Kategorie: Kolumne

Mal nachdenklich, mal witzig, mal herausfordernd – in regelmäßigen Abständen berichten unsere Kolumnisten von unterschiedlichen Themen, die sie gerade bewegen.

  • Europa: Humanität trotz Angst

    Situation in Griechenland

    Mit meiner Verlobten habe ich über die Situation an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei diskutiert. Sie hat mir gesagt, wir hätten von 2015 lernen sollen. Wir hätten die griechischen Inseln, auf der die Geflüchteten leben, unterstützen sollen. Wenn wir das gemacht hätten, könnten die Menschen da leben und die neuen Geflüchteten jetzt empfangen. Nun können sie nur ins Meer gucken und möchten ihnen nicht helfen. Die geflüchteten Kinder, die in Griechenland leben, hätten wir hierher nach Deutschland holen sollen. Wir hätten, wir hätten… aber am Ende wurde nichts gemacht, nur geguckt, was passiert.

    2015 und seine Folgen

    Niemand möchte 2015 wiederholen, das höre ich oft. Die meisten Politiker in Deutschland und Europa verhalten sich so, als wäre 2015 eine peinliche oder verbotene Geschichte passiert. Nein, 2015 darf sich nie wieder wiederholen. Obwohl 2015 für viele auch ein Moment der Hoffnung war und ein guter Moment für die berühmten europäischen Werte. Viele haben zu Europa „Chapeau“ gesagt! Endlich kann Europa auch ein paar seiner Werte für alle und nicht nur für die Europäer umsetzen.

    Was wir jetzt erleben ist auch ein direktes Ergebnis von 2015. Ich habe das Gefühl, wir haben viel diskutiert und wenig gelernt. Welcher Politiker hat sich für die Verbesserung der Situation in Griechenland stark gemacht? Wir haben nichts gelernt, weil wir Angst haben. Vielleicht haben die Menschen Angst um ihre Familien, ihre Dörfer, ihre Wohnungen, ihre Stadt und er 0der sie möchten nichts machen.

    Die Bilder von den Geflüchteten sind überall, aber die Angst ist stärker:

    Weil sich die Rechtsextremen in vielen europäischen Ländern verbreitet haben und sie viele Europäer überzeugt haben, dass Europa nur mit geschlossenen Grenzen leben kann. Die Angst ist auch stärker, weil Europa viele terroristische Angriffe von Extremisten von allen Seiten erleben musste. Und weil viele traditionelle Parteien sehr viele Stimmen verloren haben und die Menschen unsicher sind, wie die Zukunft aussehen kann. Viele Politiker haben auch Angst um ihre Position. Sie haben nicht den Mut zu sagen:“Egal was passiert, diese Menschen brauchen Hilfe“.

    Vielleicht ist die Gesellschaft auch müde von diesem Thema? Haben wir nicht alle genug geholfen? Ist es nicht mehr cool, am Hauptbahnhof zu warten und Menschen willkommen zu heißen? Für viele Fragen suchen wir die Antwort bei der Politik. Wir hoffen, dass die Politiker die Antworten kennen. Beim Thema Geflüchtete frage ich sie: was habt ihr davon gelernt?

    Fragen an die Politiker

    Was könnt ihr noch, außer nur zu diskutieren?:

    Hat Frau Merkel die Grenze geöffnet oder war die Grenze immer offen?

    Ist das Geld genug, um Europa und seine Werte zu unterstützen? So wie das Abkommen mit der Türkei, die mehr als 3 Millionen Geflüchtete  empfingen und 6 Milliarden Euro dafür bekommen haben, damit die Türkei Europa unterstützt?

    Ist die Katastrophe, die die Geflüchteten in Griechenland erleben, groß genug, damit sie verstehen können, dass Europa nicht mehr Geflüchtete empfangen kann oder möchte?

    Sollen sie mehr Schiffe auf das Mittelmeer schicken? Ist das Geld für Diktatoren (insbesondere die der nordafrikanischen Länder) genug, damit sie ihre Grenze schützen? Nach dem Motto: Wir dürfen unsere Humanität nur in Europa umsetzen, aber draußen ist es egal.

    Europas Verantwortung

    Was haben die europäischen Länder in Syrien gemacht? Versuchten sie eine Lösung zu finden? Haben sie versucht Russland zu unterdrücken oder  haben sie alle anderen Länder nach Berlin eingeladen, um ein Friedensabkommen zu schließen, wenn sie nichts direkt dagegen machen können?

    Jetzt sehen wir alle was an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland passiert. Kinder, Frauen, und Männer leben im Winter unter freiem Himmel. Sie möchten nur die Grenze überqueren und sie bekommen Pfefferspray und Tränengas, weil  Europa seine Grenzen schützen will. Die armen Leute dürfen nicht reinkommen, weil Europa sich nicht nur vor den Geflüchteten, sondern auch vor Rechtsextremen, die hier leben, schützen will. Aber das ist keine Lösung.

    Haben wir alle nach 5 Jahren „Willkommenskultur“ oder „Flüchtlingskrise“ akzeptiert, dass es kein europäisches Asylrecht gibt?

    Gibt es keine europäische Lösung und sollen wir Griechenland, oder Italien alleine lassen?

    Sollen die Kinder an der Grenze zu Europa keine Hilfe bekommen und sterben?

    Fragen über Fragen

    Wir sollten jetzt über die Realität nachdenken, nicht was wir machen sollen, sondern was wir machen können. Wie können wir die Geflüchteten unterstützen und ihnen helfen? Haben wir Angst?

    Wie können wir zwischen Angst und Humanität einen Kompromiss finden? Nicht in der Utopie, sondern im richtigen Leben und in der Welt, in der wir jetzt leben. Einer Welt, in der es Krieg, Waffen, Diktatoren und schlechte Politiker, arme Leute und Kinder, die an der Grenze unserer Welt sterben, gibt.

    Nicht nur Europa, sondern alle Menschen, die humanitär sind, befinden sich heute in einem großen Test.

    Europa kann nicht alle Geflüchteten empfangen, aber kann es vielleicht viele Geflüchtete unterstützen? Es könnte den Geflüchteten helfen, auch wenn diese nicht vor der Tür von Europa stehen. Viele Organisationen, Akademiker und Journalisten haben diese Möglichkeiten bereits aufgezählt. Es könnte mehr getan werden, um die Situation in Syrien strategisch zu lösen. Die UN könnte endlich wieder die benötigte Finanzierung bekommen. Oder die UN könnte überzeugt werden, ihre Hilfsgelder in Syrien nicht direkt an die von Assad kontrollierten Organisationen weiterzugeben.

    Können wir doch bereit sein, vielen Geflüchteten zu helfen, weil wir Mut dafür haben?

    Ist es möglich zu sagen, dass 2015 nicht eine Mutation oder ein Moment war, sondern ein Ergebnis unserer europäischen Werte, die wir nach dem zweiten Weltkrieg gelernt haben?

    Können wir sagen, dass wir nach 2015 sehr viele neue Projekte und Initiativen gegründet haben? Auch als Ehrenamtliche arbeiten wir und wir waren mehr als 6 Millionen. Wir haben  sehr viel Erfahrung damit gesammelt und wir möchten und können miteinander unter einem Dach arbeiten, wenn sie ein bisschen das bürokratische System vermeiden.

    Oder wir können einfach  ein paar Tweets oder Facebook Beiträge dagegen posten, und uns mit dem gutem Gefühl der Humanität einschlafen.

    Mit meinem Artikel möchte ich nur Fragen stellen. Fragen, die du vielleicht auch hast. Aber wer kann anfangen sie zu beantworten?

  • Niqab – Verbot ist nicht die Lösung

    Am Montagabend schaute meine Verlobte in ihren Twitteraccount und hat mich gefragt: Weißt du warum ich nicht die Grünen wählen möchte? Ich sagte, nein, warum? Sie zeigte mir eine Foto von Katharina Fegebank, die schreibt: „Für einen erfolgreichen Unterricht braucht es Kommunikation auf Augenhöhe. Dafür ist es wichtig, das Gesicht des anderen zu sehen. Bei einer Vollverschleierung ist das nicht möglich, daher lehnen wir sie ab. Laut OVG gibt es keine Grundlage für ein Verbot. Das müssen wir ändern.“

    Gründe gegen eine Veränderung des Gesetzes:

    Hier sind die Gründe, warum eine Veränderung des Gesetzes falsch ist:

    Erstens

    Ich bin nicht dafür, dass die Frauen einen Niqab oder Vollverschleierung oder Burka, oder Tschador tragen, aber ich bin auch nicht dagegen. Es gibt selbst unter den Muslime große Diskussionen, ob die Frauen das tragen sollten oder nicht. Ja, viele Frauen müssen eine Verschleierung tragen, obwohl sie sie nicht tragen möchten. Zum Beispiel im Iran, in Saudi-Arabien und in vielen anderen muslimischen Ländern.

