Autor: Sarah Zaheer

  • Mit Reisepass in den Libanon?

    Antwort

    Liebe Verena,

    es ist sehr gut, dass Deine Freundin einen blauen Reisepass nach der Genfer Flüchtlings Konvention (GFK) besitzt. Damit kann sie in alle Länder reisen, die die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben, das sind über 100 Staaten weltweit. Für viele dieser Länder muss vorab ein Visum beantragt werden. Ob man dann dieses Visum erhält, ist die Entscheidung des Landes, in das gereist werden soll.

    Visumfrei einreisen in Schengen-Staaten

    Sie kann in die sogenannten Schengen-Staaten (Belgien, Deutschland, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn) visumfrei einreisen, wenn ihr Aufenthalt nicht länger als drei Monate dauert und sie im Ausland nicht arbeitet.

    Leider hat der Libanon diese Konvention nicht unterzeichnet. Das heißt, dass Deine Freundin mit dem blauen Reisepass dort nicht einreisen kann. Ihr könnt versuchen, dass die libanesische Botschaft in Berlin Deiner Freundin ein Visum erteilt aufgrund des GFK- Passes. Allerdings möchten wir Euch nicht allzu große Hoffnung darauf machen.

    Einreise auch mit syrischem Pass oft schwierig

    Aber auch mit ihrem syrischen Pass wäre es schwierig. Zwar ist die Einreise syrischer Staatsbürger in den Libanon ohne Visum möglich, wenn sie mit einem syrischen Pass einreisen. Sie müssen lediglich bei der Einreise den Zweck ihres Besuchs im Libanon darlegen und dies mit entsprechenden Dokumenten nachweisen. Aber es gibt viele Fälle, in denen syrischen Staatsangehörigen am Flugplatz in Beirut aus Deutschland kommend die Einreise verweigert wurde bzw. in Deutschland beim Abflug von der Fluggesellschaft schon die Mitnahme nicht gestattet wurde.

    Dies betrifft laut Aussage der deutschen Botschaft in Beirut Inhaber syrischer Pässe, die nur einen Ein- oder Ausreisestempel der Türkei enthalten, nicht aber das jeweilige Gegenstück. Findet sich nur einer der beiden Stempel im Pass, dann schließt die libanesische Grenzpolizei auf einen illegalen Grenzübertritt zu einem früheren Zeitpunkt und verwehrt die Einreise in den Libanon. Aus diesem Grund, so heißt es auf der Internetseite der Botschaft, verlangen Fluglinien auf dieser Strecke immer häufiger, dass die zu befördernden Personen ein Rückflugticket nach Deutschland gelöst haben.

     

  • Sizilianischer Orangensalat

    Sizilianischer Orangensalat – Das Rezept

    Es ist auch gar nicht schwer, dieses kleine Sommerwunder zuzubereiten. Es geht fast so fix, wie sich das zufriedene Lächeln auf den Gesichtern eurer Gäste einstellt. Auf geht’s!

    Das braucht ihr für diesen besonderen Orangensalat:

    • 3-4 Blut- oder Saftorangen
    • 1 rote Zwiebel oder 1 Bund Frühlingszwiebeln
    • 3 EL Olivenöl
    • Pfeffer aus der Mühle
    • Salz
    • 1 Knolle Fenchel (wer mag)
    • eventuell einige schwarze Oliven
     Eine Schale Orangensalat
    Orangensalat Mandala. Foto: Eugenia Loginova

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

    Sizilianischer Orangensalat leicht gemacht:

    Die Zwiebeln schälen und in sehr feine Ringe schneiden. Anschließend die Oliven in Scheiben schneiden. Den Fenchel waschen, Strunk entfernen und sehr fein hobeln. Die Orangen schälen und filetieren, den kostbaren Orangensaft dabei auffangen. Filets in eine Schüssel geben; Fenchel, Zwiebeln und Oliven hinzufügen. Mit dem guten kaltgepressten Olivenöl, Orangensaft, Pfeffer und Salz abschmecken. Und dann das Ganze für 10 Minuten ab in den Kühlschrank. Abgedeckt ziehen lassen und – einfach genießen!

    Der Salat ist auch eine tolle Beilage zum Fleisch sowie Grillgerichten.

    Buon appetito!

    Mehr köstliche Rezepte gibt es hier

  • Zur Bedeutung der Muttersprache für die Integration

    Tolga Özgül: Herr Aver, wir führen in Deutschland ja nicht das erste Mal eine öffentliche Debatte zum Thema Türkisch-Unterricht. Haben Sie das Gefühl, dass sich die Qualität dieser Debatten verändert?

    Caner Aver
    Caner Aver

    Caner Aver: Die Debatten um Mehrsprachigkeit werden seit Längerem geführt und verlaufen zum Teil sehr kontrovers. Ursächlich hierfür ist u.a. auch die nach wie vor nicht in ausreichendem Maße umgesetzte Einwanderungsrealität im Bildungssystem. Dazu zählt auch die Frage, ob herkunftssprachlicher Unterricht (HSU) in Schulen eingeführt werden, wer ihn unterrichten und welches Gewicht er unter den Fächern erhalten soll.

    Je stärkere Ansprüche seitens der Migrant*innen  gestellt werden, desto stärker wird sowohl der strukturelle als auch der soziale Status Quo in Frage gestellt, was die Debatten noch weiter aufheizt. Da der HSU aber überwiegend von türkeistämmigen zivilgesellschaftlichen Organisationen gefordert wird, konzentriert sich die Debatte in erster Linie auf diese Gruppe, obwohl andere Sprachen wie russisch, arabisch, polnisch, griechisch oder serbokroatisch ebenfalls eine quantitative Relevanz haben.

    Tolga Özgül: Welche Bedeutung hat die Muttersprache von Migrantenkindern?

    Caner Aver: Es ist unbestritten, dass die Förderung der Muttersprache eine große Bedeutung hat. Auf der integrationspolitischen Ebene kann durch die HSU-Förderung eine gesellschaftspolitische Anerkennung des Migrationshintergrundes mit positiven Effekten auf das Zugehörigkeitsgefühl der Betroffenen erreicht werden. Denn die (Mutter-)Sprache ist ein Teil der Identität. Sprachwissenschaftlich ist es unbestritten, dass der Erwerb einer weiteren Sprache auf Grundlage der Muttersprache weitaus effektiver und nachhaltiger ist. Zudem sind in einer globalisierten Welt Sprachkompetenzen wertvolle Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt.

    Tolga Özgül: Sollten Kinder zuerst die Muttersprache lernen – und dann Deutsch?

    Tolga Özgül
    Tolga Özgül

    Caner Aver: Kinder mit Migrationshintergrund sprechen zu Hause in der Regel erst die Muttersprache, die zugleich auch ihre emotionale Sprache sein kann; oft werden aber auch mindestens zwei Sprachen gesprochen. Kognitiv sind sie durchaus in der Lage, mit beiden Sprachen umzugehen und durch ein „Switchen“ unter den Sprachen im Alltag auch beide anzuwenden.

    Allerdings besteht hierbei die Gefahr, dass eines oder beide Sprachen nicht ausreichend gut erlernt werden können, was sich negativ auf den weiteren Spracherwerb auswirken kann. Deshalb müssten vielmehr beide Sprachen richtig erlernt werden, was außerhalb des Elternhauses im schulischen Alltag geschehen sollte.

    Tolga Özgül: Was können Eltern tun, um die mehrsprachige Entwicklung ihrer Kinder zu unterstützen?

    Caner Aver: Zum einen sollten Eltern selbst zu Hause dafür sorgen, mit ihren Kindern in beiden Sprachen richtig gesprochen wird, ohne unter den Sprachen zu „Switchen“, zum anderen sollten sie – sofern sie Wert darauf legen – ihre Wünsche nach einem HSU in den Schulgremien am besten dann mit anderen Eltern organisiert äußern. Zum anderen sollten aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen, die selbiges fordern, unterstützt werden.

    Man darf aber nicht vergessen, dass nicht an allen Schulen ausreichend Schüler*innen für die Schaffung einer HSU-Klasse vorhanden sein werden. Hier sind Eltern auch verpflichtet, flexible Lösungen anzustreben bzw. diese dann auch mitzutragen. Gleichzeitig darf man aber bei all der Debatte auch nicht vergessen, dass Muttersprachenunterricht auch deshalb nicht an Schulen angeboten wird, weil ein quantitativer Bedarf seitens migrantischer Eltern nicht geäußert wird, obwohl er medial immer wieder gefordert wird. Hier erleben wir eine – auch kritisch zu hinterfragende – Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

    Tolga Özgül: Denken Sie, dass die Einführung des Muttersprachenunterrichts die Integration fördern würde. Wenn ja inwiefern?

