„Bin ich hier noch sicher?“ – Geflüchtete aus der Ukraine über ihre Zukunft in Deutschland

„Ich habe versucht herauszufinden, wohin ich als nächstes gehen könnte, wenn es für mich nicht mehr möglich wäre, in Deutschland zu bleiben.“ Mariia, 40 Jahre alt, beschreibt einen Moment wachsender Unsicherheit: Nach dem Wahlergebnis der AfD bei der Bundestagswahl 2025 fragt sie sich, ob Deutschland dauerhaft ein sicherer Ort für sie und ihre Familie bleiben kann. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine floh Mariia aus Kiew, inzwischen arbeitet sie als Buchhalterin und engagiert sich ehrenamtlich. Doch was, wenn sich die politische Stimmung hier weiter verschiebt? Bin ich hier noch richtig? Und wenn nicht hier – wo dann?

Auch die 21-jährige Anastasiia kam vor drei Jahren aus der Ukraine über Polen nach Deutschland. Sie besucht einen C1-Kurs und möchte bald studieren. Derzeit fühlt sie sich in Deutschland sicher. Doch sie spürt, wie sich das gesellschaftliche Klima verändert. Für sie ist klar, dass es längst nicht mehr nur um die Ukraine geht, sondern um die Frage, wie wehrhaft Europa gegenüber autoritären Bedrohungen bleibt. Sie wünscht sich, „dass Deutschland rechtzeitig erkennt, wie ernst die Lage ist – für andere und für sich selbst.“

 

Wenn Ankommen nicht genügt

Für Menschen aus der Ukraine war Deutschland zunächst ein fester Boden unter den Füßen. Doch spätestens die Wahlergebnisse haben bei vielen die Frage aufgeworfen, wie dauerhaft diese Zuflucht wirklich ist. Politische Kräfte mit russlandfreundlichen Positionen gewinnen an Einfluss. Die einst eindeutige Solidarität weicht einer wachsenden Ungewissheit.

Für Anastasiia und Mariia ist dabei klar, was auf dem Spiel steht, für sie persönlich und auch politisch. Beide sehen in Russlands Krieg eine bewusste Strategie zur Vernichtung ukrainischer Staatlichkeit. „Es ist rechtswidrig, Menschen innerhalb eines Landes mit geschlossenen Grenzen und ohne Zugang zu Waffen einem bewaffneten, stärkeren Staat schutzlos gegenüberzustellen“, sagt Anastasiia. Dass diese Haltung zunehmend relativiert wird, erleben beide als beunruhigend. Sie spüren: Die Deutungshoheit beginnt zu kippen.

 

Globale Brüche, persönliche Folgen

Viele Ukrainer*innen erleben den Krieg längst nicht mehr nur als Angriff auf ihr Land, sondern als Teil eines umfassenderen geopolitischen Umbruchs. Die Wahl Trumps, das Erstarken autoritärer Kräfte in Europa – all das deute für sie auf eine Erosion demokratischer Strukturen hin. Die AfD sitzt als zweitstärkste Kraft im Bundestag, übernimmt russische Narrative, lehnt Waffenlieferungen ab – und spricht der Ukraine eine Mitschuld am Krieg zu. Als Selenskyj im Juni 2024 im Bundestag sprach, boykottierte neben dem BSW fast die gesamte AfD-Fraktion die Rede.

Laut einer CEMAS-Erhebung von Ende 2023 gaben ungefähr 20 Prozent der Deutschen an, der Angriffskrieg Russlands sei eine unvermeidbare Reaktion auf westliche Provokationen gewesen. Weitere 19 Prozent stimmten teilweise zu. Auch die Verschwörungserzählung, Putin kämpfe gegen eine „versteckt agierende globalistische Elite“, findet Zustimmung – besonders im Osten.

Anastasiia kritisiert diese Haltung deutlich: „Viele Deutsche glauben, Russland sei gezwungen gewesen zu reagieren. Russland wurde nicht provoziert, es reagiert auf alles mit Gewalt, was sein imperialistisches Regime bedroht: Meinungsfreiheit, Demokratie, Menschenrechte.“

Alltag der Verunsicherung

Entfremdung entsteht nicht nur durch politische Entscheidungen, sondern auch im Alltag – wenn russlandfreundliche Haltungen das direkte Umfeld durchdringen. Anastasiia erzählt von einem Gespräch am Arbeitsplatz: „Es wurde angezweifelt, ob es überhaupt schlecht sei, unter russischer Flagge zu leben.“ Für sie war das eine erschreckende Erkenntnis: „Menschen mit einer solchen Haltung ist vollkommen gleichgültig, ob wir als Nation weiter existieren.“