    Aber die Frauen sind da unterdrückt. Nicht nur aus religiösen Gründen, sondern auch aus politischen. Der diktatorische Präsident oder König oder Prinz hat mit dem radikalen Teil der muslimischen Bevölkerung kooperiert. Die Frauen und die anderen dürfen nicht machen was sie möchten, weil sie in einer diktatorischen Gesellschaft leben, in der sie nicht denken oder diskutieren dürfen. Gott sei Dank leben wir hier in einer demokratischen Gesellschaft und alle dürfen machen oder tragen was sie möchten. Egal, was wir darüber denken, oder ?
    Wenn die Menschen hier mit den Werten von Freiheit aufwachsen, dann können sie auch alleine Entscheidungen treffen und brauchen nicht unsere Meinung dafür, oder?

    Zweitens

    Wir sprechen hier über ein bestimmtes Mädchen. Warum benutzen die Politiker das in ihrem Wahlkampf? Das Mädchen möchte nur zur Schule gehen, aber die Politiker sind anderer Meinung. Darfst du keine anderen Werte haben? Darfst du nur zur Schule gehen, wenn du unsere Gedanken übernimmst?

    Wir sprechen hier über eine bestimmte Geschichte, über eine 16-jährige Schülerin. Jeder Politiker kann das Mädchen fragen, ob sie den Niqab tragen möchte oder ihre Eltern sie zwingen, ihn zu tragen. Wenn wir über einen bestimmten Zustand sprechen, dürfen wir nicht allgemein sprechen. Wir dürfen nicht sagen, nein, wir haben einen anderen Glauben und ein anderes Urteil dafür. Das ist ein Vorurteil. Es wäre schön, wenn die Politiker sprechen, um eine Lösung zu finden und nicht handeln, um mehr Stimmen zu bekommen.

    Drittens

    Als ich in Deutschland ankam, habe ich sehr oft gehört, dass es hier in Deutschland ein Grundgesetz und Gerichte gibt. Wir sollten das als Geflüchtete akzeptieren und nichts dagegen machen. Nun habe ich mich gefragt: Was ist mit Politikern, die das Gerichtsurteil nicht akzeptieren und finden , dass ihre Meinung wichtiger ist als das Urteil? Sie finden, dass es ein Loch im Gesetz gibt und es ein neues Gesetz dafür geben muss. Dürfen wir das als Migranten auch machen? Z.B. wenn wir rassistisch beleidigt werden und das Gericht sagt, es waren nur Worte?

    Viertens

    Ich kann gut verstehen, wenn die Schule sagt, dass die Leute im Unterricht die Gesichter voneinander sehen sollen, weil das besser für alle ist. Lasst uns darüber auf jeden Fall sprechen und diskutieren. Aber ich kann nicht verstehen, warum es neue Gesetze darüber geben muss und alle  Parteien außer der Linken dies schnell unterstützen.

    Sie unterstützen dies doch nicht, weil das demokratische System nicht funktioniert, wenn die Leute ihr Gesicht abdecken. Auch nicht, weil der Niqab ein Symbol für Unterdrückung ist. Die Unterstützung ist auch nicht, weil diese Werte mit den deutschen Werten nicht zusammenpassen, sondern weil viele Deutsche Angst vor dem Niqab haben. Das kann ich auch verstehen. Aber es ist besser, wenn die Politiker das auch äußern, als wenn sie sagen, wir akzeptieren ihre Werte nicht, weil die falsch sind. Ihr sollt nur unsere Werte tragen, um hier leben zu dürfen. Unsere Werte und Leitkultur sind die besten. Alle sollten diese Werte tragen. Wir sind am besten. Wir haben große Vorurteile gegen euch und eurer Werte und wir akzeptieren das nicht.

    Fünftens

    Auch viele arabische Länder verbieten den Niqab in der Uni oder in der Schule zu tragen. Zum Beispiel Ägypten: Die Abteilung für Berufungs-Prüfung – das Oberste Verwaltungsgericht des Staatsrates – entschied am 27.1.2020, die Berufung von 80 verschleierten Forschern an der Universität Kairo abzulehnen und die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom April 2015 zu unterstützen ebenso wie die Entscheidung des Präsidenten der Universität Kairo, den Schleier für Fakultätsmitglieder zu verbieten. Hier ist das Vorbild für die Lehrerin nicht für die Schülerinnen. Auch eine zweite Uni hat die Verschleierung verboten. Aber wir dürfen nicht zwischen Ägypten und seinem diktatorischen System und seinem Streit mit den muslimischen Brüdern, und  Deutschland mit seinem demokratischen System und seiner Toleranz für alle Religionen vergleichen.

    Sechstens

    Wo ist die gleiche Augenhöhe? Hast du die Meinung des Mädchens auch akzeptiert, oder versucht zu verstehen? Hast du dich als Politiker gefragt: Warum möchte das Mädchen den Niqab tragen, obwohl sie hier aufgewachsen ist? Sie hat eine deutsche Mutter, die 2015 zum Islam konvertiert ist und warum sind Mutter und Tochter diesen Schritt gegangen? Muss das ein Thema im Wahlkampf sein?

    Siebtens

    Warum können die Deustchen mit ihrem Vorurteil gegen Muslime nicht anders umgehen? Können sie nicht verstehen, dass die Muslime, die hier in Deutschland leben, anders sind als in Saudiarabien oder im Iran? Warum können sie nicht tolerant mit dem Thema umgehen? Können sie nicht mit den deutschen Muslimen diskutieren und einen Mittelweg finden? Der Islam sowie andere Religionen braucht Freiheit und sehr viele Diskussionen, um sich zu entwickeln. Der Islam kann sich nur hier in Europa entwickeln. Mit Toleranz für die jeweiligen Werte können wir miteinander leben. Die Deutschen sollten mehr Toleranz haben, denn sie sind die Mehrheit.

  • Alte und neue Intellektuelle

    Ich habe einen Artikel von Yahya Alaous über syrische Schriftsteller und YouTuber in der Süddeutschen Zeitung gelesen. In diesem Artikel kritisiert Herr Alaous nicht nur die jungen Syrer, die  mit ihrem Talent in Deutschland angefangen haben, sondern er sagt auch, dass die Deutschen, wegen der neuen Schriftsteller, ein schlechtes Bild der syrischen Kunst- und Literaturszene haben.

    Auf jeden Fall haben viele Syrer sich  hier in Deutschland als Journalist oder Schriftsteller präsentiert, obwohl sie das zuvor nicht waren. Aber wir sollten uns die Frage stellen, warum und ob wir das mit einer neuen Perspektive sehen.

    Die Zensur in Syrien

    Die syrischen Intellektuellen (nicht alle jedoch eine Mehrheit) haben in Syrien sehr viel Kritik geübt, weil sie nicht Teil der Revolution waren. Sie haben die Revolution kritisiert, nicht nur weil sie  draußen vor den Mocheen stattfand und das hatte für viele eine religiöse Bedeutung, sondern auch weil sie sehr überrascht waren von dieser Revolution und von den Jungen, die die Revolution initiiert haben. Zudem hatten sie keinen Bezug zu den jungen Menschen, da sie sie nicht kannten.

    Sie waren entweder in ihrer linken Traumwelt, dass sie eine Revolution in den 60er Jahre gemacht haben, oder sie haben eine neue Absprache mit der Regierung getroffen, laut derer sie nichts gegen die Regierung schreiben und diese im Gegenzug sie, die Intellektuellen, unterstützt. Nur die Regierung darf in Syrien die kulturelle Berichterstattung unterstützen, da sie großen Respekt vor dem Einfluss der Literatur hat und dadurch die Kontrolle behält. Keine Berichterstattung  ist erlaubt von Schriftstellern, die gegen die Regierung in Syrien schreiben. Einzig diejenigen, die  für die Regierung schreiben oder die sie nicht kritisierten, dürfen veröffentlichen und Geld verdien. Vitamin B, hat hier einen großen Einfluss genauso wie Beziehungen innerhalb der eigenen Familie. Hat bereits der Vater in diesem Bereich gearbeitet, dann weiß er auch, wie es hier läuft und sagt das seinem Sohn oder seinen Verwandten.