    Caner Aver: Die Einführung des Muttersprachenunterrichts würde unter den Migrant*innen zu einem erhöhten Zugehörigkeitsgefühl beitragen, weil dadurch ein Teil ihrer Identität – nämlich ihre Mutter- bzw. Herkunftssprache – eine Gleichwertigkeit gegenüber der deutschen bzw. anderen Sprachen erhalten würde. Denn die hybride Identität von Menschen mit Einwanderungsgeschichte ist ein Normalfall und das Recht auf das Erlernen der Muttersprache ist ein kulturelles Menschenrecht.  Dies bedeutet aber keinesfalls, Deutsch als Hauptverkehrssprache abzulösen, sondern im Idealfall beide Sprachen auf einem hohen Niveau zu beherrschen.

    FM: Herr Özgül, Welche Haltung nimmt die Bürgerinitative Genç ASİP zum herkunftssprachlichen Unterricht ein?

    Tolga Özgül: Wir als Genç ASİP setzen uns für die Förderung des Muttersprachenunterrichts in Schulen ein. In Deutschland leben Menschen aus rund 200 Nationen mit verschiedenen Muttersprachen, Religionen und Weltanschauungen. Sprache ist Kultur, daher bedeutet Kulturenvielfalt, die Verschiedenartigkeit der einzelnen Muttersprachen zuzulassen. Daher ist es außerordentlich wichtig, die Muttersprache von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den Schulen zu fördern.

    FM: Ab 1961 begann die Einwanderung türkischer Gastarbeitern nach Deutschland. Auf Seiten der Einwanderer und der Aufnahmegesellschaft gab es damals Vorbehalte. Die Integration lief nicht optimal, könnte man aus heutiger Sicht sagen. Was hat sich seitdem verändert und wie kann man Integration noch besser fördern?

    Tolga Özgül: Aus den damaligen Fehlern haben wir dazugelernt und gehen heute bestimmte Themen anders an wie zum Beispiel Sprachkurse, Wohnräume oder berufliche Perspektiven. Wo wir als Verband Defizite sehen und was wir gleichzeitig als ein Hindernis zur erfolgreichen Integration von neu ankommenden Menschen einordnen, ist, dass wir uns als Gesamtgesellschaft abschotten statt einander kennenzulernen und gegebenenfalls Vorurteile abzubauen. Wir dürfen uns nicht von unserem Gegenüber isolieren und auf populistische Aussagen hereinfallen. Denn damit spielen wir nur den Feinden der offenen und demokratischen Mehrheitsgesellschaft in die Hände.

    FM: Wir erleben in Europa und weltweit tatsächlich eine starke Polemisierung in den politischen Debatten und im gesellschaftlichen Umgang. Rassismus und Diskriminierung sind an der Tagesordnung. Halten Sie es für möglich, dass wir als Gesellschaft an der Aufnahme bzw. Integration von Migrantinnen und Migranten scheitern, trotz aller Bemühungen verschiedener privater und politischer Organisationen?

    Tolga Özgül: Wenn ich sie beruhigen darf: Nein, uns droht keine Spaltung als Gesellschaft, dafür sind wir als aufgeklärte Gesellschaft deutlich in der Mehrheit. Einige der seit 2015 aufgenommenen Migrantinnen und Migranten sprechen mittlerweile fließend Deutsch und sind auf einem B1 Level. Andere wiederum sind auf einem A2 Level, was ich aus Erfahrung sagen kann. Was wir meistern müssen ist, dass aus keinem Migrant in einigen Monaten oder Jahren ein Germanist werden kann. Das bedarf alles seiner Zeit.

    Die Junge Europäische Bürgerinitiative Plattform (Genç ASİP) ist eine Nichtregierungsorganisation und wurde im Februar 2018 in Köln von Tolga Özgül gegründet. Aktuell ist sie in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg aktiv. Sie verfolgt unter anderem das Ziel, die deutsch-türkische Beziehung zu stärken und zu fördern, aber auch die politische Partizipation von Migrant*innen aus anderen Herkunftsländern zu unterstützen.

  • Eine Story aus Syrien

    Ich werde euch eine dramatische, traurige Geschichte von einer syrischen Familie erzählen, die ich persönlich kenne. Es handelt sich um eine isolierte Familie, die schockierende Szenen erlebt hat. Die Familie besteht aus den Eltern, die seit zwei Jahren in Deutschland nördlich von Frankfurt leben und einem Sohn, der bereits seit vier Jahren in Deutschland lebt. Drei minderjährige Kinder leben noch in Syrien ohne Begleitung. Sie leiden dort unter der Gewalt von Verwandten sowie unter Armut und leben ohne Respekt vor den Menschenrechten. Der Vater ist stumm, er ist sprachlos seit der Geburt. Er ist krank im Herzen und benötigt tägliche Betreuung. Er äußert seine Meinungen nur mit Tränen und Fingersignalen. Er ist arbeitsunfähig. Der älteste Sohn studiert hier nahe Frankfurt a.M. in der Schule. Um ihn machen sich die Eltern keine Sorgen, er macht seine Zukunft. Er sieht seine Eltern nur am Wochenende. Aber er ist mittlerweile integriert. Die Mutter kümmert sich um ihren Ehemann.

    Die Familie wird auseinander gerissen

    Die Familie hat in Syrien ein Haus, aber es wurde aufgrund des Krieges komplett zerstört. Der älteste Sohn ist im Jahr 2015 über die Balkanroute nach Deutschland gekommen. Er war damals ein minderjähriger Flüchtling ohne Begleitung. Er bekam Asylrecht und ein Bleiberecht für drei Jahre. Im Jahr 2018 wurde seine Aufenthaltserlaubnis noch drei Jahre verlängert. 2016 hat seine komplette Familie, die Eltern und seine Geschwister, einen Antrag auf Familiennachzug bei der Deutschen Botschaft in Beirut beantragt. Das Ergebnis: Nur den Eltern wurde ein Visum nach Deutschland gegeben. Der Antrag der minderjährigen Kinder wurde abgelehnt. Kein Visum für seine Geschwister. Das war ein neuer Anfang der Tragödie und eine harte Überraschung.

    Die Familie ist nicht gut informiert und sie wissen nichts über die neuen Änderungen in der deutschen Flüchtlingspolitik und im Asylgesetz. Sie haben sich entschieden, dass die Eltern nach Deutschland fliegen. Ihre Hoffnung war, dass sie die Kinder in sechs Monaten nachholen können. Solche Entscheidungen kann man gar nicht verstehen, aber leider passiert so etwas! Wir kennen nicht die Umstände, und wir wissen nicht, welche Hintergründe oder Bedürfnisse dahinter stecken. War es wegen der Krankheit des Vaters, dem zerstörten Haus, den falschen Informationen über Deutschland? Genauso kann ich auch nicht verstehen, warum die Botschaft in Beirut den Visumsantrag der Kinder abgelehnt hat! Egal, welche Gründe es gab, ich kann es echt nicht nachvollziehen. Das Ergebnis ist, dass drei minderjährige Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen, in Syrien gelassen wurden.

    Die zurückgelassenen Kinder in Syrien leiden unter der Gewalt der Verwandten

    Die Kinder wurden zuerst von den Verwandten gegen die Bezahlung von Geld betreut. Die Eltern hatten in Deutschland keine andere Option. Sie müssen für die Betreuung der Kinder bezahlen. Die Verwandten in Syrien denken, dass die Eltern in Deutschland reich geworden sind. Sie wollen immer mehr Geld für die Betreuung der Kinder, aber die Kinder bekommen nichts. Die Verwandten haben die Kinder geschlagen, wenn die Eltern kein Geld geschickt haben. Die Eltern selbst sind arme Schweine, sie wohnen noch im Flüchtlingscamp. Sie bekommen beide nur Sozialhilfe – 525 Euro. Sie essen fast nichts, damit sie etwas sparen und nach Syrien überweisen können!

