Schlagwort: Afghanistan

  • Ein Abend voller Umarmungen – “Ahmadjan und der Wiedehopf”

    Ein altes Fabrikgebäude mit hohen Decken und guter Akustik im Hamburger Stadtteil Ottensen. Etwa 150 Menschen haben sich im Hauptsitz des Carlsen Verlags versammelt, um gemeinsam die Veröffentlichung des Buches „Ahmadjan und der Wiedehopf“ zu feiern. Neben ersten Einblicken in das Buch erwarten sie afghanische Musik mit Sitar, einem Saiteninstrument, und Gesang. Gegen den Hunger gibt es verschiedene afghanische Kleinigkeiten – und Butterkuchen. Matthias Heller vom NDR moderiert.

    Die Graphic Novel handelt vom Leben des Vaters Ahmadjan, geboren im Pandschir-Tal in Afghanistan, dem Tal der fünf Löwen. Zuerst geht der junge Ahmadjan nach Kabul an ein Internat. In den 70ern, mit gerade einmal 19 Jahren, reiste er von Afghanistan nach Deutschland, um Künstler zu werden. „Ich brauchte damals kein Visum“, sagt der fast 70-Jährige und blickt in viele überraschte Gesichter im Publikum. „Das muss man sich mal vorstellen“, sagt er.

    Die Machtübernahme der Taliban im August 2021 trifft die Familie Amini schwer. Der Vater verarbeitet es künstlerisch, will mit einem Auto und einem Videoprojektor durch ganz Hamburg fahren und allen Menschen zeigen, was in seinem Land passiert. Maren stoppt ihn. „Ich wollte eigentlich nur, dass du aufhörst, diese Videos zu gucken“, beschreibt sie die Situation vor drei Jahren mit schwerer Stimme.

     

    Wie das Buch entstand

    Das ist der Auftakt für ihre gemeinsame Arbeit am Buch. Das Vater-Tochter-Duo will den Leser*innen das Land näher bringen, das viele Deutsche nur aus den Nachrichten kennen. Doch nicht nur das: „Mit dem Buch zeigen wir unsere Solidarität mit den Künstlern aus Afghanistan, die ihre Kunst nicht zeigen können“, fügt Maren hinzu. Diese Freiheit wurde den Menschen vor Ort genommen. Maren selbst war noch nie in Afghanistan. Ein Flugticket habe sie vor vielen Jahren storniert, weil sie ein „Angsthase“ sei. Ob sie nochmal die Chance bekommen wird, das Land ihres Vaters kennenzulernen, ist heute ungewiss.

    Die Arbeit am Buch beginnt damit, dass Maren sich an alte Anekdoten ihres Vaters erinnert und Fragen stellt. „Komm, ich erzähl´ dir alles“, habe Ahmadjan daraufhin gesagt. Als sich Vater und Tochter das erste Mal zusammensetzen, treffen sie sich um neun Uhr morgens. Bis Ahmadjan seine Erzählung beendet, ist es 18 Uhr. Zeit und Raum um sich herum hätten sie völlig vergessen, auch nicht zu Mittag gegessen. Die Zusammenarbeit sei sehr harmonisch gewesen. „Wir haben nicht gestritten“, sagt Maren. Einmal die Woche treffen sich die beiden, um entstandenes Material zu besprechen und Neues zu planen.

    Ihre Zeichnungen hält Maren bewusst reduziert, damit Leser*innen sich darin wiedererkennen können. „Mit dem Buch will ich die innere Welt zeigen“, sagt sie. Die Gemeinsamkeiten der Gefühlswelten aller Menschen sollen dadurch sichtbar gemacht werden. Das gelingt ihr, findet auch Moderator Matthias Heller.

    Welche Zeichnungen im Buch nun von Maren sind, welche von Ahmadjan, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Vielleicht ist es nicht von Bedeutung. Vielleicht ist es auch nicht klar zu trennen. Das Titelbild, beschreibt Maren, haben sie in Zusammenarbeit entwickelt. Aus einer unter Ahmadjans Arm eingeklemmten Kunstmappe sprießen unzählige Farbstreifen, die meterhoch über ihn hinausragen und an deren Ende sich kleine Vogelköpfe bilden. Auch der Wiedehopf ist erkennbar, wenn man ganz genau hinsieht.

    Ahmadjan und der Wiedehopf
    Carlsen Verlag

     

    Früher schenkte Maren den Bildern ihres Vaters nicht viel Aufmerksamkeit. Sie hingen eben im Hintergrund. Als sie älter wurde, entwickelte sie Interesse an der Herkunft des Vaters, ihren eigenen Wurzeln. Maren fing an, Farsi zu lernen. Als erstes Projekt übersetzten ihr Vater und sie das Lied „Dile Aadam“ auf Deutsch. „Das Herz des Menschen“ ist ein Gedicht des afghanischen Poeten Sakhi Rahi.

    Das Symbol des Vogels

    Einen roten Faden durch das Buch ziehen Maren und Ahmadjan anhand der „Konferenz der Vögel“, einer persischen Gedichtesammlung aus dem 12. Jahrhundert von Fariduddin Attar. Zeitlos findet Maren die Erzählung. In der „Konferenz der Vögel“ suchen die Vögel über sieben Täler hinweg nach ihrem König Simurgh, der sie aus dem Elend herausführen soll. Die Welt der Vögel ist erfüllt von Kriegen, Unruhen, Naturkatastrophen, Armut.

    Ahmadjans Lebensweg wird parallel dazu über sieben Täler hinweg beschrieben. Im Buch begegnen dem Vater verschiedene Vögel, die ihn begleiten. Durchgehend an seiner Seite ist der Wiedehopf. Dieser sei ein „Symbol für ein Sehnsuchtsgefühl“, erklärt Maren. Und: „Der Wiedehopf treibt meinen Vater an, motiviert ihn, weiterzumachen, weiterzugehen.“ Die Idee, das Buch anhand der „Konferenz der Vögel“ auszurichten, kam Maren durch die aktuellen Arbeiten des Vaters, die mit den eröffnenden Worten im Buch beschrieben werden: „Papa hat 1000 Vögel gemalt, denn die Welt gerät aus den Fugen.“

     

    Credits: Carlsen Verlag

     

    „Papa“, so nennt Maren ihren Vater über den Abend hinweg, wenn sie ihn anspricht. Ihre Stimme ist warm.

    Was der Höhepunkt der Arbeit am gemeinsamen Buch gewesen sei, fragt eine Person aus dem Publikum. „Die Kommunikation mit meiner Tochter“, sagt Ahmadjan. „Der heutige Abend“, ergänzt Maren. Damit unterstreichen beide eine Herzlichkeit, die man schon beim Ankommen im Raum spüren konnte. Genauso wie in den vielen Umarmungen der Anwesenden und in Marens Antworten. Diese sind oft einsilbig, fast gedankenverloren. Nur bei den Dankesbekundungen fallen ihr immer noch mehr Menschen ein, die erwähnenswert sind. Dann sagt sie: „Wenn ihr wollt, singe ich für euch.“ Und bevor eine Rückmeldung aus dem Publikum kommen kann, ertönt die erste Silbe von „Dile Aadam“, a cappella, mit klarer Stimme und ohne einen Funken von Nervosität vorgetragen. Mit geschlossenen Augen meint man, das Tal der fünf Löwen sehen zu können.

  • EuGH-Urteil: Frauen aus Afghanistan bekommen Recht auf Asyl ohne Einzelfallprüfung

    In einem bahnbrechenden Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 4. Oktober 2024 einen entscheidenden Präzedenzfall geschaffen, der weitreichende Auswirkungen auf afghanische Frauen hat, die in der Europäischen Union Asyl suchen. Diese Entscheidung, die auf internationalem Menschenrecht basiert, signalisiert einen neuen Ansatz im Flüchtlingsschutz, der geschlechtsspezifische Verfolgung in Afghanistan als legitimen und ausreichenden Asylgrund anerkennt. Das Urteil ist besonders bedeutsam im Kontext des repressiven Taliban-Regimes, das systematisch die Rechte von Frauen abgeschafft hat und Afghanistan zu einem der gefährlichsten Orte für Frauen weltweit macht.