    Neue Möglichkeiten im Exil

    Viele Leute jedoch haben auch gegen all das gekämpft. Und sie wurden bekannt, weil sie in ein arabisches Land oder nach Europa gegangen sind, wo sie die Möglichkeit hatten erfolgreich zu werden.

    Viele junge Leute, die zur gleichen Generation gehören, die auch bei der Revolution mitgemacht haben sind nun nach Europa und Deutschland gekommen. Durch das vielfältige Angebot der Willkommenskultur haben sie die Chance, ihr Talent präsentieren und/oder im Kulturbereich arbeiten zu können.

    Markt und Publikum bestimmen den Erfolg

    Ich möchte mit meiner besonderen Geschichte anfangen. Ich bin in der Mittelschicht in Syrien aufgewacht. Die Chancen, die ich hier in Deutschland bekommen habe, hätte ich nicht in Syrien bekommen können.

    Viele können diese Chance nutzen, weil sie entweder Englisch sprechen oder Deutsch schnell gelernt haben. Sie haben mit den Ehrenamtlichen zeitnah Kontakt geknüpft, und diese haben ihnen gezeigt, welche Möglichkeiten sie nutzen können hier in Deutschland zum Erfolg zu kommen, wie die deutsche Gesellschaft funktioniert und wo sie neue Kontakt knüpfen können. Ich sage nicht, dass all diese jungen Schriftsteller gut oder schlecht sind, weil diese Entscheidung muss der Markt treffen, nicht ich.

    Viele Syrer haben Sachbücher geschrieben, die erfolgreich waren, weil sie nicht nur gut geschrieben waren, sondern auch, weil sie von Syrern geschrieben wurden und von 2015 bis 2017 die syrische Kultur einen großen Markt hatte. Aber die große Frage ist, ob diese Jungen Autorinnen und Autoren weiter machen können, ob diese Leute ihren Erfolg weiter nutzen. Die Antwort hängt davon ab, was der Markt sagt. In Deutschland hat die Nachfrage am Markt einen großen Einfluss. Die Verlage, die diese Bücher drucken, müssen mit den gedruckten Werken Geld verdienen, deswegen müssen es Bücher sein, die die Leute kaufen. Und Leser lesen nur gute Bücher von guten Autoren.

    Zivilgesellschaftliche Institutionen,

    Es gibt zivilgesellschaftliche Institutionen, die Syrer als Geflüchtete unterstützen, aber auch die Institutionen arbeiten am Markt und sie wählen aktuellen Themen. Und nicht immer möchten sie mit der Willkommenskultur oder Geflüchtete arbeiten, sondern auch mit anderen Themen wie Umwelt, Rechtsextremismus und so fort. Die Leute können nicht weiter machen, wenn sie schlecht sind oder wenn sie ihren Erfolg nicht gut benutzen können.

    Aber wir dürfen nicht vergessen, was die sozialen Medien bewirken können. Viele geflüchetete junger Syrer haben die sozialen Medien stark genutzt und haben sich ihre eigene Communty aufgebaut. Und diese hat auch Einfluss.

    Wer gehört zu den Intellektuellen?

    Wer darf zu den Intellektuellen zählen und wer nicht, das ist große Frage. Jeder kann dazu seine Meinung sagen, aber das ist keine Herausforderung. Weil wir in einer persönlichen Gesellschaft leben, nicht in einer diktatorischen Gesellschaft, die der Gesellschaft und uns sagen darf, wer wir sind und welcher Gruppe wir angehören.

    Genauso ist es das Publikum, welches bestimmt, ob es interessant ist, was der oder die Schriftsteller(in) geschrieben hat. Und in den sozialen Medien ist es nicht nur wichtig, was du schreibt, sondern wie du dich verkaufen kannst.

    Jeder darf zur Stimme der eigenen Kultur werden

    Und ich darf auch nicht sagen, wer die syrische Kultur präsentieren darf, weil wir leben jetzt in einer individuellen Gesellschaft, und alle dürfen ihre Geschichte und ihr Perspektive zu ihrer Kultur äußern.

    Wer kann die syrische Kultur besser präsentieren? Die Leute, die in ihren Büchern leben und die den Schmerz der Menschen vergessen haben oder was die armen Leute beschäftigt oder diejenigen, die den Schmerz erlebt haben? Jeder darf seine Perspektive und sein Verständnis von der Kultur präsentieren.

    Die Literatur entwickelt sich weiter im Exil

    Ich spreche auch von dem menschlichen Teil der Kultur, Alltagskultur, die aus den Beziehungen mit den Deutschen entstanden ist. Diese hat auch einen Wert und hat unsere Literatur weiterentwickelt. Die Offenheit zu anderen ist ein großer Vorteil nach der Revolution, weil wir in Syrien uns selbst die Syrer nicht kennen, und auch wir kennen die anderen Kultur nur durch die Propaganda. Und jetzt können wir von anderen Kultur auch lernen und weiterentwickeln.

    Der Autor vergisst die Zukunft und die syrischen Intellektuellen der Zukunft. Sie wachsen jetzt auf, im Exil. Sie folgen nicht den Beleidigungen oder den Regeln der alten Generationen. Sondern, sie leben ihre Freiheit und in ihrer Freiheit können sie ihre Talente und Gedanken entdecken.

  • Cool und neu: Integration in Deutschland

    Mit der Zeit habe ich mich mit vielen coolen Leute getroffen, und sie haben mich sehr viel unterstützt. Aber ich habe auch uncoole Leute getroffen, die mich auch sehr viel unterstützt haben. Was bedeutet: coole Leute und uncoole Leute?

    Ich war auf der coolen Schanze und wie ihr wisst, gibt es dort sehr coole Geschäfte und Restaurants. Und an der Tür eines Geschäfts habe ich ein paar coole Leute gesehen. Da war ein cooler Mann, eine coole Frau und ein cooles Kind. So ist in meinem Kopf eine coole Geschichte entstanden.

    Eine coole Geschichte

    Ein cooler Mann hat eine coole Frau geheiratet und sie haben ein cooles Kind bekommen. Der coole Mann und seine coole Frau gehen nur zu coolen Restaurants und essen auch nur cooles Essen. Und sie bezahlen coole zehn Euro für einen coolen Kaffe, der aus einem coolen Land kommt.

    Natürlich haben sie coole Jobs und bekommen ein cooles Gehalt. Deshalb kaufen sie auch nur coole Sachen. Sie leben in einer coolen Wohnung auf einem coolen Stadtteil. Selbstverständlich haben sie nur coole Freunde.

    Die coole Sprache

    Das coole Paar spricht eine coole englische Sprache, weil die deutsche Sprache uncool ist. Wenn sie die uncoole deutsche Sprache sprechen, dann machen sie extra neue coole grammatische Fehler. So finden sie beispielsweise, dass nach „wegen“ der coole Dativ sein sollte, und nicht der uncoole Genitiv. Dabei wissen sie vielleicht gar nicht, was Dativ und Genitiv sind und was der Unterschied zwischen beiden ist. Aber es sollte cool sein nach  „wegen“ dem zu sagen, anstelle des uncoolen  „des„.

    Manchmal  vergessen sie das S zwischen zwei Wörtern, wie bei FlüchtlingSmagazin, oder StiftungSversammlung. Oder sie vergessen ein Koma zwischen zwei Satzteilen. Es kann auch sein, dass sie den ersten Buchstaben eines  Namens klein schreiben. Oder sie schreiben „du weisst“ mit zwei coolen s statt eines uncoolen ß wie z.B. bei „weißt du“?

    Die coole Gesellschaft

    Die coolen Leute treffen natürlich auch nur coole Leute und sie lernen nur coole Leute kennen. Und im Laufe der coolen Zeit haben sie auch eine coole  Gesellschaft aufgebaut. Sie laufen nur im coolen Kreis. Aber nebenbei gibt es noch eine uncoole Gesellschaft, die manchmal die coolen Leute in ein uncooles Geschäft verwickeln, um dann zur uncoolen Gesellschaft zu gehören.

