 14, Vers 15 erwähnt. All diese Kulturen sind Teil der Geschichte von Damaskus.

    Damaskus und Jasmin – beides gehört zu mir

    Ich habe Damaskus als meine Heimat empfunden, weil ich dort gelernt habe, den Jasmin zu atmen. Jasmin ist für mich nicht nur ein Parfüm oder ein Duft. Jasmin ist für mich untrennbar mit der Stadt Damaskus und ihrer Geschichte verbunden.  Damaskus ohne Jasmin oder Jasmin ohne Damaskus – das geht für mich nicht. Beides gehört zu mir und zu meiner Geschichte.

    Ich habe Damaskus verlassen, weil sie mich vertrieben hat. Als die Kinder von Damaskus ihre Freiheit gefordert haben, taten sie das aus tiefer Sehnsucht und mit ihrer Stimme. Aber der Mann, der glaubte, unser Kalif zu sein, konnte seinen Sklaven keine Freiheit erlauben. Er brachte uns nur Tod und Zerstörung mit seinem Schwert und mit seinen Waffen. Die Kinder von Damaskus sahen keinen anderen Weg, als ihre Geschwister zu ermorden. Und der Fluss Barada hat seine Farbe gewechselt. Er färbte sich rot, als unser Blut in den Fluss lief. So wurde Damaskus zu einer trauernden Mutter. Und sie hat ihre Kinder bestraft. Meine Strafe war, dass ich sie verlassen musste. Ich fuhr nach Istanbul und ich fand da meine neue Heimat, die sich wie meine alte Heimat Damaskus anfühlte. Istanbul ähnelt Damaskus, weil das osmanische Reich versuchte, Damaskus nachzuahmen. Seinerzeit kamen viele damaskische Handwerker nach Istanbul. Dort habe ich zwar keinen Jasmin gefunden, dafür aber Tulpen, eine gleiche Kultur und gleiche Gedanken.

    Meine neue Heimat – das sind jetzt meine Freunde

    Seit zwei Jahren lebe ich nun in Hamburg und noch vor kurzer Zeit habe ich Damaskus so sehr vermisst, weil sie meine Heimat war. In meiner Kultur ist die Heimat ein Ort und wir gehören zu diesem Ort durch unsere Gefühle, unsere Geschichte, unsere Zukunft. Aber durch mein Fremdsein hier habe ich etwas anderes kennen gelernt: Vor kurzer Zeit bin ich durch schlechte Fakenews über mich sehr verunsichert worden. Ich hatte Angst, verstand nicht, warum mir das passiert ist, machte mir Gedanken, ob ich überhaupt weiter in Deutschland leben könnte.

    Aber durch diese schlimme Geschichte entdeckte ich plötzlich eine neue Heimat: Meine Freunde haben mich unterstützt, sie haben mir Stärke gegeben. Meine Freunde wurden zu meiner neuen Heimat. Heimat ist für mich jetzt mehr ein Gefühl als ein Ort. In dieser neuen Heimat konnte ich mich selbst finden. Ich habe jetzt kein Heimweh mehr, weil ich zu Euch, meine Freunde, gehören darf.

    Dieses Jahre endet bald. Aber ich werde nicht vergessen: 2017 war das Jahr, in dem ich eine neue Heimat finden konnte – und natürlich meinen Traum: das Flüchtling-Magazin. Beide werden auch in dem neuen Jahr mit mir sein.

    Ich wünsche Euch ein schönes neues Jahr – mit Liebe, Freunden, Heimat.

     

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