    Der Kontext: Geschlechter-Apartheid in Afghanistan

    Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 stehen afghanische Frauen vor einer düsteren Realität: Ausschluss aus dem öffentlichen Leben, Verweigerung grundlegender Rechte und die Durchsetzung drakonischer Gesetze, die ihnen jegliche Autonomie nehmen. Beschränkungen im Bereich Bildung, Arbeit, Bewegungsfreiheit und Bekleidung haben sich zu einem umfassenden System der Geschlechter-Apartheid entwickelt. Frauen sind nicht nur marginalisiert, sie sind das Ziel systematischer Unterdrückung.

    Internationale Organisationen wie Human Rights Watch und die Vereinten Nationen haben wiederholt Regierungen weltweit aufgefordert, auf die Behandlung von Frauen durch die Taliban zu reagieren. Das Urteil des EuGH ist eine direkte Anerkennung der Schwere der Krise und spiegelt das sich entwickelnde Verständnis der rechtlichen Gemeinschaft wider, geschlechtsspezifische Verfolgung als legitimen Asylgrund anzuerkennen.

    Das wegweisende Urteil

    Im Dezember 2023 erging ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofes in Österreich, das eine afghanische Frau betraf, deren Asylantrag zuvor von den österreichischen Behörden abgelehnt worden war. Die Frau, die unter ihren Initialen „AH“ bekannt ist, floh aus Afghanistan, um einer Zwangsheirat und der Verfolgung aufgrund ihres Geschlechts und ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu entkommen. Ihr ursprünglicher Asylantrag wurde abgelehnt, da sie keine unmittelbare persönliche Bedrohung nachweisen konnte. Sie legte Berufung ein.

    Der Oberste Gerichtshof in Österreich verwies den Fall an den EuGH und bat um Klärung, ob systematische geschlechtsspezifische Verfolgung – wie die von den Taliban verhängten allgemeinen Beschränkungen bei Frauen und Mädchen – ausreichende Asylgründe darstellen könne, auch ohne eine konkrete Bedrohung gegen die Einzelperson. In seinem bahnbrechenden Urteil entschied der EuGH nun, dass afghanische Frauen keinen individuellen Bedrohungsnachweis erbringen müssen, um in der EU Asyl zu erhalten. Der Gerichtshof stellte fest, dass die Behandlung von Frauen durch die Taliban, die durch repressive Gesetze und Praktiken gekennzeichnet ist, an sich eine Form der Verfolgung darstellt, die nach internationalem Flüchtlingsrecht Schutz verdient.

    Auswirkungen auf die Flüchtlingspolitik und Integration in der EU

    Dieses Urteil setzt einen wichtigen rechtlichen Präzedenzfall, der wahrscheinlich die Asylverfahren in allen EU-Mitgliedstaaten beeinflussen wird. Durch die Anerkennung, dass afghanische Frauen allein aufgrund ihres Geschlechts systematischer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt sind, hat der EuGH einen Weg eröffnet, der es Tausenden afghanischer Frauen ermöglicht, in der EU Zuflucht zu suchen, ohne den Nachweis einer individuellen Verfolgung oder Gefahr erbringen zu müssen. Dies ist eine entscheidende Entwicklung für Asylsysteme, die oft eine hohe Beweislast von den Antragstellern verlangt haben, insbesondere von Frauen, die spezifische Bedrohungen für ihre Sicherheit nachweisen mussten.

    Für die Institutionen, die am Asyl- und Integrationsprozess beteiligt sind, bringt diese Entscheidung erhebliche Herausforderungen und Chancen mit sich. Sie bietet eine klarere rechtliche Grundlage für die Bearbeitung von Asylanträgen, insbesondere derjenigen, die seit Jahren in der Schwebe sind. Die Umsetzung dieses Urteils wird jedoch wahrscheinlich zusätzliche Ressourcen erfordern – mehr Personal, bessere Schulungen und stärkere Institutionen – um die gestiegene Anzahl von Asylanträgen afghanischer Frauen zu bewältigen. Anstatt den Prozess zu beschleunigen, unterstreicht dieses Urteil die Notwendigkeit von Investitionen in das Asylsystem, um eine faire und effiziente Bearbeitung sicherzustellen und gleichzeitig den komplexen Integrationsbedürfnissen afghanischer Frauen in der Europäischen Union gerecht zu werden.

    Eine breitere globale Bedeutung

    Das EuGH-Urteil hat auch auf globaler Ebene eine Resonanz. Es steht im Einklang mit den Bemühungen mehrerer Länder – darunter Deutschland, Australien, Schweden und Dänemark – die auf eine internationale Anerkennung der Behandlung von Frauen durch die Taliban als Geschlechter-Apartheid drängen. Diese Länder haben sich für rechtliche Maßnahmen gegen die Taliban unter internationalen Konventionen wie der Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) eingesetzt. Indem der EuGH die geschlechtsspezifische Verfolgung als gültigen Asylgrund anerkennt, hat er die globale Bewegung gestärkt, die Taliban für ihre geschlechtsspezifischen Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Das nationale Asylrecht wird fast vollständig vom Unionsrecht determiniert, sodass die Entscheidung durch das deutsche BAMF ebenso zu beachten ist.

    Ein Schritt nach vorn, aber noch viel Arbeit

    Obwohl das Urteil des EuGH einen bedeutenden Sieg für afghanische Frauen darstellt, bleibt noch viel zu tun. Europäische Regierungen müssen nun sicherstellen, dass die Asylverfahren geschlechtersensibel gestaltet werden und dass die Integrationssysteme auf die Bedürfnisse afghanischer Frauen vorbereitet sind. Außerdem müssen politische und mediale Institutionen den Fokus auf die Situation in Afghanistan behalten und für politische Maßnahmen eintreten, die diesen Frauen echten Schutz und Unterstützung bieten.

    Dieses bahnbrechende Urteil gibt afghanischen Frauen Hoffnung, aber es liegt an den europäischen Regierungen, Institutionen und der Gesellschaft, diesen rechtlichen Sieg in eine sinnvolle und dauerhafte Veränderung umzusetzen.

  • Ali Qasemi über das Basteln und den Kampf gegen Depressionen

    Mit Papier basteln – das ist die große Leidenschaft von Ali Qasemi. Der gelernte Edelsteinschleifer aus der afghanischen Stadt Kandahar leidet unter schweren Depressionen und die Arbeit mit Papier, Schere und dem Geodreieck hilft ihm, ein paar Lichtblicke im sonst eher düsteren Alltag zu sehen. „Wenn ich bastel, dann bin ich wie in einer anderen Welt, es lenkt mich von meinen schweren Gedanken ab, gibt mir ein gutes Gefühl und es tut mir gut, mich darauf zu konzentrieren“, beginnt Ali zu erzählen.

    Traumatische Erfahrungen

    Ali hat in seiner Heimat Afghanistan viel Schlechtes, viel Traumatisches erlebt, musste mit ansehen, wie sein Onkel und ein älterer Bruder von den Taliban ermordet wurden, hat unmittelbare Gewalt erfahren. Es sind Bilder, die ihn nicht mehr loslassen, die sich immer wieder in sein Gedächtnis drängen, die jeden Tag präsent sind.

    Im Oktober 2008 flieht Ali zunächst nach Norwegen, wo er fünf Jahre in einer Asylantenunterkunft lebt. Doch er kann dort auf Dauer nicht bleiben, sein Asylantrag wird schlussendlich abgelehnt und Ali wird weiter nach Deutschland geschickt. Die ständige Ungewissheit, wie es zukünftig für ihn weitergehen soll, wird für Ali bald unerträglich.

    In der Psychiatrie 

    Er hat permanent Angst, dass die Behörden ihn zurück nach Afghanistan schicken, schläft schlecht, hat Alpträume, ist unruhig, gestresst und die Depressionen werden immer stärker. „Diese Unsicherheit war für mich nur sehr schwer zu ertragen und war sehr besorgt, dass ich wieder zurück in mein Heimatland muss, wo Krieg herrscht, wo ich nicht sicher bin“, ergänzt Ali.