    Nun ist hier die Frage: welche Leute, die coolen oder die uncoolen, schaffen die Integration? Beide sind Deutsche, nicht uncoole Ausländer?

    Welche Sprache der Gesellschaft sollen die Ausländer lernen? Man sollte nicht vergessen, dass es sehr coole Ausländer gibt, die in Deutschland leben.

    Sollten die uncoolen Leute lernen, wie sie cool sein könnten? Oder sollen die coolen Leute lernen, wie sie uncool sein könnten?

    Cooles oder uncooles Deutschland?

    Das ist die große Frage, wie soll  Deutschland sein? Cool oder uncool?

    Das Problem ist, dass coole Leute keine coole Partei haben, obwohl die uncoolen Leute sieben Parteien oder mehr haben. Das ist uncool unfair.

    Vielleicht brauchen die coolen Leute auch eine neue coole Partei? Die coolen Leute könnten die jungen oder die Leute aus Westdeutschland sein. Die uncoolen Leute könnten die älteren oder die Leute aus Ostdeutschland sein.

    Es kann auch anders sein: die coolen Leute sind die Deutschen und die uncoolen die Migranten, Ausländer oder Geflüchteten. Aber immer sieht eine Gruppe sich als die Coolen an und die anderen als die Uncoolen. Mit der Zeit wird die Gesellschaft immer unübersichtlicher.

    Die zwei Gesellschaften, coole und uncoole, sollten uns Ausländer in einer Gesellschaft integrieren, um miteinander und nicht nebeneinander zu leben. Denn sehr viele coole oder uncoole Deutsche sollten auch Integration lernen. Sie sollten auch die Integration schaffen, wie die Ausländer.

  • Warum ich bei Flüchtling an Erfolg denke. Ein Kommentar

    Ich habe dieses Magazin gegründet, damit Flüchtlinge über ihre Meinungen und Probleme sprechen können. Und ich wusste, dass Flüchtling eine negative Bedeutung auf Deutsch hat, wegen der Endung LING, die dieses Wort kleiner macht. Es gibt eine große Diskussion über die Verwendung von Flüchtling oder Geflüchtete. Der erste Begriff beschreibt diese Gruppe nicht nur im negativen Sinne, sondern auch weil dies nur den Weg der Flucht darstellt. Der Begriff Geflüchtete dagegen meint auch das Ankommen an einem bestimmten Ort.

    Mit dem Magazin Vorurteile abbauen

    Mit dieser Diskussion habe ich die Entscheidung getroffen, dass die Begriffe Flüchtlinge oder Geflüchtete für uns nicht unterschiedlich sind. Wir können auch dem Wort Flüchtling durch unser Magazin eine neue Bedeutung geben. Die Menschen könnten ihre Vorurteile gegenüber Geflüchteten abbauen.

    Aber leider werden mein Magazin und ich von vielen kritisiert. Nicht nur von rechten Leuten, die die Geflüchteten als den Teufel sehen. Es kommt auch Kritik von links, von Menschen, die den Begriff „Flüchtlinge“ nicht mögen. Für sie ist das Wort Flüchtling wie ein Schimpfwort. Und es gibt auch ein paar Geflüchtete selbst, die diesen Begriff nicht akzeptieren. Denn er beschreibt eine bestimmte Gruppe, zu der sowohl gute als auch schlechte Menschen gehören.

    Negative Bedeutungen

    Die vielen Diskussionen haben die Vorurteile nur verstärkt. Die Medien beschreiben mehr als 1.600.000 Menschen als eine Gruppe mit geteilten Eigenschaften, die für viele Probleme hier in Deutschland verantwortlich sind. Deswegen wollen viele Geflüchtete nicht zu dieser Gruppe gehören. Sie finden, dass die Begriffe Ausländer oder Migrant besser passen.

    Einige Geflüchtete akzeptieren die deutschen Gesetze nicht, sie möchten lieber ihre eigenen Gesetze hier in Deutschland umsetzen. Das sind oft diejenigen, die in den Medien als Geflüchtete präsentiert werden und somit auch die größere Mehrheit der Flüchtlinge mit beinhalten, die anders sind, die ein friedliches Leben suchen. Unsere Gesellschaft verdächtigt mit der Zeit alle Flüchtlinge. Normalerweise gilt: Der Angeklagte ist unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist. Bei Geflüchteten ist dies leider anders: Die Geflüchteten sind schuldig bis ihre Unschuld bewiesen ist.

    Um zu einer anderen Gruppe zu gehören und um gegen diese Vorurteile zu kämpfen, haben einige Geflüchtete beschlossen, dass sie nicht mehr als Geflüchtete betitelt werden wollen.

    Kategorisierungen in Deutschland

    Unsere Gesellschaft kategorisiert Menschen nach ihrer Abstammung und ihrer Geschichte. Diese Kategorien sind zwar nicht fest, sondern eher flexibel, man kann sie nicht immer sehen oder fühlen. Aber es gibt fast jeden Tag neue Diskussionen über diese Gruppen, was sie machen dürfen und was nicht. Der Vergleich mit anderen Gruppen ist hoch. Deswegen wollen viele nicht zu diesen Gruppen gehören.

    Viele Geflüchtete meinen, sie hätten verstanden, dass Geflüchtete keine gute Kategorie ist. Deswegen würden viele gerne zu einer anderen Gruppe gehören, zu einer Gruppe, die mehr Rechte hat. Die Gesetze, die für Deutsche gelten, gelten oft für Geflüchtete nicht.

    Sich schämen oder stolz sein?

    Was ist besser: Dass ich sage, ich bin nicht Geflüchteter, oder dass ich sage, ich bin ein anderer Geflüchteter und nicht so, wie sie in den Medien dargestellt werden? Oder ich erkläre, dass ich Geflüchteter aufgrund meiner Geschichte gewesen bin, es jetzt aber nicht mehr bin, weil ich in Deutschland angekommen bin? Klar ist, dass die Flucht Teil meiner Persönlichkeit, meiner Geschichte ist. Warum also sollte ich mich für meine Geschichte schämen oder sie vielleicht sogar leugnen? Nur weil die Menschen keine Geflüchteten mögen oder Vorurteile haben? Warum sollte ich hochnäsig gegenüber anderen Flüchtlingen sein, nur weil andere Leute mir gegenüber hochnäsig sind? Das ist genau das, was in Diktaturen passiert. Warum sollte es also auch hier passieren?

    Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling

    Eine Freundin hat mir über einen Syrer erzählt, der sich mit den Worten vorgestellt hat, er komme zwar aus Syrien, sei aber kein Flüchtling, weil er nicht illegal nach Deutschland eingereist sei. Obwohl er Syrien wegen des Krieges verlassen hat, sehe er sich nicht als Flüchtling und er möchte auch nicht zu der Gruppe gehören, die 2015 hier in Deutschland angekommen sind. Und obwohl er zu einem Volk gehört, dass den Krieg erlebt hat und deswegen geflohen ist, will er selbst nicht zu dieser Gruppe gehören. Vielleicht, weil er sich für etwas Besseres hält. Vielleicht aber auch, weil er weiß, dass die Deutschen diese Gruppe nicht mögen.

    Meine Erfahrungen mit der Kunst

    Ich habe selbst auch die Erfahrung mit ein paar Künstlern gemacht, mit denen ich Interviews machen wollte. Sie haben mir gesagt, dass sie sich nur als Künstler präsentieren, nicht aber als Geflüchtete. Also haben sie Interviews abgelehnt, weil sie nicht mit einem Beitrag im Flüchtling-Magazin erscheinen, also nicht als Flüchtlinge gesehen werden wollen. Es sind Menschen, die eben stolz auf ihre Kunst sind, nicht aber auf ihre Herkunft, ihre Geschichte.

    Der Begriff Flüchtling hat eine sehr negative Konnotation, eben dadurch, was die Medien und Politiker so publizieren. Der Begriff beschreibt eine ganz bestimmte Gruppe, mit ihm werden oft arme oder sogar kriminelle Menschen assoziiert, nicht aber Menschen, die hier ein neues Leben beginnen wollen und einfach nur als Menschen gesehen werden wollen.

    Vertriebene oder Flüchtlinge?