    Die Verwandten in Syrien haben die Kinder gezwungen, arbeiten zu gehen. Sie erlauben nicht, dass die Kinder mit ihrer Mutter sprechen. Das älteste Mädchen, 14 Jahre, wurde belästigt. Sie weint oft. Sie will ihre Mutter. Sie wohnt jetzt bei ihrer Tante. Die Tante selbst wohnt unter der Kontrolle der Familie ihres verstorbenen Mannes und diese erlaubt nur ,das Mädchen dort wohnen zu lassen, und das auch nur gegen Geld. Die anderen beiden Kinder befinden sich in der Gewalt ihres Onkels. Sie haben die Schule verlassen. Der Onkel jammert, er benötigt mehr Geld um die Kinder zu ernähren. Die Eltern in Deutschland können die neuen Forderungen der Verwandten für die Betreuung der Kinder nicht mehr leisten, was aber mehr Gewalt gegen die Kinder in Syrien bedeutet.

    Die Eltern bekommen nun eine eingeschränkte Aufenthaltserlaubnis, einen sogenannten subsidiären Schutz in Deutschland. Sie haben endlich das Recht auf Familiennachzug. Aber wann das klappt, weiß kein Mensch! Ich denke, aus meiner Erfahrung, wird es wegen der Bürokratie Jahren dauern. Die Mutter kommt täglich zu uns. Sie kriegt bei uns Essen und telefoniert mit den schlimmen Verwandten in Syrien. Manchmal hat sie die Chance, mit ihren Kindern zu sprechen oder zu chatten. Im Flüchtlingscamp hat sie kein WLAN. Ich wollte euch diese Geschichte erzählen, die ein schlechtes Gefühl bei mir hinterlassen hat.

    Zwischeneinschub 1 –  Meine Erfahrungen als Demonstrant

    Heute war ich in einem Protest gegen die Aussetzung des Familiennachzugs für die Geflüchteten in Wiesbaden. Unabhängig von der Anzahl der Demonstranten hat die Geschichte dieses Kindes im Video mich berührt. Sie machte mich sprachlos und hat mich total schockiert. Er und seine Schwester sind alleine in Deutschland ohne Vater und Mutter. Wir wissen nicht, wie oft er vor dem Schlafen weint. Solche Geschichten hört man oft. Ich kann mir nicht vorstellen, elf Jahre alt zu sein, und meinen Vater und meine Mutter seit vier Jahren nicht gesehen zu haben. Von Herzen wünsche ich ihm viel Kraft und hoffe, dass er seine Familie bald wieder sieht. Ich danke besonders den Deutschen, die bei der Demonstration mitgemacht haben.

    Zwischeneinschub 2 – Wir alle sind Menschen – ein Appell an euch

    Liebe Menschen, wir leben in einer einzigen Welt. Wir haben ähnliche körperliche Eigenschaften. Wir unterscheiden uns in der Hautfarbe, in der Körpergröße, im Gewicht, und wir kommen aus verschiedenen Nationen und Ländern. Aber wer hat von euch seine Nationalität oder seine Heimat bzw. die Haarfarbe ausgewählt. Wer ist Schuld daran? Es bleibt ein Rätsel!

    Ja, ich weiß, was du jetzt sagst… deinen berühmten Satz: „Wir können nicht die Welt retten! Wir haben selbst genug Probleme.“ Du wirst dazu folgendes ergänzen: „Die Armut in Afrika, der Krieg in Syrien, die Unstabilität in Afghanistan, die Arbeitslosigkeit in Nordafrika, die iranische Bedrohung, die Konflikte zwischen den Russen, der Klimawandel, die Konflikte im Nahen Osten, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China…“. Sorry, darf ich kurz unterbrechen? Für mich sieht die Situation ganz anders aus. Ich weiß, dass es niemandem  komplett gut geht, glaub mir. Wir leiden alle unter Problemen, gesundheitlichen Problemen. Viele von uns arbeiten hart, um die eigenen Kinder zu ernähren. Wir leben alle im Stress, aber wir müssen uns bemühen, gut zu werden. Das Leben wartet nicht darauf, was ihr wollt und euch wünscht. Jeder hat Träume. Ich empfehle euch nur, eine Regel zu beachten. SEI MENSCH! Denk mal positiv! Bitte Abstand von Rassismus halten! Die Humanität fordert Menschen, die miteinander verbunden sind. Dadurch und durch Toleranz vereinigen wir uns, für das wichtigste Ziel des Lebens, die Liebe. Meine Worte sind nur ein Aufruf zur Zusammenarbeit mit verschiedenen Menschen für Menschen! Wir sind nur Gäste in dieser Welt.

    Ein Kind stirbt in Syrien – wer ist verantwortlich?

    Omar hat uns verlassen! Ein Junge, der davon träumte, mit seinen Eltern und seinem Bruder, in Deutschland in Sicherheit zusammen zu leben. Seine Schuld war es, dass er als ein syrischer Junge, der in einem Kriegsgebiet geboren und aufgewachsen ist, durch diese Erfahrungen gewalttätig wurde. Trotz der Versuche seiner Mutter, ihn auf verschiedene Weisen nach Deutschland zu bringen, ist er alleine in Syrien geblieben. Die deutsche Botschaft in Beirut hatte eine andere Meinung. Sie erlaubte nur, dass die Eltern nach Deutschland kommen. Omar ist das Opfer falscher Entscheidungen in der Einwanderungs- und Asylpolitik, Omar ist das Opfer der Ignoranz seiner Eltern, er ist das Opfer einer grausamen Gesellschaft. Die deutsche Botschaft war ein Partner in diesem Verbrechen.

    Am 05.07.2017 war Omar bei der Botschaft mit seinen zwei Geschwistern und seinen Eltern. Der älteste minderjährige Bruder von Omar wohnte bereits seit 2015 in Deutschland. Nach ein paar Monaten hat die Botschaft sich entschieden dass nur die Eltern kommen sollten! Omars Antrag wurde abgelehnt. Was war das Ziel? Die Anzahl der Flüchtlinge zu reduzieren? Oder war das Ziel, die Familie zu spalten? Es war klar, dass die Familie sich zwischen dem Tod in Syrien oder der Spaltung zwischen Syrien und Deutschland entscheiden sollte.

    Der Vater leidet unter einer Krankheit. Die Idee der Eltern war es, dass sie nach Deutschland gehen und die Kinder so schnell wie möglich nachholen. Wir wissen nicht, welche Lebensumstände dazu geführt haben, dass sie eine solche Entscheidung getroffen haben. Aber ich kann die Entscheidung der Deutschen Botschaft nicht verstehen. Der Ablehnungsbescheid war der Killer. Die Familie hatte zwei Optionen: Den Vater in Deutschland zu behandeln oder in Armut und im Krieg in Syrien zu bleiben. Die deutsche Botschaft hat indirekt zwei Optionen angeboten. Den Tod des Vaters oder den Tod des Sohnes. Wenn diese Geschichte ihre Gefühle erreicht, dann haben wir die Chance seinen Geschwistern weiterzuhelfen. Meine Gedanken sind bei seiner Mutter.

  • Zeit und Zuwendung – Integration an Schulen

    Insgesamt 4634 Schülerinnen und Schüler befinden sich laut Schulbehörde momentan in Hamburg in internationalen Vorbereitungsklassen bzw. Basisklassen. Sie verfügen noch nicht über genügend Deutschkenntnisse, um dem regulären Unterricht folgen zu können. Dabei handelt es sich aber nicht nur um geflüchtete Kinder, sondern alle mit Zuwanderungshintergrund. Stephan Giese (51), Schulleiter der Billstedter Grundschule am Schleemer Park, erklärte, dass an seiner Schule auch ein Schüler aus den USA diese Klasse besuchte. „Zudem haben wir seit mindestens einem Jahr eine verstärkte Zuwanderung aus Osteuropa, Rumänien und Bulgarien zum Beispiel.“

    Weiterhin Zuwanderung aus anderen Ländern

    Die Schulbehörde bestätigt: „Die Zahl der Geflüchteten ist seit einiger Zeit in Hamburg rückläufig. Entsprechend wird derzeit auch die Zahl der Internationalen Vorbereitungsklassen (IVK) reduziert. Da allerdings nach wie vor auch viele Menschen ohne Fluchthintergrund kontinuierlich aus anderen Ländern nach Hamburg zuwandern und deren Zahl auch nicht rückläufig ist, gehen wir derzeit davon aus, dass eine bestimmte Anzahl von Vorbereitungsklassen dauerhaft bestehen bleiben muss.“

    Neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler besuchen zunächst für maximal ein Jahr eine Internationale Vorbereitungsklasse mit dem Schwerpunkt auf einem Intensivkurs Deutsch. Danach können die Schülerinnen und Schüler in eine Regelklasse wechseln, wo sie für weitere zwölf Monate zusätzliche Sprachförderung erhalten. Wenn Schülerinnen und Schüler gar nicht oder nicht in der lateinischen Schrift alphabetisiert sind, besuchen sie vor der IVK ein Jahr lang eine „Basisklasse“.