    In Deutschland wird Ali zunächst in einem Asylantenheim in Ludwigslust untergebracht, wo er sich mit anderen Geflüchteten ein Zimmer teilt – das ist im Mai 2014. Im August desselben Jahres sind seine Depressionen so stark, dass Ali versucht, sich das Leben zu nehmen. Doch er hat Glück, seine Mitbewohner finden ihn gerade noch rechtzeitig und alarmieren den Rettungswagen. Ali wird in die geschlossene Psychiatrie eingeliefert, wo er ganze vier Wochen bleibt.

    Ali berichtet: „Die Zeit dort war komisch, da waren viele andere, psychisch kranke Menschen, viele ziemlich zugedröhnt mit Tabletten, einige waren wie ich depressiv und suizidal, andere hatten beispielsweise Schizophrenie oder eine Borderline-Störung. Aber ich bin dort erstmal zur Ruhe gekommen, wurde medikamentös neu eingestellt.“ Nach einem Monat wurde Ali dann auf die offene Station verlegt, wo er bis zum November 2014 blieb, an Gruppen- und Einzeltherapien teilnahm und sich langsam erholte. Besonders gut gefiel ihm die Ergotherapie, wo er das Basteln mit Papier wieder für sich entdeckte.

    Erinnerungen an die Kindheit 

    „Die Ergotherapie war in dieser Zeit für mich immer ein Lichtblick, es hat wirklich Spaß gemacht, aus Papier filigrane Schachteln, Gebäude oder auch bunte Geschenkverpackungen herzustellen. Das Basteln beruhigt mich, gibt mir ein gutes Gefühl und vor allem lenkt es mich von meinen Depressionen ab. Und es erinnert mich an meine Kindheit“, ergänzt Ali.

    Und Ali hat noch einmal Glück: Die Schelfgemeinde in Schwerin bot ihm von November 2014 bis Juli 2015 Kirchenasyl. In der Schelfgemeinde lernte Ali Annemarie Steinat und Edgar sowie Sabine Hummelsheim kennen. Die drei unterstützen den Afghanen bis heute bei bürokratischen Angelegenheiten, wie beispielsweise bei Arzt- und Anwaltsbesuchen. Und sie haben ihm geholfen, eine eigene Wohnung und eine berufliche Tätigkeit zu finden. Mittlerweile arbeitet Ali in Teilzeit bei einem Malerbetrieb der Dreescher Werkstätten, einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen.

    Einsamkeit belastet 

    „Ich bin den Dreien wirklich dankbar für ihre Hilfe. In meiner Wohnung ist es nun wesentlich besser, als im Asylantenheim oder im Kirchenasyl, und es ist ein weiterer Schritt in Richtung Selbstständigkeit. Aber ich fühle mich oft einsam und ich vermisse meine Familie. Meine Mutter und meine Geschwister habe ich zuletzt 2008 gesehen, sie fehlen mir sehr“, ergänzt Ali.

    Mit Annemarie Steinat und der Familie Hummelsheim trifft sich Ali auch heute noch regelmäßig. Sie trinken Kaffee zusammen oder kochen gemeinsam, unterhalten sich, tauschen sich aus. „Für die Zukunft wünsche ich mir einfach nur, dass meine Depressionen verschwinden, wobei ich weiß, dass dies wohl niemals der Fall sein wird. Und trotzdem versuche ich, das Beste aus meiner Situation zu machen“, findet Ali abschließende Worte.

     

    Solche filigranen Schachteln bastelt Ali aus Papier.
    Hilfe und Unterstützung bekommt Ali von Annemarie Steinat (links) und dem Ehepaar Hummelsheim.
  • Abschiebung von kriminellen Geflüchteten?

    Steffen Hebestreit, Regierungssprecher, teilte zu den Abschiebungen mit: “Es handelte sich hierbei um afghanische Staatsangehörige, die sämtlich verurteilte Straftäter waren, die kein Bleiberecht in Deutschland hatten und gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen.“ Befürworter*innen und Gegner*innen dieser Abschiebungen äußerten sich in Stellungnahmen zu dieser Maßnahme.

     

    Befürworter*innen der Abschiebung

    Die Befürworter*innen der Abschiebung betonen, dass kriminelle Geflüchtete nicht in Deutschland bleiben sollten, und stützen ihre Ansicht auf die deutschen Gesetze. Abschiebungen werden als notwendiger Teil eines funktionierenden Asylsystems gesehen, um zwischen Schutzbedürftigen und nicht Schutzbedürftigen zu unterscheiden. Es wird betont, dass abgelehnte Asylbewerber*innen rechtlich verpflichtet sind, das Land zu verlassen.

    Laut einer aktuellen Umfrage in der deutschen Bevölkerung befürworten 93 % der Befragten Abschiebungen in gewissem Umfang, wobei 52 % für die Rückführung aller abgelehnten Asylbewerber*innen sind. Die Befürworter beziehen sich dabei auf die folgenden Gesetze:

    • Aufenthaltsgesetz (AufenthG): Dieses Gesetz bildet die rechtliche Grundlage für den Aufenthalt von nicht-deutschen Staatsangehörigen in Deutschland. Gemäß §§ 53 Abs. 1, 54 AufenthG kann ein Ausländer abgeschoben werden, wenn er wegen einer Straftat rechtskräftig verurteilt wurde und eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr erhalten hat. Die Befürworter der Abschiebung verweisen dabei auf die speziellen Befugnisse von Richtern und Einwanderungsbehörden gemäß den §§ 53 und 54 AufentG. Sie argumentieren, dass das deutsche Recht den Richtern und Einwanderungsbehörden bei der Entscheidung über Abschiebungen, insbesondere in Fällen schwerer Straftaten, erhebliche Ermessensspielräume einräumt. Die Behörden können auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung die Abschiebung eines Ausländers anordnen, wenn sie der Meinung sind, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet ist. Dies gilt u.a. für Personen, die wegen Straftaten wie z.B. Vergewaltigung verurteilt wurden, bei denen ihre weitere Anwesenheit in Deutschland als Bedrohung für die Gesellschaft angesehen werden könnte. Es kann aber auch eine zwingende Ausweisung erfolgen: In schwereren Fällen kann die Abschiebung obligatorisch sein, insbesondere, wenn die Person eine Straftat begangen hat, die die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet, oder wiederholt an kriminellen Aktivitäten beteiligt war.
    • Asylgesetz (AsylG): Dieses Gesetz spielt ebenfalls eine Rolle bei Abschiebungen, insbesondere im Umgang mit „Flüchtlingen“ und Asylbewerber*innen. § 60 AsylG beschreibt das Abschiebungsverbot in ein Land, in dem die Person Verfolgung oder unmenschliche Behandlung zu befürchten hat. Allerdings enthält § 60 AsylG auch Ausnahmen von dieser Regel, die auf internationalen Verpflichtungen (einschließlich der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK) beruhen, die Deutschland vor einer Abschiebung berücksichtigen muss. Dieser Abschnitt ermöglicht Abschiebungen auch dann, wenn ein allgemeines Verbot besteht, sofern die Anwesenheit der Person in Deutschland als erhebliche Bedrohung für die öffentliche Sicherheit angesehen wird.
    • Strafgesetzbuch (StGB): Obwohl das StGB sich nicht direkt mit Abschiebungen befasst, führen rechtskräftige Verurteilungen nach diesem Gesetz oft auch zu Abschiebungsverfahren nach dem Aufenthaltsgesetz. Schwere Straftaten, einschließlich Vergewaltigung, können zu rechtlichen Verfahren führen, die möglicherweise mit einer von den Einwanderungsbehörden oder Gerichten angeordneten Abschiebung enden.