    Während ich diesen Kommentar verfasse, erinnere ich mich an meine Zeit in Syrien. Meine Eltern kommen aus Golan, sie sind im Jahr 1967, als sie jung waren, nach Damaskus geflohen, wegen den Angriffen von Seiten Israels auf das Gebiet rund um Golan. Meine Vater war zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt, meine Mutter sogar erst zehn. Sie haben dann sehr lange in Damaskus gelebt und dort neun Kinder bekommen. Meine Geschwister und ich sind alle in Damaskus aufgewachsen, haben an der dortigen Universität studiert und in der Stadt gearbeitet. Wir sind Vertriebene aus Golan. Ich bin also Vertriebener und gleichzeitig auch Flüchtling.

    Für Flüchtling eine andere Bedeutung finden

    Abschließend möchte ich sagen: Wir bleiben Flüchtlinge, vielleicht auch in unseren Gedanken, und vielleicht auch wegen der Gründe, wegen denen wir nach Deutschland gekommen sind. Und wir werden uns nicht wegen unserer Geschichte schämen. Wir werden stolz sein, weil wir uns hier eine neue Zukunft aufbauen. Wir werden also eine andere Bedeutung für das Wort Flüchtling finden, eine Bedeutung, die mehr unseren Erfolg damit assoziiert: Unseren Erfolg, dass wir eine neue Sprache gelernt haben. Dass wir neue Freunde gefunden haben und ein neues Zuhause. Dass wir erfolgreich arbeiten oder eine Ausbildung machen. Und selbstverständlich auch den Erfolg, dass wir der Gesellschaft, in der wir nun leben, das zurückgeben werden, was sie für uns getan hat.

    Nur unserer Erfolg kann unsere Gedanken über dieses Wort, über diesen Begriff, ändern.

  • Der Islam und die Demokratie

    „Sind der Islam und die Demokratie miteinander vereinbar?“ Vor ein paar Monaten besuchte ich in Hamburg eine Veranstaltung mit diesem Titel.
    Frau Dr. Shirin Ebadi, eine Iranerin die heute in London lebt, war eingeladen und hielt eine Rede zu dem Thema. Dr. Ebadi ist eine beeindruckende Frau, nicht nur weil sie 2003 den Friedensnobelpreis für ihr Engagement für die Freiheit von allen Menschen und vor allem von Frauen im Iran gewonnen hat. Trotzdem habe ich mich am Anfang der Veranstaltung gefragt, warum Dr. Ebadi diese Frage stellt: Islam und Demokratie? Warum bekomme ich keine Einladungen für Veranstaltungen über das Christentum und die Demokratie, oder den Hinduismus und die Demokratie? Was ist am Islam so besonders in dieser Diskussion?

    Mehr beachten als den muslimischen Glauben

    Meine Erfahrung ist, dass Religion und Demokratie in Europa gemeinsam funktionieren, obwohl das nicht immer einfach war. Europa hat viel Erfahrung mit diesem Thema gemacht, auch wenn sie sehr viel Zeit gebraucht hat und viele Menschen dafür sterben mussten. Heute sagen alle, dass das Christentum mit der Demokratie vereint werden kann. Das stimmt auch für manche muslimische Länder, zum Beispiel Tunesien, Malaysia oder der Türkei. Diese Länder hatten oder haben demokratische Systeme und die Gesellschaften leben mit mehr Freiheiten als andere. Und natürlich leben viele Muslime (ungefähr 25,8 Millionen) in europäischen Ländern, wo sie demokratische Systeme und Gesetze erleben und mitgestalten. Für mich wurde die Frage „Islam und Demokratie?“ schon vor einer langen Zeit beantwortet, verschiedene Beispiele der Geschichte zeigten es mir.

    Aber wenn mir jemand heute die Weltkarte der Freiheit (zum Beispiel bei Freedom Index) zeigt, sehe ich da, wo die meisten Muslime leben, fast nur unfreie Länder. Die Frage, warum muslimische Länder (bis) heute nicht demokratisch sind, ist also noch wichtig und richtig. Aber könnten wir nicht bei der Antwort mehr beachten, als den muslimischen Glauben? Wenn wir diskutieren, ob Venezuela noch eine Demokratie ist, diskutieren wir dann nur über den katholischen Glauben?

    Westliche Kleidung bedeutet nicht unbedingt Freiheit

    Wenn wir in der Geschichte zurückgehen, gibt es einen Zeitpunkt, wo der Glaube benutzt wurde, um politische und soziale Veränderungen durchzusetzen. Ich fange an mit Afghanistan, dem Iran und auch Saudi-Arabien in den 60er und 70er Jahren. Aus dieser Zeit können wir Bilder und Berichte von muslimischen Menschen finden, die auf dem Weg waren, in einer offenen Gesellschaft zu leben. Oft werden Bilder von Frauen aus Afghanistan und dem Iran gezeigt, die damals in kurzen Röcken und ohne Hijab in der Öffentlichkeit waren. Ich meine nicht, dass diese Bilder Freiheit zeigen. Im Iran hat der Shah 1936 alle muslimischen Kopfbedeckungen verboten. Wir können also westliche Kleidung nicht immer mit Freiheit verbinden. Aber dass mehr Menschen zur Schule und zur Universität gehen durften, war ein Fortschritt, genauso wie das Frauenwahlrecht im Iran.

    Ich muss dazu schreiben, dass diese kleinen Freiheiten nur in den großen Städten der Länder ausgelebt werden konnten und in den Dörfern noch viele konservative und traditionelle Gesellschaften lebten. Viele Menschen haben auch in diesen Jahren nichts gewonnen, sondern mussten mit Armut, Ungerechtigkeit und ohne Bildung weiterleben.

    Der Anfang vom Terror im Namen des Islams

    Im Jahr 1979 passierten drei Dinge, die die Region in ihrer Entwicklung zurückgeworfen haben. Aus der Entwicklung zu einem „mini-demokratischen“ System wurden geschlossene und auch sehr konservative Gesellschaften. Als erstes kam im Februar 1979 die Islamische Revolution im Iran und wie wir alle wissen, hatte Khamenei großen Erfolg damit, durch die Revolution ein konservativ-islamisches System zu schaffen. Diese Revolution war allerdings nicht von Anfang an eine islamische: Ab 1978 wurden viele Demonstrationen gegen das Shah-Regime von unterschiedlichen Gruppen organisiert. Liberale, Konservative, Nicht-religiöse, Kommunisten und auch religiöse Gruppen. Viele Menschen waren unzufrieden mit dem Shah, nicht weil sie Muslime waren, sondern weil sie aus politischen oder sozialen Gründen gegen ihn waren.

    Zweitens passierte in Saudi-Arabien Ende November 1979 der „Vorfall von Mekka“. Ungefähr 500 Terroristen übernahmen mit Waffen die größte und wichtigste Moschee in Mekka. Bei der Besetzung mussten mehr als 1000 Menschen sterben. Die Angreifer waren Extremisten, die während der Pilgerzeit den heiligsten Ort für gläubige Muslime angriffen, um ihre politischen Ziele gegen die Königsfamilie zu schaffen. Erst nach zwei Wochen hat der König die Erlaubnisse von vielen Imamen bekommen, die Terroristen anzugreifen. Er musste dafür aber die saudische Gesellschaft wieder zurück in konservative Zeiten bringen. In den Jahren davor gab es neue kulturelle Entwicklungen, die das Land ein bisschen offener machten, wie zum Beispiel Kinos für die Öffentlichkeit. Der Angriff war das erste Mal, dass Politik, Gewalt und Islam so zusammen gekommen sind. Viele sagen deswegen, dass dieser Angriff der Anfang vom Terror im Namen des Islams war.

    Das Jahr 1979 – ein Wendepunkt

    Am 25. Dezember 1979 marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein, um die sozialistische Regierung zu unterstützen. Viele benutzten schnell diesen Krieg, um zu sagen, die „Ungläubigen“ aus dem Ausland greifen andere Muslime in Afghanistan an. Viele Länder haben den Kampf gegen die sowjetische Armee unterstützt, zum Beispiel durch Waffen und finanzielle Mittel. Und auch, indem sie Stimmung gemacht haben, um Gläubige zu überzeugen nach Afghanistan zu reisen und zu kämpfen. Diese Überzeugungen waren dann auch für die USA ein Vorteil, weil sie zu der Zeit den Einfluss der Sowjetunion stoppen wollten, egal wie.