    Übergang funktioniert „überwiegend gut“

    Laut der Schulbehörde haben exemplarische Schulbesuche gezeigt, dass die Integration von neu zugewanderten Kindern in das Hamburger Schulsystem „überwiegend gut und reibungsfrei“ funktioniere. Um eine zu große Ballung von Schülerinnen und Schülern mit Sprachschwierigkeiten in einer Regelklasse zu vermeiden, sei die Zahl auf maximal vier pro Klasse begrenzt.

    An der Grundschule Schleemer Park gelingt dies jedoch nicht. Am Standort Billbrook Deich wohnen alle 140 Kinder, die diese Schule besuchen, in den Wohnunterkünften Billbrookdeich mitten im Industriegebiet. Wir sind damit in Hamburg die Schule, die die meisten zugwanderten Kinder hat.“, so Giese.

    Ein therapeutisches Angebot wäre sinnvoll

    Der ausgebildete Sonderpädagoge feierte 2018 sein 25-jähriges Dienstjubiläum und war bereits Schulleiter in der Neustadt und hat auf St. Pauli als Lehrer gearbeitet. Er kennt sich somit mit Schulen im Brennpunkt aus. „Bei uns ist es keine Frage, ob die Kulturen miteinander klarkommen. Das liegt daran, dass wir nicht sehr viele Deutsche haben. Es ist total egal, wo wer herkommt.“

    Dafür habe die Schule andere Probleme: „Wenn ein Kind eine Traumatisierung hat wie zum Beispiel durch die Flucht, dann ist das eine andere Herausforderung, das Kind zu integrieren. Das braucht psychosoziale Unterstützung.“ Aber Schulpsychologen sind nicht vorgesehen. „Wir haben Sonderpädagogen und Sozialpädagogen sowie Sprach- und Kulturmittler. Das haben andere Schulen nicht. Aber ein therapeutisches Angebot wäre wünschenswert und sinnvoll.“

    Den einen optimalen Weg gibt es nicht

    Stephan Giese findet zudem, dass es nicht den einen optimalen Weg gibt, um zugewanderte Kinder in der Schule zu integrieren. „Wenn Kinder erstmal für ein Jahr Deutsch lernen, finde ich das grundsätzlich gut. Das gab es früher nicht. Da sind die Kinder ganz normal in die Regelklasse gegangen und haben dort auch Deutsch gelernt. Das gelingt auch, wenn es nicht zu viele sind. Zwei Kinder mit wenig Deutschkenntnissen von 20 ist okay.“

    Jetzt sind die IVK-Klassen aber fast genauso groß wie die Regelklassen. „Das ist eine sehr große Herausforderung hamburgweit. Diese Klassen sind nicht ausreichend versorgt.“ Giese wünscht sich kleinere Rahmen, um gut zu lernen. Er findet, dass höchsten zehn Kinder in einer Klasse ein gutes Modell wäre.

    Die Schulbehörde hat seiner Schule bereits mehr Unterrichtsstunden zugewiesen als anderen, aber es reicht trotzdem nicht. Als Schule im Brennpunkt ist die Anzahl der Kinder mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf besonders hoch. „Unsere Klassen sind sehr heterogen. Wir haben auch viele Kinder, die leistungsstark sind und aufs Gymnasium gehen. Gleichzeitig der hohe Anteil an sonderpädagogischem Förderbedarf.“

    Gesellschaftliche Teilhabe ist wichtig

    Wenn man geflüchtet und zugewanderte Kinder integrieren möchte, dann dürfen sie nicht in reinen Wohnunterkünften wohnen und schon gar nicht im Industriegebiet, sagt Giese. „Es darf auch nicht so einen Standort geben wie bei uns. Die Kinder fühlen sich wohl, keine Frage, aber es gibt keine gesellschaftliche Durchmischung und so auch nicht die Möglichkeit an gesellschaftlicher Teilhabe.“ Die Kinder seien, wenn überhaupt im Stadtteil Billstedt integriert. „Aber Billstedt ist ja auch wieder etwas besonders aufgrund seiner sozial problematischen Siedlungen.“

    Stephan Giese findet, dass man bei der Frage nach der Integration der Kinder auch ihre Eltern mitdenken muss. Man solle sie nicht völlig außen vor lassen. „Wenn Eltern eine Chance bekommen, sich zu integrieren, dann fällt es auch den Kindern viel leichter.“ Sonst können Spannungen und Konflikte innerhalb der Familie entstehen. „Ein Kind probiert sich zu integrieren und Eltern können das nicht, weil sie die Sprache nicht sprechen und nicht arbeiten dürfen – also gar keine Chance haben.“

    Mehr langfristige Anstrengungen sind nötig

    In Punkto Bildungspolitik sei Hamburg im bundesweiten Vergleich aber trotzdem gut aufgestellt. „Aber leider reicht es trotzdem nicht. Es braucht noch mehr langfristige Anstrengungen für Schulen im sozialen Brennpunkt.“ Seinen Eindruck bestätigt der Bundesländervergleich des Bildungsmonitors 2018. Dort erreicht Hamburg Platz fünf. Laut Bildungsmonitor besteht deutliches Verbesserungspotenzial, vor allem bei der Bildungsarmut und der Integration. Viele Schüler erreichen nicht die Mindeststandards im Lesen und der Einfluss der sozialen Herkunft auf den Bildungserfolg der Kinder sei groß.

    Und wie ist die Lage außerhalb eines sozialen Brennpunktes? Najmah Said (22) war ein halbes Jahr Praktikantin im Gymnasium Kaiser-Friedrich-Ufer (KaiFu), das am Kaiser-Friedrich-Ufer im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel liegt und mit fünf einen hohen Sozialindex hat. Da Najmah sowohl Farsi als auch Deutsch spricht, war ihr schon 2015 klar, dass sie den geflüchteten Menschen helfen will. Zunächst unterstützte sie am Erstaufnahmelager am Hauptbahnhof und dann in Harburg. 2017 folgte dann das Praktikum an der Schule, wo sie selbst die Oberstufe absolvierte und 2015 ihr Abitur machte.

    Einfach mal über Sorgen reden

    Zusammen mit einer anderen Praktikantin begleitete sie ein halbes Jahr lang eine Internationale Vorbereitungsklasse. „Sie bestand aus 15 geflüchteten Kindern zwischen neun und 13 Jahren.“ Najmah konnten den Kindern übersetzen und ihnen erklären, was sie nicht verstanden haben und zwischen ihnen und den Lehrerinnen vermitteln, denn etwa die Hälfte der Klasse sprach Farsi. Im Laufe des halben Jahres wurde sie zu einer wichtigen Vertrauensperson.

    „Alle Kinder lebten in der Flüchtlingsunterkunft und hatten nur Kontakt untereinander. Sie brauchten jemanden, bei dem sie sich aussprechen konnten. Dadurch, dass alles um sie herum dasselbe erlebt hatten, gab es niemanden, der sich einfach mal hingesetzt hat und sich ihre Geschichten und Erlebnisse angehört hat. Sie wollten auch mal über Probleme und Sorgen reden.“

    Für alle eine besondere Erfahrung

    Die Schülerinnen und Schüler wohnten alle in den Sophienterrassen. „Die Nachbarn dort an der Alster wollten nicht, dass da ein Flüchtlingsheim hinkommt. Dort wohnen nur wohlhabende Menschen und sie hatten Angst, dass es dort unsicher wird und haben sogar dagegen protestiert. Deshalb war der Kompromiss der Stadt, dass dort dann nur Familien wohnen und keine alleinstehenden Männer.“

    „Wir Praktikantinnen haben uns auch nach der Schule mit den Kindern getroffen und gespielt. Damit sie raus kommen aus ihrer Blase.“ Aber auch die Lehrerinnen, seien nicht nur Lehrer gewesen, sondern auch die Vertrauenspersonen und die Personen, die die Normen und Sitten des Landes vemittelten. „Etwas was sonst Eltern machen.“

    Najmah findet, dass die Lehrerinnen nicht darauf vorbereitet waren, dass die Flüchtlingskinder kamen: „Es war für alle eine besondere Erfahrung. Es war auch super anstrengend zwischendurch. Auf jedes Kind musstest du individuell eingehen.“

    Oft fehlt im Schulalltag einfach die Zeit

    Als Beispiel nennt Najmah ein Geschwisterpaar, das miterleben musste, wie die Mutter starb. Der eine Junge war so traumatisiert, dass er aufgrund seiner niedrigen Frustrationsgrenzen ständig außer Kontrolle geriet. „Da ist dann die Frage: Wie reagiert man? Die Lehrerinnen sind an ihre Grenzen gestoßen. Bestraft man das Kind dann wie alle anderen? Sie wollten die Schüler wie eine normale Klasse behandeln, aber ging nicht immer, weil die Umstände andere sind.“ Oft fehlte den Lehrerinnen auch einfach die Zeit für eine tiefgründiger Beschäftigung.