     

    Gegner*innen der Abschiebung

    Die Gegner*innen der Abschiebung, darunter Organisationen wie ProAsyl und Amnesty International, zusammen mit anderen Menschenrechtsgruppen und Rechtsexpert*innen, haben erhebliche rechtliche und ethische Bedenken hinsichtlich der Abschiebung afghanischer Geflüchtete aus Deutschland geäußert, insbesondere unter den aktuellen Bedingungen in Afghanistan. Ihre Argumentation konzentriert sich auf mehrere zentrale rechtliche Punkte:

    • Verstoß gegen das Non-Refoulement-Prinzip
    • Völkerrecht und Non-Refoulement: Ein zentrales rechtliches Argument gegen die Abschiebungen ist, dass diese das Non-Refoulement-Prinzip verletzen, das sowohl im Völkerrecht als auch im europäischen Recht verankert ist. Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verbieten die Rückführung von Personen in ein Land, in dem ihnen eine reale Gefahr von Verfolgung, Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung droht. Diese Organisationen argumentieren, dass die Abschiebung von Personen nach Afghanistan, angesichts der anhaltenden Gewalt, Instabilität und Menschenrechtsverletzungen, einschließlich Folter, willkürlicher Inhaftierungen und außergerichtlicher Tötungen direkt gegen dieses Prinzip verstößt.
    • Grundgesetz: Artikel 1 des Grundgesetzes schützt die Menschenwürde, und Artikel 16a garantiert das Recht auf Asyl für diejenigen, die aus politischen Gründen verfolgt werden. ProAsyl und Amnesty International argumentieren, dass die Abschiebung von Personen nach Afghanistan, wo sie wahrscheinlich ernsthaften Bedrohungen für ihr Leben und Wohlergehen ausgesetzt sind, mit diesen verfassungsrechtlichen Schutzbestimmungen unvereinbar ist. Sie behaupten, dass solche Abschiebungen die Verpflichtung der deutschen Regierung, die Menschenwürde zu schützen und Asylsuchenden Schutz zu bieten, untergräbt.
    • Verletzung der Menschenrechte in Afghanistan: Viele internationale Beobachter*innen, darunter die Vereinten Nationen und andere Menschenrechtsorganisationen, betrachten Afghanistan aufgrund anhaltender bewaffneter Konflikte, weit verbreiteter Gewalt und schwerer Menschenrechtsverletzungen als äußerst unsicher. ProAsyl und Amnesty International argumentieren, dass die Abschiebung von Personen in ein solches Umfeld nicht nur unverantwortlich, sondern nach deutschem und internationalem Recht illegal ist. Sie heben die Risiken von Verfolgung, gezielten Tötungen und dem mangelnden Zugang zu menschlichen Grundbedürfnissen wie Nahrung, Unterkunft und medizinischer Versorgung für abgeschobene Personen hervor.
    • Besondere Verwundbarkeiten: Diese Organisationen betonen auch das erhöhte Risiko für bestimmte Gruppen, wie Frauen, Kinder und ethnische oder religiöse Minderheiten, die unter dem Taliban-Regime besonders gefährdet sind. Sie argumentieren, dass die Abschiebung dieser Personen sie erheblichem Schaden aussetzt und möglicherweise zu einer Verletzung ihrer grundlegenden Rechte führt.
    • Unzureichende individuelle Risikobewertung: Kritiker*innen der Abschiebungen argumentieren, dass im Abschiebungsverfahren oft die individuellen Umstände der Betroffenen, wie persönliche Verfolgungserfahrungen, familiäre Beziehungen in Deutschland oder spezifische gesundheitliche Bedingungen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Dies könnte zu einer Verletzung ihrer Rechte nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention führen. Das Fehlen einer gründlichen und individuellen Risikobewertung wird als ein wesentlicher rechtlicher Mangel in den Abschiebeentscheidungen angesehen. Menschenrechtsorganisationen haben auch Bedenken geäußert, dass die gerichtliche Überprüfung von individuellen Abschiebeentscheidungen möglicherweise nicht ausreichend gründlich ist, um die Einhaltung der rechtlichen Standards zu gewährleisten. Sie argumentieren auch, dass Richter*innen und Einwanderungsbehörden keinen vollständigen Zugang zu den Entwicklungen in Afghanistan haben und dass dies durch das Fehlen offizieller Verbindungen der deutschen Regierung zur Taliban-Regierung, die in diesem Land an der Macht ist, verschärft wird. Dies könnte dazu führen, dass Entscheidungen getroffen werden, die nicht mit den rechtlichen Verpflichtungen Deutschlands übereinstimmen.

    Über die rechtlichen Argumente hinaus führen diese Organisationen aber auch ethische Überlegungen an und argumentieren, dass Deutschland als demokratisches Land, das sich den Menschenrechten verpflichtet fühlt, eine moralische Verpflichtung hat, Menschen zu schützen, die vor Verfolgung und Gewalt fliehen. Sie betonen, dass die Abschiebung von Personen in ein vom Krieg zerrüttetes Land wie Afghanistan im Widerspruch zu den Werten steht, die dem deutschen Rechtssystem und den internationalen Menschenrechtsnormen zugrunde liegen. Es sei darauf hingewiesen, dass die Taliban in den jüngsten Entwicklungen in Richtung religiöser Radikalisierung letzte Woche ein Gesetz angekündigt haben, in dem die Stimme der Frauen als „Awrat“ anerkannt wird (das heißt, eine Frau darf mit niemandem außer ihren Familienmitgliedern sprechen). In einem anderen Absatz heißt es außerdem, dass das Haus einer Person in Brand gesteckt wird, wenn sie nicht in der Moschee betet.

    Im Ergebnis müsste noch das Bundesverwaltungsgericht feststellen, ob die Abschiebungen in Länder wie Afghanistan oder Syrien überhaupt rechtlich möglich sind. Bei den Abschiebungen nach Afghanistan sind sich die Oberverwaltungsgerichte derzeit noch uneins.

  • Wadud Salangi – ein Journalist zwischen zwei Welten

    „Ich war gezwungen, ins Exil zu gehen“, erinnert sich Wadud. „Die Taliban hatten bereits 2016 sieben meiner Kollegen bei TOLONews durch eine Autobombe getötet und sich öffentlich dazu bekannt. Sie bezeichneten TOLONews als ‚Geheimdienstnetzwerk‘ und ‚das größte Netzwerk des Landes zur Förderung von Obszönität, Irreligiosität, fremder Kultur und Nacktheit‘.“ Die Erinnerung an diese Ereignisse lässt Wadud noch heute erschaudern.

    Trotz der ständigen Bedrohung blieb Wadud seinem Beruf treu. Sein Antrieb: „Ich wollte Veränderungen herbeiführen, indem ich für Demokratie und Freiheit kämpfte und die Stimme einer Generation erhob, die Opfer des Verhaltens terroristischer Gruppen wie der Taliban geworden war.“ Diese Überzeugung führte ihn durch die gefährlichsten Zeiten seiner journalistischen Karriere in Afghanistan.

    Sein Weg in den Journalismus begann mit einem schockierenden Ereignis: „Im März 2007 sah ich die Nachricht, dass die Taliban einen 24-jährigen afghanischen Journalisten, Ajmal Naqshbandi, enthauptet hatten. Zu dieser Zeit war ich noch Schüler, und in diesem Moment entschied ich mich, eines Tages Journalist zu werden.“ Dieser Entschluss sollte sein Leben für immer verändern.

    Nach seinem Studium an der Universität Kabul begann er seine Karriere bei TOLONews, dem größten 24-Stunden-Nachrichtensender Afghanistans. Dort berichtete er über politische Themen, Krieg und Menschenrechtsfragen. „Trotz erheblicher Sicherheitsherausforderungen und Bedrohungen war ich entschlossen, meiner Berufung als Journalist nachzugehen und den Menschen eine Stimme zu geben“, erklärt er.