    Diese drei Ereignisse sind alle kompliziert genug, um über jedes ein eigenes Buch zu schreiben. Aber um es kurz zu machen: Nach 1979 wurden nicht nur in diesen drei Ländern radikal-konservative Systeme geschaffen. Ihre Probleme griffen auch auf das Ausland über und haben fast alle anderen Länder in der Region beeinflusst. Afghanistan, Iran, Saudi-Arabien, Syrien, Ägypten, wer die Zeit zum Lesen hat, kann viele Entwicklungen finden, die mit 1979 zusammenhängen. Und wenn wir beantworten wollen, warum viele Muslime heute nicht in freien Ländern oder in Demokratien leben, ist das Jahr 1979 sehr wichtig.

    Trennung zwischen Religion und Staat

    Lassen sich die Ergebnisse und Folgen aus diesem Jahr heute wieder verändern?
    Dr. Ebadi sagte in ihrem Vortrag: „Grundlegende Veränderung im Iran ist weiterhin möglich, wenn die Verfassung geändert wird.“ Am Wichtigsten für uns als Muslime sei die Trennung zwischen dem Islam und dem Staat. 40 Jahre nach der Revolution im Iran, nach der die Religion und der Staat verheiratet wurden, frage ich mich was der erste Schritt zur Trennung sein muss. Und ich frage mich, ob es diese Trennung irgendwo in der Welt gibt. Wenn meine Freunde in Deutschland die Kirchensteuer bezahlen, leben sie in einem Staat ohne Religion? Ich bin nicht gegen diese Steuer, aber das ist vielleicht ein Punkt, den wir an anderer Stelle diskutieren können.

    Demokratie durch Bildung

    Dr. Ebadi sagte auch, dass fehlende Bildung „die Wurzel des Problems“ ist. Also, dass ohne Bildung keine demokratischen Systeme möglich sind. „Despoten“, sagte sie, „sind gegen Bildung und gegen Wissen“, weil es so viel leichter ist, die Menschen zu kontrollieren, wenn sie ungebildet bleiben müssen. Sie sagte, andere Länder sollten Bücher und keine Bomben über ein Land wie Afghanistan werfen. Ich habe dabei an Syrien gedacht, wo ich geboren und aufgewachsen bin. Meistens sagen wir, Syrien hat viele gebildete Menschen. Zum Beispiel gibt es nur sehr wenige Menschen, die nicht lesen oder schreiben können (laut der CIA können 91,7% der Männer und 81% der Frauen in Syrien lesen und schreiben). Oder konnten wir vor 2011 wenigstens positiv über die Bildung im Land sprechen. Und trotzdem gab es in Syrien radikale Menschen, die nach der Revolution 2012 ihren eigenen Krieg angefangen haben. Ich sage damit nicht, dass Bildung keine Lösung ist, auf jeden Fall ist es ein großer und wichtiger Teil. Aber vielleicht kann ich zu den Lösungen von Dr. Ebadi noch mehr Punkte hinzufügen.

    Bildung bedeutet Fragen stellen

    Bildung ist für mich ein sehr großes Wort, es hat für mich viele Bedeutungen. Zum Beispiel bedeutet Bildung, dass ich lesen und schreiben kann, aber auch ob ich gelernt habe zu denken und nachzufragen. Diese Art der Bildung ist auch die Aufgabe von unabhängigen Medien und Journalisten. Sie können Menschen dabei unterstützen, Fragen zu stellen und das System in dem sie leben, nicht ohne Diskussion zu akzeptieren. Ich habe erst in meinem Exil in Deutschland gelernt, wie ich mich durch mich selbst kennenlernen kann und nicht nur durch die Gesellschaft, die mir zeigt, wie ich und alles um mich herum sein sollte. Hier diskutiere ich und finde meinen persönlichen muslimischen Glauben, anstatt einfach zu glauben, was andere über den Islam sagen. Mit der Möglichkeit nachzufragen und nachzudenken werden wir anders gebildet. Ich finde, ein Ergebnis von 1979 war zum Beispiel, dass diese Art der Bildung nicht mehr stattgefunden hat. Es wurde nicht akzeptiert und als gefährlich für die Gesellschaft gesehen, wenn eine Person Fragen stellte. Warum entscheidet meine Familie, was für mich am Besten ist? Warum glaube ich? Wer sagt mir, wen ich lieben darf? Warum darf ich mich nicht politisch engagieren? Warum darf ich nicht meine Träume leben?

    Freiheit ist die Belohnung

    Wenn das Nachfragen und Hinterfragen nicht akzeptiert wird, egal zu welchem Thema, dann kann keine demokratische Gesellschaft wachsen. Ob eine Gesellschaft Demokratie akzeptieren kann oder nicht, kommt auf viel mehr als Religion an. Können wir Fragen ohne Angst stellen? Können wir einander akzeptieren, wenn wir anders sind oder andere Gedanken haben? Religion ist dabei nicht unwichtig, weil der Glaube oft benutzt wird, um unsere Akzeptanz oder Ablehnung zu rechtfertigen. Aber eigentlich sind das Fragen, die jeder Mensch persönlich beantworten darf und kann.
    In meiner Erfahrung braucht jede Gesellschaft viel Zeit und leider auch viel Blut, um diese Entwicklungen durchzumachen. Am Ende ist Freiheit die Belohnung.

    * Muqtedar Khan: Demokratie und islamische Staatlichkeit, Bundesamt für politische Bildung

    Dieser Artikel wurde im Rahmen unseres Schreibtandem-Projekts mit Unterstützung von Lilly Murmann verfasst.

  • Keine Angst vor der Schwiegermutter!? Ein interkultureller Erfahrungsbericht

    Ich habe eine Wohnung gefunden, weil ich eine Schwiegermutter habe, die uns unterstützt hat. Ein Dankeschön an meine Schwiegermutter! Auf Arabisch ist Schwiegermutter die Frau von meinem Onkel. Oder meine Tante oder „Hamate“, also Schwiegermutter.  In der arabischen Kultur muss oder sollte man die Mutter von seiner Frau oder seinem Mann wie die eigene Mutter achten.

    Aber leider gibt es auch bei uns Vorurteil und sehr viele negative Geschichten über Schwiegermütter und  Schwiegerkinder. Immer wieder gibt es Gefühle der Eifersucht zwischen der Schwiegermutter und dem Partner oder der Partnerin von Tochter oder Sohn.

    Familie – eine kleine Diktatur in einer diktatorischen Gesellschaft

    Manchmal glaube ich , dass Menschen, die in einer diktatorischen Gesellschaft leben, vielleicht selbst zu einer kleinen Diktatur beitragen: Zu Hause ist unser Vater wie eine barmherzig Diktator, so wie unser Imam wie ein religiöser Diktator ist. Und unser großer Bruder ist wie ein netter  Diktator. Und unser Lehrer ist unser wirtschaftlicher Diktator, so wie unser Chef ebenfalls unser wirtschaftlicher Diktator ist.

    Und unsere Mutter versucht, in gleicher Weise auch über die Frau oder den Mann von ihren Kindern zu bestimmen. Vielleicht gibt es deshalb diese großen Missverständnisse.

    Vielleicht fühlen sich unsere Frauen oder vielleicht fühlen sich alle Frauen besonders stark mit ihren Kindern verbunden und wollen sich ihre Kinder nicht von einer anderen Frau oder einem anderen Mann nehmen lassen. Vielleicht fällt es einer Mutter schwer zu akzeptieren, dass ihr Sohn oder ihre Tochter mit einer anderen Frau oder einem anderen Mann zusammen lebt – ohne die Mutter. Weil die Mutter nicht ihren eigenen Sohn oder ihre eigene Tochter hassen kann, sucht sie jemanden, den sie für Fehler verantwortlich machen kann. Und sie findet auch jemanden: die Frau oder den Mann von ihren Kindern.

    Geraten Frauen eher in Streit miteinander?

    Vielleicht  glaubt sie auch, dass die neue Frau oder der neue Mann versucht, sie ganz vom eigenen Kind zu trennen. Deshalb sieht sie in dem Mann oder in der Frau von ihrem Kind einen Feind.

    Manchmal entstehen solche Probleme und Streitigkeiten besonders zwischen der Schwiegermutter und der Frau von ihrem Sohn. Denn in unserer männlichen Gesellschaft wird erzählt, dass Frauen untereinander eher Streit suchen.