    Sonja Müller, Geschichts- und Philosophielehrerin aus Nordrhein-Westfahlen (NRW), hat in ihrem Bundesland ähnliche aber auch andere Erfahrungen machen können. Dort heißen die Klassen, die auch Flüchtlingskinder besuchen, Sprachfördergruppen, sagt sie. Am Anfang nannten sie alle „Flüchtlingsklassen“. „Nach den Herbstferien 2016 standen von heute auf morgen geflüchtete Kinder vor der Tür. Es gab weder Bücher noch einen freien Raum, das musste die Schule spontan bewältigen.“

    Es gibt auch Erfolgsgeschichten

    Die Kinder verbrachten jeden Tag sechs Schulstunden vor Ort. „Die Altersspanne war sehr weit. Die Jüngste war 10 und der Älteste 17 Jahre alt. Manche waren nicht alphabetisiert, andere hatten in ihrer Heimat schon ein Gymnasium besucht.“ Damit die Kinder auch mit anderen Gleichaltrigen Kontakt bekommen, wurden sie dem Alter nach für Sport und Kunst den regulären Klassen zugewiesen.

    Zwei Jahre lang werden die Kinder und Jugendlichen nicht bewertet, bevor sie in reguläre Klassen – gegebenenfalls auf anderen Schulen – überführt wurden. „Wir haben auch kleine Erfolgsgeschichten hier. Ein Junge macht jetzt sein Abitur und seine Schwester im nächsten Jahr“. Noch immer kommen auch in NRW Kinder, aber es ebbt ebenfalls ab. Welche Schule wie viele Kinder hat, ist auch nicht immer gleich. „Ich kenne Schulen, die haben gar keine. Wir hier haben Glück gehabt. Es sind nicht zu viele, wir können uns gut kümmern. Richtige Problemfälle gab es auch nicht, aber ich weiß, dass wir damit eine Ausnahme sind“.

    Eltern spielen eine wichtige Rolle

    In der Region Hannover wurde sogar extra eine Integrierte Gesamtschule (IGS) gegründet. Magret Kerst (59) arbeitet dort in einer 20.000-Einwohner-Gemeinde, um dort auch Kinder zu unterrichten, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Nach einem Jahr Sprachklasse, haben immer zwei bis fünf Schüler an der IGS in den regulären Klassen mitgelernt. Auch dort ebbt der Andrang der Neuzugänge ab, so Kerst.

    Die Schule ist grundsätzlich inklusiv und auch auf Kinder mit geistigen und psychischen Beeinträchtigungen ausgerichtet. „Die Experten von der Traumabehandlung vom Schulpsychologischen Dienst haben dringend davon abgeraten, dass wir als „Hobbypsychologen“ uns mit den Kindern auf diese Art beschäftigen.“ Ähnlich wie Stephan Giese in Hamburg beklagt auch Kerst, dass mehr Stunden und Betreuung für die Kinder nötig gewesen wären. „Ich persönlich hätte auch gerne Ausflüge mit ihnen unternommen.“ Auch Kerst erkennt die Rolle, die Eltern spielen können. „Sind sie gut gebildet, dann profitieren die Kinder davon“

    Manche geben auf, wenn sie keine Erfolge haben

    Christine Simon-Noll arbeite bei der Flüchtlingshilfe Hafencity in Hamburg, steht im regen Kontakt mit Flüchtlingskindern und gibt ihnen Nachhilfe. Sie bestätigt, was viele Lehrer beklagen: Die Kinder erzählen oft, dass sie in den Schulen nur mit anderen geflüchteten Kindern Kontakt haben und keine Freundschaften zu Kindern schließen, die in Deutschland aufgewachsen sind.

    Manche Kinder geben auf, wenn sie schlechte Noten haben und keine Erfolge haben. Manche sind aber auch sehr ehrgeizig und bitten immer wieder um Hilfe. Sie brauchen mehr Unterstützung. Die Schule kann nicht genug leisten und die Flüchtlingshilfe kann es auch nicht alles auffangen.“ Auch Simon-Noll bemerkt, welchen unterschied der Bildungshintergrund der Eltern macht.

    Schulen nicht allein lassen

    In Deutschland sind der Bildungserfolg und die berufliche Laufbahn abhängig von den sozialen Faktoren. Das zeigt auch die neuste Studie Berechnung der sozialgruppenspezifischen Bildungsbeteiligungsquoten vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Stephan Giese, Schulleiter der Schule am Schleeme Park, hat dazu eine klare Meinung und einen Appell an die Bildungspolitik: „Schule kann nicht der Ort sein, an dem soziale Ungerechtigkeit alleine gelöst wird. Das überfordert Schulen. Sie kann mitarbeiten, aber nicht alleine. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, finde ich, und da müssen auch alle anpacken und die Politik muss mehr tun.“

     

  • Fares Garabet: Politische Cartoons im Exil

    Fares Garabet wurde in Damaskus (Syrien) geboren und studierte in Damaskus, Rom und Kairo. Seit 1993 war er Professor und seit 2013 Dekan der Fakultät für Grafik und Innenarchitektur an der Internationalen Universität Damaskus.

    Garabet zeichnete in Syrien vorwiegend für die Zeitungen Al Wataniah und Al Raya in Quatar.

    Wegen des Krieges und nachdem Garabets kritische Karikaturen nicht mehr gedruckt wurden, wagte er 2016 die Flucht nach Deutschland. Nun lebt er mit Frau, Tochter und Sohn in Dresden. Mittlerweile ist sein Aufenthaltsstatus anerkannt. Er veröffentlicht seine Zeichnungen auf verschiedenen Webseiten und in der Süddeutschen Zeitung.

    Politische Karikatur von Fares Garabet

    Ein Ausstellungsbesuch mit Politischen Karikaturen

    Am 03. Juni 2019 war ich sehr überrascht, als meine Kollegin Tilla mich fragte, ob ich Zeit und Lust hätte, sie zur Ausstellung des Künstlers Fares Garabet in Eppendorf zu begleiten, um ein Interview zu machen. Obwohl ich keine Erfahrung in solchen Aktivitäten habe, ging ich mit ihr dahin.

    Um Viertel nach sieben erreichte ich die Ausstellung, traf mich mit Tilla und begann mit ihr die Zeichnungen anzusehen und unsere Aufgabe zu besprechen. Die Zeichnungen wurden auf elegante Weise gezeigt. Sie drücken Gewalt und Ungerechtigkeit in der Welt und in Syrien aus, wo der Künstler in Damaskus geboren und aufgewachsen ist. Fares Garabet zeigt in seinen Zeichnungen die zunehmende Kluft zwischen den menschlichen Träumen von Freiheit und Würde – und der Realität auf der anderen Seite. Die Realität einer Welt, in der z.B. Trump oder Putin Menschen an ganz verschiedenen Orten manipulieren und bevormunden, um sie zu beherrschen.

    Nach einem vorbereiteten Dialog zwischen der Veranstalterin und dem Künstler, betrachten alle die Zeichnungen. Neben uns wollen auch viele andere interessierte Besucher mit Fares Garabet sprechen und ihn zu den Karikaturen befragen.

    Fares Garabet
    Fares Garabet. Foto:Tilla Lingenberg

    Mein erstes Interview

    Ich stelle ihm zwei Fragen: „Kann ein Karikaturist außerhalb der Politik aktiv sein und eine aktive Rolle spielen?“ Er antwortet: „Ja, ein Karikaturist kann in verschiedenen Bereichen tätig sein. Er kann z.B. Kinder dazu inspirieren, positive Gedanken über die Gesellschaft, die Umwelt und für eine bessere Zukunft der ganzen Welt zu haben.“ Für Kinder zeichnete Fares Garabet darum Comics und veröffentlichte bereits vier solcher Bücher.