    Die Machtübernahme der Taliban im August 2021 zwang Wadud zur Flucht. Er beschreibt die dramatischen Tage: „Während der Evakuierungsoperation für afghanische Bürger am Flughafen von Kabul verbrachte ich zwei Wochen damit, verzweifelt zu versuchen, Zugang zum Flughafen zu bekommen. Tausende andere Afghanen versuchten ebenfalls zu fliehen, und trotz schlafloser Nächte vor den Toren des Flughafens gelang es mir nicht, das Flughafengebäude zu betreten.“

    Heute arbeitet er als mehrsprachiger Multimedia-Journalist für renommierte Medien wie die Deutsche Welle und The New Humanitarian. Seine Erfahrungen als Geflüchteter haben seine Perspektive grundlegend verändert: „Diese persönliche Verbindung zu den Geschichten, die ich erzähle, ermöglicht es mir, eine tiefere Ebene des Verständnisses und der Empathie in meine Berichterstattung einzubringen.“

    Doch Wadud sieht sich nicht nur als Berichterstatter, sondern auch als Brückenbauer zwischen Kulturen. In einer Zeit zunehmender Polarisierung setzt er sich für Verständigung ein: „Es ist mir ein Anliegen, eine kulturelle Brücke zwischen verschiedenen Kulturen zu schlagen und ein tieferes Verständnis zwischen Migranten und der deutschen Gesellschaft zu fördern.“

    Seine Arbeit in Deutschland ist nicht ohne Herausforderungen. Wadud beobachtet mit Sorge: „Wir erleben momentan eine kritische Zeit für Migranten in Deutschland. Jeden Tag sind wir mit Rassismus und anti-migrantischen Kampagnen konfrontiert – und das nicht nur in den Medien, sondern auch in politischen Diskussionen und der Öffentlichkeit.“ Er sieht es als seine Aufgabe, diesen Tendenzen entgegenzuwirken und für ein differenziertes Bild von Migration zu sorgen.

    Trotz der Herausforderungen und Gefahren, denen er ausgesetzt war und ist, bleibt er seinem Beruf und seinen Überzeugungen treu: „Mein Engagement für ein demokratisches Afghanistan, frei von einer Taliban-Herrschaft, bleibt unerschütterlich. Mein Wunsch nach einem freien Leben für alle in Afghanistan und der Rettung meines Landes vor terroristischen Gruppen wie den Taliban motiviert mich immer wieder, meine Arbeit fortzusetzen.“

    Besonders am Herzen liegen ihm die Rechte der Frauen in Afghanistan: „Die Situation der Frauen unter der Herrschaft der Taliban ist katastrophal – sie werden systematisch aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen, ihnen wird der Zugang zu Bildung und dem Arbeitsmarkt verwehrt. Ich setze mich leidenschaftlich dafür ein, dass diese Frauen gehört werden und die Unterstützung erhalten, die sie dringend brauchen.“

    Waduds Geschichte ist von Resilienz und unerschütterlichem Engagement geprägt. Sie erinnert daran, dass hinter jeder Statistik über Flucht und Migration individuelle Schicksale stehen. Er betont: „Alles in dieser Welt ist vorübergehend. Das Einzige, was Bestand hat und in Erinnerung bleibt, sind Menschlichkeit, Freundlichkeit, Freundschaft und Unterstützung.“

    Mit seiner Arbeit möchte Wadud nicht nur informieren, sondern auch inspirieren und Veränderungen anstoßen. Er glaubt fest daran, dass Journalismus die Kraft hat, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Sein Weg vom jungen Reporter in Kabul zum etablierten Journalisten in Berlin ist ein Beweis dafür, dass Entschlossenheit und der Glaube an die eigenen Überzeugungen selbst die größten Hindernisse überwinden können.

  • Afghanistan: Ein Blick in den Juni und Juli 2024

    Die Monate Juni und Juli 2024 waren ereignisreich für Afghanistan, ein Land, das sich ständig in Turbulenzen und im Übergang befindet. Die Schlagzeilen aus diesen beiden Monaten zeichnen ein Bild von anhaltenden Konflikten, humanitärer Not und politischen Problemen für die Menschen innerhalb Afghanistans.

     

    Anhaltende Sicherheitsprobleme

     

    Die Sicherheit ist nach wie vor das Hauptanliegen in Afghanistan. Die Taliban sind trotz ihrer Kontrolle über das Land einer ständigen Bedrohung durch aufständische Gruppen, insbesondere ISIS-K, ausgesetzt. Mehrere gewalttätige Zwischenfälle haben das Land in diesen Monaten erschüttert:

     

    1. 10. Juni, Kabul: Ein verheerendes Selbstmordattentat auf einem belebten Marktplatz forderte über 50 Tote und zahlreiche Verletzte. Dieser Anschlag, zu dem sich der ISIS-K bekannte, unterstrich die anhaltende Bedrohung durch terroristische Gruppierungen im Lande.

     

    1. 5. Juli, Provinz Nangarhar: Eine Reihe von Zusammenstößen zwischen Taliban-Kräften und ISIS-K-Kämpfern führte zu erheblichen Opfern auf beiden Seiten. Durch die Gewalt wurden Hunderte von Familien vertrieben und die Flüchtlingskrise verschärft.

     

    Humanitäre Krise verschärft sich

     

    Die humanitäre Lage in Afghanistan hat ein alarmierendes Ausmaß erreicht. Die Kombination aus wirtschaftlichem Zusammenbruch, Dürre und anhaltendem Konflikt hat einen perfekten Sturm des Leidens ausgelöst:

     

    1. Ernährungsunsicherheit: Nach Angaben des Welternährungsprogramms haben bis zu 95 % der Afghan*innen nicht genug zu essen. Die Unterernährungsraten, speziell bei Kindern, steigen rapide an.

     

    1. Wasserknappheit: Die langanhaltende Dürre hat den Zugang zu sauberem Wasser stark beeinträchtigt. Viele Gemeinden sind auf unsichere Wasserquellen angewiesen, was zu einem Anstieg von durch Wasser übertragenen Krankheiten führt.

     

    Die politische Lage

     

    Die Taliban haben ihre Bemühungen um internationale Anerkennung und wirtschaftliche Entlastung fortgesetzt. In diesen Monaten kam es zu mehreren diplomatischen Kontakten:

     

    1. 15. Juni, Doha: Taliban-Vertreter führten Gespräche mit Beamten aus Katar, der Türkei und China, um Unterstützung für wirtschaftliche Entwicklungsprojekte zu erhalten. Bei diesen Gesprächen ging es um Infrastrukturinvestitionen und Handelsabkommen.

     

    1. 20. Juli, Islamabad: Eine hochrangige Delegation besuchte Pakistan, um bilaterale Handelsabkommen auszuhandeln und die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich zu erörtern. Es wurden zwar einige Vereinbarungen getroffen, eine substanzielle internationale Anerkennung blieb jedoch aufgrund der Menschenrechtslage der Taliban unerreichbar.

     

    1. Am 30. Juli kündigten die Taliban an, die von Diplomat*innen der früheren Regierung geleiteten diplomatischen Vertretungen Afghanistans in westlichen Ländern abzulehnen. Es wurde erklärt, dass die Taliban nicht die Verantwortung für Dokumente und Beratungsdienste tragen, die von den diplomatischen Vertretungen Afghanistans in London, Belgien, Berlin, Bonn, der Schweiz, Österreich, Frankreich, Italien, Griechenland, Polen, Schweden, Norwegen und Kanada ausgestellt werden.  Zu diesem Zeitpunkt wurde Faizurrahman Attaee zum Berater der Taliban in Mashhad, Iran, ernannt.

     

    Soziale Fragen und Frauenrechte 

     

    Die soziale Lage in Afghanistan ist nach wie vor düster, insbesondere für Frauen und Minderheiten:

     

    1. Bildung und Beschäftigung: Die restriktive Politik der Taliban schränkt die Bildungschancen für Mädchen und die Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben weiterhin ein. Trotz internationaler Verurteilung gibt es kaum Anzeichen für eine Änderung dieser Politik.

     

    1. Nach Angaben von Amu TV haben sich mehrere Privatschulen in Kabul und verschiedenen Provinzen in Madrassas umgewandelt und nehmen nun auch Schülerinnen ab der neunten Klasse auf, doch wurden Fächer wie Physik und Chemie aus dem Lehrplan gestrichen.

     

    1. Widerstand und Resilienz: Die afghanischen Frauen leisten jedoch weiterhin Widerstand. Untergrundschulen und Frauenrechtsgruppen arbeiten im Verborgenen und bieten trotz der Risiken Bildung und Unterstützung an. Diese Widerstandshandlungen sind ein Beweis für die Widerstandsfähigkeit und den Mut der afghanischen Frauen.