    Aber dieses Vorurteil gegen Frauen ist vor allem deshalb entstanden, weil unsere Frauen meistens zu Hause arbeiten. Dadurch verbringen sie mehr Zeit miteinander. Denn was können sie mit ihrer Zeit anfangen? Sie treiben keinen Sport. Sie lesen kein Buch. Sie fahren nicht in den Urlaub. Stattdessen suchen sie den Kontakt zu anderen Frauen.  Mit denen reden und reden sie, und dabei kommt es manchmal zu Streit. Weil jede Frau zeigen möchte, dass ihr Mann oder ihr Sohn zu seiner Frau oder Mutter mehr als zu anderen gehört. Sie orientieren sich dabei an einem Bild, das durch Fernsehsendungen verstärkt wird.  Dadurch verbreitet sich in der Gesellschaft ein Klischee.

    Vielleicht fürchten manche Frauen auch, dass die neue Frau ihren Sohn dazu bringen will, seine Familie zu vergessen. Weil nur sie allein zu diesem Man gehören möchte.

    Streitigkeiten mit der Schwiegermutter – das gibt es in Deutschland ebenso

    Vielleicht, vielleicht – am Ende möchte ich nur sagen: Gott sei Dank, dass er mir eine so tolle Schwiegermutter geschickt hat!  Was ich in diesem Artikel geschrieben habe, zeigt lediglich: Ich vermute, dass es so in der Gesellschaft, aus der ich komme, passiert. Gut möglich, dass du andere Syrer findest, die eine andere Meinung dazu haben. Wir sind Syrer, aber jede und jeder von uns schaut aus der eigenen Perspektive auf unsere gemeinsame Gesellschaft.

    Eine Freundin hat diesen Artikel gelesen. Und sie hat mir gesagt: Sie kennt solche Streitigkeiten gut, weil auch ihre Oma und die Mutter von ihrer Oma sowas erlebt haben. Ich war ein bisschen überrascht. Und danach habe ich im Internet unter „Schwiegermonster“ gesucht und dazu  ein interessantes Interview aus der „Zeit“ von 2015 gefunden. Auch dort wird über diesen Streit gesprochen und warum und wie man ihn vermeiden kann.

    Und weil die Deutschen über alles Witze machen, habe ich auch ein paar Witze auf  witze.net entdeckt:

    „Schwiegermutter, wie lange bleibst du?“

    „Bis ich euch auf die Nerven falle.“

    „Was, nur so kurz.“

    Auf jeden Fall ist es jetzt nicht mehr ganz so schlimm wie früher. Weil Paare jetzt in einer eigenen Wohnung und manchmal in einer anderen Stadt leben. Auch, weil die Frauen arbeiten und die Gesellschaft Freiheit und Gleichheit für jede Person anerkennt. So wird die Person wichtiger als die Familie. Und das erleichtert die Lösung dieses Problems, wenn ich zwischen meiner Gesellschaft und der deutschen Gesellschaft vergleiche.

    Am Ende finde ich jeden Tag, dass wir im Grunde mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede haben: Unsere Geschichte, die Geschichte der Menschen mit all ihren Problemen, Schwierigkeiten, Lösungen und Reaktionen hat von der Natur her doch viele Gemeinsamkeiten.

  • „Wir brauchen mehr Freiheit in unserem Glauben“.

    Am 29.10 habe ich eine neue Fatwa gelesen, die von dem Syrischen Islamrat in Istanbul veröffentlicht wurde. Eine Fatwa ist (nach der Definition vom deutschen Islaminstitut) eine Bestimmung oder ein Urteil von islamischen Gelehrten und Autoritäten. Oft wird es auch als “Rechtsgutachten” beschrieben, das Fragen des islamischen Rechts behandeln. Die wissenschaftliche Leiterin des Islaminstituts, Dr. Schirrmacher, schreibt: “Die Frage, die an den Gelehrten herangetragen wird, entspringt in der Regel dem Wunsch, in einer für den Fragenden zweifelhaften Angelegenheit von einer theologischen Autorität zu erfahren, was die Aussage des Koran, der islamischen Überlieferung (der Berichte über Muhammads Entscheidungen in bestimmten Fragen) oder, allgemeiner, der Sharia (des islamischen Gesetzes) zu dieser Frage ist, bzw. ob es in diesem Bereich eine verbindliche Handlungsanweisung für den gläubigen Muslim gibt.”

    Beten für die Freiheit – aber Unfreiheit für eigene Entscheidungen?

    Zurück zum Syrischen Islamrat: Viele syrische Imame, die in Istanbul leben, haben diesen im Mai 2014 gegründet. Diese Imame sind gegen die Assad Regierung und sie sagen, sie beten für die Freiheit. Die Fatwa, die jetzt veröffentlicht wurde, ist für muslimische Männer, die nicht in muslimischen Ländern leben. Damit meinen sie europäische Länder. Den Männern wird gesagt, sie sollen keine nicht-muslimische Frauen heiraten, sondern nur gläubige, muslimische Frauen.

    Ich habe gelernt: Im Quran steht geschrieben, dass muslimische Männer Frauen heiraten dürfen, denen die Schrift gegeben wurde. Damit ist gemeint, dass sie Christinnen und Jüdinnen heiraten können, weil sie an Gott und eine heilige Schrift glauben. Der Syrische Islamrat hat aber eine ganz andere Meinung dazu. Ich kann einen Teil davon hier auf Deutsch beschreiben. Das Original ist auf Arabisch.

    Fatwa auf Arabisch2

    Sie schreiben, dass eine Heirat mit Frauen in nicht-muslimischen Ländern von Gelehrten verhindert wird wegen der schweren Schäden für die muslimische Familie,  die nach einer Scheidung folgen könnten.

    Zum Beispiel:

    • “der Verlust der gerichtlichen Zuständigkeit für die Ehefrau und Familie und die Unfähigkeit des Ehemannes, sie aufgrund von Gesetzen und Bestimmungen, die gegen die Scharia verstoßen, zu befolgen, (…) insbesondere in den Bestimmungen der Familie und der Scheidung und des Sorgerechts”
    • “Angst um den Nachwuchs des muslimischen Mannes, sich aus der Nichtreligion zu erheben oder mit nicht-islamischer Ethik aufzuwachsen und sich an die sozialen Bedingungen und die Auswirkungen der Verletzung der Legitimität im Bildungsumfeld zu gewöhnen.”
    • “Der Schaden, den diese Ehe den Muslimen zufügt, und die Ausbreitung der Ehe nicht-muslimischer Frauen und die Unwilligkeit, sie zu heiraten.”

    Eine einzige gemeinsame Antwort kann es nicht geben

    Als ich diese Fatwa gelesen habe, habe ich mich an die Wahlkampfposter der AfD erinnert: “Neue Deutsche? Machen wir selber”. Der Syrische Islamrat sagt doch eigentlich: “Neue Muslime? Machen wir selber.” Ich finde, es ist der gleiche Gedanke.

    Die syrische Facebook-Gruppe „Das syrische Haus in Deutschland“  hat eine Umfrage gemacht, ob die syrischen Menschen, die in Deutschland leben, für oder gegen diese Fatwa sind. Mit folgendem Ergebnis:

    1450 sind gegen diese Fatwa

    230 stimmen dieser Fatwa zu.

    Ich frage hier:

    Ist es wichtig, dass unsere Kinder Muslime werden, nur weil ihre Eltern Muslime sind? Oder können wir mit unseren Kindern gemeinsam und auch für uns selbst darüber nachdenken, warum wir Muslime sind? Was bedeutet Islam für uns? Warum brauchen wir den Islam mehr als andere Religionen? Die Antworten auf diese Fragen sind nicht einfach. Und jeder Mensch kann nur eine eigene Antwort finden. Ich glaube, eine einzige gemeinsame Antwort kann es nicht geben.

    Wenn man nach Freiheit ruft, darf man nicht vergessen, diese Freiheit auch zu leben und nicht nur danach zu rufen. Wir brauchen mehr Freiheit in unserem Glauben und bei den Fragen, wie wir jetzt glauben sollen. 

    In der Religion und im Islam ist die persönliche Beziehung zwischen Allah und mir als Mensch von Bedeutung. Lange schon glaube ich, dass wir als Gesellschaft zunächst mehr religiöse Freiheit brauchen, und Freiheit in unseren Traditionen. Danach können wir auch politische Freiheit finden. 

    Wir sollten jetzt nach dem IS und den vielen Terroranschlägen über unser Modell des Islam nachdenken, nicht versuchen mehr Grenzen in unseren Gedanken aufzubauen.

  • Die AfD hat gewonnen. Ein Kommentar.