    Meine zweite Frage betrifft seine Vision als Künstler, der einen ausgeprägten menschlichen Sinn für die Rolle des extremistischen, religiösen Denkens hat. Hier stellt Fares Garabet fest, dass einige extremistische religiöse Ideen und Praktiken – wie sie vom sogenannten Islamischen Staat und anderen Gruppen unter verschiedenen religiösen Namen, praktiziert werden – sicherlich weiterhin ein wichtiges Thema in seinen Zeichnungen sein werden.

    Zu den Hindernissen, denen er sich in Bezug auf das neue Umfeld, die Kultur, die Sprache und anderen Anforderungen stellt, sagt Fares Garabet: „Natürlich brauchen wir Zeit, um die deutsche Sprache zu beherrschen und die Menschen hier zu kennen, aber so oder so werde ich immer weiter zeichnen.“

    „Ich zeichne immer gleich am Morgen.“

    Im Gespräch erzählt Fares Garabet, dass er jeden Morgen, nach der Lektüre von Zeitungen und News-Seiten im Internet, Bild-Ideen zu den aktuellen Themen bekomme und diese dann zeichne. Dann wähle er aus all den Skizzen die Beste, Treffendste heraus und zeichne sie mit Feder und Pinsel zur fertigen Karikatur. Am liebsten ohne Worte, damit man sie weltweit verstehen könne. Zu deutschen Themen traue er sich noch keine Karikaturen zu. Erstens, meint er, sei er hier ein Gast und zweitens kenne er die deutsche Kultur und Politik noch nicht so gut, um treffende Bilder zu zeichnen.

    Eine Besonderheit sind die Fingerabdrücke in seinen Zeichnungen. Hierzu sag Fares Garabet: „Einerseits ist das einfach eine grafische Struktur, andererseits ein Symbol für Fingerabdrücke, die Verbrechern bei der Polizei genommen werden.“ Sein ironischer Hinweis auf ihn selbst als Verbrecher, der Wahrheiten aufzeigt, die keiner sehen will.

    Unser Fazit: Ein toller Abend mit aufwühlenden Karikaturen, interessanten Gesprächen und Livemusik mit dem syrischen Musiker Ziad Khawam sowie einem weiteren Musiker aus seiner Oriental Band.

    Wer die Zeit findet sich die Karikaturen anzusehen, sollte hingehen, es lohnt sich.

    …………………………………

    Kunstklinik, soziokulturelles Zentrum Eppendorf, Martinistraße 44 a. Bus Nr. 25 hält fast vor der Tür.

    Besichtigungszeiten bis zum 9.8.2019: Mo/Do/Fr 12:30-15:00, Mi 18:00-19:30 Uhr + nach Vereinbarung

    Mit  Tilla Lingenberg  hat diesen Artikel geschriebn  geschreiben 
  • Hürden auf dem Weg zum Studium

    Die erste Hälfte dieses Jahres ist bald rum. Was sind deine persönlichen Ziele für das gesamte Jahr?

    Ahmad: Bis zum Frühjahr habe ich einen C1 Deutschkurs besucht und nun auch erfolgreich die Prüfung bestanden. Das war ein großer Erfolg für mich. Wenn alles weiter gut klappt, dann ist mein großes Ziel, dass ich mich diesen Sommer erfolgreich für das Studienfach Zahnmedizin bewerbe.

    Das ist ambitioniert, aber auch sehr konkret. Was ist deine größte Herausforderung dabei, das Ziel zu erreichen, an einer deutschen Hochschule das Studium aufzunehmen?

    Ahmad: Die größte Herausforderung bei der erfolgreichen Integration in ein Studium ist für mich nicht unbedingt das Erlernen der deutschen Sprache. Es ist eher das deutsche Universitätssystem. So wie ich mich informiert habe, ist es so, dass selbst wenn man die deutsche Sprache beherrscht, dann gibt es nur eine sehr begrenzte Anzahl an Studienplätzen. Bewerberinnen und Bewerbern aus dem Ausland, insbesondere aus Syrien, stehen nur wenige Studienplätze zur Verfügung.

    Ich habe erfahren, dass es an vielen Universitäten für medizinische Fächer eine sogenannte Ausländerquote von 5 Prozent gibt. Als syrischer Bewerber habe ich große Sorge, dass es dann keinen Studienplatz für mich geben wird, obwohl ich ein sehr gutes Abitur aus Syrien habe, das hier auch so anerkannt wurde und selbst wenn ich ein gutes Sprachzeugnis für Deutsch habe.

    Nachvollziehbar, dass du nun gerne deinen Wunsch wahr machen möchtest und ein Studium, am liebsten Zahnmedizin, aufnehmen möchtest. Wie kam es zu dem Wunsch, Zahnmedizin zu studieren?

    Ahmad: Ich habe schon immer großes Interesse an Medizin bzw. Zahnmedizin gehabt. Im letzten Herbst habe ich dann ein Praktikum bei einem Zahnarzt in Hamburg gemacht. Dort habe ich spannende Aufgaben übernehmen dürfen und war auch durch meine Übersetzungsdienste eine Hilfe. Ich habe mich dann weiter informiert, wie ein Studium der Zahnmedizin genau abläuft und welche Inhalte dort zu lernen sind. Das begeistert mich noch immer und deswegen möchte ich das Studium aufnehmen.

    Welche Unterstützung kannst du gebrauchen auf dem Weg zum Ziel, das Studium aufzunehmen?

    Ahmad: Überall wird erzählt, dass es in Deutschland einen Mangel an Ärztinnen und Ärzten gibt. Da verstehe ich es nicht, warum dann vor allem ausländische Studieninteressierte wie ich, die auch durch interkulturelle Erfahrungen eine besondere Expertise im Umgang mit Menschen haben, nicht besser unterstützt werden.

    Ich wünsche mir, dass es mehr Informationen dazu gibt, an welchen Hochschulen man Medizin bzw. Zahnmedizin studieren kann. Auch wären Informationen zu den Chancen auf Studienplätze hilfreich und mehr Hilfsangebote dazu, wie ich meine Chance auf ein medizinisches Studium erhöhen kann. Manchmal fällt es mir auch schwer herauszufinden, wo ich dazu die beste Beratung finde. Zum Glück bin ich in Hamburg, wo es an der Universität Hamburg eine gute Beratung für studieninteressierte Geflüchtete gibt. In kleineren Städten oder auf dem Land ist das sicher noch viel schwieriger.

    Hast du Bekannte, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen?

    Ahmad: Im Sprachkurs und auch im Freundeskreis habe ich viele junge, motivierte syrische Geflüchtete kennengelernt, die auch über ein sehr gutes Abitur verfügen und nun hier sehr souverän die deutsche Sprache lernen. Viele sind nun in diesem Sommer so weit und bereit, um ihre C1-Deutschprüfungen zu absolvieren.

    Natürlich möchten dann alle auch möglichst direkt im Anschluss ein Studium aufnehmen. Ein weiteres Jahr warten oder in Vorbereitungsprogrammen weiter warten wäre für viele der Geflüchteten eine große Enttäuschung. Wir sind noch jung, sehr motiviert und davon begeistert unser Leben zu gestalten, aber wenn es mit den Zielen wie der Studienzulassung dann noch länger dauert, verlieren wir die Begeisterung. Dieser Sommer wird für viele wie mich der Sommer der Entscheidung über ein Studium. Wenn wir länger warten müssen, wird unser Feuer kontinuierlich ausgemacht.

    Was sind deine langfristigen Ziele für dein Leben?

    Ahmad: Es ist wichtig für mich, dass ich gut ausgebildet sein werde. Ich habe ein sehr gutes Abitur in Syrien gemacht und will es nutzen, um erfolgreich in Deutschland studieren zu können. Nach dem Studium würde ich gerne eine sinnvolle Arbeit ausüben und solange es mir in Deutschland gut geht auch hier bleiben.

    Wie Ahmad geht es vielen Geflüchteten in Deutschland. Wir haben deshalb für euch einige Informationen zum Studium in Deutschland recherchiert. Aufgepasst: Bald endet die Bewerbungsfrist fürs Wintersemester!

    Hochschulzugang für Geflüchtete in Deutschland – Fünf Fragen mit Antworten

    1. Mit welchem Status kann ich mich für ein Studium bewerben?

    Geflüchtete können grundsätzlich unabhängig vom Stand ihres Asylverfahrens und von ihrem Aufenthaltsstatus ein Studium aufnehmen, wenn sie die entsprechenden hochschulrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Die Chancen auf ein Hochschulstudium sind also unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Jedoch hat die Aufnahme eines Studiums auch keinen Einfluss auf das Asylverfahren.