Auch Mariia erinnert sich an eine Veranstaltung, bei der mehrere Personen versuchten, ihr einzureden, die Ukraine sei selbst schuld am Krieg – und sie sollten Putin dankbar sein, nun in Deutschland leben zu dürfen. Auch Drohungen von Menschen aus Russland habe sie bereits erlebt: „Deshalb versuche ich, Situationen zu vermeiden, in denen große Gruppen von Fremden erkennen können, dass ich Ukrainerin bin.“

Verständnis für russische Kriegsrhetorik nimmt zu – nicht immer offen aggressiv, sondern in Form von scheinbar harmlosem Infragestellen: Hat die Ukraine nicht auch Fehler gemacht? Ist ein Gebietsverzicht nicht der Weg zum Frieden? Diese Äußerungen treffen Menschen, die genau vor diesem Denken geflohen sind – und es nun, in veränderter Form, erneut erleben. „Oft äußern die Deutschen eher propagandistische Thesen als ihre eigenen Gedanken“, vermutet Anastasiia.

 

Zweifel an der eigenen Geschichte

Solche Haltungen erschüttern zunehmend die Legitimität der Flucht – und lassen Zweifel an der eigenen Geschichte wachsen. Mariia spürt diese Verschiebung deutlich und bekommt zunehmend den Eindruck, „dass Deutschland keine Ukrainer haben möchte.“ Sie hofft auf Sicherheit – auch in Bezug auf ihren Aufenthaltsstatus und ihre berufliche Perspektive.

Auch Anastasiia erlebt, wie anfängliche Solidarität in leise Skepsis kippt – mit subtilen, verletzenden Botschaften. „Vielleicht bist du ja gar nicht das Opfer, für das wir dich hielten“, formuliert sie die unausgesprochene Haltung, die ihr in Gesprächen begegnet. Mariia ergänzt: „Es ist traurig, dass die Menschen immer noch glauben, Putin sei nur eine Geisel der Umstände und nicht der eigentliche Verursacher dieses Krieges.“ Es sind keine offenen Anfeindungen – sondern kleine Verschiebungen im Ton, im Blick, im Subtext: Wenn das eigene Ankommen infrage steht, obwohl man längst da ist.

 

Erschöpfung, Entsolidarisierung – und der Preis des Friedens

Diese schleichende Aberkennung der eigenen Geschichte steht im Zusammenhang mit einer wachsenden Erschöpfung innerhalb der deutschen Gesellschaft – politisch, emotional und wirtschaftlich.

Anastasiia beobachtet diese Entwicklung mit Sorge: Immer öfter höre sie pro-russische Positionen – nicht aus Überzeugung, sondern aus Überforderung, aus dem Wunsch nach einfachen Lösungen, genährt von wirtschaftlichen Sorgen und medialer Polarisierung. In dieser Atmosphäre verhallen differenzierte Argumente oft ungehört.

Was Anastasiia und Mariia teilen, ist das Gefühl, dass die Vorstellung eines notwendigen „Friedens“ – koste es, was es wolle – an Boden gewinnt. Dass der Wunsch nach Entspannung auf deutscher Seite wächst, während auf ukrainischer Seite noch immer ein täglicher Überlebenskampf geführt wird. Gleichzeitig trifft Russland weiter gezielt Zivilist*innen – wie zuletzt bei einem tödlichen Raketenangriff auf Sumy. Für Anastasiia ist klar: „Den Krieg kann nicht beenden, wer ihn nicht begonnen hat.“

 

Dankbarkeit ohne Illusion

Ihr Vertrauen mag Risse bekommen haben – doch Anastasiia und Mariia sehen in Deutschland keinen feindlichen Ort. Sie betonen die Unterstützung und die Chancen, die ihnen hier ermöglicht wurden. „Ich fühle ausreichend Unterstützung seitens der Gesellschaft“, sagt Anastasiia. Auch Mariia findet klare Worte: „Ich danke Deutschland für die Unterstützung, das Verständnis und die Möglichkeit für uns und unsere Kinder, unser Leben im Glauben an eine bessere Zukunft zu leben.“ Doch diese Dankbarkeit bedeutet nicht, dass ihre Sorgen kleiner werden. Sie existiert neben ihnen – nicht als naive Hoffnung, sondern als bewusste Entscheidung, das Gute zu sehen, ohne das Schwierige auszublenden.

Mariia fragt sich, wohin sie als Nächstes gehen könnte. Denn eine Rückkehr in die Ukraine erscheint kaum als sichere Perspektive – selbst ein möglicher Frieden würde die Bedrohung durch Russland nicht aus der Welt schaffen. Während die Ukraine zur Verhandlungsmasse wird, zeigt sich auch in Deutschland, wie schnell Schutz relativiert und Solidarität brüchig werden kann. Anastasiia erinnert daran, dass es längst nicht mehr nur um ihr Land geht. Es geht darum, ob sich eine Gesellschaft autoritären Bedrohungen entschieden entgegenstellt – oder ihnen Stück für Stück Raum gibt.

 

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