    Ja, die AfD hat in Deutschland gewonnen. Nicht, weil die Partei fast 13 % der Stimmen bei der letzten Bundestagswahl bekommen hat. Nicht, weil die anderen Parteien Angst vor ihr haben und Angst vor dem Ergebnis einer neuen Wahl. Nicht, weil andere Parteien sie kritisiert haben. Sondern weil andere Parteien Meinungen und Lösungen von ihr übernehmen. Sie tun das, indem sie den Eindruck vermitteln, alle Probleme in Deutschland kämen durch Geflüchtete. Denn das ist es, was andere Parteien jetzt versuchen zu verbreiten.

    Ja, die AfD hat gewonnen, weil die SPD ihr Wahlprogramm auf Geflüchtete fokussiert hat. Und weil ihre Vorsitzender so über Geflüchtete gesprochen hat, als hätte die AfD an Einfluss gewonnen.

    Wenn das Thema Geflüchtete zum Streitpunkt bei den Linken wird und sie darüber diskutieren, ob Deutschland mehr Geflüchtete aufnehmen kann oder nicht, dann hat die AfD es geschafft, das Thema zum Hauptthema zu machen.

    Wenn das Thema Geflüchtete zum Problem wird …

    Wenn das Thema Geflüchtete für die deutsche Regierung zu einem großen Problem wird und die Koalition vielleicht daran zerbricht, dann hat die AfD gewonnen.

    Wenn der Innenminister Drohungen gegen die Regierung ausspricht, sobald diese seinen Plan gegen Geflüchtete nicht akzeptiert, dann hat die AfD gewonnen.

    Wenn die Lösung des Innenministers zum Thema Geflüchtete nur darin besteht, die Grenzen zu schließen, dann hat die AfD gewonnen.

    Wenn die Medien nur über Geflüchtete und den Islam berichten, dann hat die AfD gewonnen.

    Wenn die Europäische Union an der Flüchtlingsfrage zu zerbrechen droht, dann hat die AfD gewonnen.

    Wenn die Bamf-Affäre auf die Geflüchteten bezogen wird, nicht auf Schwächen im bürokratischen und politischen System, dann hat die AfD gewonnen.

    Wenn das Kita-Problem mit Geflüchteten in Verbindung gebracht wird, nicht mit Fehlplanungen bei nötigen Kita-Neubauten, dann hat die AfD gewonnen.

    Wenn die Ursachen für Rassismus und Rechtsextremismus bei Geflüchteten gesucht werden, nicht bei den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit, Bildungsdefiziten, Armut, Ungleichheit zwischen Ost und West, dann hat die AfD gewonnen.

    Wenn Deutschland keine Geflüchteten mehr aufnehmen möchte, weil die Zuwanderung als Problem dargestellt wird, dann hat die AfD gewonnen.

    Wenn ein paar Politiker sagen, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre …

    Wenn ein paar Politiker sagen, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre und dabei vergessen, dass Judentum, Christentum und der Islam am selben Ort geboren, sich im Osten entwickelt und danach erst nach Europa gekommen sind, dann hat die AfD gewonnen.

    Wenn die deutsche Gesellschaft übernimmt, was die AfD als Problem und als Lösung beschreibt, dann hat die AfD gewonnen.

    Wenn sie alle die AfD nicht länger gewinnen ließen, dann könnten endlich wieder andere Themen diskutiert, besprochen und dargestellt werden.

    Das Thema Geflüchtete ist nur der Tropfen , der das Fass zum Überlaufen bringt. Wenn wir das Thema Geflüchtete von einer anderen Seite betrachten, dann kann die AfD nicht länger gewinnen.

  • Das Zuckerfest – gestern, heute und morgen

    Alte Lieder wecken Erinnerungen

    Gestern Abend habe ich alte Lieder auf Youtube gehört und mich erinnert, wie wir vor zehn Jahren das Zuckerfest gefeiert haben. Dabei habe ich mich an einen sehr schönen Moment erinnert, den ich mit euch teilen möchte.

    Zwei Tage vor dem Ende des Ramadan müssen wir zum Markt gehen und neue Kleidung kaufen, besonders für unsere Kinder. Und unsere Mütter, Frauen, Töchter und Geschwister bereiten die vielen Süßigkeiten für das Zuckerfest vor, wie Ma’amul und Gharbia. Oft kaufen wir aber auch viele vom Markt. Diese Leckereien sind nicht nur für unser Fest, sondern auch für die ganzen nächsten Wochen, in denen wir Süßes morgens und abends, vor dem Schlafen und nach dem aufstehen essen können!

    Am letzten Tag vom Ramadan, der waqfat aleid auf Arabisch heißt, gehen wir zum Friseur und lassen uns die Haare schneiden. An diesem Tag muss jeder Friseur ab 08:00 morgens bis 08:00 Uhr am nächsten Morgen arbeiten, weil fast alle Männer an diesem Tag zu ihm gehen wollen.  In vielen Läden sind die Friseure für die Männer ganz andere als die Friseure für Frauen – auch deswegen möchten manche geflüchtete Friseure in europäischen Ländern nicht  Frauen frisieren.

    Der Friseur arbeitet die ganze Nacht

    Unser Verwandter und Nachbar war Friseur und wir haben ihm versprochen, dass wir mit ihm die ganze Nacht verbringen, damit er nicht alleine arbeiten muss.  So konnten wir miteinander „schnacken“ und die Zeit ging etwas schneller vorbei. Wir blieben bei ihm bis 3 Uhr morgens und danach gingen wir zum Hamam, wo wir ungefähr eine Stunde verbrachten und uns sehr sauber wegen dieser starken Dusche fühlten.

    Morgens um 4 gingen wir nach Medan , ein Stadtteil von Damaskus wo es sehr viele traditionelle Restaurants gab und wir genossen Fol, Fatteh und Falafel. Um 6 Uhr gingen wir in Richtung Moschee, um zu beten und danach zum Friedhof zu gehen. Es war Tradition, am ersten Tag des Festes unsere Verwandten zu besuchen und ihnen eine besonders große und grüne Basilikumpflanze auf ihre Gräber zu legen. Wir glauben, dass das Grün der Blätter auch beten und unseren Gott um Vergebung bitten kann. Auf dem Friedhof verteilten wir ebenfalls Süßigkeiten an Kinder die kamen und die arm, hungrig oder bedürftig waren.

    Danach gingen wir wieder zur Moschee, damit wir eine besonderes Gebet sprechen und danach gingen wir mit unseren Vätern, Onkel, Brüder, Cousins unsere Nachbarn besuchen und gratulieren. So zogen wir von Tür zu Tür und freuten uns gemeinsam. Wir endeten dann schließlich wieder bei uns zu Hause, wo wir uns versammelten, um Falafel zu frühstücken. Diese musste ich vorher – als jüngster in der Familie – vom Markt besorgen. Die Falafel war an diesem Morgen ein ganz besonderes Frühstück, da wir während dem ganzen Ramadan keine gegessen haben.

    Ein Fest der Liebe und der Gemeinsamkeit

    Nach diesem lang ersehnten Frühstück konnten wir ein bisschen schlafen, aber nicht lange, da unsere Familie, Nachbarn und Freunde zu Besuch kommen, uns Eid Mubarak wünschen und das Ende vom Ramadan feiern wollten. So verbrachten wir die nächsten drei Tage mit Empfängen, Gratulationen und Essen.

    Am Morgen tragen die Kinder ihre neue Kleidung und sie gratulieren allen, die älter als sie sind, damit sie aleidia, ein Eid Geschenk, meistens Geld, bekommen. Und sie gehen zum Dom – damit ist nicht die Kirche, sondern der Spielplatz gemeint.

    Das war unser Fest in Syrien: Zeit mir Familie und Freunden, eine ganz besondere Atmosphäre, viel Essen, noch mehr Süßigkeit, aber meistens Liebe und Gemeinsamkeit.

    Anders heute in Deutschland: Da muss ich früh schlafen gehen, damit ich früh aufstehen kann, damit ich zur Sprachschule gehen kann,  damit ich Deutsch sprechen kann, damit ich einen Platz zur Ausbildung oder an der Uni oder Arbeit bekomme, damit ich mich beim Jobcenter abmelden kann, damit ich vielleicht einen anderen Name bekommen kann außer „der Flüchtling“. Oder vielleicht muss ich Flüchtling bleiben, weil ich anders bin?

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