    1. Berechtigt das Schulzeugnis aus dem Heimatland zu einem Hochschulstudium?

    Wer in Deutschland studieren will, benötigt eine sogenannte Hochschulzugangsberechtigung (HZB). Über die Website des uni assist e.V., können Studieninteressierte mit Fluchthintergrund schnell und einfach erfahren, ob die Zeugnisse zum Studium in Deutschland berechtigen.

    1. Wo können sich Geflüchtete für die Hochschulbewerbung beraten lassen?

    Jede Hochschule in Deutschland bietet eine Studienberatung an. Viele Hochschulen bieten zusätzlich besondere Beratungsangebote für studieninteressierte Geflüchtete an. Zum Beispiel biete die Universität Hamburg mit dem Programm #UHHhilft ─ Studienorientierung für Geflüchtete  offene Sprechstunden sowie konkrete Qualifizierungsangebote zur Vorbereitung auf ein Hochschulstudium an. Generell gilt, dass Zulassungsvoraussetzungen und Bewerbungsverfahren immer für den konkreten Studiengang und die konkrete Hochschule bei diesen Beratungsstellen an den Hochschulen zu erfragen sind.

    1. Gibt es besondere Zulassungsprozesse für Medizin-Studiengänge?

    In bestimmten zulassungsbeschränkten Studiengängen wie Zahn- und Humanmedizin haben einzelne Universitäten sogenannte Vorabquoten von 5 Prozent für internationale Studierende festgelegt. Die jeweiligen Zulassungsverfahren für Medizin-Studiengänge sind für studieninteressierte Geflüchtete an der jeweiligen Hochschule zu erfragen.

    1. Bis wann sind Bewerbungen für ein Hochschulstudium einzureichen?

    Bewerbungsfristen sind der 15. Juli für das Wintersemester und der 15. Januar für das Sommersemester. Studieninteressierte Geflüchtete sollten sich jedoch weit im Voraus an die Beratungsstellen der Hochschule für Fragen zu Dokumenten, Sprachvoraussetzungen, der Anerkennung von Zeugnissen, Finanzierung des Studiums etc. wenden (siehe Frage 3).

  • B1 oder B2 – und worum geht es eigentlich?

    Über eine Flüchtlingsinitiative habe ich im letzten Jahr Walid aus Syrien kennengelernt. Er suchte Unterstützung bei der Vorbereitung auf die berüchtigte Prüfung „telc Deutsch B2″, und da ich ehrenamtlich Deutsch unterrichte, habe ich ihm meine Hilfe angeboten. Zur Vorbereitung auf den Prüfungsteil „Schriftlicher Ausdruck“ haben wir uns bei Reiseveranstaltern und Sprachschulen beschwert, bei Restaurants Kostenvoranschläge für Partyverpflegung eingeholt („Bitte um Information“) und uns bei verschiedenen Unternehmen beworben.

    Als wir wieder einmal an einem Bewerbungsbrief aus einem Modelltest arbeiteten, fragte ich Walid nach seinem Beruf. Er erzählte mir, dass er Tischler sei. Ich schlug ihm vor, sich gleich nach der B2-Prüfung bei Tischlereien in Hamburg zu bewerben. Wir hatten jetzt ja viel Übung. Walid war damit einverstanden.

    Ist B2 überaupt immer relevant?

    Also suchte ich im Internet auf „jobs.meinestadt.de“ nach Stellenangeboten für Tischler in Hamburg. Es gab über 100 Treffer. Ich habe mir nur die ersten beiden von insgesamt zehn Seiten angesehen. Dabei fand ich zum Beispiel eine Anzeige, in der ungefähr stand: „Wir suchen einen Mitarbeiter ohne Tätowierungen und Piercings, der nicht morgens schon nach Alkohol riecht.“ In einer anderen Anzeige las ich: „Schreibe uns keine langen Briefe, sondern arbeite einfach mal zwei Wochen zur Probe bei uns mit. Dann sehen wir schon, ob du zu uns passt.“

    Von B2 war dagegen in den Anzeigen nie die Rede. Ich fragte mich, wie viele Handwerksmeister in Deutschland eigentlich wissen, was B2 bedeutet, und überlegte: „Vielleicht denken sie sogar, dass B1 besser ist als B2.“ In deutschen Schulen steht die 1 nämlich für die Note „sehr gut“ und die 2 nur für „gut“.

    Ich wählte jedenfalls einige Stellenangebote aus und zeigte sie Walid. Die meisten Angebote gefielen ihm und wir verschickten vier Bewerbungen mit Anschreiben, Lebenslauf und B1-Zertifikat. Wenige Tage nach der vierten Bewerbung wurde Walid zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Nach dem Gespräch bot der Inhaber der Tischlerei ihm an, zur Probe zwei Wochen als Praktikant im Betrieb mitzuarbeiten. Schon nach einer Woche entschied der Meister, dass es passt, und Walid bekam einen Arbeitsvertrag. Nach B2 hat sein Chef übrigens tatsächlich nie gefragt.

  • Artikel 19 – Der Rechtsweg steht jedem offen

    Dank Artikel 19 haben „normale“ Bürger*innen die Möglichkeit, gegen den Staat vorzugehen, wenn er die eigenen Rechte verletzt – eine der wichtigsten Grundlagen des Rechtsstaats, wie Angelika Willigerod-Bauer und Jalal Amin finden.

    Nach Artikel 19 des Grundgesetzes dürfen Einschränkungen der Grundrechte durch ein Gesetz nicht für einen Einzelfall gelten, sondern sie müssen Allgemeingültigkeit besitzen. Damit soll erreicht werden, dass nicht gezielt Grundrechte einzelner Personen eingeschränkt werden können (keine Einzelfallgesetzgebung):

    (1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen. [expand title = „Weiterlesen“]

    (2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

    (3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. [/expand]

    (4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

    Interessant ist hier, wer eigentlich als Person gilt und damit „grundrechtsfähig“ ist. Darunter fallen nicht nur Menschen, sondern auch sog. juristische Personen wie z.B. Aktiengesellschaften, Vereine oder Stiftungen. [1]

    Eines der wichtigsten Grundrechte: die Rechtsweggarantie

    Artikel 18 besagt in Absatz 4: Sollte ein Mensch sich durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in seinen Rechten verletzt fühlen, kann er gerichtlich dagegen vorgehen. Diesen Passus nennt man Rechtsweggarantie. Die „Akte der öffentlichen Gewalt“ beziehen sich auf staatliche Verwaltungsakte. Das kann ein Steuerbescheid sein, ein ablehnender Asylbescheid oder die Ausstellung eines Strafzettels wegen Falschparkens. Sollte man sich in seinen Rechten verletzt fühlen, steht einem der Weg zu den Gerichten offen, d.h. es kann eine Klage erhoben, eine Beschwerde oder Widerspruch vor Gericht eingelegt werden. Dieses Grundrecht steht nicht nur Deutschen zu, sondern auch Ausländern und Staatenlosen.

    Die Rechtswegegarantie bedeutet also, dass eine einzelne Person sich gegen die öffentliche Gewalt zur Wehr setzen und dann im Zweifel bis zum Bundesverfassungsgericht gehen und ihre Rechte einfordern kann – mit Wirkungen weit über den Einzelfall hinaus! Aus meiner Sicht ist Artikel 19 eines der wichtigsten Grundrechte.

    Lange Gerichtsverfahren

    Ende 2016 gab es rund 21.000 Richter*innen in Deutschland. Damit gehört Deutschland zu den Staaten mit der höchsten Richterdichte der Welt. Aber die Gerichtsverfahren dauern zum Teil sehr lange. Auch wenn jedem der Rechtsweg offen steht, ist es nicht billig, einen Prozess zu führen. Dafür gibt es seit 1980 das Recht auf Prozesskostenhilfe. Denn das Prinzip des sozialen Rechtsstaates verlangt, dass auch unbemittelte Parteien in einer dem Gleichheitsgebot entsprechenden Weise Zugang zum Recht erhalten sollen. Der Rechts- und Verwaltungsalltag muss mit der Kontrolle der Richter rechnen – eine starke Säule unseres Rechtsstaats.