     

    1. Gruppenvergewaltigung im Taliban-Gefängnis: Der Guardian und Rukhshana Media berichteten, dass eine afghanische Frauenaktivistin behauptet hat, eine Gruppe Männer hätte sie in einem Taliban-Gefängnis vergewaltigt. In dem am 3. Juli veröffentlichten Bericht heißt es, die Taliban hätten den Übergriff aufgezeichnet und das Video an das Opfer geschickt und sie gewarnt, sie solle schweigen, sonst würden sie das Material veröffentlichen. Das Video wurde von den Medien Guardian und Rukhshana gesichtet und zeigt, dass bewaffnete Männer in einem Taliban-Gefängnis Frauen vergewaltigen und foltern. Die Frauen wurden verhaftet, weil sie an öffentlichen Protesten gegen die Taliban teilgenommen hatten.

     

  • Two pages of a book: From Afghanistan to Germany

    Sunday, August 15, 2021 — Kabul, Afghanistan

    I slept for almost an hour. I looked at the clock; it was almost 5 in the morning. The police forces, which are normally equipped with light weapons, have lost their ability to resist the Taliban, who, by capturing the army bases, now possess heavy weapons, bulletproof vehicles, and are equipped with tanks and Humvees.

    The supply system is completely paralyzed, and it is not even possible to supply bread and water for the police. Despite the many years of talks between the officials of the Ministry of Interior and NATO to localize the supply and logistics system of the Ministry, our strategic partners have not agreed and have emphasized adapting the system experienced in America and Europe with a focus on the private sector. All the needs of the Afghan police, from weapons to nutrition, are provided by private companies, all of which have fled in recent weeks due to the increasing insecurity. The police now have no ammunition, their salaries have not been paid, and they don’t even have bread or water.

    „Reports from the Kabul city level indicate widespread disorder and confusion“

    The Taliban have reached the neighboring provinces of Kabul. The special procedure for situations like this will be activated in the office of the Minister of Interior, and the Minister of Interior will directly take the leadership of the war in the provinces of Kapisa, Nangarhar, Maidan Wardak, Laghman, and Logar.

    It is around 10 o’clock in the morning. Our contact with the leadership of the Ministry of Defense and the General Directorate of National Security has been disrupted. Reports from the Kabul city level indicate widespread disorder and confusion. It is decided that to prevent disorder in the city of Kabul, the police special forces will enter the police stations and be stationed in strategic points of the city, including diplomatic quarters.

    Reports from the NATO coordination office indicate that five thousand fresh American troops will arrive in Kabul by evening, and will create a buffer line between the government forces and the Taliban within a radius of 200 to 250 kilometers from Kabul to prevent the fall of the city. There have been direct clashes with Taliban forces in several places around Kabul.

    It’s about 11:15. The president’s secretary calls me as a chief of staff and says the president wants to talk to the interior minister. They talk for about 5 minutes. The president wants order to be maintained in Kabul.

    The minister returns to the leadership of the ministry, and he decides to declare martial law from this evening so that the security forces can identify the enemy and prevent disorder in the city.

    I call a family friend and ask him to take my wife and two children to their house. Reports from the NATO coordination office state that the commander of the American forces said that they have been informed to focus only on the transfer of diplomats to the airfield, and we cannot count on their support.

    „Reports state that the president and the national security adviser have left the country“

    It is reported that black smoke is rising from the headquarters of the US embassy in Kabul. We contacted the security unit of the diplomatic centers. They say that the US embassy is being evacuated, and they are burning documents and some embassy equipment.

    At 1:22 PM, reports state that the president and the national security adviser have left the country, the first vice president is missing, and the second vice president has gone to Kabul airport to leave the country.

    The hierarchy of command has been destroyed in the absence of the president and his deputies. There is no ammunition, and the national and military institutions have collapsed.

    At once, the last two decades’ flash in my mind, from all the efforts we have made to bring change in Afghanistan, wherever my generation and I have worked days and nights for change. I have lost dozens of my colleagues who were martyred in terrorist attacks, including my driver who was martyred, and when I entered their house, his family said that his wife had also died by suicide in his absence …

    Four hours later, two decades of progress crumbled.

     

    Tuesday, July 2, 2024- Barmstedt, Germany

    It has been 22 months since I arrived in Germany. On my first day here, at the age of 37, it felt as if the clock of my life was reset to zero, and I had to start learning to speak again like a child.

    Today, I am a part of two interconnected societies. My journey began by studying the principles of German foreign policy on the “refugee crisis,” which emphasized addressing crises at their origin to prevent the creation of refugees.

    Together with some friends, I established the “Afghanistan New Generation Experts Network”, bringing together hundreds of Afghan experts from around the world to transform Afghanistan’s future. This network aims to convey and share facts with the Afghan audience. We have now established the “Afghanistan Watch” news agency, which focuses on the situation in Afghanistan and strives to maintain freedom of expression and access to facts for the Afghan audience.

    We also initiated the “European Diversity Newsroom”, where the voices of refugees, the stateless, and the undocumented are integrated to influence policymaking in Europe.

    A month ago, alongside other Afghan organizations in Europe, we founded the Network of Civil Organizations for the Future of Afghanistan in Geneva, Switzerland. Here, Afghan girls and boys collaborate and strategize to shape the future of our country.

    „Togetherness is always preferable to confrontation“

    Humanity has always aspired to travel in pursuit of better living conditions, with the Earth as our shared home. Political borders should not hinder our mutual understanding and coexistence. Just as goods and ideas flow across the globe, fostering our survival and development, we must embrace positive human exchanges. Togetherness is always preferable to confrontation.

    I will forever be indebted to the German government and its people for saving my life and that of my family. I hope that the policy of protecting those at risk, rooted in human rights values, continues to garner widespread support in this country. Investing in border restrictions does not yield positive or lasting results; we must invest in creating a better life for all on this planet.

     

     

  • Zwei Seiten eines Buches: von Afghanistan nach Deutschland

     

     Sonntag, 15. August 2021 – Kabul, Afghanistan

    Ich habe fast eine Stunde geschlafen. Ich schaute auf die Uhr; es war fast 5 Uhr morgens. Die Polizeikräfte, die normalerweise mit leichten Waffen ausgestattet sind, haben ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber den Taliban verloren, die durch die Eroberung der Armeebasen nun über schwere Waffen, gepanzerte Fahrzeuge und Panzer verfügen.

    Das Versorgungssystem ist komplett gelähmt, und es ist nicht einmal möglich, Brot und Wasser für die Polizei zu besorgen. Trotz der vielen Jahre der Gespräche zwischen den Beamten des Innenministeriums und der NATO, um das Versorgungs- und Logistiksystem des Ministeriums zu lokalisieren, haben unsere strategischen Partner nicht zugestimmt und haben darauf bestanden, das in Amerika und Europa erprobte System mit Fokus auf den Privatsektor anzupassen. Alle Bedürfnisse der afghanischen Polizei, von Waffen bis hin zur Ernährung, werden von Privatunternehmen bereitgestellt, die in den letzten Wochen aufgrund der zunehmenden Unsicherheit alle geflohen sind. Die Polizei hat jetzt keine Munition mehr, ihre Gehälter wurden nicht bezahlt, und sie haben nicht einmal Brot oder Wasser.

    Die Taliban haben die Nachbarprovinzen von Kabul erreicht. Das spezielle Verfahren für Situationen wie diese wird im Büro des Innenministers aktiviert, und der Innenminister übernimmt direkt die Führung des Krieges in den Provinzen Kapisa, Nangarhar, Maidan Wardak, Laghman und Logar.

    „Berichte aus der Stadt Kabul weisen auf weit verbreitete Unordnung und Verwirrung hin“

    Es ist gegen 10 Uhr morgens. Unser Kontakt zur Führung des Verteidigungsministeriums und der Generaldirektion für Nationale Sicherheit wurde unterbrochen. Berichte aus der Stadt Kabul weisen auf weit verbreitete Unordnung und Verwirrung hin. Es wird beschlossen, dass zur Verhinderung von Unruhen in Kabul die Spezialeinheiten der Polizei die Polizeiwachen betreten und an strategischen Punkten der Stadt, einschließlich der diplomatischen Viertel, stationiert werden.

    Berichte vom NATO-Koordinationsbüro deuten darauf hin, dass bis zum Abend fünftausend frische amerikanische Truppen in Kabul eintreffen und eine Pufferzone zwischen den Regierungstruppen und den Taliban in einem Radius von 200 bis 250 Kilometern um Kabul schaffen werden, um den Fall der Stadt zu verhindern. Es gibt an mehreren Orten rund um Kabul direkte Zusammenstöße mit Taliban-Kräften.

    Es ist etwa 11:15 Uhr. Der Sekretär des Präsidenten ruft mich als Stabschef an und sagt, der Präsident wolle mit dem Innenminister sprechen. Sie sprechen etwa 5 Minuten. Der Präsident will, dass in Kabul Ordnung herrscht.

    Der Minister kehrt zur Führung des Ministeriums zurück und beschließt, ab diesem Abend das Kriegsrecht zu erklären, damit die Sicherheitskräfte den Feind identifizieren und Unruhen in der Stadt verhindern können.

    Ich rufe einen Familienfreund an und bitte ihn, meine Frau und meine beiden Kinder zu sich nach Hause zu bringen. Berichte vom NATO-Koordinationsbüro besagen, dass der Befehlshaber der amerikanischen Streitkräfte erklärt hat, dass ihnen mitgeteilt wurde, sich nur auf den Transfer von Diplomaten zum Flugplatz zu konzentrieren, und wir können nicht auf ihre Unterstützung zählen.

    Es wird berichtet, dass schwarzer Rauch aus dem Hauptquartier der US-Botschaft in Kabul aufsteigt. Wir haben die Sicherheitseinheit der diplomatischen Zentren kontaktiert. Sie sagen, dass die US-Botschaft evakuiert wird und sie Dokumente und einige Botschaftsausrüstungen verbrennen.

    „Es gibt keine Munition, und die nationalen und militärischen Institutionen sind zusammengebrochen“

    Um 13:22 Uhr wird berichtet, dass der Präsident und der nationale Sicherheitsberater das Land verlassen haben, der erste Vizepräsident vermisst wird und der zweite Vizepräsident zum Flughafen von Kabul gefahren ist, um das Land zu verlassen.

    Die Befehlshierarchie wurde in Abwesenheit des Präsidenten und seiner Stellvertreter zerstört. Es gibt keine Munition, und die nationalen und militärischen Institutionen sind zusammengebrochen.

    Auf einmal blitzen die letzten zwei Jahrzehnte in meinem Kopf auf, von all den Bemühungen, die wir unternommen haben, um Veränderungen in Afghanistan herbeizuführen, wo auch immer meine Generation und ich Tag und Nacht für den Wandel gearbeitet haben. Ich habe Dutzende meiner Kollegen verloren, die bei Terroranschlägen ermordet wurden, darunter mein Fahrer, und als ich sein Haus betrat, sagte seine Familie, dass seine Frau in seiner Abwesenheit durch Suizid gestorben wäre …

    Vier Stunden später brachen zwei Jahrzehnte Fortschritt zusammen.

     

    Dienstag, 2. Juli 2024 – Barmstedt, Deutschland

    Es sind 22 Monate vergangen, seit ich in Deutschland angekommen bin. An meinem ersten Tag hier, im Alter von 37 Jahren, fühlte es sich an, als wäre die Uhr meines Lebens auf null zurückgesetzt worden, und ich musste wieder lernen zu sprechen, wie ein Kind.

    Heute bin ich Teil von zwei miteinander verbundenen Gesellschaften. Meine Reise begann damit, die Prinzipien der deutschen Außenpolitik zur „Flüchtlingskrise“ zu studieren, die betonen, Krisen an ihrem Ursprung anzugehen, um die Entstehung von Geflüchteten zu verhindern.

    Zusammen mit einigen Freunden habe ich das „Afghanistan New Generation Experts Network“ gegründet, das Hunderte afghanische Experten aus der ganzen Welt vereint, um die Zukunft Afghanistans zu gestalten. Dieses Netzwerk zielt darauf ab, Fakten an das afghanische Publikum zu vermitteln und zu teilen. Wir haben nun die Nachrichtenagentur „Afghanistan Watch“ gegründet, die sich auf die Situation in Afghanistan konzentriert und sich bemüht, die Meinungsfreiheit und den Zugang zu Fakten für das afghanische Publikum aufrechtzuerhalten.

    Wir haben auch den „European Diversity Newsroom“ initiiert, wo die Stimmen von Geflüchteten, Staatenlosen und Undokumentierten integriert werden, um die Politikgestaltung in Europa zu beeinflussen.

    „Gemeinsamkeit ist immer der Konfrontation vorzuziehen“

    Vor einem Monat haben wir zusammen mit anderen afghanischen Organisationen in Europa das Netzwerk der zivilen Organisationen für die Zukunft Afghanistans in Genf, Schweiz, gegründet. Hier arbeiten afghanische Mädchen und Jungen zusammen und entwickeln Strategien, um die Zukunft unseres Landes zu gestalten.

    Die Menschheit hat immer hoffnungsvoll nach besseren Lebensbedingungen gestrebt, wobei die Erde unser gemeinsames Zuhause ist. Politische Grenzen sollten unser gegenseitiges Verständnis und Zusammenleben nicht behindern. Genau wie Waren und Ideen um die Welt reisen, was unser Überleben und unsere Entwicklung fördert, müssen wir positive menschliche Austauschbeziehungen begrüßen. Gemeinsamkeit ist immer der Konfrontation vorzuziehen.

    Ich werde der deutschen Regierung und ihrem Volk für immer dankbar sein, dass sie mein Leben und das meiner Familie gerettet haben. Ich hoffe, dass die Politik des Schutzes gefährdeter Personen, die auf den Werten der Menschenrechte basiert, in diesem Land weiterhin breite Unterstützung findet. Investitionen in die Grenzsicherung führen nicht zu positiven oder dauerhaften Ergebnissen; wir müssen in eine bessere Lebensqualität für alle auf diesem Planeten investieren.

     

  • „Als der Krieg begann, war ich meinen Träumen nahe“

    Der 26. Juli 2021. Meine Schwester ist krank. Ich bin bei ihr im Krankenhaus. Als wir nach Hause zurückkehren, beginnen die Angriffe der Taliban. Ich betrete voller Angst das Haus. Der Kriegslärm ist schrecklich. Nachts schreibe ich zuhause eine Geschichte. Sie ist kurz und handelt vom Krieg, der endet. Doch morgens wache ich auf und der Krieg ist nicht gelöst.

    Ich bin Mubin Hakimi, 26 Jahre alt und komme aus Afghanistan. Ich habe mein ganzes Leben in Afghanistan gelebt. Ich habe in Afghanistan Usbekische Literatur studiert und im Bereich Medien, Kultur und Soziales gearbeitet. Ich hatte viele Pläne für die Zukunft, die durch die Invasion der Taliban in meinem Land in nur einem Moment zerstört wurden; ich wollte mein Studium abschließen und in den Medien auftreten. Doch dann konnte ich nicht mehr weiter studieren und auch nicht als Moderator im Fernsehen arbeiten. Ich wollte Universitätsprofessor werden. Ich habe sogar davon geträumt, einen Radiosender zu eröffnen und viele Programme zu produzieren.

    Ich war meinen Träumen nahe, als der Krieg begann und ich ein Migrant wurde. Ich habe mich ehrenamtlich in einer deutschen VUSAF-Schule in Afghanistan engagiert. Ich habe dort mehr als vier Jahre in verschiedenen Abteilungen mit jungen Leuten gearbeitet. Nach Beginn des Krieges kam ich in Zusammenarbeit mit deutschen Kollegen aus Pakistan nach Deutschland. Ich lebe jetzt seit zwei Jahren in Hamburg.

    Vor dem Krieg hat man mich immer in der Bibliothek gefunden

     

    Ich vermisse meine Familie sehr. Durch Kriege werden tausende Familien voneinander getrennt. So auch meine. Meine Familie ruft mich immer an und sie unterstützen mich und meine Arbeit. Meine Mutter ist Hausfrau, mein Vater hat einen freiberuflichen Job. Ich habe vier Schwestern und einen Bruder. Meine Schwester lebt mit mir in Deutschland. Mein Bruder studiert und arbeitet in Amerika. Ich versuche, dafür zu sorgen, dass meine Familie in einer guten Atmosphäre lebt und keine Sorgen haben muss.