    „Korruption spielt in Syrien auch bei Gerichtsverfahren eine große Rolle“

    Wie schon über Artikel 18, habe ich auch über diesen Artikel mit dem syrischen Anwalt Jalal Amin aus Berlin gesprochen. Er sagt:

    Jalal Amin vor einem Bücherregal. In diesem Beitrag spricht er über Artikel 19 des Grundgesetz
    Jalal. Privat

    „Im syrischen Rechtssystem gibt es kaum die Möglichkeit einer Klage gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Im Zivilrecht gibt es die Klagemöglichkeit: Sind beide Parteien arm, kann es ein gerechtes Urteil geben, sind sie aber in unterschiedlichen sozialen Schichten, ist die Gefahr, dass die sozial besser gestellte Partei gewinnt, sehr hoch. Korruption spielt in Syrien auch bei Gerichtsverfahren eine große Rolle. Richter sind auch nicht immer neutral, es herrscht häufig Angst vor den Geheimdiensten und der Regierung. Gegen Beschlagnahmen von Eigentum durch die Regierung kann auf Entschädigung geklagt werden. Dieses Recht haben die Kurden allerdings nicht.“

    Auf meine Frage, was in Deutschland bei der Rechtsweggarantie des Artikels 19 verbessert werden könnte, meinte Jalal Amin: „Die Verfahren in Deutschland dauern sehr lange. Es werden häufig Geldstrafen verhängt. Das schreckt Straftäter nicht ab. In Syrien gibt es eine unmittelbarere Bestrafung. Freiheitsstrafen werden sofort vollstreckt. Allerdings gibt es keinen Rechtsweg gegen staatliches Handeln.“

    In Artikel 19 ist das Recht auf wirksamen Rechtsschutz festgelegt. Es gibt jedem Bürger das Recht gegen Akte der öffentlichen Gewalt vorzugehen, der Exekutive entgegenzuwirken, sie zu kontrollieren. Ein wichtiger Teil in unserem Rechtsstaat.

    Die weiteren Artikel unserer Grundgesetz-Reihe findet ihr hier: Das Grundgesetz wird 70.

    [1] Neben vollrechtsfähigen juristischen Personen fallen unter die grundrechtsfähigen Personen auch teilrechtsfähige Personengemeinschaften (z.B. Vereine, Kommanditgesellschaften und Gesellschaften bürgerlichen Rechts).

  • Artikel 18 – Keine Freiheit für Feinde der Freiheit

    Artikel 18 unterscheidet sich von den anderen Artikeln im Grundgesetz durch eine Besonderheit: Er enthält kein Grundrecht, sondern ist ein Kampfmittel der Demokratie gegen Verfassungsfeinde. Der syrische Anwalt Jalal Amin kommentiert Artikel 18 in diesem Text.

    Mit Artikel 18 wappnet sich der Staat präventiv gegen Störer der Demokratie. Wer bestimmte Grundrechte missbraucht, dem können selbst Grundrechte abgesprochen werden:

    Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.

    Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit!

    Seit Bestehen des Grundgesetzes fanden bisher sehr wenig Verfahren statt. In keinem der Fälle wurde die Verwirkung der Grundrechte vom obersten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht, beschlossen. Das ist ein gutes Zeichen für das Funktionieren unserer Demokratie. Artikel 18 wurde von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes 1949 vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Weimarer Republik geschaffen. Die Mängel der Weimarer Reichsverfassung – die ihren Feinden dieselben Freiheiten zugestand wie ihren Anhängern – sollten im Grundgesetz beseitigt werden. Nicht noch einmal sollte die Demokratie wehrlos ihren Gegnern ausgeliefert sein. Es sollten verfassungsrechtliche Möglichkeiten geschaffen werden, die Demokratie zu schützen.

    Das Bundesverfassungsgericht entscheidet

    Ein Verfahren nach Artikel 18 vor dem Bundesverfassungsgericht können ausschließlich der Deutsche Bundestag, die Bundesregierung oder eine Landesregierung einleiten. Es kann sich gegen jeden Besitzer eines Grundrechts wenden, also sowohl gegen natürliche als auch juristische Personen. Die verwirkbaren Grundrechte sind in Artikel 18 abschließend dargelegt. In dieser Aufzählung sind nicht die Menschenrechte entsprechend Artikel 1 genannt. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass die Menschenrechte nicht verwirkt werden können.

    Eine Verwirkung von Grundrechten muss grundsätzlich durch das Bundesverfassungsgericht beschlossen werden. Die Entscheidung hat nur Wirkung für die Zukunft. Wer seine Grundrechte missbräuchlich angewendet hat, kann diese künftig nicht mehr in Anspruch nehmen. Meist ist es jedoch so, dass jemand, der Grundrechte missbräuchlich verwendet hat, bereits vor einer Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht strafrechtlich belangt wurde. Aus diesem Grund haben die Grundrechtsverwirkungsverfahren des Bundesverfassungsgerichts in der Praxis so gut wie keine Bedeutung.

    Heißt das im Umkehrschluss, dass das Prinzip der Grundrechtsverwirkung, so wie es in Artikel 18 steht, heute veraltet ist und theoretisch abgeschafft werden könnte? Nein, denn schon seine pure Existenz hat eine Signalwirkung und stellt somit einen Sicherungseffekt für unsere Demokratie dar. Auch in Zukunft muss jeder, der sich des verfassungsfeindlichen Grundrechtsmissbrauchs schuldig macht, wissen: Er geht das Risiko ein, dass ihm selbst die Grundrechte abgesprochen werden.

    Das Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung in der Diskussion

    Die AfD brachte am 27.09.2018 einen Gesetzentwurf ein, indem sie die Änderung des Grundgesetzes (19/4484) forderte. Auch die ungestörte Religionsausübung (Artikel 4 Absatz 2) sollte verwirkt werden können. Bisher ist sie in der Aufzählung der verwirkbaren Grundrechte nicht enthalten. Der Gesetzesentwurf wurde mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion der AfD abgelehnt.

    Artikel 18 muss weiterhin als Absicherung in unserem Grundgesetz erhalten bleiben, auch wenn er in der deutschen Geschichte seit 1949 noch nicht zur Anwendung kam. Sollte aber doch jemals jemand die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährden, dann brauchen wir diesen Grundgesetzartikel zum Schutz unserer Gesellschaft dringend. Artikel 18 ist unsere Absicherung für Zeiten, in denen Feinde der Demokratie unsere Grundordnung stören oder zerstören wollen. Bleibt zu hoffen, dass dies nie passieren wird.

    Rechtssysteme im Vergleich

    Ich habe mit dem syrischen Anwalt Jalal Amin über diesen Artikel des Grundgesetzes gesprochen. Er wurde 1971 in Aleppo geboren. Seit fünf Jahren lebt er in Berlin und ist dort juristisch tätig. Vor kurzem wurde er in Deutschland eingebürgert. Anfang 2019 hat er ein Rechtswörterbuch in arabisch, kurdisch und deutsch veröffentlicht. „Das syrische Recht basiert auf dem französischen Rechtssystem. Grundrechte im Sinne des deutschen Grundgesetzes gibt es in Syrien nicht verankert in einer Verfassung,“ so Jalal Amin.

    Die Verfassung Syriens (دستور سوريا) vom 27. Februar 2012 legt die grundlegenden Funktionen der Staatsregierung fest. Sie bestimmt Syriens Wesenszüge als arabisch, demokratisch und republikanisch. Die bis 2012 gültige syrische Verfassung von 1973 festigte die Macht der Arabisch-Sozialistischen Baath-Partei. §8 beschrieb die Partei als „die führende Partei in der Gesellschaft und dem Staat“. Die wirkliche Macht blieb beim Präsidenten der Republik (seit 2000 Baschar al Assad, wiedergewählt im Jahre 2007).

    Jalal Amin erklärt: „Die syrischen Menschen kennen größtenteils ihre Rechte, insbesondere die Menschenrechte, nicht und können sie daher auch nicht einklagen oder sich darauf berufen. Insbesondere die Kurden haben durch ein Gesetz von 1963 ihr gesamtes Eigentum verloren. Es fiel dem syrischen Staat zu. Ebenso haben sie ihre syrische Staatsbürgerschaft verloren. Das heißt, 350.000 Kurden leben in Syrien ohne Pass und werden teilweise verfolgt. Das deutsche Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist in Syrien unbekannt. Es können keine Vereine gegründet werden. Es gibt kein Brief-und Postgeheimnis.“

    Die weiteren Artikel unserer Grundgesetz-Reihe findet ihr hier: Das Grundgesetz wird 70.

kohero-magazin.com