    Ich versuche immer, ein erfolgreicher Mensch zu sein. Meine Familie spielt eine große Rolle für den Erfolg meines Lebens und ich hoffe, dass ich sie bald wiedersehen kann. Die vielen Erinnerungen geben mir Kraft. Meine Eltern sind immer bei mir und alles, was ich in Deutschland unternehme, macht sie glücklich und stolz.

    Ich möchte die Pläne, die ich in Afghanistan hatte, in Deutschland fortführen. Erstens möchte ich mein Deutsch verbessern. Ich möchte in deutschen Medien und Zeitungen aktiv sein, sprechen und schreiben. Ich möchte anderen Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte helfen. Ich möchte mich weiterhin ehrenamtlich bei Institutionen aus den Bereichen Kultur und Soziales engagieren.

    Und ich möchte weiter schreiben. Schriftsteller zu sein, ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Vor dem Krieg hat man mich immer in der Bibliothek gefunden. Als der Krieg begann, konnte ich nicht mehr hingehen. Alles war geschlossen. Die Taliban sind in die Bücherhallen und Schulen eingedrungen. Ich fühlte mich zu Hause einsam. Das einzige Hobby für mich war das Schreiben.

    Als ich nach Deutschland kam, schrieb ich mein erstes eigenes Buch. Es ist die Geschichte meiner Migration. Ich erzähle darin über die Situation afghanischer Jugendlicher und Frauen, den Krieg und andere Probleme. Ich wünschte, es würde auf Deutsch übersetzt und gedruckt werden. Ich möchte mehr Bücher schreiben und in der deutschen Gesellschaft aktiv sein.

    Ich glaube an meine Träume

     

    Aktuell ist die Situation in Afghanistan, insbesondere für Frauen und Mädchen, nicht gut. Schulen und Universitäten sind für sie geschlossen. Auch die wirtschaftliche Lage ist immer noch nicht gut. Manchmal gibt es in Kabul und anderen Großstädten Auseinandersetzungen und Angriffe. Viele junge Menschen sind arbeitslos und wollen Afghanistan verlassen. Ich habe auch von einigen Fragen dazu bekommen, wie man nach Europa kommen kann. Sie halten die schlechten Bedingungen in Afghanistan nicht mehr aus, sie möchten in einer freien Gesellschaft leben und ihre Meinung offen äußern.

    Ich bin in Hamburg nicht sonderlich in der afghanischen Community aktiv. Manchmal nehme ich an afghanischen Kulturprogrammen teil. Doch politisch kann ich mich nicht engagieren, weil meine Familie eben noch zum Teil in Afghanistan lebt. Dabei wünsche ich mir sehr, dass sich die Lage vor Ort verbessert.

    In meiner neuen Heimat hier in Deutschland fühle ich mich wohl. Migration ist nicht das Ende des Lebens. Ich möchte mein Leben fortsetzen und in meinem zweiten Land, Deutschland, erfolgreich sein. Ich glaube an meine Träume. Vielleicht klappt es nicht direkt morgen. Aber ich weiß, dass ich es schaffen kann.

     

  • Eid al-Fitr in Deutschland und Afghanistan

    Eines der bedeutendsten religiösen Feste im Islam ist Eid al-Fitr, das Fest des Fastenbrechens, das das Ende des heiligen Fastenmonats Ramadan markiert. Die grundlegenden Rituale und Traditionen der muslimischen Gemeinschaft sind weltweit ähnlich, aber die Feierlichkeiten unterscheiden sich erheblich je nach kulturellem Kontext und geografischer Lage. Deutschland und Afghanistan sind interessante Beispiele für muslimische Gemeinschaften, die in verschiedenen Umgebungen leben und Eid al-Fitr auf unterschiedliche Weise zelebrieren.

    Kleidung und Geschenke

    Der Kauf neuer Kleidung für Eid al-Fitr ist in Afghanistan eine weit verbreitete Tradition. Um das Fest zu feiern, kleiden sich die Menschen in ihre besten Gewänder, und Kinder bekommen häufig neue Kleidung als Geschenk. Ebenso ist es üblich, dass Kinder von Verwandten und älteren Familienmitgliedern Geschenke oder Geld erhalten.

    Der Kauf neuer Kleidung für Eid al-Fitr ist auch in Deutschland üblich, aber nicht so weit verbreitet wie in Afghanistan. Ähnliche Traditionen werden in der muslimischen Gemeinschaft Deutschlands häufig beobachtet, aber das Ausmaß kann je nach persönlichen Vorlieben und finanziellen Möglichkeiten variieren.

    Familienbesuche und Gemeinschaftsgebet

    Während des Eid al-Fitr in Afghanistan sind Familienbesuche unerlässlich. Jüngere Familienmitglieder besuchen ältere Verwandte wie Eltern und Großeltern, um ihnen Respekt zu erweisen und die Feierlichkeiten gemeinsam zu genießen. Das gemeinsame Gebet in der Moschee ist eine religiöse Pflicht, die die Gemeinschaft zusammenbringt, um die Gebete zu verrichten und die spirituelle Bedeutung des Festes zu würdigen.

    Familienbesuche während des Eid al-Fitr werden in Deutschland häufig schwieriger, insbesondere wenn das Fest in der Woche stattfindet und die meisten Menschen keine Ferien haben. Obwohl das gemeinsame Gebet in der Moschee eine bedeutende religiöse Praxis ist, können die Feierlichkeiten eher auf die unmittelbaren Familienmitglieder beschränkt sein, da es schwieriger ist, die erweiterte Familie zu erreichen.

    Gemeinschaftsgeist und Wohltätigkeit

    Die Gemeinschaftsgefühle während Eid al-Fitr sind in Afghanistan sehr ausgeprägt. Menschen schmücken die Straßen mit Lichterketten, geben Bedürftigen Essen und teilen ihre Freude mit Freunden und Nachbarn. Die Wohltätigkeitstradition ist tief verwurzelt, und die Menschen sind bestrebt, anderen zu helfen und das Fest zu feiern.

    Der Geist der Gemeinschaft während Eid al-Fitr in Deutschland kann je nach Nachbarschaft und persönlichen Ansichten variieren. In nicht-muslimischen Umgebungen sind Feierlichkeiten oft weniger sichtbar und beschränkt auf die unmittelbare Familie, aber in muslimischen Gemeinschaften können ähnliche Praktiken der Wohltätigkeit und des Teilens von Essen beobachtet werden.

    Kulturelle Einflüsse und Duft des Festes

    Eid al-Fitr ist in Afghanistan buchstäblich in der Luft zu spüren. Der Geruch von traditionellen Gerichten erfüllt die Straßen, und die Musik von Menschen, die zusammen feiern, erfüllt die Luft. Das Fest wird von kulturellen Traditionen und Bräuchen geprägt, die eine einzigartige Atmosphäre der Freude und des Zusammenhalts schaffen.

    Eid al-Fitr mag in Deutschland weniger duftend sein, insbesondere in nicht-muslimischen Gebieten. Obwohl die muslimische Gemeinschaft ihre eigenen Traditionen pflegt und die Freude am Fest teilt, können kulturelle Unterschiede und individuelle Lebensstile dazu führen, dass die Feierlichkeiten weniger einheitlich sind.

    Eid al-Fitr wird sowohl in Afghanistan als auch in Deutschland als ein bedeutendes religiöses Fest gefeiert, jedoch mit unterschiedlichen Traditionen und Feierlichkeiten. In Afghanistan sind Gemeinschaftsgefühle und kulturelle Bindungen während der Feierlichkeiten stark ausgeprägt, während in Deutschland individuelle Lebensstile und kulturelle Vielfalt die Feierlichkeiten beeinflussen können. Eid al-Fitr bleibt jedoch eine Zeit des Gebets, der Freude und des Teilens, die die muslimische Gemeinschaft weltweit vereint, unabhängig von geografischen oder kulturellen Unterschieden.

     

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